alfons aichinger, walter holl kinderpsychodrama in der familien- und einzeltherapie, im kindergarten...

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374 ZPS, Heft 2, 2003, S. 373-384 Arne Burchartz: Psychodrama in der Seel- sorge Band 10 der ‚Skripten zum Psychodrama‘ Erhältlich über Moreno-Institut Stuttgart, Gebelsbergstr. 9, 70199 Stuttgart zum Preis von 7 Das Skript ‚Psychodrama in der Seelsorge‘ von A. Burchartz ist für jeden, der in diesem Feld arbeitet, eine Bereicherung, ganz gleich, ob man nur seine bisherige Arbeit reflektieren will oder nach neuen Wegen sucht. Als leidenschaftlicher Psychodramatiker und ehemaliger Gemeindepfarrer fragt man sich am Ende dieser von Fachkompetenz be- eindruckenden Arbeit: Ist die Kirche noch zu retten? Arne Burchartz schreibt aus der Rolle des Gemeindepfarrers. Hier gibt ein sehr enga- gierter Gemeindepfarrer und Seelsorger offen Einblick sowohl in seine theoretisch reflek- tierten pastoralen Handlungsfelder als auch in seine hohe seelsorgerliche Kompetenz, um dann in seine neu gewonnenen psychodramati- schen Handlungsräume einzuladen. Mit acht ungeschminkten Beispielen lässt er den Leser an seinen Versuchen teilhaben, seine Arbeit als Pfarrer „heilsam“ zu beleben und zeigt dem interessierten Kollegen „Mög- lichkeiten und Grenzen psychodramatischer Handlungsmodelle in pastoralen Handlungs- feldern“ auf bis hin zu dem schmerzhaften Spagat: „Die Struktur des Pfarramts muss ver- ändert, die Dienstaufträge entlastet werden. Die Gemeinden müssen lernen, daß ein Theolo- ge und Seelsorger nicht das Gemeindeleben – was immer man darunter versteht – in Schwung bringen oder halten kann. Zur Neuorientierung gehört auch die vielleicht schmerzliche Er- kenntnis, dass der Pfarrer/die Pfarrerin nicht nur anders ist, sondern auch anders sein muss (M. Josuttis), dass die u.U. damit verbundenen Ent- täuschungen ausgehalten werden müssen – bis sie vielleicht am Ende gar in eine erneuerte, selbstbewusst helfende und menschenfreundli- che Form des Gemeindelebens münden.“ Nachdem Arne Burchartz seine Pfarramts- kollegen im ersten Kapitel überzeugt hatte, dass ein guter Seelsorger heutzutage therapeu- tische Kompetenzen zu seiner theologischen Grundausbildung hinzuerwerben muss, macht er nun seine Leser in höchst kompetenter Wei- se mit dem Psychodrama bekannt. Dieser Teil ist das Kernstück seiner Arbeit. Leider gibt es in seiner Arbeit keinen vor- angestellten hermeneutisch strukturellen Ver- gleich vom christlichen Glauben mit Morenos therapeutischer Religion, was aber die große Bedeutung seiner Einzeluntersuchungen nicht schmälert. Es ist beachtlich und hoffentlich für viele Kollegen ermutigend, was und wie ein „Ge- meindepfarrer“ mit „psychodramatischen Tech- niken“ – oder ich sage doch lieber – Möglich- keiten bewirken kann, zumal wenn er aus einer neu erworbenen Identität und beruflichen Haltung zu handeln beginnt. So können ihm dann die anschaulichen, komplexen Rastermo- delle als Probebühne dienen, um die Achtsam- keit fürs Leben zu erhöhen. Zum Schluss möchte ich in Würdigung sei- ner grundlegenden Arbeit den Theologen Arne Burchartz von den ambivalenten Lasten seiner Pfarramtsrolle kurzfristig befreien und zu einer Begegnung mit Moreno und Willigis Jäger zu mir auf die Mühle einladen. Hier ein kurzer Ausschnitt: Willigis Jäger würde religionsphilosophisch begründet noch einmal darauf hinweisen, dass wir am Anfang dieses Jahrtausends an der Wende zu einer transkonfessionellen und trans- personalen Religiosität stehen, die die aristote- lische, dualistische Weltsicht der europäischen Aufklärung überwindet. ... Und Moreno würde leidenschaftlich begeistert sich einmischen: „Na endlich! Das habe ich schon Anfang des 20. Jahrhunderts gemacht mit allen theologi- schen Konsequenzen im „Testament des Va- ters“ und meinen mystischen Reden vom „Ich- Gott“ .... endlich scheine ich verstanden zu werden.“

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374 ZPS, Heft 2, 2003, S. 373-384

Arne Burchartz: Psychodrama in der Seel-sorgeBand 10 der ‚Skripten zum Psychodrama‘Erhältlich über Moreno-Institut Stuttgart,Gebelsbergstr. 9, 70199 Stuttgart zum Preisvon 7 €

Das Skript ‚Psychodrama in der Seelsorge‘von A. Burchartz ist für jeden, der in diesemFeld arbeitet, eine Bereicherung, ganz gleich,ob man nur seine bisherige Arbeit reflektierenwill oder nach neuen Wegen sucht.

Als leidenschaftlicher Psychodramatikerund ehemaliger Gemeindepfarrer fragt mansich am Ende dieser von Fachkompetenz be-eindruckenden Arbeit: Ist die Kirche noch zuretten?

Arne Burchartz schreibt aus der Rolle desGemeindepfarrers. Hier gibt ein sehr enga-gierter Gemeindepfarrer und Seelsorger offenEinblick sowohl in seine theoretisch reflek-tierten pastoralen Handlungsfelder als auch inseine hohe seelsorgerliche Kompetenz, umdann in seine neu gewonnenen psychodramati-schen Handlungsräume einzuladen.

Mit acht ungeschminkten Beispielen lässter den Leser an seinen Versuchen teilhaben,seine Arbeit als Pfarrer „heilsam“ zu belebenund zeigt dem interessierten Kollegen „Mög-lichkeiten und Grenzen psychodramatischerHandlungsmodelle in pastoralen Handlungs-feldern“ auf bis hin zu dem schmerzhaftenSpagat: „Die Struktur des Pfarramts muss ver-ändert, die Dienstaufträge entlastet werden.Die Gemeinden müssen lernen, daß ein Theolo-ge und Seelsorger nicht das Gemeindeleben –was immer man darunter versteht – in Schwungbringen oder halten kann. Zur Neuorientierunggehört auch die vielleicht schmerzliche Er-kenntnis, dass der Pfarrer/die Pfarrerin nicht nuranders ist, sondern auch anders sein muss (M.Josuttis), dass die u.U. damit verbundenen Ent-täuschungen ausgehalten werden müssen – bissie vielleicht am Ende gar in eine erneuerte,selbstbewusst helfende und menschenfreundli-che Form des Gemeindelebens münden.“

Nachdem Arne Burchartz seine Pfarramts-kollegen im ersten Kapitel überzeugt hatte,dass ein guter Seelsorger heutzutage therapeu-tische Kompetenzen zu seiner theologischenGrundausbildung hinzuerwerben muss, machter nun seine Leser in höchst kompetenter Wei-se mit dem Psychodrama bekannt. Dieser Teilist das Kernstück seiner Arbeit.

Leider gibt es in seiner Arbeit keinen vor-angestellten hermeneutisch strukturellen Ver-gleich vom christlichen Glauben mit Morenostherapeutischer Religion, was aber die großeBedeutung seiner Einzeluntersuchungen nichtschmälert.

Es ist beachtlich und hoffentlich für vieleKollegen ermutigend, was und wie ein „Ge-meindepfarrer“ mit „psychodramatischen Tech-niken“ – oder ich sage doch lieber – Möglich-keiten bewirken kann, zumal wenn er aus einerneu erworbenen Identität und beruflichenHaltung zu handeln beginnt. So können ihmdann die anschaulichen, komplexen Rastermo-delle als Probebühne dienen, um die Achtsam-keit fürs Leben zu erhöhen.

Zum Schluss möchte ich in Würdigung sei-ner grundlegenden Arbeit den Theologen ArneBurchartz von den ambivalenten Lasten seinerPfarramtsrolle kurzfristig befreien und zu einerBegegnung mit Moreno und Willigis Jäger zumir auf die Mühle einladen. Hier ein kurzerAusschnitt:

Willigis Jäger würde religionsphilosophischbegründet noch einmal darauf hinweisen, dasswir am Anfang dieses Jahrtausends an derWende zu einer transkonfessionellen und trans-personalen Religiosität stehen, die die aristote-lische, dualistische Weltsicht der europäischenAufklärung überwindet. ... Und Moreno würdeleidenschaftlich begeistert sich einmischen:„Na endlich! Das habe ich schon Anfang des20. Jahrhunderts gemacht mit allen theologi-schen Konsequenzen im „Testament des Va-ters“ und meinen mystischen Reden vom „Ich-Gott“ .... endlich scheine ich verstanden zuwerden.“

Neue Bücher, Rezensionen, Abstracts 375

Hier mische ich mich ein: „Gerade ange-sichts des weltweit wachsenden Fundamenta-lismus und Missbrauchs von Religion tut esmir als Theologe und Psychodramatiker gut,dass die existentialistische Interpretation mitihrem Reden von Gott als <Gott geschieht inder Zwischenmenschlichkeit> engagiertenPsychodramatikern eine theologische Tür of-fen hält für heilsame Seelsorge und so die Kir-che nicht zu einem Museum für theistischeDogmen verkommen lässt. An Ihren Beispie-len , Herr Burchartz, wird deutlich, dass Sieals Psychodramatiker einen angstfreien Raumder Begegnung eröffnen können, in dem Ver-trauen auf Gottes Lebendigkeit herrscht, Men-schenleben heil werden kann und Menschen,Tiere, Pflanzen und Kosmos ihre göttlicheWürde zurückerhalten.“

– An Moreno gewandt: „Und das ist dochder Ort unserer Verantwortung, der aus derRede vom Ich-Gott erwächst. Ich glaube, hiersind wir an dem zentralen Nerv Ihres Entwurfeseiner therapeutischen Religion, so wie Sie es fürsich in Ihrem Aufsatz <The Religion of God-Father> zusammenfassend zum Ausdruckbrachten..“.... es wurde ein langer, spannenderAbend...

Burkhard Zeunert, Bromskirchen

Verwendete Quellen:Jäger, Willigis: Die Welle ist das Meer (2002), Frei-burg, Basel, Wien: HerderMoreno, Jakob L.: The Religion of God-Father, In:Paul E. Johnson, Healer of the Mind (1972). Abing-ton

Marcia Karp, Paul Holmes & KateBradshaw Tauvon (Ed.): The Handbook ofPsychodrama. Preface by Zerka T. Moreno.305 S., 1998 London and New York: Routled-ge, 46,77 €ISBN 0-415-14845-6(hbk)ISBN 0-415-14845-4 (pbk)

Alle paar Jahre geben Marcia Karp und PaulHolmes, zwei führende Psychodramatiker ausGroß-Britannien, bei Routledge einen reprä-

sentativen Sammelband zum Psychodramaheraus. Diese Bände erscheinen nicht nur inGreat Britain, sondern zugleich in den USAund in Kanada. Die AutorInnen entstammendem internationalen Netzwerk der weltweit tä-tigen Psychodramatiker. Da hat es mich ge-reizt, den Stand dieser internationalen Diskus-sion genauer kennenzulernen und mit dem hie-sigen Diskussionsniveau zu vergleichen.

Das hier anzuzeigende Handbuch ist aufAnregung des Verlages entstanden, eine um-fassende Einführung in Theorie und Praxis desPsychodramas für Psychodramatiker und Aus-bilderInnen zu schaffen. Marcia Karp und dieAbsolventInnen ihres Holwell InternationalCentre for Psychodrama in Devon sind demnachgekommen. Zerka Moreno hat ein wohl-wollendes Vorwort geschrieben, Anne AncelinSchützenberger das Nachwort. Man kann alsosagen: Wir haben hier einen repräsentativenBand vor uns. Aber wofür repräsentativ?

Leider nur für die Englisch sprachige Welt.Die Arbeiten aus anders sprachigen Ländern inEuropa, in Südamerika, in Japan etc. werdennicht zur Kenntnis genommen. Wer sich nichtin Englisch zu Wort meldet und sich auf deneinschlägigen Kongressen bekannt macht, bleibtein Nobody. Das gilt für alle. So auch für die si-cher international bekannte Gretel Leutz, vonder nur ein kurzer Text zitiert wird und dasnur, weil er auf Englisch erschienen ist.

Diese Tatsache zeigt, dass eine wissen-schaftliche Weiterentwicklung des Psychodra-mas meist schon daran scheitert, dass sprachli-ches Unvermögen, vielleicht auch Desinteresse,sicher auch eine zu geringe Verdienstspanne fürÜbersetzungen einen Austausch von relevantenForschungsergebnissen verhindert. Es scheinteher immer noch einzelne Gruppierungen oderDynastien, wie Zerka Moreno sie nennt (S. XI),zu geben, die ihr Wissen nur mündlich in Aus-bildungen und Kongressen weitergeben. Zwei-fellos ist das unverzichtbar wichtig, aber esreicht eben auch nicht. Diese Szenengebunden-heit zeigt sich auch darin, dass in diesem Hand-buch interessantes Wissen aus den relevanten