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Das Forschungsvorhaben Beim Projekt handelt es sich um eine explorative Vergleichsstudie zu Erinnerungskulturen im Geschichtsunterricht zum Thema Kalter Krieg. Am Beispiel von Deutschland, Schweden und der Schweiz wird danach gefragt, wie das Wissen über den Kalten Krieg im Geschichtsunterricht im 9. und 10. Schuljahr dargestellt und gedeutet wird. Der Kalte Krieg im europäischen Geschichtsunterricht Ziele Bildung eines internationalen Forschungsnetzwerkes zur Kombination neuer empirischer Forschungsansätze für die Geschichtsdidaktik unterAnwendung der Schulbuchanalyse sowie Methoden aus den Kulturwissenschaften Beitrag zu Erinnerungskulturen Eröffnung eines neuen Forschungsfeldes zu schulbuchbezogenen Erinnerungskulturen Beteiligte Georg Eckert Institut für internationale Schulbuchforschung Braunschweig, Deutschland Pädagogische Hochschule Luzern, Zentrum für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen Umeå History and Education Group; Umeå University, Schweden Zeitraum 2013 - 2016 Projektschritte und Methoden 1. Analyse aktueller Geschichtslehrmittel zum Thema Kalter Krieg (Für diesen Projektschritt werden folgende weitere Länder einbezogen: USA, Russland, China und Ägypten). 2. Analyse autobiographischer Erinnerungen von Lehrpersonen zum Kalten Krieg. 3. Prüfung und Analyse folgender Fragen: Inwiefern beeinflussen autobiografische Erinnerungen von Lehrenden den Geschichtsunterricht zum Thema Kalter Krieg? Wie reagieren die Schülerinnen und Schüler auf diese Erinnerungen? 4. Analyse von Schülerdeutungen der in den Geschichtslehrmitteln und von Lehrpersonen dargestellten Inhalte zum Kalten Krieg. Methoden Text- und Diskursanalyse Interviews mit Lehrpersonen (20 Lehrpersonen mit Jahrgang vor 1970) Unterrichtsbeobachtung Unterrichts-Videografierung Fokusgruppen-Diskussionen mit Schülerinnen und Schülern Weshalb der Kalte Krieg? Zentrales Thema in den Lehrplänen und Schulbüchern Politische Relevanz: Der Westen sieht sich, nach dem Untergang der Sowjetunion dem Sozialismus und in der damit einhergehenden Identitätssuche, gleich mehreren Krisen ausgesetzt: Vermeintliche Spaltung des Westens spätestens seit dem Irakkrieg (Kagan 2004; Kelly 2003; Pond 2005), ökonomische Krise und wachsende Kritik an der Dominanz des Neoliberalismus; Neue Attraktivität des Kommunismus? (Douzinas/Zizek 2010, Badiou 2010), gleichzeitig kulturtheoretische Debatten um radikale Demokratie (Ranciere 2006). Die spannende Frage steht im Vordergrund: Wie wird – unter dem Blickpunkt der oben genannten Problemfelder - der Ost-West-Konflikt im heutigen Geschichtsunterricht erzählt und gedeutet? Aus Sicht der erinnerungskulturellen Forschung interessiert zudem, wie Lehrende – unter Herannahme ihrer eigenen biographischen Erinnerungen und Erfahrungen zum Kalten Krieg – mit den in den Schulbüchern angebotenen Deutungsmustern umgehen. In der Geschichtsdidaktik zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Anstatt der im Beutelsbacher Konsens formulierten Verpflichtung der Lehrperson zur Neutralität (Wehling 1977), wird die Bedeutung von Emotionen für das historische Lernen hervorgehoben (Mülle/Uffelmann 1992; Jeismann 1994; Micek/Miewald; Schulze-Hegaleit 2011). Forschungsobjekt Klassenzimmer Klassenzimmer Lehrmittel Geschichte Schülerin Schüler Lehrperson Das Klassenzimmer, bis anhin noch kaum Gegenstand systematischer Erinnerungsforschung, bietet als kommunikativer Raum, wo curriculare Ansprüche, Schulbuchnarrative, Lehrererwartungen und Wissensaneignung durch Schülerinnen und Schüler in wechselseitiger Beziehung stehen, ein idealer, gut zugänglicher und äusserst interessanter Untersuchungsort. Weshalb die Länder Deutschland, Schweden und Schweiz? Deutschland, Schweden und die Schweiz zeigen in Bezug auf den Kalten Krieg interessante Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Das Ende des Ost-West-Konflikts bedeutete zweifelsohne für alle drei Staaten, allen voran Deutschland, eine Zäsur: In Deutschland der Zusammenschluss zweier sich politisch gegensätzliche Lager sowie die bis heute oftmals sehr unterschiedliche Bewertung des Geschichtsverlaufs. In der Schweiz und in Schweden hingegen wurde die jeweils bis anhin selbstverständliche aussenpolitische Neutralität infrage gestellt, trotz unterschiedlicher Konzepte von Neutralitätspolitik. Trotz der gemeinsamen Herausforderung der Identitätssuche nach Ende des Kalten Krieges sowie der gemeinsamen Definition als liberales, demokratisches Land des Westens, zeigten und zeigen sich dann Unterschiede in den jeweiligen Ländern in der Strategie zur Überwindung der nationalen Krise: Während Deutschland nach 1989 sich stets um eine westliche Vereinheitlichung bemühte, insbesondere als Mitglied der Europäischen Union (Ausnahmen bilden die Meinungskonflikte mit den USA im Kontext des Irakkkrieges 2003), unterscheiden sich gleichzeitig die Geschichtsauffassungen von Ost- und Westdeutschen noch heute deutlich voneinander (Faulenbach 2000, von Borries 2001). Schweden gab seine Sonderrolle in Form der Neutralität zugunsten einer europäischen Integration auf und schlug wirtschaftspolitisch einen neoliberalen Kurs ein. Die Schweiz hingegen hielt seither an ihrer Neutralitätspolitik fest, welche bis heute einen wichtigen Teil der Schweizer Identität darstellt. Demgegenüber sieht sich das Land und seine Bevölkerung im Zuge der Europäischen Integration und der Globalisierung vermehrt unter dem Druck sich politisch und wirtschaftlich zu öffnen. Kontakt PH Luzern: Nora Zimmermann Prof. Dr. Peter Gautschi Zentrum für Geschichte und Erinnerungskulturen Frohburgstrasse 3 6002 Luzern Tel: 0041 41 228 33 53 [email protected] peter.gautschi@phzluch Kontakt Georg Eckert Institut für internationale Schulbuchforschung GEI: PD Dr. Barbara Christophe Celler Strasse 3 38114 Braunschweig Kontakt Umeå: Umeå History and Education Group Prof. Daniel Lindmark Umeå Universitet SE-90187 Umeå Sverige Literatur Badiou, Alain (2010): The Communist hypothesis, London Douzinas, Costas/Zizek, Slavoj, eds. (2010): The Idea of Communism, London Faulenbach, Bernd (2000): Zweierlei Geschichte. Lebensgeschichte von Arbeitnehmern in West und Ostdeutschland, Essen. Garton Ash, Timothy (2004): Free World: America, Europe and the Surprising Future of the West, Vintage Jeismann, Karl Ernst (1994): EmoWonen und historisches Lernen, in: GWU 45, 164176 Kagan, Robert (2004): Paradise and Power: America and Europe in the New World order, London Kelly, Paul (2003): The Fracturing West, Big Ideas Forum, Centre for Independent Studies, Melbourne 11.8.2003 Laler, Peter (1997): Scandinavian ExcepWonalism and European Union, in: Journal of Common Market Studies 35:4, 565594 Müller, Bernd/Uffelmann, Uwe (1992): Die EmoWonalitätsproblemaWk in der GeschichtsdidakWk. Tagungsfazit und ForschungsperspekWven, in. Dies. Hg.: EmoWonen und historisches lernen. Forschung, Vermiglung, RezepWon, Ffm Pond, Elizabeth (2005): The Dynamics of the Feud over Iraq, in: David Andrews, ed.: The AtlanWc Alliance under Stress: US European RelaWons Aier Iraq, Cambridge Ranciere, Jacques (2006): Hatred of Democracy, London

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Page 1: Der Kalte Krieg im europäischen Geschichtsunterricht Der · PDF fileDer Kalte Krieg Das Forschungsvorhaben Beim Projekt handelt es sich um eine explorative Vergleichsstudie zu Erinnerungskulturen

Der Kalte Krieg

Das Forschungsvorhaben Beim Projekt handelt es sich um eine explorative Vergleichsstudie zu Erinnerungskulturen im Geschichtsunterricht zum Thema Kalter Krieg. Am Beispiel von Deutschland, Schweden und der Schweiz wird danach gefragt, wie das Wissen über den Kalten Krieg im Geschichtsunterricht im 9. und 10. Schuljahr dargestellt und gedeutet wird.

Der Kalte Krieg im europäischen Geschichtsunterricht

Ziele •  Bildung eines internationalen Forschungsnetzwerkes zur Kombination neuer empirischer Forschungsansätze für die Geschichtsdidaktik unterAnwendung der

Schulbuchanalyse sowie Methoden aus den Kulturwissenschaften •  Beitrag zu Erinnerungskulturen •  Eröffnung eines neuen Forschungsfeldes zu schulbuchbezogenen Erinnerungskulturen Beteiligte •  Georg Eckert Institut für internationale Schulbuchforschung Braunschweig, Deutschland •  Pädagogische Hochschule Luzern, Zentrum für Geschichtsdidaktik und Erinnerungskulturen •  Umeå History and Education Group; Umeå University, Schweden

Zeitraum 2013 - 2016

Projektschritte und Methoden 1.  Analyse aktueller Geschichtslehrmittel zum Thema Kalter Krieg (Für diesen

Projektschritt werden folgende weitere Länder einbezogen: USA, Russland, China und Ägypten).

2.  Analyse autobiographischer Erinnerungen von Lehrpersonen zum Kalten Krieg.

3.  Prüfung und Analyse folgender Fragen: Inwiefern beeinflussen autobiografische Erinnerungen von Lehrenden den Geschichtsunterricht zum Thema Kalter Krieg? Wie reagieren die Schülerinnen und Schüler auf diese Erinnerungen?

4.  Analyse von Schülerdeutungen der in den Geschichtslehrmitteln und von Lehrpersonen dargestellten Inhalte zum Kalten Krieg.

Methoden •  Text- und Diskursanalyse •  Interviews mit Lehrpersonen (20 Lehrpersonen mit Jahrgang vor 1970) •  Unterrichtsbeobachtung •  Unterrichts-Videografierung •  Fokusgruppen-Diskussionen mit Schülerinnen und Schülern

Weshalb der Kalte Krieg? •  Zentrales Thema in den Lehrplänen und Schulbüchern •  Politische Relevanz: Der Westen sieht sich, nach dem Untergang der Sowjetunion dem Sozialismus und in der damit einhergehenden Identitätssuche, gleich mehreren

Krisen ausgesetzt: Vermeintliche Spaltung des Westens spätestens seit dem Irakkrieg (Kagan 2004; Kelly 2003; Pond 2005), ökonomische Krise und wachsende Kritik an der Dominanz des Neoliberalismus; Neue Attraktivität des Kommunismus? (Douzinas/Zizek 2010, Badiou 2010), gleichzeitig kulturtheoretische Debatten um radikale Demokratie (Ranciere 2006). Die spannende Frage steht im Vordergrund: Wie wird – unter dem Blickpunkt der oben genannten Problemfelder - der Ost-West-Konflikt im heutigen Geschichtsunterricht erzählt und gedeutet?

•  Aus Sicht der erinnerungskulturellen Forschung interessiert zudem, wie Lehrende – unter Herannahme ihrer eigenen biographischen Erinnerungen und Erfahrungen zum Kalten Krieg – mit den in den Schulbüchern angebotenen Deutungsmustern umgehen.

•  In der Geschichtsdidaktik zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: Anstatt der im Beutelsbacher Konsens formulierten Verpflichtung der Lehrperson zur Neutralität (Wehling 1977), wird die Bedeutung von Emotionen für das historische Lernen hervorgehoben (Mülle/Uffelmann 1992; Jeismann 1994; Micek/Miewald; Schulze-Hegaleit 2011).

Forschungsobjekt Klassenzimmer

Klassenzimmer

Lehrmittel Geschichte

Schülerin Schüler Lehrperson

Das Klassenzimmer, bis anhin noch kaum Gegenstand systematischer Erinnerungsforschung, bietet als kommunikativer

Raum, wo curriculare Ansprüche, Schulbuchnarrative, Lehrererwartungen und Wissensaneignung durch Schülerinnen

und Schüler in wechselseitiger Beziehung stehen, ein idealer, gut zugänglicher und äusserst interessanter

Untersuchungsort.

Weshalb die Länder Deutschland, Schweden und Schweiz? Deutschland, Schweden und die Schweiz zeigen in Bezug auf den Kalten Krieg interessante Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Das Ende des Ost-West-Konflikts bedeutete zweifelsohne für alle drei Staaten, allen voran Deutschland, eine Zäsur: In Deutschland der Zusammenschluss zweier sich politisch gegensätzliche Lager sowie die bis heute oftmals sehr unterschiedliche Bewertung des Geschichtsverlaufs. In der Schweiz und in Schweden hingegen wurde die jeweils bis anhin selbstverständliche aussenpolitische Neutralität infrage gestellt, trotz unterschiedlicher Konzepte von Neutralitätspolitik. Trotz der gemeinsamen Herausforderung der Identitätssuche nach Ende des Kalten Krieges sowie der gemeinsamen Definition als liberales, demokratisches Land des Westens, zeigten und zeigen sich dann Unterschiede in den jeweiligen Ländern in der Strategie zur Überwindung der nationalen Krise: Während Deutschland nach 1989 sich stets um eine westliche Vereinheitlichung bemühte, insbesondere als Mitglied der Europäischen Union (Ausnahmen bilden die Meinungskonflikte mit den USA im Kontext des Irakkkrieges 2003), unterscheiden sich gleichzeitig die Geschichtsauffassungen von Ost- und Westdeutschen noch heute deutlich voneinander (Faulenbach 2000, von Borries 2001). Schweden gab seine Sonderrolle in Form der Neutralität zugunsten einer europäischen Integration auf und schlug wirtschaftspolitisch einen neoliberalen Kurs ein. Die Schweiz hingegen hielt seither an ihrer Neutralitätspolitik fest, welche bis heute einen wichtigen Teil der Schweizer Identität darstellt. Demgegenüber sieht sich das Land und seine Bevölkerung im Zuge der Europäischen Integration und der Globalisierung vermehrt unter dem Druck sich politisch und wirtschaftlich zu öffnen.    

 

   Kontakt PH Luzern: Nora Zimmermann Prof. Dr. Peter Gautschi Zentrum für Geschichte und Erinnerungskulturen Frohburgstrasse 3 6002 Luzern Tel: 0041 41 228 33 53 [email protected] peter.gautschi@phzluch

Kontakt Georg Eckert Institut für internationale Schulbuchforschung GEI: PD Dr. Barbara Christophe Celler Strasse 3 38114 Braunschweig Kontakt Umeå: Umeå History and Education Group Prof. Daniel Lindmark Umeå Universitet SE-90187 Umeå Sverige

Literatur •  Badiou,  Alain  (2010):  The  Communist  hypothesis,  London  •  Douzinas,  Costas/Zizek,  Slavoj,  eds.  (2010):  The  Idea  of  Communism,  London  •  Faulenbach,  Bernd  (2000):  Zweierlei  Geschichte.  Lebensgeschichte  von  Arbeitnehmern  in  West-­‐  und  Ostdeutschland,  Essen.  •  Garton  Ash,  Timothy  (2004):  Free  World:  America,  Europe  and  the  Surprising  Future  of  the  West,  Vintage  •  Jeismann,  Karl  Ernst  (1994):  EmoWonen  und  historisches  Lernen,  in:  GWU  45,  164-­‐176  •  Kagan,  Robert  (2004):  Paradise  and  Power:  America  and  Europe  in  the  New  World  order,  London  •  Kelly,  Paul  (2003):  The  Fracturing  West,  Big  Ideas  Forum,  Centre  for  Independent  Studies,  Melbourne  11.8.2003  •  Laler,  Peter  (1997):  Scandinavian  ExcepWonalism  and  European  Union,  in:  Journal  of  Common  Market  Studies  35:4,  565-­‐594  •  Müller,  Bernd/Uffelmann,  Uwe  (1992):  Die  EmoWonalitätsproblemaWk    in  der  GeschichtsdidakWk.  Tagungsfazit  und  

ForschungsperspekWven,  in.  Dies.  Hg.:  EmoWonen  und  historisches    lernen.  Forschung,  Vermiglung,  RezepWon,  Ffm  •  Pond,  Elizabeth  (2005):  The  Dynamics  of  the  Feud  over  Iraq,  in:  David  Andrews,  ed.:  The  AtlanWc  Alliance  under  Stress:  US-­‐

European  RelaWons  Aier  Iraq,  Cambridge  •  Ranciere,  Jacques  (2006):  Hatred  of  Democracy,  London