1. internationale at z-konferenz automotive acoustics

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1. INTERNATIONALE ATZ-KONFERENZ AUTOMOTIVE ACOUSTICS Wachsende Erwartungen und Forderungen des Endkunden sowie schärfere Gesetze führen dazu, Autos komfortabler und leiser auslegen zu müssen. Über den Stand der Technik und künftige Entwicklungen diskutierten über 200 Experten anlässlich der 1. Internationa- len ATZ-Konferenz Automotive Acoustics im Audimax der ETH Zürich. UMFELD Die Frage, wie Entwicklungsingeni- eure das NVH-Verhalten von Pkw und Lkw weiter verbessern können, ist in Zeiten gesättigter Märkte so aktuell wie selten zuvor. Geht es doch darum, durch geeignete Maßnahmen den Akustikkomfort für die Fahrzeugin- sassen zu erhöhen und gleichzeitig strenger werdende Grenzwerte für die Fahrzeugaußengeräusche zu erfüllen. Vor dem Hintergrund einer immer ähnlicher werdenden Karosserie- und Innenraumgestaltung entstehen so Alleinstellungsmerkmale. Darüber hinaus stehen die Akusti- ker einer zunehmenden Komplexität der NVH-Systeme gegenüber: Neue- rungen bei der Akustiksimulation und -optimierung der Karosserie zeigen sich in einer besseren Motorkapselung und einem optimierten Außenge- räuschschutz. Transferpfadanalysen und ganzheitliche Ansätze ergeben eine niedrigere Schallausbreitung des Antriebsstrangs. Das Innengeräusch, durch Teppich oder Windgeräusch beeinflusst, lässt sich mit statistischer Energieanalyse oder numerischer Simulation besser und früher vorher- sagen. In diesem Umfeld bot die 1. Inter- nationale ATZ-Konferenz Automotive Acoustics, die die 40-jährige Tradition der Rieter-Automobilkonferenzen fortsetzt, ein breites Informations- und Diskussionsfeld. Dabei ging es um akustische Maßnahmen zur Karosserieoptimierung, die Akustik des Antriebsstrangs sowie eine Opti- mierung der Innengeräusche glei- chermaßen. KAROSSERIEOPTIMIERUNG Da Akustik und die Masse der einzel- nen Bauteile in einem engen Wirkzu- sammenhang stehen, geraten die ent- wicklungstechnischen Ziele des Leichtbaus und einer akustischen Optimierung nicht selten in Konkur- renz. Um dabei einen bestmöglichen Kompromiss zu finden, kann auch die Akustikentwicklung von den Fort- schritten in Simulation und Rechner- technik profitieren. Ein Weg dazu ist, die Methoden zur NVH-Optimierung mithilfe der Finite-Elemente-Methode weiterzuentwickeln. Das ist vom Prin- zip nichts Neues. Bestand eine FE- Simulation bei Mercedes-Benz 1981 beispielsweise noch aus 2500 Elemen- ten, werden heute bereits über zwei Millionen Elemente herangezogen. Mit dieser Datenbasis lassen sich Simulationen und Prognosen deutlich genauer erstellen als bisher. So erar- beitet PSA derzeit ein System, mit dem sich die Frage beantworten lässt, welche Fensterscheiben des Fahrzeugs dünner und somit leichter ausgelegt werden können und in welchem Umfang der daraus resultierende höhere Schallpegel im Fahrzeug- innenraum toleriert werden kann. In diese Richtung gehen auch die Arbeiten bei der belgischen LMS International zur Akustiksimulation von Instrumententafeln. Und Nissan präsentierte ein CAE-Modell für die NVH-Empfindlichkeit. AKTUELL TAGUNGSBERICHT 730 DOI: 10.1365/s35148-011-0166-1

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Page 1: 1. Internationale AT Z-Konferenz Automotive Acoustics

1. InternatIonale atZ-KonferenZ Automotive AcousticsWachsende Erwartungen und Forderungen des Endkunden sowie schärfere Gesetze führen dazu, Autos komfortabler und leiser auslegen zu müssen. Über den Stand der Technik und künftige Entwicklungen diskutierten über 200 Experten anlässlich der 1. Internationa-len ATZ-Konferenz Automotive Acoustics im Audimax der ETH Zürich.

Umfeld

Die Frage, wie Entwicklungsingeni-eure das NVH-Verhalten von Pkw und Lkw weiter verbessern können, ist in Zeiten gesättigter Märkte so aktuell wie selten zuvor. Geht es doch darum, durch geeignete Maßnahmen den Akustikkomfort für die Fahrzeugin-sassen zu erhöhen und gleichzeitig strenger werdende Grenzwerte für die Fahrzeugaußengeräusche zu erfüllen. Vor dem Hintergrund einer immer ähnlicher werdenden Karosserie- und Innenraumgestaltung entstehen so Alleinstellungsmerkmale.

Darüber hinaus stehen die Akusti-ker einer zunehmenden Komplexität der NVH-Systeme gegenüber: Neue-rungen bei der Akustiksimulation und -optimierung der Karosserie zeigen sich in einer besseren Motorkapselung und einem optimierten Außenge-räuschschutz. Transferpfadanalysen und ganzheitliche Ansätze ergeben eine niedrigere Schallausbreitung des Antriebsstrangs. Das Innengeräusch, durch Teppich oder Windgeräusch

beeinflusst, lässt sich mit statistischer Energieanalyse oder numerischer Simulation besser und früher vorher-sagen.

In diesem Umfeld bot die 1. Inter-nationale ATZ-Konferenz Automotive Acoustics, die die 40-jährige Tradition der Rieter-Automobilkonferenzen fortsetzt, ein breites Informations- und Diskussionsfeld. Dabei ging es um akustische Maßnahmen zur Karosserieoptimierung, die Akustik des Antriebsstrangs sowie eine Opti-mierung der Innengeräusche glei-chermaßen.

KarosserieoptimierUng

Da Akustik und die Masse der einzel-nen Bauteile in einem engen Wirkzu-sammenhang stehen, geraten die ent-wicklungstechnischen Ziele des Leichtbaus und einer akustischen Optimierung nicht selten in Konkur-renz. Um dabei einen bestmöglichen Kompromiss zu finden, kann auch die Akustikentwicklung von den Fort-

schritten in Simulation und Rechner-technik profitieren. Ein Weg dazu ist, die Methoden zur NVH-Optimierung mithilfe der Finite-Elemente-Methode weiterzuentwickeln. Das ist vom Prin-zip nichts Neues. Bestand eine FE-Simulation bei Mercedes-Benz 1981 beispielsweise noch aus 2500 Elemen-ten, werden heute bereits über zwei Millionen Elemente herangezogen.

Mit dieser Datenbasis lassen sich Simulationen und Prognosen deutlich genauer erstellen als bisher. So erar-beitet PSA derzeit ein System, mit dem sich die Frage beantworten lässt, welche Fensterscheiben des Fahrzeugs dünner und somit leichter ausgelegt werden können und in welchem Umfang der daraus resultierende höhere Schallpegel im Fahrzeug-innenraum toleriert werden kann. In diese Richtung gehen auch die Arbeiten bei der belgischen LMS International zur Akustiksimulation von Instrumententafeln. Und Nissan präsentierte ein CAE-Modell für die NVH-Empfindlichkeit.

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massnahmen am triebstrang

Auch bei der akustischen Optimierung unter der Motorhaube geht ohne rechenintensive Simulationsmodelle nichts mehr. Auch nicht bei Kleinfahr-zeugen wie dem Tata Nano, für den bei der Vibracoustic GmbH eine umfangreiche Lastpfadanalyse vorge-nommen wurde, um einen ganzheit-lichen Ansatz für die Aggregatelager-entwicklung zu finden. Und auch die aktive Reduzierung von Ölwannen-schwingungen an einem Vierzylinder-dieselmotor basiert auf umfassenden FEM-BEM-Simulationen.

Dass die Bedeutung der Simulation in diesem Bereich noch zunehmen wird, steht zumindest für Dr. Giuseppe Miccoli vom Imamoter-Institut des nationalen Forschungsrats von Italien (CNR) bereits heute fest. Obwohl aktuell zahlreiche numerische Simu-lationsmethoden verfügbar sind, die sich prinzipiell für die Simulation des Außengeräuschs von Motoren einset-zen lassen, wurde deren Einsatz nach Einschätzung von Miccoli bisher im industriellen Alltag meist als wenig hilfreich betrachtet. Selbst wenn ein Einsatz erfolgte, behinderten rechen-technische Beschränkungen oder Unzulänglichkeiten bei den theoreti-schen Grundlagen der statistischen Methoden.

Dies wird sich nach Überzeugung von Miccoli mit der bevorstehenden Neufassung und Verschärfung der ISO 362 ändern. Denn damit würden die Motorengeräusche einen weitaus hö heren Stellenwert in der Entwick-lungsarbeit erhalten als dies bisher der Fall ist. Die Suche nach effizienten und kostengünstigen Entwicklungs-tools und Simulationsmethoden sei anschließend nur eine natürliche Folge.

innenraUm

Während beim Triebstrang die Geräusch entwicklung und bei der Karosserie die Geräuschübertragung zu den hauptsächlichen Betätigungs-feldern der Akustikentwickler zählen, lautet im Fahrzeuginnenraum die Kernaufgabe Dämmen und Dämpfen. Um dabei dem konstruktiven und

die erste internationale atZ-fachtagung automotive acoustics diente über 200 teilnehmern zum gedankenaustausch

werkstofflichen Leichtbau nicht entge-genzuwirken, gilt es, möglichst leicht-gewichtige Werkstoffe für diesen Zweck einzusetzen.

Diskutiert wurden Arbeiten an Poly-merschäumen oder lasttragenden Ver-bundwerkstoffen sowie das NVH-Ver-halten von Materialien, Komponenten und Systemen. Auch in dieser Teildis-ziplin, das wurde bei einzelnen Rede-beiträgen deutlich, wird die Simula-tion immer wichtiger.

ZUKUnftsthemen

Zu einem thematischen Dauerbrenner wird sich in den nächsten Jahren die Akustikauslegung von Elektrofahrzeu-gen entwickeln. Deren Geräusche las-sen sich mit neuronalen Netzen und künstlicher Intelligenz objektiver beur-teilen. Da Elektrofahrzeuge sehr leise sind, gilt auch der Suche nach geeigne-ten Warnsignalen für Blinde im Stra-ßenverkehr ein wichtiges Augenmerk. Themen genug also für eine Fortset-zung der Fachtagung. Erste konzep-tionelle Ideen dafür haben die Koope-rationspartner von Autoneum und ATZlive bereits entwickelt.

Stefan Schlott

10I2011 113. Jahrgang 731

ZitAte

dr. bernd pletschen, leiter nVh, fahrKom-fort Und aerodynamiK in der entwicKlUng Von mercedes-benZ-cars:„Die Abwesenheit von Komfort wird negativ wahrgenommen. Doch die Differenzierung von Komfort ist mit hohem Aufwand verbunden.“

dr. maUriZio mantoVani, wissenschaftlicher leiter der tagUng:„Das Thema nVH spielt als Alleinstellungsmerkmal eine wichtige rolle, wenn ansonsten Fahrzeuge vom Design her immer ähnlicher werden.“