die stärke der stärke

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MAGAZIN MOLGASTRONOMIE | Die Stärke der Stärke In den meisten Fällen werden Emulgatoren genutzt, um Wasser-Öl- Gemische zu stabilen Emulsionen herzustellen. Allerdings können dazu auch kleine Feststoffpartikel dienen. Derartige Emulsionen werden nach ihrem Entdecker Spencer Pickering benannt. In der Küche lässt sich dieser Effekt nutzen. Stärkekörner stabilisieren Öl-in-Wasser-Emulsio- nen. Mehr noch, nach dem Erwärmen verkleistert die Stärke, die Emul- sion wird schnittfest. partikel ab. So definiert deren Größe auch den mittleren Durchmesser der Öltröpfchen. Stärkekörner sind Ellipsoide, daher variiert der Kontakt- winkel mit deren Orientierung zur Grenzfläche. Auch ist die Größenver- teilung der Körner zu berücksichti- gen. Diese ist je nach Siebgrad von unterschiedlicher Breite. Trotz dieser Unregelmäßigkeiten funktioniert die Stabilisierung bestens. Dieses lehrreiche physikalische Experiment ist aber in dieser Form gastronomisch wenig relevant. Dies ändert sich rasch, wenn die stabile Emulsion im Backofen auf 70 bis 80 °C erwärmt wird. Die Amylopekti- ne der Stärke sind hoch verzweigte Moleküle, die im teilkristallinen Zustand vorliegen. Durch Erwärmen schmelzen die Kristalle, die Moleküle quellen und binden das Wasser in der kontinuierlichen Phase (Physik in unserer Zeit 2012, 43, 50). Die Stärke verkleistert an den Grenzflächen und umschließt die Fetttröpfchen mit einer festen Hülle: Die Emulsion wird fest. Jetzt fehlt nur noch eine ent- sprechende Würzung. Auch hier haben Feststoffpartikel entscheidende Vorteile. Im Gegen- satz zu Emulsionen mit grenzflächen- aktiven Substanzen, die aus polaren oder elektrostatisch geladenen und unpolaren Molekülteilen bestehen, ist die Stabilität von Pickering-Emulsio- nen gegenüber höheren Ionenstär- ken (Salz) und Änderungen des pH- Werts (Säure) unempfindlich. Daher können diese Emulsionen vor dem Erhitzen gesalzen, gewürzt und das Wasser teilweise durch schmackhafte Essige oder Senf ersetzt werden. Somit zaubert man schnell körnige „Vinaigretten“ für Gemüse oder Wurstsalate. Thomas Vilgis, MPI für Polymerforschung, Mainz 102 Phys. Unserer Zeit 2/2013 (44) www.phiuz.de © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Zum Experiment: Ein Teelöffel Mais- oder Kartoffelstärke wird in 50 ml kaltes Wasser gerührt und fein sus- pendiert. Danach emulgiert man Öl unter feinem Strahl unter ständigem Rühren mit dem Stabmixer (oder Homogenisierstab). Rasch entsteht eine durch die Stärkekörner stabili- sierte Emulsion. Die Stärkekörner sind in kaltem Wasser und Öl unlös- lich. Sie behalten daher ihre Form, und die Emulsion bleibt stabil. Physikalisch lässt sich die Stabili- sierung mit der Energie der Teilchen an den Wasser-Öl-Grenzflächen erklären. Diese Stabilisierungsenergie verändert sich mit der Eintauchtiefe in die Grenzflächen und wird vor allem durch die Variation mit dem Kontaktwinkel θ bestimmt, ΔE = πr 2 γ (1–|cosθ|) 2 , dabei ist r der Radius der kugelförmigen Partikel und γ die Grenzflächenspannung. Ist der Kontaktwinkel 90°, so verschwindet die Stabilisierungsenergie. Viele Eigenschaften der Emulsion hängen von der Form der Feststoff- Dynamik unter der Lupe Viele physikalische und chemische Phänomene beruhen auf der korrelierten Bewe- gung mehrerer Elektronen und Kerne. Um diese Prozesse besser zu verstehen, messen Forscher vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg die Impulse in Stößen zwischen Ionen und Atomen. Voraussetzung ist eine geringe Temperatur der Atome und eine vollständige Erfassung der Reaktionsprodukte. Dazu wird eine magnetooptischen Falle zur Kühlung mit einem Reaktionsmikroskop zur Impuls- bestimmung kombiniert. Laser halten eine rötlich leuchtende Lithiumwolke in einem Magnetfeld in der Schwebe. Die Magnetspulen können ohne Verlust an Atomen schnell ab- und wieder angeschaltet werden. In diesem Zeitraum erfolgen der Beschuss mit den Ionen und die Messung der Reaktionsprodukte (www.mpi-hd.mpg.de/prioc, Foto: M.-A. Besel). Renate Hubele, Daniel Fischer, MPI für Kernphysik PHYSIK IM BILD | θ γ Öl Wasser r Wasser Öl Stärke γ as sser verkleisterte Stärke Abb. Die Emulsion wird durch Stärke- partikel stabilisiert (links unten). Die Energie hängt stark von der Eintauch- tiefe (Kontaktwinkel θ) ab (oben). Nach dem Erhitzen verkleistert die Stärke und nimmt dabei viel Wasser auf. Die Emulsion wird fest (rechts).

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Page 1: Die Stärke der Stärke

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M O LG A S T RO N O M I E |Die Stärke der StärkeIn den meisten Fällen werden Emulgatoren genutzt, um Wasser-Öl-Gemische zu stabilen Emulsionen herzustellen. Allerdings können dazuauch kleine Feststoffpartikel dienen. Derartige Emulsionen werden nachihrem Entdecker Spencer Pickering benannt. In der Küche lässt sichdieser Effekt nutzen. Stärkekörner stabilisieren Öl-in-Wasser-Emulsio-nen. Mehr noch, nach dem Erwärmen verkleistert die Stärke, die Emul-sion wird schnittfest.

partikel ab. So definiert deren Größeauch den mittleren Durchmesser derÖltröpfchen. Stärkekörner sindEllipsoide, daher variiert der Kontakt-winkel mit deren Orientierung zurGrenzfläche. Auch ist die Größenver-teilung der Körner zu berücksichti-gen. Diese ist je nach Siebgrad vonunterschiedlicher Breite. Trotz dieserUnregelmäßigkeiten funktioniert dieStabilisierung bestens.

Dieses lehrreiche physikalischeExperiment ist aber in dieser Formgastronomisch wenig relevant. Diesändert sich rasch, wenn die stabileEmulsion im Backofen auf 70 bis 80 °C erwärmt wird. Die Amylopekti-ne der Stärke sind hoch verzweigteMoleküle, die im teilkristallinenZustand vorliegen. Durch Erwärmenschmelzen die Kristalle, die Molekülequellen und binden das Wasser inder kontinuierlichen Phase (Physik inunserer Zeit 2012, 43, 50). Die Stärkeverkleistert an den Grenzflächen undumschließt die Fetttröpfchen miteiner festen Hülle: Die Emulsion wird

fest. Jetzt fehlt nur noch eine ent-sprechende Würzung.

Auch hier haben Feststoffpartikelentscheidende Vorteile. Im Gegen-satz zu Emulsionen mit grenzflächen-aktiven Substanzen, die aus polarenoder elektrostatisch geladenen undunpolaren Molekülteilen bestehen, istdie Stabilität von Pickering-Emulsio-nen gegenüber höheren Ionenstär-ken (Salz) und Änderungen des pH-Werts (Säure) unempfindlich. Daherkönnen diese Emulsionen vor demErhitzen gesalzen, gewürzt und dasWasser teilweise durch schmackhafteEssige oder Senf ersetzt werden.Somit zaubert man schnell körnige„Vinaigretten“ für Gemüse oderWurstsalate.

Thomas Vilgis, MPI für Polymerforschung, Mainz

102 Phys. Unserer Zeit 2/2013 (44) www.phiuz.de © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Zum Experiment: Ein Tee löffel Mais-oder Kartoffelstärke wird in 50 mlkaltes Wasser gerührt und fein sus -pendiert. Danach emulgiert man Ölunter feinem Strahl unter ständigemRühren mit dem Stabmixer (oderHomogenisierstab). Rasch entstehteine durch die Stärkekörner stabili-sierte Emulsion. Die Stärke körnersind in kaltem Wasser und Öl unlös-lich. Sie behalten daher ihre Form,und die Emulsion bleibt stabil.

Physikalisch lässt sich die Stabili-sierung mit der Energie der Teilchenan den Wasser-Öl-Grenzflächenerklären. Diese Stabilisierungsenergieverändert sich mit der Eintauchtiefein die Grenzflächen und wird vorallem durch die Variation mit demKontaktwinkel θ bestimmt, ΔE = πr2

γ (1–|cosθ|)2, dabei ist r der Radiusder kugelförmigen Partikel und γ dieGrenzflächenspannung. Ist derKontaktwinkel 90°, so verschwindetdie Stabilisierungs energie.

Viele Eigenschaften der Emulsionhängen von der Form der Feststoff-

Dynamik unter der LupeViele physikalische und chemische Phänomene beruhen auf der korrelierten Bewe-gung mehrerer Elektronen und Kerne. Um diese Prozesse besser zu verstehen,messen Forscher vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg die Impulsein Stößen zwischen Ionen und Atomen. Voraussetzung ist eine geringe Temperaturder Atome und eine vollständige Erfassung der Reaktionsprodukte. Dazu wird einemagnetooptischen Falle zur Kühlung mit einem Reaktionsmikroskop zur Impuls -bestimmung kombiniert. Laser halten eine rötlich leuchtende Lithiumwolke ineinem Magnetfeld in der Schwebe. Die Magnetspulen können ohne Verlust anAtomen schnell ab- und wieder angeschaltet werden. In diesem Zeitraum erfolgen der Beschuss mit den Ionen und die Messung der Reaktionsprodukte(www.mpi-hd.mpg.de/prioc, Foto: M.-A. Besel).

Renate Hubele, Daniel Fischer, MPI für Kernphysik

PH YS I K I M B I L D |

θγ

Öl

Wasser r

Wasser

Öl

Stärke

γ

assser

verkleisterteStärke

Abb. Die Emulsion wird durch Stärke-partikel stabilisiert (links unten). DieEnergie hängt stark von der Eintauch-tiefe (Kontaktwinkel θ) ab (oben). Nachdem Erhitzen verkleistert die Stärkeund nimmt dabei viel Wasser auf. DieEmulsion wird fest (rechts).