zur frage der binären oppositionen im bereich prosodischer erscheinungen

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 Z U R FRAGE  D E R  BINÄREN  OPPOSITIONEN I M  BEREICH  PROSODISCHER  ERSCHEINUNGEN IRMG R MAHNKEN Eine  Frage,  die bei dem geg enwärtigen S tand der Sprachwiss enschaft mit einer gewissen Notwendi gkeit in der letzten Zei t die A ufmerks amke it a uf sich lenken  musste, ist die bis  dahin nicht hinreichend beachtete Frage, ob und in welcher Weise sich auch  im  Bereich  der  prosodischen  E r- schein ung en die relevanten Kriterien als ein System binäre r Oppositi onen darstellen  lassen. 1 Bekanntlich stellen  sich  der linguistischen Analyse der prosodischen Erscheinungen eine ganze Reihe von Schwierigkeiten in den Weg, und zwar  Schwierigkeiten,  die  nicht zuletzt  im  Wesen dieser Erscheinungen selber begründet sind.  E s  seien hier  nur  einige  d er  wichtigsten  angedeutet: In  erster Lini e müssen wohl  die  sich  aus dem  Gegenüber  von  auditiven und  akustischen  Kriterien ergebenden Komplikationen erwähnt  werden: es  ist  heute unbestritten, dass  wir es bei den  prosodischen Erscheinungen in  auditiver Hinsicht  im  allgemeinen  mit  Komplexqualitäten  zu tun  haben, denen  in der  akustischen Ebene eine  Bündelung  mehrerer akustischer Merkmale (der Frequenzmodulation,  der  Intensitätsmodulation  und der Zeitrelationen) zugrundeliegt.  E s  stellt sich hier somit also  die  wichtige Frage  nach  der  Mitwirkung, nach  der  Relevanz oder  der  Redundanz  der einzelnen akustischen Komponenten;  es ist  dies eine  Frage,  die  durch 1  Hinsichtli ch der  Definierung  der  phonematischen  Oppositionen  aus  einem System binärer Oppositionen  distinktiver  Merkmale  vgl.  R.  Jakobson-M. Halle,  Fundamentals of  Language  Janua  Linguarum 1 ('s-Gravenhage,  1956),  bzw.  in der  deutschen Übersetzung  R.  Jakobson-M.  Halle,  Grundlagen  der  Sprache   Schriften  zur Phonetik Sprachwissenschaft  u n d  Kommunikationsforschung,  1 (Berlin, 1960). Bezüglich  de r Frage  nach  den  binären Oppositionen  im  Rahmen  der  prosodischen Er scheinu ngen, die  in der  zitierten Arbeit  nur  kurz ang eschnitten sind, vg l.  die  speziellen  Arbeiten: A. V.  Isacenko  und  H. -J . Schädlich, Er zeugung künstlicher deutsche r Satzintonationen m it  zwei kontrastierenden  Tonstufen ,  Monatsberichte  d e r  Deutschen Akademie  d e r Wissenschaften  zu Berlin 5  (Berlin,  1963), 365-372;  A. V.  Isacenko-HJ.  Schädlich, Studia  Grammatica:  Untersuchungen über  d ie  deutsche  Satzintonation (Vorabdruck Berlin  1964  mit  einem  Tonband der  Beispiele);  I. Ma hnken ,  Studien  zu r  serbokroatischen Satzmelodie  =  Opera  Slavica ,  2;  GÖttinger  Untersuchungen  zur  Prosodie  der  Rede 3 (Göttingen, 1964).

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Folia Linguistica 1967.1.1-2

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  • ZUR FRAGE DER BINREN OPPOSITIONENIM BEREICH PROSODISCHER ERSCHEINUNGEN

    IRMGARD MAHNKEN

    Eine Frage, die bei dem gegenwrtigen Stand der Sprachwissenschaft miteiner gewissen Notwendigkeit in der letzten Zeit die Aufmerksamkeit aufsich lenken musste, ist die bis dahin nicht hinreichend beachtete Frage,ob und in welcher Weise sich auch im Bereich der prosodischen Er-scheinungen die relevanten Kriterien als ein System binrer Oppositionendarstellen lassen.1

    Bekanntlich stellen sich der linguistischen Analyse der prosodischenErscheinungen eine ganze Reihe von Schwierigkeiten in den Weg, undzwar Schwierigkeiten, die nicht zuletzt im Wesen dieser Erscheinungenselber begrndet sind. Es seien hier nur einige der wichtigsten angedeutet:In erster Linie mssen wohl die sich aus dem Gegenber von auditivenund akustischen Kriterien ergebenden Komplikationen erwhnt werden:es ist heute unbestritten, dass wir es bei den prosodischen Erscheinungenin auditiver Hinsicht im allgemeinen mit Komplexqualitten zu tun haben,denen in der akustischen Ebene eine Bndelung mehrerer akustischerMerkmale (der Frequenzmodulation, der Intensittsmodulation und derZeitrelationen) zugrundeliegt. Es stellt sich hier somit also die wichtigeFrage nach der Mitwirkung, nach der Relevanz oder der Redundanz dereinzelnen akustischen Komponenten; es ist dies eine Frage, die durch1 Hinsichtlich der Definierung der phonematischen Oppositionen aus einem System

    binrer Oppositionen distinktiver Merkmale vgl. R. Jakobson-M. Halle, Fundamentalsof Language, ( Janua Linguarum, 1) ('s-Gravenhage, 1956), bzw. in der deutschenbersetzung R. Jakobson-M. Halle, Grundlagen der Sprache ( Schriften zur Phonetik,Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung, 1) (Berlin, 1960). Bezglich derFrage nach den binren Oppositionen im Rahmen der prosodischen Erscheinungen,die in der zitierten Arbeit nur kurz angeschnitten sind, vgl. die speziellen Arbeiten:A. V. Isacenko und H.-J. Schdlich, "Erzeugung knstlicher deutscher Satzintonationenmit zwei kontrastierenden Tonstufen", Monatsberichte der Deutschen Akademie derWissenschaften zu Berlin, 5 (Berlin, 1963), 365-372; A. V. Isacenko-HJ. Schdlich,Studia Grammatica: Untersuchungen ber die deutsche Satzintonation, (VorabdruckBerlin 1964 mit einem Tonband der Beispiele); I. Mahnken, Studien zur serbokroatischenSatzmelodie (= Opera Slavica, , 2; Gttinger Untersuchungen zur Prosodie der Rede,3) (Gttingen, 1964).

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    auditive Analyse nicht ohne weiteres geklrt werden kann und derenBeantwortung zudem dadurch erschwert wird, dass unter bestimmtenUmstnden bestimmte akustische Komponenten, die gewhnlich alsredundant auftreten, die Funktion eines an sich sonst relevanten Kri-teriums einnehmen, das heit dieses an sich relevante Kriterium sub-stituieren knnen.2 Eine weitere Komplikation ergibt sich ferner aus derTatsache, dass die akustischen Komponenten der Frequenzmodulation,der Intensittsmodulation und der Zeitrelationen als prosodische Eigen-schaften (in unterschiedlichen Funktionen) in den verschiedenen Plnendes sprachlichen Systems fungieren beziehungsweise fungieren knnen,und zwar im allgemeinen in mehrstufiger berlagerung bis hin zumsyntaktischen und semantischen Plan.3 Die Schwierigkeiten, die sich ausdiesem Umstand fr die phonetische Analyse UND fr die linguistischeWertung ergeben, werden noch gesteigert durch das Faktum, dass sichuns die Modulationen der einzelnen akustischen Komponenten bei derexperimentalphonetischen Analyse als gewissermassen lineare Vern-derungen im eindimensionalen Nacheinander des Zeitablaufs darbieten,dass aber in der auditiven Erfassung dieser Kriterien bestimmte ganzheit-liche Gestaltkriterien wirksam werden,4 sodass die einzelnen akustischlinear realisierten Komponenten auditiv in verschiedenen, sich hierarchischberlagernden sprachlichen Plnen in bestimmter Weise zugleich ihre je-weilige funktionelle Relevanz erlangen knnen.

    Mit diesen Bemerkungen sind nur einige der Probleme angedeutet, auf

    2 Vgl. hierzu I. Mahnken, "Zur Problematik der strukturellen Relevanz prosodischer

    Erscheinungen", Proceedings of the Fifth International Congress of Phonetic Sciences1964 (Basel-New York, 1965), 397-400; vgl. ferner in der in Anm. l zit. Arbeit derVerfasserin die dort S. 24 Anm. 6 angefhrten Arbeiten zur Problematik der invariantenKonstituenten des Wortakzents.3 Die Problematik der verschiedenen Plne des sprachlichen Systems und ihres gegen-

    seitigen Verhltnisses hat im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Methodenin der Sprachwissenschaft wieder zunehmend die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt;vgl. u.a. F. Danes, "Syntakticky model a syntaktick^ vzorec", Ceskoslovenske pred-nasky pro 5. mezinarodni sjezd slavist v Sofii (Praha, 1963), 115-124; F. Danes-M.Dokul, "K tzv. vyznamove a mluvnicke stavbe vety", O vedeckem poznani soudobnychjazyk (Praha, 1958), 231-146; P. Sgall, "Zur Frage der Ebenen im Sprachsystem",Tmvaiix linguistiques de Prague, l (Praha, 1964), 95-106; F. Danes, "A Three-Level-Approach to Syntax", ebd., 225-240.4 Die sich aus der Gestalthaftigkeit der Erscheinungen der Rede ergebenden Konse-

    quenzen sind in der bisherigen sprachwissenschaftlichen Forschung noch nicht hin-reichend bercksichtigt worden; dies hat unter anderem seinen Grund darin, dassdie Gestalttheorie wesentlich eigehender an optischem als an akustisch-auditivemMaterial ausgearbeitet worden ist und deshalb wirklich einschlgige Vorarbeiten freine Applikation in einer Linguistik der "Parole" fehlen. Zur Gestaltpsychologie vgl.u.a. K. Koffka, Principles of Gestalt-Psychology (3. Aufl., London, 1950).

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    die die unleugbare Tatsache zurckzufhren ist, dass im Gegensatzzu den weitreichenden Erkenntnissen der modernen Linguistik bezglichanderer strukturell fundierter Gegebenheiten der Sprache die Analyseund Erkenntnis der strukturellen Bezge im Bereich der prosodischenErscheinungen trotz aller diesbezglichen Bemhungen noch nicht soweit gediehen ist, dass es bereits mglich wre, bei der strukturellen Er-fassung sprachlicher Systeme auch die prosodischen Erscheinungen ineiner adquaten Weise miteinzubeziehen.

    Wenn im folgenden auf eine Teilfrage dieses Problemkreises eingegan-gen wird, nmlich auf die Frage nach den Mglichkeiten, die sich fr dieAufstellung eines Systems binrer Merkmalsoppositionen im Bereich derFrequenzmodulationen darbieten, so mssen dabei die eingangs skizziertenVoraussetzungen stets im Auge behalten werden, die grundlegend frdie Behandlung ALLER prosodischen Probleme sind.

    Es sei noch eine Zwischenbemerkung zur Frage binrer Oppositionendistinktiver Merkmale eingeschaltet. Fr die hier zu diskutierende Fragenach den relevanten Merkmalen im Bereich der Frequenzmodulationendarf zunchst eine (mancherorts aktuelle Streit-)Frage ausgeklammertwerden. Wir knnen im vorliegenden Zusammenhang nmlich zunchstdavon absehen, ob sich die Struktur des phonologischen Systems (in un-serem speziellen Fall: des prosodischen Systems) einer Sprache BESSER,das heit adquater durch eine Erfassung der Phoneme als solcher inihren Oppositions- und Korrelationsbezgen darstellen lsst, ODER obder binristischen Auffassung der Vorrang gebhrt, nach der sich dasPhonem selber als eine Bndelung bestimmter distinktiver Merkmaledarstellt, die sich ihrerseits in binren Oppositionen erfassen lassen.5Allerdings bin ich selber der Auffassung, dass in Anwendung auf dieprosodischen Erscheinungen WAHRSCHEINLICH die Frage nach den bin-ren Oppositionen distinktiver Merkmale sowie nach deren Bndelungin den komplexen auditiven und sprachlich relevanten Erscheinungenam EHESTEN manche der bisherigen Schwierigkeiten berwinden helfenkann, auf die man bei den Versuchen einer linguistischen Erfassungdieser Erscheinungen bisher im allgemeinen gestossen ist.

    Denn wir sind uns hinsichtlich der prosodischen Erscheinungen heutedoch durchaus darber irn klaren, dass beim Versuch einer Erfassungder linguistisch relevanten Merkmale, sei es zum Beispiel des Akzents, seies der Satzintonation (einschliesslich der Erscheinungen der Integrationund der Demarkation), eine der Hauptschwierigkeiten ja gerade darin6 Vgl. zu dieser Frage neuerdings die Stellungnahme von S. K. Saumjan, Strukturnaja

    lingvistika (Moskva, 1965), 161 ff.

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    liegt, dass wir es hier im allgemeinen mit komplexen Erscheinungen zutun haben; das heit aber vom akustischen Gesichtspunkt aus eben dies :dass wir es dabei mit einer Bndelung akustischer Merkmale zu tunhaben, wobei vom auditiven Standpunkt aus durchaus nicht ohne weiteresauf die Relevanz oder Redundanz bestimmter einzelner akustischerKomponenten im System der betreffenden Sprache geschlossen werdenkann.6 Mit anderen Worten: bei prosodischen Erscheinungen WISSEN wirinzwischen bereits mit hinreichender Sicherheit, dass bei ihnen Bndelun-gen verschiedener akustischer Merkmale vorliegen beziehungsweise vor-liegen KNNEN. Nicht zuletzt aus diesem Grunde scheint es durchauszweckmssig, eine Analyse dieser Erscheinungen von den einzelnen Merk-malen der akustischen Ebene her vorzunehmen und bewusst die Fragenach den einzelnen akustischen Merkmalsoppositionen und der jeweilsspezifischen Bndelung bestimmter Merkmale zu stellen. Die folgendenAusfhrungen werden sich auf die Ebene der Frequenzmodulationen be-schrnken. Selbstverstndlich mssen in gleicher Weise auch die anderenakustischen Komponenten behandelt und dann auch das Problem derBndelung von Merkmalen verschiedener akustischer Komponenten sowiedie Frage nach der Relevanz und Redundanz der Merkmale dieser verschie-denen akustischen Dimensionen beziehungsweise Ebenen in den sprachlichrelevanten Erscheinungen behandelt und schliesslich die Frage nach denMglichkeiten einer Substitution von an sich relevanten Merkmalen durchnormalerweise redundante Merkmale gestellt werden. Dabei ist eine gleich-

    6 Es sei hier nur auf die Tatsache hingewiesen, dass in den letzten Jahren in zuneh-

    mendem Masse Arbeiten erschienen sind, in denen auf Grund eingehender Analysen(an Hand verschiedener Sprachen) entgegen der lteren Auffassung der Nachweiserbracht wird, dass bezglich des Wortakzents dem auditiven Kriterium der Betontheitder akzentuierten Silbe in den betreffenden Sprachen als akustisches Korrelat NICHTdas der relativ grsseren Intensitt (Amplitude des Schalldrucks) entspricht, sonderndass an der Erzeugung des Betonungseindrucks vornehmlich andere Kriterien beteiligtsind. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang auf die Rolle der Frequenzmodu-lationen (gelegentlich auch auf andere prosodische Faktoren) hingewiesen. Bezglichdes Russischen habe ich selber bereits 1952 auf dieses Faktum hingewiesen, das bri-gens 1953 auch durch die experimentalphonetischen Untersuchungen von L. V. Zla-toustova besttigt wurde. Andere Untersuchungen dieser Art beziehen sich auf dasPolnische, Englische und Deutsche, neuerdings auch auf das Norwegische. Vgl.die bibliographischen Angaben ber diese Arbeiten, insbesondere von W. Jassem,D. B. Fry, H. Mol- . M. Uhlenbeck, D. L. Bolinger, N. L Zinkin, A. V. Isaenko-H. J. Schdlich bei L Mahnken, Studien zur serbokroatischen Satzmelodie, S. 24,Anmerkung 6; dazu fr das Norwegische jetzt K. Fintoft, "Some remarks onword accents", Phonetica, 13 (1965), 201-226. Es muss besonders beachtet werden, dasssich ein nicht unerheblicher Teil dieser Arbeiten gerade auf solche Sprachen (wie z.B.das Russische und das Deutsche) bezieht, die frher stets als Musterbeispiele frSprachen mit "stark exspiratorischem Akzent" galten.

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    zeitige Bercksichtigung des Verhltnisses zwischen diesen prosodischenErscheinungen und der formal-grammatischen Struktur des betreffendenRedetexts erforderlich; denn nicht zuletzt kann gerade auch durch dasunterschiedliche Verhltnis zwischen diesen beiden Ebenen eine bestimm-te prosodische Komponente ihre SPEZIFISCHE sprachliche Relevanz er-langen.

    Die Frage nach der Relevanz binrer Merkmalsoppositionen imBereich der Frequenzmodulationen wurde etwa gleichzeitig in zwei von-einander unabhngigen Untersuchungen gestellt, die sich nicht nur hin-sichtlich des prosodischen Typs der zugrundegelegten Sprache, sondernauch hinsichtlich ihrer Methodik wesentlich voneinander unterschei-den und dennoch in ihren entscheidenden Ergebnissen mehr Gemeinsam-keiten aufweisen, als dies vielleicht auf den ersten Blick scheinen knnte.Es handelt sich um die Untersuchungen A. V, IsaCenkos zur deutschenSatzintonation und um meine eigenen Untersuchungen zur serbokroati-schen Satzintonation.7

    Isacenko hat in seinem ersten Bericht ber diese Untersuchungen8knapp und przis den Ausgangspunkt SEINER berlegungen aus denErwgungen der strukturellen Sprachwissenschaft heraus formuliert:Dass sich die Sprache als System stets diskreter Grossen bedient, dasssich diese diskreten Elemente der Sprache als ein System binrer Oppo-sitionen darstellen lassen, und dass dabei eine Unterscheidung von rele-vanten und redundanten Merkmalen erforderlich sei. Als sich Isacenkovon diesen Voraussetzungen aus die Frage stellte, in welcher Weise sichdie linguistisch relevanten Erscheinungen der deutschen Satzintonationals System binrer Oppositionen erfassen Hessen, schlug er einen spezi-fischen und in seiner Art neuen Weg ein. Er ging fr die deutsche Satz-intonation von der hypothetischen Annahme aus, dass sich die sprachlichrelevanten Erscheinungen in der deutschen Satzintonation auf die EIN-FACHSTE Form EINER binren Opposition im Bereich der Frequenzmodu-lationen zurckfhren lassen, nmlich auf den Wechsel von zwei undnur zwei Tonstufen (also auf die einfache binre Opposition zweierTonstufen beziehungsweise eines fallenden und eines steigenden Ton-bruchs zwischen zwei Tonstufen). Isacenko ging also fr die deutscheSatzintonation von der hypothetischen Annahme eines einzigen relevantenJa-Nein-Gegensatzes im Bereich der Frequenzmodulationen aus undversuchte dann, diese Hypothese mit Hilfe des Vocoders durch Bewertung7 Vgl. die in Anmerkung l zitierten Arbeiten.

    8 A. V. Bacenko-H. J. Schdlich, "Erzeugung knstlicher deutscher Satzintonationen

    mit zwei kontrastierenden Tonstufen", s. Anmerkung l.

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    von simulierten Intonationen mit solcherweise radikal schematisiertenTonprofilen zu beweisen. Er versuchte somit, auf eben diesem Wege zurErkenntnis der relevanten Kriterien in der natrlichen Satzintonationendes Deutschen zu gelangen.

    Ohne hier die Untersuchungsergebnisse Isaenkos im Einzelnen dis-kutieren zu wollen,9 mchte ich doch wenigstens darauf hinweisen, dassdiese Untersuchungen soweit deren Ergebnisse bisher vorliegen einige prinzipiell wichtige Aufschlsse ber die Mglichkeiten sowohleiner kulminativen als auch einer gliedernden Funktion von Frequenz-modulationen darbieten10. Es versteht sich von selber, dass erste Unter-suchungsergebnisse neuorientierter Forschungen manche Fragen nochoffen lassen mssen. Der Rahmen der vorliegenden Ausfhrungen bietetjedoch nicht die Mglichkeit, diese eingehender zu diskutieren.

    Was meine eigenen Untersuchungen zur serbokroatischen Satzin-tonation betrifft, so befand ich mich hinsichtlich der hier zu behandelndenFrage nach den binren Oppositionen im Rahmen der Frequenzmodula-tionen in doppelter Hinsicht vor anderen Voraussetzungen als Isaenko,und meine eigenen berlegungen und Ausfhrungen zu dieser Frage11sind ihrerseits weitgehend von diesen spezifischen Voraussetzungen herbedingt. Einerseits hatte ich keinerlei Mglichkeit zu Experimenten mitsimulierten Intonationen, vermittelst derer IsaSenko den Versuch des

    Es sei hier nur die Frage aufgeworfen, ob durch die in Anm. l zitierten, bisher vor-gelegten Untersuchungsergebnisse in der Tat der Beweis erbracht ist, dass im Deutschender Wechsel von nur zwei Tonstufen allein alle relevanten Kriterien der Satzintonation insbesondere in komplizierteren Redegebildenerfassen kann. Es darf bezglich derangewandten Methode die in bestimmter Hinsicht ihre ganz besonderen Vorzgehat nicht vergessen werden, dass eine mehr oder weniger richtige Beurteilung dersimulierten, auf nur zwei Tonstufen reduzierten Intonationen durch die Versuchsper-sonen im allgemeinen durch verschiedene Faktoren begnstigt sein konnte, so ins-besondere durch den Umstand, dass (abgesehen von einigen speziellen Versuchsanord-nungen, bei denen wiederum andere Kriterien zur Geltung gelangten) in den speziellden Erscheinungen der Satzintonation gewidmeten Versuchen hinsichtlich der anderenprosodischen Komponenten durchweg die in den Originalaufnahmen vorhandenen"natrlichen" Verhltnisse bewahrt blieben und im Vocoder nur die Frequenzmodula-tionen radikal auf zwei Stufen nivelliert wurden. Da diesen anderen Komponentenaber zweifelsohne ebenfalls in jeweils bestimmter Weise eine Funktion im Rahmen derSatzprosodie zukommt, lsst sich beim gegenwrtigen Stand der Forschung nochnicht ohne weiteres sagen, in welchem Masse dieser Umstand den Abhrern bei denrelativ einfachen Beispielen das Beantworten auch in solchen Fllen erleichterte, indenen eine im Sprachsystem eventuell relevante dritte Tonstufe "am Platze" gewesenwre, so dass sie unter Umstnden aus diesem Grunde zu berwiegend "richtigen"Antworten gelangten.10

    Im Sinne der Konzeption S. K. Saumjans wrden beide Flle in den Bereich derTheorie der Kulminatoren gehren. Vgl. S. K. Saumjan, a.a.O., 91 (s. Anmerkung 5).11

    Vgl. I, Mahnken, Studien zur serbokroatischen Satzmelodie, besonders 11-22.

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    Beweises einer Hypothese unternehmen konnte12. Als sich mir bei derUntersuchung der serbokroatischen Satzmelodie die berlegung auf-drngte, dass es mglich sein msse, ber die bisher blichen Methodender Erfassung, Darstellung und Interpretation bestimmter sprachlichrelevanter Kadenzformen hinauszugelangen und zu tieferen Einsichtenin die strukturellen Grundlagen der Satzintonation vorzudringen, standenmir vielmehr nur die blichen Mglichkeiten auditiver und akustischerAnalyse zur Verfgung. Es musste aber meines Erachtens mglich sein,das System der Code-Elemente der Satzintonation zu ermitteln, auf demdie MGLICHKEIT der verschiedenen Leistungen der Intonation im Korn-munikationsprozess basiert, wobei in den Einzelsprachen in jeweils be-stimmter Weise im Rahmen des einzelsprachlichen Code-Systems derrelevanten Merkmale einzelne solcher Elemente strukturelle Relevanz er-langen. Von hier aus stellte ich mir die Frage, ob es mglich sei, einumfassenderes System binrer Oppositionen im Bereich der Frequenz-modulationen aufzustellen, das die prinzipiell denkbaren Mglichkeitenfrequenzmodulatorischer Oppositionen darstellen beziehungsweise erfas-sen wrde und damit die Grundlage fr eine strukturelle Erfassung allerauf Frequenzmodulationen beruhenden Erscheinungen der Rede bildenknne.

    Von wesentlicher Bedeutung fr meine spezifischen berlegungen wardie Tatsache, dass ich es beim Serbokroatischen mit einer Sprache mitsogenannter Tonverlaufskorrelation ("musikalischem" Akzent) zu tunhatte; das heit: ich hatte von vornherein zu bercksichtigen, dass fre-quenzmodulatorische Oppositionen im Unterschied zu dem vonIsacenko behandelten Deutschen im Serbokroatischen unter anderemAUCH in der Opposition der verschiedenen Akzente von distinktiver Rele-vanz sind, daneben aber zugleich ihre funktionelle Relevanz in der Ebeneder Satzintonation besitzen. Von vornherein hatte ich also ganz besondereAufmerksamkeit auf die bereits einleitend angedeutete Tatsache zu rich-ten, dass prosodische Erscheinungen, die auf ein- und derselben aku-stischen Komponente basieren, zu gleicher Zeit in den verschiedenenPlnen der Sprache funktioneile Relevanz besitzen knnen. Es sei indiesem Zusammenhang nur kurz auf die an sich bekannte Tatsache ver-wiesen, dass im Serbokroatischen die in den Akzentoppositionen als12

    Bereits bei meinen lnger zurckliegenden Untersuchungen zur Zeitstruktur desRedegebildes habe ich darauf hingewiesen, dass Experimente dieser Art zur ber-prfung der durch Materialanalyse gewonnenen Konzeptionen erforderlich bzw.wnschenswert wren. Vgl. I. Mahnken, Die Struktur der Zeitgestalt des Redegebildes,dargestellt an Beispielen aus den slawischen Sprachen ( Opera Slavicay Bd. 2; GttingerUntersuchungen zur Prosodie der Rede, 1) (Gttingen, 1962), 487.

  • 66 IRMGARD MAHNKENl

    funktioneil relevant anzusehenden Frequenzmodulationen in Abhngig-keit von der Satzintonation positionsbedingte Varianten aufweisen.13

    Eine Systematisierung binrer Oppositionen auch fr den Bereich derFrequenzmodulationen haben bereits seinerzeit Jakobson-Halle in ihrerTabelle der distinctive features vorgelegt;14 dort erscheinen diese Merk-male als "tone-features" im Rahmen der prosodischen distinktiven Merk-male den sogenannten inhrenten distinktiven Merkmalen gegenberge-stellt. Es lag nahe, von diesen bei Jakobson-Halle angefhrten binrenOppositionen der tone-features auszugehen. Um zu der oben postuliertenumfassenderen Systematisierung der auf Frequenzmodulationen beruhen-den Merkrnalsoppositionen zu gelangen, sah ich mich dann jedoch ver-anlasst, das von Jakobson-Halle gegebene System zu erweitern, und zwargewissermassen in zwei Dimensionen.

    Das System der tone-features von Jakobson-Halle kennt nur dasGegenber eines intersyllabischen und eines intrasyllabischen Opposi-tionstyps. Um nicht nur jene Oppositionen erfassen zu knnen, durchdie Akzentoppositionen (sowie die Tne in den sogenannten Tonsprachen)konstituiert werden, sondern um ausserdem auch die auf Frequenz-modulationen beruhenden konfigurativen Merkmale der Integrierung,Kulminationsbildung und Demarkation sowie auch die fr die Satz-intonation relevanten Erscheinungen der Kadenzen usw. strukturell aufeinem System frequenzmodulatorischer Oppositionen fundieren zu kn-nen, war es deshalb zunchst einmal erforderlich, in diesem System dieverschiedenen Funktionsebenen frequenzmodulatorischer Oppositioneneinander gegenberzustellen. Das heit: der von Jakobson-Halle bereitsbercksichtigten syllabischen Ebene (mit den inter- und intrasyllabischenOppositionstypen) mussten zwei weitere Ebenen gegenbergestelltwerden, die ich als den syntagmatischen und als den sententialen Planbezeichnet habe (s. weiter unten).1513

    Eine unter diesem Gesichtspunkt vorgenommene methodisch adquate Unter-suchung zur Problematik der skr. Akzentoppositionen ist allerdings in der Vergangen-heit nicht vorgenommen worden (vgl. dazu unten Anmerkung 21), In meiner in An-merkung l zitierten Untersuchung bin ich auf diese Frage eingegangen und habe unteranderem versucht, die betreffenden Erscheinungen in einer Tafel (dort S. 63) schema-tisch zu veranschaulichen und damit zu zeigen, dass und in Abhngigkeit von welchenFaktoren die Unterschiede in der Richtung des Tonverlaufs der skr. Akzente dazuberechtigen, von positionsbedingten kombinatorischen Varianten zu sprechen.14

    Vgl. die in Anmerkung l zitierten Arbeiten von R. Jakobson-M. Halle.15

    Es sei darauf hingewiesen, dass diese gegenseitige Absetzung der verschiedenenPlne bereits von F. Dane in seiner wichtigen Arbeit zur tschechischen Satzintonationdeutlich herausgearbeitet worden ist (F. DaneS, Intonace a ve spisovne cestine( Studie aprace linguisticke^ 2), Praha, 1957).

  • ZUR FRAGE DER BINREN OPPOSITIONEN 67

    Das System der auf Frequenzmodulationen beruhenden Oppositions-typen kann darber hinaus nur dann Anspruch auf eine gewisse Voll-stndigkeit hinsichtlich der Bercksichtigung der oppositionsbildendenKriterien erheben, wenn im Rahmen dieses Systems das fundamentaleKriterium ALLER Frequenzmodulationen in angemessener Weise im Sy-stem selber zum Ausdruck gelangt. Als solches fundamentales Kriteriummuss die Tatsache bezeichnet werden, dass notwendigerweise alle Fre-quenzmodulationen durch zwei Dimensionen bestimmt werden: die Dimen-sion der Frequenzunterschiede einerseits und die Dimension des Zeitablaufs(in der die Modulation oder Opposition der Frequenzunterschiede ihreRealisierung findet) andererseits. Aber gerade WEIL diese Realisierung allerFrequenz- bzw. Tonhhenerscheinungen in der Rede in diesen ZWEIDimensionen (der Frequenz UND der Zeit) an sich eine banale Selbstver-stndlichkeit ist, sind bisher die theoretischen Konsequenzen aus dieserVoraussetzung nur in unzureichender Weise gezogen worden. Bislang hatman nmlich die durch die beiden verschiedenen Dimensionen fundiertenoppositionsbildenden Kriterien nicht in gengender Schrfe auseinander-gehalten ; vielmehr hat man die Problematik der Frequenzmodulationen inder Rede relativ einseitig unter dem Aspekt der Dimension der Frequenz-unterschiede betrachtet beziehungsweise systematisch zu erfassen gesucht,und zwar auch dann, wenn dabei selbstverstndlich zugleich auch vondem Kriterium der Abfolge im Zeitablauf die Rede war.

    Zwar stellen Jakobson-Halle bei den "tone-features" zwei Oppositions-typen einander gegenber: den mtersyllabischen Oppositionstyp, derdurch die Opposition hher : tiefer fundiert ist (wobei es sich laut Defini-tion um einen Tonhhenkontrast zwischen den Tonstufen verschiedenerSilben handelt), und den //rasyllabischen Oppositionstyp, bei dem dieKontrastierung zweier Tonhhen innerhalb einer Silbe beziehungsweiseeines Phonems erfolgt, wodurch sich eine Opposition fallender : steigenderTonverlauf (des Phonems bzw. der Silbe) ergibt. Es ist unverkennbar,dass sich beide Oppositionstypen auf das Gegenber von hheren undtieferen Frequenzen grnden; das heisst aber, dass BEIDE Oppositions-typen auf dem Kriterium der FREQUENZDIMENSION fundiert sind. DerUnterschied zwischen dem intrasyllabischen und dem intersyllabischenOppositionstyp besteht in der unterschiedlichen Weise, in welcher dasGegenber von hherer und tieferer Frequenz oppositionsbildend wird:erfolgt die Kontrastierung zweier verschiedener Frequenzen innerhalbeiner Einheit (im gegebenen Fall also des Phonems oder der Silbe),so handelt es sich um die RICHTUNGS-OPPOSITION fallend : steigend (Ja-kobson-Halle sprechen in diesem Fall von "modulation feature"). Erfolgt

  • 68 IRMGARD MAHNKEN

    ' t

    die Kontrastierung hingegen in zwei verschiedenen (benachbarten oderauch nicht unmittelbar benachbarten) Einheiten desselben sprachlichenPlans (hier also der Phoneme beziehungsweise der Silben als der Ein-heiten, die durch die Phoneme konstituiert werden), so handelt es sichum den anderen Oppositionstyp, die NIVEAU-OPPOSITION hher : tiefer,um das "level feature". Zwar ist das Gegenber dieser beiden Oppositions-typen in seiner Realisierung notwendigerweise damit gekoppelt, dassdiese unterschiedliche Art der Relationierung zweier Frequenzstufen imRahmen des Zeitablaufs erfolgt. Aber als Kriterium zur Gegenberstel-lung dieser beiden Oppositionstypen dient nicht die Dimension desZeitablaufs selber, sondern ein der Sprachstruktur entnommenes Kri-terium: die sprachlich definierte Einheit (das Phonem beziehungsweisedie Silbe); die in der Frequenzdimension fundierte Opposition wird imeinen Fall ein relevantes Merkmal durch ihre Relation innerhalb einersolchen sprachlich fundierten Einheit, im anderen Fall dagegen erlangtsie ihre Relevanz vermittelst der gegenseitigen Zuordnung (Relation) sol-cher Einheiten gleichen Typs im Hinblick auf diese Frequenzopposition.Sowohl die Richtungs-opposition "modulation feature'* als auch dieNiveau-Opposition "level feature" sind somit ALS Oppositionen primrdurch die Frequenzdimension bestimmt. Das Merkmal, das diese beidenOppositionen differenziert, ist nicht der Dimension des Zeitablaufs ent-nommen (wenngleich in beiden Oppositionstypen notwendig ein Nach-einander in der Realisation verschiedener Frequenzen vorliegt); dasdifferenzierende Merkmal zwischen diesen beiden Oppositionstypen ent-stammt vielmehr der Ebene der sprachlichen Elemente: es handelt sich umdie unterschiedliche Relation von Frequenzstufen im Hinblick auf sprach-lich bestimmte Einheiten und zwar Einheiten ein und desselben sprach-lichen Plans (intrasyllabisch : intersyllabisch). Da wir weiter oben von derNotwendigkeit der Erfassung und Gegenberstellung der verschiedenenPlne im Aufbau der Rede fr eine Systematisierung der auf Frequenz-modulationen beruhenden Oppositionen gesprochen haben, scheint es an-gebracht, an dieser Stelle ausdrcklich zu konstatieren, dass es sich beidem Gegenber von Richtungs- und Niveau-Opposition um frequenz-modulatorische Oppositionen innerhalb ein- und desselben Plans handelt.

    Wir haben nun zu dem weiter oben bereits eingeleiteten Gedankengangzurckzukehren, dass notwendigerweise alle Frequenzmodulationensowohl durch die Dimension der Frequenzunterschiede als auch durchdie Dimension des Zeitablaufs bestimmt werden und dass bei dem Ver-such einer Darstellung des Systems der auf Frequenzmodulationenberuhenden Oppositionen dieses fundamentale Kriterium angemessene

  • ZUR FRAGE DER BINREN OPPOSITIONEN 69

    Bercksichtigung finden muss. In der Tat mssen wir konstatieren, dasses ausser den primr auf Kriterien der Frequenzdimension fundiertenOppositionen einen Oppositionstyp gibt, der primr auf Kriterien derZeitdimension fundiert ist und infolgedessen im Rahmen eines Systemsfrequenzmodulatorischer Oppositionen den im Vorgehenden behandeltenOppositionen gegenbergestellt werden muss, welche primr auf Kri-terien der Frequenzdimension fundiert sind. Die frequenzmodulatorischenOppositionen dieser Merkmalsgruppe sind durch das Oppositionskrite-rium des kontinuierlichen oder diskontinuierlichen Verlaufs der Fre-quenzmodulation bestimmt. Den Tondimensions-Merkmalen (mit dergrundlegenden Opposition hher : tiefer) stehen demnach die Tonkon-tinuitts-Merkmale (mit der grundlegenden Opposition kontinuierlich:diskontinuierlich) gegenber. Es muss hinzugefgt werden, dass eineDiskontinuitt im Bereich der Frequenzmodulationen in zwei verschie-denen Ausprgungsformen auftreten kann: eine Diskontinuitt kann imBereich der Frequenzmodulationen entweder durch Intervall-Kontrastdas heit: durch einen relevant-diskontinuierlichen Sprung von einerFrequenzstufe zu einer anderen) oder aber durch Diskontinuitt in derTonverlaufsrichtung (das heit: durch eine relevant-diskontinuierlicheRichtungsnderung, durch einen scharf ausgeprgten Umbruch in derTonverlaufsrichtung im Gegensatz zu einer kontinuerlich verlaufendenModulation und Vernderung in der Tonverlaufsrichtung) realisiert er-scheinen.

    Es zeigt sich nun, dass auch hinsichtlich dieser primr auf Kriteriender Zeitdimension fundierten Oppositionstypen, deren Opposition durchdas Tonkontinuittsmerkmal kontinuierlich : diskontinuierlich bestimmtist, gleicherweise wie bei den primr auf Kriterien der Frequenzdimensionfundierten Oppositionstypen zugleich auch das Kriterium ihrer Rela-tionierung zu den sprachlich definierten Einheiten (also zum Beispiel derSilbe) fr die Konstituierung der einzelnen Oppositionstypen von Belangist. Es sind demnach auch im Rahmen jener frequenzmodulatorischenOppositionen, die primr auf dem Kriterium der Zeitdimension fundiertsind, zwei verschiedene Oppositionstypen einander gegenber zu stellen.Im Rahmen der primr auf dem Kriterium der Frequenzdimension fun-dierten frequenzmodulatorischen Oppositionen hatten Jakobson-Halleauf Grund dieses Kriteriums der Relation zu bestimmten sprachlichenEinheiten die beiden Oppositionstypen der Richtungs-Opposition undder Niveau-Opposition einandergegenbergestellt ("modulation feature":"level feature", s. o. S. 67 f.). Im Rahmen der primr auf dem Kriterium derZeitdimension fundierten frequenzmodulatorischen Oppositionen (kon-

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    tinuierlich: diskontinuierlich) stehen sich in entsprechender Weise zweiOppositionstypen gegenber, die wir als Gestalt-Opposition und als Ein-

    fgungs-Opposition bezeichnen knnen: es handelt sich auch hier darum,ob das grundlegende Kontinuittsmerkmal auf den Verlauf der Frequenz-modulation innerhalb der betreffenden sprachlich bestimmten Einheitoder aber im Verhltnis benachbarter Einheiten des gleichen Plans alsMerkmal relevant wird. Im ersten Fall haben wir es mit einem kontinuier-lichen oder diskontinuierlichen (das heit: in sich ungegliederten oder abergegliederten) Verlauf innerhalb der betreffenden Einheit zu tun (Gestalt-Opposition), im zweiten Fall dagegen um die Art der Einfgung derbetreffenden Einheit in den umgebenden Zusammenhang von Einheitendes gleichen Plans (und zwar in frequenzmodulatorischer Hinsicht):diese Einfgung kann entweder kontinuierlich (und damit integrierend)oder aber diskontinuierlich (und damit abhebend) sein.

    Bezglich der auf Frequenzmodulationen beruhenden Oppositionensind wir somit zu einem Oppositions-System gelangt, das durch dreigrundlegende Kriterien konstituiert wird: durch das Kriterium der Fre-quenzdimension (hher : tiefer), durch das Kriterium der Zeitdimension(kontinuierlich : diskontinuierlich) und durch das Kriterium der Relationdes Oppositionsmerkmals zu den Kategorien der sprachlichen Einheiten(Ausprgung innerhalb einer solchen Einheit: Ausprgung in der Re-lation solcher Einheiten des gleichen Plans).

    Einleitend hatten wir darauf hingewiesen, dass prosodische Erschei-nungen und damit auch die frequenzmodulatorischen Oppositionen in den verschiedenen Plnen des Aufbaus der Rede funktionelle Relevanzerlangen knnen. Es war dann bereits kurz die Rede davon gewesen, dassdem von Jakobson-Halle bercksichtigten syllabischen Plan (mit den imVorgehenden behandelten Oppositionstypen) jene anderen Plne gegen-bergestellt werden mssen, die ich als den syntagmatischen Plan und alsden sententialen Plan bezeichnet habe und denen hinsichtlich des Aufbausund der Struktur der Rede jeweils radikal unterschiedliche Funktionenzukommen. Gerade im Hinblick auf diese radikal unterschiedliche lingui-stische Funktion dieser verschiedenen Plne und im Hinblick auf die Tat-sache, dass dabei nicht zuletzt gerade den frequenzmodulatorischenKriterien ihre ganz bestimmte funktionelle Relevanz zukommt, mssendiese Plne im Zusammenhang der hier behandelten Fragestellung strenggegeneinander abgesetzt werden.

    Im syntagmatischen Plan erfolgt die intonatorische Integration derSilben zu syntagmatischen Einheiten, das heit zu Gliedern des Aus-

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    Spruchs. Es kann sich dabei entweder um einfache Glieder handeln, dieaus einer lexikalischen Einheit (unter Umstnden einschliesslich Prposi-tion oder Enklitika) gebildet sind; es kann sich dabei aber auch um kom-plexere Glieder des Ausspruchs handeln, in denen zwei oder mehrlexikalische Einheiten zu EINER komplexeren Einheit integriert sind. Esmuss jedoch beachtet werden, dass es sich auch bei solchen komplexerenEinheiten immer noch um Einheiten des syntagmatischen Plans handelt,insofern diese komplexeren Einheiten im Aufbau der Rede in funktionellerHinsicht dadurch bestimmt sind, dass sie ALS Einheiten Glieder sind, undzwar solche Glieder, durch deren gegenseitige Relationierung erst dieKonstituierung der Einheiten des sententialen Plans erfolgt.

    Im sententialen Plan erfolgt dann nmlich eine grundstzlich andersar-tige Leistung der Sprache: die Integrierung der syntagmatischen Rede-glieder zu jener spezifischen Art von Einheiten, die den Ausspruch ALSAUSSPRUCH konstituieren; das heit: im sententialen Plan erfolgt die sen-tentiale Integrierung. In der normalen einfachen Grundform eines Aus-spruchs steht dabei die theme - propos - Organisation des Ausspruchs alsgrundlegendes Kriterium im Vordergrund (aktualni cleneni vypovedi)Natrlich gehren darber hinaus aber der sententialen Ebene auch allejene prosodischen Erscheinungen an, die die Relationen der senten-tialen Einheiten in den komplizierteren Ausspruchsformen zu signalisierenund zu realisieren vermgen.

    Um auf die Notwendigkeit der gegenseitigen Absetzung des sylla-bischen, des syntagmatischen und des sententialen Plans bei der Analyseder prosodischen Erscheinungen und somit auch bei der Erarbeitungeines Systems frequenzmodulatorischer Oppositionen hinweisen zu kn-nen, war es erforderlich gewesen, zunchst den funktionellen Aspekthinsichtlich des gegenseitigen Verhltnisses dieser drei Plne zu berck-sichtigen. Es scheint deshalb angemessen, an dieser Stelle nachtrglichauch einige kurze Bemerkungen darber einzufgen, in welcher Hinsichtdie frequenzmodulatorischen Oppositionen soweit sie in einer Spracheim syllabischen Plan als distinktive Merkmale fungieren in diesemPlan funktionelle Relevanz erlangen knnen. Allerdings beabsichtige ichnicht, im vorliegenden Zusammenhang auf diese Frage nher einzugehen;denn es handelt sich dabei um einen so umfangreichen Problemkreis,16

    In der neuesten Entwicklung der linguistischen Forschung (und zwar nicht zuletztauch im Zusammenhang mit der Problematik der Transformationsgrammatik) hatder auf V. Mathesius zurckgehende Begriff des aktualni cleneni ("Thme-propos-Organisation") zunehmend Beachtung gefunden. Vgl, die Literaturangaben dazu bei K.Pala *O nekotorych problemach aktual'nogo clenenija", Prague Studies in MathematicalLinguistics, \ (Prague, 1966), dort S. 90 Anmerkung L

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    dass er nur in Spezialdarstellungen adquat behandelt werden kann.Ich mchte an dieser Stelle vielmehr nur auf gewisse wichtige und all-gemeinere Erscheinungen hinweisen, denen weiterreichende Bedeutungzukommt. Bezglich der von Jakobson-Halle bercksichtigten fre-quenzmodulatorischen Oppositionen der Frequenzdimension braucht nurkurz auf die hinreichend bekannte Tatsache verwiesen zu werden, dassdiesen Oppositionen hnlich wie den Oppositionen der inhrenten dis-tinktiven Merkmale in den Einzelsprachen die Funktion der Bedeutungs-differenzierung an den Sprachzeichen zukommen kann. In der Richtungs-opposition werden durch die Tonverlaufskorrelation Akzentoppositionenkonstituiert; in der Niveau-Opposition wird durch die Registerkorrelationdie Opposition der Tne in den "Tonsprachen" konstituiert. Wir knnendem nun hinzufgen, dass auch die auf dem der Zeitdimension entnom-menen Kriterium der Kontinuitt basierenden frequenzmodulatorischenOppositionen Akzentoppositionen fundieren knnen.17 Im brigen aberkommt dem merkmalhaltigen Glied dieses Oppositionstyps in diesemPlan (das heit also: dem intersyllabisch abgehobenen oder dem intra-syllabisch diskontinuierlich-gebrochenen Verlauf der Frequenzmodula-tion) meist kulminative Funktion zu. In der Perzeption, also vom auditivenAspekt aus, haben wir es dabei im allgemeinen mit einer Opposition vonstarken und schwachen (von abgehobenen und sich einfgenden) Ak-zenten zu tun. Es muss deshalb nachdrcklich daraufhingewiesen werden,dass in solchen Fllen also den akustischen Merkmalen der FREQUENZ-MODULATION (und deren Oppositionen) in auditiver Hinsicht KEINE TON-QUALITTEN korrespondieren. Vielmehr erfolgt in solchen Fllen in derPerzeption eine Umsetzung der AKUSTISCHEN Qualitt der Frequenz-modulation in eine ANDERE QUALITT (z.B. die der Hervorhebung).1817

    Als Beispiel aus dem Bereich der Gestalt-Opposition (intrasyllabisch kontinuier-lich/diskontinuierliche Frequenzmodulation) kann hier unter anderem der cakavischeAkut (im fcakavischen Dialekt des Serbokroatischen) angefhrt werden; als Beispielaus dem Bereich der Einfgungs-Qpposition (intersyllabisch kontin./diskontin.Frequenzmodulation) u.a. die im NeuStokavischen (bzw. der serbokroatischenSchriftsprache) vorliegende Opposition zwischen den Akzenten ',' einerseits, , *andererseits; es darf angemerkt werden, dass insbesondere die Opposition derbeiden Kurzakzente V nur auf diese Weise eine befriedigende strukturelle Deutungerhlt. Vgl. hierzu: K.-H. Pollok, "Akzentoppositionen im Serbokroatischen",Proceedings of the Fifth International Congress of Phonetic Sciences (Basel-NewYork, 1965), 474-477; K.-H. Pollok, Der neustokavische Akzent und die Strukturder Melodiegestalt der Rede (= Opera Slavica, III, l; Gttinger Untersuchungen zurProsodie der Rede, 2) (Gttingen, 1964) besonders Kap. 4, 8; I. Mahnken, Studienzur serbokroatischen Satzmelodie, a.a.O., dort die Tabelle bei S. 18, die AusfhrungenS. 19 if. und S. 63 ff. sowie passim in Kap. IV bei der Behandlung der einzelnen Kadenz-typen.18

    Vgl. I. Mahnken, "Zur Problematik der strukturellen Relevanz prosodischer Er-

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    Solche Umsetzungen in andersartige Qualitten spielen auch in den an-deren Plnen der Rede eine nicht unerhebliche Rolle; dies gilt zumBeispiel insbesondere dann, wenn frequenzmodulatorische Kriterien dortder Integrierung und der Segmentierung (Demarkation) von Redeein-heiten dienen.19

    Was nun die frequenzmodulatorischen Oppositionen im syntagmati-sehen und im sententialen Plan betrifft, so knnen wir zunchst konsta-tieren, dass wir es in diesen beiden Plnen im Grunde mit dem gleichenSystem von Merkmalsoppositionen zu tun haben, das wir oben an Handdes syllabischen Plans (mit den intrasyllabischen und den intersyllabi-schen Oppositionstypen, die auf dem Frequenzdimensionsmerkmal oderauf dem Kontinuittsmerkmal fundiert sind) dargelegt haben. Wir ge-langen damit zu einem verhltnismssig einfachen Oppositions- bezie-hungsweise Merkmals-System, durch das sich soweit ich sehe allefunktionell relevanten Erscheinungen, die auf Frequenzmodulationenbasieren, erfassen lassen. Es handelt sich dabei insofern um ein SystemBINRER Merkmals-Oppositionen, als sich die verschiedenen Opposi-tionstypen auf jeweils binre Oppositionen zurckfhren lassen. Alsgrundlegend muss dabei wohl die Opposition zwischen den Merkmalender Frequenzdimension und den Merkmalen der Zeitdimension ange-sehen werden. In BEIDEN Fllen liegen wiederum zwei unterschiedlicheOppositionstypen vor, da fr die Konstituierung des jeweiligen Merkmalszugleich das Kriterium der Relation des Oppositionsmerkmals zu denKategorien der sprachlichen Einheiten (Ausprgung innerhalb einersolchen Einheit oder im Hinblick auf die Relation solcher Einheiten)relevant ist. Bei dem Merkmal der Diskontinuitt standen sich ausserdemdie Diskontinuitt durch Intervall-Diskontinuitt und die Diskontinuittdurch Richtungsdiskontinuitt gegenber. Indern dieses System vonMerkmals-Oppositionen bereits das Kriterium der sprachlichen Ein-scheinungen" (s. Anmerkung 2); ferner die entsprechenden Konstatierungen beiA. V. Isaenko-H. J. Schdlich, Studia Grammatica: Untersuchungen ber die deutscheSatzintonation (Vorabdruck, Berlin, 1964),19

    Auch in Bezug auf diese Erscheinungen knnen wir im vorliegenden Zusammen-hang nicht auf nhere Einzelheiten hinsichtlich der Perzeption bestimmter akustischerKomponenten eingehen; denn eine adquate Behandlung dieser Fragen ist ohnegleichzeitige Bercksichtigung auch der verschiedenen anderen akustischen Kompo-nenten nicht mglich. Es mag gengen, zur Illustration der obigen Ausfhrungen aufdie bekannte und in der Literatur bereits verschiedentlich behandelte Erscheinung dersogen. "Null-Pausen" hinzuweisen, d.h. auf die Tatsache, dass an bestimmten Stellender Rede "deutliche Pausen" an solchen Stellen "gehrt" werden, an denen keinerleiUnterbrechung der Phonation vorliegt. VgL unter anderem die Literaturangabenhierzu bei I. Mahnken, Studien zur serbokroatischen Satzmelodie, S. 24, Anm. 5, sowieI. Mahnken, Redegebilde oder Zufallsstreuung? (Mnchen, 1962), 26f. mit Anm. 14,15.

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    heiten enthlt, ergibt sich ohne Komplikationen die Mglichkeit, ein unddasselbe Oppositionssystem frequenzmodulatorischer Merkmale auf diedrei verschiedenen Plne der Rede: den syllabischen, den syntagmatischenund den sententialen Plan zu beziehen.20

    Wesentliche Unterschiede bestehen zwischen den verschiedenen Plnen wie bereits angedeutet hinsichtlich des funktioneilen Charakters derin ihnen wirksam werdenden frequenzmodulatorischen Oppositionen.

    Im wesentlichen handelt es sich dabei um die folgenden fnf Kriterien,die sowohl im syntagmatischen als auch im sententialen Plan zu berck-sichtigen sind und in diesen beiden Plnen funktioneile Relevanz erlangen:um die Kriterien der Integrierung von Teilen zu Einheiten, der Seg-mentierung beziehungsweise Abgrenzung dieser Einheiten gegeneinander,der Relationierung dieser Einheiten zueinander, der Kulminationsbildunginnerhalb dieser Einheiten, sowie um das Kriterium der Bedeutungs-differenzierung.

    Es bedarf in diesem Zusammenhang kaum eines besonderen Hin-20

    Zu den Realisationsarten und den Funktionsbereichen der verschiedenen frequenz-modulatorischen Merkmalsoppositionen in den verschiedenen Plnen vgl. I. Mahnken,Studien zur serbokroatischen Satzmelodie (dort eine berblickstabelle bei S. 18).Hier sei nur kurz speziell auf die Realisierung der N/mzw-Opposition der Frequenzdi-mensions-Merkmale im syntagmatischen und im sententialen Plan eingegangen, dabekanntlich die Frage der Mglichkeit einer Relevanz verschiedener Tonstufen imBereich der Satzintonation seinerzeit eine lebhafte Diskussion hervorgerufen hat. Inmeinen eigenen Untersuchungen zur serbokroatischen Satzintonation sah ich mich um die relevanten Erscheinungen adquat erfassen zu knnen veranlasst, nicht voneiner bestimmten Zahl von Tonstufen auszugehen. Als wesentlich erwiesen sich viel-mehr die Oppositionen verschiedener Frequenzbereiche in ihrer gegenseitigen Relation,und zwar: (1) die Opposition eines neutralen (das heit also merkmallosen) mittlerenFrequenzbereichs gegen die hher ODER tiefer davon liegenden Frequenzbereiche. DieGrenzen dieses "neutralen" Frequenzbereichs sind dadurch bestimmt, dass sich imSerbokroatischen innerhalb ihres Rahmens bei nichtemotioneller Redeweise die ge-samte Frequenzmodulation einer Aussage, abgesehen vom Verlauf der terminalenKadenz, bewegt. Das bergreifen sowohl ber die obere als auch ber die untereGrenze des neutralen Frequenzbereichs muss als merkmalhaltig bezeichnet werden.Sowohl die Erweiterung des Frequenzumfangs (in den hheren Bereich hinein) alsauch seine Komprimierung und Verlegung in den tieferen Frequenzbereich unter-scheiden die emotional gefrbte Rede von der nicht emotional gefrbten Rede; In dernicht emotional gefrbten Rede ist ein Ausgreifen in den hheren Bereich ein relevantesMerkmal fr den Einsatz bei bestimmten Frageintonationstypen, so wie umgekehrtdas Ausgreifen bis in den tieferen Bereich das relevante Merkmal fr die terminaleKadenz ist. (2) Bestimmte wesentliche Erscheinungen der serbokroatischen Satzin-tonation setzen innerhalb des "neutralen" Frequenzbereichs die Opposition zwischendem hheren und dem tieferen Frequenzraum dieses Bereichs voraus. Die hier kurzskizzierte Bestimmung verschiedener, in ihrer Relation relevanter Frequenzbereiche(innerhalb deren wiederum die verschiedenen Frequenzdimensions- und Frequenzkon-tinuitts-Oppositionen realisiert werden knnen) darf nicht mit einem System von vierTonstufen identifiziert werden.

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    weises darauf, dass es sich bei dem zuletzt genannten Kriterium derBedeutungsdifFerenzierung um ein Kriterium spezifischer Art handelt,das in bestimmter Hinsicht den anderen vier Kriterien gegenbersteht.Diese vier Kriterien der Integrierimg, der Segmentierung, der Relatio-nierung und der Kulminationsbildung sind Kriterien, die PRIMR demprosodischen Funktionsbereich zugeordnet sind. Zwischen ihnen bestehenenge unmittelbare Verknpfungen, wenngleich jedem einzelnen dieserKriterien seine spezifische funktionelle Relevanz sowohl im syntagma-tischen als auch im sententialen Plan zukommen kann. Es versteht sichvon selbst, dass es speziell (wenn auch nicht ausschliesslich) die pro-sodischen Gestaltungsmittel der Rede sind, die in diesen beiden Plnender Rede die erforderlichen Leistungen im Rahmen dieser prosodischenFunktionsbereiche zu vollbringen haben. Es muss jedoch ausdrcklichkonstatiert werden, dass die Bezge zwischen den oben erwhnten Kri-terien komplizierterer Art sind, als dies auf den ersten Blick scheinen mag.Es gengt, daraufhinzuweisen, dass die jeweilige Art der Integrierung, Seg-mentierung, Relationierung oder Kulminationsbildung im Rahmen eineshinsichtlich seiner sonstigen sprachlichen Gestaltungsform (Wortwahl,Wortfolge, morphologische Mittel) "identischen Textes" ihrerseits derBedeutungsdifferenzierung dienen kann; in einem solchen Fall knntendemnach primre und sekundre Funktionen derselben Merkmale imRahmen desselben Plans gegeneinander abgesetzt werden. In diesem Sinnebesteht zwischen allen fnf erwhnten Kriterien eine gegenseitige Zuord-nung, und in eben jenem Masse, in dem sich die Einzelsprachen fr dieRealisierung dieser Leistungen prosodischer Gestaltungsmittel dar-unter auch der Frequenzmodulationen bedienen, kommt diesen bzw.den jeweiligen Merkmalsoppositionen in der syntagmatischen und in dersententialen Ebene funktioneile Relevanz zu. Dabei darf auch hier wiederdarauf hingewiesen werden, dass die Realisierung der fr diese beidenPlne grundlegenden Erscheinungen der Integrierung, der Segmentierung,der Relationierung sowie der Kulminationsbildung im allgemeinen NICHTdurch das Merkmal einer EINZELNEN prosodischen Komponente erfolgt,sondern dass hier im allgemeinen bestimmte Arten von Bndelungen vonMerkmalen verschiedener prosodischer Komponenten wirksam werden(also Bndelungen von Merkmalen der Frequenzmodulationen, derIntensittsmodulationen und der Zeitrelationen). Es darf dabei die Ver-mutung ausgesprochen werden, dass in den jeweils bergeordnetenPlnen mit einer jeweils komplexeren Merkmals-Bndelung (vonMerkmalen prosodischen Typs) gerechnet werden kann.

    Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass dem Kriterium der Be-

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    deutungsdifferenzierung eine besondere Stelle im Rahmen jener Kriterienzuzusprechen ist, die in dem syntagmatischen und in dem sententialenPlan bercksichtigt werden mssen, wenn die Frage nach der funktionel-len Relevanz der frequenzmodulatorischen Merkmale in diesen Plnengestellt wird. Zwar hat man in der letzten Zeit begonnen, in zunehmendemMasse in linguistisch orientierten Untersuchungen zur Problematik derSatzintonation AUCH den vier anderen oben erwhnten Kriterien die Auf-merksamkeit zuzuwenden und ihre Bedeutsamkeit fr eine adquatelinguistische Erfassung der prosodischen Komponenten der Rede an-zuerkennen. Trotzdem unterliegt es keinem Zweifel, dass bisher im all-gemeinen stets das Kriterium der Bedeutungsdifferenzierung alle lin-guistisch orientierten Untersuchungen zur Satzintonation beherrscht hatoder sogar als einziges Kriterium fr die Relevanz prosodischer Merkmalebercksichtigt wurde. Diese Tatsache hat ihre guten Grnde. Dennzweifellos geht es bei diesem Kriterium, nmlich bei der Differenzierungder Bedeutung bestimmter Einheiten (insbesondere des sententialen Plans)der Rede vermittelst eines Systems relevanter prosodischer Merkmals-oppositionen um eine der wichtigsten Fragen, die hinsichtlich der prosodi-schen Erscheinungen der Rede vom linguistischen Standpunkt aus gestelltwerden mssen. Infolgedessen sind Fragen dieser Art (wie die der Differen-zierung von Frage und Nichtfrage oder die der Differenzierung von termi-nalen und progredienten Kadenzen) an Hand verschiedener Sprachen auchbereits eingehend untersucht worden. Diese Tatsache, dass das Kriteriumder Bedeutungsdifferenzierung in den linguistisch orientierten Unter-suchungen zur Problematik der Satzintonation bisher im allgemeinen imVordergrund gestanden hat, whrend die anderen hier erwhnten vierKriterien entweder berhaupt nicht bercksichtigt oder nur recht globalbehandelt wurden, hat seinen Grund allerdings nicht nur in diesem wesent-lichen Umstand, dass es sich bei den Problemen der Bedeutungsdifferen-zierung um besonders zentrale linguistische Probleme handelt (ich habeoben bereits angedeutet, dass Bedeutungsdifferenzierungen auch ver-mittelst der anderen Kriterien hervorgerufen werden knnen). Es mussvielmehr zugegeben werden, dass solche Probleme der Bedeutungsdif-ferenzierung (wie etwa die Unterscheidung von Frage und Nichtfrage)bei der Analyse prosodischer Erscheinungen einer adquaten strukturellenErfassung am leichtesten zugnglich sind. Die Schwierigkeiten, die sichdemgegenber einer linguistisch orientierten Analyse im syntagmatischenund im sententialen Plan dem Versuch einer Erfassung der Merkmale undder Relevanz frequenzmodulatorischer Oppositionen in den Funk-tionsbereichen der Integrierung, Segmentierung, Relationierung und

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    Kulminationsbildung entgegenstellen, lassen sich da sie im Wesen derSache selber begrndet sind (vgl. die einfhrenden Bemerkungen) methodisch nicht so leicht berwinden. Es darf hier angemerkt werden,dass einer der Grnde, warum eine adquate Erfassung der in dieserHinsicht relevanten Merkmale so viele Schwierigkeiten bereitet, daringesehen werden muss, dass man bisher im allgemeinen nicht hinreichendbeachtete, dass diese Kriterien gleichzeitig in funktionell radikal ver-schiedenen Plnen relevant sind beziehungsweise sein knnen. Eineadquate Analyse dieser komplexen Problematik hat somit zur unabding-baren Voraussetzung eine klare gegenseitige Absetzung der einzelnenPlne gegeneinander. Dabei ist zu bercksichtigen, dass die Realisationbestimmter Komponenten eines untergeordneten Plans stets in Ab-hngigkeit von der Realisation der entsprechenden Komponenten desbergeordneten Plans erfolgt beziehungsweise in ihrer Realisation vombergeordneten Plan her bestimmt ist (selbstverstndlich kann dabeiauch der Fall eintreten, dass die Einheit des hheren Plans nur eineeinzige Einheit des untergeordneten Plans enthlt, in ihrem Umfang alsomit dieser identisch ist). Das heisst aber, dass insbesondere auch dieAnalyse frequenzmodulatorischer Erscheinungen stets von dem senten-tialen Plan und der Erschliessung der in diesem Plan relevanten Merk-male auszugehen hat; dass auf dieser Basis dann eine entsprechendeAnalyse und Erschliessung der relevanten Merkmale des syntagmatischenPlans zu erfolgen hat, und dass erst auf diesem Hintergrund die frequenz-modulatorisch relevanten Merkmale des syllabischen Plans ihre adquateDeutung finden knnen.21 Einen Versuch einer solchen Analyse habe

    21 Es gibt also keine Versuchsanordnung, die es gestatten wrde, "Akzente an sich",

    das heit Prototypen der einzelnen Glieder einer Akzentopposition unmittelbar reali-sierbar (und damit unmittelbar messbar oder definierbar) zu machen. Auch die Ver-suchsanordnungen, deren sich die Untersuchungen von L Lehiste bzw. von P. Ivicund L Lehiste bedienen, nmlich die Einfgung des zu analysierenden Wortes in einenbestimmten (stets gleichbleibenden) "Rahmensatz" kann (ebenso wie die Untersuchungvon isoliert gesprochenen Einzelwrtern) die fundamentale Voraussetzung nicht"neutralisieren", dass man es in jeder Realisierung notwendigerweise immer mit kom-binatorischen Varianten als Reprsentanten des betr. Prototyps eines Gliedes einerAkzentopposition zu tun hat. Die invarianten Merkmale des betreffenden Akzentsbzw. der betreffenden Opposition lassen sich deshalb umso weniger erkennen, je iden-tischer die syntagmatische und sententiale Position (wozu auch die Position # gehrt) des betreffenden Wortes hinsichtlich der prosodischen Struktur des betreffendenPlans ist. Die Ergebnisse jener Arbeiten, die vermittelst einheitlicher Versuchsanord-nung bezglich der kontextualen Bedingungen zur Erkenntnis der invarianten Merk-male einer Tonverlaufskorrelation zu gelangen versuchen, implizieren demnach stetsdie betreffenden charakteristischen Merkmale der syntagmatischen und der senten-tialen Ebene. Es ist also ein methodischer Irrtum, wenn man die Ergebnisse solcher

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    ich an Hand der serbokroatischen Satzintonation unternommen.22 ImSinne der hier kurz angedeuteten methodischen Aspekte liess sich dabeiunter anderem zeigen, inwiefern die unterschiedlichen Realisationen derverschiedenen serbokroatischen Akzente in der Tat als positionsbedingtekombinatorische Varianten der vier serbokroatischen Akzente aufzufas-sen sind, deren Opposition sowohl bei den Lngen :' als auch bei denKrzen " : * auf der intersyllabischen Einfgungs-Opposition fundiert ist.Die Richtung des Tonverlaufs hingegen wird jeweils massgeblich durchdie frequenzmodulatorische Struktur des syntagmatischen und des sen-tentialen Plans des jeweiligen Redegebildes bestimmt.23In den vorliegenden Ausfhrungen wurden nur bestimmte prinzipielleFragen bezglich der Mglichkeit eines Systems binrer Oppositionenim Bereich der Frequenzmodulationen behandelt. Es wurde dabei auchbereits darauf hingewiesen, dass die Einzelsprachen jeweils eine bestimmteAuswahl aus den prinzipiell mglichen Merkmalsoppositionen treffen undmit unterschiedlicher funktioneller Belastung ihrem einzelsprachlichenCode-System einfgen. Eine unterschiedliche Bndelung dieser Einzel-merkmale untereinander bzw. mit Merkmalen aus dem Bereich deranderen prosodischen Komponenten (der Intensittsmodulation und derZeitrelationen) ermglicht dann den einzelnen Sprachen die Bewltigungder Aufgaben, die den satzintonatorischen Funktionen sowie den Ak-zentoppositionen in der Rede in den einzelnen Sprachen zukommt. Unver-kennbar liegt hier eine Parallelitt zu dem System der "distinctivefeatures" des phonematischen Plans vor: die jeweils unterschiedlicheAuswahl und Bndelung bestimmter distinktiver Merkmale fhrt dortzur Konstituierung der verschiedenen Phonemsysteme der einzelnenSprachen. Im einen wie im anderen Fall knnen bestimmte Merkmalein den Einzelsprachen als relevante oder als redundante Merkmale Ver-wendung finden. Bezglich der prosodischen Merkmale ist auf diesenUmstand brigens insofern bereits verschiedentlich aufmerksam gemachtUntersuchungen mit den invarianten Merkmalen der Tonverlaufskorrelation identi-fizieren zu drfen glaubt.22

    Vgl. I. Mahnken, a.a.O. (s. Anmerkung 1) die Tabelle bei S. 18, die versucht, diewichtigsten diesbezglichen Kriterien tabellarisch bersichtlich zu machen, sowie dortKap. und IV, wo von einer entsprechenden Analyse der frequenzmodulatorischenErscheinungen der Satzintonation in der sententialen Ebene ausgegangen und dannauf dieser Basis die Einzelfragen, wie zum Beispiel die Opposition der relevantenKadenzen und die Realisierung der einzelnen Akzente unter den jeweiligen Bedingun-gen, behandelt werden.23

    Vgl. die in Anmerkung 22 angefhrten Abschnitte der dort zitierten Untersuchungsowie insbesondere die schematische Illustrierung dieser Erscheinung in der TabelleS. 63.

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    worden, als zum Beispiel auf die Tatsache hingewiesen wurde, dass sichfr die einzelnen Sprachen infolge der unterschiedlichen Funktion derprosodischen Komponenten in der Struktur des Akzentsystems derbetr. Sprachen notwendigerweise unterschiedliche Mglichkeiten fr einefunktionelle Nutzung dieser Komponenten in den anderen Plnen derRede ergeben.

    Ich beschrnke mich hier auf diese prinzipiellen Ausfhrungen; ichhabe dabei bewusst auf die Anfhrung willkrlich ausgewhlter Illustra-tionsbeispiele verzichtet. Dies war umso eher mglich, als solche Beispiele sowohl schematischer Art als auch konkretes Belegmaterial bereitsin meinen Studien zur serbokroatischen Satzmelodie dargeboten wurdenund aus eben jener Arbeit notfalls herangezogen werden knnen.

    Abschliessend mchte ich jedoch noch bemerken, dass die hier vor-gelegte Konzeption eines Systems binrer Oppositionen frequenzmo-dulatorischer Merkmale (dem selbstverstndlich entsprechende Systemefr die anderen prosodischen Komponenten zur Seite gestellt werdenmssen) unter anderem auch die Mglichkeit bietet, bestimmte Erschei-nungen der vergleichenden slawischen (und baltoslawischen) Akzentlehreneu zu interpretieren. Diese Mglichkeit ergibt sich auf Grund der Tat-sache, dass das hier vorgelegte System von Merkmalsoppositionen zueiner neuen Deutung des Charakters nicht nur der Akzentoppositionenin der heutigen serbokroatischen Schriftsprache, sondern auch der Akzent-oppositionen des Urslawischen fhrt, und dass sich auf dieser Basis dieErscheinungen der historischen Entwicklung dieser Akzente beziehungs-weise ihrer Reflexe in den einzelnen slawischen Sprachen wesentlich ein-facher darstellen lassen, als dies auf Grund der frheren Auffassungender Fall war. Von den vorliegenden Darlegungen ausgehend, werde ichdiese spezifische Problematik der slawischen Akzentlehre in Krze ineinem besonderen Beitrag darlegen.24

    3400 Gttingen29 iv 1966 Nikolausberger Weg 31

    Bundesrepublik Deutschland24

    Die diesbezgliche Konzeption zur historisch-vergleichenden slawischen Akzent-lehre habe ich bereits im Dezember 1959 in einem Vortrag vorgelegt. Ihre Publikationhatte sich ursprnglich aus technischen Grnden verzgert. Da ich auf der Basis desAusgangspunktes des damaligen Vertrages in der Zwischenzeit jedoch das in dem vor-liegenden Beitrag skizzierte umfassendere System binrer Merkmalsoppositionen imBereich der Frequenzmodulationen ausgearbeitet habe, habe ich mich entschlossen,meine erwhnte Konzeption eines strukturell-prosodischen Aspekts der Fakten dervergleichenden slawischen Akzentlehre erst jetzt nach der hier erfolgten Darlegungder die speziellen Fragen fundierenden Konzeption eines Systems der prosodischenOppositionen zu publizieren.