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BACHERLORARBEIT
Titel der Bachelorarbeit
Abhandlung über die Täterschaft der
„NS-Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie“-Ärztin
Dr.in Marianne Türk.
Ein Beitrag zur „Neueren TäterInnenforschung“.
Verfasserin
Judith Mach
angestrebter akademischer Grad
Bachelor of Arts (BA)
Wien, 2016
Studienkennzahl lt. Studienblatt: A033 603
Studienrichtung lt. Studienblatt: BA Geschichte
Betreuer: Univ.-Doz. Dr. Hans Safrian
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung ........................................................................................................................................3
2. Historische Rahmenbedingungen der Täterschaft ...........................................................................6
2.1 Allgemeine Begriffsdefinition und Bedeutungsebenen der Euthanasie ...............................6
2.2. Zu den Wurzeln der NS-Euthanasie ....................................................................................7
2.3 Die Weichenstellungen für einen Massenmord ....................................................................9
2.4 Entwicklungsstufen und Mordprogramme der NS-Euthanasie ..........................................10
2.5 Zur NS-Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie ..................................................................13
2.6 Zur „Kinderfachabteilung 'Am Spiegelgrund'“ ..................................................................16
3. Analyse von Quellen zum Fallbeispiel Marianne Türk..................................................................19
3.1 Biografische Verortung ......................................................................................................19
3.2. Auswertung der Selbstdarstellung in überlieferten Quellen...............................................22
3.3. Fazit der Täteranalyse........................................................................................................26
4. Conclusio........................................................................................................................................29
5. Literaturverzeichnis .......................................................................................................................30
5.1 Weiterführende Literatur ....................................................................................................32
6. Quellenverzeichnis (ungedruckte Quellen)....................................................................................32
7. Ressourcen aus dem Internet .........................................................................................................32
8. Anhang ...........................................................................................................................................33
8.1 Abstract Deutsch.................................................................................................................33
8.2 Abstract Englisch ...............................................................................................................33
2
1. Einleitung
Anfang der 1960er Jahre entwickelte sich im Zuge der zeitgeschichtlichen Aufarbeitung der NS-
Gewaltherrschaft der Jahre 1933-1945 in Europa das eigenständige Forschungsfeld der
Täterforschung. Nachdem man sich hierbei zunächst auf die Erforschung der „Opfer“ des NS-
Regimes konzentriert hatte, verschob sich gegen Ende des Jahrzehnts der Fokus zunehmend auf die
Erforschung von verantwortlichen Akteuren der NS-Diktatur. Ein Jahrzehnt später hatte es sich
auch die aufkommende Frauenforschung der 1970er Jahre zum Ziel gemacht, die Beteiligung von
Frauen am Aufbau und Erhalt des verbrecherischen NS-Systems aufzudecken. Obwohl man in der
Frauenforschung anfangs eher einer „Opfer“-Forschung verhaftet geblieben war, indem man davon
ausging, alle Frauen seien, unabhängig von ihren Taten, als „Opfer“ der repressiven patriarchalen
Strukturen des NS-Regimes zu verstehen, begann man auch hier Mitte der 1980er Jahre mit der
Aufarbeitung der aktiven NS-Täterschaft von Frauen.1
Im Gegensatz zur älteren Täterforschung, die sich durch eine pathologisierende und dämonisierende
Perspektive auf NS-VerbrecherInnen auszeichnete, versucht die „Neuere Täterforschung“, NS-
AkteurInnen nicht nur biografisch, mittels einer Analyse von generationeller Prägung,
Karrierverläufen, Weltbildern und Motivstrukturen, zu erfassen, sondern sie auch, durch Einbettung
dieser Daten in kollektive soziale und kulturelle Handlungszusammenhänge, in ihrem Handeln zu
erklären.2 Dies korrespondiert mit den allgemeinen Anliegen der Frauenforschung, der es seit
Anfang der 1990er Jahre verstärkt darum ging, Handlungsspielräume und Verantwortungsbereiche
von Frauen im Nationalsozialismus sichtbar zu machen, um das tatsächliche Verhalten von Frauen
in verschiedenen sozialen Rollen, begreiflich zu machen.3 Die folgende Bachelorarbeit ist daher als
Beitrag zur „Neueren TäterInnenforschung“ unter eben genannten Prämissen zu verstehen und setzt
sich mit der Wiener NS-Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie-Ärztin Dr.in Marianne Türk
auseinander.
1 Vgl. Mommsen, Hans, Probleme der Täterforschung. In: Helgard Kramer (Hg.): NS-Täter aus interdisziplinärer Perspektive (München 2006), S.425; Herkommer, Christina, Frauen im Nationalsozialismus – Opfer oder Täterinnen? Eine Kontroverse der Frauenforschung im Spiegel feministischer Theoriebildung und der allgemeinen historischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit (München 2005), S.9f und S.75f; Kompisch, Kathrin, Täterinnen. Frauen im Nationalsozialismus (Köln, Weimar, Wien 2008), S.8.
2 Vgl. Paul, Gerhard; Mallmann, Klaus-Michael, Sozialisation, Milieu und Gewalt. Fortschritte und Probleme der neueren Täterforschung. In: Mallmann, Klaus-Michael; Paul, Gerhard (Hg.): Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart Bd. 2, Darmstadt 2004), S.1 und S.9.
3 Vgl. Herkommer, S.9f, S.61f, S.68 und S.79; Kompisch, S.13; Ebbinghaus, Angelika, Opfer und Täterinnen. Frauenbiographien des Nationalsozialismus. (Schriften der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd. 2, Hamburg 1987), S.7.
3
Die Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in zwei Abschnitte. Der erste Abschnitt bildet dabei eine
Einführung in die Thematik der NS-Euthanasie, indem er Ursprung, Verlauf und Besonderheiten
dieses NS-Verbrechens näher erläutert. Obwohl hierbei unter anderem das NS-Gesundheitswesen
schlaglichtartig beleuchtet wird, ist eine genauere Abhandlung darüber nicht möglich. Grundsätzlich
werden alle Mordprogramme der NS-Euthanasie vorgestellt, jedoch mit einem Schwerpunkt auf den
Bereich der Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie sowie der Wiener „Kinderfachabteilung“ „Am
Spiegelgrund“, da hier Marianne Türk als Kinderärztin tätig war. Aufgrund des Hauptfokuses auf
Marianne Türk, wird auf andere NS-Euthanasie-ÄrztInnen nicht näher eingegangen und auch die
Erwachsenen-Euthanasie der Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof“ wird nicht behandelt.
Der zweite Abschnitt widmet sich ganz Marianne Türk und ihrer Täterschaft. Dazu erfolgt nicht nur
eine biografische Verortung ihrer Person, sondern auch eine Auswertung ihrer Selbstdarstellung in
überlieferten Quellen. Dadurch soll geklärt werden, wer Marianne Türk war, welchen Verbrechens
sie sich konkret schuldig gemacht hat und ob bzw. wie sie dafür geahndet wurde. Obwohl dadurch
unweigerlich Einblicke in die österreichische Nachkriegsjustiz vermittelt werden, handelt es sich
hierbei nicht um eine Abhandlung darüber. Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, wie es dazu
gekommen ist, dass Marianne Türk zur NS-Täterin wurde und was ihre Motive für eine Beteiligung
an der NS-Euthanasie waren. Zeitgleich wird danach gefragt, ob es Handlungsalternativen für sie
gegeben hätte. In Form eines Fazits werden die Ergebnisse der Täteranalyse vorgestellt. Eine
Conclusio am Schluss fasst die wesentlichen Punkte der Arbeit zusammen.
Obschon es im Hinblick auf den euphemistischen Missbrauch des Wortes durch die
Nationalsozialisten durchaus angebracht wäre, Begrifflichkeiten der NS-Euthanasie unter
Anführungszeichen zu setzten, wird, aufgrund einer besseren Lesbarkeit der Bachelorarbeit, davon
abgesehen. Gleiches gilt für die Verwendung des Femininums bei Begriffen wie „Täterschaft“ oder
„Täteranalyse“ im Bezug auf Marianne Türk oder andere Frauen. Zugleich soll an dieser Stelle auf
die grundsätzliche Problematik bei der Verwendung eines TäterInnen-Begriffs verwiesen sein.
Kritiker greifen nämlich einen berechtigten Punkt auf, wenn sie sagen, dass derartige Begriffe als
analytische Kategorie ungeeignet wären, da sie moralische Urteile oder zumindest derartige
Konnotationen transportieren würden.4 Eine konkrete Definition des Begriffs kann dem jedoch
Vorschub leisten. Hierbei orientiert sich diese Arbeit vor allem an Definitionen von Annette Kuhn
und Kathrin Kompisch, die als NS-Täterinnen all jene Frauen bezeichnen, die „innerhalb der
Strukturen des Nationalsozialismus, die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzten, um
in die körperliche oder seelische Unversehrtheit anderer Personen zu deren Nachteil einzugreifen“,
ohne dabei „den Zumutungen des NS-Systems erkennbar etwas entgegenzusetzen“ und somit „zur
4 Vgl. Herkommer, S.69.
4
Aufrechterhaltung eines verbrecherischen Systems beitrugen“.5 Da all diese Punkte auf Marianne
Türk zutreffen, wie im weiteren Verlauf ersichtlich wird, wird der TäterInnen-Begriff in dieser
Arbeit trotz Schwierigkeiten verwendet.
Betreffend der Sekundärliteratur kann man sagen, dass der Bereich der NS-Euthanasie mittlerweile
relativ gut erforscht ist. Für diese Arbeit waren vor allem zwei Arbeiten von Hans-Walter Schmuhl
für die Erarbeitung einer Überblicksdarstellung unentbehrlich. Für den Bereich der NS-Kinder- und
Jugendlichen-Euthanasie und der Heil- und Pflegeanstalt „Steinhof“ sei an dieser Stelle auf die
Website „Gedenkstätte Steinhof“ verwiesen, die u.a. mehrere Volltexte zur Thematik zur Verfügung
stellt. Im Jahr 2015 ist darüber hinaus eine Masterarbeit über Marianne Türk veröffentlicht worden,
die an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber Erwähnung findet, da sie für diese Bachelorarbeit
nicht herangezogen wurde, um eine möglichst unbefangene Haltung, bei der Analyse der Quellen
beibehalten zu können. Für die Quellenanalyse selbst wurden aus dem Wiener Stadt- und
Landesarchiv (WStLA) zum einen die NS-Registrierung von Marianne Türk und zum anderen der
Volksgerichtsakt zur Verhandlung der Fälle Heinrich Gross, Ernst Illing und Marianne Türk
herangezogen. Aus dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) waren
vor allem mehrere Beschuldigten-Vernehmungen Türks von Relevanz. Bei dem historischen
Abgleich der Täteranalyse mittels einschlägiger Literatur war die Monografie von Kathrin
Kompisch besonders wertvoll. Die Richtlinien für die Täteranalyse wurden überwiegend von
Gerhard Paul und Klaus-Michael Mallmann übernommen.6
Das Anliegen dieser Arbeit ist es, das Verhältnis von Intention, Disposition, sozialer Praxis und
situativer Dynamik von Gewalt7 anhand eines konkreten Fallbeispiels zu untersuchen und, unter
Einbettung in und durch die Veranschaulichung von größeren historischen Zusammenhängen, in
einen Kontext zu bringen, um dadurch zu skizzieren, wie ein bestimmter Mensch zum NS-Täter
werden konnte und in welchem Zusammenhang dies mit den grundsätzlichen Funktionsweisen des
NS-Regimes stand.
5 Vgl. Kompisch, S.16f.6 Schmuhl, Hans-Walter, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung
„lebensunwerten Lebens“, 1890-1945. In: Berding, Helmut; Kocka, Jürgen; Wehler, Hans-Ulrich (Hg.): Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Bd.75 (Göttingen 1987); Schmuhl, Hans-Walter, „Euthanasie“ und Krankenmord. In: Robert Jüte (Hg.), Medizin und Nationalsozialismus. Bilanz und Perspektiven der Forschung (Göttingen 2011) S.214-255.; Gedenkstätte Steinhof, Online unter: http://gedenkstaettesteinhof.at (3.3.2016); Pscheiden, Daniela, „Handlungsräume und Täterschaft von Medizinerinnen während der NS-Herrschaft am Beispiel der ‚Spiegelgrund‘-Ärztin Marianne Türk“ (Masterarbeit Wien 2015); WStLA, M.Abt. 119, A42-NS-Registrierung, 5.326 (Marianne Türk); WStLA, Volksgericht, A5/6-6P: Vr 2365/45 (Heinrich Gross, Ernst Illing, Marianne Türk); DÖW, WN 19542/2, Strafsache gegen Ernst Illing, Margarete Hübsch und Marianne Türk; DÖW, WN 20321, Thaller Urteil; Kompisch, Mallmann und Paul, siehe Vollzitat in Fußnoten 2 und 3.
7 Mallmann und Paul, S.2.
5
2. Historische Rahmenbedingungen der Täterschaft
Der folgende Abschnitt kann zum einen als Einführung in die Thematik der NS-Euthanasie
verstanden werden, zum anderen bildet er aber auch die Grundlage für eine anschließende Analyse
der Täterschaft von Marianne Türk im nächsten Abschnitt. Um zu verstehen, an welchem
Verbrechen sich Türk genau beteiligt hat, müssen zuerst der Ursprung und Verlauf der NS-
Euthanasie geklärt werden. Auch der „Mordapparat“ an sich mit seinen Funktionsweisen,
beteiligten AkteurInnen und Institutionen muss zuerst ersichtlich werden, damit man Marianne Türk
darin verorten kann. Diesbezüglich erfolgt daher nicht nur eine Erforschung der Wurzeln der NS-
Euthanasie in Absatz 2.2, sondern in Absatz 2.3 auch eine Erörterung der nötigen Voraussetzungen
im Vorfeld, die die NS-Euthanasie überhaupt erst möglich gemacht haben. Absatz 2.5 stellt
anschließend die verschiedenen Entwicklungsphasen und jeweiligen Mordprogramme der NS-
Euthanasie überblicksartig vor. Dadurch soll nicht nur ein Eindruck des Ausmaßes und der Schwere
des Verbrechens vor Augen geführt werden, sondern auch auf die grundsätzliche Entgrenzung von
Gewalt in der NS-Diktatur aufmerksam gemacht werden, wo Verbrechen, unter anderem als
funktioneller Bestandteil einer rassenideologischen Utopie, schlichtweg zum Alltag gehörten. Eine
ausführlichere Abhandlung über die NS-Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie macht unterdessen in
Absatz 2.5 das Betätigungsfeld von Marianne Türk als Ärztin und Täterin sichtbar, was anhand
einer knappen Darstellung der Entstehungsgeschichte, des Aufbaus und der Arbeitsbedingungen der
„Kinderfachabteilung“ „Am Spiegelgrund“ in Absatz 2.6 noch einmal vertieft wird. Zunächst aber
wird die Entwicklungsgeschichte der Euthanasie von ihren Anfängen bis ins 19. Jahrhundert in
Absatz 2.1 in Umrissen vorgestellt.
2.1 Allgemeine Begriffsdefinition und Bedeutungsebenen der Euthanasie
Recherchiert man den Begriff „Euthanasie“ bekommt man nicht nur eine etymologische Herleitung
des Wortes aus dem Griechischen (euthanasía; eũ = gut, wohl und thánatos = Tod) geliefert, sondern
auch folgende Bedeutungsübersicht: 1. (Medizin) Erleichterung des Sterbens, besonders durch
Schmerzlinderung mit Narkotika, 2. (Medizin) absichtliche Herbeiführung des Todes bei unheilbar
Kranken durch Medikamente oder durch Abbruch der Behandlung, 3. (nationalsozialistisch
verhüllend) systematische Ermordung psychisch kranker und behinderter Menschen.8 Obwohl diese
Bedeutungsübersicht vereinfacht ist und in vielfacher Hinsicht zu kurz greift, weist sie bereits auf
einen wesentlichen Bedeutungswandel hin, den der Begriff im Laufe der Zeit durchlaufen hat.
Hans-Walter Schmuhl spricht in diesem Zusammenhang von einer „semantischen Metamorphose“
des Begriffs, bei der sich verschiedene Bedeutungsebenen über die Jahrhunderte hinweg
8 Vgl. Duden, Online unter: http://www.duden.de/rechtschreibung/euthanasie (24.2.2016).
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übereinander abgelagert haben, ohne dass dabei vorherige Bedeutungsgehalte gänzlich verloren
gegangen wären. Während das griechische Wort εὐθανασία erstmals auf das 5. Jahrhundert vor
Christus datiert ist, mit der doppelten Bedeutung eines „leichten und schmerzlosen Sterbens“
einerseits und eines „guten und ehrenvollen Todes“ andererseits, wurde es im 17. Jahrhundert von
Francis Bacon in einen neuen Sinnzusammenhang gebracht. Dieser erläuterte in seiner Schrift „De
dignitate et augmentis scientiarium“ (1605) zum ersten Mal geeignete ärztliche Handlungen, um
Todgeweihten das Sterben zu erleichtern. Noch etwas später, an der Wende vom 18. zum 19.
Jahrhundert, sprachen sich schließlich auch Mediziner wie Nikolaus Paradys, Johann Christian Reil,
Christoph Wilhelm Hufeland, und andere dafür aus, den Begriff der Euthanasie im Sinne Bacons, in
die medizinische Therapeutik aufzunehmen. Daraufhin wurde im 19. Jahrhundert ein Pflichtenkreis
für Ärzte im Umgang mit Sterbenden festgelegt, welcher unter anderem pflegerische und ärztliche
Tätigkeiten am Sterbebett umfasste, als auch die psychologische Betreuung von Sterbenden.
Demnach zu urteilen bedeutete Euthanasie im 19. Jahrhundert eine Sterbebegleitung ohne
Lebensverkürzung. Die bewusste Beschleunigung des Sterbens eines Patienten durch den Arzt stieß
in dieser Zeit noch auf unbedingte Ablehnung.9 Wie sich dies in Folge weiterentwickelt hat,
veranschaulicht der nächste Absatz, indem er sich mit den Ursprüngen der NS-Euthanasie
beschäftigt.
2.2. Zu den Wurzeln der NS-Euthanasie
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erlebte der Begriff der Euthanasie erneut einen
gravierenden Bedeutungswandel. Nachdem man die Vorstellung der „Gottesebenbildlichkeit“ des
Menschen, nicht zuletzt unter dem Eindruck der wissenschaftlichen Errungenschaften Charles
Darwins, sukzessive aufgegeben hatte, begann man damit, Menschenleben als „Rechtsgüter“
aufzufassen. Der Wert eines Menschen konnte demzufolge von außen, nach Richtlinien von
Leistungs-, Arbeits- und Genussfähigkeit bestimmt werden, unheilbares „Leiden“ wurde als sinnfrei
abgestempelt und eine Debatte um „lebensunwertes“ Leben gewann zunehmend an Raum.10 In
Verbindung dazu steht das Aufkommen der Eugenik in England ab den 1860er Jahren und der
deutschen Variante in Form der „Rassenhygiene“ ab den 1890er Jahren. Während die Eugenik
(etymologisch abgeleitet aus dem Griechischen: eugenes = von edler Abstammung oder edel
geboren, wobei „eu“ für „gut“ und „genesis“ für „Werden“ steht) als neue Wissenschaft und Lehre
von der Verbesserung des biologischen Erbgutes des Menschen international auf Anklang stieß,11
verfolgte die deutsche „Rassenhygiene“ zwar die gleichen Grundsätze, war aber in ihrer
9 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.25f.10 Vgl. ebenda, S.106f.11 Vgl. Gedenkort T4, Online unter: http://www.gedenkort-t4.eu/de/gegenwart/was-heisst-eugenik (24.2.2016).
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Ausführung von Beginn an radikaler. Im Gegensatz zur Eugenik erörterte sie schon sehr früh das
Thema der Euthanasie. Diese Entwicklungen führten dazu, dass Anfang des 20. Jahrhunderts
Euthanasie erstmals im Sinne von aktiver Sterbehilfe gebraucht wurde.
Darüber hinaus führten die traumatischen Erlebnisse des Ersten Weltkrieges 1914-1918 zu einer
Neubetrachtung von „lebensunwertem“ Leben. Das Erleiden großer Menschenverluste im Krieg
warf unter anderem die Frage auf, wie sinnvoll es sei, „lebensunwerte“ Existenzen teilweise
künstlich am Leben zu halten, während an der Front tausende „erbgesunde“ Männer starben. Die
wirtschaftliche Notlage der Kriegs- und Nachkriegszeit führte sogar dazu, dass man damit begann,
die von AnstaltspatientInnen verursachten Kosten zu eruieren. Obwohl diese realiter in der
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht sehr schwer wogen, konnten dadurch emotionale
Ressentiments gegen „lebensunwertes“ Leben geschürt und mobilisiert werden.12 Besonders großen
Einfluss erlangte in diesem Zusammenhang in den 1920er Jahren die Schrift „Die Freigabe der
Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“ des Juristen Karl Binding und des
Psychiaters Alfred Hoche, in der erstmals neben unheilbar kranken und sterbenden Menschen, auch
„Geisteskranke“, „Schwachsinnige“, „idiotische“ Kinder und Kinder mit Missbildungen als
„euthanasiewürdig“ eingestuft wurden. Bereits gegen Ende der 1920er Jahre war der Begriff
Euthanasie zu einem Synonym für schmerzlose Tötung geworden und obwohl frühere Bedeutungen
des Wortes erhalten blieben, muss man für die folgende Entwicklung berücksichtigen, dass es sich
ab diesem Zeitpunkt nicht mehr nur um Sterbehilfe von Todgeweihten im Stadium der Agonie
handelte, sondern zunehmend um die „Vernichtung 'lebensunwerten' Lebens“, ungeachtet dessen,
ob die Leiden der Betroffenen zwangsläufig mit dem Tod verbunden waren oder nicht.13
Das Aufkommen und die Verbreitung der „Rassenhygiene“ Ende des 19. Jahrhunderts bilden
gemeinsam mit den schicksalhaften Erlebnissen des Ersten Weltkrieges und der zunehmenden
Vorstellung von der „Vernichtung 'lebensunwerten' Lebens“ in den 1920er Jahren die Wurzeln der
NS-Euthanasie und stellen ihre Legitimationsbasis dar. Die Nationalsozialisten griffen in Folge die
Überlegungen zur „Vernichtung 'lebensunwerten' Lebens“ auf und setzten sie mit ihren
Euthanasieprogrammen praktisch und unter „Verwerfung der Vorstellung von naturrechtlich
verankerten Grund- und Menschenrechten und dem Ausklammern von Krankheit, Behinderung,
Schwäche, Alter, Schmerz und Tod aus der Conditio Humana“14 in die Tat um. Welche
Vorbereitungen für eine derartige Umsetzung im Vorfeld notwendig waren, wird im nächsten Absatz
besprochen.
12 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.27, S.29f und S.107.13 Vgl. Dörner, Klaus, Nationalsozialismus und Lebensvernichtung. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jahrgang
15, 2. Heft (1967), S.122f und 127f; Schmuhl, Rassenhygiene, S.27; Schmuhl, Euthanasie und Krankenmord, S.216.14 Schmuhl, Euthanasie und Krankenmord, S.217.
8
2.3 Die Weichenstellungen für einen Massenmord
Der Zeitraum von 1933-1938 wird von Schmuhl als „Inkubationsphase der Euthanasieaktion“
bezeichnet. In dieser Zeit wurde zwar noch nicht aktiv gemordet, aber es fanden bereits mehrere
wichtige Weichenstellungen dafür statt. Ob Adolf Hitler selbst von Beginn an
Euthanasieprogramme geplant hatte, bleibt dabei fraglich. Es steht jedoch fest, dass die Thematik
immer wieder an ihn herangetragen wurde. In der Konsolidierungsphase des NS-Regimes herrschte
zu diesem Thema noch ein staatlich verordnetes Stillschweigen, da man zuvor durch gezielte
Propagandakampagnen zur rassenhygienischen Thematik bereits im Vorfeld erwarteten Widerstand
abfedern wollte. Auf einem NSDAP-Reichsparteitag 1935 soll sich Hitler allerdings dahingehend
geäußert haben, die Diskussion bezüglich der „Vernichtung 'lebensunwerten' Lebens“ auf die Zeit
eines möglichen Krieges zu verschieben, da in solchen Zeiten derartige Unterfangen leichter
umzusetzen wären.15 Fest steht jedoch, dass gleich nach der „Machtergreifung“ der
Nationalsozialisten 1933 zwei, für die Umsetzung der NS-Euthanasie nicht unwesentlichen,
Maßnahmen getroffen wurden. Dies waren zum einen die „Gleichschaltung des
Gesundheitswesens“ und zum anderen der Erlass des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses“ (GzVeN).
Die „Gleichschaltung des Gesundheitswesens“ war für die praktische Realisierung der
rassenhygienischen Programmatik der Nationalsozialisten von höchster Bedeutung. Darunter
versteht man unter anderem die Verdrängung jüdischer, sozialistischer und kommunistischer
ÄrztInnen aus dem aktiven Dienst in erster Instanz und einer nationalsozialistisch geprägten Aus-
und Fortbildung der Ärzteschaft in zweiter Instanz, wobei beide Maßnahmen ein Vordringen der
„Erb- und Rassenpflege“ in der Medizin gleichermaßen erleichterten. Ab 1939 wurde die
„Rassenhygiene“ als medizinisches Pflichtfach an den Universitäten unterrichtet. Weiters ergriff
man Maßnahmen zur Erfassung „randständiger Minderheiten“, unter anderem durch die
Einrichtung von Beratungsstellen für „Erb- und Rassenpflege“ bei bereits bestehenden
Gesundheitsämtern, die als Knotenpunkt und wesentliche Voraussetzung von NS-
Zwangssterilisierung und NS-Euthanasie agierten. Zudem wurden die Ausgaben im
Fürsorgebereich, zuungunsten der „Asozialen“, „Minderwertigen“ und „hoffnungslos Erbkranken“,
drastisch gekürzt.16
Das „Gesetze zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN) mit seinem Erlass am 14. Juli
1933 kann dagegen als direkter Vorläufer der NS-Euthanasie gesehen werden. Mittels einer staatlich
angeordneten Zwangssterilisierung aller „erbkranker“ Menschen wurde hierbei eine besonders
15 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.178 und S.180f; Benzenhöfer, Udo, Genese und Struktur der „NS-Kinder- und Jugendlicheneuthanasie“. In: Monatsschrift Kinderheilkunde, Vol. 151, Nr. 10 (2003), S.1014.
16 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.138, S.142, S.144f und S.148.
9
drastische negative eugenische Maßnahme in großem Stil umgesetzt. Als „erbkrank“ galten
demnach alle Menschen mit „angeborenem Schwachsinn“, Schizophrenie, zirkulärem (manisch-
depressiven) „Irrsinn“, erblicher „Fallsucht“, Huntington-Krankheit, erblicher Blindheit, Taubheit
oder schwerer erblicher Missbildung, sowie Fälle von schwerem Alkoholismus.17 Damit zusammen
hängen auch im weiteren Verlauf das „Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes“
(„Ehegesundheitsgesetz“) vom 18. Oktober 1935, welches die Eheschließung für Menschen mit
einer Erbkrankheit im Sinne des GzVeN oder einer anderen „geistigen Störung“ untersagte, und das
„Gesetz zur Änderung des GzVeN“, welches eine Freigabe der Abtreibung aus eugenischer
Indikation bis in den 6. Schwangerschaftsmonat beinhaltete.18
Schmuhl zufolge war die NS Euthanasie „eine von einem Herrschaftsapparat bewusst und
absichtlich ins Werk gesetzte, planrational durchgeführte, tendenziell vollständige Vernichtung einer
fest umrissenen Gruppe von Menschen“.19 Wie diese „Vernichtung“ in ihren unterschiedlichen
Ausformungen genauer aussah, wird im nächsten Absatz behandelt.
2.4 Entwicklungsstufen und Mordprogramme der NS-Euthanasie
Die praktische Umsetzung der NS-Euthanasie war kein einheitliches Unterfangen und zeichnet sich
im Wesentlichen durch eine Teilung in zwei Phasen und der Gliederung in mindestens zwei
konkreten Mordprogrammen mit mehreren „Sub-“ bzw. „Sonderaktionen“ aus. Da sich im Laufe
der Zeit nicht nur die Methoden sondern auch der betroffene Opferkreis veränderten, werden in
Folge die einzelnen Phasen und Programme vorgestellt, wobei die NS-Kinder- und Jugendlichen-
Euthanasie, welche allen anderen Mordprogrammen zeitlich vorausging, gesondert und ausführlich
im nächsten Absatz besprochen wird. Zunächst aber zur ersten Phase von 1939-1941.
Da Hitler seit Juli 1939 eine Ausweitung der „Vernichtung 'lebensunwerten' Lebens“ auf
Erwachsene geplant hatte, dies aber unbürokratisch, unter Umgehung möglichst aller staatlichen
Dienststellen und in völliger Geheimhaltung durchführen wollte, erließ er im Oktober 1939 einen
„Geheimen Führererlass“, welcher auf den 1. September 1939, den Tag des Kriegsausbruchs,
zurückdatiert wurde, um dadurch folglich den „Gnadentod“ für unheilbar kranke Menschen nach
kritischer ärztlicher Beurteilung zu genehmigen.20 Obwohl diese Ermächtigung nicht legal war und
effektiv keine Gesetzeskraft enthielt,21 sollte sie in Folge der Euthanasie-Ärzteschaft eine
Straffreiheit ihrer Taten vortäuschen.
17 Vgl. Malina, Peter; Neugebauer, Wolfgang, NS-Gesundheitswesen und -medizin. In: Tálos, Emmerich; Hanisch, Ernst; Neugebauer, Wolfgang (Hg.): NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch (Wien 2000), S.14f.
18 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.159 und S.161; Benzenhöfer, Genese und Struktur, S.1014.19 Schmuhl, Euthanasie und Krankenmord, S.214.20 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.190.21 Vgl. Malina und Neugebauer, S.18.
10
Noch bevor man mit der Erwachsenen-Euthanasie auf deutschem Boden begann, hatte man bereits
in den von der Wehrmacht besetzten und bald darauf annektierten Gebieten Polens bzw. ab Ende
September 1939 im späteren „Reichsgau Danzig-Westpreußen“ und Anfang November 1939 auf
dem Gebiet des neuen „Reichsgaus Wartheland“ erste Morde an PsychiatriepatientInnen, unter
anderem auch durch den Einsatz einer ersten stationären Gaskammer, verübt. Eine Verbindung
zwischen diesen dezentralen Mordaktionen an der östlichen Peripherie des Großdeutschen Reiches
und denen auf deutschem Reichsgebiet konnte bis heute nicht geklärt werden.22
Es steht jedoch fest, dass Letztere in ihrer ersten Phase ab Oktober 1939 aktiv in die Tat umgesetzt
wurde. Ein erster Schritt war dabei die Einrichtung einer Zentraldienststelle. Da die NS-Euthanasie
streng „Geheime Reichssache“ bleiben und die Kanzlei des Führers damit nicht in Verbindung
gebracht werden sollte, wurde der damit verbundene bürokratische Apparat schrittweise verlegt, bis
er schließlich im April 1940 seinen endgültigen Platz in der Tiergartenstraße 4 in Berlin
Charlottenburg fand. Diese Abteilung trat nach außen hin als Tarnorganisation auf und war in Folge
unter dem Kürzel „T4“ bekannt. Das Programm der NS-Erwachsenen-Euthanasie erhielt
demzufolge den Decknamen „Aktion T4“.
Nachdem beschlossen worden war, dass eine Tötung durch Einspritzung von Giften bei einer
angepeilten Zahl von 60-70.000 Mordopfer undurchführbar war, errichtete man in Folge sechs
„Tötungsstätten“, mittels derer man die Euthanasie-Opfer im regulären Betrieb zwischen April 1940
und August 1941 vergaste. Die Vorgehensweise bei der Ermordung sah dabei so aus, dass man
zuerst die Opfer aus den Heil- und Pflegeanstalten abholte und zu den „Tötungsstätten“ brachte.
Obwohl diese Aktion in höchster Geheimhaltung erfolgte, wussten viele AnstaltspatientInnen um
die tatsächliche Bedeutung dieser „Abholtransporter“ Bescheid, was in Folge nicht nur zu Erregung,
Verstörung und Todesangst, sondern auch zu Fluchtversuchen und Entlassungsgesuchen der
PatientInnen führen konnte. Um dem entgegenzuwirken, richtete man im April/Mai 1940 im
Einzugsgebiet einer jeden „Mordstätte“ Zwischenanstalten ein, um die Opfer fälschlich in
Sicherheit zu wiegen und das Auffinden von PatientInnen durch Angehörige zu erschweren. Viele
PatientInnen starben bereits auf den menschenunwürdigen Transporten zu den „Mordstätten“ oder
kamen durch „Abspritzung“ in einer der Zwischenanstalten ums Leben. In den „Mordstätten“ selbst
führte man die Opfer nach einer ärztlichen „Untersuchung“ in die, als Duschräume getarnten,
Gaskammern, wo nach der Einschüttung von Kohlenmonoxyd ihr qual- und schmerzvoller
Erstickungstod erfolgte, der bis zu zwanzig Minuten dauern konnte. Ein zuständiger Arzt vermerkte
anschließend eine unverfängliche Todesursache, die man einer Liste des Statistischen Reichsamtes
mit 61 möglichen Todesursachen entnehmen konnte, in den Krankenakten.
22 Vgl. Schmuhl, Euthanasie und Krankenmord, S.219.
11
Eine „Subaktion“ der NS-Euthanasie in ihrer ersten Phase fand in den Jahren 1940-1942 statt, bei
der in der „Sonderaktion gegen Juden“, über tausend jüdische AnstaltsinsassInnen im Rahmen der
„Aktion T4“ ermordet wurden. Dies bildete mitunter den Auftakt zum Holocaust.
Obwohl man sehr darum bemüht war, nichts von den grausamen Vorgängen an die Öffentlichkeit
dringen zu lassen, wurden die generellen „Massenmorde hinter Anstaltsmauern“ im Jahr 1940
dennoch in der Bevölkerung bekannt. Nicht zuletzt aufgrund zahlreicher vermeidbarer Irrtümer,
unter anderem beim Fälschen der Todesursachen. In der Bevölkerung führte dies zu einem für die
NS-Zeit unvergleichlichen Widerstand, was sich in wiederholten Aufläufen vor den Anstalten und
in Protestaktionen niederschlug. Diese Empörung lässt sich dadurch erklären, dass die NS-
Euthanasie ein Klima der generellen Bedrohung schuf, da nun nicht mehr eine klar definierte
Gruppe von Menschen mit dem Tod bedroht wurde (im Gegensatz zum Genozid an der jüdischen
Bevölkerung Europas), sondern grundsätzlich jeder Mensch, weil jeden Invalidität oder
altersbedingte Beschwerden treffen konnten. Aufgrund dieser Proteste wurde die „Aktion T4“ im
August 1941 überraschend abgebrochen. Dies bedeutete jedoch kein tatsächliches Ende, sondern
leitete lediglich eine Umstrukturierung und den Beginn einer zweiten Phase ein. 23
Die zweite Phase der NS-Euthanasie von Herbst 1941 bis Frühjahr 1943 zeichnete sich vor allem
durch eine „Wilde Euthanasie“ aus. Darunter sind dezentrale Anstaltsmorde zu verstehen, die nicht
mehr in den dafür vorgesehenen „Mordstätten“ stattfanden, sondern in den jeweiligen Heil- und
Pflegeanstalten selbst. Inwieweit hierfür eine Anweisung aus Berlin erfolgt ist, kann bis heute nicht
geklärt werden.24 Eine klassische Mordmethode der „Wilden Euthanasie“ war, neben dem
verhungern lassen von PatientInnen, das Verabreichen von Medikamenten in Überdosis, ausgeführt
von zuverlässigen ÄrztInnen, Schwestern und Mitgliedern des Pflegepersonals, welche nun
willkürlicher als zuvor über Leben und Tod von Betroffenen entscheiden konnten. Aufsässigkeit,
Unruhe, zu hoher Pflegeaufwand oder gar Homosexualität konnten in dieser Phase unter anderem
ausschlaggebend für eine Euthanasierung werden.25
Ebenfalls in der zweiten Phase erfolgten zwei weitere „Subaktionen“. In der „Sonderbehandlung“
„14f13“ wurden GutachterInnen der „Aktion T4“ zur Selektion kranker und arbeitsunfähiger
Häftlinge in Konzentrationslagern eingesetzt, die man anschließend in den „Mordstätten“ der
„Aktion T4“ vergaste. Während man hierbei bereits eine neue Opfergruppe ausmachen kann,
weitete sich dies in der „Aktion Brandt“ noch einmal aus. Hierbei handelt es sich um eine
Reinstitutionalisierung der NS-Euthanasie im Zuge der Umfunktionierung von Heil- und
Pflegeanstalten als Ausweichkrankenhäuser im Einzugsgebiet luftgefährdeter Bereiche während des
23 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.193-210 und S.215f.24 Vgl. Malina und Neugebauer, S.19-21.25 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.220f und S.223.
12
Luftkrieges über Deutschland 1943. Da aufgrund eines erhöhten Bedarfs an Betten zahlreiche
Umverlegungen von AnstaltsinsassInnen stattfanden, bot sich dadurch eine Möglichkeit die
Maßnahmen zur „Vernichtung 'lebensunwerten' Lebens“ in großem Maßstab unauffällig wieder
aufzunehmen. Neben dezentralen Tötungen erfolgten während dieser „Aktion“ auch erneut Morde
in den alten „Tötungsstätten“ und der betroffene Opferkreis weitete sich auf BewohnerInnen von
Altenheimen, kriegstraumatisierte Soldaten und geisteskranke und tuberkulöse polnische bzw.
sowjetische Zwangsarbeiter aus. Diese Krankentötungen der Jahre 1943/44 wurden „Aktion
Brandt“ genannt, da sich die Euthanasiezentrale „T4“ von dem Bevollmächtigten für das Sanitäts-
und Gesundheitswesen Karl Brandt dazu autorisiert geglaubt hatte.
Eine konkrete Opferzahl der NS-Erwachsenen-Euthanasie während des Zweiten Weltkrieges lässt
sich nur schätzen. Geht man nach Schmuhl, so beläuft sich die Opferzahl aller Aktionen der „T4“
auf über 100.000 Menschen.26 Welche Ausmaße in diesem Zusammenhang die NS-Kinder- und
Jugendlichen-Euthanasie annahm, veranschaulicht der nächste Absatz.
2.5 Zur NS-Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie
Während in der älteren Literatur zur NS-Euthanasie meist die Rede von „Kinder-Euthanasie“ ist,
spricht sich der Medizinhistoriker Udo Benzenhöfer für die Verwendung des Begriffs „Kinder- und
Jugendlichen-Euthanasie“ aus, da im Verlauf der Mordprogramme nicht nur Kleinkinder davon
betroffen waren, sondern auch Jugendliche, wie weiter unten genauer ersichtlich wird.27
Die konkreten Anfänge der NS-Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie sind schwer zu datieren. Die
Forschung geht aber davon aus, dass ein ganz bestimmter Fall für den Beginn der Planungen
ausschlaggebend gewesen ist.28 Dabei handelt es sich um den „Fall Kind Knauer“,29 bei dem ein
besorgter Vater eines schwerst behinderten Jungen einen Brief an Hitler schrieb, mit der Bitte um
einen „Gnadentod“ für seinen Sohn. Hitler soll in diesem Fall eine Genehmigung ausgesprochen
haben, woraufhin er eine Ermächtigung an die Reichsleiter Brandt und Bouhler erteilte, in
ähnlichen Fällen „analog zu handeln“. Diese Entscheidung hing nicht zuletzt damit zusammen, dass
in den Jahren 1938/39 mehrere Bittbriefe und Eingaben zur „Sterbehilfe“ seitens von Angehörigen
pflegebedürftiger Menschen in der Kanzlei des Führers eingetroffen waren.30
Es erfolgte die Gründung des „Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und
anlagebedingter schwerer Leiden“, welche von Zeitzeugen auf Mai 1939 datiert wurde und in Folge
26 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.217, S.230f, S.233-237.27 Vgl. Benzenhöfer, Genese und Struktur, S.1012.28 Vgl. Schmuhl, Euthanasie und Krankenmord, S.220.29 Anm.: Udo Benzenhöfer versuchte nachzuweisen, dass es sich bei diesem Namen um einen Überlieferungsfehler
handelte und konnte im Zuge seiner Recherchen belegen, dass es sich bei diesem Fall vermutlich um die historische Person des Gerhard H. Kretzschmar handelte, Vgl. Benzenhöfer, Genese und Struktur, S.1014.
30 Vgl. Benzenhöfer, Genese und Struktur, S.1014f; Schmuhl, Rassenhygiene, S.182; Dörner, S.140.
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für die Organisation der NS-Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie zuständig war. Schmuhl
vermutet, dass dieser „Reichsausschuss“ aus einem bereits bestehenden informellen Expertenstab
hervorgegangen sein könnte, der sich schon 1938 mit Vorüberlegungen zur NS-Euthanasie
beschäftigt hatte. Ab August 1939 wurden jedoch die ersten konkreten Schritte zum Massenmord
eingeleitet.31 Da die Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie, ebenso wie später die „Aktion T4“,
„Geheime Reichssache“ bleiben sollte, fungierte der „Reichsausschuss“ in Form einer
Tarnorganisation nach außen hin als bürokratische Zentrale.
Im Jahr 1939 war es zunächst das Ziel der NS-Regierung, alle behinderten Kinder zu erfassen, die
sich nicht in Anstaltspflege, sondern in Obhut ihrer Eltern befanden. Für dieses Unterfangen
arbeitete der „Reichsausschuss“ mit den staatlichen Gesundheitsämtern zusammen, um möglichst
alle Säuglinge und Kleinkinder eruieren zu können. Dies wurde durch einen streng geheimen Erlass
vom 18. August 1939 erleichtert, welcher allen Hebammen, GeburtshelferInnen und ÄrztInnen den
Auftrag erteilte, die Geburt von Kindern, die an „Idiotie“, Mongolismus, Mikrozephalie,
Hydrocephalus, Lähmungen oder „Missbildungen“ aller Art litten, bei den örtlichen
Gesundheitsämtern zu melden. Darüber hinaus mussten alle bekannten Kleinkinder im Alter von bis
zu drei Jahren, auf die diese Krankheitsbilder zutrafen, bei einem zuständigen Amtsarzt gemeldet
werden, welcher die Meldung wiederum an den „Reichsausschuss“ weiterzuleiten hatte. Diese
Meldungen sollten angeblich der „Klärung wissenschaftlicher Fragen auf dem Gebiete der
angeborenen Missbildung und der geistigen Unterentwicklung“ dienen. Beim „Reichsausschuss“
selbst wurden die Meldungen von den drei Gutachtern Dr. Hans Heinze, Dr. Ernst Wentzler und
Prof. Werner Catel geprüft, wobei jedoch keine direkte Untersuchung der Kinder erfolgte. Die
schriftliche Meldung alleine reichte aus, anhand der mit einem Minus (das Kind sollte weiter leben)
oder einem Plus (das Kind sollte euthanasiert werden) über das Schicksal der Betroffenen
entschieden wurde.32
Für die Durchführung der „Kindstötungen“ wurden mehrere „Kinderfachabteilungen“ in bereits
bestehenden Heil- und Pflegeanstalten, Universitätskliniken und Kinderkrankenhäuser eingerichtet,
wovon ca. dreißig bis heute bestätigt werden können. Die Existenz weiterer kann dabei nicht
ausgeschlossen werden.33 Eine der ersten „Kinderfachabteilungen“ wurde 1940 in Görden bei
Brandenburg errichtet, die in Folge auch als „Reichsschulstation“ bekannt wurde, da hier zukünftige
„Kinderfachabteilungsleiter“ in das NS-Euthanasieprogramm eingeschult wurden.
31 Vgl. Schmuhl, Euthanasie und Krankenmord, S.221.32 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.182f und S.184; Benzenhöfer, Genese und Struktur, S.1015f.33 Vgl. Dahl, Matthias, Die Tötung behinderter Kinder in der Anstalt Am Spiegelgrund 1940 bis 1945. In: Gabriel,
Eberhard; Neugebauer, Wolfgang (Hg.): NS-Euthanasie in Wien (Wien, Köln,Weimar 2000), S.4f.; Benzenhöfer, Udo, NS- „Kindereuthanasie“: „Ohne jede moralische Skrupel“. In: Deutsches Ärzteblatt, Jahrgang 97, Heft 42 (2000), S.2772.
14
Obwohl es in vereinzelten Fällen vorkommen konnte, dass eine Euthanasierung von Kindern seitens
der Angehörigen ausdrücklich gewünscht wurde, stieß man in der Regel eher auf Widerstand, wenn
es um die Einweisung von Kindern in eine „Kinderfachabteilung“ ging. Da eine Einwilligung der
Angehörigen aber dafür benötigt wurde, versuchte sich der „Reichsausschuss“ diese unter anderem
dadurch zu erschleichen, in dem man den Angehörigen fälschlicherweise mögliche Heilerfolge,
aufgrund von bester Pflege und neuzeitlicher Therapiemethoden in den „Kinderfachabteilungen“, in
Aussicht stellte.34 Der „Reichsausschuss“ ging in manchen Fällen, bei denen die Angehörigen nicht
für die Kosten der „Behandlungen“ aufkommen konnten, sogar so weit, dass er selbst einen Beitrag
dazu leistete. In anderen Fällen mussten Angehörige für eine meist unerwünschte Einweisung mit
nicht seltener Todesfolge der Kinder teuer selbst bezahlen. Während die Amtsärzteschaft zunächst
noch dazu angewiesen war, von Zwangsmaßnahmen abzusehen, konnten sie nach einem Erlass vom
20. September 1941 die Einweisung von Kindern, mitunter durch Androhung von Entzug des
Sorgerechts, erzwingen. Im Falle von alleinerziehenden Müttern konnte man mit Hilfe der örtlichen
Arbeits- und Gesundheitsämter sogar einen zwangsweisen Arbeitseinsatz der Frauen erwirken,
damit diese keine andere Wahl hatten, als ihre Kinder zur Pflege in eine „Kinderfachabteilung“
einzuweisen.
In den „Kinderfachabteilungen“ selbst wurden weitere Verschleierungstaktiken bei der
Durchführung der Euthanasie angewandt. Um eine auffällige Häufung von Todesfällen möglichst
zu vermeiden, wurden die Tötungen terminlich geplant und koordiniert. Damit es so aussah, als
seien die Kinder eines natürlichen Todes gestorben, verabreichte man ihnen über einen längeren
Zeitraum hinweg mehrmals eine Überdosis von Medikamenten in Form von (in Tee aufgelösten)
Tabletten, Zäpfchen, Klysma oder Spritzen, in Kombination mit Morphium-Skopolamin, um den
Tod über Tage hinauszögern zu können, bis die Kinder schließlich an einer „unverfänglichen“
Todesursache, wie z.B. Lungenentzündung, verstarben. Eine weitere Möglichkeit der Tötung bot
sich ab der Errichtung der „T4-Mordstätten“ auch durch die Vergasung von Kindern an. Hierbei
starben viele bereits auf dem Transport zu den „Mordstätten“, da sie während der Anfahrt nur
unzureichend versorgt wurden und körperliche Krankheiten, auch in den „Kinderfachabteilungen“,
grundsätzlich nicht behandelt werden durften. Daneben war man bereits im Herbst 1939 dazu
übergegangen, manche Kinder einfach verhungern zu lassen.
Misstrauisch gewordene Eltern, die ihre Kinder besuchen wollten oder gar versuchten eine
Entlassung ihrer Kinder zu erwirken, wurden von den Anstalten durch lange Briefwechsel so lange
hingehalten bis ihre Kinder im Sterben lagen oder bereits tot waren. Einige wenige energische
Proteste von Eltern führten aber dennoch vereinzelt zu Entlassungen.
34 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.184f und S.186; Benzenhöfer, Ohne jede moralische Skrupel, S.2770.
15
Nach dem Abbruch der Vergasungen im Rahmen der „Aktion T4“ wurde die Altersgrenze in der
NS-Kinder-Euthanasie schrittweise von drei auf acht, dann auf zwölf und schließlich auf siebzehn
Jahre erhöht. Darüber hinaus gilt, dass bei dieser Mordaktion nicht nur Kinder mit genetischer oder
traumatischer Schädigung, sondern auch „schwer erziehbare“ Kinder und Jugendliche, ebenso wie
Kinder jüdischer Abstammung oder aus „Zigeuner“-Familien ihr Leben verloren.35 Wesentlich ist,
dass die NS-Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie im Gegensatz zu anderen Mordprogrammen der
NS-Euthanasie nicht nur die erste ihrer Art war, sondern auch bis zum Ende des Krieges „Geheime
Reichssache“ blieb und nie unterbrochen wurde.36 Darüber hinaus erfolgte sie nach einem genau
geregelten Verfahren unter Beachtung streng wissenschaftlicher Maßstäbe.37
Während ältere Forschungen das Ausmaß der getöteten Kinder und Jugendlichen noch auf knapp
5.000 Opfer schätzte, korrigieren neuere Forschungen die Zahlen stetig nach oben. Eine Schätzung
aus dem Jahr 2011 beläuft sich auf bis zu 10.000 Opfer. Schmuhl hält darüber hinaus fest, dass
unabhängig vom „Reichsausschussverfahren“ noch einmal von ca. 4.200 Kindern und Jugendlichen
ausgegangen werden muss, die in den Gaskammern der „T4“-Anstalten umgekommen sind.38
Nachdem nun grundlegendes zur NS-Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie geklärt worden ist,
werden im nächsten Absatz die konkreten Umstände der „Kinderfachabteilung“ „Am Spiegelgrund“
vorgestellt.
2.6 Zur „Kinderfachabteilung 'Am Spiegelgrund'“
Am 24. Juli 1940 wurde in der seit 1907 bestehenden psychiatrischen Anstalt „Am Steinhof“ in
Wien, die sich zunächst aus einer Heil- und Pflegeanstalt mit psychiatrisch-neurologischen
PatientInnen und einer sogenannten "Arbeitsanstalt für asoziale Frauen" zusammen gesetzt hatte,39
eine neue „Kinderfachabteilung“ als Teil der „Städtischen Jugendfürsorgeanstalt 'Am
Spiegelgrund'” errichtet. Nachdem man durch die Ermordung von ca. 3.200 PatientInnen der
Anstalt „Steinhof“ den nötigen Platz dafür geschaffen hatte, bestand die „Jugendfürsorgeanstalt“
zunächst aus neun Pavillons, von denen gegen Ende 1942 zwei in eine eigene Kinderanstalt „zur
Aufnahme der Fälle des Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und
anlagebedingten schweren Leiden sowie von debilen, bildungsunfähigen Minderjährigen”
umfunktioniert wurden. Obwohl im „Pavillon XV“ offiziell Säuglinge und Kleinkinder
35 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.185-189.36 Vgl. Dörner, S.141.37 Vgl. Dahl, S.3.38 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.189; Schmuhl, Euthanasie und Krankenmord, S.222f; Benzenhöfer, Genese und
Struktur, S.1018; Czech, Herwig, Forschen ohne Skrupel. Die wissenschaftliche Verwertung von Opfern der NS-Psychiatriemorde in Wien. In: Gabriel, Eberhard; Neugebauer, Wolfgang (Hg.): Von der Zwangssterilisierung zur Ermordung. Zur Geschichte der NS-Euthanasie in Wien Teil II (Wien, Köln, Weimar 2002), S.2.
39 Vgl. Mende, Susanne, Die Wiener Heil- und Pflegeanstalt Am Steinhof in der Zeit des NS-Regimes in Österreich. In: Gabriel, Eberhard; Neugebauer, Wolfgang (Hg.): NS-Euthanasie in Wien (Wien, Köln, Weimar 2000), S.1.
16
untergebracht waren, wurde diese Station intern auch als „Reichsausschussabteilung” bezeichnet, da
hier die Euthanasierung aller Kinder und Jugendlichen in Folge stattfinden sollte.40
Nachdem der erste Anstaltsleiter Dr. Erwin Jekelius im Jahr 1942 zum Einsatz in der Wehrmacht
abgezogen worden war, übernahm am 1. Juli 1942 der überzeugte Nationalsozialist und NSDAP
Mitglied Dr. Ernst Illing die Leitung der Kinderklinik. Die Leitung der Säuglingsabteilung trug ab
Anfang 1941 Dr. Heinrich Gross, der nach dem Ausscheiden von Dr. Jekelius die Hälfte der
Säuglingsabteilung an Dr. Marianne Türk übergab. Zwischen dem Kinderheim und der
„Kinderfachabteilung“ bestand ein funktionaler Zusammenhang, da die „medizinische Behandlung“
sämtlicher Kinder von den Euthanasie-ÄrztInnen Illing, Gross und Türk durchgeführt wurde. Sie
waren mitunter dafür verantwortlich, die Kinder nach „rassischen“, „erbbiologischen“ und anderen
NS-Kriterien einzustufen und ihre Einweisung in die jeweils passenden Pavillons der Kinderklinik
oder des Erziehungsheimes zu veranlassen. Entsprechend den Anweisungen des
„Reichsausschusses“ erfolgte eine ständige Beobachtung und Selektion, womit letztlich über Leben
und Tod der Kinder entschieden wurde.41
Während einige Kinder gleich nach der Aufnahme als „negativ“ eingestuft wurden, wurden andere
über einen längeren Zeitraum beobachtet, in Ausnahmefällen bis zu einem Jahr. Im Laufe ihres
Aufenthaltes führte man mit den Kindern unter anderem psychologische Tests durch, um ihre
Entwicklungsmöglichkeiten zu überprüfen, ihre praktischen Fähigkeiten einzuschätzen und ihre
Pflegeintensität zu eruieren.42 Auch klinische Untersuchungen wurden durchgeführt. Hierbei ist vor
allem die äußerst schmerzhafte Pneumencephalographie zu erwähnen, die bei fast allen Kindern
durchgeführt wurde, selbst wenn der Gesundheitszustand eines Kindes dem nicht entsprach bzw.
keine medizinische Notwendigkeit dazu bestand. Mindestens 33 Kinder verstarben alleine bei
diesem Eingriff. Nachdem die Kinder verstorben waren, entfernte man ihre Gehirne und
Rückenmarksstränge, um sie anschließend aufzubewahren. Auch die Familienverhältnisse aller
Kinder wurden sorgfältigst eruiert, um im Sinne einer „Sippenforschung“, eventuell „belastete“
Verwandte ausfindig machen zu können.43 Obwohl „Am Spiegelgrund“ selbst keine
wissenschaftlichen Forschungsexperimente mit Kindern bekannt sind, kooperierte die Einrichtung
mit der Wiener Universitätsklinik, an der, unter der Leitung von Dr. Elmar Türk,44 lebensgefährliche
Impfversuche mit Kindern durchgeführt wurden. Nach einer gewissen Beobachtungszeit wurden die
40 Vgl. Czech, S.3f.41 Vgl. Dahl, S.7; Czech, S.4-6; Malina und Neugebauer, S.17.42 Vgl. Dahl, S.14.43 Vgl. Czech, S.7; Malina und Neugebauer, S.17.44 Anm.: Es konnte leider nicht festgestellt werden, ob Elmar Türk in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu
Marianne Türk stand. Es soll an dieser Stelle aber richtig gestellt werden, dass es sich hierbei nicht um ihren Gatten handelte, wie es in der Diplomarbeit „Frauen als Täterinnen Im Nationalsozialismus?“ von Maria Kostner aus dem Jahr 2008 auf Seite 45 behauptet wird, da aus den Quellen eindeutig hervorgeht, dass Marianne Türk ledig war.
17
Kinder in die „Kinderfachabteilung 'Am Spiegelgrund'“ überwiesen, wo sie verstarben und
schließlich obduziert wurden. Der Gesamtzusammenhang lässt vermuten, dass der Tod der Kinder
absichtlich erfolgt ist und Bestandteil der Experimente war. Darüber hinaus wurden „Am
Spiegelgrund“ auch Sterilisierungen an erbkranken Jugendlichen mit angeblicher
"Fortpflanzungsgefahr" durchgeführt, nachdem diesbezüglich entsprechende Anträge gestellt und
die gesetzlich vorgeschriebene Entscheidung des Erbgesundheitsgerichtes dazu gefallen war.45 Die
Euthanasierungen der Kinder und Jugendlichen erfolgten „Am Spiegelgrund“ meist durch die
Verabreichung von Morphium-Hydrochloral, Luminal oder anderen Medikamenten bzw. durch
Nahrungsmittelentzug oder nicht behandelten Infektionen.46
Die Quellenlage zur Anstalt „Am Spiegelgrund'“ ist heute aufgrund der überlieferten
Krankengeschichten sehr gut.47 Dies ermöglichte Matthias Dahl eine Auswertung der Krankenakten
von verstorbenen Kindern, welche folgende Ergebnisse zu Tage förderte: Zunächst ist
bemerkenswert, dass die meisten Kinder bereits zuvor andere öffentliche Pflegeeinrichtungen
durchlaufen hatten und nur ein Drittel direkt von zu Hause aus eingewiesen wurde. Da die Meldung
der Kinder an den „Reichsausschuss“ meist aus der „Kinderfachabteilung“ selbst erfolgte, zeichnet
sich der „Spiegelgrund“ durch einen besonders hohen Grad an Eigenverantwortlichkeit der
behandelnden ÄrztInnen aus. Besonders auffällig ist darüber hinaus, dass bei der Beurteilung des
Lebenswertes durch die Ärzteschaft die Arbeitsfähigkeit eines Kindes im Vordergrund stand. Kurz
vor dem Ableben eines Kindes erfolgte in der Regel eine „Schlechtmeldung“ des
Gesundheitszustandes mittels stereotyper Wortwahl an die Angehörigen, welche nach dem Ableben
der Kinder ein Schreiben erhielten, mit dem Vermerk, ihr Kind sei durch einen „sanften Tod“ erlöst
worden. Insgesamt starben 78 Prozent der Kinder an akuten Infektionen, meistens an
Lungenentzündung. Grundsätzlich hatten Angehörige die Möglichkeit eine Entlassung ihrer Kinder
zu erwirken, doch es wurde nicht immer derartigen Wünschen nachgegeben und nicht selten wurde
ein „Ausfolgeverbot“ verhängt. Es sind nachweisbar drei Fälle dokumentiert und überliefert, in
denen Eltern selbst eine Euthanasie ihres Kindes wünschten. Bis Kriegsende starben 772 Kinder in
der Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“, davon nach Angaben der beteiligten ÄrztInnen ca.
200 bis 250 mit „Nachhilfe“.48
Was nun die genauen Aufgaben von Marianne Türk bei diesem NS-Verbrechen waren untersucht
der nächste Abschnitt.
45 Vgl. Dahl, S.13f und S.18.46 Vgl. Malina und Neugebauer, S.17.47 Vgl. Czech, S.3.48 Vgl. Dahl, S.9, S.11, S.15-18 und S.22.
18
3. Analyse von Quellen zum Fallbeispiel Marianne Türk
Nachdem nun im ersten Abschnitt geklärt wurde, wie die Rahmenbedingungen für eine Beteiligung
an der NS-Euthanasie ausgesehen haben, beinhaltet der folgende Abschnitt eine Analyse der
konkreten Verstrickung Marianne Türks in dieses Unterfangen bzw. ihrer Täterschaft. Um dies
durchführen zu können, erfolgt zunächst in Absatz 3.1 ein biografischer Abriss ihres Lebens, der
nicht nur, anhand einer Darstellung ihrer Herkunft und ihres privaten und beruflichen Werdegangs,
einen Eindruck von ihr als Person vermittelt, sondern sich auch mit ihrer Verurteilung als NS-
Täterin und den damit zusammenhängenden Folgen beschäftigt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf
dem Verhalten Türks in ihrer Rolle einer verurteilten NS-Täterin in der Nachkriegszeit. Dies wird
durch eine anschließende Untersuchung ihrer Selbstdarstellung in Beschuldigten-Vernehmungen
und Straferlass- bzw. Gnadengesuchen in Absatz 3.2 verdeutlicht. Hierbei stehen vor allem ihre
eigenen Erklärungsansätze für ihre Beteiligung an der NS-Euthanasie im Vordergrund, ebenso wie
die Frage nach der Verantwortlichkeit für ihre Taten bzw. ihrer Bereitwilligkeit dazu, Verantwortung
für ihre Taten zu übernehmen. Zeitgleich werden, unter Berücksichtigung des historischen
Kontextes und unter Zuhilfenahme einschlägiger Literatur, ihre Handlungsspielräume als Frau,
Ärztin und Täterin untersucht und etwaige Handlungsalternativen aufgezeigt. Abschließend erfolgt
in Absatz 3.3 eine Zusammenfassung der Ergebnisse, die nicht nur auf mögliche wahre Motive für
die Täterschaft Türks hinweist, sondern zugleich eine Einordnung eben dieser in eine Täter-
Typologie nach Mallmann und Paul vornimmt. Zunächst aber zum biografischen Kontext.
3.1 Biografische Verortung
Marianne Türk wurde am 31.5.1914 als einzige Tochter von Franz und Adelheid Türk in Wien
geboren. Ihr Vater, ein Staatsbeamter, fiel unter unbekannten Umständen im Jahr 1914 „auf dem
Kriegsschauplatz“ des Ersten Weltkrieges, woraufhin ihre Mutter schwer an einer Lungen-
Tuberkulose und Magengeschwüren erkrankte. Sie bezog folglich eine kleine Pension mit der sie
sich und ihre Tochter, nach eigenen Angaben Türks, „kärglich und entbehrungsreich durchbrachte“.
Nach dem Besuch der Volksschule konnte Türk trotz der wirtschaftlich schlechten Lage ihrer
Mutter ein Realgymnasium absolvieren, da sie vom ersten Tag ihrer Oberstufen-Schulzeit an zum
Lebensunterhalt für sich und ihre Mutter beitrug. Ab 1933 begann sie ein Studium der Medizin an
der Universität Wien, wo sie im Jahr 1939 schließlich zum „Doktor der Gesamten Heilkunde“
promovierte.49
49 Vgl., WStLA, M.Abt. 119, A42-NS-Registrierung, 5.326, Handschriftlicher Lebenslauf.
19
Nach dem Abschluss ihres Studiums, begab sie sich auf die Suche nach einer geeigneten Stelle als
Ärztin. Im Zuge dessen wurde sie darauf aufmerksam, dass in der Heil- und Pflegeanstalt „Am
Steinhof“ eine Stelle vakant war, die sie folglich am 15. März 1939 als „Aushilfsanstaltsärztin“ des
psychiatrischen Pavillons für Männer antrat. Da es aber ihr Wunsch war, Kinderärztin zu werden,
wechselte sie im Jahr 1940 zunächst in die Abteilung der „Jugendfürsorgeanstalt“, wo sie für die
medizinische Betreuung von Schulkindern zuständig war, bis diese in einen klinisch-medizinischen
und einen pädagogischen Teil aufgespalten wurde. Danach war sie „hauptamtlich“ in der
Nervenklinik für Kinder tätig, verrichtete aber weiterhin „nebenamtlich“ ihren Dienst im
Erziehungsheim. Zu ihren Aufgaben zählten neben der Diagnostik und Beobachtung von geistig
und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen auch die Beauftragung zur Durchführung der
Euthanasie.50 Dazu aber später in der Analyse ihrer Selbstdarstellung mehr.
Am 18. Juli 1946 wurde Marianne Türk vom Volksgericht Wien dafür schuldig erklärt, Menschen
im Zeitraum von 1942-1945, durch die Verabfolgung von Giften und mit der Absicht zu töten, in
einen qualvollen Zustand versetzt zu haben. Sie wurde wegen des Verbrechens des vollbrachten
Meuchelmordes nach §§ 134, 135/1 StG und des Verbrechens der Quälereien und Misshandlungen
§ 3KVG gemäß § 3, Abs. 2 KVG unter Anwendung des § 13 KVG zu einer schweren Kerkerstrafe
in der Dauer von zehn Jahren, verschärft durch ein hartes Lager vierteljährlich und zum Ersatz der
Kosten des Strafverfahrens und des Strafvollzugs verurteilt und ihr Vermögen wurde zugunsten der
Republik Österreich eingezogen. Zudem beschloss die Universität Wien eine Aberkennung ihres
Titels eines „Doktors der Gesamten Heilkunde“. Im Zeitraum vom 18. Juli 1946 bis zum 23.
Dezember 1948 befand sich Marianne Türk in Haft. Über diese Zeit geht aus den Quellen nichts
hervor. Es steht jedoch fest, dass Türk im Jahr 1948 nach einer Haftzeit von nur 3 Jahren, 5
Monaten und 28 Tagen (unter Anrechnung der Untersuchungshaft) ein Gnadengesuch verfasste,
dem, aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes, unter vorläufiger Einstellung des
Strafvollzugs, stattgegeben wurde.51
Nach ihrer Entlassung aus der Haft setzte Türk alles daran, in Freiheit bleiben zu können. Nachdem
eine beantragte Wiederaufnahme ihres Strafverfahrens 1951 noch im selben Jahr abgelehnt worden
war, startete sie eine Reihe von Straferlass- und Gnadengesuchen.52 Eines der ersten Schreiben
enthielt dabei ein Gutachten ihres Hausarztes, welches ihre Haftunfähigkeit verdeutlichen sollte.
50 Vgl. DÖW, WN 19542/2 Vernehmung der Beschuldigten Marianne Türk vom 16.10.1945 und DÖW, WN 20321 Fortsetzung der Vernehmung der Beschuldigten vom 20.1.1946.
51 Vgl. WstLA, M.Abt. 119, A42-NS-Registrierung, 5.326, Nachsichtsgesuch vom 8.12.1953; Volksgerichtsakt, Vr. 2365/45, Schreiben an das Bundesministerium für Justiz vom 8.11.1951 und Schreiben an das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 30.7.1951.
52 Vgl. WstLA, Volksgerichtsakt, Vr. 2365/45, Schreiben an das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 30.7.1951 und Schreiben vom Landesgericht für Strafsachen Wien vom 3.9.1951.
20
Dieses Gutachten besagt, Türk würde bereits seit 1931 an einem offenen Magengeschwür leiden,
welches bereits zwei Mal operiert worden sei und sich seit 1948 durch ein gutartiges Geschwür im
Leerdarm verschlechtert hätte. Erschwert würde dies zusätzlich durch eine gegenwärtige Gastritis,
Diabetes Melitus und spastische Kreislaufstörungen, hervorgerufen durch die Aufregungen in Haft,
was durch eine Fortsetzung eben dieser zu einer Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes
führen würde. Eine darauffolgende gerichtsmedizinische Untersuchung bestätigte diese Diagnose,
erklärte den allgemeinen Gesundheitszustand der „mittelgroßen, zart gebauten und knapp
genährten“ Marianne Türk als schlecht und stellte ebenfalls eine Haftunfähigkeit fest. Der
Bundespräsident erließ daraufhin am 22. Juli 1952, unter Festlegung einer fünfjährigen Probezeit,
die restliche Haftstrafe. Da es aber das Anliegen Türks war, wieder als Ärztin zu arbeiten, ersuchte
sie weiters auch um den Erlass dieser Probezeit, welche ihr nach mehreren Anträgen spätestens im
November 1955 endgültig gewährt wurde.53 Ein Professorenkollegium der Universität Wien
beschloss daraufhin am 23. Jänner 1957, ihr den Doktortitel wieder zu verleihen.54 Trotzdem sie
nach eigenen Angaben mit „ganzem Herzen an ihrem Beruf hing“, sollte Marianne Türk nie wieder
als Ärztin tätig sein. Da die Quellen nur eine Aussage bis zum Mai 1955 zulassen, ist der letzte
Stand über ihren Verbleib folgender, dass sie seit dem Jahr 1949 ledig und kinderlos eine Wohnung
mit ihrer, zunächst pflegebedürftigen, Mutter in Wien teilte und ab 1952 in einer Kräuterhandlung
als Verkäuferin angestellt war. Am 11. Jänner 2003 verstarb Marianne Türk im 89. Lebensjahr.55
Da dieser biografische Überblick noch keine Aussagen über die Beweggründe und genauen
Umstände im Hinblick auf die Täterschaft Marianne Türks zulässt, erfolgt im nächsten Absatz eine
Untersuchung ihrer eigenen Erklärungsansätze dafür aus überlieferten Quellen. Sämtliche Aussagen
werden dabei unter Berücksichtigung des historischen Kontextes auf ihre Richtigkeit und Relevanz
überprüft.
53 Vgl. WstLA, Volksgerichtsakt, Vr. 2365/45, Schreiben an das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 30.7.1951; Schreiben vom Landesgericht für Strafsachen Wien vom 3.9.1951; Schreiben an das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 12.11.1951; Ärztliches Gutachten von Dr. Fritz Demmer; Bericht über die gerichtsärztliche Untersuchung vom 24.4.1952; Schreiben an das Volksgericht Wien vom 23.7.1952; Schreiben an das Bundesministerium für Justiz Wien vom 14.10.1953; Schreiben des Dekanats der medizinischen Fakultät der Universität Wien und WStLA, M.Abt. 119, A42-NS-Registrierung, 5.326, Schreiben des Bundeskanzleramtes vom 2.11.1955.
54 Anm.: Leider kann an dieser Stelle nicht näher auf das Thema eingegangen werden. Es soll jedoch angemerkt sein, dass es sich hierbei nicht um einen Einzelfall gehandelt hat. Gleichzeitig soll auf die Arbeit von Posch, Herbert, Akademische "Würde": Aberkennung und Wiederverleihung akademischer Grade an der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert (Dissertation Wien 2009) hingewiesen werden, die zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Bachelorarbeit nicht zugänglich gewesen ist.
55 Vgl. WstLA, Volksgerichtsakt, Vr. 2365/45, Schreiben an das Bundesministerium für Justiz Wien vom 14.10.1953; Schreiben an das Volksgericht Wien vom 22.11.1951 und vom 12.5.1955 sowie Deckblatt des Volksgerichtsaktes.
21
3.2. Auswertung der Selbstdarstellung in überlieferten Quellen
Das erste was bei der Untersuchung der Beschuldigten-Vernehmungsprotokolle des
Volksgerichtsverfahrens gegen Marianne Türk et al. besonders auffällt, ist eine Falschaussage Türks
in ihrer ersten Vernehmung vom Oktober 1945. Darin streitet sie nicht nur ihre aktive Teilnahme an
der NS-Euthanasie in der „Kinderfachabteilung“ „Am Spiegelgrund“ ab, sondern sie gibt darüber
hinaus an, nie etwas davon gewusst zu haben. Obwohl sie einräumt, dass ihr Tötungen erwachsener
AnstaltspatientInnen der „Irrenanstalt Steinhof“ bekannt gewesen seien, streitet sie gleichzeitig ab,
dass derartiges je mit Kindern vorgefallen wäre, „vor allem nicht aus pol. rassischen Gründen, nicht
einmal aus Gründen der Barmherzigkeit“ [sic!]. Zwar führt sie weiters an, dass „aussichtslose
Fälle“ an den „Reichsausschuss“ gemeldet werden mussten, sie habe dabei aber nie mitbekommen,
dass ihre Vorgesetzten dadurch „Aufträge zur Todbeschleunigung“ erhalten hätten. Das einzige Teil-
Geständnis zu dem sie sich durchringt, betrifft das gelegentliche Verabreichen von
„schmerzlindernden Medikamenten“ bei Fällen, „in dem Kinder bereits im Sterben lagen und der
Tod eine unumstössliche Gewissheit war [...]“ [sic!], wobei es „unter Umständen“ zu einer
„unabsichtlichen Verkürzung des Leidensweges“ „um einige Stunden“ habe kommen können.56
Ein derartiges Abstreiten von Wissen im Bezug auf die konkreten Vorgänge bestimmter NS-
Verbrechen ist in den Prozessen der Nachkriegszeit keine Seltenheit gewesen und wurde auch von
KZ-AufseherInnen, BeamtInnen, SachbearbeiterInnen und Gestapo-MitarbeiterInnen ausgeführt,
die alleine aufgrund ihrer Tätigkeiten nicht nur davon gewusst hatten, sondern meist auch aktiv an
den Taten beteiligt gewesen sind.57 Was die genauen Gründe Türks für ein Abstreiten waren, lässt
sich anhand der Quellen leider nicht sagen.
Ein Jahr später jedoch, gleich zu Beginn ihrer zweiten Aussage vom Jänner 1946, hält sie fest, sie
könne ihre erste Aussage „nicht mehr aufrecht erhalten“, da sie von den „sogenannten
Todbeschleunigungen“ vielmehr gewusst hätte. Was diesen Gesinnungswandel bewog, geht aus den
Quellen nicht hervor. Sie gibt lediglich an, dass sie sich zur Zeit ihrer Untersuchungshaft noch an
ihre, während ihrer Dienstzeit gegenüber ihren Vorgesetzten abgegebene, Schweigepflicht bezüglich
der NS-Euthanasie, gebunden gefühlt habe.58 Über die Gründe, warum dem nun nicht mehr so war,
kann nur gemutmaßt werden. Es könnte durchaus sein, dass sie Angst hatte, ihr würde bei einem
Geständnis mehr passieren als bei einer Lüge, da das Sprechen über die NS-Euthanasie zur Zeit der
NS-Herrschaft tatsächlich unter Strafe stand. Ob dem aber wirklich so war, bleibt fraglich.
Obwohl sich die weiteren Aussagen Türks bezüglich der Abläufe der NS-Euthanasie „Am
Spiegelgrund“ im Wesentlichen mit den historischen Fakten decken, versucht sie in Folge plausible
56 Vgl. DÖW, WN 19542/2, Vernehmung der Beschuldigten Marianne Türk vom 16.10.1645.57 Vgl. Kompisch, S.119.58 Vgl. DÖW, WN 20321, Fortsetzung der Vernehmung der Beschuldigten vom 20.1.1946.
22
Gründe für ihre Mitarbeit anzuführen. Diesbezüglich macht sie in einer Vernehmung vom März
1946 darauf aufmerksam, dass sie zu Beginn ihre Mitarbeit noch verweigert hatte. Dabei führt sie
an, wie ihr zunächst das Versterben von Kindern aufgefallen sei, die eigentlich nicht hätten sterben
sollen, woraufhin sie von Dr. Jekelius über den Sachverhalt der NS-Euthanasie aufgeklärt worden
sei. Sie sei darüber „argwöhnisch“ geworden und habe Jekelius erklärt, sie könne mit Kindern, „die
allenfalls zur Euthanasie in Fragen kommen“, nicht arbeiten, weil sie dieser Umstand zu sehr
„belasten“ würde. Diese Aussage verdeutlicht, dass sie sich der Bedeutung der NS-Euthanasie
durchaus bewusst war und steht im krassen Kontrast zu einem Gnadengesuch aus dem Jahr 1953,
worin sie darauf plädiert, dass sie zum Zeitpunkt der Taten „erst“ fünfundzwanzig Jahre alt und
somit eine „gänzlich unerfahrene“ und „junge Ärztin“ gewesen sei.59 Hierbei handelt es sich um
eine gängige stereotype Darstellung von NS-Täterinnen in der Nachkriegszeit, indem Frauen in der
Rolle der jungen naiven Täterin präsentiert wurden, die aufgrund ihrer Jugend zwar brutal, aber
nicht bewusst gehandelt habe.60 Im Hinblick auf ihre Aussage 1946 wirkt diese Erklärung aber
manipulativ.
In der Aussage 1946 gibt sie weiters an, dass die Gründe für ihre endgültige Beteiligung an der NS-
Euthanasie darin zu finden seien, dass, aufgrund von Versetzungen und Einrückungen, die
zuständigen Ärzte in der „Kinderfachabteilung“ immer weniger geworden und am Ende nur noch
Dr. Illing und sie übrig geblieben seien. Sie habe sich demnach damit „abfinden“ müssen, dass an
den Kindern „Euthanasie vollzogen“ wurde“.61 Neben dieser Erklärung setzt sie in all ihren
darauffolgenden Aussagen einen Schwerpunkt darauf, in erster Linie aus „Gehorsam“ gehandelt zu
haben. Im Zuge dessen verweist sie mitunter auf eine Befehlskette, mit dem „Reichsausschuss“ an
erster Stelle,62 ihren Vorgesetzten Jekelius und Illing an zweiter Stelle, die ihr den Auftrag zur
Euthanasie erteilten, und schließlich ihr selbst an dritter Stelle, mit der Aufgabe, die Anweisungen
zur Euthanasie an das Pflegepersonal „vielmehr weiterzugeben“, als tatsächlich in Auftrag zu
stellen.63 Mit dieser Darstellung, versucht Türk ihre machtlose Stellung als „kleines Rädchen im
Getriebe“,64 zu verdeutlichen, was bei genauer Betrachtung jeglicher Berechtigung entbehrt, da,
wenn man berücksichtigt, dass ohne der Meldungen der Kinder an den „Reichsausschuss“, die
mitunter auch von Türk erfolgt sind,65 niemals ein Auftrag zur Tötung gekommen wäre, womit sie
59 Vgl. DÖW, WN 20321, Fortsetzung der Vernehmung der Beschuldigten Marianne Türk vom 12.3.1946; WstLA, M.Abt. 119, A42-NS-Registrierung, 5.326, Nachsichtsgesuch vom 8.12.1953.
60 Vgl. Kompisch, S.236.61 Vgl. DÖW, WN 20321, Fortsetzung der Vernehmung der Beschuldigten Marianne Türk vom 12.3.1946.62 Anm.: Herwig Czech zufolge erfüllte der „Reichsausschuss“ grundsätzlich eine wichtige psychologische
Entlastungsfunktion für NS-Euthanasie-ÄrztInnen, da er die formale Entscheidung über die Tötungen der Kinder zu treffen hatte, Vgl. Czech, S.3.
63 Vgl., DÖW, WN 20321 Fortsetzung der Vernehmung der Beschuldigten Marianne Türk vom 20.1.1946.64 Vgl. Kompisch, S.12.65 Vgl. WStLA, M.Abt. 119, A42-NS-Registrierung, 5.326, Schreiben des Volksgerichts beim Landesgericht für
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sich wieder am Anfang der Befehlskette befindet. Auch ihr Verweis darauf, nie selbst getötet,
sondern nur den Auftrag dazu weitergeleitet zu haben, erweist sich als Falschaussage. Nachdem sie
zu Beginn der Beschuldigten-Vernehmung vom Jänner 1946 angibt: „Ich selbst habe solche
Tabletten (Anm.: Luminal oder Veronal) nie persönlich den Kindern gegeben, da ich ja die Kinder
nicht zu füttern hatte“, sind ihre Schlussworte am Ende des gleichen Protokolls: „Ich selbst habe
sehr selten, wie bereits ausgeführt, persönlich an Kindern Tabletten gegeben. Ich habe auch
manchmal Injektionen gegeben.“ [sic!] Ihre Anmerkung, sie könne sich nicht daran erinnern, wie
oft dies erfolgt sei, wird dabei irrelevant, da bereits ein einmaliges Verabreichen für ihre direkte
Täterschaft steht. Darüber hinaus hat auch Türk, die in Absatz 2.6 erwähnten,
Pneumencephalographien an Kindern durchgeführt, die mitunter nicht nur unnötig und äußerst
schmerzhaft waren, sondern auch oftmals Kopfschmerzen, Brechreiz, Schweißausbrüche und eine
erhöhte Erkältungsgefahr zur Folge hatten, was für eine sinnlose Quälerei der Kinder spricht.66
Auch der „Geheime Führererlass“ vom Oktober 1939, rückdatiert auf den 1. September 1939, wird
von Türk als Grund für ihr Handeln unter Zwang angeführt. Jekelius habe ihr zu Beginn ihrer
Tätigkeit erzählt, es bestünde ein Gesetz, dass in bestimmten Fällen eine Euthanasierung von
Menschen bestimme, welches aber erst nach dem Krieg verlautbart würde, da man sich über die
Fassung noch nicht im Klaren sei. Sie selbst habe diesen Runderlass nie gesehen, habe aber auch
keinen Grund dazu gehabt, an seiner Existenz zu zweifeln, da auch in den betreffenden
Dokumenten des „Reichsausschusses“ immer wieder darauf verwiesen worden sei. Es kann an
dieser Stelle davon ausgegangen werden, dass Türk von der faktischen Gehaltlosigkeit dieses
Erlasses tatsächlich nichts gewusst hatte, da er ja grundsätzlich dazu dienen sollte, ÄrztInnen in
Sicherheit bezüglich einer Straffreiheit ihrer Taten zu wiegen und er ihnen durchaus als
gesetzteskräftig ausgelegt worden ist.67
Ihre weiteren Aussagen dahin gehend, dass sie keine andere Wahl gehabt hätte, als sich an der
Euthanasie zu beteiligen, müssen jedoch differenziert werden. Zwar mag es stimmen, dass es
schwierig gewesen wäre, während des Krieges ihren Posten zu wechseln,68 dennoch hatte sie aber
zu Beginn ihrer Tätigkeit als Euthanasie-Ärztin ihr freiwilliges Einverständnis dazu geben müssen.
Und auch wenn sich die Situation „Am Spiegelgrund“, aufgrund des bestehenden Ärztemangels,
vermutlich etwas schwierig gestaltet hatte, hätte sie sich jederzeit weigern können, Kinder und
Jugendliche zu euthanasieren. Schmuhl führt diesbezüglich einen Fall an, bei dem sich sogar ein
Strafsachen Wien vom 19.8.1946.66 Vgl. DÖW, WN 20321, Fortsetzung der Vernehmung der Beschuldigten Marianne Türk vom 20.1.1946 und vom
10.4.1946 und WStLA, M.Abt. 119, A42-NS-Registrierung, 5.326, Schreiben des Volksgerichts.67 Vgl. DÖW, WN 20321, Fortsetzung der Vernehmung der Beschuldigten Marianne Türk vom 20.1.1946 und vom
12.3.1946; Schmuhl, Rassenhygiene, S.192.68 Vgl. DÖW, WN 20321, Fortsetzung der Vernehmung der Beschuldigten Marianne Türk vom 12.3.1946.
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Anstaltsleiter davor gescheut hatte, Kinder zu euthanasieren und auch dessen Kollege, der zunächst
diese Aufgabe übernommen hatte, nach nur wenigen Tötungen seine Mitarbeit dazu verweigerte.
Nicht die Ablehnung der Euthanasie zog Sanktionen nach sich, sondern das Sprechen darüber.
Schlimmstenfalls hätte Türk dadurch ihren Arbeitsplatz verloren.69
Ihre Betonung des Handelns unter Zwang wird lediglich dann etwas verständlicher, wenn man
berücksichtigt, dass bei vielen Urteilen der Nachkriegsprozesse von Frauen oftmals nicht die Tat an
sich, sondern die Rechtfertigungen der Täterinnen ausschlaggebend für die Härte einer Verurteilung
waren. Hierbei konnte man ein Handeln von Frauen unter Zwang leichter akzeptieren, als eine
bewusste und freiwillige Tat, da ersteres gängigen Weiblichkeitsstereotypen entsprach und letzteres
als widernatürlich und besonders strafwürdig erachtet wurde.70
Neben der Erklärung ihres Handelns aufgrund von Druck und Zwang, versucht Türk auch auf ihre
absolut unpolitische Haltung hinzuweisen. Bereits in ihrer ersten Vernehmung hatte sie zu Protokoll
gegeben, dass sie sich nie für Politik interessiert und selbst bei ihrer Anstellung in „Steinhof“
keinerlei Protektion oder sonstige Empfehlung in parteipolitischer Hinsicht benötigt habe. In ihren
Gnadengesuchen aus den 1950er Jahren unterstreicht sie sogar den Fakt, dass sie nie der NSDAP
oder einer ihrer Gliederungen angehört habe und gibt weiters an, nicht aus „nationalsozialistischer
Gesinnung“ heraus gehandelt zu haben. Obschon die Quellen belegen, dass Türk tatsächlich nie
Mitglied der NSDAP, des NS-Deutschen Ärztebundes oder einer ähnlichen Vereinigung gewesen
ist, kann ihre Aussage, sie sei „immer nur Ärztin“ gewesen, so nicht stehen gelassen werden. Denn
betrachtet man die unreflektierte und wiederholte Wortwahl Türks, wenn sie davon spricht
ausschließlich „idiotische“ und „lebensunfähige“ Kinder aus „Mitleid“71 euthanasiert zu haben, oder
die Kinder, „die aus körperlichen oder seelischen Mängeln für die menschliche Gesellschaft keinen
Wert haben“ erwähnt bzw. von „Missgeburten“ und „Zerrbildern des menschlichen Lebens“ spricht,
so lässt sich eine gewisse rassenideologische Indoktrinierung ihrerseits unweigerlich erkennen.
(Dies ließe sich alleine dadurch erklären, dass besonders Frauen, als prädestinierte Mütter und
„Erhalterinnen der Rasse“, im Hinblick auf die „Erb- und Rassenlehre“ vom NS-Regime doppelt
stark beeinflusst wurden.) Doch selbst wenn Türk den NS-Herrschaftsapparat in parteipolitischer
Hinsicht nicht aktiv unterstützt hat, so entsprechen ihre Taten in Form der Ausführung der NS-
Euthanasie sehr wohl einer „nationalsozialistischen Gesinnung“ und haben entgegen ihrer Aussage
sogar sehr viel mit Politik zu tun.72
69 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.186f und S.192; Kompisch, S.128 und Herkommer, S.65f.70 Vgl. Kompisch, S.243.71 Anm.: Da „Leiden“ an sich als sinnfrei abgestempelt und Mitleid im eigentlichen Sinne des Wortes obsolet
geworden war, bestand die einzige Ausdrucksmöglichkeit von Mitleid in seinem verkehrten Sinn nur mehr in der „Erlösung“ von „Leiden“ durch Euthanasie, Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, S.28.
72 Vgl. Kompisch, S.13; DÖW, WN 19542/2, Vernehmung der Beschuldigten Marianne Türk vom 16.10.1945; DÖW,
25
Türk versucht sich demnach in ihrer Selbstdarstellung als absolut gehorsame, in höchstem Grade
unpolitische und äußerst sorgfältige Frau und Ärztin zu präsentieren. Letzteres hebt sie unter
anderem dadurch hervor, indem sie wiederholt darauf aufmerksam macht, bei der Untersuchung
und Einschätzung der Kinder nie „leichtfertig“ vorgegangen zu sein, sondern „lange und
gewissenhaft“ geprüft zu haben, ob sie ein Kind dem „Reichsausschuss“ melden sollte oder nicht.
Darüber hinaus behauptet sie, ihre Pflichten als Ärztin stets „zur vollsten Zufriedenheit ihrer
Patienten und Vorgesetzten“ erfüllt zu haben.73
Obwohl all diese Erklärungen meist einen wahren Kern haben, versucht Türk damit bewusst oder
unbewusst, eine Verlagerung von Verantwortung zu erzielen. Gekoppelt an ihre geschönte
Selbstdarstellung bleibt dadurch der Eindruck zurück, alleine aufgrund ihrer Aussagen, den wahren
Grund für ihre Täterschaft nicht ermitteln zu können. Der nächste Absatz versucht daher, unter
Berücksichtigung relevanter Erkenntnisse aus ihrer biografischen Laufbahn aus Absatz 3.1 in
Kombination mit der revidierten Form ihrer Aussagen aus Absatz 3.2 und unter Einbeziehung des
historischen Kontextes, die tatsächlichen Motive für ihre Täterschaft zu ergründen.
3.3. Fazit der Täteranalyse
Betreffend der relevanten Erkenntnisse aus dem biografischen Kontext Marianne Türks, kann
festgehalten werden, dass sie ein sehr zielstrebiger und erfolgsorientierter Mensch war, was sich
alleine darin zeigt, dass sie es schaffte, trotz ihrer Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen, ein
Studium der Medizin zu ergreifen. Aus Aussagen, wie sie habe ein „ausgesprochenes Talent zum
Studieren“ gehabt, in allen Schulklassen immer nur „Sehr Gut“ erhalten und selbst alle Prüfungen
an der Universität mit „ausgezeichnetem Erfolg“ abgelegt, geht darüber hinaus hervor, dass sie
vermutlich eine sehr ehrgeizige und strebsame Frau war.74
Obwohl das Einschlagen einer akademischen Karriere dem NS-Idealbild der Frau als Hausfrau und
Mutter widersprach, entschied sie sich mit ihrer Profession als Ärztin doch für ein „typisch
weibliches“ Berufsbild, da die Aufgaben einer Ärztin darin bestanden zu Pflegen, Helfen und
Umsorgen, was wiederum mit stereotypen Eigenschaften der „Mütterlichkeit“ verbunden wurde.75
Grundsätzlich gilt, dass das nationalsozialistische Herrschaftssystem neue Entfaltungsmöglichkeiten
für Frauen in traditionell weiblichen Berufen im Sozial- und Wohlfahrtswesen und in medizinischen
Berufen bot, von denen auch Marianne Türk profitieren konnte. Zu großer Ehrgeiz unter Frauen war
WN 20321, Fortsetzung der Vernehmung der Beschuldigten vom 12.3.1946; WStLA, M.Abt. 119, A42-NS-Registrierung, 5.326, Meldeblatt zur Verzeichnung der Nationalsozialisten vom 18.12.1954 und Nachsichtsgesuch vom 8.12.1953.
73 Vgl. DÖW, WN 20321, Fortsetzung der Vernehmung der Beschuldigten Marianne Türk vom 12.3.1946 und WstLA; M.Abt. 119, A42-NS-Registrierung, 5.326, Handschriftlicher Lebenslauf.
74 WStLA, M.Abt. 119, A42-NS-Registrierung, 5.326, Handschriftlicher Lebenslauf.75 Vgl. Ebbinghaus, S.8f; Kompisch, S.19 und S.100.
26
dabei aber trotzdem nicht gerne gesehen. Dies zeigt sich mitunter daran, dass Frauen
Schwierigkeiten bei der Erlangung eines Facharzttitels oder der Eröffnung einer eigenen Praxis
hatten bzw. Ärztinnen in Leitungspositionen kaum anzutreffen waren. Das Einrücken männlicher
Vorgesetzter in den Krieg, ermöglichte in diesem Zusammenhang aber Aufstiegsmöglichkeiten für
Frauen, die andernfalls so nicht gegeben gewesen wären.76
Was nun ihre eigenen Erklärungen für ihre Täterschaft angeht, so kann es durchaus möglich sein,
dass Türk nicht aus vollster Überzeugung und auf eigenen Wunsch ihre Tätigkeit als NS-
Euthanasie-Ärztin aufgenommen hatte. Es reicht aber sicherlich nicht aus zu sagen, sie habe nur aus
Gehorsam und unter Zwang gehandelt. Zwar würde eine Beteiligung gegen ihren Willen gängigen
postulierten und idealisierten Eigenschaften einer NS-Ärztin, im Sinne von der Bereitschaft zu
Aufopferung, Verzicht und Unterordnung gegenüber dem Staat, zugunsten des Volkes,
entsprechen,77 da sie aber vehement darauf besteht nicht aus nationalsozialistischer Gesinnung
gehandelt zu haben, kann dies alleine kein Grund für ihre Mitarbeit gewesen sein (obwohl bereits
aufgedeckt wurde, dass auch sie nicht frei von ideologischer Indoktrination war). Wenn man
berücksichtigt, dass ihr bei einer Verweigerung wahrscheinlich nicht viel mehr passiert wäre als der
Verlust ihrer Arbeitsstelle, so muss nach Gründen gesucht werden, warum Türk dies auf keinen Fall
riskieren wollte.
Das grundsätzliche Prestige einer Ärztin im Nationalsozialismus, der mit der Bekämpfung der
vermeintlichen genetischen Degeneration des Volkskörpers eine öffentliche Aufgabe von scheinbar
staatstragender Bedeutung zu Teil wurde,78 war für eine erfolgsorientierte Frau wie Türk sicher
nicht ohne Belang und würde mitunter erklären, warum sie diesen Status auf keinen Fall aufgeben
wollte. Die jährliche Bonuszulage von 250 Reichsmark für NS-Euthanasie-ÄrztInnen zu
Weihnachten könnte ein weiterer Anreiz gewesen sein.79 Auch wenn es sich hierbei nur um ca. ein
Monatsgehalt mehr im Jahr gehandelt hat,80 dürfte diese Extrazulage für eine Frau wie Türk, die
ihre Kindheit und Jugend am Existenzminimum verbracht hatte, und erst recht in Zeiten des
Krieges, nicht ohne Bedeutung gewesen sein. Dies alleine reichte aber sicherlich nicht für eine
Beteiligung an der NS-Euthanasie aus.
Viel wahrscheinlicher dagegen ist, dass Marianne Türk eine karrierebewusste Frau war, die in dem
Angebot ihres Vorgesetzten zur Mitarbeit in der NS-Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie eine
Möglichkeit sah, in ihrer Laufbahn als Ärztin aufzusteigen. Es kann daher durchaus davon
76 Vgl. Kompisch, S.109, S.142 und S.241f.77 Vgl. Erben, S.7.78 Vgl. Schmuhl, S.132.79 Vgl. Kompisch, S.127.80 Vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Online unter: http://www.gesetze-im-
internet.de/sgb_6/anlage_1.html (13.3.2016).
27
ausgegangen werden, dass es sich bei ihrer Entscheidung mitunter um eine nüchterne Kosten-
Nutzen Abwägung gehandelt hat.81
Geht man nun nach Michael Mann, so kann man sagen, dass es sich bei Marianne Türk um einen
klassischen „band wagon Nazi“ gehandelt hat. Denn, obwohl sie keine überzeugte
Nationalsozialistin gewesen ist, passte sie sich an das Regime an, um Karriere machen zu können.82
Nach Mallmann und Paul ist eine „Karriere im Sinne eines beruflichen Aufstiegs nie
voraussetzungslos und stets abhängig von gesellschaftlich offerierten Aufstiegsmöglichkeiten und
-modalitäten, von persönlichen Fähigkeiten und Talenten, als auch vom Engagement des Einzelnen,
der dabei immer bereit ist, mehr zu geben und zu leisten als andere“. Eine unbeschadete
Weiterführung der ärztlichen Laufbahn Marianne Türks war nur dann gegeben, wenn sie sich den
nationalsozialistischen Anschauungen beugte, was sie mit der Euthanasierung von unschuldigen
Kindern und Jugendlichen tat. Darüber hinaus kann Türk als „Direkttäterin“ nach Mallmann und
Paul eingestuft werden,83 da auch sie selbst tödliche Tabletten und Spritzen an Kinder und
Jugendliche verabreicht hat.
Ihrem Verhalten in der Nachkriegszeit nach zu urteilen, war es ihr in erster Linie ein Anliegen, die
Verantwortung für ihre Taten auf besondere Umstände und Gegebenheiten abzuwälzen, anstatt
selbst als eigenständiges Subjekt, das aus freiem Willen gehandelt hat, dafür einzustehen. Dies zeigt
sich alleine daran, dass sie ihre zu Recht erhaltene Strafhaft nicht vollständig vollzog. Sie entspricht
somit dem überwiegenden Teil der Bevölkerung der Nachkriegszeit, der selbst die
„Unschuldsposition“ verinnerlicht hatte. Dies führte mitunter auch dazu, dass lediglich einige
wenige Frauen für ihre Taten während der NS-Zeit tatsächlich und mit aller Härte belangt worden
sind. Freisprüche standen an der Tagesordnung und auch Marianne Türk profitierte einmal mehr
von der Beschaffenheit eines bestimmten Regierungs- und Justizsystems.84
81 Vgl. Kompisch, S.237.82 Vgl. Mallmann und Paul, S.17; Kompisch, S.246.83 Vgl. Mallmann und Paul, S.5 und S.18.84 Vgl. Kompisch, S.7.
28
4. Conclusio
Der erste Teil dieser Arbeit hat gezeigt, wie die NS-Rassenideologie zu einer Entgrenzung von
Gewalt dahingehend geführt hat, dass aufgrund von angeblich wissenschaftlichen Maßstäben nicht
nur über den Wert, sondern auch über die Lebensberichtigung und den weiteren Lebensverlauf von
Menschen entschieden worden ist. Die Mittel und Wege zur Umsetzung der „Vernichtung
'lebensunwerten' Lebens“ waren dabei nicht nur vielfältig, institutionalisiert und akribisch geplant,
sondern wurden zeitgleich von einem gut organisierten „Mordapparat“ ausgeführt.
Der zweite Teil der Arbeit zeigt unterdessen, dass die Gründe für eine Beteiligung an dieser
„Mordmaschinerie“ durchaus trivialer sein konnten, als man sich das vielleicht vorstellen möchte.
Im Sinne der „Neueren TäterInnenforschung“, der es darum geht, TäterInnen nicht als verlängerten
Arm ihrer Vorgesetzten darzustellen, sondern als eigenständig handelnde Subjekte eines
Vernichtungsprozesses sichtbar zu machen, durch den dieser überhaupt erst seinen Schwung und
seine Dynamik erhalten hat,85 kann auch die Täterschaft Marianne Türks verstanden werden, selbst
wenn sie sich selbst in gewisser Weise als „Opfer“ des NS-Systems zu präsentieren versuchte. Das
Aufzeigen von Handlungsalternativen in Bezug auf ihre Täterschaft macht darüber hinaus deutlich,
dass auch Frauen weitaus größere Handlungsräume und Karriereoptionen im Nationalsozialismus
hatten als nach 1945 angenommen worden war. Der Frauenforschung geht es mitunter darum, auch
die dunklen Seiten der Frauengeschichte offen darzulegen,86 da nur dann eine Vervollständigung der
Menschheitsgeschichte an sich ermöglicht wird und nur so verstanden werden kann warum in der
Vergangenheit passiert ist, was passiert ist. Der Fall Marianne Türk ist ein Beitrag dazu und
bestätigt einmal mehr, dass die aktiven NS-MörderInnen, die mit Begeisterung bei der Sache waren,
sich durchaus in der Minderheit befanden und die Mehrheit der NS-TäterInnen vielmehr „passiv
eingebunden“ und ihr Verhalten von „Feigheit, Apathie und Autoritätsgläubigkeit“ geprägt war.87
Um Karriere machen und einen gewissen Status beibehalten zu können, nahmen manche Menschen
sogar die Ermordung von unschuldigen Kindern und Jugendlichen in Kauf, nachdem aufgrund
angeblich wissenschaftlicher Prämissen gekoppelt an ideologische Verblendung entschieden worden
war, dass deren Leben ohnehin keinen Wert hatte.
85 Vgl. Mallmann und Paul, S.4.86 Vgl. Kompisch, S.14.87 Vgl. ebenda, S.11.
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5.1 Weiterführende Literatur
Posch, Herbert, Akademische "Würde": Aberkennung und Wiederverleihung akademischer Grade
an der Universität Wien im 19. und 20. Jahrhundert (Dissertation Wien 2009).
Pscheiden, Daniela, „Handlungsräume und Täterschaft von Medizinerinnen während der NS-
Herrschaft am Beispiel der ‚Spiegelgrund‘-Ärztin Marianne Türk“ (Masterarbeit Wien
2015).
6. Quellenverzeichnis (ungedruckte Quellen)
Aus dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW):
WN 19542/2, Strafsache gegen Ernst Illing, Margarete Hübsch und Marianne Türk
WN 20321, Thaller Urteil
Aus dem Wiener Stadt- und Landesarchiv ((WstLA):
WStLA, M.Abt. 119, A42-NS-Registrierung, 5.326 (Marianne Türk).
WStLA, Volksgericht, A5/6-6P: Vr 2365/45 (Heinrich Gross, Ernst Illing, Marianne Türk).
7. Ressourcen aus dem Internet
Gedenkstätte SteinhofOnline unter: http://gedenkstaettesteinhof.at (3.3.2016).
DudenOnline unter: http://www.duden.de/rechtschreibung/euthanasie (24.2.2016).
Gedenkort T4Online unter: http://www.gedenkort-t4.eu/de/gegenwart/was-heisst-eugenik (24.2.2016).
Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Online unter: http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_6/anlage_1.html (13.3.2016).
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8. Anhang
8.1 Abstract Deutsch
In den letzten Jahrzehnten hat es sich die Täterforschung zum Ziel gesetzt, nicht nur die Verbrechen
der NS-Gewaltherrschaft der Jahre 1933-1945 in Europa zu erforschen, sondern auch die dafür
verantwortlichen AkteurInnen zunehmend sichtbar zu machen. Auch die neuere Frauenforschung ist
seit den 1990er Jahren darum bemüht, die Beteiligung von Frauen an Aufbau und Erhalt des NS-
Systems aufzudecken. Mittels einer Erforschung von sozialen und biografischen Dispositionen,
sowie persönlicher Intentionen und Motivationen von TäterInnen, unter Berücksichtigung des
allgemeinen historischen Kontextes und damit verbundenen Zusammenhängen und Gegebenheiten,
wird mit Hilfe der „Neueren TäterInnenforschung“ versucht, NS-TäterInnen in ihren
Handlungsweisen zu erklären und dadurch einen Beitrag zum Verständnis für die generellen
Funktionsweisen des Nationalsozialismus zu leisten. Diese Bachelorarbeit setzt sich daher unter den
eben genannten Prämissen mit der Wiener „NS-Kinder- und Jugendlichen-Euthanasie-Ärztin“ Dr.in
Marianne Türk auseinander. Dafür werden in einem ersten Teil die historischen
Rahmenbedingungen der NS- „Euthanasie“ in Form einer Einführung in die Thematik dargelegt,
um dann in einem zweiten Teil, anhand einer Quellenanalyse, zu eruieren, wer die historische
Person Marianne Türk war, warum sie als NS-Täterin gesehen werden kann, wie sie mit welcher
Begründung und welchen Motiven zur Täterin werden konnte und welche Folgen ihre Täterschaft in
der Nachkriegszeit hatte. Im Vordergrund steht dabei die Frage nach der Verantwortung bzw. der
Bereitwilligkeit dazu, Verantwortung für die eigenen Taten als NS-Verbrecherin zu übernehmen.
Zeitgleich wird danach gefragt, ob es Handlungsalternativen für Marianne Türk als Frau, Ärztin und
Täterin gegeben hätte.
8.2 Abstract Englisch
In the last several decades the contemporary history intended by means of the new research field
called „Täterforschung“ (the research of Nazi Perpetrators) not only to research the committed
crimes of the National Socialist regime during the time between 1933 and 1945 in Europe, but to
reveal the persons responsible for those crimes. At the same time the recent Women's Studies has
been eager to detect the participation of women concerning the construction and maintenance of the
Nazi Dictatorship. By showing the social and biographical dispositions of Nazi Actors as well as
their personal intentions and motivations for their crimes, in consideration of the general historical
context, the „Neuere TäterInnenforschung“ tries to explain the actions of Nazi delinquents in order
to help understand the fundamental functionality of the Nazi tyranny. The purpose of this bachelor
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thesis is to do exactly the same by presenting the life and crimes of the female Viennese physician
Marianne Türk, who was responsible for the deaths of several children and adolescents during the
Euthanasia Programs of the Nazi Regime in Austria. The first part of this thesis explains the basic
conditions of the Nazi Euthanasia. The second part undertakes a source analysis concerning the case
study Marianne Türk, which shows who Marianne Türk was, what crimes she committed, what her
own explanations and motivations for taking an active part in a Nazi crime were and how the
consequences of her perpetration were constituted. The thesis also tries to find out if Marianne Türk
was willing to assume responsibility for her criminal actions and if there would have been any
action alternatives for her in her social roles as a woman, a doctor and a Nazi Perpetrator.
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