zum danziger athenäum als frühneuzeitlicher bildungsstätte
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Studenten, Gelehrte, patrizische Obrigkeit
Zum Danziger Athenäum als frühneuzeitlicher Bildungsstätte
Hanspeter Marti unter Mitarbeit von Thomas Marti
1. Einleitung
Trotz wichtiger Vorarbeiten zur Geschichte der in der frühen Zeit ‚Particular‘, später
‚Gymnasium Gedanense‘ oder ,Athenäum‘ genannten Danziger Hohen Schule ist der
frühneuzeitliche Unterricht dieser über die Stadt Danzig hinaus bedeutenden Bildungsstätte
schlecht erforscht.1 Dies hängt unter anderem mit der unbefriedigenden bibliographischen
Erschließung und der nur sehr punktuell erfolgten Auswertung einschlägiger Quellen, vor
allem des lateinsprachigen gelehrten Kleinschrifttums, so der Dissertationen, Reden,
Programmschriften und Lektionsverzeichnisse, zusammen. Die Personengeschichte bildet
einen Anknüpfungspunkt zur Verbesserung der Forschungssituation und gewährt einen ersten
Einblick in die Tätigkeit der an der Danziger Hohen Schule wirkenden Professoren, zu den
Studenten und über Besucherfrequenzen, zum geographischen Einzugsgebiet des
Gymnasiums und zu den im Allgemeinen gut dokumentierten Leistungen der Danziger
1 Es liegen Überblicksdarstellungen vor, welche die ganze Frühe Neuzeit oder eine begrenztere Epoche behandeln: Theodor Hirsch: Geschichte des academischen Gymnasiums Danzig, in ihren Hauptzügen dargestellt. Danzig o.J. Ders.: Geschichte des Danziger Gymnasiums seit 1814. In: Friedrich Wilhelm Engelhardt: […] Gymnasii Gedanensis sacra saecularia tertia diebus XIII. XIIII. XV. m. junii a. MDCCCLVIII rite celebranda. Danzig o.J., S. 3‒58. Bernhard Schulz: Das Danziger Akademische Gymnasium im Zeitalter der Aufklärung. In: Zeitschrift des Westpreußischen Geschichtsvereins 76, 1941, S. 5‒102. Sven Tode: Johannes Placotomus und die Schola Dantiscana ‒ ein klassisch–modernes Unterrichtskonzept. In: Beiträge zur Geschichte Westpreußens 19, 2004, S. 85‒112. Die unterrichtsgeschichtlichen Arbeiten beschäftigen sich mit der Ausbildung der künftigen Pfarrer und der Theologen: Sven Tode: Bildung und Wissenskultur der Geistlichkeit im Danzig der Frühen Neuzeit. In: Bildung und Konfession. Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung. Hg. von Herman J. Selderhuis und Markus Wriedt. Tübingen 2006, S. 61‒101. Ders.: Ausbildungswege von Seelsorgern in Ermland und Preußen königlichen Anteils 1520‒1772. In: Kirche und Welt in der frühen Neuzeit im Preußenland. Hg. von Bernhart Jähnig. Marburg 2007, S. 171‒216, insbesondere S. 192‒201. ‒ Kurzabrisse: Heinz Lingenberg: Danzig als Schulstadt bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. In: Zur Bildungs- und Schulgeschichte Preußens […], hg. von Udo Arnold. Lüneburg 1988, S. 39‒75. Stanislaw Salmonowicz: Die protestantischen akademischen Gymnasien in Thorn, Elbing und Danzig und ihre Bedeutung für die regionale Identität im Königlichen Preußen (16. ‒ 18. Jahrhundert). In: Nordost-Archiv Neue Folge 6, 1997/2, S. 515‒539 (aus dem Polnischen übersetzt von Barbara Glowe, Lübeck). Hans-Jürgen Kämpfert: 450 Jahre Akademisches Gymnasium in Danzig. In: Westpreußen – Jahrbuch. Aus dem Land an der unteren Weichsel 58, 2008, S. 27‒34. Wenigstens summarisch sei auf die wichtige Sekundärliteratur in polnischer Sprache hingewiesen, die in deutschsprachigen Publikationen eher selten erwähnt wird, stellvertretend: Gdańskie Gimnazjum akademickie. 4 Bde. Gdańsk 2008. ‒ Reinhard Wenzel, Celle, danke ich für die Vermittlung von Sekundärliteratur.
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gelehrten Elite.2 Auch die Außenbeziehungen, namentlich zu anderen Hohen Schulen3 und zu
den von Danziger Absolventen meist frequentierten Universitäten (vor allem Wittenberg,
Rostock, Leipzig, in geringerem Maße Jena und Königsberg),4 können von den am Unterricht
beteiligten Personen her beschrieben werden, ferner das Verhältnis der Schule zum Danziger
Rat, dem sie unterstellt war, und zu den auf engem Raum ansässigen Angehörigen
verschiedener Konfessionen.5 Der Geschichtsschreibung des frühneuzeitlichen Unterrichts
bietet sich das Athenäum auch als eine der prominentesten, doch nicht zur Erteilung
akademischer Grade berechtigten Hohen Schulen im deutschen Sprachbereich an. In der
Zusammenarbeit mit polnischen wissenschaftlichen Institutionen und Historikern kann ein
personen- und unterrichtsgeschichtliches Projekt forschungspolitische Anstöße zur
wünschenswerten intensiveren Zusammenarbeit vermitteln. Schließlich weist der Titel
unseres Aufsatzes auf die Notwendigkeit sozial-, wirtschafts- und politikgeschichtlicher
Kontextualisierung schulhistorischer Studien hin, ein Anliegen, das am Beispiel des 1558
gegründeten Danziger Athenäums mustergültig verwirklicht werden könnte. Auf die generelle
Bedeutung familiengeschichtlicher und genealogischer Arbeiten für ein ähnliches Vorhaben
ist an anderer Stelle hingewiesen worden.6
Der Danziger Rat war, freilich mit unterschiedlicher Intensität, bemüht, das akademische
Leben in der Stadt zu fördern und, falls die Ausbildung seinen Vorstellungen nicht zu
genügen vermochte, eine Verbesserung der Zustände zu erwirken. In einem für Lehrer und
Eltern bestimmten pädagogischen Ratgeber aus dem Jahre 1653, der auch an des Lateins
unkundige Adressaten gerichtet ist, stellt er einleitend fest: „Also erheischet auch die höchste 2 Dazu im Blick auf die Danziger Geistlichen in der Frühen Neuzeit und auf Familiendynastien Tode: Bildung (Anm. 1), insbesondere S. 95f. 3 Thomas Elsmann: Danziger akademisches Schrifttum im Umfeld des Bremer Gymnasium illustre. In: Hospitium ecclesiae 19, 1993, S. 101‒116. Ders.: The Influence of Ramism on the Academies of Bremen and Danzig: A Comparison. In: The Influence of Petrus Ramus. Studies in Sixteenth and Seventeenth Century Philosophy and Sciences. Edited by Mordechai Feingold, Joseph S. Freedman and Wolfgang Rother. Basel 2001, S. 54‒67. 4 Zu den Theologiestudenten Tode: Ausbildungswege (Anm. 1), S. 216 (Graphik), sowie ders: Bildung (Anm. 1), S. 84, mit den Prozentzahlen inbezug auf die Danziger Geistlichen: Wittenberg 35%, Leipzig 18%, Rostock 18%, Jena 12% und Königsberg 10%. Ferner: Zbigniew Nowak: Das Studium der Danziger in Königsberg im 16. und 17. Jahrhundert. In: Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit. Hg. von Klaus Garber, Manfred Komorowski und Axel E. Walter. Tübingen 2001, S. 375‒390 (aus dem Polnischen übersetzt von Astrid Krüger). 5 Zur politischen Ordnung, zu den städtischen und kirchlichen Behörden sowie zum Verwaltungsapparat Danzigs siehe: Des Syndicus der Stadt Danzig Gottfried Lengnich ius publicum civitatis Gedanensis oder der Stadt Danzig Verfassung und Rechte. Nach der Originalhandschrift des Danziger Stadtarchivs hg. von Dr. Otto Günther, Stadtbibliothekar in Danzig. Danzig 1900. 6 Hanspeter Marti: Dissertationen als personen- und familiengeschichtliche Quellen. Das Beispiel Königsbergs ‒ eine Datenbank der Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschungen in Engi/Glarus Süd (Schweiz). In: Altpreußische Geschlechterkunde. Neue Folge. 41 (59. Jahrgang), 2011, S. 311‒324.
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Nothwendigkeit / daß die Studia von Kindes=Beinen an ordentlich gefasset / und die Jugend
also erzogen werde / damit dieselbe der Ordnung / […] sich gemäß erzeigen lerne.“7 Das
bildungspolitische Memorandum ist von den Rektoren des Gymnasiums, der Marien-, der
Johannes-, der Katharinenschule, der Peter und Paul-Schule, der Bartholomäusschule und der
Schule der Barbarakirche unterzeichnet.8 Man war vor allem um die Patriziersöhne besorgt,
„da denn bey Vornehmer Leute und Herren Kinder man auch dahin zielen muß / was jhnen
sonderlich dermahl eins könne ersprießlichen seyn / wenn sie Land und Leute regieren
sollen“.9 Auch in der Ausbildung des gelehrten Nachwuchses, der städtischen Beamten, die
meist der patrizischen Oberschicht angehörten, und des Klerus erfüllte das akademische
Gymnasium eine wichtige Funktion.10
Im 17. Jahrhundert umfasste das Athenäum sieben Klassen,11 fünf untere und die eigentlich
akademischen Lehrgänge in der zweitobersten Klasse, der Secunda, sowie in der Prima, die in
zwei Jahren absolviert werden konnte. Im akademischen Gymnasium waren auch die höheren
Fakultätswissenschaften vertreten, die Theologie als wichtigste Fachrichtung mit einer
eigenen Professur, die Jurisprudenz in Verbindung mit Geschichte, die Medizin in einer
solchen mit Physik. Im Jahr 1688 verteilten sich die sieben Professuren auf folgende Fächer
und Personen: Theologie (Samuel Schelwig; Rektor); Joachim Hoppe (Jurisprudenz,
Geschichte), Ernst Gottfried Heyse (Medizin, Physik), Johann Peter Titz (Rhetorik, Poetik),
Wolfgang Rosteuscher (alte Sprachen, namentlich Griechisch und Latein), Friedrich Büthner
(Mathematik; Kalendermacher), Johann Christoph Rosteuscher (Logik, Metaphysik, Ethik).12
Hinzu kam das Polnischlektorat (Johannes Stephani), das kein Professor innehatte, das aber
im schulischen Curriculum der mehrsprachigen Stadt auch aus politischen Gründen und
Solidarität mit dem Lehensherrn Danzigs, dem polnischen König, von nicht geringer
Bedeutung war.13
7 Kurtzer Begriff Wie die Jugend künftig im Gymnasio und andern Schulen dieser Königlichen Stadt Dantzig / in der Lateinischen und andern Sprachen auff / gleichförmige Art sol unterwiesen und gelehret werden / Auff Anordnung der itzigen Herren Scholarchen in Druck gegeben. Anno MDCLIII. Dantzig, Bl. Aijr. 8 Ebd., S. 87. 9 Ebd., S. 10. 10 Zum Klerus die Publikationen Todes (Anm. 1). 11 Zur Anzahl Klassen Hirsch: Geschichte des academischen Gymnasiums (Anm. 1), S. 17, Tode: Ausbildungswege (Anm. 1), S. 195f., ders.: Bildung (Anm. 1), S. 71, zunächst vier Klassen, 1566 weitere Klasse. 12 Catalogus lectionum et operarum publicarum, in Athenaeo Gedanensi, hoc cursu annuo expediendarum, propositus januario ineunte, (1688). Danzig. 13 Ebd., Bl. )(4v.
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Theodor Hirsch, der in manchem heute noch nicht überholte Klassiker der
Geschichtsschreibung des Danziger Athenäums, geht in seiner Schulgeschichte von einem
Dreiphasenmodell aus: der Gründungszeit (1558‒1580), einer langen Blütezeit von 1580 bis
1709 und der Epoche des Verfalls im 18. Jahrhundert bis zur Aufhebung der
Fakultätsprofessuren (1812) und der Zusammenlegung mit der Marienschule im Jahre 1817.14
Konfessionspolitisch einschneidend war das Rektorat (1580‒1629) des Reformierten Jakob
Fabricius (1551‒1629), der sein Studium an der Universität Basel mit dem theologischen
Doktorgrad abschloss und die Danziger Schule zu einer calvinistisch geprägten Lehranstalt
machte. Während der allergrößte Teil der Stadtbevölkerung lutherisch war, bekannte sich die
städtische Elite, darunter die Professoren des akademischen Gymnasiums, unter anderen der
berühmte Bartholomäus Keckermann (1571/73‒1608), zur reformierten Konfession. Die
Rektoren, die auf Fabricius folgten, namentlich Johann Botsack (1600‒1674), Abraham Calov
(1612‒1686), Johann Maukisch (1617‒1669), Aegidius Strauch (1632‒1682) und Samuel
Schel(g)wig (1643‒1715), brachten das Athenäum auf einen streng lutherischen Kurs, und die
Danziger Hohe Schule wurde neben der Universität Königsberg zum wichtigsten Stützpunkt
der lutherischen Orthodoxie im östlichen Ostseeraum. Von da an nahm die konfessionelle
Polemik der Theologieprofessoren gegen Reformierte und Katholiken im Lehrplan des
Gymnasiums einen zentralen Platz ein, was eine Vielzahl dort verteidigter Dissertationen
bezeugt. Der Grad der Härte des Glaubenskampfs gegen den Katholizismus war mitunter von
politischen Bedingungen und Rücksichten geprägt, auch wenn die Etablierung eines etwas
provokant ,Collegium Gedanense‘ genannten fünfklassigen Jesuitenkollegiums (1621) in der
Danziger Vorstadt Altschottland konfessionelle Kontroversen angeheizt haben mag. 15 Die
Erforschung des Neben-, Mit- und Gegeneinanders verschiedener Konfessionskulturen im
frühneuzeitlichen Danzig stellt nach wie vor ein Desiderat, die Personen- und
Unterrichtsgeschichte des Gymnasiums einen Mosaikstein im konfessionshistorischen
Forschungskontext dar. Aus einer Graphik der Schülerzahlen, die sich jeweils auf das erste
Jahr eines beginnenden Jahrzehnts bezieht, ergeben sich für das Danziger Gymnasium
Spitzenfrequenzen um 1580, 1600 und 1610, dann wieder 1650 und 1660, ab 1670 eine
Abnahme mit Stagnation 1680 und 1690, eine Talsohle 1700 und 1710, 1720 ein leichter
Anstieg, 1730 ein geringer Rückgang, 1740 ein markantes Schwinden, 1750 noch einmal ein
14 Hirsch: Geschichte des academischen Gymnasiums (Anm. 1), S. 7. 15 Edmund Kizik: Danzig. In: Handbuch kultureller Zentren der Frühen Neuzeit. Städte und Residenzen im alten deutschen Sprachraum. Hg. von Wolfgang Adam und Siegrid Westphal in Verbindung mit Claudius Sittig und Winfried Siebers. Band 1: Augsburg ‒ Gottorf. Berlin/Boston 2012, S. 275‒326, hier S. 298f.; der Unterricht an der Jesuitenschule und allenfalls dort verteidigte Dissertationen verdienen Beachtung.
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leichter Anstieg, 1757 der absolute Tiefpunkt, von dem sich die Schule 1770 wiederum auf
den Stand von 1710 hinauf entwickelte. In den Spitzenjahren ist von einer Zahl von
durchschnittlich 100 Immatrikulationen auszugehen.16
2. Datenbank frühneuzeitlicher Danziger und Elbinger Dissertationen
Von der Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschungen Engi/Glarus Süd (Schweiz) ist
vor einigen Monaten mit der Einrichtung einer Datenbank begonnen worden, die eine
bibliographische Feinerschließung der Danziger und Elbinger Dissertationen zum Ziel hat.17
Auf Wunsch der Elbinger Stadtbibliothek werden die insgesamt kaum mehr als hundert
Thesendrucke des im Jahr 1535 gegründeten Elbinger Gymnasiums mit erfasst.18
Wünschenswert wäre der Einbezug der zahlreicheren Dissertationen des Thorner
Gymnasiums (1568), der für eine spätere Projektphase geplant ist.19 Die begonnene
Datenbank ergänzt die ebenfalls von der Engeler Arbeitsstelle betreute, in Zusammenarbeit
mit Manfred Komorowski entstandene der Königsberger Dissertationen, die immer wieder
durch neu aufgefundene Titel alimentiert wird.20 Das Konzept der Danziger Datenbank
unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dem der Königsberger: Sie enthält
detailliertere Informationen zu den an den Disputationen beteiligten Personen, bezieht zum
Beispiel sämtliche, auch die in den Dissertationen nur mit ihrem Namen genannten
Widmungsadressaten, ein, vermittelt, sofern möglich, einen Link zum Originaltext, verzichtet
aber auf bio-bibliographische Hinweise.21 Sie wurde so eingerichtet, dass verschiedene
16 Tode: Bildung (Anm. 1), S. 80 (Graphik und Erläuterungen). 17 forschungen-engi.ch/schriften/script/thesis.pl/document/list 18 Das Eröffnungsjahr 1535 bei Hugo Abs (Hg.): Die Matrikel des Gymnasiums zu Elbing (1598‒1786). Danzig 1936‒1944. Hamburg 1982. Karlheinz Goldmann: Verzeichnis der Hochschulen. Neustadt an der Aisch 1967, S. 108, verlegt die Gründung in das Jahr 1536. Die feierliche Eröffnung fand am 29. September 1535 statt, dazu: Marian Pawlak: Die Geschichte des Elbinger Gymnasiums in den Jahren 1535‒1772. In: Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit. Hg. von Sabine Beckmann und Klaus Garber. Tübingen 2005, S. 371‒394 (Übersetzung von Joanna Braksiek), hier S. 375. 19 Manfred Komorowski: Das akademische Schrifttum Altpreußens: Königsberg, Danzig, Elbing und Thorn. In: Kulturgeschichte Preußens (Anm. 18), S. 412‒428. 20 Link, vgl. Anm. 17. 21 Nach wie vor unentbehrliche, ältere bio-bibliographische Literatur: Ephraim Praetorius: Athenae Gedanenses, sive commentarius historico-chronologicus succinctus, originem et constitutionem gymnasii Dantiscani illustris, itemque recensionem superiorum ejus antistitum, seu proto-scholarcharum, nec non vitas et scripta rectorum ac professorum ejusdem, continens. Accedit series I. rectorum scholarum reliquarum publicarum Gedanensium, II. rectorum gymnasiorum Thoruniensis, tum Elbingensis. Leipzig 1713. Andreas Charitius: Commentatio historico literaria de viris eruditis Gedani ortis speciatim iis qui scriptis inclaruerunt. Wittenberg 1715. Michael Christoph Hanov (Präses), Christian Friedrich Charitius (Respondent): Spicilegii ad D. Andreae Charitii […] commentationem de viris eruditis Gedani ortis, anno 1715. Vittebergae excusam. Pars prior. 19. Mai. Danzig 1729. Ephraim Praetorius: Danziger Lehrer Gedächtniß, bestehend in einem richtigen
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Datenlisten erstellt, Informationen also serienmäßig abgefragt und von ausgewählten
Fragestellungen her statistisch ausgewertet werden können. Auch wird der Inhalt der
Thesendrucke, im Unterschied zur Königsberger Datenbank, in einer Sachwortliste
erschlossen. Ähnlich wie die Königsberger Dissertationen sind die Danziger in
Standortbibliotheken verstreut vorhanden, auch, weil die Danziger Stadtbibliothek größere
Kriegsverluste unter den geschlossen aufgestellten Danziger Dissertationsbeständen
hinnehmen musste.22 Einen Überblick zu den gegenwärtig in der Danziger
Akademiebibliothek vorhandenen frühneuzeitlichen Thesenschriften zu gewinnen, ist im
Augenblick nicht möglich, da solche auch verteilt auf die einzelnen Sachgebiete aufgestellt
sind und im umfangreichen systematischen Katalog gesucht werden müssen. Das verstreute
Vorkommen und die detaillierte bibliographische Aufnahme der einschlägigen Thesendrucke
sind die Hauptgründe für das langsame Wachsen der Datenbank. Sie lenkt die
Aufmerksamkeit auf ein bis jetzt von der Forschung vernachlässigtes Danziger
Quellenrepertoire, dessen Umfang zahlenmäßig bis jetzt kaum zuverlässig abzuschätzen ist:
Er dürfte sich in der Größenordnung von drei- bis viertausend Stück bewegen; sicher handelt
es sich um eine Anzahl bibliographischer Einheiten, welche die anfänglich vermutete von
2000 Danziger Dissertationen beträchtlich übersteigt. Als Einzelbeispiel (siehe Abb. 1‒7)
wählen wir hier zur Veranschaulichung die 1709 unter dem Vorsitz des Theologieprofessors
und Kontroverstheologen Samuel Schelwig (1643‒1715), der von 1685 bis 1715 als
orthodoxer Lutheraner Rektor des Athenäums war, von Johann Gottfried Drave aus Belgard
(Pommern) verteidigte Exercitatio theologica de dono fidei iustificantis, ad dictum classicum
Verzeichniß der Evangelischen Prediger in der Stadt und auf dem Lande vom Anfange der Evangelischen Reformation bis itzo. Nebst einem Anhange derer Professoren am Gymnasio, und vermehrtem Verzeichniß der seit Anno 1709 hieselbst von E.E. Ministerio U.A.C. tentirten Studiosorum Theologiae. Danzig/Leipzig 1760. Unentbehrliche personengeschichtlich-bibliographische Ergänzungen in: Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums in europäischen Bibliotheken und Archiven. Bände 23‒26. Danzig: Danziger Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften. Abteilung I. Gedanensia. Hg. von Stefan Anders, Sabine Beckmann und Klaus Garber. Hildesheim/Zürich/New York 2009 (hier, Bd. 23, S. 17‒60, bibliotheksgeschichtliche Einleitung und Bibliographie von Klaus Garber; Handbuch des personalen Gelegenheitsschrifttums. Bände 21 und 22. Elbing. Hg. von Fridrun Freise unter Mitarbeit von Stefan Anders und Sabine Beckmann: Elbinger Bestände unter Berücksichtigung der historischen Sammlungen der ehemaligen Elbinger Stadtbibliothek und des ehemaligen Elbinger Stadtarchivs. Hildesheim/Zürich/New York 2008 (Band 21, S. 21‒87: Fridrun Freise: Bibliotheksgeschichtliche Einleitung und kommentierte Bibliographie). 22 Grundlegend: Klaus Garber: Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents. München 2006, hier S. 439‒489: Die alte Danziger Stadtbibliothek als Memorialstätte für das Preußen Königlich Polnischen Anteils. Sammler, Sammlungen und gelehrtes Leben im Spiegel der Geschichte. Zu den frühneuzeitlichen Danziger Dissertationen sowie zu Kriegsverlusten der Stadtbibliothek, ebd., S. 478. Hier auch generell wichtige bibliographische Hinweise.
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Ephes. II.8. contra Casparum Ernest. Trillerum. Die Thesenschrift greift, auch aus
didaktischen Beweggründen, ein Hauptstück lutherischer Theologie, die Rechtfertigungslehre
(sola fide, sola scriptura, sola gratia), auf. Der Respondent widerlegte Kaspar Ernst Trillers
(1650‒1717), Rektors in Ilefeld, Uelzen sowie in Schleswig, sehr angefochtene Untersuchung
etlicher Oerter des Neuen Testaments, die wegen bißher übler Ubersetzung die Warheit
auffgehalten haben (Amsterdam 1699), die eine Welle von Protestschriften auslöste. Zu ihnen
gehörte die hier vorgestellte kontroverstheologische Dissertation. Samuel Schelwig ging in
erster Linie als hartnäckiger Pietismusfeind und Gegner Philipp Jakob Speners in die
Kirchengeschichte ein. Im polnischen Lissa geboren, nahm er 1661 das Studium an der
Universität Wittenberg auf, wo er 1663 den Magistergrad erlangte und 1667 zum Adjunkten
der philosophischen Fakultät aufstieg. 1668 wurde er Konrektor in Thorn, 1673 erfolgte die
Berufung an das Danziger Athenäum, 1675 die Ernennung zum dortigen Theologieprofessor,
1681 zum Pfarrer an der Katharinenkirche, 1685 zum Rektor des Athenäums und zum Pfarrer
an der Trinitätskirche. Auf lokaler Ebene bekämpfte er den Pietisten Konstantin Schütz
(1646‒1712; ab 1680 Pastor an der Danziger Marienkirche).23
Als Einleitung gehen den verteidigten Thesen eine Widmungstafel und eine Serie von
Glückwunschadressen voraus. In der Regel folgen diese Paratexte auf den eigentlichen
Dissertationstext. Dieser umfasst in unserem Beispiel einen ersten, der Auslegung der
bezeichneten Bibelstelle24 gewidmeten Abschnitt („Sectio I. Exegetica“, S. 4‒22) sowie ein
kontroverstheologisches Kapitel („Sectio II. Polemica“, S. 22‒40), dem eine Schlussfolgerung
(„conclusio“) angehängt ist. Zum Schluss wendet sich der Autor zusammenfassend gegen den
im Umfeld des Pelagianismus25 lokalisierten Gegner und fleht Gott in einem gebetartigen
Finale an, dem Treiben der Neuerer („novaturientium“) ein Ende zu setzen. Dem Aufbau der
Thesenschrift liegt eine logische Struktur zugrunde, deren terminologische Indikatoren hier
und dort durch Kursivschrift hervorgehoben werden.
Welches ist nun das (personengeschichtliche) Informationsangebot der als work in progress
geplanten und demnächst im Internet kostenfrei als wissenschaftliche Dienstleistung über die
Homepage unserer Arbeitsstelle (www.forschungen-engi.ch) öffentlich zugänglichen
Datenbank? Sie ist so eingerichtet, dass sie der Erfassung der einschlägigen Daten für 23 Biographie hauptsächlich nach: Philipp Jakob Spener: Briefwechsel mit August Hermann Francke 1689‒1704. Hg. von Johannes Wallmann und Udo Sträter in Zusammenarbeit mit Veronika Albrecht-Birkner. Tübingen 2006, S. 387f. Anm. 9 und 10, und S. 392 Anm. 9, und August Bertling: Katalog der die Stadt Danzig betreffenden Handschriften der Danziger Stadtbibliothek. Danzig 1892, S. 681f. 24 Epheser 2,8: „Denn aus Gnade seid ihr gerettet worden durch den Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.“ 25 Die Pelagianer tragen ihren Namen von einem britischen Mönch namens Pelagius, der um 420 starb. Sie leugneten die Erbsünde und schrieben daher der göttlichen Gnade sekundäre Bedeutung zu.
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Thesenschriften aller Typen von Hohen Schulen (Universitäten, Gymnasien mit
unterschiedlichen Ausbildungsgraden, katholische Ordensschulen, Ritterakademien, andere
Anstalten des höheren frühneuzeitlichen Bildungswesens) aller Zeitepochen und der lokal
verschiedenen Usanzen dienlich ist. Auch für die Verzeichnung von Inauguraldissertationen
des 19. bis 21. Jahrhunderts ist sie geeignet. Das Projekt befindet sich gegenwärtig in der
Pilotphase, die Mitte 2014 abgeschlossen wird. Einige Schwächen des Verzeichnungssystems
sowie technische Unzulänglichkeiten sind noch zu tilgen. Bis jetzt hat man sich bemüht,
Dissertationen einzelner Präsides (u.a. Heinrich Nicolais, Samuel Schelwigs, Samuel
Friedrich Willenbergs) prioritär aufzunehmen, in der Annahme, mit einer optimalen Zahl
technischer und textsemantischer Probleme konfrontiert zu werden, die im Laufe der Arbeiten
eine Lösung erfordern. Trotz des Bemühens um eine umfassende bibliographische
Dokumentation mussten Wünschbarkeiten hinter pragmatischen Entscheiden zurücktreten.
Jeder Eintrag umfasst vier Informationsblöcke: 1. Titel, Umfang der Dissertation,
Besonderheiten; 2. Rollenträger, einschließlich der Drucker / Verleger; 3.
Standortbibliothek(en); 4. Erschließung des Inhalts der Dissertation durch Sachwörter (Abb.
1: Formular).
2.1. Titel, Umfang der Dissertation, Besonderheiten
Mit Ausnahme des Seitenumfangs handelt es sich im ersten Informationsblock um Daten, die
allesamt dem Titelblatt der Dissertation entstammen, dessen exakte Gestalt dem Link auf das
bearbeitete Exemplar entnommen werden kann. Es ist zu hoffen, dass im Laufe der Zeit die
meisten Danziger Dissertationen dem Benutzer kostenlos online zur Verfügung stehen.26
Verglichen mit der auch drucktechnisch differenzierten Erscheinungsform des originalen
Titelblatts handelt es sich bei dessen Umschrift in der Datenbank um eine standardisierte,
abstrakte Form der Titelwiedergabe. Einleitungsformeln wie („IN GLORIAM DEI!“),
syntaktische Übergänge („QUAM // JUVANTE GRATIA DIVINA“), Huldigungen, genaue
Angaben zum Abhalteort („IN ACROATERIO MAXIMO“)27 und andere Zusätze entfallen,
was keinen Relevanzentscheid im Blick auf mögliche Fragestellungen der Interpretation
bedeutet. Der erste Aufnahmeblock besteht zunächst aus dem in korrekter grammatischer
Form aufgenommenen, das heißt allenfalls syntaktisch angepassten Titel der Dissertation (im
26 Der Akademiebibliothek Danzig (Stefania Sychta) und der Stadtbibliothek Elbing (Joanna Szkolnicka) danke ich für die Bereitschaft zur Kooperation am Dissertationen-Erschließungsprojekt. 27 Öffentlich angekündigte Disputationsakte fanden in verschiedenen Räumen des Athenäums statt, meist im Auditorium maximum, hin und wieder im Auditorium anatomicum, so die folgende naturrechtliche Disputation: Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Gottlieb Schelwig (Respondent): De dubiis juramentorum formulis ex principiis juris naturae. 3. August 1702. Danzig.
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vorliegenden Fall unverändert (Abb. 2: Titelblatt): „Exercitatio theologica, de dono fidei
iustificantis, ad dictum classicum Ephes. II.8. contra Casparum Ernest. Trillerum“).28 Die
Dissertationen des Danziger Gymnasiums sind mit größter Wahrscheinlichkeit alle in Latein
abgefasst. Manchmal erfolgt, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, auf dem
Titelblatt eine Präzisierung respektive Übersetzung oder Teilübersetzung des Titels in die
deutsche Sprache.29 Feste deutschsprachige Wendungen erscheinen dort manchmal nur in
Deutsch, der Ursprungssprache, werden also nicht ins Lateinische übersetzt.30 Zu einzelnen
Themenkomplexen wurde bisweilen eine ganze Reihe von Disputationen veranstaltet; die in
der Folge verteidigten Dissertationen ergaben dann einen Kommentar zum durchdisputierten
Primärwerk oder ein neues Kompendium zu einem bestimmten Unterrichtsfach.31
Ein weiteres Feld des ersten Informationsblocks der Datenbank ist dem Abhaltedatum der
Disputation gewidmet (Jahr, Monat, Tag, in unserem Beispiel: 1709-05-07: 7. Mai 1709). Hin
und wieder fehlen (noch) die Monats- und Tagesangaben, was dem von einer Bibliothek für
den Karlsruher Verbundkatalog (= KVK) gewählten Aufnahmemodus geschuldet sein kann.
Allerdings sollten frühneuzeitliche Dissertationen nicht ohne diese Zeitindikatoren
bibliographiert werden. Lag das Disputationsdatum beim Druck der Thesenschrift noch nicht
fest, wurde auf dem Titelblatt hin und wieder Platz freigelassen, um den Abhaltetag, seltener
zusätzlich oder allein den Abhaltemonat handschriftlich noch eintragen zu können. Manchmal
musste ein bereits gedrucktes Datum von Hand korrigiert werden, weil die Disputation am
vorgesehenen Tag, aus welchen Gründen auch immer, nicht stattfinden konnte.32 Oft geht aus
dem Titelblatt der Dissertation die genaue Uhrzeit der Disputation hervor ‒ eine Information,
die nicht in die Datenbank aufgenommen wird. Einen Spezialfall stellt das auf dem Frontispiz
einer Dissertation in einem Chronogramm mit einem Einsprengsel in griechischer Sprache
28 Im folgenden Beispiel (Samuel Schelwig, Präses; Michael Gottlieb Hansch, Respondent) musste der Akkusativ des ersten Substantivs im Titel der Dissertation in einen Nominativ verwandelt und syntaktisch angepasst werden: Die Titelblattversion: „Justificationem fidelium sub V.T. â Coccejana paresi […] vindicabit“ erscheint in der Datenbank als „Justificatio fidelium sub V.T. a Coccejana paresi […] vindicata“. 29 Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Friedrich Reyger (Respondent): Dissertatio juridica de perjurio veniali, Vom begnadigten Meyneyd. 12. Mai. Danzig 1712. 30 Beispiel: Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Georg Simon von Boemeln (Respondent): Dissertatio juridica de abusu canonis juris Lubecensis Hand muß Hand wahren. 19. Mai. Danzig 1707. 31 Vgl. die unter dem Vorsitz Heinrich Nicolais verteidigte Reihe ethischer Dissertationen, die im Titel der einzelnen Stücke angekündigt wird: „Miscellaneorum decadis III. Exercitatio I, II, III“ etc. Im Rechtsunterricht waren Kommentar-Disputationen beliebt, vgl. die unter Peter Ölhaf verteidigte Reihe zu den justinianischen Institutiones, „Disputationum juridicarum ordinariarum prima, secunda“ etc. 32 Samuel Schelwig (Präses), Kaspar Gynther (Respondent): Disquisitionis theologicae de Rechabitis ex Jerem. XXXV. segmentum V. Danzig 1680: vorgedruckt: „D. [spatium] Junii, M. DC. LXXX.“, von Hand eingesetzt 18., und „Junii‘ ist handschriftlich korrigiert in „Julii“.
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kunstvoll verschlüsselte Druckjahr der Thesenschrift dar.33 Die in der Datenbank vermerkte
Seitenzahl unterscheidet die Form der Paginierung (unpaginierte Seiten, Bogenpaginierung,
Seitenzahlen) nicht; die Seiten wurden, Titelblatt und leere Seiten eingeschlossen,
durchgezählt, und der Seitenumfang wird nur bei erfolgter Autopsie angegeben, die wir
natürlich immer erstreben. Bei der Benennung der Schule müssen nur das Danziger Athenäum
und das Gymnasium Elbing unterschieden werden. Da im Laufe der Zeit im Danziger
Gymnasium Fachprofessuren für Theologie, Jurisprudenz und Medizin eingerichtet wurden,
findet man die entsprechende Zuordnung unter der in der Regel nur für Universitäten
gebräuchlichen Fakultätsbezeichnung (,faculty‘), dies im Bewusstsein, dass die
,Fakultätsprofessoren‘ der Jurisprudenz und Medizin ihr Fakultätsfach in Danzig stets
zusammen mit einer philosophischen Disziplin unterrichteten (siehe Einleitung). In der
Rubrik ‚Revision‘ zeigt ein Kreuz (X) an, dass der Datenbankeintrag zur Kontrolle von einer
Drittperson gegengelesen wurde. Das Notizfeld wird meistens dafür gebraucht,
unterschiedliche Titelversionen (bei mehreren Auflagen) oder andere das Titelblatt
betreffende Besonderheiten zu nennen: In unserem Fall erschienen in Danzig noch eine
zweite und eine dritte Auflage derselben Thesenschrift mit leicht modifiziertem Titelblatt
(Abb. 3 und 4: Titelblätter), allerdings ohne Widmungs- und Gratulationenteil. Weitere
Danziger Dissertationen wurden, rezeptionsgeschichtlich wichtig, bis zu dreimal, manchmal
an verschiedenen Druckorten, aufgelegt.34 In späteren Editionen verwischt das Titelblatt nicht
selten die in der ersten Auflage deutliche Charakterisierung des Drucks als
Disputationsschrift. In den konsultierten Exemplaren vorhandene Vorbesitzvermerke und
andere handschriftliche Angaben werden angegeben, Stempel von Bibliotheken dann, wenn
der heutige Standort sich vom früheren stark unterscheidet, so, wenn zum Beispiel eine dem
Kirchenrecht gewidmete Danziger Dissertation früher der Bibliothek des Benediktinerklosters
im bayerischen Oberaltaich gehörte.35 Weisen Stempel auf privaten Buchbesitz hin, wird
letzterer angegeben.
33 Peter Ölhaf (Präses), Johannes Schlacovius (Respondent): Disputationum juridicarum ordinariarum tertia. De jure dominicae & patriae potestatis, tit. 8.9.10.11.12. lib. I. instit. accommodata. 5. März. Danzig 1639. 34 Samuel Schelwig (Präses), Nathanael Falck (Respondent): Dissertatio theologico-philologica de capillamentis Von Parücken, Disputation vom 9. September 1683, kam in drei Auflagen heraus: Danzig 1683 (Rhetius), ohne Erscheinungsort 1701 und Danzig 1715 (Johann Zacharias Stolle). 35 Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Samuel Gabriel Kuntz (Respondent): Dissertatio juris ecclesiastici de patrinorum erga susceptos munere Oder Vom Pathen=Gelde. 7. Dezember 1724. Wittenberg 1747 (Zweitauflage); Thesenschrift von kulturgeschichtlicher Bedeutung; der Präses äußert sich in seinem Attest zur Verbindung der Jurisprudenz mit der Theologie. Aus dem Google-Digitalisat geht ‒ ein Mangel ‒ die heutige Standortbibliothek leider nicht hervor. ‒ Der handschriftliche Besitzvermerk erinnert an die großen Bestände Dissertationen aus protestantischen
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2.2. Rollenträger
Die Dissertation stellt die Einladung zum mündlichen Streitgespräch, dem nach bestimmten
Gewohnheiten (Ort und Zeit) stattfindenden Disputationsakt, dar, der schon von Zeitgenossen
hin und wieder, auch unpolemisch, mit einem theatralischen Auftritt verglichen wurde,
weshalb die Protagonisten der disputatio nicht unpassend mit rollentheoretischen Vorgaben
bezeichnet werden können. Die wichtigsten Rollenträger waren der Vorsitzende der
Disputation, nämlich der Präses, ferner der die Thesen verteidigende Respondent sowie die
Einwände vorbringenden Opponenten, schließlich das Publikum, von dessen
Zusammensetzung und Verhalten in der Regel nichts überliefert ist. Gelegentlich unterrichten
biographische Zeugnisse (Briefe, Reiseberichte, Lebensbeschreibungen) über Aspekte der
disputatio, die aus den Dissertationen nicht hervorgehen. Die Thesenschrift, oft Dissertation
oder Disputation genannt, wird nicht selten einer oder mehreren Personen, manchmal auch
einer Institution gewidmet und weist, in der Regel am Schluss, Gruß- und
Gratulationsadressen auf, die meistens an den Respondenten gerichtet sind und Einblick in
dessen Freundes- und Bekanntenkreis gewähren. Zu den Rollenträgern werden hier auch die
Danziger und Elbinger Drucker gezählt, die für das im Umkreis der Hohen Schule
entstandene (Klein-)Schrifttum zuständig waren. Alle diese Protagonisten finden in Danziger
Dissertationen Erwähnung, wenn auch nicht in jeder Thesenschrift. Präses und Respondent
werden, in Danzig wie überall, auf dem Titelblatt stets mit Namen genannt, aber auch die
Opponenten sind meist bekannt, was die Disputationsschriften des Athenäums personen- und
familiengeschichtlich zu besonders aussagekräftigen Zeugnissen macht. Die Namen der
Rollenträger werden, wo immer möglich, in deutscher Sprache, bestehen Unsicherheiten,
lateinisch wiedergegeben, Namensvarianten nur dann angeführt, wenn sie in der Lautung so
stark differieren, dass von der angesetzten Form nicht auf die andere(n) Form(en) geschlossen
werden kann. Aus arbeitsökonomischen und/oder anderen Gründen wurde bis vor Kurzem
von der Forschung den in die Thesenschrift integrierten Paratexten zu wenig Beachtung
geschenkt, was zu beträchtlichen personengeschichtlichen Informationsverlusten führte.
Solche werden hier nicht mehr in Kauf genommen. Einzelne Personen können in ein- und
derselben Disputation verschiedene Rollen übernehmen (z.B. der Präses als Vorsitzender der
Disputation und als Gratulant; der Opponent als Kontrahent des Respondenten und als
Gratulant; der Respondent als Verteidiger der Thesen und als Widmungsverfasser) oder in der
Hohen Schulen, die in zahlreichen (aufgehobenen) Prälatenklöstern vorhanden waren und zum Teil heute noch sind (Schottenkloster in Wien).
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einen Disputation als Respondent, in einer anderen als Opponent etc. auftreten. Der
akademische Werdegang von Professoren sowie von Angehörigen des subalternen
Lehrkörpers kann anhand der von ihnen oder unter ihrem Vorsitz verteidigten Dissertationen
im Detail rekonstruiert werden.
Bei den Danziger Disputationen führte stets der für das entsprechende Fach zuständige
Professor, in unserem Beispiel ist es Samuel Schelwig, den Vorsitz. Er erscheint jeweils mit
Titel und Würden auf dem Frontispiz der Dissertation, im vorliegenden Fall als Professor der
Theologie, Rektor des Gymnasiums und als Pfarrer der Dreifaltigkeitskirche, dem mit dem
Rektorat verbundenen geistlichen Amt („S.S. Theol. D. & Prof. Publ. Athenaei Rectoris & ad
S.S. Trinitat. Pastoris“). Die gängigen Amtsbezeichnungen und Verantwortlichkeiten des
Präses werden im Originalwortlaut in die Datenbank aufgenommen, geringfügige
Änderungen jedoch nicht vermerkt, rhetorischer Schmuck bei den Titeln meist weggelassen.
Bei letzterem handelt es sich in der Regel um Ehrenbezeugungen (hier: „viri summe reverendi
[…] Gamalielis36 sui aetatem colendissimi“), oft aus der Sicht des Respondenten. Durch Klick
auf den Präsesnamen in der Datenbank stößt man auf einen Eintrag mit den Lebensdaten des
Professors, die gängigen allgemeinen biographischen Nachschlagewerken und/oder
lokalgeschichtlichen Publikationen entnommen sind.37 Hin und wieder geht aus der
Dissertation, bisweilen aus den Paratexten, hervor, welchen Anteil der Präses an der
Verfasserschaft der Thesenschrift hatte und wie die ‒ manchmal Jahre später erst ‒
verteidigte Dissertation entstand.38 In der Pilotphase unseres Projekts wurden Dissertationen
unterschiedlicher Fachrichtungen, doch vorzugsweise unter einem bestimmten Präses
verteidigte, ausgewertet (Theologie: Samuel Schelwig; Jurisprudenz Samuel Friedrich
36 Gamaliel war der Enkel und Erbe des Schriftgelehrten Hillel, der eine Schule in Jerusalem gründete, die auch von Apostel Paulus besucht wurde, nach: Paul Zeller, Theodor Hermann: Biblisches Handwörterbuch. Stuttgart 1924, S. 209f. 37 Vgl. Anm. 21. 38 Ernst August Bertling (Präses), Johann Jakob Haselau (Respondent): Dissertatio theologico-exegetica mysterium Messiae Mosi revelatum ex exod. Cap. XXXIII. et cap. XXXIV sistens. 15. Juni 1756. Danzig (Verfasserschaft des Präses sieben Jahre vor der Disputation mit ergänzenden späteren Bemerkungen zum Inhalt in der präsidialen Gratulationsadresse, S. 49‒52; Widmung des Respondenten an Johann Christoph Gottsched). Die Arbeitsgemeinschaft zwischen dem Respondenten und dem Präses wird vom Präses stark betont in: Daniel Gralath (Präses), Johann Gottlieb Scheffler (Respondent): Dissertatio juridica de homicidiis non capitalibus. 24. Oktober 1765. Danzig. Es trifft in Danzig (wie andernorts in der Regel auch) nicht zu, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die von den Präsiden verfassten Dissertationen durch solche mit Respondenten-Autoren abgelöst worden wären. Dies, obwohl im Athenäum, wenn man den Angaben der Beteiligten glaubt, zahlreiche Thesenschriften von den Respondenten (oft, wie angedeutet, mit Unterstützung der Präsides) verfasst wurden. Vgl. die auf Selbstständigkeit des Defendenten abhebenden Angaben in der präsidialen Grußadresse („Nobilissimo, Politissimoque Dissertationis Autori ac Respondenti“) in: Daniel Gralath (Präses), Jonathan Friedrich Heller (Respondent): Specimen juris universalis privati de officiis laesi circa injurias observandis. 5. Mai 1768. Danzig.
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Willenberg; Philosophie: Heinrich Nicolai). Einzelne Präsides wie Samuel Schelwig waren
als Gelehrte weit über die Grenzen der Stadt Danzig hinaus bekannt, andere, nur von lokaler
Bedeutung, fielen, trotz intensiver Disputationstätigkeit, dem Vergessen anheim.
Der zweite Hauptprotagonist ist der Respondent, der auf dem Titelblatt von Danziger
Dissertationen und/oder an anderen Stellen des Thesendrucks oft als Autor in Erscheinung
tritt (Autorvermerke: „auctor“, „auctor-respondens“, „auctor et respondens“). So geht z.B. die
Autorschaft des Respondenten einer juristischen Dissertation zwar nicht aus dem Titelblatt,
aber aus dem Gratulationsschreiben des Präses hervor.39 In einer heute volkskundlich
interessanten, langen Dissertation bezeugt der Präses die Autorschaft des Respondenten mit
der Bemerkung, er habe in der Sache nicht in den Text eingegriffen.40 In Dissertationen, die
vom Präses verfasst wurden, konnte der Respondent am Schluss sogenannte Corollaria
anfügen, deren Autorschaft in der Dissertation und in der Datenbank eigens bezeichnet wird.41
Respondenten, die in den Genuss eines Stipendiums gelangten, treten auf dem Titelblatt
häufig als Stipendiaten in Erscheinung.42 Gewöhnlich hatte die Dissertation für den
Respondenten die Funktion eines Abgangszeugnisses, handelte es sich, mit anderen Worten,
um eine sogenannte Valediktionsdisputation, was oft auf den Titelblättern eigens vermerkt
wurde.43 In einer der konsultierten Abgangsdisputationen stellte der Präses eine Verbindung
her zwischen der Dissertation des Respondenten und einer Bestimmung in der Schulordnung 39 Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Johann Jakob Ammelung (Respondent): Disputatio juris publici de Prussorum comitiis. 30. Mai 1720. Danzig: „Reddidi ergo, ut accepi, Dissertationem tuam, nec de meis quicquam adjeci, nec quicquam in illa emendare volui.“ (S. 16). 40 Samuel Schelwig (Präses), Jakob Bukky (Respondent): De apparitionibus mortuorum vivis ex pacto factis, Von der abgeredeten Erscheinung nach dem Tode. 11. Oktober 1708. Danzig: „Eruditissimae Dissertationi, cui in realibus nihil omninò â me adjectum, nihil ademtum est, cum gratulatione, ut par est, applaudo […].“ (S. 76). Es ist hier, wie oft, dennoch von einer Gemeinschaftsarbeit, zumindest von sprachlichen Korrekturen des Präses auszugehen. 41 Samuel Schelwig (Präses), Nathanael Böttcher (Respondent): Disquisitionis theologicae de Rechabitis ex Ierem. XXXV. segmentum primum. 14. Dezember 1679. Danzig: „Corollaria â Respondente adjecta“. Corollaria sind dem Dissertationstext angefügte, meist sehr kurze Thesen (sogenannte theses nudae), die nicht zwingend einen Bezug zum Dissertationsthema haben mussten, über die aber nach Bedarf disputiert werden konnte. 42 Samuel Schelwig (Präses), Ephraim Torschier (Respondent): Disquisitionis theologicae de Rechabitis, ex Jerem. XXXV. segmentum II. 25. Januar 1680. Danzig: „Alumnus Oelhafianus“. Zur oelhafianischen Stiftung vgl. Hirsch: Geschichte des Danziger Gymnasiums seit 1814 (Anm. 1), S. 25. 43 Samuel Schelwig (Präses), Theodor Wilhelm von Jerusalem (Respondent): Exercitatio historico-theologica, de Collyridianis. 3. Oktober 1686. Danzig (Titelblattvermerk: „valedictionis loco“). Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Samuel Huwaert (Respondent; „valedicturus“): Dissertatio juridica de foemina criminis laesae majestatis rea […] occasione l. 5. c. ad. l. Jul. maj. 3. April 1732. Danzig; hier ein Beleg zum Athenäum als Ausbildungsstätte einheimischer Eliten „ad Academias progredi apud Te constituisti, & ea intentione aliquando resalutare Patriam, ut Deo, Reipublicae & privatis prodesse possis.“ (Bl. H2r) (Attest des Präses). Zu den ,disputationes valedictoriae‘ mit Beispielen aus zahlreichen Universitäten, Ewald Horn: Die Disputationen und Promotionen an den Deutschen Universitäten vornehmlich seit dem 16. Jahrhundert. Leipzig 1893, S. 25‒28. Dissertationen valedictionis causa waren an verschiedenen Gymnasien bekannt, so auch in Zittau.
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des Athenäums.44 Mit dem anlässlich der valedictio erbrachten Leistungsausweis sollte dem
Absolventen des Danziger Gymnasiums die Aufnahme des Studiums an einer Universität
erleichtert sowie eine gute Voraussetzung für erfolgreiche weitere Studien und allenfalls für
den Erwerb eines akademischen Grades geschaffen werden. Meistens geht aus dem Titelblatt
die Herkunft des Respondenten hervor (in unserem Fall „Belgardiâ-Pomeranus“), die, in der
Regel in die deutsche Sprache übersetzt, ebenfalls durch Klick auf den entsprechenden
Personennamen, der Datenbank zu entnehmen ist („Belgard, Pommern“). In seltenen Fällen
kann die Herkunft nicht sicher durch Übersetzung bestimmt werden; dann wird sie im
Originalwortlaut vermittelt. In Danzig wurden in seltenen Fällen zwei Respondenten mit der
Verteidigung der Thesen betraut.45
An einer Danziger Disputation waren zwei oder drei offiziell bestimmte Opponenten beteiligt,
deren Namen in den allermeisten Fällen aus der Dissertation hervorgehen, was andernorts für
frühneuzeitliche Thesenschriften meist unüblich war.46 Manchmal erscheinen die Opponenten
bereits auf dem Titelblatt und/oder finden sich mit einem entsprechenden Vermerk (z.B.
„Opp.“) und allenfalls mit der Herkunftsbezeichnung unter den Gratulanten (so in unserer
Dissertation: „Christian. Bernh. Bücher, Gedan. Opp“; „Johann Christoph Engelhardt / aus
Thüringen. Opp.“; „Christianus Wienicke, Daberâ-Pom. Opp.“). Widmungstexte sind sehr oft
mit dem Namen des Verfassers (Abb. 5), meist des Respondenten, gezeichnet, so dass
letzterer in der Datenbank auch in dieser Rolle, als ,Autor der Widmung‘, erscheint (in
unserem Beispiel, wörtlich, mit einer längeren, hier in der Schriftart leicht normalisierten
Umschreibung: „Dominis, Patronis, Maecenatibus, Fautoribus, Cognato & Benefactoribus,
devotissimâ mentis observantiâ suspiciendis, Exercitationem hanc Theologicam in sui
studiorumque suorum benevolam commendationem humillimè offert AUCTOR.“). Dank für
bisherige Förderung und Hoffnung auf weitere Unterstützung durch die Widmungsadressaten
44 Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Emanuel Meyn (Respondent): Disputatio juridica de curatore majoribus dando. 26. Juni 1732. Danzig (Titelblatt: „valedictionis loco“): „Id enim â Te desiderat, quod Leges Athenaei nostri, quae Gymnasticis studiis valedicentibus idem injungunt.“ (Bl. E3r). 45 Lorenz Eichstaedt (Präses), Daniel Polydor Macovius und Benjamin Oswald (Respondenten mit auf dem Titelblatt angegebenem Thesenpensum): Exercitatio astronomi exhibens locum, motum, magnitudinem, causas, effectus & significationes cometae, qui sub finem anni ae.C. 1652, & initium anni ae.C. 1653 st.n. illuxit. 3. April 1653. Danzig. In diesem wichtigen Zeugnis der Brahe-Rezeption wurde über ein damals sehr aktuelles Thema disputiert. 46 Samuel Schelwig (Präses), Jakob Zytzau (Respondent): Thesium de tempore ex Augustana confessione ejusque apologia, et quidem art. XVI.XVII.XIIX. retentis ferè ipsis librorum symbolicorum verbis, excerptarum, manipulus X. […] cum porismatibus inde deductis. 15. Januar 1697. Danzig (Name der Opponenten Bartholomäus Hauck und Christoph Brauer auf dem Titelblatt). Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Gottfried Penski (Respondent): Dissertatio juridica, de foris concurrentibus delinquentium occasione l.I. c. ubi de criminibus agi oport. 25. April 1715 (drei Opponenten als Gratulanten, nicht auf dem Titelblatt erwähnt).
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sind die hauptsächlichen Beweggründe für die in der Regel aus einer bloßen, in
Großbuchstaben gesetzten Aufzählung der Gönner bestehende Dedikation. Diese
Widmungstafel kann in seltenen Fällen Dutzende von Namen umfassen,47 die alle mit den
Amtsbezeichnungen der betreffenden Personen, meist aber ohne schmückende Epitheta, im
Originalwortlaut in die Datenbank aufgenommen werden. Es handelt sich um Personalia, die
Einblick in Verwandtschaften, Freundeskreise sowie in die gesellschaftlichen Beziehungen
und Abhängigkeiten meist innerhalb der städtischen Danziger Elite gewähren und daher
personen- und sozialgeschichtlich von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind. Sowohl
geistliche als auch weltliche Amtsträger, meist städtisch-patrizischer Herkunft, aber auch
Gelehrte, meist Professoren des Athenäums, hin und wieder Ärzte (in unserem Beispiel: „Dn.
Achatio Müllero, Med. D. ob artem felicissimo“) selten Kaufleute, jedoch nie Angehörige
unterer Bevölkerungsschichten kommen in den Widmungszuschriften zu Ehren. Die
Widmungsadressaten sind meist in Danzig ansässig, Auswärtige widmen Dissertationen oft
Angehörigen der Elite ihres Herkunftsorts und/oder Verwandten. Manchmal ziehen es
Widmungsverfasser vor, Dedikationen an ein Kollektiv, z.B. den Danziger Rat, allenfalls
unter Erwähnung der Chargen, an das Professorenkollegium des Athenäums, oder einfach an
Gott und das Vaterland, zu richten.48 Danziger Dissertationen enthalten häufig eine Vielzahl
von Gratulationen in Versform oder in Prosa (Abb. 6 und 7), deren Verfasser außer dem
Präses und den Opponenten, Studienfreunde, Verwandte, weitere Lehrer des Respondenten
sowie andere Bezugspersonen sein können (in unserem Beispiel sind es der Mitstudent und
Freund Immanuel Kühn sowie der Bruder des Respondenten, Justus Martin Drave).
Identifikationsprobleme entstehen, wenn Gratulanten ihren Personennamen hinter Initialen
verstecken49 ‒ ein Glücksfall, wenn diese aufgelöst werden können. Die meisten
Gratulationsgedichte sind in lateinischer Sprache abgefasst, hin und wieder welche in Deutsch
(hier dasjenige des Opponenten Johann Christoph Engelhardt). Theologiestudenten sind, wie
auch die Professoren der alten Sprachen, bisweilen stolze Verfasser von Gratulationen in
47 Ernst August Bertling (Präses), Laurenz Friedrich Fischer (Respondent; „Gedanensibus musis valedicturus“, „alumnus Voegedingianus“): Λόγος Mosi revelatus a Joanne visus. Dissertatio theologico-exegetica. 27. Juli 1756. Danzig (zwei Dutzend Namen auf einer vier Seiten umfassenden Widmungstafel). 48 Kollektivwidmung an die Danziger Obrigkeit: Christian Rosteuscher (Präses), Balthasar Langius (Respondent): De jurejurando, dissertatio historico-juridica. 27. August [von Hand] 1676. Danzig (mit „Auctor & Respondens“-Vermerk). ‒ Dedikation an Gott und das Vaterland („DEO ET PATRIAE“): Johann Schultz (Präses), Daniel Albert Schlieff (Respondent): Manus oculata, dissertatione juridica delineata. 2. April 1693. Danzig (mit dem oft vorkommenden Stempel „Lieberkühnii“). 49 Samuel Schelwig (Präses), Johannes Goettke (Respondent): Decas thesium theologicarum de electione, prouti in loco classico, Eph. I,3‒7. describitur. 24. Juli [von Hand] 1681. Danzig, Namensunterschrift: „J. F. E. W. F.‟ (bislang unaufgelöste Initialen).
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griechischer oder gar in hebräischer Sprache.50 Der Autor und Respondent Georg Simon von
Bömeln stammte aus einem angesehenen Danziger Patriziergeschlecht, schloss seine
Danziger Studien mit einer juristischen Dissertation zum Lübecker Recht ab und durfte ‒ ein
linguistisch seltener, doch für den politische Ambitionen hegenden Patriziersohn nicht
ungewöhnlicher Fall ‒ ein französischsprachiges Huldigungsgedicht des Sprachmeisters
François de Beaulieu entgegennehmen.51 Es begegnet in den carmina gratulatoria ein großer
lyrischer Formenreichtum, Indiz für die von den Studenten erworbene rhetorische und
poetische Ausbildung; nicht selten wagten sich die Gratulanten an die Verfassung eines
Sonetts.52 Poetik- und Rhetorikprofessoren gratulierten den Valedikanten, nicht überraschend,
auffällig oft.53 Vom Vorrat humanistischer Topoi wurde reichlich Gebrauch gemacht, so vom
Gleichnis der Honig sammelnden Bienen zur Bezeichnung studentischen Fleißes.54 Hin und
wieder sind dem Kasualgedicht wichtige Informationen über Anhänger und Gegner geistiger
Strömungen zu entnehmen, beispielsweise zur Rezeption der Frühaufklärung, genauer zur
Frage nach dem Vorzug von Antike oder Moderne, dies nicht zufällig in einer
völkerrechtlichen Dissertation. Hier wird die einseitige Geltung der humanistischen Tradition
50 Hebräische Gratulationstexte in Schelwig/Gynther: De Rechabitis (Anm. 32) und in: Samuel Schelwig (Präses), Christian Lokervitz (Respondent): Ex Esaiae cap. LIII. v. 9. De morte et sepultura Christi, dissertatio philologico-theologica posterior. 9. April 1677. Danzig; hier auch das griechische Gratulationsgedicht des Danzigers Friedrich Daniel Titz sowie ein lateinsprachiges des Rhetorik- und Poetikprofessors Johann Peter Titz. Im Übrigen der „Auctor & Respondens“-Vermerk beim Namen des Respondenten auf dem Titelblatt sowie die durch den Präses im Gratulationsgedicht bezeugte Verfasserschaft „Eruditae Dissertationis AUTORI“. Johann Salomo, Professor der orientalischen Sprachen, verfasste ebenfalls eine hebräische Gratulation. Zu Titz vgl. Handbuch Danzig, Teil 1, Garber (Anm. 21), S. 39f. (Hinweis auf eine wichtige Quelle und Entdeckung, den Manuskriptband [Ms 532], der auch Druckschriften von Titz enthält); Gerhard Dünnhaupt: Personalbibliographie zu den Drucken des Barock. 2. verbesserte und wesentlich vermehrte Auflage des Bibliographischen Handbuches der Barockliteratur. Sechster Teil. Spener ‒ Zincgref. Stuttgart 1993, Johann Peter Titz, S. 4029‒4071. Die Kasualia in den Danziger Dissertationen liefern einige bibliographische Ergänzungen (vgl. auch Anm. 53) zum bisher bekannten poetischen Œuvre von Titz. 51 Willenberg/von Bömeln („Author & Respondens“) (Anm. 30): Dissertatio juridica de abusu canonis juris Lubecensis Hand muß Hand wahren. 19. Mai 1707. Danzig. Derselbe Sprachmeister tritt als Gratulant auf in: Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Johann Wilhelm Hagdorn (Respondent): Disputatio juris gentium de arbitris et mediatoribus belligerantium. 21. Oktober 1706. Danzig. 52 Sonett von Andreas Schlutius für den Respondenten, den Alumnen des Danziger Rats, Paul Gottfried Praetorius in: Samuel Schelwig: De urbe Romuli, dissertationum moralium prima. März 1675. Danzig. Die Dissertation enthält insgesamt elf Gratulationsgedichte, darunter drei in deutscher Sprache und vier lateinischsprachige von Danziger Professoren, einschließlich des Präses. 53 Vgl. Anm. 50, mit dem Kasualgedicht von Johann Peter Titz. 54 Schelwig/Torschier: De Rechabitis (Anm. 42): „Du bist auch Bienen=Art / mein FREUNDT / Du hast gesucht // Den schönen Bücher=Safft aus vieler Schrifften Dir / // Und giebst uns allen itzt die süsse Frucht herfür.“ Verfasser ist der an anderer Stelle als Respondent auftretende Freund und Zimmergenosse des Respondenten, Nathanael Böttcher. Die Gratulationen weisen nicht selten auf Tisch- und Wohngemeinschaften hin.
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vom Fortschrittsdenken teilweise in Frage gestellt.55 Dem Glückwunschgedicht des Präses
wurde manchmal ein Attest über erfolgreich absolvierte Studien angehängt: Stammte der
doppelte Erfolgsbeleg für einen Theologiestudenten von dem zugleich die Theologieprofessur
innehabenden Rektor des Gymnasiums, wurde damit das Prestige des valedictionis loco
disputierenden Respondenten beträchtlich erhöht.56 Dies traf selbstverständlich auch zu, wenn
der Rektor als Gratulant in einer juristischen Dissertation auftrat.57 Die Bedeutung der
Verabschiedung von Danziger Studenten kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie zum
Abschluss nicht nur valedictionis loco eine Dissertation verteidigten, sondern dazu noch eine
Abschiedsrede hielten, die auf dem Titelblatt einschlägiger Disputationen ohne Nennung des
Themas bisweilen angekündigt wurde.58 Stipendiaten dankten mit Disputation und Rede ihren
Gönnern.59 Disputierende Angehörige des Danziger Patriziats konnten mit einer besonders
55 Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Daniel Gottfried Hoechster (Respondent): Dissertatio juris gentium de exemptis a rigore belli. 2. Juni 1733. Danzig. Der Opponent Gottfried Ernst Duderstadt, bezeichnenderweise in deutscher Sprache: „Man muß jetzt nicht allein im Grauß der Alten graben, // […] Was hilfft es jederzeit beym grauen Rom zu sitzen? // Wenn man nicht überdem auch unsre Zeiten kennt, // Was hilffts, beym Ulpian beständiglich zu schwitzen? // Wenn man der Weißheits=Lehr hieben verächtlich nennt. // […] Was Aristoteles, was Plato längst geschrieben, // Erfüllet, wenn mans lernt, mit Hauffen das Gehirn, // Doch, weil die Wissenschafft weit höher schon getrieben, // Erheitert ihre Lehr zum minsten unsre Stirn.“ (Bl. F1v). Es folgen ein Lobpreis der Vernunft und der Nützlichkeit. 56 Samuel Schelwig (Präses), Salomo Hensel (Respondent): In hypognosticon libros I. II. et III. exercitatio theologica. 5. Oktober 1690. Danzig; Gratulationsgedicht-subscriptio: „Hisce praestantissimo RESPONDENTI, Civi dilectissimo, qui hactenus in Athenaeo nostro, Theologiae Graecam Hebraicamque literaturam & Philosophiae universae cursum, diligentissimè felicissimèque praemisit vel conjunxit, ad Germanicas Academias abituro, prosperrima quaevis ex animo apprecatur. SAMUEL SCHELGUIGIUS, D. Disputationis PRAESES.“ (S. [25]). 57 Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Karl Gottlieb Ehler (Respondent): Observationes juridicae selectiores in biga decadum. 10. Dezember 1705. Danzig; hier auch die Bezeugung des Rektors, dass der Respondent neben den juristischen Lehrveranstaltungen mit Eifer und Erfolg auch theologische besucht und an theologischen Disputationen teilgenommen habe: „Respondentem Autorem varia eruditione imbutum, virtutibusque non minus quam natalium splendore perquam nobilem, qui, cum Jurisprudentiae incumberet, Theologicis etiam lectionibus diligentissime interfuit, atque in antihaereticis exercitiis non opponendo solum; sed & respondendo saepius cum applausu, imo ipsorum Theologiae Studiosorum admiratione auditus est […]“ (S. 14). 58 Samuel Schelwig (Präses), Paul Gottlieb Hofmann (Respondent; „Respondente & Autore“): Disquisitio historico-theologica, qua Marcellini, inter seculi III. episcopos Romanos ultimi, & vita recensetur, & in fide constantia asseritur; ita ut posterius sine praejudicio nostrae ecclesiae ac cum lucro adversariorum fieri ostendatur. 17. Dezember 1699. Danzig: „Ultimum vale Oratiunculâ accedente demissè observanterque dicturo.“ Die Abschiedsrede soll die erworbene rhetorische Kompetenz signalisieren so, wie die Carmina gratulatoria poetische. Der Präses bezeugt in der Gratulationssubscriptio seines kurzen Gedichts erfolgreich absolvierte Studien in der lateinischen und griechischen Sprache, in Theologie und Kirchengeschichte. 59 Gottlieb Schelwig (Präses), Nicolaus Torner (Respondent; „Stipend. Ölhaf. Alumnus“): Communio bonorum inprimis aetate apostolica Hierosolymis usurpata ad act. II. 44.45. & IV. 32. 22. August 1715. Danzig.
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großen Zahl Gratulationen rechnen.60 Glückwunschadressen enthalten oft Angaben über
Verwandtschaftsbeziehungen sowie weitere personengeschichtliche Daten, zum Beispiel über
vom Respondenten unternommene Reisen.61 Atteste des Präses in Prosa, die den Fleiß seiner
Studenten loben, geben Auskunft über Unterrichtspensen, z.B. die behandelten Teilgebiete
der Jurisprudenz;62 sie ermöglichten oder erleichterten den Respondenten allenfalls einen
direkten Einstieg in das Studium an einer auswärtigen höheren Universitätsfakultät, was Zeit
und Kosten sparte.
Auch die Drucker der Dissertationen werden in die Datenbank aufgenommen, in unserem Fall
Johann Zacharias Stolle, der auf dem Titelblatt als Drucker des Athenäums bezeichnet wird
(„Typis Johannis Zachariae Stollii, Athenaei Typographi.“). 1684 wurde in einem Erlass des
Danziger Rats das Druckereiwesen in der Stadt genauer geregelt und festgehalten, dass alle
„Disputationes, Orationes, Programmata, Insinuationes und dergleichen Scripta, die das
Gymnasium angehen, […] nirgend anderswo, als bei dem Typographo Gymnasii, wie bisher
gebräuchlich gewesen, gedruckt und ausgefertiget werden“ dürfen.63 Einen Sonderfall stellt
die vom Mathematikprofessor Paul Pater (1656‒1724) seit 1711 in Danzig betriebene
Druckerei dar, in der bedürftige Studenten mit Hilfsarbeiten betraut und für ihre
Dienstleistungen bezahlt wurden.64 Dissertationen, die in Paters Offizin gedruckt wurden,
zeichneten sich durch eine hohe typographische Qualität und drucktechnische Extravaganzen
aus (Abb. 8 und 9).65 Pater hatte ein bewegtes Leben:66 In Ober-Ungarn geboren, das er in
einer Zeit der Glaubensstreitigkeiten verließ, gelangte er nach Breslau, wurde Buchhändler,
absolvierte dort die gymnasiale Ausbildung und wurde Erzieher eines Sohns von Syndikus
60 Schultz/Schlieff: Manus oculata (Anm. 48): siebzehn Gratulationsgedichte, welche den Adressaten und die Verfasser zugleich ehren. Die Valediktion geht hier nicht ausdrücklich aus dem Titelblatt, aber aus Gratulationsadressen hervor. 61 Samuel Schelwig (Präses), Gottfried Gebauer (Respondent): Quackerismi confutati segmentum XVII. De Jesu Christo. 4. November 1694. Danzig (ein Dutzend Gratulationsgedichte, darunter ein kurzes Carmen des mit dem Respondenten entfernt verwandten Samuel Schelwig. Der Respondent seinerseits begleitete den Gratulanten Thomas Bahr auf einer Reise nach den Niederlanden und nach England). 62 Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Friedrich Wahl (Respondent): Dissertatio juridica de obligatione alternativa. 10. Mai 1731. Danzig. 63 Gotthilf Löschin: Geschichte der Danziger Buchdruckereien. In: Einladungsschrift zu der am 25sten Julius 1840 in Danzig zu begehenden Feier des vierten Säkular-Jubiläums der Erfindung der Buchdruckerkunst. Danzig 1840, S. 1‒16, hier S. 7. 64 Ebd., S. 11f. 65 Paul Pater (Präses), Paul Swietlicki (Respondent): Astrologia Persica, ad instantiam legati regis Persarum, dum Gedani degeret, nuper conscripta, nunc ab amicis requisita. 7. Mai 1720. Danzig („Ex typographeo praesidis“). Paul Pater (Präses), Johann Ernst Schimmelpfennig (Respondent): Dissertatio de mari Caspio nec non populis adiacentib. et fluviis eo decurrentibus. 16. Dezember 1723. Danzig, mit Gratulationen in deutscher Zierschrift. 66 August Bertling: Pater, Paul. In: Allgemeine deutsche Biographie. Bd. 25. Leipzig 1885, S. 221f.
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Caspar von Lohenstein. Dann setzte er seine Studien zunächst in Leipzig, später an der
Universität Jena fort, wo er Schüler Erhard Weigels sowie Johann Andreas Schmidts war und
nach dem Erwerb des Magistergrads Mathematik, Griechisch und Latein unterrichtete. 1688
übernahm er eine Professur am Gymnasium in Thorn und betätigte sich als
Kalenderherausgeber. Am 25. September 1705 trat er die Mathematikprofessur am Danziger
Athenäum an.
2.3. Standortbibliothek, Digitalisat
Im dritten Informationsblock befinden sich die Angaben zur Standortbibliothek (in unserem
Fall ist das digitalisierte Exemplar der ersten Auflage [Danzig 1709] in der Bayerischen
Staatsbibliothek München, das der zweiten [Danzig 1710] in der Sächsischen Landes-, Staats-
und Universitätsbibliothek Dresden und das der dritten [Druckort nicht angegeben, 1734] in
der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle/Saale sowie in der
Bayerischen Staatsbibliothek München vorhanden) sowie ein Link zum Digitalisat; leider sind
Digitalisate bis jetzt im Internet (noch) nicht sehr zahlreich verfügbar. Liegen mehrere
Auflagen einer Dissertation digitalisiert vor, werden sie auch in der Datenbank mit Links
zugänglich gemacht.67 Bei nicht digitalisierten Thesenschriften wird mindestens eine
Standortbibliothek angegeben. Oft empfiehlt sich die Autopsie eines Zweitexemplars, weil
Paratexte nicht selten weggeschnitten wurden oder weil in verschiedenen Exemplaren
derselben Dissertation in gedruckter Form unterschiedliche Widmungsadressaten vorliegen.68
Noch im 18. Jahrhundert, zu einer Zeit der angeblichen Krise, wirkte mit Samuel Friedrich 67 Der Vergleich verschiedener Auflagen derselben Dissertation ermöglicht wichtige Schlüsse über das Disputationswesen im Allgemeinen, die zeitgenössische Relevanz bestimmter Themen und daher zur Rezeptionsgeschichte. Drei Auflagen erschienen auch von: Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Andreas Johann Schweder (Respondent): Disputatio juridica, de iniuria, quae mortuis illata. 5. September 1726. Danzig. Die zweite Auflage (Jena! 1745) erschien mit verändertem Titel: Commentatio iuridica, de iniuria, quae mortuis illata, Oder: Ob und wie man die Verstorbenen beschimpfen könne?; der Name des Respondenten, die Abhaltedaten etc. fehlen auf dem Titelblatt. Hinzu kam in den späteren Auflagen die deutschsprachige Übersetzung des Titels. Die Gratulationsadressen sind in den beiden ersten Auflagen noch vorhanden, nicht mehr aber in der dritten Auflage (Danzig 1760), die mit folgendem ‒ im Vergleich mit der zweiten Auflage nur sehr leicht ‒ modifiziertem Titel erschien: Commentatio iuridica, de iniuria, quae mortuis illata, Ob und wie man die Verstorbenen beschimpfen könne? ‒ Die Widmungen entfielen bereits in der zweiten Auflage. In den späteren Editionen der auch volkskundlich wichtigen Thesenschrift verschwanden also zunehmend die Charakteristika der Dissertation als Einladungsschrift zu einer Disputation, der Abhandlungscharakter und die Schriftlichkeit als Kommunikationsmodi traten ganz in den Vordergrund. 68 Ein aussagekräftiges Beispiel bei Marion Gindhart: Erhard Weigels pro-loco-Disputation in Jena über den Kometen von 1652. Ein Paradigma für die Polyfunktionalität frühneuzeitlicher Disputationen. In: Dichtung ‒ Gelehrsamkeit ‒ Disputationskultur. Festschrift für Hanspeter Marti zum 65. Geburtstag. Hg. von Reimund B. Sdzuj, Robert Seidel und Bernd Zegowitz. Wien/Köln/Weimar 2012, S. 482‒510.
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Willenberg am Athenäum ein bedeutender Präses, unter dessen Vorsitz zahlreiche
Dissertationen verteidigt wurden, auch solche mit einer üppigen Ausstattung von Paratexten
aller Art.69 Die bibliographischen Aufnahmen der Danziger Dissertationen im KVK sind, von
den Verzeichnungsgepflogenheiten der Standortbibliotheken und von deren Mitarbeitern
abhängig, von ganz unterschiedlicher Qualität, am zuverlässigsten die Einträge im VD 17 und
im VD 18, die auch das Titelblatt verfügbar machen.
2.4. Inhaltliche Erschließung
Der vierte Informationsblock des Datenbankeintrags erschließt den Inhalt der Dissertation
durch deutschsprachige Sachwörter, in Ausnahmefällen, vor allem dort, wo keine adäquate
Übersetzung gefunden wird, mit im Originaltext auftretenden lateinischen Schlüsselbegriffen.
2.5. Schlussbemerkung zur Datenbank
In den meisten Feldern steht eine für besondere Notizen bestimmte Rubrik zur Verfügung.
Die Datenbank ist, vor allem bis zum Abschluss der Pilotphase, für Verbesserungen jeder Art
offen. Neu im Vergleich mit ihrer Vorgängerin zu den Königsberger Dissertationen ist, wie
erwähnt, die Möglichkeit, Listen anzufertigen, so zu den einzelnen Personen, Abhalte- bzw.
Erscheinungsjahren, Herkunftsorten, den Fakultäten und zu weiteren Informationen. Die
Datenbank versteht sich unter anderem als Arbeitsinstrument für gezielte systematische
Abfragen von Daten mit dem Ziel, die Unterrichtsgeschichte des Athenäums genauer zu
erforschen und, wo nötig, das bisherige Bild historischer Abläufe zu ergänzen und zu
korrigieren.
3. Schlussfolgerungen
Soweit bis jetzt bekannt, gibt es keine Bibliothek, in welcher alle oder auch nur der größte
Teil der im Danziger Athenäum verteidigten frühneuzeitlichen Dissertationen vorhanden sind.
Daher bilden deren bibliographische Erschließung und die allmähliche Vervollständigung der
Datenbank ein unterrichtsgeschichtliches Langzeitprojekt mit offenem zeitlichem und
inhaltlichem Ausgang: Die aufwändige Suche nach einschlägigen Titeln setzt Geduld und
Ausdauer, der anzustrebende Erfolg eine gute internationale Kooperation mit den beteiligten
Bibliotheken voraus. In unserer, vor mehr als 30 Jahren erschienenen Auswahlbibliographie,
69 Samuel Friedrich Willenberg (Präses), Johannes Nicolaus Oehmchen (Respondent): Dissertatio juridica de compulsione testium ad dicendum testimonium. 23. März 1724. Danzig (Widmungstafel mit elf Adressaten, Widmungsvorrede des Respondenten, lange Atteste des Präses sowie des Professors und Bibliothekars Gottlieb Schelwig).
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die philosophische Dissertationen der Zeit von 1660 bis 1750 erfasst, sind nur 15 Danziger
Thesenschriften des 17. und lediglich 47 des 18. Jahrhunderts verzeichnet, eine
verschwindend kleine Zahl. 70 Bei den theologischen und juristischen Dissertationen des
Athenäums ist ebenfalls von einem geringen Erschließungsgrad auszugehen, und bei
manchem Präses lässt der KVK den nach Treffern suchenden Benutzer weitgehend oder ganz
im Stich. Von einem durch Lorenz Eichstaedt angeblich in den Jahren 1654‒1658
abgehaltenen Collegium physicum, aus dem 21 Dissertationen hervorgegangen seien,71 ist
bislang keine einzige Thesenschrift wieder aufgefunden worden ‒ und diese hohe
Verschollenheitsquote ist für das Danziger akademische Gymnasium kein Einzelfall. Der in
der Danziger Akademiebibliothek unter der Signatur Od 17347/7 4* vorhandene Sammelband
mit 120 Dissertationen des im Pilotprojekt sehr lückenhaft vertretenen Juristen Samuel
Friedrich Willenberg wird in nächster Zeit dankenswerterweise digitalisiert.72 Zudem sind in
Danzig zahlreiche Dissertationen seines Vorgängers Johann Schultz (1662‒1704) und anderer
Danziger Rechtslehrer vorhanden, die auf einen bereits im 17. Jahrhundert hochstehenden und
auch für das 18. Jahrhundert dringend zu erforschenden juristischen Unterricht schließen
lassen. Er kam offenbar den Ausbildungsbedürfnissen der städtischen Oberschicht sehr
entgegen. Mehr Beachtung fand, wie vorweggenommen, der akademische Werdegang der
Geistlichen, die im frühneuzeitlichen Danzig wirkten, ohne dass bis jetzt die von ihnen als
Theologiestudenten am Athenäum und an auswärtigen Universitäten verteidigten
Dissertationen in wissenschaftliche Untersuchungen einbezogen worden wären. Inwieweit das
gegenwärtig in Vorbereitung befindliche „Zwischenmanuskript“ zum Altpreußischen
evangelischen Pfarrerbuch 73von den in den Danziger Dissertationen enthaltenen Personalia
Nutzen ziehen kann, ist beim gegenwärtigen Erschließungsstand der Dissertationen und
angesichts der bereits vorhandenen zahlreichen biographischen Daten über die in Betracht
kommenden Personen schwer vorauszusagen. Leider kann die Arbeit an der Datenbank mit
der am Zwischenmanuskript, das laufend veröffentlicht wird, nicht Schritt halten.
Es ist die Riesenmenge allein des lateinsprachigen gedruckten Quellenmaterials, die den
Historiker bis jetzt wohl gehindert hat, sich den akademischen Kleinschriften zuzuwenden.
70 Hanspeter Marti: Philosophische Dissertationen deutscher Universitäten 1660‒1750. Eine Auswahlbibliographie, unter Mitarbeit von Karin Marti. München/New York u.a. 1982, Register der Abhalteorte, S. 548‒581, hier S. 551. 71 Ephraim Praetorius: Athenae Gedanenses (Anm. 21), S. 93. 72 Freundliche Mitteilung von Stefania Sychta, PAN Biblioteka Gdańska, vom 14. August 2013. 73 Das „Zwischenmanuskript“ zum Altpreußischen evangelischen Pfarrerbuch. Auf der Grundlage der Sammlungen von Friedwald Moeller bearbeitet von Walther Müller-Dultz, Reinhold Heling und Wilhelm Kranz. Band 1: Abegg ‒ Czypulowski. Hamburg 2012. Band 2: Daase ‒ Gyzicki. Hamburg 2013. Band 3: Haack ‒ Kytlickowski. Hamburg 2013.
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Aber ohne Letztere zu berücksichtigen, lässt sich eine Schulgeschichte nicht schreiben, außer
man verzichte, wie leider meistens, auf die Darstellung der Geschichte des Unterrichts. In
Danzig ist von einer äußerst günstigen Quellenlage auszugehen, da in längeren jährlichen
Berichten die neuen Lehrveranstaltungen angekündigt und über die stattgefundenen dem
städtischen Magistrat Rechenschaft abgelegt wurde. Diese im 17. Jahrhundert einsetzenden
Berichte sind erhalten, einige im KVK digital verfügbar, bislang aber ‒ auch
personengeschichtlich ‒ kaum ausgewertet.74 Um ein abgerundetes Bild des Unterrichts am
Athenäum zu bekommen, müssten sie zusammen mit den Dissertationen, Lehrbüchern und
anderen einschlägigen Quellengattungen, auch der handschriftlichen Überlieferung, unbedingt
herangezogen werden.
Abschließend ist noch einmal auf eine Besonderheit des Danziger Disputationswesens
aufmerksam zu machen, die dem gegenwärtigen Forschungstrend, den literarischen
Paratexten die verdiente Beachtung zu schenken, entspricht.75 Danziger Dissertationen fallen
durch oft auftretende Widmungstafeln und -texte sowie durch eine im Vergleich mit den
meisten anderen Hohen Schulen auffallend große Zahl von Gratulationen, zumeist in
Gedichtform, häufig auch in Prosa, auf. Als Gratulanten treten in ihnen in der Regel (auch)
die Opponenten auf, die nicht selten auf den Titelblättern namentlich erwähnt sind ‒ eine
andernorts ebenfalls nicht häufig beobachtete Gepflogenheit. Ein- und dieselbe Person tritt in
den Thesenschriften, oft im selben Druck, in verschiedenen Rollen mit ihrem Namen in
Erscheinung. Daher kann inbezug auf Danziger Dissertationen nicht unangebracht von einem
prononcierten gelehrten Leistungs- und meritokratischen Repräsentationsbedürfnis, ja
geradezu von einem bildungspolitisch personenzentrierten Repräsentationskult gesprochen
werden: Letzterer steht nicht nur mit den Lebensverhältnissen der von Handel und
Kaufmannschaft dominierten Hansestadt im Einklang, sondern geht auch auf das
Bildungsprestige des nicht promotionsberechtigten Athenäums zurück, das mit gelehrter
Enkomiastik nach außen sein Ansehen zu steigern suchte und sich den Universitäten als Ort
solider Grundausbildung empfahl. In den von uns ausschließlich herangezogenen
panegyrischen Quellen wurden freilich Defizite und Missstände überspielt, die im
beginnenden 19. Jahrhundert zur Aufhebung des akademischen Gymnasiums, zu dessen
Herabstufung sowie zur Vereinigung mit der Danziger Marienschule führten. Die Geschichte
74 Vgl. das Beispiel in Anm. 12. 75 Vom 9. bis 12. Mai 2013 wurde von der Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschungen Engi/Glarus Süd in Zusammenarbeit mit Marion Gindhart (Mainz) und Robert Seidel (Frankfurt a.M.) eine Tagung zum Thema ,Frühneuzeitliche Disputationen ‒ polyvalente Produktionsapparate gelehrten Wissens‘ veranstaltet, die vor allem den in den Dissertationen enthaltenen Paratexten gewidmet war.
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der schließlich nicht mehr bewältigten Krisen des Athenäums kann deshalb aus dem
Blickwinkel der überlieferten frühneuzeitlichen Dissertationen, den blendenden Zeugnissen
des mit der Valediktion jeweils erreichten, hin und wieder wohl überzeichneten
Studienerfolgs, nicht geschrieben werden. Trotzdem gibt es keinen überzeugenden Grund, den
apologetischen Quellen die längst fällige quellenkritische Aufmerksamkeit zu versagen.
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Abb. 1
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Abb. 2
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Abb. 3
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Abb. 4
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Abb. 5
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Abb. 6
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Abb. 7
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Abb. 8
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