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ANALYSEN Zusammenfassung: Der Beitrag analysiert die geostrategische Stellung der Türkei in den gegen- wärtigen Konfliktkonstellationen im Nahen und Mittleren Osten sowie die daraus resultierenden Interessen türkischer Außenpolitik. Als zentrale Herausforderungen für die Türkei identifiziert der Autor die Kurdenfrage, den Zypernkonflikt, das regionale Machtstreben des Iran, den Zugang zu den Energiequellen der Region samt Pipelines durch die Türkei, die geopolitische Ordnung am Schwarzen Meer sowie die angestrebte Friedensordnung im Nahostkonflikt. Dabei steht die Türkei in einem geopolitischen und ethnographischen Spannungsverhältnis zwischen dem Westen und dem Orient. Schlüsselwörter: Türkei · Türkische Außenpolitik · Naher Osten · Kurdenkonflikt · Zypernkonflikt · Nahostkonflikt The West, Turkey and the Conflicts in the Middle East Abstract: The article analyses Turkey’s geo-strategic position in the face of the numerous con- flicts in the Middle East and their consequences for Turkish foreign policy. The author identifies several key challenges to Turkey’s foreign policy, among them the Kurdish conflict, the conflict over Cyprus, Iran’s striving for regional predominance, access to and transport of energy re- sources, the geopolitical order in the Black Sea region, as well as peace between Israel and the Palestinians. While dealing with these conflicts, Turkey is geopolitically and ethnographically torn between the East and the West, between the Orient and the Occident. Keywords: Turkey · Turkish Foreign Policy · Middle East · Kurdish Conflict · Cyprus Conflict · Israeli-Palestinian Conflict ZFAS (2009) 2:3–13 DOI 10.1007/s12399-008-0012-z Der Westen und die Türkei in den Konflikten des Nahen und Mittleren Ostens Lothar Rühl © VS-Verlag 2009 Prof. Dr. L. Rühl () Staatssekretär a. D., Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen der Universität zu Köln, Gottfried-Keller-Str. 6, 50931 Köln, Deutschland E-Mail: [email protected]

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Page 1: Der Westen und die Türkei in den Konflikten des Nahen und Mittleren Ostens

AnAlysen

Zusammenfassung:  Der Beitrag analysiert die geostrategische stellung der Türkei in den gegen-wärtigen Konfliktkonstellationen im Nahen und Mittleren Osten sowie die daraus resultierenden Interessen türkischer Außenpolitik. Als zentrale Herausforderungen für die Türkei identifiziert der Autor die Kurdenfrage, den Zypernkonflikt, das regionale Machtstreben des Iran, den Zugang zu den Energiequellen der Region samt Pipelines durch die Türkei, die geopolitische Ordnung am Schwarzen Meer sowie die angestrebte Friedensordnung im Nahostkonflikt. Dabei steht die Türkei in einem geopolitischen und ethnographischen Spannungsverhältnis zwischen dem Westen und dem Orient.

Schlüsselwörter:  Türkei · Türkische Außenpolitik · Naher Osten · Kurdenkonflikt · Zypernkonflikt · Nahostkonflikt

The West, Turkey and the Conflicts in the Middle East

Abstract:  The article analyses Turkey’s geo-strategic position in the face of the numerous con-flicts in the Middle East and their consequences for Turkish foreign policy. The author identifies several key challenges to Turkey’s foreign policy, among them the Kurdish conflict, the conflict over Cyprus, Iran’s striving for regional predominance, access to and transport of energy re-sources, the geopolitical order in the Black Sea region, as well as peace between Israel and the Palestinians. While dealing with these conflicts, Turkey is geopolitically and ethnographically torn between the East and the West, between the Orient and the Occident.

Keywords:  Turkey · Turkish Foreign Policy · Middle East · Kurdish Conflict · Cyprus Conflict · Israeli-Palestinian Conflict

ZFAS (2009) 2:3–13DOI 10.1007/s12399-008-0012-z

Der Westen und die Türkei in den Konflikten  des Nahen und Mittleren Ostens

Lothar Rühl

© VS-Verlag 2009

Prof. Dr. L. Rühl ()Staatssekretär a. D., Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen der Universität zu Köln, Gottfried-Keller-Str. 6, 50931 Köln, DeutschlandE-Mail: [email protected]

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Die Verknüpfung der Probleme und der strategischen Grunddaten

Die übliche Trennung – zunächst willkürlich, nun aber historisch vorgegeben – zwischen dem Nahen Osten und dem Mittleren Osten täuscht über die geopolitisch-strategischen Zusammenhänge, besonders die zu Europa und zur externen Vormacht USA, hinweg. Dies gilt auch für die arabische Welt und den weiteren Kontext des orientalischen Islam, der den schiitischen Iran, den mehrheitlich schiitischen Irak und die mehrheitlich sunni-tische Türkei ebenso einschließt wie den teils muslimischen Kaukasus, das muslimische Zentralasien und – soweit es den eurasischen Kontinent betrifft – Südasien. In diesem Großraum zwischen der Levante und Indien, dem Horn von Afrika und der Westgrenze Chinas in Singkiang operieren die USA mit der NATO militärisch seit Oktober 2001. Die Türkei am westlichen Rand dieses Gebietes, aber auch im Zentrum der Golfregion und an der Südostflanke Europas, nimmt eine geostrategische Schlüsselstellung mit großer potentieller Hebelwirkung ein. Als Verbündeter der USA in der NATO und als Regional-macht ist sie der Eckpfeiler der euro-atlantischen Sicherheit, als größtes Küstenland am Schwarzen Meer und Teil Südosteuropas ein Sicherheitspartner der Europäischen Union (EU). Vor allem aber ist die Türkei in den Orient eingebettet und trotz der Öffnung nach Westen und ihren europäischen Ambitionen kulturell dem Mittleren Osten noch verbun-den und politisch von ihm beeinflusst.

Der ökonomische Konnex ist evident. Der geopolitische Begriff „Weiterer Mittlerer Osten“, im allgemeinen politischen Sprachgebrauch seit Beginn der 1990er Jahre prä-sent (Wider oder Greater Middle East), soll diese Zusammenhänge für die internationale Politik und für die von den Kraftquellen Erdöl und Erdgas in diesem Gebiet abhängige Weltwirtschaft in das allgemeine Bewusstsein rücken. Der Begriff bezeichnet für die euro-atlantischen Länder und für Russland auch ein geopolitisches Programm. Seine Begren-zung variiert allerdings je nach der äußeren Sichtweise – mit oder ohne Nordafrika, mit oder ohne die oft zu Europa geschlagene Türkei, mit oder ohne das westliche Zentrala-sien. Nach dem Irakkrieg 2003 entwarfen sowohl Berlin als auch Washington „Stabilisie-rungspläne“ für diese große Region, um dort die Sicherheit und den freien Zugang zu den Energiequellen in Verbindung mit wirtschaftlicher Entwicklung und politisch-sozialen Reformen im westlichen Sinne zu gewährleisten. Erfolge waren bisher nur vereinzelt zu verzeichnen.

Bei allen Unterschieden in der geographischen Definition sind die Türkei und der Iran ebenso wie Ägypten und die arabische Halbinsel notwendig Teil dieses Europa nahen Raums. Doch gerade der so genannte „Nahostkonflikt“ mit dem westlichen Ziel seit 1993, ihn nach vielen misslungenen Versuchen durch einen auf Palästina im engeren Sinn und Israel beschränkten „Nahostfrieden“ zu beenden, weist auf die unaufgelösten Verflech-tungen im weiteren regionalen Kontext hin, in dem dieser so genannte „Friedensprozess“ zusammen mit der „Nahostpolitik“ festgefahren ist. Dies trifft auch auf die road map zu, die die Kontrahenten auf dem Weg zum Frieden leiten soll.

Die Beschränkung auf Israel und Palästina war zwei Jahre nach dem Irakkrieg von 1990/91 ein Notbehelf ohne Zwang, eine Wiederholung früherer amerikanischer Initiati-ven und Vermittlungsversuche im engsten politischen Rahmen sowie eine diplomatische Ersatzhandlung, nachdem der Versuch, eine regionale Gesamtregelung auf internationa-len Konferenzen unter der Schirmherrschaft der USA und der UdSSR zu etablieren, nach

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der Madrider Konferenz 1991 gescheitert war. Jede solche, den weiteren Kontext ausfül-lende Regelung müsste die Türkei als große Regionalmacht neben Iran, Saudi-Arabien und dem militärisch-technologisch dominanten Israel beteiligen. Und dies, zumal die tür-kische Armee nach der israelischen die bedeutendste militärische Kraft in der Region ist (jedenfalls mit US-Hilfe die größte Streitmacht unterhält) und die Türkei mit dem Quell-gebiet von Euphrat und Tigris samt dem Atatürk-Staudamm den Schlüssel zur Bewäs-serung nicht nur Mesopotamiens und Syriens, sondern über den Golan auch Israels und Palästinas besitzt (wenngleich auch um Jerusalem und im Jordantal noch unerschlossene unterirdische Wasserquellen liegen).

Die Türkei, die 1991/92 mit politischen Vorbehalten eine große Zahl kurdischer Flüchtlinge aus dem Nordirak zu Gunsten der UN/US-Politik der Safe Haven zeitwei-lig aufnahm und der internationalen Nothilfe ihr südostanatolisches Grenzgebiet zur Stationierung von Hubschraubern öffnete, sollte nach den Konferenzen von Madrid und Moskau für das dort vereinbarte Kooperationsfeld Wasser zuständig sein. Da die-ser weiter gefasste Befriedungsprozess im Sande verlief, wurde kein politisches Mittel gefunden, Ankara aktiv an regionalen Friedensinitiativen zu beteiligen – ebenso wenig wie Moskau.

Seither hat sich die Türkei – die schon 1990/91 jede Beteiligung am Krieg gegen den Irak ablehnte, aber schließlich die NATO-Stützpunkte für alliierte Luftangriffe auf Irak freigab – im Konflikt zwischen Israel und Syrien sowie gegenüber Irak und Iran vorsich-tig zurückgehalten. 2002/03 lehnte sie einen US-Truppenaufmarsch für eine Offensive gegen den Nordirak in Südanatolien ab und erschwerte und verzögerte damit die ameri-kanische Kriegführung. Andererseits hat sie seither ihre eigene Bewässerungspolitik, auf der für die Region westlich des Iran vitalen anatolischen Wassertafel, ohne Rücksicht auf die südlichen Nachbarn Syrien und Irak fortgesetzt und führt die militärischen Operati-onen in Südostanatolien gegen die Guerilla der kurdischen PKK auch im nordirakischen Grenzgebiet weiter. Verschiedene größere Einfälle mit Truppenstärken bis zu etwa 10.000 Soldaten und mit Kampfflugzeugen, auch im Frühjahr 2008, bezeugen dies.

Der Kurdenkonflikt, der Zypernkonflikt und der Nahostkonflikt in den Außenbeziehungen Ankaras

Der Kurdenkonflikt belastet die Außenbeziehungen der Türkei in der atlantischen Allianz –  bilateral zu den USA, die sich seit 1991 um einen politischen Pakt mit den Kurden des Irak bemühten, besonders aber seit Mitte der 1980er Jahre die Beziehungen zu Westeur-opa. Das türkische Drängen in die EU wurde und wird unverändert von der Kurdenfrage gehemmt; es ist in Europa und in der Türkei selbst Gegenstand einer sich verschärfenden Kontroverse über ihre Eignung für die Mitgliedschaft, deren Nutzen für die Türkei sowie über die unterschiedlichen Interessen Europas und der Türkei. Der Kurdenkonflikt eska-lierte in den 1990er Jahren im Grenzgebiet und begann, die türkische Innenpolitik zu verändern, wie dies auch der politische Islamismus, gestärkt von der Renaissance des Islam in der Türkei, bewirkt hat.

Die regionale Friedensfrage zwischen Israel sowie Libanon, Syrien und Rumpf-Palästina mit Gaza blieb auch nach 1991–93 – unabhängig von den Entwicklungen

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in der Türkei, aber doch von diesen beeinflusst – offen. Der Zypernkonflikt zwischen der griechischen Mehrheit (etwa 80 Prozent der Bevölkerung auf Zypern) und der türkischen Minderheit (knapp 20 Prozent), in dem Griechenland und die Türkei als Schutzmächte Partei ergriffen, spielte schon ab Mitte der 1960er Jahre, 1967 sogar gleichzeitig mit dem dritten arabisch-israelischen Krieg, in den Nahostkonflikt hinein. Zypern wurde sowohl zu einem Stützpunkt für arabische Untergrundgruppen gegen Israel als auch für kurdische gegen die Türkei. Die diversen Unterbrechungen der ame-rikanischen Rüstungshilfe für die Türkei seit Beginn des Zypernkonflikts Ende 1963 führten, neben dem drei Jahrzehnte anhaltenden Bruch zwischen Ankara und Athen, zu einer progressiven Entfremdung auch zwischen der Türkei und allen westlichen Verbündeten. Davon wurde längere Zeit auch das ursprünglich neutrale Verhältnis der Türkei zu Israel betroffen. Ankara ging im Nahostkrieg vom Herbst 1973 politisch auf Distanz zu Israel und den UsA.

Obwohl die Türkei unter einer laizistischen Staatsführung stand, mit dem Generalstab und dem Außenministerium als den für die Außenpolitik verantwortlichen Bastionen des säkularen Staates, beteiligte sie sich an den neu eingeführten Konferenzen islamischer Länder, deren erste in Istanbul veranstaltet wurde – dies selbst unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit von der kemalistischen Republikanischen Volkspartei. Im Zentrum des türkischen Horizonts blieb aber Zypern mit dem alten Feindbild des „Pan-hellenismus“ und dem NATO-Partner Griechenland, der nicht länger als Verbündeter gese-hen wurde – ebenso wenig wie umgekehrt die Türkei in Griechenland. Die Militärstruktur der NATO im östlichen Mittelmeer wurde davon gespalten und gelähmt, die Südostflanke der NATO gegenüber der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt militärisch desorganisiert. Athen verweigerte Überflüge in die Türkei und umgekehrt, NATO-Übungen konnten mit beiden Nachbarn zeitweise nicht veranstaltet werden und die Offiziere beider Länder wur-den aus den alliierten Hauptquartieren in Izmir und in Larissa abgezogen.

Diese politische Querschnittslähmung der Allianz im Südosten Europas wurde vom territorialen Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland über die Begrenzung der beiderseitigen Hoheitsgewässer um die Inseln der Ägäis am Rande des anatolischen Festlandssockels noch verhärtet. Rüstungshilfe für die Türkei wurde zu einem poli-tischen Problem. Sanktionen wurden in Washington gegen die Türkei verhängt und wie-der aufgehoben, dann erneuert und wieder gelockert. Es fiel den Alliierten schwer, eine gemeinsame klare Linie für den Umgang mit dem NATO-Partner Türkei zu finden. Die USA versuchten zwar immer wieder, das Verhältnis zur Türkei zu entspannen, um die NATO-Basen in Anatolien, besonders den großen Luftstützpunkt bei Incirlik, ungestört zur Benutzung frei zu halten (und somit auch die Kernwaffendepots für US-Kampfflug-zeuge und die Möglichkeit zur Verlegung von US-Fliegerstaffeln in die Türkei). Doch insgesamt war das Verhältnis gestört und ist dies, verstärkt seit dem Irakkrieg 2003, auch geblieben.

Die Annäherung zwischen der Türkei und Israel

Die Annäherung zwischen der Türkei und Israel für militärtechnische, rüstungswirtschaft-liche und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit war eine Folge der amerikanischen und

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europäischen Liefersperren von Waffen und Rüstungsgütern, die das türkische Militär und den türkischen Nationalstolz empfindlich trafen. Der Gebrauch von Waffen und gepan-zerten Fahrzeugen, Hubschraubern und Kampfflugzeugen aus NATO-Ländern durch die türkischen Streitkräfte zur offensiven Bekämpfung der kurdischen Separatisten, die vom Irak und von Syrien aus über die Grenze und im Innern Südostanatoliens Krieg gegen die Türkei führten, erschien und erscheint in Europa weniger als Landesverteidigung an der Grenze und als Kampf gegen Terror denn als Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung und als gewaltsame Verweigerung eines nationalen Selbstbestimmungsrechts für die Kur-den. Diese wurden im Übrigen im Irak und im Iran mindestens so blutig unterdrückt und schon lange vor dem Beginn des Aufstands 1984 gegen die Türkei in beiden Ländern ver-folgt. Jedoch ist diese Anschauung in den USA weit weniger verbreitet und sind die Reak-tionen weniger heftig. Auch ist das Verständnis für die türkischen Nöte und Interessen in der US-Administration größer als in Europa. Die Präsidenten Ronald Reagan, George Bush senior und Bill Clinton warben zu ihren Amtszeiten auch öffentlich für mehr Verständnis für den türkischen Verbündeten und empfahlen, dessen Wunsch nach Mitgliedschaft in der EG, später in der EU, zu entsprechen, Ankara jedenfalls nicht schroff abzuweisen.

George Bush junior hat diese Kontinuität der Fürsprache trotz der türkischen Oppo-sition gegen den Irakkrieg von 2003 gewahrt: Die Türkei bleibt für die USA und für die NATO der südöstliche Eckpfeiler der europäischen Sicherheit zwischen Russland und dem Orient, zugleich ein Festlandsflugzeugträger und eine Brücke über das Schwarze Meer zum Kaukasus und in den Mittleren Osten, von der Golfregion bis zur Kaspischen Region. Die 1998 von Präsident Clinton als großes geostrategisch-ökonomisches Projekt politisch durchgesetzte Erdölleitung von Aserbaidschan durch Georgien und die Türkei zum anatolischen Levantehafen Ceyhan dient den türkischen wie den amerikanischen und internationalen Interessen.

entsprechend aufgeschlossen hat Israel sich in allen situationen und unter allen Regie-rungen gegenüber dem nach der Unterbrechung von 1973 wiedergefundenen türkischen Partner verhalten, selbst angesichts der derzeitigen AKP-Regierung unter Recep Tayyip Erdogan. Das Verhältnis ist von den beiderseitigen Interessen an Erdöl, an moderner Technik und an militärischer Sicherheit, seit den 1990er Jahren auch an einer Zusam-menarbeit bei der Bekämpfung des islamistischen Terrors bestimmt. Hinzu kommt die Notwendigkeit für Israel, den politischen Einfluss in den USA zu erhalten und zu nutzen, und für die Türkei, ihren bisher in Konflikten und Krisen nicht durchschlagenden Einfluss zu vergrößern. Den USA aber ist nach den leidigen Erfahrungen der Vergangenheit in hohem Maße an einer möglichst harmonischen Beziehung zwischen seinen ungleichen Verbündeten im Nahen bzw. Mittleren Osten gelegen.

Die kurdische Frage in der türkischen Außenpolitik

Die kurdische Frage dominiert neben der Zypernfrage in der Außenpolitik der Türkei, weil der kurdische Nationalismus der PKK von Anfang an auf Unabhängigkeit gerichtet war, auch wenn diese zeitweise in „Autonomie“ verhüllt wurde und derzeit wieder verhüllt wird. Diese seit dem Beginn der PKK-Guerilla- und Terroroperationen in der Türkei im Jahre 1984 andauernde Situation fügte dem Zypernkonflikt, der 1974 mit der türkischen

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Intervention auf der Insel militärisch eskalierte, eine weitere tief greifende Störung im Verhältnis der Verbündeten zur Türkei hinzu. Im Verhältnis zu den USA hatte schon die Sperre des Luftraums, der Häfen und der NATO-Stützpunkte für Nachschub nach Israel während des Nahostkrieges vom Oktober 1973 das Signal gesetzt, dass die Türkei nicht länger ein Land war, über das Washington im eigenen Interesse verfügen könne.

Zwar hatten auch andere NATO-Partner eine Kooperation verweigert, doch im Falle der Türkei war die Unterbrechung der Verbindung von Europa zum Nahen Osten für die USA in der Notlage der israelischen Verteidigung gegen den arabischen Überfall weitaus kritischer: Die Türkei hatte zum ersten Mal der alliierten Schutzmacht USA die politische Solidarität in einer offenen internationalen Krise, dazu noch in einem Krieg um Israel, verweigert. Seither ist die Türkei außerhalb der gemeinsamen Bündnisverteidigung kein bedingungsloser Verbündeter Amerikas mehr, wie sich 1990/91 und 2003 in den Irakkrie-gen erwies.

Umso interessanter ist die türkisch-israelische Verständigung über gemeinsame Sicher-heitsinteressen in der Region gegenüber arabischen Ländern wie Syrien und Irak, vor allem aber gegenüber Iran. Die seit den 1980er Jahren eingeleitete Zusammenarbeit für die Instandsetzung von Waffen und Gerät, die Anwendung moderner Nachrichten- und Informationstechnologien (d.h. praktisch Technologietransfer aus Israel in die Türkei) und die Kooperation der Nachrichtendienste hilft nicht nur beiden Ländern gegenüber ihren Nachbarn im Orient. Sie dient auch ihrer Autonomie gegenüber der gemeinsamen Schutzmacht USA und ihren nationalen Interessen gegenüber dem stets israelkritischen und türkeikritischen Europa der EU. Der europäische Menschenrechtskanon zu Gunsten der terroristisch tätigen Palästinenser und Kurden enerviert Politik und Öffentlichkeit in beiden ungleichen Ländern mit gleichen Sicherheitsproblemen, die vom Iran im Falle einer nuklearen Rüstung noch kritisch gesteigert würden, so wie dies nach einer erfolg-reichen Nuklearrüstung des Irak in den 1990er Jahren der Fall gewesen wäre.

Ein allgemeines Sicherheitsrisiko in der Region stellen Rüstungen mit atomaren, che-mischen und toxischen (biologischen und radiologischen) Waffen, mit Raketen verschie-dener Reichweite und Wurflast dar. Die grenzüberschreitende Unterstützung von Terror und Guerilla mit Geld, Sprengstoff und Waffen aller Art gefährden nicht nur Israel und die Türkei, sondern die Existenz des Libanon, die jordanische und selbst die saudische Monarchie. Terror mit Massenvernichtungsmitteln ist eine bislang nicht kalkulierbare Möglichkeit. Die arabischen Golfstaaten sind von einer hegemonialen Machtstellung des Iran – wie früher des Iraks unter Saddam Hussein – stärker bedroht, als es Israel und die Türkei sind. Doch würde eine solche iranische Machtstellung mit der türkischen Regi-onalmacht konkurrieren, und zwar direkt um den Irak und um das kaspische Becken Zentralasiens mit Aserbaidschan.

Die eventuelle Bedrohung durch eine von Nuklearwaffen gegen Eingreifen von außen gestärkte Vormachtstellung Irans zwischen Golf und Kaukasus, die die Türkei unmit-telbar an ihrer Ostgrenze und über den Irak an ihrer Südgrenze sowie Israel über Syrien und Libanon berühren würde, ist in ihrem Risikopotenzial noch nicht berechenbar. Dies verlangt zumindest eine Verständigung zwischen der Türkei und Israel über die regionale Sicherheit und eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit, wenngleich diese von beiden Seiten beschränkt bleiben dürfte. Zu unsicher ist die politische Entwicklung der Türkei, als dass Israel sich auf sie verlassen könnte. Zu wichtig ist auch das Verhältnis der Türkei

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zu Syrien, als dass Ankara ganz auf Israel als regionalen Sicherheitspartner setzen könnte. Im Frühjahr 2008 wurden Verhandlungen zwischen Ankara und Damaskus geführt und Premierminister Erdogan bot sein Land als Vermittler im Nahostkonflikt zwischen Israel und den arabischen Nachbarn an – eine Rolle, die frühere türkische Regierungen nicht übernehmen wollten.

Die Kurdenfrage, die mit den Kriegen 1990/91 und 2003 gegen den Irak auch zu einem Problem der amerikanischen Politik geworden ist, hat Washington in einen Zielkonflikt zwischen den nach quasi-souveräner Autonomie im Nordirak, wenn nicht sogar nach Unabhängigkeit strebenden kurdischen und dem türkischen Verbündeten gezwungen. Dieser Spagat der amerikanischen Politik zwischen beiden kann in einer, alles andere als imperialen, Überdehnung enden. Das Risiko ist latent, aber groß und war 2002/03 vor Beginn des Irakkrieges schon einmal akut.

Die Lageveränderung seit der Öffnung des Ostens

Die Türkei als westlicher Verbündeter und als Regionalmacht ist zwischen Israel, den USA, ihren Nachbarn Syrien, Irak und Iran von den unbewältigten Konflikten an ihren Grenzen berührt und auch im Kern ihrer Sicherheit betroffen. Der Druck der Konflikte war vor dem Ende der Sowjetunion 1991 wegen der Moskauer Einwirkungsmöglich-keiten, die sich vor allem in Syrien und im Irak, aber auch im Iran zeigten, noch viel stär-ker. Die Situation war jedoch dank der passiven Konfrontation zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt unter dem Spannungsbogen der gegenseitigen Abschreckung zwi-schen Washington und Moskau, der die gesamte Region umschloss, ungleich stabiler.

Die geographische Position der Türkei wurde durch das Zurückweichen der russischen Macht im Schwarzen Meer und im Kaukasus aufgewertet, die Öffnung des Ostens bietet seitdem der türkischen Politik, wie auch dem Handel, einen Freiraum, den sie wie vor ihr das Osmanische Reich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Osteuropa nicht mehr hatte. Wäre Russland heute – wie früher die Sowjetunion – im Orient aktiv beteiligt, so würde der massive Problemkomplex im Dreieck Ankara-Bagdad-Teheran und im Verhältnis der arabischen Länder zu Israel die Moskauer Orientpolitik ebenso blockieren, wie sie die amerikanische und die europäische blockiert, solange der Gordische Knoten nicht gelöst oder durchschlagen ist.

Das Letztere hat Präsident George Bush junior seit 2003 vergeblich versucht. Der amerikanische Irakkrieg hat eine der politischen Bruchstellen zwischen Ankara und Washington bloßgelegt, vor allem aber die tiefe Kluft zwischen der großen Mehrheit der muslimischen Bevölkerung der Türkei und der amerikanischen Interventionspolitik. Diese Opposition im Volk und in der eben an die Macht gewählten islamisch geprägten konservativen AKP des späteren Regierungschefs Erdogan gab 2002/03 den Ausschlag für die Verweigerung des Durchzugsrechts für amerikanische Truppen und der Nutzung türkischer NATO-Luftstützpunkte zum Angriff auf den Nordirak. Das türkische Nein nach mehrwöchigen Verhandlungen in Ankara Anfang 2003 kostete die US-Kriegfüh-rung wertvolle Zeit und die Chance zum Zweifrontenkrieg. Die türkische Opposition gegen diesen Krieg wurde im gesamten Mittleren Osten und in Europa als ein Haltesignal gegenüber der Weltmacht angesehen, obwohl es sich letztlich eher um eine Verbindung

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politischer Machtvakanz nach den türkischen Wahlen mit Gegensätzen zwischen der neuen parlamentarischen Mehrheit und der türkischen Armeeführung und um überzogene türkische Forderungen im Verhandlungspoker handelte.

Unverändert wirken die verknoteten Gegensätze als Hemmnis für die amerikanische Orientpolitik in Verhandlungen über den Irak, gegenüber Iran und für Bündnisaktionen bis nach Afghanistan. Wie sie künftig auf die Politik im Schwarzmeerraum, im Kaukasus und im westlichen Zentralasien wirken, steht dahin. Die Interessen der USA und der Türkei sind dort teils konkurrierend, teils stimmen sie – wie über die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipe-line – überein. Es existiert noch ein Potenzial für amerikanisch-türkische Kooperation im Energiesektor und es bleiben die gemeinsamen strategischen Interessen gegenüber Russland im Südkaukasus und im Schwarzen Meer, die von den beiden Aufnahmekandi-daten in die NATO, Georgien und Ukraine, gekennzeichnet werden. Georgien aber ist nur einer der drei südkaukasischen Staaten, die sich 1990/91 von der UdSSR lösten und ihre Unabhängigkeit von Russland ertrotzten. Für die Türkei geht es auch um ein entspanntes Verhältnis zu Armenien und um ein enges Verhältnis zu Aserbaidschan.

Die Konkurrenz mit Russland und Iran im Kaukasus und in Zentralasien

Die Türkei unterstützt das Drängen der Ukraine und Georgiens in die NATO unter den Sicherheitsschirm der USA und damit auch in den eigenen Sicherheitsbereich. Die tür-kische Position zwischen Westeuropa, der Golfregion, Zentralasien und Russland könnte künftig davon gestärkt und das türkische Gewicht auf der Waage der regionalen Macht-verteilung beschwert werden. Allerdings bleibt die Frage offen, ob dies gelingen wird.

Aserbaidschan ist wie Georgien ein politisches Ziel Ankaras. Die türkischen Ziele tref-fen im Kaukasus auf die entgegengesetzten russischen: Aserbaidschan ist wegen seiner kaspischen Erdölquellen und der Infrastruktur der eigentliche Schlüssel zur gemeinsamen Energiepolitik mit den USA. Turkmenistan im westlichen Zentralasien könnte künftig gewonnen werden. Dafür ist wiederum die Türkei der geographische und ethnogra-phische Schlüssel. Auch um diesen Vorteil zu nutzen, hat sich Ankara seit der Übernahme der ISAF-Mission in Afghanistan durch die NATO von der militärischen Bündnisaktion in südwestasien distanziert und die entsendung türkischer Truppen in das land wieder verweigert.

Als Regionalmacht hat die Türkei ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Inter-essen nicht nur am Südkaukasus und am Kaspischen Becken, sondern in ganz Zentrala-sien und im Schwarzmeerraum. Ankara versucht seit der Präsidentschaft Turgut Özals in den 1990er Jahren, kulturell und ökonomisch in Zentralasien einzudringen, um bei den Turkvölkern den türkischen Einfluss zu stärken und die sich bietenden Chancen – in Kon-kurrenz zu Russland, Iran und China – zu nutzen. Dies ist zugleich nötig und schwierig, denn das Völkergemisch in den zur Sowjetzeit künstlich geschaffenen zentralasiatischen Staaten enthält starke iranische Anteile, insbesondere in Aserbaidschan.

Die Rivalität mit Iran ist langfristig vorgegeben – im Süden im Irak, im Nordosten im Kaspischen Becken. Die USA suchen diese Situation für sich und allgemein für die west-liche Politik gegenüber Iran zu nutzen. Doch die türkische Regierung hat sich gegenüber Iran auch nach der schiitischen Revolution 1979 stets rücksichtsvoll gezeigt und jedem

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Versuch, sie in den Konflikt um die iranische Politik und selbst um die vermutete iranische Atomrüstung hineinzuziehen, energisch widerstanden. Erdogan machte dies im Februar 2008 in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz hinreichend deutlich: Er hob das souveräne Recht Irans auf friedliche Nutzung der Kernkraft einschließlich aller Reaktorenarten und der Forschung mit allen Techniken hervor. Trotzdem wäre auch die Türkei von einer solchen Rüstung gefährdet und unter Druck gesetzt, wie natürlich von einer iranischen Dominanz im Irak. Beide Risiken lassen in Ankara für die Fortsetzung des westlichen Bündnisses und der militärischen Kooperation mit den USA plädieren.

Die Türkei in der Zwickmühle: Die Risiken der türkischen Politik

So befindet sich die Türkei nicht nur gegenüber dem Irak, dessen Einheit und Unab-hängigkeit wie dessen Kontrolle über den kurdischen Norden Ankara im eigenen Inter-esse stützen muss, sondern auch gegenüber Iran in einer von politischen Zielkonflikten gekennzeichneten Lage: Gemeinsame militärische Aktionen gegen die Kurden mit dem Iran wie im Frühjahr 2008 entsprechen den gemeinsamen Sicherheitsinteressen an den Grenzen. Türkische Eingriffe im Nordirak sollen der Grenzsicherung, aber auch einem faktischen droit de regard Ankaras im Nordirak dienen und das verhindern helfen, was die USA politisch und durch militärische Präsenz zu sichern suchen: eine tatsächliche kurdische Autonomie, die seit 1991 weithin besteht, die sich militärisch, administrativ und wirtschaftlich bis an die türkischen und iranischen Grenzen organisiert, die der PKK gegen die Türkei Freiraum lässt und die eines Tages in souveräne Unabhängigkeit und damit in ein Kurdistan an der Südgrenze der Türkei und an der Westgrenze Irans umschla-gen könnte. Dies zu verhindern, liegt im gemeinsamen Interesse Ankaras, Teherans und Bagdads. Es wurde bei allen Gegensätzen zwischen den drei Nachbarn auch durch eine begrenzte Kooperation, selbst mit Saddam Hussein, gewahrt.

Der kriegerische Eingriff der USA im Irak hat das kurdische Problem im Norden und das schiitisch-iranische im Süden des Landes explosiv aufgeladen und beiden eine wei-tere Dimension bei höherer Intensität der Gegensätze gegeben. Ankara hatte Washington 2002/03 vor diesem Interventionskrieg gewarnt wie 1990/91 vor einer Besetzung des Irak. Sein internationales Ergebnis ist die Stärkung des Iran im Orient – eine gesteigerte Herausforderung der Türkei, ihre eigenen Interessen notfalls ohne und selbst gegen die USA und Europa zu wahren und sich deshalb politisch mit Iran als der Macht am Golf zu arrangieren. Dies gilt auch für das Verhältnis der Türkei zu Russland, zumal Moskau ein Partner Teherans für den Transfer von Nukleartechnik und spaltbarem Material ist. Die Türkei bleibt bisher bei ihrer erklärten Enthaltung gegenüber möglichen Optionen nuklearer Politik und Rüstung. Wie lange diese Enthaltung in Ankara noch Bestand hat, hängt nicht länger maßgeblich von den USA oder Europa ab, sondern von den seit 2003 veränderten Bedingungen im Mittleren Osten, von Russland und vom Iran sowie von der Energieversorgungslage.

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Der Zwang zur Realpolitik für die USA und Europa gegenüber den türkischen Interessen

Die Politik der USA könnte dieser Realität nur entsprechen und die Türkei aktiv als Ver-bündeten im Mittleren Osten nutzen, wenn sie den Konflikt mit Teheran begrenzen und dabei auch mit Russland übereinkommen könnte, wie die nukleare Proliferation im ira-nischen Fall politisch zuverlässig verhindert werden kann. Dies ist, neben der Sicherheit der Energieversorgung, derzeitig die größte Herausforderung für die Sicherheit in der weiteren Region, für Europa und die atlantische Allianz ebenso wie für die Türkei.

Ein Krieg ist aus türkischer Sicht keine Option zur Bewältigung dieser Herausforde-rung. Für einen Krieg gegen Iran oder eine technische Intervention gegen Teheran würde die Türkei nicht zur Verfügung stehen. Hier ist eine Grenze des Bündnisses zwischen den USA und der Türkei wie der Kooperation zwischen der Türkei und Israel ebenso deutlich geworden wie im Irak oder seither auch in Afghanistan. Im Irak hätte die Türkei sich an der Nachkriegsbesetzung nur beteiligt, wenn ihr eine Truppenstationierung im Nordi-rak um die Erdölquellen von Kirkuk und Mosul konzediert worden wäre. Dies konnte Washington mit Rücksicht auf die Kurden, aber auch auf Bagdad, nicht tun. Ankara hat bei Übereinstimmung zwischen Regierung und Militärführung den amerikanischen Wunsch auf die Entsendung türkischer Truppen nach Afghanistan verweigert und dabei argumentiert, es müsse genügen, dass die türkische Armee schon zweimal seit 2001 das Kommando über die internationalen Truppen inne hatte.

Im gesamten Raum des Nahen und Mittleren Ostens zeigen sich fünf längerfristig kritische Herausforderungen der Türkei und der türkischen Allianzsolidarität sowie der regionalen, wegen der Energiequellen aber auch der internationalen und weltwirtschaft-lichen Stabilität:

1. die Zukunft des Irak als Staat in den gezogenen Grenzen in Verbindung mit der kur-dischen nationalen Frage,

2. die Einwirkungsmöglichkeiten auf den Iran zum Verzicht auf militärische Rüstungs-optionen mit Kernwaffen und weiter reichenden Flugkörpern, also um das internatio-nale Nonproliferationsregime gegen die Weiterverbreitung nuklearer Rüstungen und Langstreckenflugkörper,

3. die Energieversorgungssicherheit mit freiem Zugang zu den Quellen in der Golfregion und in der Kaspischen Region samt Pipelines durch die Türkei,

4. die geopolitische Raumordnung und die strategische Stabilität im Schwarzmeerraum mit dem Kaukasus und im kaspischen Zentralasien gegenüber Russland, verbunden mit den Konsequenzen einer NATO-Erweiterung auf die Ukraine und Georgien,

5. die angestrebte Friedensordnung im östlichen Mittelmeer mit der Levante – Libanon, Syrien, Israel, Palästina, Jordanien, Ägypten – bei Beteiligung oder Neutralisierung des Irak.

In diesem weiteren Kontext ist die Türkei nach wie vor ein unverzichtbarer Verbündeter der USA und ein wertvoller Partner Europas. Dies gilt auch angesichts der Georgien-krise des Sommers 2008, die eine Stärkung der strategischen Schlüsselstellung der Tür-kei bedeutete. Eine Stabilitätszone im Südkaukasus kann nur bei Mitwirkung der Türkei geschaffen werden, die einerseits als tragender Pfeiler einer Eindämmungspolitik gegen-

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13Der Westen und die Türkei in den Konflikten des Nahen und Mittleren Ostens

über Russland unerlässlich wäre, die andererseits aber seit jeher kein Interesse an einer Konfrontation mit Moskau hat.

Die Türkei wird ein besonders schwieriger, ihre eigenen Ziele verfolgender und nicht mehr bedingungslos zum Westen haltender, auf nationale Unabhängigkeit und auf die Regionalmachtstellung zwischen Europa und dem Orient bedachter Partner sein. Das tür-kische außenpolitische Denken ist schon seit Jahren nicht mehr vorwiegend euro-atlan-tisch, geschweige denn europäisch, sondern zwischen Westen und Osten ambivalent, wie es die Natur des Osmanischen Reiches und dessen Außenpolitik waren. Für Deutschland bedeutet dies, dass es auf die Türkei keine klare Orientierung mehr geben wird und dass nationale Interessenbestimmung sich nicht länger einfach in einen „atlantischen“ oder „europäischen“, geschweige denn in einen vorgestellten „internationalen“ Rahmen ein-passen lassen wird.