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TRANSCRIPT
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Innovativer Möbelbau
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Dirk Schellberg
Innovativer MöbelbauAktuelle Materialien und Techniken
Deutsche Verlags-Anstalt
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Vorwort 7
Holz 83D-Furnier 9Stauchholz 12Grünholz 14Formholz 17Lichtdurchlässiges Holz 20
Interview Nitzan Cohen:Massivholz im Design des 21. Jahrhunderts 22
Metalle 26Metallarten 27Bearbeitungstechniken 30
Interview Stefan Diez:Automobiltechnologie im Möbelbau 36
Kunststoffe 40Geschichte und Entwicklung 42Kunststoffarten 43Anwendungsverfahren 45
Interview Ross Lovegrove:Organische Möbelwelten 52
Polstermöbel 56Polstertechniken 57Schaumarten – kleines Schaumlexikon 61Bezugsmaterialien 64
Interview Peter Maly:Komfort und Sachlichkeit 68
Digitaler Möbelbau 72Produkte im Informationszeitalter 74C-Möbel 75Generative Produktionsverfahren 77
Interview Janne Kyttanen:Biomorphes Möbeldesign 82
Inhalt
Technik und Möbel 86Licht 87Kinematische Möbel 88Multimedia 91
Interview Martin Ballendat:Warum Technik auch sinnlich sein muss! 95
Künstlerische Möbel 98Autorendesign – das neue Kunsthandwerk? 100Gruppen und Konzepte 101
Interview Reinhold Stoll::Poesie im Möbelbau 108
Ökomöbel – Green Furniture 112Rückblick 113Readymades, Recycling 114Unterschiedliche Ansätze 115Ökologische Qualitätssiegel 116
Interview Oliver Schübbe:Produkte mit Geschichte 122
Materialvielfalt 126Design und Material 127Leichtbaumaterialien 128Beton 130Holzderivate und holzähnliche Materialien 131
Interview Hannes Bäuerle: Materialien – von der Qual der Wahl 136
Oberflächen 140Das Ornament 141Materialien und Verfahren 145
Interview Louise Campbell:Symbiose aus Form und Oberfläche 150
AnhangDesigner und Gestalter 154Hersteller 156Literatur 159Bildnachweis, Impressum 160
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7
Ohne die Unterstützung und die vielfältigen Anregun-gen, die ich von anderen erhalten habe, hätte dieses Buch nie geschrieben werden können. Besonders möchte ich meine Frau Sabine Schellberg erwähnen, die alle Texte als Erste gele-sen und dort »geglättet« hat, wo es zu holperig oder unver-ständlich war.
Ich danke den Studierenden der Fachakademie für Objekt-design in Garmisch-Partenkirchen und meinen dortigen Kol-legen für ihre Inspirationen und ihren fachlichen Rat sowie den Schulen für Holz und Gestaltung für das bereit gestellte Archivmaterial. Auch allen anderen Personen, insbesondere den in diesem Buch angeführten Designern, die mir Informa-tionen und Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben, möchte ich danken.
Nicht zu vergessen Andrea Bartelt-Gering und Sabine Schmid von der Deutschen Verlags-Anstalt, die bei der Arbeit an diesem Projekt immer wieder Nervenstärke und Geduld bewiesen haben.
Dirk Schellberg, Januar 2012
Seit 1995 unterrichte ich Möbeldesign an der Fachaka-demie für Objektdesign in Garmisch-Partenkirchen, ebenso lange existiert mein eigenes Designbüro Memo Design. Als Tischlermeister und Produktdesigner hat sich für mich die Mischung beider Berufe als reizvoll herausgestellt. Lehren und Tätigsein im aktuellen Marktgeschehen befruchten sich immer wieder gegenseitig. In letzter Zeit hat sich, bedingt durch den Trend zur Individualisierung, neue Computertechnologien und Werkstoffe sowie Globalisierungstendenzen, im indivi-duellen Möbelbau viel verändert. Technisch sind heute Möbel herstellbar, die bisher nur in der Industrie oder aufgrund neu-ester Fertigungsverfahren möglich waren. Es gibt eine Viel-zahl neuer Verfahren, Materialien und Vorgehensweisen, die den heutigen Möbelbau inspirieren. Selbst scheinbare Ein-schränkungen oder besser gesagt, Selbstbeschränkungen wie der Umweltschutz erweisen sich nicht als Hindernis, sondern als Anstoß zu innovativen Produkten.
Eine andere Tendenz ist, dass der Kunstmarkt das Design entdeckt hat, wodurch sich neue Chancen bei der Möbelver-marktung ergeben.
Dieses Buch soll einen allgemeinen Überblick über gegen-wärtige Trends und technische Möglichkeiten bieten. In ers-ter Linie aber soll es inspirieren.
Vorwort
Jeder Stoff ist nur das wert, was wir aus ihm machen.
Ludwig Mies van der Rohe
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3D-Furnier 9
Holz ist das älteste Material, das Menschen für ihren Gebrauch formen. Nach Tausenden von Jahren könnte man meinen, die Technik seiner Bearbeitung sei ausgereizt. Trotz-dem gibt es immer noch Bereiche, die einer Entwicklung unter-worfen sind, wie die Formholztechnologie. Die Sehnsucht nach den einfachen Dingen in einer komplexen Welt lässt sogar Raum für Archaisches wie Grünholzmöbel.
3D-Furnier
Denkt man an die bauchigen Louis-Quinze-Möbel des 18. Jahrhunderts, wird ersichtlich, dass Schreiner schon in tech-nologisch weniger hochentwickelten Zeiten dreidimensio-nale Möbelkorpusse hergestellt haben. Neben dem Studium habe ich in einem Betrieb für die Restaurierung von Edelholz-Autoarmaturenbrettern gearbeitet. Meine Aufgabe bestand darin, abgelöste Stücke zu ersetzen oder die geschwungenen Armaturenbretter – teilweise aus Lindenholz – ganz neu zu furnieren. Meist wurden auffällig gemaserte Wurzelfurniere sowie Zebrano oder Palisander verwendet. Wie bei der Intar-sienherstellung des 18. Jahrhunderts wurden die Furniere in Streifen geschnitten, dreidimensional zusammengesetzt und
mithilfe eines Sandsacks auf den Rohling geleimt. Manchmal bügelte ich sie Stück für Stück auf das Armaturenbrett. Die relativ steifen Furniere mussten also in Streifen verwandelt werden, damit das Furnierbild erhalten blieb.
Diese Arbeitsschritte vereinfachten sich erst durch die Entwicklung sogenannter modifizierter Furniere. Die Entwick-lung der 3D-Furniere geht auf ein Patent von Dr.-Ing. Achim Möller zu Beginn des 21. Jahrhunderts zurück. Er suchte ein Material, um gekrümmte Oberflächen furnieren bzw. aus meh-reren Furnierlagen dreidimensional geformte Schalen her-stellen zu können. Er nahm das bekannte Prinzip auf und ent-wickelte es weiter. Für die Umsetzung gründete er eine eigene Firma (Reholz). Eine Maschine schneidet die Furniere in dich-tem Abstand längs ein, Leimfäden kaschieren im Anschluss das Furnierblatt von hinten. Ist dieser Vorgang abgeschlos-sen, werden die Furniere von der nicht kaschierten Seite her durch Schleifen auf ca. 1,2 mm Dicke kalibriert und die Schnitte der Rückseite dabei freigelegt. Nun sind die Streifen einzeln und werden nur noch durch die Leimfäden nebeneinander-gehalten. Wird eine solche Schicht dreidimensional verformt, können sich die einzelnen Lamellen gegeneinander leicht ver-schieben, Spannungen verteilen sich, und das Furnier schmiegt sich an die Form, ohne zu reißen. Die Verzerrungen sind so
Holz
Im Design dieses Möbels spiegelt sich der
Trend, Strukturen aufzulösen, um organi-
sche oder, wie hier, kristalline Formen zu
zit ieren.
Entwurf und Ausführung: Uli Hofbeck (Meis-
terstück, Schulen für Holz und Gestaltung
des Bezirks Oberbayern Garmisch-Parten-
kirchen, 2010)
Entwurf: Möller – Büro für Gestaltung
Hersteller: Reichert Holztechnik
Dieses Sideboard zeigt die Möglichkeiten
von 3D-Furnier. Die Mulden unter den Grif f-
stangen sind durchgängig furnier t.
Bei einer Massivholztür würde in der Mulde
Hirnholz sichtbar.
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10 Holz 3D-Furnier 11
minimal, dass das Furnierbild, die Maserung, erhalten bleibt. Gehalten wird jeder Streifen vom Leimbett. Die Oberfl ächen-behandlung verschließt die Poren und Mikroschlitze; dabei sind besondere Richtlinien einzuhalten. Die Verwendung von füllstoffreichen Lacken ist zu empfehlen.
Mit 3D-Furnieren ist die rationelle Herstellung von For-men möglich, wie man sie sonst nur von Tiefziehteilen her kennt. Die Sinnlichkeit des Holzes bleibt voll erhalten, wenn sie nicht sogar noch gesteigert wird. Jeder Schreiner kann das Material verarbeiten. Es lässt sich optimal in Formen pressen. Vakuumtische oder Säcke sind für die Verarbeitung auch geeig-net. Eine CNC-Bearbeitung der gepressten Teile macht den Prozess kleinserientauglich.
Schematischer Aufbau und Verhalten von
3D-Furnier
Hervorragende Ergebnisse lassen sich mit
sogenannten Vakuumtischen erzielen.
Eine gummielastische Membran presst die
mit Leim bestrichenen Furnierlagen mit tels
Vakuum an die darunterliegende Form.
›Nomad‹, der Name des Tisches ist Pro-
gramm. Das leichte, zerlegbare Möbel
besteht in seinem Kern aus einer Kombina-
tion von Pappwaben, Balsa- und Pappel-
holz. Furnier t ist das Tischblat t mit
3D-Eichenfurnier. Die Beine werden aus
massiver Esche gefer tigt.
Entwurf: Jorre van Ast
Hersteller: Arco
Dieser stapelbare Hocker, ›AP‹ genannt,
wird aus einem Paket Furnierlagen in einem
Arbeitsgang gepresst und weist eine fugen-
lose Oberfläche auf. Das ist nur durch
3D-Furnier möglich. Statisch gesehen han-
delt es sich um ein Monocoque (Schalen-
konstruktion), er ist also einschalig und
selbst tragend.
Entwurf: Shin Azumi
Hersteller: La Palma
Der unbeschnit tene Rohling wird nach dem
Pressen kontrollier t.
Der Stuhl ›Loop‹ aus Kirschbaum
(Vinterio) reizt die Möglichkeiten des
3D-Furniers aus. Beschnit ten wird das
Modell mit Fünfachs-CNC-Maschinen.
Entwurf: Claus Breinholt
Hersteller: Infinit i by Omp Group
Ausrichtungsmöglichkeitder Streifen
zu verkleidende Form
Die schmalen Furnierstreifen schmiegen sich der Form an. Die entstehenden Fugen müssen durchdie Oberfl ächenbehandlung geschlossen werden
belegen
elastische Membran(montiert am Deckel)
Furnierstreifen auf Trägerschicht
pressen
Werkstück
PumpeVakuumtisch
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12 Holz Stauchholz 13
Der koreanische Designer Bae Se-Hwa
verwendet gedämpfte Nussbaumstreifen
für dieses Möbel. Ähnlich wie im Schif fsbau
wird erst ein Spantengerüst gebaut, das
beplankt wird. Jede einzelne Leiste wird
ausgerichtet und f ixier t. Die Leisten sind
in feuchtem Zustand erstaunlich f lexibel.
Durch Lockerung und Verdichtung der
Abstände entstehen die weichen organi-
schen Formen.
Entwurf und Herstellung: Bae Se-Hwa
Stauchholz
Als »das Holz mit dem Knoten« ist dieser Werkstoff auch bekannt. Es handelt sich um Laubhölzer, die in der Längsachse gestaucht werden. Das Verfahren wurde 1917 in Deutschland zum ersten Mal patentiert. Mehre Nachfolgepatente, die aber nur Herstellungs- oder Verfahrensdetails betrafen, folgten. Größere Aufmerksamkeit erzeugte das Verfahren, welches das Dänische Institut für Holztechnik 1988 entwickelte und das heute von der dänischen Firma Bendwood Engineering ver-trieben wird. Die zu verarbeitenden Hölzer sind etwa 3 m lang, ihre Kantenlänge beträgt bis zu 120 x 120 mm. Sie werden in eine rechteckige Form gelegt und dann der Länge nach gestaucht. Dadurch, dass das Holz beim Pressen nicht seitlich auswei-chen kann, falten sich die Holzzellen wie eine Ziehharmonika. Vor dem Komprimieren wird das Holz auf 100 Grad erhitzt. Gestaucht wird es auf 80 % der ursprünglichen Länge bei einer Restfeuchte von 20 bis 30 %. Kleine Querschnitte lassen sich von Hand verbiegen und sogar knoten. Die Einzelteile wer-den in Folien eingeschweißt und sozusagen feucht geliefert. Werden die Querschnitte nun in Formen gespannt und trock-nen dort, behalten sie die jeweilige Form. Ähnlich wie beim Bugholz können erstaunlich enge Radien gebogen werden, allerdings ohne den erheblichen Aufwand an Stahlkloben. Holzformen und begleitende Zugstreifen aus Edelstahlblech genügen. Diese verhindern ein Aufreißen der Fasern beim Spannen. Will man die Trocknung beschleunigen, kann die Hochfrequenztrocknung zum Einsatz kommen. Sowohl feuchte als auch trockene Hölzer lassen sich spanend bearbeiten. Das Holz erlangt nach dem Trocknen nahezu seine übliche Fes-tigkeit. Die Südtiroler Firma Candidus Prugger liefert fast tro-ckenes Holz (ca. 12 % Restfeuchte), das immer noch biege fähig ist. Aus diesem Material lassen sich massive Kanten für geschwungene Möbel gut herstellen und einfach anleimen.
›Orb‹ nennt sich dieses Sitzmöbel. Ergono-
misch orientier t es sich an den klassischen
Sitzbällen. Es besteht aus Stauchholz, das
unter dem Namen bendywood® produzier t
wird.
Entwurf und Ausführung: Albrecht Birkner
Hersteller Stauchholz: Candidus Prugger
Der Herstellungsprozess des Möbels ist
durch und durch handwerklich.
Beim Stauchholz werden die Holzfasern wie
eine Ziehharmonika gefaltet.Stauchung des Holzes
Druckzylinder
Kompressionskammer
8-10%
DruckHolz
Stauchun
g
Rohläng
e
Holzfaser gestaucht
Holzfaser Rohzustand
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14 Holz Grünholz 15
Das Repertoire des Designers Jan Armgardt
reicht von hochwertigen Möbeln für renom-
mierte Hersteller bis zu experimentellem
Design. Hier verwendete er Papier und
Stangen- bzw. Schlagholz für einen Regal-
und Garderobenentwurf. Die feste Verbin-
dung zwischen den Materialien entsteht
durch mit Leim bestrichene Papierbänder.
Entwurf und Ausführung: Jan Armgardt
Das Projekt ›Bodging Milano‹ geht auf eine
Init iative des brit ischen Designers Chris
Eckersley zurück, der den klassischen ›Eng-
lish Windsor Chair‹ weiterentwickeln sollte.
Diese Stühle werden aus Grünholz gefer-
tigt. Während seiner Recherchen stieß er
auf einen Stuhlbaukurs, der unter freiem
Himmel stat t fand. Gearbeitet wurde mit
normalem Handwerkzeug. Wenn nötig,
Der ›Sunrise Chair‹ überträgt tradit ionelles
englisches Holzhandwerk in eine moderne
Formensprache.
Entwurf und Ausführung des Prototyps:
Will iam Warren
zunutzen. Ist das Möbel richtig gebaut und
trocken, schrumpfen alle Bauteile so
zusammen, dass sie sich gegenseit ig ver-
klemmen und ohne Leim zusammenhalten.
Seit Jahrhunderten beschäf tigen sich die
Hersteller von Holzwerkstof fen damit, das
Arbeiten des Holzes zu unterdrücken. Der
Reiz von Grünholzmöbeln dagegen liegt
gerade darin, das Arbeiten des Holzes aus-
Grünholz
Abseits des Mainstreams hat sich eine Gattung von Möbeln gehalten, die bei uns schon fast in Vergessenheit gera-ten war. In den letzten Jahren erleben die sogenannten Grün-holzmöbel jedoch eine kleine Renaissance. Hauptsächlich aus Liebhaberei werden sie von einigen wenigen Schreinern gefer-tigt. Es gibt auch – eine nicht geringe Zahl – Menschen, die solche Möbel in ihrer Freizeit fertigen und Kurse zum Thema besuchen. In England oder den USA gibt es noch eine leben-dige Green-Wood-Furniture-Tradition, ein Einrichtungsstil, der aus Fernsehserien w ie ›Bonanza‹ bekannt ist. Er nennt sich log wood style und wirkt etwas klobig. Britische Grünholzmö-bel dagegen sind sehr fi ligran. Wer sie fertigt, muss wirklich
William Warren war ein Teilnehmer von
›Bodging Milano‹. Augenmaß ist wichtiger
als das Metermaß.
wurden die Hölzer in einfachen Öfen
gedämpft und gebogen. Nach diesem Kurs
entstand die Idee, etwas Ähnliches mit
neun Kollegen zu wiederholen und auf der
Mailänder Möbelmesse zu präsentieren.
Die Ausstellung fand 2010 beachtliches
Presseecho, seitdem trit t Bodging Milano
als eigenes Label für Grünholzmöbel auf.
das Holz verstehen. Die Kunst besteht darin, die noch feuch-ten Hölzer so zu fügen, dass nach dem Trocknen nichts mehr wackelt. Sicherlich sind diese Möbel wenig serientauglich, aber es entstehen individuelle funktionale, mitunter auch skulpturale Möbel. Die gestalterische Gratwanderung liegt in der Balance zwischen Design und Kitsch. Häufi g werden Gefl echte aus Weide oder Bast mitverwendet. Noch bis ins 19. Jahrhundert war es üblich, kleine Gebäude oder Lauben aus Weiden herzustellen. Einige Historiker sind der Meinung, dass die mittelalterliche Spielart dieser Gebäude die For-mensprache der Gotik beeinfl usste. Eingänge beispielsweise wurden aus einem in der Mitte geteilten, sich nach oben ver-jüngenden und dort zusammengefassten Bund gefertigt – was formal dem gotischen Spitzbogen entspricht.
optimale Faserrichtungfür eine Verbindung
Jahresringe
größter Schwund(radiale Richtung)
Holz mit hoher Feuchtigkeit
geringerer Schwund(tangentiale Richtung)
getrocknetes Holz
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16 Holz Formholz 17
Rohstof f Holz. Auf diese Weise ist jedes
Möbel ein Unikat. Spannung beziehen die
Möbel aus der Umformung vom organi-
schen Ast zur Plat te mit Grateinfräsung.
Gerade die Verwendung akkurater tradit io-
neller Schreinerverbindungen hebt die
Möbel aus dem Bereich des »Urigen«.
Entwurf und Ausführung: Lex Pot t (2009)
ten der einzelnen Plat ten der Form beim
Zusammensetzen sollten gleich mit ange-
bracht werden. Auf diese Art lassen sich
sogar dreidimensionale Formen herstellen!
Formholz
Immer wieder neu interpretiert wird das sogenannte Formholz – seit den 1920er-Jahren bis heute eines der inno-vativsten Materialien im Möbelbau. Der Begriff steht gene-rell für aus Furnier geformte Holzwerkstoffe. Von Form sperrholz spricht man, wenn mehrere Furnierlagen so übereinander-geleimt und in Form gepresst werden, dass sich die Faserver-läufe der einzelnen Lagen wechselweise sperren, jede zweite Lage also um 90 Grad gedreht ist. Liegen die Fasern der Fur-nierschichten gleichgerichtet zueinander, handelt es sich im Prinzip um Schichtholz. Für Schreiner ist es in zwei Formen interessant: Zum einen kann es als Halbzeug von einem spe-zialisierten Formholzlieferanten (z. B. Fritz Becker KG, Brakel, Holz in Form Niedermeier), bezogen werden, zum anderen machen CNC-Fräsen und Vakuumtisch die Fabrikation eige-ner Teile attraktiv.
Formholzteile sind extrem stabil, können elastisch federn und verwinden sich viel weniger als Massivholzteile. Gebo-gene Formen haben den Vorteil, dass die Faser mit der Form läuft, sodass kein »kurzes« Holz entsteht. Die sogenannten Dackelbeine der Chippendale-Möbel litten konstruktiv dar-unter, dass der Belastungspunkt der Füße außerhalb des Faserverlaufs lag, und brachen, wenn sie zu schwach dimen-sioniert waren. Formholzherstellung ist nicht einfach – selbst Fachleute erleben noch Überraschungen. Schreiner waren lange Zeit skeptisch, weil die Ergebnisse nicht überzeugten. Problematisch ist nicht der Formenbau – meist will man ja keine dreidimensionale Verformung – sondern die Verleimung. Die am meisten verbreiteten Leime unter Schreinern sind bis-lang die sogenannten Weißleime, formaldehydfreie Disper-sionsleime mit einem relativ hohen Wasseranteil. Wenn für eine Schichtverleimung jede der Furnierschichten damit ein-
Schablonen lassen sich schnell herstellen,
insbesondere, wenn eine CNC-Fräse zur
Verfügung steht. Plat tenmaterialien wer-
den einfach im Profil ausgeschnit ten und
Scheibe für Scheibe zu einer Form zusam-
mengesetzt. Posit ionierhilfen zum Ausrich-
Dieses Meisterstück zeigt die hohe Präzi-
sion, die möglich ist, wenn eine Formver-
leimung handwerklich ausgeführt wird.
Der schlichte Säulenschrank bezieht seine
gestalterische Spannung aus der Unter-
brechung durch die Formholzschleife.
Entwurf und Ausführung: Christoph Joerg
(Schulen für Holz und Gestaltung des
Bezirks Oberbayern Garmisch-Parten-
kirchen, 2010)
werden die benötigten Teile an den Bäumen
markier t. Der Holzfäller muss den Baum
später so »legen«, dass die gewünschten
Äste unversehrt bleiben. Anschließend wird
der Baum »aufgeteilt«.
Im Gegensatz zum herkömmlichen Vor-
gehen ist der Baum als Ganzes Bestandteil
der Entwurfsüberlegungen, nicht nur der
Im Grünholzdesign nimmt die Arbeit des
Niederländers Lex Pot t einen besonderen
Raum ein. Sicherlich ist die Idee nicht neu,
astige Teile eines Baums in Möbel zu ver-
wandeln – in seinem Projekt ›Fragmente der
Natur‹ jedoch kombinier t er klassische
Grünholzbearbeitung mit industrieller
Präzision. Schon im Wald vor dem Fällen
Pressdruck
Furnierlagenmit Leim
Negativschablone
Positivschablone
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18 Holz Formholz 19
lichkeiten für Formgebung und Konstruktion
entstanden. Das konstruktive Herzstück des
Stuhls ist der unter der Sitzschale einge-
presste Kern. Formschöne, kompakt stapel-
bare Stühle zu entwerfen ist eine Kunst,
weil nur eine begrenzte Anzahl an Steck-
prinzipien zu Verfügung steht. Modell
›Wogg 50‹ (Text: Wogg)
Entwurf: Jörg Boner
Hersteller: Wogg
Eine auf vier Seiten abgebogene Sitzf läche
nimmt auf beiden Außenseiten die Bein-
paare und die Rückenlehne auf. Formsperr-
holz prägt das Erscheinungsbild des Stuhls.
Sperrholz in Form zu pressen ist ein altes
Verfahren, das sich in den letzten Jahren
durch den Einzug der CNC-Frästechnik
rasant weiterentwickelt hat. Komplexe
Formteile lassen sich in die Werkzeuge ein-
legen und können direkt mit dem Sperrholz
gepresst werden. Dadurch sind neue Mög-
umfangreiches Repertoire an vorgefer tig-
ten Formholzrohlingen. So kann der Schrei-
ner für kleine Serien auf bestehende For-
men zurückgreifen. Durch den Beschnit t
und die Oberfläche können die Rohlinge
individualisier t werden.
gestrichen wird, steigt die Holzfeuchte stark an. Zwangsläu-fig verziehen sich dadurch die gepressten Teile, wenn sie auf normale Holzfeuchte heruntertrocknen. Spezialisierte Her-steller verwenden Harnstoff-Formaldehyd-Harz-Klebstoffe in beheizten Formen, die ebenfalls recht wasserhaltig sind. Dem begegnet man damit, dass die Furniere auf 2 bis 3 % Feuch-tigkeit heruntergetrocknet werden. Beim Pressen stellt sich so die normale Feuchtigkeit von ungefähr 8 % wieder ein, und die Werkstücke bleiben verzugsfrei. Durch die Wahl des geeig-neten Leims kann der Schreiner heute ähnlich gute Resultate erzielen. Polyurethanleim findet immer häufiger Verwendung in Schreinereien. Er härtet durch Feuchtigkeit aus.
Das bedeutet, dass die Furniere mindestens eine nor-male Feuchtigkeit aufweisen sollten, sie können auch leicht angefeuchtet werden. Wichtig ist es, sie wirklich nur leicht anzufeuchten, weil sich sonst schnell zu viel Wasser zwischen den Schichten sammelt. Wer ganz sichergehen will, verwen-det Epoxidharzkleber. Diese bestehen aus zwei Komponen-ten, die vor dem Auftrag angemischt werden. Sie härten durch eine chemische Reaktion. Sportbögen zum Beispiel werden mit Epoxidklebern laminiert und halten extremsten Belas-tungen stand. Für besondere Belastung kann zwischen die Furniere eine Glasfasermatte eingelegt werden, die nach der Kantenbearbeitung kaum noch sichtbar ist. Bei einer Schrei-ner-Formverleimung stehen nicht, wie bei der prozessopti-mierten Serienfertigung, die Materialkosten im Vordergrund. Stattdessen kommt es auf die Qualität des Einzelstücks an und darauf, dass der erste Versuch erfolgreich ist.
Ob im Kleinen oder im Großen, das Prinzip
der Formholzherstellung ist dasselbe. Da
bei professionellen Herstellern der Prozess
immer gleich verläuf t, bleibt das Qualitäts-
niveau stabil und die Ausbringung ist viel
höher. Größere Produzenten (hier: Fritz
Becker) ver fügen außerdem über ein
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20 Holz L ichtdurchläss iges Holz 21
Werden die Plat ten aus lichtdurchlässigem
Holz (Luminoso) von hinten angestrahlt,
lassen sie im Bereich der Lichtleiter das
Licht durch. Durch Maskierung der Flächen
sind Muster und Bilder darstellbar.
Entwurf Paravent:
Dominic Schindler Creations
Hersteller: Litwork
L ichtdurchlässiges Holz
Bei lichtdurchlässigem Holz handelt es sich um Platten-verbundmaterial. Massivhölzer wie Nussbaum, Mahagoni, Teak oder Wenge werden dafür in Lamellen geschnitten. Zwi-schen die Lamellen werden speziell aufbereitete Gewebe aus Lichtfasern geleimt, sodass eine Art Holzfläche mit Lichtpunkt-raster entsteht.
Das Erscheinungsbild der Holzarten bleibt dabei weit-gehend erhalten. Die Oberflächen können geölt, lackiert, ja sogar gebeizt werden. Wird die Holzplatte von hinten ange-strahlt, leiten die Fasern das Licht auf die Vorderseite. So kön-nen selbst Projektionen auf der Objektoberfläche abgespielt werden. Obwohl die Herstellung des Materials sehr komplex ist, entstehen Platten in Größen bis zu 1250 x 3000 mm bei Dicken von nur 4 bis zu 50 mm. Dieses Material der Firma Lit-work gibt es erst seit 2008, und es ist darum noch nicht weit verbreitet. Bisherige Einsatzgebiete sind vor allem der Gas-tronomiebereich und hochwertige Innenausbaulösungen. Denkbar ist allerdings auch die Verwendung für Möbelfron-ten oder Paravents.
Hier erkennt man deutlich die zwischen
den Massivholzlamellen eingelagerten
Licht leiter aus Acrylglas (PMMA).
Hersteller: Litwork
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Ni tzan Cohen 23
I N T E R V I E W
22
Das Gestell des Stuhls ›He said / she said‹ ist
aus Massivholz gefräst, das Rückenteil wird
aus einem vor ge bogenen Stück gefer tigt.
Hersteller: Mat tiazzi
Nitzan Cohen wurde 1973 im Kibbuz Hazorea in Israel gebo-ren. Er studierte angewandte Künste an der Avni-Kunstaka-demie in Tel Aviv und erlangte ein Industriedesign-Diplom im niederländischen Eindhoven. Nitzan Cohen arbeitete in Israel als Set Designer. Von 2002 bis 2007 war er im Büro von Kon-stantin Grcic in München tätig. Seit 2007 betreibt er in Mün-chen sein eigenes Designbüro mit den Schwerpunkten Licht, Möbel und Ausstellungsdesign.
NITZAN COHEN
Massivholz im Design des 21. Jahrhunder ts
Herr Cohen, auf Ihrer Homepage
schreiben Sie, dass Designer weniger
nach Produkten als vielmehr nach Fra-
gen suchen sollten. Welche Fragen
sind das? Das ist eine sehr generelle Frage zu einem speziellen Thema. Wenn man einen Auftrag bekommt, sollte man ihn gut hinterfragen und von allen Seiten betrachten. Wir haben einmal eine Studie für einen Kunden gemacht, bei dem wir am Ende sagten: »Sie sollten lieber die Finger davon lassen!« Es ist Aufgabe des Desig-ners, das anhand von Bildern und Recher-chen zu verdeutlichen. Zu dieser Arbeit waren wir und drei oder vier andere Desig-ner eingeladen. Wir waren die ein igen, die kein Produkt entworfen, sondern ein Kon-zept abgeliefert haben. Der Kunde hat es verstanden und das Projekt nicht umge-
setzt. Wenn ich etwas mache, will ich das Richtige machen, ich bin kein Stylist. Es gibt Designer, die dazu stehen, ihre eigene Handschrift zu haben – das finde ich wun-derbar. Wenn ich mir meine eigenen Arbei-ten anschaue, sehe ich aber weniger eine visuelle Linie darin als eine Haltung. Achille Castiglioni war sehr stolz, dass man keine Linie in seiner Arbeit sehen konnte. Das ist ein tolles Beispiel, weil es genau darum geht. Er versuchte darzustellen, dass eine Antwort für sich steht und nichts mit den Antworten zu tun hat, die man einmal für etwas ganz anderes gegeben hat. So sehe ich das, und darum stelle ich diese Fragen. Man muss die DNA eines Projekts, eines Objekts erfassen. Man muss analysieren, wer der Hersteller, wer der Benutzer ist und so weiter. Dann gehen wir rein, bis sich eine Struktur kristallisiert. Dort fängt man an und am Ende steht die Form – nicht dass sie unwichtig ist, sie ist das Wichtigste – aber sie ist immer eine Antwort auf die DNA; passt sie nicht, kann man immer wie-der zur DNA zurückkehren und eine andere Antwort geben, aber die Quelle ist immer die gleiche.Welche Fragen sind das ganz konkret,
beispielsweise bei dem Regalprojekt
›nan15‹ oder bei dem Stuhlprojekt
›He said / she said‹ für Mattiazzi?
Das Regal haben wir für Nanoo entwickelt, ein sehr kleines Label aus der Schweiz. Der Hersteller gab uns eine Art Carte blanche.
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24 Nitzan Cohen
I N T E R V I E W
Nitzan Cohen 25
I N T E R V I E W
da, aber bei Trends hört es für mich auf. Das heißt nicht, dass sie mich nicht interessie-ren, aber für meine Arbeit sind sie nicht ausschlaggebend. Man lebt in dieser Welt und reflektiert automatisch die Dinge, die gerade wichtig sind.Was hat Sie als Designer am meisten
geprägt? Ihre Herkunft aus Israel? Ihr
Studium in den Niederlanden? Oder
Ihre Arbeit als Designer in München?
Gibt es eine Schnittmenge oder exis-
tieren wirkliche Wurzeln? Jein! In Israel begann ich sicherlich den Wunsch zu ent-wickeln, so etwas wie Design zu machen, aber Israel verbinde ich nicht mit Design. Das Studium in Eindhoven hat mich geprägt und ist im Hintergrund immer da. Die sechs Jahre danach bei Konstantin [Grcic] waren für mich die perfekte Ergän-zung. In Eindhoven habe ich gelernt, die Fragen zu stellen, danach, was mit den Ant-worten anzufangen ist. Eines ist so wichtig wie das andere.
eher intern, aber sie wird kommuniziert. Der Kunde erhält eine Broschüre, die diese Phase dokumentiert und die Ziele erklärt. Das fertige Produkt stimmt nicht immer hundertprozentig mit dem Konzept über-ein, aber es ist eine gute Hilfe, um die Rich-tung beizubehalten.Jeder Designer hat Vorlieben für Mate-
rialien, welchen Stellenwert nimmt
Holz bei Ihnen ein? Ich bin kein gelern-ter Handwerker, aber Holz war eins der ers-ten Materialien, das ich kennen gelernt habe. Bei uns in Israel gibt es keine gere-gelte Ausbildung, und ich hatte immer eine Art positiven Neid auf Leute, die in diesem Bereich eine Lehre gemacht haben. Diese Kenntnisse laufen immer im Hintergrund mit.Ich habe viel mit Holz experimentiert, es ist allerdings eins der schwierigsten Materia-lien, die ich kenne. Holz lebt immer weiter und reagiert auf äußere Einflüsse, was es für die industrielle Verarbeitung schwierig macht. Heute, nach einem großen Projekt, spielt Holz natürlich eine noch wichtigere Rolle. Das Stuhlprojekt dauerte eineinhalb Jahre, das war sehr intensiv. Wenn ich von Holz rede, meine ich Massivholz, damit muss man clever umgehen. Natürlich hätte ich nichts dagegen, auch mal mit Formholz zu arbeiten.Wie funktioniert der Prozess bei den
Mattiazzi-Stühlen genau? Wird das
Holz vorgebogen? Ja, es wird vorgebo-gen und dann gefräst. Die Technologie ist eigentlich alt. Das Holz wird weder gedämpft, wie bei Bugholzmöbeln, noch wird die Faser gestaucht. Es wird in feuch-tem Zustand in eine Form gespannt und dann getrocknet, manchmal in mehreren Schritten. Die Rohlinge haben balkendicke Querschnitte. Die Bäume stammen aus der Nähe des Werks in Norditalien, und alle Reste werden zum Heizen verwendet – eine ziemlich grüne Produktionskette mit klei-nem CO2-Fuß abdruck. Das war bei dieser Fabrik schon immer so, noch bevor Ökolo-gie als wichtiges Thema erkannt wurde.Welche Möbeltrends sehen Sie für die
Zukunft? Ich versuche immer up to date zu sein, in dem Sinne, dass ich beobachte, was die Menschen machen. Nicht nur in meinem eigenen Bereich, sondern überall, in gesellschaftlichen Dingen genauso wie in Kunst und Kultur. Einflüsse sind immer
Typisch für den Stuhl sind die glat ten Über-
gänge zwischen den einzelnen Bauteilen,
die ohne eine for tgeschrit tene CNC-Technik
nicht möglich wären.
immer alles erst einmal gießen muss. Da ich das Möbel zusammenfüge, kann ich mich auf die Teile konzentrieren, die formal kompliziert sind, die anderen Teile lasse ich standardisiert herstellen. Das war die Kern-idee, am Anfang war natürlich die For-mensprache noch sehr wild. Die technische Umsetzung war am Ende schwer genug.Wie gehen Sie konzeptionell vor? Wie
entwerfen Sie? Geht das mehr über
Zeichnungen oder mehr über
Modelle? Wie schon erwähnt, ist das Konzeptionelle immer der Anfang. Dann geht es mit Skizzen und Formen los, mit der Übersetzung der Antworten in Formen. Irgendwann kommen dann einfache Papp-modelle, teilweise schon im Maßstab 1:1, man muss ausprobieren und die Proportio-nen prüfen. Beim Mattiazzi-Stuhl war das eine einfache, 2 mm dicke graue Pappe, fast eine Bastelarbeit. Dann wird am Computer ein Modell erstellt, und es beginnt eine Art Pingpong-Spiel: modellieren am Computer, prüfen am Modell …Kommunizieren Sie während der Kon-
zeptphase mit Ihrem Auftraggeber? Oder
erstellen Sie erst ein Konzeptbuch,
einen Fahrplan, der dem Auftraggeber
vorgelegt wird? Die Konzeptphase ist
sehr wichtig, weil es Dinge gibt, die ich gar nicht geben kann, die jemand anderes bes-ser kann als ich. Das versuche ich erst gar nicht. Es entstehen auf den Auftrag geber bezogene Fragen, Fragen zu Materi alien. Die zentrale Frage zur Formgebung war hier, was ich für einen Frässpezialisten entwer-fen kann. Im Grunde kann man heute mit Fräsen alles machen – mit Holz aber nicht, das ist ein sehr lebendiger Werkstoff. Die Komponenten müssen unter Umständen einzeln gefräst und dann miteinander ver-bunden werden, man kann nicht einfach aus einem großen Block alles herausfräsen. Aus all dem muss man eine Formensprache entwickeln. Mir kam der Gedanke: Wenn man alles aus allen Richtungen fräsen kann, wie bei der Werkzeugherstellung für ein Kunststoffspritzgussteil, dann kann doch ein gefrästes Möbel aus Holz genauso aussehen. Dadurch konnte ich mich von den Grenzen der Holzbearbeitung befreien, ohne dass das Ganze zu einer handwerk-lichen oder künstlerischen Sache wurde, also de facto ein industrieller Prozess blieb. So kann man also die Kunststoff-For-mensprache theoretisch auf Holzmöbel übertragen und in gewissem Sinne effizien-ter sein als ein Kunststoffhersteller, der
Eigentlich war alles möglich, außer einer Investition in teure Werkzeuge. Wir muss-ten also werkzeugintensive Gussteile von vorneherein ausschließen. Dann fing die Analyse an. Was macht man für diese Firma? Ich habe erst geschaut, was der Her-steller schon im Programm hatte: einen runden Tisch, eine Lampe und verschiedene Objekte für den Innen- und Außenbereich. Das waren einzelne, man könnte fast sagen, sporadische Produkte.Eine Frage war also, welches Möbel ich entwickeln konnte, wenn die Objekte der bestehenden Kollektion sich gut verkaufen. Die Firma brauchte etwas, das das Ganze zusammenfasst, wie Arme, die alles zusam-menhalten. Wenig Geld zum Investieren, was bedeutet das? Welches Material, wel-che Technik kommt infrage … Dann kam ich zum Laserschneiden, zum Falten. Die ein-zige Investition waren die Programmie-rungskosten. Flexibilität war zusätzlich gegeben. So wurde das Regal aus laser-geschnittenem Stahlblech hergestellt.Zum Stuhlprojekt für Mattiazzi: Es gibt immer zwei Aspekte. Da ist einmal die Firma: Wofür steht sie, was hat sie gemacht – was ist sinnvoll? Dazu kommt der Aspekt: »Was will ich dem Kunden geben?« Das ist
›Nan 15‹ ist ein Regalsystem aus 2 mm
starkem, pulverbeschichtetem und laserge-
schnit tenem Stahlblech. Das ganze System
besteht aus nur zwei Teilen, die sich durch
ihr Eigengewicht miteinander verhaken.
Nitzan Cohens Antwort auf die Möglichkei-
ten eines kleinen Schweizer Möbellabels.
Hersteller: Nanoo
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Metal lar ten 27
MetalleAls ich in den 1980er-Jahren in Paris eine Stelle als Kunst-schreiner suchte, waren in den Höfen des ehemaligen Hand-werkerviertels der Faubourg St. Antoine noch die Relikte einer Arbeitsteilung zu erleben, wie es sie heute nicht mehr gibt. In manchen dieser Höfe gab es, auf verschiedene Stockwerke verteilt, die Ateliers von Beschlagherstellern, Marketeuren (Intarsienherstellern), Vernisseuren (Oberflächen bearbeitern) und Ebenisten (Kunstschreinern). Das Möbel »reiste« wäh-rend seiner Fertigstellung von Atelier zu Atelier, von Spezia-list zu Spezialist. Die Handwerker verständigten sich unpro-blematisch und schnell untereinander. Heute sind die meisten dieser Stilmöbelateliers verschwunden.
War es früher für Kunstschreiner normal, auch über die Gestaltung von Metallbeschlägen nachzudenken, weil sie Ein-blick in dieses Gewerk hatten, ist das heute ungewöhnlich. Auf die Idee, eigene Metallbeschläge oder gar Möbel mit Metal-len zu entwerfen, kommen nur wenige. Schreiner beziehen ihre Beschläge meist über den Fachhandel. Dabei lässt sich mit einigem Basiswissen über Metalle und die Möglichkei-ten der Metallverarbeitung in der eigenen Werkstatt sowie über spezialisierte Dienstleister Erstaunliches realisieren.
Metallar ten
StahlStahl besteht im Wesentlichen aus den Komponenten
Eisen und Kohlenstoff. Je größer der Kohlenstoffanteil, desto härter ist der Stahl. Durch Hinzufügen anderer Metalle wie
Chrom, Wolfram, Molybdän, Vanadium oder Kobalt können verschiedenste Materialeigenschaften erreicht werden. Das Spektrum reicht von elastisch, weich und verformbar bis spröde und hart, rostend oder nicht rostend. Stahl gibt es als Blech-tafeln und in unterschiedlichsten Profilformen. Es lässt sich sägen, fräsen, bohren, schmieden, gießen, schweißen und löten. Stahl ist in größerem Umfang nur für den Spezialisten formbar. Es bedarf einiger Kenntnis und schwerer Maschinen, um den Werkstoff effektiv zu formen.
Darum ist gerade bei diesem Material der Hersteller klei-ner Serien oder von Einzelmöbeln auf Dienstleistungen ange-wiesen. Kann er diese Leistungen effektiv beauftragen und steuern, wird der Materialeinsatz rentabel. Insbesondere sta-tisch bietet Stahl Vorteile gegenüber anderen Materialien. Die schlanken Querschnitte der Bauteile wirken sich natür-lich auch ästhetisch aus. Im Möbelbau kommen gestaltge-bend meist Halbzeuge wie Rohre oder Lochbleche zur Anwen-dung, zum Beispiel für individuelle Regale, Tischgestelle oder Sitzmöbel im Laden- oder Gastronomiebereich.
Einen Schritt in Richtung Massenproduktion wie in der Automobilindustrie unternahm der Designer Stefan Diez mit seinem Stuhlentwurf ›Chassis‹ für die Firma Wilkhan (siehe S. 36). Die Blechteile des Stuhls werden tiefgezogen, was bedeu-tet, dass ein geformter Stahlstempel das Blech in eine gleich geformte negative Stahlform presst.
Der Tisch ›Baghdad‹ von Ezri Tarazi besteht
aus vielen kleinen Aluminiumprofilen, die
auf die gleiche Länge abgeschnit ten und
dann ver tikal miteinander zu einer Fläche
verschweißt wurden. Das Möbel von 2005
zeigt den groben Stadtplan Bagdads. Der
Designer möchte damit eine Botschaf t ver-
mit teln: Aus einer chaotischen Vielfalt
soll sich wieder ein harmonisches Ganzes
entwickeln, was vor dem Hintergrund
des zu dieser Zeit geführten Irakkriegs zu
sehen ist.
Entwurf: Ezri Tarazi
Hersteller: Edra
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28 Metal le Metal lar ten 29
schaltet bleiben. Zum Abkanten der
Schienen kam eine Handabkantbank zum
Einsatz. Gerade die durch das Kanten ent-
stehende Dreidimensionalität gibt dem
Stuhl Statik und abgesehen von den Nähten
sein charakterist isches Aussehen.
Entwurf und Ausführung: Matthias Zink
(Fachakademie für Objektdesign Garmisch-
Partenkirchen, 2007)
Bei diesem Stuhlentwurf sind die Holz-
flächen und Metallbügel durch Nähte mitei-
nander verbunden. Die 3 mm starken Alu-
miniumschienen können als Plat te durchaus
auf einem CNC-Holzbearbeitungszentrum
gefräst und gebohrt werden. Die Späneab-
saugung muss aber darauf eingerichtet
sein, damit es keinen Brand durch heiße
Späne gibt, ansonsten sollte sie ausge-
entweder glattgeschliffen oder gedreht. Diese Art der Holz-veredelung verwenden einige einfallsreiche hochpreisige Möbel hersteller, um minderwertiges Holz zu »adeln«: Ast-löcher und Risse werden einfach mit Zinn ausgegossen. Mas-sivholzbretter, die sonst aussortiert würden, können auf diese Weise genutzt werden, und das Ergebnis sieht auch noch attraktiv aus. Es sollte dazu eine Legierung verwendet wer-den, die etwa 3 % Silber und etwas Antimon enthält. Ein Bun-senbrenner und ein kleiner Tiegel reichen, um die Prozedur durchzuführen. Zinn ist sehr weich, und sein niedriger Schmelz-punkt prädestiniert es für einfache Gussverfahren.
MessingMessing ist eine goldfarbene Legierung aus Kupfer und
Zink. Im Möbelbau werden vorrangig Beschläge oder Tresen aus Messing gefertigt. Viele Scharniere bestehen aus ver-nickeltem oder verchromtem Messing. Messing hat antisep-tische Eigenschaften und ist daher für Türgriffe gut geeignet. Armaturen bestehen meistens aus Messing, was jedoch wenig bekannt ist, da sie verchromt sind. Messing lässt sich gut mechanisch bearbeiten und gießen. Die Auswahl an Profilen und Rohren ist im Vergleich zu Stahl und Aluminium deutlich kleiner. Das Material ist im Möbelbau ein wenig aus der Mode gekommen, wohl insbesondere aufgrund der Farbe.
BronzeBronze besteht aus Kupfer und Zinn. Wir kennen den
Werkstoff vor allem von Kirchenglocken oder Denkmälern, im Alltag ist er kaum zu finden. Im Möbelbau werden wenige, künstlerische Beschläge aus Bronze gefertigt. Aufgrund sei-ner »selbstschmierenden« Eigenschaften findet das Material als Gleitlager in technischen Geräten Verwendung.
ZinkObwohl recht verbreitet, ist Zink wenig bekannt. Das
Material findet sich in Blechform auf Dächern oder als Kor-rosionsschutz auf Stahlteilen. Viele Straßenmöbel bestehen aus verzinktem Stahl. Im Möbelbau findet zur Beschlagher-stellung häufig der Zinkdruckguss Anwendung. Das Material lässt sich gut vernickeln und verchromen. Im Vergleich zum Aluminiumdruckguss ist ein Zinkdruckguss wesentlich kos-tengünstiger. Nur in Fällen, in denen das Gewicht der Bau-teile wichtig ist, ist Aluminium das Material der Wahl. Der günstige Formenbau lässt Kleinserien bis zu 3000 Teilen zu.
ZinnNach einem Zinnprodukt gefragt, nennen die meisten
sicherlich den Zinnsoldaten, der heute ein Nischenprodukt ist. In Form von Gefäßen und Bestecken war Zinn noch im 19. Jahrhundert weit verbreitet. Auch im Möbelbereich wird es als Beschlag- und Intarsienmaterial eingesetzt. Bei der Intar-sienfertigung gießt der Schreiner Zinn in eine vorher heraus-gearbeitete Vertiefung im Holz. Es kühlt schnell ab, sodass das Holz kaum verkohlt. Anschließend wird das Werkstück
lichen Gebilden zusammenmontiert werden können. Der Vor-teil der Systeme liegt in der einfachen Maßanfertigung, da die Profile einfach nur abgelängt bzw. die Füllungen auf Maß geschnitten werden müssen. Profile können mit verschiede-nen Funktionen ausgestattet werden. Bei Rohrmöbeln kann die individuelle Form ein Alleinstellungsmerkmal sein. Bei der Profilherstellung presst eine Hydraulikpumpe einen erhitz-ten Aluminiumpressling durch die formgebende Matrize.
Die Vielseitigkeit solcher Strangpressprofile und die ver-gleichsweise geringen Werkzeugkosten erlauben es schon bei Kleinserien, ein vom Möbelhersteller selbst entworfenes und beauftragtes Profil rentabel einzusetzen. Die Mindestabnah-memengen beginnen gewöhnlich bei 100 Kilogramm, aber auch geringere Mengen sind möglich. Gestalterisch relevant ist auch die spezielle Oberfläche, die auf Aluminium erzeugt werden kann, das Eloxal. Dabei wird durch Elektrolyse eine künstliche Oxidschicht auf dem Metall erzeugt. Diese Schicht kann farbig sein, sodass ein metallisch transparentes, buntes Erscheinungsbild entsteht.
AluminiumReden wir von Leichtmetall, so denken wir meist an Alu-
minium. Aluminium ist nicht einmal halb so schwer wie Eisen. Ohne den Werkstoff wäre zum Beispiel die heutige Luftfahrt-technik nicht möglich. Die Möbelbranche verwendet Alumi-nium für Beschläge, Profile und Spritzgussteile.
Aluminium wird in einem energieaufwendigen und umweltschädlichen Prozess aus Bauxit gewonnen. Das Mate-rial besitzt allerdings exzellente Recyclingeigenschaften und rostet nicht. Es lässt sich mit herkömmlichen Handwerkszeu-gen gut mechanisch bearbeiten. Da reines Aluminium für viele Anwendungen zu weich ist, wird es mit anderen Metallen legiert, um bessere Festigkeiten zu erzielen. Aufgrund ihrer konstruktiven Vielseitigkeit und Rentabilität sind besonders Aluminiumstrangpressprofile hervorzuheben. Sie sind in gro-ßer Auswahl am Markt erhältlich. Eine bekannte Anwendung sind die sogenannten flightcases. Zur Herstellung der cases werden Profile zu Rahmen mit Holz- oder Kunststofffüllun-gen zusammenmontiert, um daraus hochwertige Transport-kisten zu konfigurieren. Die Profile müssen so konstruiert sein, dass sie mithilfe von kleinen Stahlbeschlägen zu stabilen räum-
Zinn ist ein gutes Material zur Veredelung
von Massivholz. Stat t den Mangel zu
kaschieren, wird er zum gestalterischen
Mit tel – hier eine Tischplat te aus Berg-
ahorn, bei der Fehlstehlen einfach aus-
gegossen wurden.
Hersteller: Scholt issek
Zur Herstellung eines Strangpressprofils
wird ein vorgewärmter Metallbolzen mit
viel Kraf t durch eine Matrize gepresst.
Prinzipiell eignen sich alle Metalle für die-
ses Verfahren. Hauptsächlich wird es für
Aluminiumprofile angewendet, seltener
für Kupfer, Messing, Magnesium oder Titan.
Im Stahlbereich werden so zum Beispiel
nahtlose Edelstahlrohre gezogen.
Werkzeug
Rohmaterial
Matrize
Aluminiumprofil
Stempel
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30 Metal le Bearbei tungstechniken 31
dukt wie dem Umzugskarton zu einer
un erwarteten Aufwertung und einem
längeren Produktleben.
Entwurf: Llot Llove
Hersteller: Pulpo
Metalldrücken: Durch das Drücken einer
rotierenden Metallscheibe gegen eine
Form können rotationssymmetrische Körper
hergestellt werden.
Das Label Pulpo fer tigt fast ausschließlich
Möbel und Accessoires aus Blech. Die
Bleche werden per Laser ausgeschnit ten,
abgekantet und pulverbeschichtet. Dieses
simple Verfahren macht den Charme der
scherenschnit thaf t erscheinenden Möbel
aus. Der Beistellt isch ›Wannabe‹ (engl. =
Möchtegern) verhilf t einem Wegwerfpro-
Die Möbelkollektion ›GUBI Cinal Collection‹
nutzt die Vorteile zweier Materialien aus:
zum einen das warme Erscheinungsbild
des Holzfurniers, zum anderen die Stabi-
lität und gute Formbarkeit von Aluminium-
plat ten.
Entwurf: Morten Brorsen
Hersteller: Gubi
Zehntel Millimeter. Je nach Material können Dicken bis zu 200 mm geschnitten werden. Um den Strahl »schärfer« zu machen, werden dem Wasser sogenannte Abrasive (Korund, Granat) beigemischt. Bei größeren Durchmessern neigt der Wasserstrahl dazu, sich nach unten hin zu verbreitern. Prin-zipiell ist das Wasserstrahlschneiden ein kostengünstiges, vielseitiges und genaues Verfahren. Im Möbelbau können Mineralwerkstoffe, aber auch Holz zugeschnitten werden. Der Designer Jo Meesters lässt die Tischplatte seines Entwurfs ›Reshaping Wood‹ (siehe S. 105) per Wasserstrahl beschnei-den.
Perforieren Die genannten Verfahren dienen im Wesentli-chen Blechgehäuseherstellern dazu, Blechtafeln so zu beschnei-den, dass sie sich später an der Kantbank zu Gehäusen, zum Beispiel Schaltschränken, formen lassen. Durch geschicktes vorheriges Perforieren können diese Gehäuse sogar von Hand zusammengefaltet werden. Das Metall biegt sich an der durch Löcher oder Schlitze geschwächten Stelle. Eckverbindungen werden geschraubt, genietet, gebördelt oder geschweißt.
Das Perforieren war bei einigen Designern zu Zeiten der CNC-»Welle« Anfang der 1990er-Jahre besonders beliebt, unter anderem, da auf CNC-Holzbearbeitungszentren auch Alumi-nium bearbeitet werden kann. Bogenförmige Lochreihen erlau-ben es zum Beispiel, gewölbte Körper zu formen, ähnlich wie es in der Verpackungsindustrie mit Karton oder Folien gemacht wird. Die Körper werden entlang der Biegekante gerillt. Ein
Blechbearbeitung Nibbeln Beim Nibbeln wird die Blechtafel unter einem oszil-lierenden, meist zylindrischen Stahlstift durchgeführt. Unter diesem Stift befindet sich eine passende Matrize. Durch die definierte Bewegung des Blechs stanzt der Stift immer ein kleines Stück Metall aus der Platte heraus. So wird Loch an Loch eine Kontur aus der Tafel herausgenibbelt. Je langsamer der Vorschub, desto feiner ist die Kantenausbildung, die immer leicht gezahnt erscheint. Moderne Nibbelmaschinen haben den Vorteil, dass statt des Nibbelstifts auch ein Prägewerk-zeug eingesetzt werden kann. Damit lassen sich Belüftungs-schlitze oder andere leicht vertiefte Geometrien, zum Beispiel Ornamente, in die Platte prägen.
Stanzen Beim Stanzen werden die Formen durch vorge-formte Werkzeuge aus dem Blech in eine Matrize gestanzt. Der Vorteil des Verfahrens liegt in sauberen, präzisen Teilen, der Nachteil in den hohen Werkzeugkosten, daher lohnen sich nur höhere Auflagen. Zur Herstellung von Beschlägen wer-den Stanzbiegeteile benötigt.
Laserschneiden Beim Laserschneiden wird ein heißer Licht-strahl auf das Metall gerichtet. Der Strahl brennt zunächst ein Loch in die Platte und wird dann entlang der Kontur geführt. Die Schnittbreite liegt je nach Material und Dicke unter einem Millimeter. Stahl kann bis zu 40 mm Stärke, Aluminium bis zu 20 mm geschnitten werden. Aufgrund ihres unterschied-lichen Wärmeleitverhaltens und Reflexionsvermögens sind nicht alle Metalle für das Laserschneiden gleich tauglich. Kup-fer und Aluminim bereiten Schwierigkeiten, Stahl dagegen lässt sich gut schneiden. Das Verfahren ist kostengünstig und gut geeignet für kleinste Teile und kleine Stückzahlen. Einige limitierte Möbel der Designerin Louise Campbell (siehe S. 150) werden beispielsweise in dieser Technologie gefertigt.
Wasserstrahlschneiden Bei diesem Verfahren wird ein Was-serstrahl mit einem Druck von durchschnittlich 4000 bar auf das zu schneidende Material gerichtet. Gesteuert wird die Düseneinheit wie andere CNC-Maschinen auch. Die Palette der schneidbaren Materialien ist groß: Außer Metallen eig-nen sich Textilien, Stein, Keramik, Kunststoffe, Leder, Schaum-stoff und sogar Holz. Die Schnittbreite beginnt schon bei einem
Bearbeitungstechniken
Um individuelle Möbel zu realisieren, die ganz oder zum Teil aus Metall bestehen, kann der Entwerfer heute auf eine beträcht-liche Palette von Dienstleistungen zurückgreifen. Die Kom-munikation über das Internet und die Möglichkeit, Standard-CAD-Formate austauschen zu können, bilden die Basis dafür.
Fräsen und DrehenMetalle lassen sich heute problemlos fräsen und dre-
hen. Beide Techniken bieten sich im Möbelbau vor allem zur Herstellung mechanischer Teile an, können aber auch sinn-voll zur Nachbearbeitung von Gussteilen eingesetzt werden. Die Prozesse werden fast nur noch durch CNC gesteuert. Wer dem Dienstleister die entsprechenden CAD-Daten liefert, erhält in kurzer Zeit das fertige Produkt.
Für einfache Dreh- oder Frästeile reichen meist bemaßte 2D-Zeichnungen in den Dateiformaten dxf oder dwg. Zum Generieren von Fräsbahnen kann sich der Dienstleister die entsprechenden Konturen aus der Zeichnung herausziehen. Bei dreidimensionalen Geometrien muss der Körper in CAD gezeichnet werden. Zur Aufbereitung der Fräsdaten werden 3D-Daten in den Formaten igs, stp oder stl benötigt.
Entlang einer perforier ten Linie kann Blech
auch ohne Kantbank einfach umgekantet
werden, und es können sogar dreidimen-
sionale Formen entstehen.
Entwurf: Stefan Diez und Christophe
De La Fontaine
Hersteller: Moroso
Drehachse
Blech
Treibwerkzeug
Formkörper
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32 Metal le Bearbei tungstechniken 33
Zinkdruckguss: Aufgrund der relativ niedri-
gen Fer tigungstemperatur von ca. 430 Grad
liegen die Formkosten niedriger als beim
Aluminiumdruckguss. Das Material ist sehr
beanspruchbar und hat eine gute Abbildungs-
fähigkeit, was es auch für f i l igrane Güsse
brauchbar macht.
Feinguss: Dieses Verfahren eignet sich für
Einzelstücke und Kleinserien. Fast alle
Metalle sind dafür geeignet. Durch Erstellen
einer Modelltraube können viele Bauteile in
einem Guss hergestellt werden. Nach dem
Ent fernen der Keramikschicht müssen
die Teile vom Anguss abgetrennt und ver-
putzt werden.
Diese besteht meist aus MDF, Schichtholz
oder Kunststof f. Es können ca. 5,6 m² bis
zu einer Bauhöhe von 0,7 m bearbeitet
werden. Hauptsächlich eingesetzt wird das
Verfahren im Karosseriebereich. Denkbar
sind aber auch Sitzschalen, Korpusteile
oder Waschbecken.
Die inkrementelle Blechumformung ist ein
Verfahren, um Bleche individuell in Form
zu bringen. Kleinserien im zweistell igen
Bereich können wir tschaf tlich realisier t
werden. Beim gezeigten Beispiel wird die
in einen absenkbaren Rahmen gespannte
Blechtafel durch einen CNC-gesteuerten
Prägedorn über eine Matrize gezogen.
an der höchsten Stelle der Form anliegt. Nun drückt ein CNC-gesteuerter Kopf den Dorn in das Blech und fährt eine Bahn ab. Kopf und Tafel senken sich Schicht für Schicht ab, und das Blech wird auf diese Weise um die Matrize herumgetrieben.
Hauptsächlich wird das Verfahren im Karosseriebereich eingesetzt. Stückzahlen im zweistelligen Bereich sind kos-tenadäquat abzudecken. Sonderwaschbecken wären beispiels-weise ein lohnendes Einsatzgebiet. Die Technik ist noch sehr jung und hat Potential für den Objektmöbelbereich.
GießenViele Möbelgestalter denken nicht an den Metallguss,
wenn es um Objektmöbel geht, die nur einmal oder in gerin-gen Stückzahlen produziert werden. Vor manchem geistigen Auge tauchen rotglühende Schmelztiegel und Arbeiter in Leder- oder Asbestkleidung auf. Heutzutage geht es jedoch auch mit kleinerem Aufwand. Jedes der oben genannten Metalle – Stahl, Aluminium, Messing, Bronze, Zink, Zinn – kann gegos-sen werden. Gießen bietet gegenüber einer mechanischen Bearbeitung wie Drehen oder Fräsen einen hohen Grad an formaler Freiheit. Es entstehen zudem physikalisch höchst belastbare Bauteile.
das Blech oder er presst dagegen und streckt so das Metall Bahn für Bahn. Das Verfahren ist noch sehr jung.
In einer Studie von 2007 bis 2010 des Bundesministeri-ums für Bildung und Forschung sowie des PTKA (Karlsruher Institut für Technologie) wurden die Möglichkeiten des Robo-formings untersucht. Dabei treibt ein an einem Industrie-roboterarm befestigter Dorn das auf einen Rahmen gespannte Blech in Form. Auf der anderen Blechseite bewegt sich spie-gelgleich ebenfalls ein Roboterarm, der eine Matrize hält, mit. So lässt sich das Blech sehr genau treiben. Sogar hinterschnit-tene Werkstücke sind denkbar. Diese Art der inkrementellen Blechumformung ist sehr präzise, allerdings ebenso komplex. Sie setzt eine immense Technologie voraus.
Dass es auch einfacher geht, beweist die Firma Beau-vary, ein Hersteller von Booten, Oldtimerteilen, Kunst- und Designobjekten. Die Firma fertigt Blechteile nach Auftrag in einem eigenen Verfahren. Das zu formende Objekt wird zunächst aus Plattenmaterialien wie MDF, Multiplex oder Kunststoff in 3D gefräst. Dazu bedarf es nur einer dreiachsigen Fräse, weil keine Hinterschnitte erzeugt werden können. Diese Holz-matrize wird auf dem Maschinentisch fixiert, darüber ein höhenverstellbarer Rahmen mit einer Blechtafel befestigt, die
langes, drechseleisenähnliches Drückwerkzeug, das so viel Kraft erfordert, dass er sich mit einem Gürtel an der Maschine angurtet. Das Verfahren lässt die Herstellung preiswerter Ein-zelstücke auf handwerklicher Basis zu.
Inkrementelle Blechumformung Die inkrementelle Blech-umformung ist eigentlich eine moderne Art des Ziselierens. Beim Ziselieren wird mithilfe von Punzen, Blech reliefartig bearbeitet. Meist wird ein Blech auf sogenanntes Ziselier-wachs aufgeklebt und darin erhitzt. Ist das Wachs erkaltet, lässt sich das Metall mit Hammer und Meißel treiben, ohne dass es reißt. Das zähe Wachs sorgt für die nötige Unterstüt-zung. Beim inkrementellen (schrittweisen) Verformen wird das Blech durch einen Dorn mit Halbrundspitze verformt. Der Dorn ist CNC-gesteuert. Entweder hämmert er eine Bahn in
bekanntes amerikanisches Fastfood-Unternehmen bietet seine heißen Apfeltaschen in sich nach diesem Faltprinzip selbst auswölbenden Verpackungen an. Diese Idee kann auf Möbel, Leuchten oder anderes übertragen werden.
Metalldrücken Das Handwerk des Metallbildners war frü-her das des Gürtlers. Der ursprüngliche Name bezieht sich wohl auf die mittelalterliche Herstellung von Gürtelschlie-ßen aus Blechen und Gussteilen. Dabei wurde das Material mit Hämmern und sogenannten Punzen (eine Art kleine Mei-ßel) gestreckt und getrieben, also dreidimensional verformt. Heutige Metallbildner verformen auch noch Bleche, haupt-sächlich zu rotationssymmetrischen Körpern. An speziellen Drehbänken werden rotierende Bleche kalt über eine Form gedrückt oder gezogen. Der Metallbildner benutzt dazu ein
GussteilAuswerferEinfüllöffnungSäulenführung
Werkstückform
Druckkolben
DruckkammerFormhälften
fest
GießenAusschmelzen(bei ca. 150°C)
Tauchen(in keramischeMasse)
Keramikschaleentfernen
Wachsmodell
Formträgerplattenbeweglich
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34 Metal le Bearbei tungstechniken 35
immer leicht schwingt. Hängebet ten sollen
schlaf fördernd sein.
Bis zur Verpackung ist das Konzept des zer-
legbaren Möbels durchdacht (unten).
Entwurf und Hersteller: Max Longin
Der Sandguss bietet die Möglichkeit, auch
im Unikat- und Kleinserienbereich Hohl-
körper zu gießen. Sogar Hinterschneidun-
gen sind möglich, wenn das eingebet tete
Modell aus einem Material besteht, das vor
dem Guss entweder ausgebrannt oder aus-
geschmolzen werden kann. Lagersitze und
Passungen werden nachträglich präzise
eingefräst. Auf diese Weise werden haupt-
sächlich Stahl, Aluminium oder Bronze
bearbeitet.
Kanäle, in denen Luft entweichen und überschüssige Schmelze aufsteigen kann. Anschließend bettet er das Ganze in Sand im sogenannten Formenkasten ein. Der mit einem Bindemit-tel versehene Sand ist sehr fein. Durch den Druck beim Ein-betten verbindet er sich zu einer homogenen Masse. Ist die Form fertiggestellt, muss das Modell noch aus geschmolzen oder ausgebrannt werden. Es gibt Modell materialien, die beim Eingießen der Schmelze rückstandslos verbrennen. Nach dem Guss lässt sich der Sand durch Rütteln oder Klopfen entfer-nen. Zurück bleibt das noch von Angüssen und Steigern zu befreiende Formteil.
Bearbeitung von Rohren und Prof i lenFür die Verformung von Rohren und Profi len gibt es spe-
zielle Dienstleister. Individuell gebogene Teile lohnen sich schon bei kleinen Aufl agen, denn Rohre bieten gute statische Eigen-schaften bei geringen Durchmessern. Rohre werden am prä-zisesten um eine Matrize, den Dorn, gebogen, den die Firmen allerdings nur in den gängigen Biegeradien vorrätig haben. Für besondere Radien und Profi le müssen eigene Werkzeuge hergestellt werden. Das sogenannte Rollenbiegen verwen-det die Umformtechnik, um größere Radien zu erzeugen. Dabei wird das Profi l zwischen drei versetzte, profi lierte, bewegli-che Walzen gespannt und vor- und zurückgewalzt. Durch die ständige Bewegung und die Veränderung der Walzenstellung wird der Radius erzeugt. Gestelle für eigene Tische, Regale und Sitzmöbel lassen sich schnell umsetzen.
Das nachfolgend erklärte Verfahren des Feingießens bie-tet sich für kleine Teile wie Scharniere und Griffe sowie Hal-terungen und Zierbeschläge an. Zunächst werden Modelle der Werkstücke angefertigt. Heute gibt es 3D-Drucker, die sol-che Modelle direkt aus Wachs produzieren können. Traditio-nell wird aus Holz, Kunststoff oder Metall ein Urmuster des zu gießenden Teils hergestellt, das noch einmal abgeformt wird. Aus der so gewonnenen Form können dann beliebig viele Wachsrohlinge gegossen werden. Die Rohlinge werden an ein längliches Wachsstück anmodelliert, das später den Gusskanal bildet. Das Ganze taucht der Gießer in eine Kera-mikmasse, Schlicker genannt. Um die Wandstärke zu erhö-hen, kommt noch eine Sandschicht um die Form. Ist die Form trocken, wird in einem Ofen das Wachs ausgeschmolzen. In die entstandene Höhlung (Kavität) kann nun das Metall gegos-sen werden. Um an das Gussteil heranzukommen, muss die Form vorsichtig zerschlagen werden. Das Arbeiten mit einer solchen verlorenen Form ist eine der ältesten Gussarten über-haupt. Ob der Gestalter von Hand nur ein Modell fertigt, oder die Modelle von einer Maschine gefertigt werden, spielt keine Rolle. Die Maßgenauigkeit ist so hoch, dass der Feinguss in vielen metallverarbeitenden Branchen wie dem Maschinen-bau oder der Schmuckindustrie zur Anwendung kommt. Das Verfahren eignet sich für Stückzahlen von einem bis einigen hundert Teilen.
Größere Bauteile werden meist im Sandguss gefertigt. So können der Fuß eines Bistrotischs, die Schwinge einer Park-bank oder ein Holzofen als Einzelstücke gefertigt werden. Das Modell versieht der Formenbauer durch Ankleben von Stä-ben mit Angüssen und Steigern. Beim Einfüllen der Schmelze in die Form entstehen Gase und Lufteinschlüsse, die verhin-dern können, dass die Form ganz ausgefüllt wird. Steiger sind
Das Bet t ›Float‹ besteht aus einem kombi-
nier ten Holz-Edelstahlrahmen. Solche Eck-
elemente können in Kleinserie von einem
Rohrbiegebetrieb nach eigener Vorgabe
bezogen werden. Seile sorgen dafür, dass
das Bet t im äußeren Rahmen hängend
Skulptural wirkt der aus Linde gefer tigte
Barstuhl-Prototyp. Das Edelstahlgestell
wurde aus handelsüblichen Rohren und
Stangenmaterialien von einem Schlosserei-
betrieb zusammengeschweißt. Der Stuhl ist
also vollständig handwerklich hergestellt.
Entwurf und Ausführung: Martin Spechten-
hauser (Fachakademie für Objektdesign
Garmisch-Partenkirchen, 2007)
Explosionszeichnung
Formstoff
Lauf
Platte
Oberkasten
Formstoff
Gussstück
Unterkasten
eingelegter Kern
Einguss
Speiser
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Stefan Diez 37
I N T E R V I E W
36
Der selbst tragende Rahmen erinnert auch
optisch an eine Karosserie.
Seit Jean Prouvé werden Sitzmöbel nur
noch selten aus Pressstahlrahmen her -
gestellt. Die klassische Domäne für dieses
Verfahren ist aufgrund der kostspieligen
Presswerkzeuge der Massenmarkt, insbe-
sondere die Automobilindustrie. Der Desig-
ner Stefan Diez fand in dem Hersteller Wilk-
hahn einen Auf traggeber, der das Potential
für den Sitzmöbelbau dieses Verfahrens
erkannte und umsetzte. Die Einzelteile
von ›Chassis‹ werden wie in der Automobil-
industrie gepresst und zusammengefügt.
Hersteller: Wilkhahn
STEFAN DIEZ
Automobiltechnologie im Möbelbau
Stefan Diez wurde 1971 in Freising geboren. Er absolvierte eine Schreinerlehre und verbrachte anschließend ein Jahr in Indien, wo er Möbel entwarf und baute. Von 1996 bis 2002 studierte er Industriedesign an der Stuttgarter Akademie der Bilden-den Künste. Dort arbeitete er als Assistent von Richard Sap-per, danach für den Designer Konstantin Grcic in München. 2003 machte er sich selbstständig. In München entwerfen er und sein Team unter anderem Möbel, Geschirr, Taschen und Ausstellungsgestaltungen. In den letzten Jahren hat sich Ste-fan Diez einen hervorragenden Ruf erarbeitet und gilt als einer der meistgefragten deutschen Designer.
Welche waren Ihre ersten Metallarbei-
ten? Die ersten Metallmöbel haben wir für Moroso gebaut (Hocker ›Bent‹). Ziem-lich zeitgleich kam die Arbeit für Schön-buch (Garderobenmöbel ›Upon‹). Als das Morosomöbel erschien, hatte es eigentlich schon eine siebenjährige Geschichte. Das Prinzip gab es vorher schon als Faltvariante aus einem Dreischichtmaterial für Flötotto, davor haben wir es für eine belgische Firma aus Karton realisiert – und davor war es eine Studentenarbeit, die ich zusammen mit einem Freund entwickelt habe. Wir waren damals sicherlich sehr früh dran mit solch facettierten Formen. Das lag bestimmt auch an der CAD-Technik, die es ermöglichte, solche komplexen Abwicklun-gen zu realisieren. Richtig bequem war das Möbel noch nicht, aber die Formensprache war ästhetisch spannend. Für Flötotto ver-suchten wir, das Prinzip in Kunststoff als Kinder- und Jugendmöbel aufzulegen. 2006 habe ich die Methode noch einmal für das Ideal House auf der Möbelmesse in Köln in Metall umgesetzt. Durch die perfo-rierten Biegekanten kann ›Bent‹ von Hand gefaltet werden.Wie entstand die Idee, für den Stuhl
›Chassis‹ ein Produktionsverfahren
(Blechtiefziehen) in die Möbelbranche
zu integrieren, das heute im Wesent-
lichen im Automobilbereich Verwen-
dung findet? Immerhin ist es eins der
Verfahren, das die größten Anfangs-
investitionen voraussetzt. War der Her-
steller Wilkhahn sich sicher, das wie-
der reinzuholen? Wir haben Stahlblech schon ein paar Mal verwendet. Für Schön-
buch hatten wir versucht, über konventio-nelle Biege- und Streckverfahren Möbel zu machen. Es ist immer wichtig, als Designer ein Gefühl für ein Verfahren oder Material zu haben.Dann kam das ›Chassis‹-Projekt. Die Firma Wilkhahn ist groß genug, um in Werkzeuge investieren zu können und diese Kosten über große Stückzahlen zu amortisieren. Viele kleinere Firmen können nicht in Werk-zeuge investieren, das heißt, ein Hersteller kann sich damit von anderen absetzen und sehr viel moderner produzieren. Metall hat uns interessiert, weil es viele Vorteile bietet. Metalltiefziehstrukturen sind sehr leicht, weil sie statisch nur über die Oberfläche funktionieren. Sie beschreiben ein Volu-men, aber sie füllen es nicht aus, wie bei-spielsweise ein Guss. Durch das Strecken ändert sich das Gefüge im Blech, es wird zäher, härter, was zu stabilen Strukturen führt. Tiefziehteile können mit Laser geschnitten und weiterbearbeitet werden. Ein Kunststoffmassenprodukt kommt im Allgemeinen unabänderlich aus der Form heraus, es hat eine Form, eine Farbe und eine Struktur. Die geprägten Blechteile jedoch werden erst noch zu einem »Chas-sis« zusammengefügt. Wir können den Stuhl weiterleben lassen, indem wir die Module verändern, nicht das Ganze. So kann er zum Freischwinger oder Armlehn-stuhl werden. Das hat Wilkhahn konzeptio-nell überzeugt. Der Stuhl war letztendlich wirtschaftlich herstellbar. Es hat allerdings eine ganze Weile gebraucht, bis wir einen Zulieferer gefunden haben, weil bei Wilk-hahn keine Tiefziehtechnologie vorhanden war.Haben Sie sich das designerische Tief-
zieh-Know-how selbst erarbeitet?
Natürlich hatten wir das zunächst nicht und haben fast eineinhalb Jahre gebraucht, um jemanden zu finden, der uns konkret weiterhelfen konnte. Grundsätzlich war der Stuhl nach einem halben Jahr fertig ent-worfen. So wie wir uns das vorstellten, wäre er aber nicht stabil gewesen. Da hat der Zulieferer weiter geholfen.Vielleicht noch etwas Grundsätzliches zum Know-how. Früher wäre eine Produkt-entwicklung wahrscheinlich einfacher gewesen, weil die Designer enger mit den Herstellern zusammenarbeiteten. Die Her-steller wussten, was geht und was nicht.
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38 Stefan Diez
I N T E R V I E W
Stefan Diez 39
I N T E R V I E W
Für das Garderobenmöbel ›Upon‹
wird gelasertes, gekantetes und pulver-
beschichtetes Blech verwendet.
Hersteller: Schönbuch
Entwurf: Stefan Diez und Christophe
De La Fontaine
Hersteller: Moroso
Jedes Möbel aus der Serie ›Bent‹ wird aus
einer Aluminiumplat te hergestellt. Entlang
der perforier ten Kante werden die Plat ten
umgekantet.
einer überschaubaren Zahl von Projekten und Mitarbeitern. Es ist ein wenig wie ein Ballspiel: Ich werfe einen Ball und bekomme ihn leicht verändert wieder zurück. Dann bin ich wieder gefragt, das klappt ganz gut.Welche Frage in Bezug auf Design
sollte endlich einmal jemand an Sie
stellen? Im Allgemeinen finde ich, dass die Medien zu oberflächlich mit dem Thema Design umgehen. Es hat dort nicht den Stellenwert von Mode, Theater, Litera-tur oder Architektur. Design verdient mehr, auch mehr kritische Auseinandersetzung. Es ist paradox – im Gegensatz zu den eben genannten Bereichen bietet es viel mehr gesellschaftliche Schnittstellen, weil jeder damit konfrontiert ist oder seinen Lebens-stil über Produkte definiert. Man könnte Design sehr viel komplexer definieren, als wir es in der Regel tun. Mehr kritische Fra-gen würden mich interessieren. Alle finden, dass das Schreiben über Design langweilig ist, dabei werden einfach die falschen Fra-gen gestellt.
Welches Produkt würden Sie gerne
einmal machen? Es gibt noch viel zu tun. Wir haben bisher nichts mit Licht gemacht, wir fangen an, uns mit Räumen zu beschäftigen. Es gibt die Zusammenar-beit mit Saskia (Saskia Diez, Schmuckdesig-nerin), die Themen Textil, Mode, Taschen-design mit Bree … Als Büro versuchen wir, verschiedene Richtungen zu bedienen. Man muss nur aufpassen, sich nicht zu verzetteln.Halten Sie Stil bzw. Handschrift für
wichtig oder sehen Sie Designer als
Dienstleister? Wir sind kein Dienstleis-terbüro. Man muss sich entscheiden, ent-weder als Dienstleister oder sozusagen als Autorendesigner zu arbeiten. Beides hat Vor- und Nachteile. Für Entwürfe wie eine Herzlungenmaschine oder irgendeines Gartenstuhls, wie es jüngst von einem gro-ßen Außenmöbelhersteller angefragt wurde, sind wir ungeeignet. Wir generieren Mehrwert an einer Stelle, die für eine sol-che Kundschaft gar nicht erkennbar ist. Wir möchten Geschichten erzählen, das hat nur dann Wert, wenn die Menschen sie auch verstehen. Unsere Handschrift ist die Geschichte. Jedes Produkt bekommt eine eigene, wir haben keinen formalen Ansatz. Ich will nicht der Designer-Popstar sein, der über alles seine formale Handschrift legt.Wie verteilen Sie die Arbeit auf Ihre
Mitarbeiter? Wir sind ein kleines Büro, arbeiten in kleinen Teams, und ich bin dabei eher der Springer. Das funktioniert nur bei
schen, denen es wichtig ist und die es sich leisten können, etwas Einzigartiges zu haben. Eine der Kehrseiten der Globalisie-rung ist es, dass man in jeder Shoppingmall dieser Welt die gleichen Produkte findet! Besonders gravierend erscheint mir das in den asiatischen Ländern, die sehr marken-geprägt sind. In Europa ist man weiter, mit den kleinen Labels und »concept stores«. Da kommt das Rapid Prototyping ins Spiel, das kleinere Auflagen ermöglicht.Wer oder was hat Sie als Designer am
meisten geprägt? Die Zusammenarbeit mit Thonet am Barstuhl ›404 H‹ war wich-tig, weil sie mir vor Augen geführt hat, was es bedeutet, als Designer zur Jahrtausend-wende zu arbeiten. Im Gegensatz zur Nach-kriegsgeneration – Designer wie Achille Castiglioni, die unsere Vorbilder sind – arbeiten wir nicht mehr »auf der grünen Wiese«, sondern sind vielmehr mit Lücken-füllen beschäftigt, es ist ja alles schon sehr voll. Für eine 180 Jahre alte Firma wie Tho-net ein Produkt zu entwerfen ist nicht das Gleiche wie ein erstes Produkt für eine junge Firma. Ich war dabei viel mit dem Rückwärtsschauen beschäftigt, was ich als Chance und nicht als Problem gesehen habe. Damals habe ich begriffen, dass es wichtig ist, den ganzen Prozess zu entwer-fen, weil man erst dadurch Freiheit erlangt. Wichtig war für mich auch die Arbeit für Konstantin Grcic und Richard Sapper als Lehrer – insbesondere die Zeit, die ich als Assistent für ihn gearbeitet habe.
den Prozess mit, kann man sich auf die Typologien konzentrieren.Was nimmt aktuell am meisten Einfluss
auf das Möbeldesign? Technologie,
Mode Ökologie, Globalisierung?
Ökologie spielt sicherlich eine Rolle, weil das Thema Rohstoffe in der Gesellschaft angekommen ist. Man möchte sich am liebsten mit Produkten umgeben, die dem-entsprechend gestaltet sind. Ansonsten weiß ich nicht, was ein wichtiger Einfluss sein könnte. Leichtbau oder Rapid Prototy-ping vielleicht?Welche Designströmung halten Sie
zurzeit für die spannendste? Über Galerien Produkte zu verkaufen, das halte ich für eine ernstzunehmende Strömung. Zum einen gibt es viele Designer, die ein Ventil für ihre Ideen brauchen. Dafür ist der klassische Hersteller, dem es um Serienher-stellung und Mengen geht, nicht immer der richtige Ansprechpartner. Wenn jeder Mengen herstellt, »ersaufen« wir in Pro-dukten. Darum sind Galerien interessant, wo es limitierte Auflagen gibt. Dort ist das Produkt an sich eine Besonderheit, und der Designer hat ein Geschäftsmodell, da er angemessen bezahlt wird. Es gibt Men-
Die beschnit tene Blechtafel vor dem Press-
vorgang. Aus dem Material der Ausschnit te
werden ebenfalls Teile des Stuhls produziert.
oder sich nicht weiterentwickelt. Ganzheit-lich gedachte Produkte können nur noch wenige Firmen umsetzen. Wilkhahn ist den Weg mitgegangen und hat das Experiment mitgetragen. Ein kleines Wunder, bei den hohen Werkzeugkosten.Was ist für Sie im Möbelbau essentiell?
An einem Möbel kann man sehr gut eine Art DNA entwickeln, in der sich Design-ideen oder -auffassungen konzentrieren, ähnlich wie bei einer Zwiebel. Zurzeit ver-suchen wir, das Ganze auf den Innenraum auszudehnen. Möbel können eine Brücke sein, den Raum zu interpretieren. Als Büro haben wir uns die Fähigkeit erarbeitet, alles sehr genau zu hinterfragen und im Grunde genommen den Produktionsprozess mitzu-gestalten. Das gibt uns die Freiheit, eine eigenständige Produktsprache zu entwi-ckeln. Bei ›Chassis‹ zum Beispiel haben wir das so gemacht. Der Stuhl ist unaufgeregt, wir mussten nicht gegen das Material arbeiten und konnten die nächstliegende formale Umsetzung wählen. Wenn man nicht Standardprozesse zum zigtausends-ten Mal wiederholen muss, erhalten die Produkte eine Leichtigkeit und Lässigkeit, die man sonst nicht erreicht. Entwirft man
Seit etwa 20 Jahren werden Produkte glo-bal zusammengestellt. Die einzelnen Kom-ponenten kommen von den verschiedens-ten Zulieferern. Der Hersteller baut oft nur noch zusammen, wenn überhaupt. Die Beziehungen zu den Lieferanten sind recht locker und richten sich nach Preis und Qua-lität. Da die Hersteller nicht selber produ-zieren, ist ihr Engagement für neue Techno-logien eher gering. Sie müssten dann näm-lich investieren und das Wissen nach außen geben – das macht keiner. Darin liegt die Problematik für Designer. Wir können immer weniger auf die Fachkenntnis der Kunden bauen, sondern müssen unseren Horizont selber erweitern. Einerseits kön-nen Designer heute auf eine Vielzahl von Technologien und Materialien zurückgrei-fen, andererseits will keiner investieren. Denn die Investition steckt am Ende in einem Unternehmen, das dem Produzen-ten nicht gehört.Leider ist das, was Design auch ausge-macht hat, nämlich die Zusammenarbeit mit den Ingenieuren, immer mehr in den Hintergrund getreten. Deshalb werden immer die gleichen Verfahren verwendet. Das ist fast ein Kulturgut, das verlorengeht
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KunststoffeWir alle kennen sie, die weißen Stapelstühle aus Plastik. Sie stehen vor Eisdielen, auf Campingplätzen oder im Garten. Meist nicht gerade eine Zierde, gelten diese Stühle als billig und minderwertig. Zu Unrecht. Aus der Sicht von Designern, Formenbauern und Statikern sind sie kleine technische Kunst-werke. Mühelos lassen sie sich ineinanderschieben, trotz mini-maler Materialdicken entstehen durch Faltungen oder Rip-pen stabile, leichte Gebilde.
Das Imageproblem dieser Stühle und damit auch des Materials besteht in der kostenoptimierten Herstellung. Gespart wird bei Qualität und Quantität des Materials. Geringe gestal-terische und technische Maßnahmen würden ausreichen, die Möbel zu verbessern. Doch scheint das nicht im Sinne der Hersteller zu liegen. Die Eigenschaften eines Kunststoffs las-sen sich heute chemisch punktgenau einstellen. Der Produ-zent kann genau vorausberechnen, wann ein Stuhl so ver-sprödet sein wird, dass er zu Bruch geht. Diese Möbel sind bauartbedingt nicht reparabel und müssen daher ersetzt wer-den, was wiederum Umsatz garantiert. Es gibt viele solche Produkte, die aus einem hochwertigen Material schnell Abfall
werden lassen – mit der daraus resultierenden Umweltpro-blematik.
Wenn in diesem Kapitel von Kunststoffen im Möbelbau die Rede ist, stehen die individuelle und die Kleinserienferti-gung im Fokus. Komplexe Informationen über Makromole-küle sind außer Acht gelassen, der Schwerpunkt liegt auf Materialeigenschaften, Wirtschaftlichkeit sowie den gestal-terischen Möglichkeiten.
Zwei Faktoren haben die Möbelbauer kleiner Serien bis-her abgeschreckt: Zum einen gelten Kunststoffteile als teuer, da erst aufwendige Stahlformen hergestellt werden müssen. Zum anderen wird Kunststoff mitunter als fragiler, minder-wertiger, unedler Ersatzstoff gesehen. Beides stimmt schon lange nicht mehr. Moderne Herstellungsmethoden haben den Formenbau für Serienprodukte enorm vergünstigt.
Der Trend zur Produktindividualisierung, kurze Produkt-zyklen und Entwicklungen in Branchen wie der Medizintech-nik mit geringen Stückzahlen haben dazu geführt, dass sowohl alternative Herstellungsverfahren als auch neue Materialien gefunden wurden.
Wird eine Ket te an zwei Punkten aufge-
hängt, so entsteht eine spezielle Kurve,
Ket tenkurve genannt. Der katalanische
Architekt Antoni Gaudí verwendete Modelle
mit hängenden Ket ten, die in umgekehrter
Form die statisch stabilsten Kurvenverläufe
für seine Gebäude zeigten. Inspirier t von
dieser Methode, entwickelte der Designer
Bram Geenen seinen ›Gaudi Chair‹. Das
Grundgerüst wird im Stereolasersinter-
ver fahren von ›Freedom of Creation‹ herge-
stellt und anschließend mit einer dünnen
Carbonfaserauflage beplankt, die von dem
Carbonspezialisten ›Ceemo Design‹ gefer-
tigt wird. Das Finish übernimmt Studio
Geenen selbst.
Entwurf: Bram Geenen/Studio Bram Geenen
Luigi Colani während seiner Retrospektive
2004 in Karlsruhe mit Kunststof fmöbeln der
1960er/70er-Jahre.
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42 Kunsts tof fe Kunsts tof far ten 43
setzt, beispielsweise für Bürodrehstuhlkinematiken. Es lässt sich sehr gut mechanisch bearbeitet. Neben einer hohen Ver-schleißfestigkeit besitzt Polyamid eine ausgezeichnete Che-mikalienbeständigkeit. Als Besonderheit muss jedoch erwähnt werden, dass das Material bis zu einem gewissen Sättigungs-punkt Wasser aufnimmt. Erst durch eine Konditionierung in Klimakammern nimmt das Material eine definierte Menge Feuchtigkeit auf und erreicht seine Eigenschaften. Unter dem Namen Nylon ist es vor allem als Kunstfaser bekannt. Im Möbel-bau werden hoch belastbare freitragende Armlehnen, Lager-schalen sowie Bürodrehstuhlchassis aus Polyamid hergestellt. Einzelteile lassen sich effizient aus den erwähnten Roh teilen herstellen. Der Spritzguss mit diesem Material lohnt je nach Bauteil erst ab 1000 Stück.
Polyvinylchlorid (PVC) gibt es ebenfalls in Form von Halb-zeugen sowie als Granulat. Es lässt sich problemlos verar-beiten. In seiner elastischen Form bezeichnet man es als Weich-PVC, das es in Form von Schläuchen und Folien gibt. Die Folien können durch Verschweißen der Nähte zu aufblasbaren Möbeln verarbeitet werden. Weich-PVC lässt sich auch hervorragend nähen. Thermisch wie mechanisch besitzt PVC im Gegensatz zu Polyamid nur mittelmäßige Eigenschaften, ist aber gegen Umwelteinflüsse dauerhaft resistent. Sein niedriger Preis macht es zu einem Massenkunststoff. Unter ökologischen Gesichtspunkten problematisch sind die Herstellung, bei der eine große Menge Dünnsäure anfällt, sowie die Entsorgung. Wird PVC unsachgemäß verbrannt, entstehen giftige Dioxine.
Polymethylmethacrylat/Acrylglas (PMMA) zeichnet sich durch außergewöhnliche Transparenz, sehr gute Witterungs- und Alterungsbeständigkeit, hohe Oberflächenhärte, Kratz-festigkeit und problemlose Bearbeitbarkeit aus. Es kann her-vorragend gesägt und gefräst werden. Verwendet wird PPMA zum Beispiel als Leuchtenabdeckung im Innen- und Außen-bereich, für Bauteile wie Lichtkuppeln, Trennwände, Türver-glasungen oder Überdachungen. In der Möbelbranche gibt es einen eigenen Zweig, der Acrylglasmöbel herstellt.
Polystyrol (PS) existiert in den klassischen Halbzeugvari-anten und wohl jeder von uns hat es täglich in Händen: Es ist »der« Kunststoff für Verpackungen. Zu erwähnen sind seine
Architektin Zaha Hadid, die Mineralwerkstoffe als gestaltprä-gendes Stilmittel im individuellen Möbelbau einsetzt.
Bis heute haftet dem Begriff »Plastik« etwas Negatives an, obwohl die modernen Hochleistungspolymere es in ästhe-tischer und mechanischer Sicht mit anderen Werkstoffen auf-nehmen können. Ehemalige Billigkunststoffe wie Nylon (PA) sind heute begehrte Rohstoffe. Es gibt sogar ein börsennotier-tes Unternehmen (Poly-Pacific), das Mülldeponien ausbeuten will, in denen größere Mengen Polyamid vermutet werden.
Kunststof far ten
Um den Einsatz von Kunststoffen für die innovative Gestal-tung in Erwägung ziehen zu können, bedarf es einiger grund-legender Kenntnisse über deren Eigenschaften und Verarbei-tung. Für die Planung und Ausführung von Details gibt es eine Vielzahl von Dienstleistern. Kunststoffe lassen sich auf vielerlei Arten formen: spritzen, sägen, schäumen, blasen, gie-ßen, prägen, fräsen, schnitzen, falten, kleben … Die wichtigs-ten Verfahren werden im Folgenden vorgestellt, einige davon können sogar selbst durchgeführt werden. Man unterschei-det drei Kunststoffkategorien: Thermoplaste, Duroplaste und Elastomere.
ThermoplasteThermoplaste lassen sich unter Einsatz von Wärme
verformen oder verflüssigen. Zuschlagsstoffe wie Ruß, Mine-ralien, Weichmacher oder Glasfasern können die Ein satz mög-lichkeiten erheblich beeinflussen. Neben den »reinen« Thermo-plasten gibt es sogenannte Blends, also Mischungen. Alle Werk stoffe können prinzipiell wieder eingeschmolzen wer-den, wenn sie verbraucht oder defekt sind. Allerdings führen Alterungsprozesse und Verunreinigungen dazu, dass aus einem wiederverwendeten Kunststoff immer nur ein etwas minder-wertigeres Material entstehen kann. Die wichtigsten Ther-moplaste sind Polyamid, Polyvinylchlorid, Polymethyl methacrylat/Acrylglas und Polystyrol.
Polyamid (PA) ist in Form von Platten, Stäben, Rohren und als Granulat zum Spritzgießen erhältlich. Polyamid gilt als technischer Kunststoff, es wird gerne im Getriebebau einge-
ten Weltkriegs althergebrachte Materialien wie Metall, Holz oder Kork durch Kunststoffe. Einen deutlichen Schub erhielt die Polymerentwicklung vor und während des Zweiten Welt-kriegs, beginnend in Deutschland, das von wichtigen Rohstof-fen wie Kautschuk und Erdöl abgeschnitten war. Von den Machthabern wurde die chemische Industrie stark gefördert, ja regelrecht unter Druck gesetzt. Die Chemiker entwickelten alternative Materialien und erarbeiteten damit einen wich-tigen Teil der Grundlagen heutiger Kunststofftechnologie, zum Beispiel Buna-S Kunstkautschuk, Perlon, Polystyrol, PVC, Acryl-glas, Phenol/Melamin-Schichtstoffplatten.
Auch andere Nationen entwickelten in dieser Zeit bedeu-tende Kunststoffe, die bis heute eine Rolle spielen: Aus den USA stammen Polyamid (Nylon), Polyester und GFK (Glas-faserkunststoff), aus England Polyethylen.
Einige Designer, die später sehr bekannt wurden, Charles Eames sei hier stellvertretend genannt, profitierten von den allgemeinen Erfahrungen mit Kunststoffen während des Kriegs. Eames entwickelte bereits 1940 zusammen mit Eero Saari-nen einen mit Polyurethanschaum gepolsterten Stuhl, den berühmten ›Organic Chair‹, der formal spätere Kunststoff-entwürfe vorwegnahm. Für seinen Entwurf ›La chaise‹ ver-wendete er 1948 glasfaserverstärkten Kunststoff, ein bis dahin nur an Militärflugzeugen und Radarschirmen verwendetes Material.
Die Nachkriegszeit war bestimmt von Mangel und Kunst-stoff ein Ersatzstoff, oft in minderwertiger Qualität. Da Stahl teuer war, entstanden in der Automobilindustrie sogar Karos-serien aus Kunststoff. Gestalter und Künstler entdeckten den Kunststoff für sich: Niki de Saint Phalle (›Nanas‹), Eero Saari-nen (›Tulpenstuhl‹ und ›Tulpentisch‹), Verner Panton (›Pan-ton Chair‹). In der DDR kleidete eine Duroplastkarosserie bis 1991 das legendäre Automodell Trabant. Mit dem Wirtschafts-wunder der 1950er-Jahre kam eine wahre Schwemme an Plas-tikspielzeug.
In den 1970ern entwickelte Luigi Colani Kunststoff-Liege-möbel, von denen es manche aufgrund der komplexen Her-stellung nur bis zum Prototypenstadium schafften. Noch immer muten diese Entwürfe zeitgemäß an, gut proportioniert und dynamisch, besonders wenn man bedenkt, dass sie ohne die heute übliche Computertechnologie entstanden sind. Ähnlich stromlinienförmig, aber computerbasiert sind die Entwürfe der
Geschichte und Entwicklung
Die Geschichte der Kunststoffe nimmt ihren Anfang mit der fortgeschrittenen Entwicklung der organischen Chemie Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Wesentlichen gelang es den Chemikern, die Moleküle organischer Ausgangssubstanzen zu Makromolekülen zu verwandeln. Aus diesen Molekülen bilden sich lange Ketten, die zu Polymeren werden. Daher wer-den Kunststoffe auch als Polymere bezeichnet, was aber nicht ganz korrekt ist. Lacke und Lösungsmittel bestehen ebenfalls aus Polymeren, sind also auch Kunststoffe.
Bereits um 1870 wurde das Zelluloid erfunden. Die Horn und Bein verarbeitenden Gewerke nahmen das neue Mate-rial begeistert auf. Es konnte beliebig eingefärbt und marmo-riert werden und verzog sich nicht unter Feuchtigkeitsein-fluss. Als Intarsienwerkstoff fand es im Möbelbau Verwendung. In seinem Buch über Kunststoffe, die ›Zehntausend-Dollar-Idee‹, berichtet Udo Tschimmel, wie Zelluloid dazu beitrug, die Ausrottung der Elefanten zu verhindern, denn es ersetzte die elfenbeinernen Billardkugeln. Im 19. Jahrhundert war Bil-lard ein sehr verbreitetes Spiel.
Zu Anfang des 20. Jahrhunderts verwendete die Indus-trie für stabile, belastbare Produkte hauptsächlich das 1905 erfundene Bakelit, den ersten voll synthetischen Massenkunst-stoff. Als Basismaterial zur Herstellung verwendete man haupt-sächlich Teer, ein Nebenprodukt der Koksproduktion. Durch Polykondensation wird daraus ein Phenolharz hergestellt, das zusammen mit den anderen Bestandteilen wie Textilfasern, Steinmehl und Holzraspel unter Wärmeeinfluss mit Druck in Formen gepresst wird. Dort härtet die Masse aus, und es ent-steht das Bakelit, ein höchst dauerhaftes Material.
Bekannte Produkte aus Bakelit entwarf zum Beispiel der »Stromlinien«-Designer Raymond Loewy. Seine Art-Deco-Radios der 1930er- und Fernsehgeräte der 1940er-Jahre waren eher Möbel als K