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Prof. Dr. Niclas SchaperVorlesung Arbeits- und Personalpsychologie
Lehrstuhl für Arbeits- und OrganisationspsychologieUniversität Paderborn
Belastung und Beanspruchung Stress und Gesundheitsförderung 28-11-06
Thema der heutigen Stunde:
• Belastung und Beanspruchung– Belastungs-/Beanspruchungskonzept– Arten von Arbeitsbelastungen– Fehlbeanspruchungen
• Stress und Gesundheitsförderung– Modelle der Stressentstehung– Rolle von Ressourcen im Stressgeschehen– Maßnahmen der Verhaltens- und Verhältnisprävention
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Ziele der Arbeitspsychologie in Bezug auf Gesundheit und Wohlbefinden des arbeitenden Menschen
• Erhalt der Gesundheit und des körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens des arbeitstätigen Menschen durch
– Abbau beeinträchtigender Belastungen– Förderung personaler und organisationaler Ressourcen zur
Gesundheitssicherung– Strategien zur Prävention von Mobbing, Burnout, Arbeitssucht und
Alkoholismus
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Belastungs-Beanspruchungskonzept
Definitorische Bestimmungen: • Belastungen sind objektive von außen auf den Menschen einwirkende
Größen und Faktoren• Beanspruchungen sind die subjektiven Folgen derartiger Belastungen
Belastung (Stress/Stimulus)
Blech Beanspruchung(Strain/Reaktion)
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Belastungs-Beanspruchungskonzept: Übertragung auf die menschliche Arbeitstätigkeit
• Die Beanspruchung der Muskulatur eines Arbeiters durch Hebe- und Haltetätigkeiten ist abhängig von – dem Gewicht der umzusetzenden Lasten– der Dauer der Tätigkeit– der Muskelkraft des Arbeiters– seiner Geschicklichkeit beim Umsetzen der Lasten
• interindividuell unterschiedliche Beanspruchungen: aus objektiv gleichen Belastungen können in Abhängigkeit von den Fähigkeiten, Fertigkeiten und der Motivation des arbeitenden Menschen unterschiedliche Beanspruchungen resultieren
• intraindividuell unterschiedliche Beanspruchung: bei ein und derselben Belastung kann in Abhängigkeit von den im Zeitverlauf sich ändernden individuellen Voraussetzungen die Beanspruchungen innerhalb einer Person unterschiedlich ausfallen
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Beispiele für quantitative und qualitative Belastungen aus Industrie und Dienstleistungsbereich
Belastungen quantitative qualitative
körperliche
informatorische
psycho-soziale
KörperhaltungGewichte, Lärm, Strahlung
Anzahl aufzuneh-mender Informationen
Art der Informationen (Zahlen, Symbole, Grafiken)
Anzahl der Kundenoder Patienten
Kundenverhalten
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Arbeitsbelastung an Arbeitsplätzen in Deutschland (Jansen, 1993)
Regelmäßig oder häufig kommen vor WestdeutscheArbeitnehmer
AusländischeArbeitnehmer
Lasten (mehr als 20kg) heben oder tragenunter Lärm arbeitenRauch, Staub, Gase, DämpfeKälte, Hitze, Nässe, ZugluftÖl, Fett, Schmutz, Dreckkörperliche Zwangshaltungbesondere Sicherheitsvorkehrungen, gefährliche StoffeNachtarbeit (zwischen 23 u. 5 Uhr)Wechselschichtnichts davon
38%26%27%18%26%22%23%16%
11%16%
49%37%38%36%36%21%
15%33%
45% 20%
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Arbeitsbedingungen (Durchschnittlicher Skalenmittelwert für N= 1450 Befragte aus der Automobil- und Zulieferindustrie)
Ich fühle mich bei meiner Arbeit belastet durch....
0 1 2 3 4 5 6
Kälte
Lichtverhältnisse
einseitige Körperhaltungen
Kontrolle
große körperliche Anstrengung
Hitze
Lärm
trifft überhaupt nicht zu
Trifft völlig zu
Zeitdruck
hohe Verantwortung
chemische Arbeitsstoffe
Taktbindung
Eintönigkeit
Schwingungen/Vibrationen
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Reaktionsorientierter Ansatz der Stressentstehung (Selye, 1983)
• Stress ist eine unspezifische Reaktion eines Organismus bei seiner Anpassung an erhöhte äußere oder innere Anforderungen
• Stress kann wirken als Eustress oder Distress
• Abfolge von Reaktionen beim Distress:– Alarmreaktionen (Kampf oder Flucht) – Widerstands- und Anpassungsreaktionen
(hohe physiologische Erregung bei anhaltendem Stressor)– Erschöpfungszustand
• Physisch: Vergrößerung der Nebennierenrinde, Bluthochdruck
• Psychisch: Hilflosigkeitsreaktionen, Depressivität
• Kritik: Dieser Ansatz bietet keine Ansatzpunkte für die Stressprävention
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Reaktion des Körpers auf Stress
Stressauslösende Situationen
SympathikusHypothalamus
Hypophyse ACTH
Nebennierenrinde:Glukokortikoide
Wirkung:(vor allem langfristig bei Dauerstress)
• Infektanfälligkeit• Schlafstörungen• Spannungskopfschmerz• Konzentrationsstörungen
Nebennierenmark:Adrenalin & Noradrenalin
Wirkung:(kurzfristig)
• Herzfrequenz steigt• Blutdruck steigt• Bronchialerweiterung• Muskeldurchblutung steigt• Denken erschwert
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Reiz- bzw. anforderungsorientierter Ansatz der Stressentstehung
• Stress entsteht durch das Auftreten bestimmter Umfeldstimuli oder Lebensereignisse (z.B. Scheidung)
• Im arbeitsbezogenen Kontext tritt Stress auf, wenn Stressoren folgender Art vorliegen:– Physikalische Stressoren (z.B. Lärm, Dreck, unangenehme Gerüche)– Arbeitsorganisatorische Stressoren (z.B. Schicht-, Akkordarbeit,
Zeitdruck, Einführung neuer Technologien)– Soziale Stressoren (z.B. zwischenmenschliche Ärgernisse,
Konflikte/Spannungen der Mitarbeiter untereinander)
• Kritik: Bei diesem Ansatz bleibt unberücksichtigt, wie die Stressoren vom Individuum subjektiv bewertet werden und welche Reaktionen sie in Abhängigkeit von den individuellen Bewältigungsstrategien hervorrufen
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Kognitiver Ansatz zur Stressentstehung nach Lazarus (1999)
• Stress entsteht durch ein Zusammenspiel von Personfaktoren und äußeren Anforderungen (z.B. Prüfungen) und zwar dann, wenn diese die Anpassungsfähigkeiten der Person sehr hoch beanspruchen oder übersteigen
• Der subjektiven Wahrnehmung und kognitiven Bewertung der Inkongruenz zwischen den Anforderungen und den persönlichen Fähigkeiten kommt dabei eine zentrale Rolle zu
• Primary appraisal: Zunächst wird das aktuelle Geschehen im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Person bewertet. Stressrelevant sind die Bewertung der Situation als – Schädigung/Verlust– Bedrohung– Herausforderung
• Secondary appraisal: In einem zweiten Schritt bewertet die Person ihre Bewältigungsfähigkeiten und –möglichkeiten. Davon hängen die Bewältigungsmaßnahmen ab: Resignation oder aktive Bewältigung
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Prozessschema zum kognitiven Ansatz der Stressentstehung
Primäre Bewertung der Stressoren
Sekundäre Bewertung von Bewältigungsfähigkeiten
und -möglichkeiten
Problembezogene Bewältigung
Emotionsbezogene Bewältigung
z.B. Ablenkung, kognitive Umbewertung, Medikamente
z.B. sich aktiv wehren, alterna-tive Problemlösungen suchen
Schädigung
Bedrohung
Herausforderung
Materielle Ressourcen
Persönliche Ressourcen
Soziale Ressourcen
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Kognitiver Ansatz zur Stressentstehung
• Negative Stressreaktionen nach Lazarus:– Motivational: Resignation, Aufgeben– Kognitiv: Verlust der Fähigkeit zur Lösung von Problemen,
Sich-im–Kreise-Drehen– Emotional: Traurigkeit, Depressivität
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Stress durch Beeinträchtigung der Handlungsregulation
• Um eine Arbeitsaufgabe erfolgreich und „stressfrei“ zu erfüllen, muss folgendes bekannt sein:
– das Ziel des Arbeitshandelns – die zielführenden Operationen, welche vom Arbeitenden beherrscht
werden und mit hinreichender Sicherheit zum Ergebnis führen
• Stressoren können die Erfüllung von Arbeitsaufgaben bzw. das Erreichen des Handlungsziels beeinträchtigen und die Regulationskapazität des Mitarbeiters überschreiten
• Handlungsbezogene Stressoren:– zusätzlicher Regulationsaufwand durch
• Regulationshindernisse• Regulationsüberforderungen• Regulationsunsicherheit • Zielunsicherheit
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Beeinträchtigung der Handlungsregulation (Semmer, 1984)
Regulationsüberforderungen- z.B. durch Zeitdruck
Regulationshindernisse- z.B. durch Handlungsunterbrechungen
Zusatzregulation
ZielunsicherheitRegulationsunsicherheit
Bei langer Dauer bzw.Intensität
Rollen-konflikte
Rollen-ambiguität
UnklaresFeedback
QualitativeÜberforderung
Gefahr(Unfall)
Gefahr(Schaden)
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Folgen von Stress
ReaktionsebeneKurzfristige Stressreaktionen Langfristige Stressreaktionen
physisch/ somatisch
• Erhöhte Herzfrequenz• Blutdrucksteigerung• Adrenalinausschüttung
• Psychosomatische Beschwerden
• Organische Krankheiten
psychisch • Anspannung• Frustration/Ärger• Gereiztheit• Ermüdung
• Ängstlichkeit• Depressivität• Burnout• Arbeitsunzufriedenheit
verhaltens-bezogen
• Leistungsschwankungen• Fehler• Schlechte Bewegungs-
koordination
• Nikotinkonsum• Alkohol-, Tablettenkonsum• Fehlzeiten
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Ressourcen und ihre Rolle im Stressgeschehen
• Die Frage nach den stressauslösenden bzw. krankmachenden Faktoren muss ergänzt werden um die Frage nach der Salutogenese: – Was erhält Menschen trotz Belastungen gesund?
• Gesundheit ist auch abhängig von der Verfügbarkeit und der Nutzung von gesundheitsschützenden bzw. wiederherstellenden Faktoren in der Person und in der Umwelt, die als innere und äußere Ressourcen bezeichnet werden.
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Organisationale, soziale und personale Ressourcen (Richter & Hacker,1997)
Ressourcen-Aspekte
OrganisationaleRessourcen
Soziale Ressourcen
Personale Ressourcen
- Aufgabenvielfalt- Tätigkeitsspielraum- Qualifikationspotential- Partizipationsmöglich-keiten
Unterstützung durch- Vorgesetzte- Arbeitskollegen- Lebenspartner- Andere Personen
- Kognitive Kontroll-überzeugungen
- Optimismus- Kontaktfähigkeit- Selbstwertgefühl
Handlungsmuster- positive Selbstinstruktionen- Situationskontrollbemühungen- Copingstile
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Verhaltens- und verhältnisorientierte Maßnahmen zur Gesundheitssicherung
Individuell (Person)verhaltensorientiert
Institutionell (Situation, Betrieb) verhältnisorientiert
Reduktion von Belastungenund Beanspru-chungen(korrektiv)
z.B.• Stressmanagement• Kurse zur Veränderung
gesundheitsschädlicher Verhaltensweisen
z.B.• ergonomische
Arbeitsplatzgestaltung• Abbau belastender
Umgebungsbedingungen• Pausengestaltung
Förderung von Ressourcen(prospektiv)
z.B.• Qualifizierung,
Kompetenztraining
z.B.• Erhöhung des Handlungs-
und Kontrollspielraums• Verbesserung des
Kooperationsklimas• Einrichtung von
Gesundheitszirkeln
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Phasen und Maßnahmen des Streßimmunisierungtrainings (SIT) (Meichenbaum, 1991)
Phasen, Ziele und Maßnahmen des SIT
Informationsphase:Die Teilnehmer lernen Stress- und Stressmanagementkonzepte kennen. Sie üben ein, ihre Arbeitssituation in Bezug auf Stress zu analysieren und sich mit ihren stressbezogenen Bewertungen, Gefühlen, körperlichen Reaktionen und ihrem Bewältigungsverhalten auseinander zu setzen.
Lern- und Übungsphase:In dieser Phase werden Stressbewältigungsstrategien vermittelt: z.B. das Relativieren durch sozialen Vergleich, die kognitive Umstrukturierung oder Entspannungstechniken. Für schwierige Situationen werden Selbstinstruktionen entwickelt wie z.B. „Eins nach dem anderen.“ oder „Ich habe die Situation unter Kontrolle.“Anwendungs- und Postrainingsphase:In dieser Phase werden anhand von Vorstellungsübungen und Rollenspielen die erlernten Techniken auf den Alltag übertragen. Die Konfrontation mit Stressoren wird zunehmend schwieriger gestaltet.
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Einrichtung von Gesundheitszirkeln nach dem „Düsseldorfer Ansatz“ (Slesina, 1994)
• Definition: Gesundheitszirkel (GZ) sind zeitlich befristete Projektgruppen zur Klärung gesundheitlich bedeutsamer Belastungen am Arbeitsplatz sowie zur Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen
• Zielsetzung: GZ sollen mit zu einer gesundheitsgerechten Arbeitsgestaltung beitragen und helfen, beruflich bedingte Erkrankungsrisiken abzubauen (tauschen Erfahrungen aus und suchen nach Ursachen für Beanspruchungen)
• Zusammensetzung: Mitarbeiter, Meistern, Betriebsleiter, Betriebsarzt, Sicherheitsfachkraft, Betriebsrat etc.
• Inhalte: Keine Beschränkung der GZ auf bestimmte Arbeitsbedingungen (nicht nur Belastungen durch die Arbeitsumgebung, sondern auch Belastungen durch die soziale Arbeitsumwelt, Arbeitsaufgaben und Arbeitsorganisation)
• Ergebnisse: Es werden praktisch umsetzbare Vorschläge zur Beseitigung oder Reduzierung beanspruchender Arbeitsaspekte erarbeitet.
• Moderator: GZ-Sitzungen werden von einer „neutralen“ Person vorbereitet und moderiert. Ermöglichung eines gleichberechtigten Austauschs des Erfahrungswissens aller Beteiligten