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George Grosz: Republikanische Automaten (1920) Sammlung The Museum
of Modern Art, New York, Advisory Committee Fund
J oseph We iz enbaum
Die Macht der Computer und
die Ohnmacht der Vernunft
Obersetzt
von Udo Rennert
Suhrkamp
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niche iibertragen werden sollten. Sie konnen sogar imstande
sein, in einigen Fallen zu »korrekten« Entsdieidungen zu
gelangen - aber immer und unausweidilidi auf einer Grund-
lage, die kein Mensch willenelidi akzeptieren sollte.
Es hat viele Diskussionen Iiber »Computer und mensch-
limes Denken« gegeben. Der SmluB, der sidi mir aufdrangt,
ist hier, daB die relevanten Probleme weder tedmisdier
nom mathematisdier, sondern ethisdier Natur sind. Sie
konnen nicht dadurdi gelost werden, daB man Fragen
stellt, die mit »konnen« beginnen. Die Grenzen in der An-
wendung von Computern lassen sidi letztlidi nur als Satze
angeben, in denen das Wort »sollten« vorkommt. Die widi-
tigste Grundeinsicht, die uns daraus erwadist, ist die, daB
wir zur Zeit keine Moglimkeit kennen, Computer audi
klug zu madien, und daB wir deshalb im Augenblick Com-
putern keine Aufgaben iibertragen sollten, deren Losung
Klugheit erfordert.
t. .. . .J .
I-. .I
1- .II
I
9. Unverstandliche Programme
In den vorangegangenen Kapiteln haben wir einiges dar-
tiber gehorr, was Computer sind, woher ihre Macht kommt
und wie sie beim Bau von Modellen und der Verkorperung
von Theorien eingesetzt werden konnen. Ich habe midimit den Versudien befaBt, wie ein intelligentes Verhalten
von Computern erzeugt werden kann, nidrt jedodi mit
deren Anwendbarkeit auf irdisdie Redienprobleme, 1m
habe einige der prominenten Forschungsarbeiten Iiber Pro-
blemlosung, Iiber die Simulation kognitiver Prozesse und
iiber das Verstehen natiirlidier Spradien durdi Computer
erortert und besdirieben, die Visionen der ktinstlidien In-
telligenz gesdiildert und des ofteren deren anerkannte Fuh-
rer zitiert. Die von den Forsdiern auf dem Gebiet der
ktinstlichen Intelligenz erlittenen Fehlsdilage habe idikaum erwahnt, da die MiBerfolge, von denen keine For-
schungsanstrengung unversdiont bleibt, nidit unbedingt
ein Grund zum Defatismus sein miissen, im Gegenteil: oft
dienen sie als Ddnger fUr einen Boden, der sparer verbes-
serte Ideen produziert. AuBerdem ist die Tatsadie, daB ein
Ziel bislang nom nidit erreidit worden oder daB sogar ein
versudisweiser Ansatz gesdieitert ist, kein Beleg dafUr, daB
es nidit zu verwirklidien ist. In meinem Bemiihen, sowohl
triviale als audi sterile Argumente zu vermeiden - z, B.
Erorterungen dariiber, ob es »prinzipiell« moglidi ist, Com-puter diese oder jene spezielle Aufgabe erledigen zu las-
sen -, habe im vielleidit sogar den Eindruck erweckt, im
sei der Ansicht, die potentielle (aber nom nidit voll ausge-
smopfte) Macht von Computern sei groBer als ich in Wirk-
lidikeit glaube. Mit meiner Ansidit, daB es Probleme gibt,
denen der Mensch sidi gegenuber sieht, die aber fur
Masdiinen nie relevant werden, und daB der Mensch des-
halb Dinge erfahrt, die eine Masdiine nie erfahren wird,
habe ic h vielleidit den Ansdiein erweckt, daB sidi alle Pro-
bleme, mit denen sowohl der Mensch als audi die Masdiinekonfrontiert werden konnen, potentiell von Masdiinen
losen lassen. Das war nidit meine Absidit.
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IiI. .
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Die Leistungen der »kiinstlic:hen Intelligentsias sind in
erster Linie Triumphe der Tedmik, Weder zur kognitiven
Psydiologie nodi zum praktisdien Problemlosen haben sie
Wesentlic:hes beigetragen. GewiB, es hat so etwas gegeben,
das man als »Abfallprodukte« bezeidmen konnte, wie z. B.
Verfeinerungen der Programmierspradien hoherer Ebene,
die ursprdnglidi im Rahmen von Problemen der kiinst-
lichen Intelligenz entwickelt wurden und sparer in die all-
gemeine Computerwissensc:haft eingegangen sind. Aber das
sind kaum jene Resultate, die die »kilnstlidie Intelligentsia-
die ganzen Jahre fiir die »absehbare Zukunfl« vorausgesagt
hat. Von wenigen Ausnahmen abgesehen hat es in der
mehr als zwanzigjahrigen Gesdiidite der kiinstlidien Intel-
ligenz kein Ergebnis gegeben, das seinen Weg in die Indu-
strie im allgemeinen oder in die Computerindustrie im
besonderen gefunden hane,Zwei dieser Ausnahmen sind die bemerkenswerten Pro-
gramme DENDRALund MACSYMA,ie an der Stanford-Uni-
versitat bzw. am MIT vorliegen', Beide Programme iiber-
nehmen hodist tedmisdie Funktionen, deren Erorterung den
Rahmen dieses Buches vollig sprengen wiirde. Aber ein paar
Worte sollen wenigstens darilber gesagt werden.
DENDRALinterpretiert die Daten von Massenspektro-
metern, das sind Instrumente, die zur Analyse diemisdier
Molekularstrukturen dienen. In der gewohnlidien Praxis
werden Chemiker in der Zeit nadi dem Doktorexamen
darauf gedrillt, die diemisdien Strukturen von Moleki.ilenabzuleiten, die in dieses Instrument eingegeben werden,
und zwar aus den sich dabei bildenden Massenspektren.
Das Problem ist in etwa analog dem der Rekonstruktion
des Lebens in einem prahistorischen Dorf aus den von
I ZuDENDRAL. B. Buchanan,G. SutherlandundE. A. Feigenbaum,»HeuristicDENDRAL:A ProgramorGeneratingExplanatoryHypo-The-sesin OrganicChemistry«,n: B.Meltzerecl.), M4mine Intelligence, NewYork1969. ZuMACSYMA. J. Moses,»Symbolicntegration,he StormyDecade«,n: Communic4tions of the Associat ion for Computing M4minery,
Vol.XIV (1971), Nr. 8, undW. A. MartinundR. J. Fateman,»TheMACSYMAystem«,n:Proceedings of the Second Symposium on Symbolic
lind Algebr4ic M4nipul4tion, NewYork1971.
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Ardiaologen freigelegten Oberresten. Es besteht jedodi einwesentlidier Untersdiied zwischen beiden Problemen: es
gibt eine Theorie der Massenspektrometrie, d. h., es ist
bekannt, wie das Instrument die Daten erzeugt, nadidem
man ihm eine bestimmte diemische Substanz zur Analyse
eingegeben hat. Man kann deshalb eine angebotene Losung
dadurdi einsdiatzen, daB man aus der Theorie ableitet,
welche s Spektrum das Gerat produzieren miiBte, wenn es
sich urn die in der versudisweisen Losung angegebene die-misdie Substanz handeln wiirde. Unglucklicherweise ver-
hindern -Beschrankungen in der Genauigkeit, daB dieser
Vorgang einer inversen Bestimmung absolut exakt ablauft.
Trotzdem befindet sidi der Analytiker in einer besseren
Lage als der Arc:haologe, dem keine strengen Methoden zu
Gebote stehen, urn seine Hypothese zu bestatigen. Allge-
mein ausgedriickt ist also DENDRALein Programm, das
Massenspektren analysiert und Strukturbesdireibungen der
Moleki.ile liefert, die mit sehr hoher Wahrsc:heinlic:hkeit zu
diesen Spektren gefUhrt haben. Die Fahigkeit dieses Pro-
gramms kommt der eines Chemikers gleidi oder iibersteigt
diese sogar, der bestimmte Klassen organischer Moleki.ileuntersudrt,
MACSYMAst nach gegenwartigen Standards ein enorm um-
fangreidies Programm, das mit mathematisdien Symbolen
arbeitet. Es kann mit mathematisdien Ausdriicken operie-
ren, die formale Variablen, Funktionen und Zahlen ent-
halten. Es kann integrieren, differenzieren, Grenzwerte
berechnen, Gleidiungen losen, Polynomfaktoren bestim-
men, Funktionen zu Potenzreihen umformen usw. All das
geschieht symbolisdi, nidit redmerisdi. Wenn z. B. der Aus-
druck berechnet werden soll
fdx
a + bx
so liefert es als Ergebnis den Ausdruck
In (a + bx)
b
Wenn man natiirlich fUr alle in Frage kommenden Varia-
blen Zahlenwerte einsetzt, so liefert das Programm fiir
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den ganzen Ausdruck audi das redmerisdie Ergebnis, was
allerdings eine relativ triviale Angelegenheit ist, Aum hier
geht es nidrt um die Diskussion tedmisdier Einzelheiten,
Was in diesem Zusammenhang wichtig ist - genau wie bei
DENDRAL-, ist der Umstand, daB es stringente Theorien
dariiher gibt, wie die erforderlidien Transformationen
vonstatten gehen miissen. Was aber am wichtigsten ist: es
ist vor allem fiir die symbolisdie Integration moglidr
(durch Differenzieren), zu priifen, ob eine angebotene Lo-
sung tatsadilich eine Losung ist oder nidit, und im Fall der
Integration ist der Test vollkommen. Und wie DENDRAL
lost MACSYMArobleme, die normalerweise nur von hodi
spezialisierten Fachleuten gelost werden.
Diese beiden Programme sind in signifikanter Weise der
Forsdiung auf dem Gebiet der kiinstlidien Intelligenz ver-
pflichtet. Beide arbeiten mit heuristisdien Problemlosungs-
methoden auf zweierlei verschiedene Weise. Erstens waren
zu Beginn der Planung beider Programme die Theorien, auf
denen sie heute gegriindet sind, nidit geniigend gut ausfor-
muliert, um sie in effektive Verfahren umsetzen zu konnen.
Aber es gab Mensdien, die die betreffenden Probleme losen
konnten. Eines der Anfangsprobleme bestand deshalb dar-
in, aus Experten die Heuristik herauszubekommen, mit der
sie bei der Losung ihrer Probleme arbeiteten. Die Anfangs-
versionen beider Programme waren eine Mischung aus
Algorithmen, die jene Aspekte der Probleme enthielten, die
geniigend analysiert waren, sowie Verkodungen samtlidier
heuristisdier Tedmiken, die aus den Experten herauszuho-
len waren. Mit dem Fortsdireiten der Arbeit jedoch wudis
auch dis Verstandnis der heuristischen Komponenten der
Programme, so daB diese zu neuen Bestandteilen der rele-
van ten Theorien umgeformt werden konnten. Auf diese
Weise wurden beide Programme nach und nach modifiziert,
bis sie im wesentlidien vollstandig theoretisch untermauert
waren. Zweitens wurden und werden aus Effizienzgriinden
bei beiden Programmen heuristische Methoden eingesetzt.
Beide Programme erzeugen Unterprobleme, die zwar prin-zipiell mit einfachen algorithmischen Mitteln losbar sind,
aber eher zu einer Losung fiihren, wenn sie in einer Weise
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klassifiziert sind, daB sie sich durdi eine Spezialfunktion
losen lassen, der sie dann zur LOsung zugefiihrt werden.
Die Entwicklung und Verfeinerung beider Anwendungs-
arten heuristisdier Methoden sowie viele der Methoden
selbst sind Ergebnisse der Forsdiung iiber ktinselidie In-
telligenz.
Diese heiden Programme untersdieiden sidi genau darin
von den meisten anderen Programmen auf dem Gebiet derkiinstlidien Intelligenz, daB sie fest in soliden Theorien
verankert sind. Den Hauptbeitrag zur theoretisdien Unter-
mauerung von DENDRALleistete Joshua Lederberg, der
Genetiker und Nobelpreistrager, wahrend die theoretisdie
Arbeit an MACSYMAauptsachlidi von Professor Joel Mo-
ses Yom MIT geleistet wurde, einem extrem begabten und
vollendeten Mathematiker.
Es gibt natiirlich nom viele andere widreige und erfolg-
reidie Anwendungen fiir Computer. So kontrollieren bei-
spielsweise Elektronenrediner ganze Erdolraffinerieanla-
gen, steuern Raumschiffe und iiberwachen und kontrollie-
ren die Umgebung, in der Astronauten ihre Tatigkeit
verriditen. Ihre Programme beruhen auf mathematischen
Regeltheorien und bewahrten physikalisdien Theorien.
Solche theoretisdi fundierten Programme haben den un-
sdiatzbaren Vorteil, daB beim Auftreten irgendwelcher
Fehler das menschlidie Bedienungspersonal feststellen
kann, daB ihr Verhalten nicheden Forderungen der Theorie
geniigt, Damit ist es imstande, aus der Theorie die Fehler-
quelle abzuleiten.
Aber die meisten gegenwartig ver/ugbaren Programme,
uor allem die um/angreichsten und wichtigsten unter ihnen,
sind in diesem Sinne nicht theoretisch /un4iert. Sie sind
heuristisdi, und zwar niche unbedingt in dem Sinne, daB sie
sidi in ihrem Inneren heuristisdier Methoden bedienen,
sondem daB ihre Bauweise Faustregeln folgt, Strategemen,
die unter den meisten vorhersehbaren Umstanden zu
»funktionieren« sdieinen, und auf anderen Ad-hoc-Media-
nismen beruht, die von Zeit zu Zeit zusatzlidi eingebautwerden.
Mein eigenes Programm ELIZAgehdrt zu genau diesem
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Typus, ebenso Winogtads System zum Verstehen von
Spradten und - ungeaditet aller anderslautenden Anspriidte
- der GPS von Newell und Simon. Was jedodi viel widi-
tiger ist, ist der Umstand, daB fast alle groBen Computer-
programme, die Tag fur Tag in der Industrie, der Admini-
stration und den Universitaten zum Einsatz kommen, audi
dazu gehoren, Diese gigantisdien Computersysteme sind in
der Regel von Programmierteams zusammengestoppelt
worden (man kann wohl kaum sagen: konstruiert), deren
Arbeit sidi oft iiber einen Zeitraum von mehreren Jahren
erstreckt. Wenn das System dann endlich gebraudisfertig
ist, haben die meisten der urspriinglidten Programmierer
gekilndigt oder ihr Interesse anderen Projekten zugewandt,
so daB, wenn diese gigantischen Systeme sdilielllidi benutzt
werden, ihr innerer Ablauf von einem einzelnen oder
einem kleinen Team niche mehr verstanden werden kann.
Norbert Wiener, der Vater der Kybernetik, sagte dieses
Phanomen in einem bemerkenswert hellsiditigen Artikel
voraus, der VOtmehr als 15 Jahren veroffentlidit wurde.
Dort heiBt es:
"Es ist gut moglidt, daBwir aus prinzipiellen Griinden keine Masdtine
zu bauen vermogen, deren Verhaltenskomponenten wir nidit friiher
oder spater verstehen konnen. Aber das bedeuree nodt lange nidit,
daB wir in der Lage seinwerden, diese Komponenten innerhalb einer
wesentlidt geringeren Zeitspanne zu verstehen als sie erforderlidt ist,
um die Masc:ninezu installieren oder selbst innerhalb jeder vorgegebe-
nen Anzahl von Jahren oder Generationen ... Das wirklidt intelli-
gente Begreifen des Funktionierens (einer Masdtine) kann der Erledi-gung der Aufgabe, die ihr urspriinglidt gestellt war, weit nadthinken
•.. Das bedeuret audt, daB Masdtinen zwar theoretisdi der mensch-
lichenKritik unterliegen, die Kritik aber nidtt wirksam wird, wei! sie
zu spat kommt und nidtt mehr relevant istt.«
Was Norbert Wiener als Moglidikeit beschrieben hat, ist
langse Wirklichkeit geworden. Die Griinde hierfiir kann
der Laie wahrscheinlidi unmoglidi verstehen oder akzeptie-
ren. Seine falsdie Auffassung davon, was Computer sind,
was sie tun und wie sie das tun, verdankt sidi zum Teil der
.1 N. Wiener, "Some Moral and Tedmical Consequencesof Automation«, in:
Science, Vol. CXXXI (1960), S. 13H.
Durdisdilagkrafl der mechanistisdien Metapher sowie die
Tiefe, mit der sie das UnbewuBte unserer ganzen Kultur
durchdrungen hat. Dies ist ein Vermaditnis des Einflusses
der relativ einfadten Masdtinen auf die Phantasie, die das
Leben wahrend des 18. und 19. Jahrhunderts veranderthaben. Es wurde fur fast jeden zur »zweiten Nature, der in
den industrialisierten Landern lebte, daB das Verstandnis
einer Sadie bedeutete, sie als etwas Medianisdies zu ver-
stehen. Selbst groBe Naturwissensdiafller des spaten
19. Jahrhunderts teilten diese Auffassung. Lord Kelvin
(1824-1907) hat gesdirieben: »Ich bin erst dann zufrieden,
wenn ic h von einer Sache ein mechanisdies Modell herstel-
len kann. Bin ich dazu in der Lage, dann kann idi sie ver-
stehen. Wenn ich mir nicht in jeder Hinsidit ein Modell
madien kann, dann kann ic h sie audi nicht verstehent.«
Ein Ausdrudc fur die entsprediende moderne Auffassung
ist Minskys Ansidit, ein Verstandnis von Musik oder von
»sehr ausdrucksstarken Bildern« bedeute, in der Lage zu
sein, Computerprogramme zu sdireiben, die diese Dinge
erzeugen konnten. Aber wahrend Minsky sidi vollig dar-
tiber im klaren ist, daB Computer keine Medtanismen sind,
die mit denen aus der Zeit Kelvins gleidtgesetzt werden
konnen, gilt fur den Laien genau das Gegenteil. Fur ihn sind
Computer und Computerprogramme in demselben simplen
Sinne »medianisdi« wie Dampfmasdiinen und Getriebe
von Kraftfahrzeugen.
Diese Auffassung - sie ist unter Laien fast allgemein ver-
breitet - wird nodi verstarkt durdi den Slogan, der von
den Computerwissensdiafllern selbst oft wiederholt wird,
daB namlidr ein ProzeB erst mit perfekter Prazision formu-
liert sein mtisse, bevor ein Computer ihn simulieren konne.
Dieser Slogan ist jedodi nur bei einer sehr eingeengten und
hodtst ungewohnlidien Interpretation dessen moglidi, was
es heiBt, »einen ProzeB zu formulieren«. Wenn man Z. B.
den Speicher eines Computers mit einer Zufallsreihe von
Bit-Elementen futtern wiirde, die der Computer als Pro-
gramm interpretieren muBte, dann ware unter der Voraus-
3 W. T. Kelvin, zit. nam P. W. Bridgeman, The Logic of Modern Physics,
New York 19..6, S... 5.
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setzung, daB das Ganze iiberhaupt Hiuft,diese ZufalIsreihe
von Bit-Elementen eine »Pormulieruag« eines Prozesses.
Aber in der normalen Umgangssprache wird unter einer
Programmierformulierung verstanden, daB zunachse ein
Agent (wahrscheinlich ein Mensch) das organisiert hat, was
ein Computerprogramm werden solI, bevor esin den Com-
puter eingegeben wird. Der Laie, der den betreffenden Slo-
gan gehort hat, glaubt, daB allein schon die Tatsache, daB
ein Programm einen Computer durchlauft, eine Garantie
dafiir ist, daB ein Programmierer jede Einzelheit des Pro-
zesses, der durch das Programm verkorpert wird, formu-
liert hat und versteht.
Aber die Tatsachen sprechen gegen diese Annahme. Ein
groBes Programm ist, um eine Analogie zu verwenden, die
auch Minsky gem heranzieht, ein kompliziert gekniipftes
Netzwerk von gerichtlichen Instanzen, d. h. von Unter-
programmen, denen das Beweismaterial von anderen Un-
terprogrammen iibermittelt wird. Diese Instanzen »wiir-
digen« die zugefiihrten Daten und iibermitteln ihr Urteil
wiederum weiteren Instanzen. Die von diesen Instanzen
gefallten Urteile konnen - und tatsadilid; tun sie dies oft
auch - Entscheidungen dariiber enthalten, welche Instanz
die »Rechtsprechungc iiber die Zwischenergebnisse hat, die
dann weiter verarbeitet werden. Somit kann der Program-
mierer nicht einmal den Weg der Entscheidungsfindung in
seinem eigenen Programm kennen, geschweige denn wis-
sen, welche Zwischen- oder Endergebnisse es hervorbringenwird. Die Formulierung eines Programms gleicht somit
eher der Schopfung einer Biirokratie als der Konstruktion
einer Maschine von der Art, wie Lord Kelvin sie verstand.
Minsky driidtt das Problem so aus:
,.Der Programmierer selbst legt ••• >legale( Prinzipien fest, die •..
>Appellationen( ermoglichen. Es ist gut moglich, daB er nur ein sehr
unvollstiindiges Verstiindnis davon hat, wann und wo im Verlauf der
Abarbeitung desProgramms dieseVerfahren einander anrufen. Und fur
eine bestimmte sInstanz, hat er nur eine sehr schemenhafte Vorstel lung
von nur sehr wenigen jener Bedingungen, unter denen sie angerufenwerden wird. Kurz gesagt, wenn sie die Zeit als Anfanger hinter sich
haben ..• dann schreiben Programmierer keine Sequenzen (von Be-
fehlen), sondern Einzelauftrage fur die Individuen kleiner Gesell-
schaften. Auch wenn er sich nach so bemuht, oft ist er nicht in der
Lage, im voraus aIle Einzelheiten ihrer Interaktionen abzusehen. Denn
das ist ja schliefilich der Grund, warum er einen Computer benotigt4 ••
Minsky fahrt mit den folgenden, fiir uns auBerst wichtigen
Beobachtungen fort:
, .Wenn die Leisnmgsfahigkeit eines Programms durch eine Evolutionreilweise verstandener Einzelteile und Verbindungsstudte wac:hst, ver-
liert der Programmierer nac:h und nac:h die inneren Details aus dem
Auge, reduziert seine Fahigkeit, das Verhalten des Computers zu
prognostizieren, setzt auf seine Hoffnung statt auf sein Wissen und
beobac:htet die Ergebnisse, als sei das Programm ein Individuum, dessen
Repertoire moglicher Verhaltensweisen nic:ht bestimmbar ist.
Das gilt bereits fiir einige GroBprogramme ••• die Tendenz wird im-
mer deutlic:her •.. grofie heuristische Programme werden von ver-
sc:hiedenen Programmierern entwidtelt und modifiziert, die sie an
unterschiedlic:hen Testaufgaben prufen und von versc:hiedenen (ene-
femt gelegenen) Bedienungspulten aus und unabhangig voneinanderInformationen eingeben. Das Programm wird immer leistungsfahiger,
aber keiner der Programmierer wird es iiberhaupt verstehen. (Natiir-
lic:h lauft das nic:ht immer erfolgreic:h ab - die Interaktionen konnen
eine Verschlechterung bewirken, und moglic:herweise ist niemand in
der Lage, die Sac:hew ieder in Ordnung zu bringen!) Damit sind wir
auf das eigentlidie Problem gestollen, das in der Aussage enthalten
ist: >Er tut nur das, was ih m sein Programmierer gesagt hat.( Den
einen Programmierer gibt es gar nic:hi' .c
Wir verstehen nicht, um fiir einen Augenblidt auf einen
friiheren Punkt zurdckzukommen, wie ein Programm vonder Art, die Minsky hier beschreibt - eines, das etwa
»groBec Musik komponiert -, uns zu einem Verstandnis
von Musik verhilft, wenn das Programm selbst auBerhalb
unseres Verstandnisses liegt,
Was aber noch wichtiger ist, wenn das Programm das Ver-
standnis der Personen iiberschritten hat, von denen es ge-
schaffen wurde, was kann esdann bedeuten, wenn es »immer
leistungsfahiger« wird oder auch, im anderen FalIe, eine\
4 M. Minsky, ,.Why Programming is a Good Medium for ExpressingPoorly
Understood and Sloppily Formulated Idease, in: M. Krampen und P. Seitz(eds.), Design and Planning 11, New York 1967, S. rae,
5 Ibid., S.U.
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»Verschlediterung« erfahrt) Als Lehrer (und wir sind alleLehrer) hoffen wir natiirlich andauernd, daB diejenigen,
die von uns unterrichtet werden, immer leistungsfahiger
werden, soweit es den Gegenstand dessen betrifft, worin
wir sie unterweisen. Und fur gewohnlidi verlangen wir
auch nicht von uns, daB wir alle »Prozesse« verstehen, de-
ren Leistungsfahigkeit wir bei unseren SchUlern verbessern
wollen, d. h. daB wir sie auf dieselbe Weise verstehen wol-
len, wie wir etwa das Funktionieren einer Uhr verstehen.
Dariiber hinaus setzen wir in unsere Schuler unsere Hoff-
nung, verlassen uns auf sie und vertrauen ihnen.
Zweifellos ist es jene Art von Vertrauen, die wir nach
Minsky auch in die komplizierten Programme der kiinst-
lichen Intelligenz setzen sollen, die zwar dauernd ihre Lei-
stungsfahigkeit steigern, aber mit der Zeit den Horizont
unseres Verstandnisses ubersteigen. Seine Empfehlung ist
durchaus sinnvoll, solange sie sich auf Programme bezieht,
fur die wir iiber Leistungskriterien verfiigen, die es uns er-
moglidien, innerhalb eines geniigend kurzen Zeitraums
festzustellen, wenn diese Programme sich nicht mehr im
Rahmen eines akzeptablen Verhaltensbereichs bewegen
oder aus sonstigen Grunden unser Vertrauen ungerechtfer-
tigt erscheinen lassen. Wie wir zuvor schon beobachtet hat-
ten zahlen hierzu Programme, die durch und durch Modelle
von bis ins einzelne geklarten Theorien sind, selbst wenn -
wie es gelegentlich vorkommt - keine Gruppe von Pro-
grammierern uber ein eingehendes Verstandnis des Innen-
lebens der Programme selbst verfiigt, Ferner gehoren
Programme dazu, deren Abweichung von bestimmten Lei-
stungskriterien sich durch Beobachtung ihres Verhaltens
von einem Moment zum nadisten feststellen laBt, voraus-
gesetzt natdrlidi, daB erstens die Beobachtungen von je-
mandem vorgenommen werden, der verantwortlich ist und
der zweitens schnell genug eingreifen kann, um ein Ungliickzu verhindern.
Minskys vdllig korrekte Darstellung ist somit von entschei-
dender Bedeutung. Aus ihr geht hervor, daB Norbert Wie-ners Beschreibung einer Moglidikeit aus dem Jahr 1960 in
kurzer Zeit Realitat geworden ist. Dariiber hinaus gewin-
310
nen Minskys Aussagen noch aus dem Grund eine besondere
Bedeutung, daB sie von einem der Hauptautoren und -ver-
treter der ktinstlidien Intelligenz stammen und dazu ge-
dacht waren, das verschwommene Denken von Humanisten
dadurch zureditzurticken, daB sie die Leistungsfahigkeit
von Computern in den Vordergrund stellten und nicht
deren Grenzen.
DaB unsere GesellschaA: sich zunehmend auf Computer-
systeme verlaBt, die ursprunglidi den Menschen beim Er-
stellen von Analysen und Treffen von Entscheidungen
»helfen« sollten, die jedoch seit langem das Verstandnis
derjenigen iibersteigen, die mit ihnen arbeiten und ihnen
dabei immer unentbehrlicher werden, das ist eine sehr ernste
Entwicklung. Sie hat zwei wichtige Konsequenzen. Erstens
werden mit zum Teil ausschlieBlicher Unterstiitzung durch
Computer Entscheidungen getroffen, deren Programme
kein Mensch mehr explizit kennt oder versteht. Somit ist
es ausgeschlossen, daB jemand die Kriterien oder Regeln
kennt, auf die solche Entscheidungen sich griinden, Zwei-
tens werden die Systeme von Regeln und Kriterien, die
durch diese Computersysteme verkorpert sind, gegeniiber
einer Xnderungimmun, da angesichts des Fehlens eines ein-
gehenden Verstandnisses der inneren Ablaufe eines Com-
putersystems jede wesentliche Modifikation aller Wahr-
scheinlichkeit nach das ganze System lahmgelegt, ohne daB
eine Reparatur moglich ist. Aus diesemGrund konnen solche
Computersysteme nur noch wachsen. Und ihr Wachstum
samt der damit verbundenen gesteigerten Abhangigkeit
wird begleitet von einer zunehmenden Legitimation ihrer
»Wissensgrundlage«.
Professor Philip Morrison vom MIT hat dazu eine tref-
fende Parabel geschrieben:
lOInmeinem Biiro hangt eine Weltkarte an der Wand. Sie ist von
einem Computer gezeichnet und deshalb nicht so schon, wie wenn ein
Zeichner sie angefertigt hatte. Auf ih r befinden sich in markanten
Umrissen, durch acht- bis zehntausend Punkte dargestellt, die riesigen
Platten, aus denen die Erdkruste besteht und die, wenn sie sich aus-dehnen, einander beriihren oder iibereinander zu liegen kommen,
fast immer gewaltige Erdbeben erzeugen. Die Karte verkdrpert diesen
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Vorgang, denn die einzelnen Punkte, die den UmriB der Platten bil-
den, stellen jeweils einenErdbebenherd dar.
Das Eigenartige an der Same ist das: Die Seismologen, von denen
die Karte stammt, sagen etwas entsdiuldigend, daB ihre eigenen Auf-
zeidlnungen von Erdbeben in einer standardisierten Form vorliegen,
in der sie einem Computer leidit eingegebenwerden konnen, so daB
sie zur Lokalisierung der Punkte auf der Karte nur ihre eigenenDaten
verwenden konnten. Natiirlidi waren sie sim bewuBt, daB die Seis-mologie sdlon sehr viel alter ist als die letzten zehn Jahre, aber die
Anstrengung des Versudis, die Vergangenheit mit einem standardi-
sierten Koordinatensystem der Gegenwart zu verkniipfen, die um-
fangreime und untersdiiedliche Literatur von 1840 bis 1961 ihrem
Computer in lesbarer Form einzugeben - das alles lag ihnen vollig
fern. So lieBen sie jeden Bezug zu ihrer Wissensmaft vor 1961 unter
den Tisdl fallen und verwendeten lediglim die Erdbeben, die von
1961 bis 1967 von ihrem weltweiten Nett von Detekroren registriert
worden waren. Das waren allerdings genausoviel Erdbeben, wie vor
diesem Zeitraum insgesamt aufgezeidlnet worden sind. Ihnen fehIte
also die Halfte der verfiigbaren Daten, was statistism gesehen kaumins Gewimt fallti dafiir versdiafften sie sim den Vorteil, nidrt diese
ganzen sdlwierigen deutsdien Famzeitsdlriften lesenund interpretieren
zu miissen.
Das ist eine Parabel fiir den Computer. Wie aIle Parabeln enthalt sie
eine innere Spannung: Freunde wie Feinde des Computers konnen sie
in ihrem Sinne deuten. Fiir die Freunde ist es offenkundig, daB diese
groBartige Sammlung von Erdbeben, aus denen sim die Umrisse tek-
tonisdier Platten ergeben, wahrsdieinlid; die groBte Leistung einer
soldien synoptisdien Untersudiung ist. Fiir einen AuBenseiter ist es
faszinierend, die Konturen der Risse und Spalten zu sehen. Gleim-
zeitig versdilagt einem die Nonchalance den Atem, mit der hier diegesamte Gesmimte einer Wissensmafteinfam iibergangen wird.
Um was es geht, steht auBer Zweifel: Niemand, aum nimt der eif-
rigste Verfemter einer elektronisdien Datenverarbeitung, wiirde be-
haupten, alles hatte erst 1961 angefangen, selhst wenn erst ab diesem
Zeitpunkt die moderne Erhebung der Daten erfclgt ist. Die Vergan-
genheit war der unentbehrlidie Prolog. In ihr wurden Begriffeformu-
liert, Tedmiken entwidtelt, Instrumente eingefiihrt, der Gedanke einer
systematisdien Erfassung kam auf und usw. All das wies den Weg,
ohne den sidierlid; der amerikanisdie Coast and Geodetic Survey und
dessenFreunde nidtt in der Lage gewesenwaren, eine so smone Karte
herzuseellens,«6 P. Morrison, -The Mind of the Machinec, in: Technology Ref/iew (MIT),
Januar 1973, S. 13.
Damit hat der Computer begonnen, ein Instrument zur
Zerstorung von Geschichte zu werden. Denn wenn eine Ge-
sellschaft nur jene »Daten« als legitim anerkennt, die »in
standardisierter Form« vorliegen, so daB sie »einem Com-
puter leicht eingegeben werden konnen«, dann ist Ge-
schichte, dann ist Erinnerung iiberhaupt ausgelosdit, Die
»New York Times« hat bereits damit begonnen, eine »Da-
tenbank« der laufenden Ereignisse aufzubauen. Natiirlich
sind nur solcheDaten fiir das System zulassig, die sichleicht
als Nebenprodukte aus den Setzmaschinen gewinnen lassen.
Da die Anzahl der Teilhaber an diesem System standig
wadist und diese sichmehr und mehr auf »alle Nachrichten
(verlassen), die (einmal) fiir den Druck in Frage (ge)kom-
men (sind)«, wie die »Times« stolz ihre Herausgeberpraxis
umschreibt, wie lange wird es dann noch dauem, bis das,
was als Faktum gilt, von diesem System bestimmt wird,
bis alles andere Wissen, jede Erinnerung einfach als illegitimerklart wird? Bald wird ein Supersystem errichtet, das auf
der Datenbank der »New York Times« (oder einer anderen
Bank derselben Art) aufbaut, aus der »Historiker« Schliisse
dariiber ziehen werden, was »wirklidi« geschah, wer mit
wem in Verbindung stand und welches die »wirklidie« Lo-
gik der Ereignisse war. Es gibt heute viele Menschen, die
daran nichts Falsches finden konnen,
Wir brauchen nicht auf kiinftige Systeme zu blicken, um
Morrisons Parabel einen Sinn zu geben. 1m Krieg der USA
gegen Vietnam wurden Computer von Offizieren bedient,die nicht die geringste Ahnung davon hatten, was in diesen
Maschinen eigentlich vorging, und die Computer trafen
die Entscheidung, welche Dorfer bombardiert werden soll-
ten und welche Gebiete eine geniigend hohe Dichte von
Vietkongs aufwiesen, daB sie »legitimerweise« zu Zonen
erklart werden konnten, in denen »Feuer frei« gegeben
wurde, d. h. weite geographische Gebiete, iiber denen Pilo-
ten das »Redit« hatten, auf alles zu schieBen, was sich be-
wegte. Selbstverstandlidr konnten nur solche Daten in die
Maschine eingegeben werden, die »masdiinell lesbar« wa-ren, also weitgehend Zielinformationen, die von anderen
Computem stammten. Und als der amerikanische Prasident
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beschloB, Kambodscha zu bombardieren und diese Ent-
scheidung vor dem KongreB geheimzuhalten, da wurden
die Computer des Pentagon darauf »getrimmt«, die ur-
sprdnglidien Einsatzberichte, die aus dem Kampfgebiet
hereinkamen, in die falschen Berichte umzuformulieren, die
dann den fiihrenden Mannern des Staates zuganglidi ge-
macht wurden. George Orwells Informationsministerium
war mechanisiert worden. Man hatte die Geschichte nicht
nur zerstort, sondern sogar neu geschrieben. Und die hohen
Regierungsbeamten, die sich als Privilegierte empfanden,
denen man erlaubte, die Geheimberichte zu lesen, die in
Wirklichkeit den Computern des Pentagon entstammten,
glaubten diesen natiirlich. SchlieBlich hatte der Computer
selbst gesprochen. Ihnen war nicht klar, daB sie zu »Skla-
ven« des Computers geworden waren, urn Admiral Moo-
rers eigene Worte zu gebrauchen, bis die Liigen, die die
Computer anderen erzahlen sollten, sie selbst, die Herren
der Computer, zu Fall brachten.*
1m modernen Krieg operiert der Soldat, sagen wir ein
Bomberpilot, gewohnlidi in einer enormen psychologischen
Distanz von seinen Opfern. Er ist nicht fiir verbrannte Kin-
der verantwortlich, weil er weder ihr Dorf noch seine Bom-
ben geschweige denn die brennenden Kinder seIber sieht.
Moderne technische Rationalisierungen in der Kriegsfiih-
rung, der Diplomatie, Politik und im Handel (z. B. durch
Computerspiele) haben sogar einen noch heimtiickischeren
EinfluB auf die Gestaltung der Politik. Nicht nur, daB diepolitischen Fiihrungskrafle ihre Verantwortung beim Tref-
fen von Entscheidungen an eine Technik abgetreten haben,
die sie nicht verstehen - sich aber immer noch standig der
* Nadt einem Beridtt in der »New York Timesc vom 10. August 1973 von
Seymour Hersdi erklarte Admiral Thomas Moorer, Vorsitzender der Ver-
einigten Stabsdtefs, gegeniiber dem US-Senatskomitee fiir die Streitkrafl:e,
daB Lufl:angriffegegen Kambodsdta im »DatengroBspeidter des Pentagonc als
Einsatze gegen Siidvietnam firmierten. 1m Zusammenhang mit dem Beridtt
zeigte die »Timesc die Photokopie eines Kampfberidtu, der die Bemerkung
enthielt: »Alle Feindfliige mit dem Ziel Kambodsdta werden im Programm
jeweils als Einsatze gegen Orte in Siidvietnam gekennzeidmet.e Dem Beridttzufolge 5011 Admiral Moorer dem Komitee gegeniiber geauBert haben: »Es
ist einUngliick, daBwir zuSklaven der verfludttenComputer geworden sind.«
314
Illusion hingeben, daB sie es sind, die politisdi relevante
Fragen stellen und beantworten-, sondern die Verantwort-
lichkeit schlechthin ist verschwunden. Nicht nur, daB der
dienstalteste Admiral der US-Navy in einem lichtenAugen-
blick einsichtig feststellt, daB er zum »Sklaven der verfluch-
ten Computer« geworden ist, daB er gar nicht anders kann,
als sein Urteil darauf zu gninden, »was der Computer
sagt«, sondern es ist iiberhaupt niemand dafiir verantwort-
lich, was der Computer an Daten ausgibt. Die riesigen
Computersysteme im Pentagon und ihre Gegenstiicke an-
derswo in unserer Zivilisation haben in einem hochst realen
Sinne keine Autoren. Somit lassen sie gar keine Fragen
tiber »riditig« oder »falsdi« zu, iiber Gerechtigkeit oder
irgendeine Theorie, auf der sich Zustimmung oder Wider-
spruch aufbauen lieBe. Sie liefern keine Grundlage, von der
aus das, »was die Maschine sagt«, angezweifelt werden
konnte. Mein Vater berief sich stets auf eine letzte Autori-
tat mit der Bemerkung »Es steht gedruckt«. Aber da konnte
ich lesen, was geschrieben stand, etwa von einem Autor,
konnte dessen Wertvorstellungen nachvollziehen und ibm
schlieBlich zustimmen oder niche, Computersysteme regen
nicht zum Nachdenken an, das zu einer wirklich mensch-
lichen Beurteilung fiihren konnte.Kein Wunder, daB Menschen, die tagaus, tagein mit Ma-
schinen leben und sich nach und nach als deren Sklaven
empfinden, schlieBlich glauben, auch Menschen seien bloBe
Masdiinen, daB es, wie ein bedeutender Naturwissen-
schaftler einmal gesagt hat,
"moglien (ist), den Mensdien selhst als das Produkt . .. eines evolutio-
naren Prozesses sien entwickelnder Roboter anzusehen, erzeugt von
einfacheren Robotem, his zuriick zum Ursdilelm: .•• sein ethisdies
Verhalten ist erwas, das als Sdialekreisfunkcion des Mensdien in seiner
Umwelt interpretiert werden kann - eine Turingmaschine mit nur
zwei festen Riickkopplungen, namlich dem Bediirfnis zu spielen und
dem Bediirfnis zu gewinnen-".
7 Die Quelle dieses Zitau modtte idt hier nidtt angeben. Es wurde 19S~
niedergesdirieben. Als idt den Autor viele Jahre spater kennenlernte, war er
ein freundlidter und liebenswiirdiger alter Mann. Idt kann mir nidtt vor-stellen, daB er zu dieser Zeit nodr dieselbeAuffassung vertrat - wenige Jahre
vor seinemTod -, die aus dem angefUhrten Zitat spricht.
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Man sollte annehmen, daB eine groBe Anzahl von Indivi-
duen, die in einer Gesellsdiafl leben, in der anonyme, d. h.
nidit verantwortliche Krafte die drangenden Fragen der
Zeit stellen und den Bereich der moglidien Antworten um-grenzen, ein Gefiihl der Machtlosigkeit empfindet und
einer sinnlosen Wut zum Opfer falle, Und ohne Zweifel
wird diese Erwartung von unserer Umwelt stets aufs Neue
bestatigt, auf dem Universitatsgelande und in Fabriken, zu
Hause und im Biiro. Die Wut manifestiert sich in Sabotage-
akten von Arbeitem an ihren eigenen Produkten, innerer
Unruhe und Ziellosigkeit bei den Studenten, Strallenkrimi-
nalitat, Flucht in die von Drogen erzeugte Traumwelt usw.
Aber es gibt nodi eine zweite Reaktion, die ebenfalls weit
verbreitet ist; von der einen Seite betraditet wirkt sie wie
eine Resignation, aber von der anderen Seite ersdieint sie
als das, was Erich Fromm vor langerer Zeit einmal die
»Furdit vor der Freiheit« genannt hat.Die »guten Deutsdiene unter Hitler konnten ruhiger sdila-
fen, weil sie von Dadiau »nidits wuBtene. Sie wuBten es
deshalb niche, wie sie sparer erzahlt haben, wei! das hodi-
organisierte Nazisystem ihnen das Wissen vorenthaIten
hatte. (Seltsam genug, daB ich als Heranwachsender im sel-
ben Deutschland von Dadiau Kenntnis hatte. Ich hatte
wohl Grund genug, mich davor zu furdrten.) Natiirlidi ist
der wahre Grund dafdr, daB die guten Deutsdien von nichts
wuBten, daB sie sich nie fiir die Frage veranrwortlidi fUhl-
ten, was mit ihren jddisdien Nadibarn passiert war, derenWohnungen plotzlidi leerstanden. Der Universitatsdozent,
dessen Traum von einer Beforderung zum ordentlidien
P~ofesso~ sidi unvermittelt erfiilIte fragte nidit danadi,wieso sem wertvoller Lehrstuhl so sdmell frei geworden
war. SchlieBlich wurden alle Deutsdien Opfer dessen, wo-
von sie befallen waren.
Heute stellen sidi selbst die hodisten Spitzenmanager als
unsdiuldige Opfer einer Tedmik dar, fUr die sie sidi nidit
veranrwortlidi fiihlen und die sie angeblidi nidit einmal
verstehen. (Trotzdem muB man sidi dariiber wundem,warum es Admiral Moorer nie in den Sinn gekommen ist
zu fragen, weldie Wirkung die Millionen Tonnen Bomben
316
hatten, die nadr Aussage des Computers iiber Vietnam ab-
geworfen wurden.) Der amerikanisdie AuBenminister Dr.
Henry Kissinger erklarte, er konne kaum von den »Skan-
dalen im WeiBen Hause gewuBt haben und klagte zugleidi
iiber »die Absdieulidikeit der Ereignisse und die Tragodie,
die sidi bei so vielen Menschen zugetragen hat,e
»Die derart besdiriebene TragOdie harte eine Handlung, aber keine
handelnden Personen. Nur .Ereignisse' waren .absd1eulim" nimt Ein-
zelpersonen oder Staatsbeamte. In diesemleblosen Rahmen waren die
Verhohnung des Remts und die Tiusmung des Volkes nimt geprobt
und praktiziert worden: sie hatten sim einfam ,zugetragen,·...
Der Mythos von der technisdien, politisdien und gesell-
sdiafllichen Zwangslaufigkeit ist ein wirksames Beruhi-
gungsmittel fUr das Bewufltsein. Seine Funktion besteht
darin, die Verantwortung jedem von den Schultern zu neh-
men, der an ihn glaubt.Aber in Wirklichkeit gibt es handelnde Personen!
So heiBt es z. B. in einem Planungspapier, das vom Direk-
tor eines groBeren Computerlaboratoriums an einer groBe-
ren Universitat an samtlidie Mitarbeiter der Fakultat ver-
teilt wurde9:
»Der groBte Teil unserer Forsdiung ist bisher von der Regierung der
Vereinigten Staaten, vor allem vom Verteidigungsministerium unter-
stutzt worden. Das wird wahrscheinlidi aum weiterhin der Fall sein.
Das Verteidigungsministerium wie aum andere Stellen innerhalb der
Regierung arbeiten an der Entwicklung und dem Einsatz komplexer
Systeme, die ein sehr groBes zerstorerismes Potential enthalten und
die zunehmend von Digitalredmern gesteuert und kontrolliert wer-den konnen. Diese Systeme sind weitgehend verantwortlich fur die
Aufremterhaltung des gegenwartigen Friedens und der Stabilitit in
der Welt, und gleimzeitig sind sie in der Lage, eine Zerstorung in
einemAusmaBfreizusetzen, das fur einenMensmen kaum faBbar ist...
Man beadite, daB nidit Menschen, sondem Systeme die
Verantwortung tragen. Soviel jedenfalls zu ihrem zersto-
rerisdien Potential; nun zu den wirklichen Problemen:
8 J. E. Hughes, ,.The Wide World of Watergate«, in: Newsweek, 10. Aug.
1973. S. 13.9 Die Zitate erfolgen mit Genehmigung des Autors. Die Hervorhebungen
stammen von mir.
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"Die entsdleidende Rolle des Computers laBt sim eher am Beispiel
seiner militirismen Anwendung verdeutlidien als an seinem Einsatz in
den nimt-militarismen Bereidien der Gesellsmaft, aber die meisten
von uns haben genug iiber die immer starker werdende Abhangigkeit
von Computern in Industrie und Handel nadigedadit, um sim ein
Bild vorstellen zu konnen, in dem das gesamte Funktionieren einer
Gesellsmafl: von einer geordneten und sinnvollen Ausfiihrung von Mil-
liarden elektronisdier Anweisungen pro Sekunde abhangt .. • wir wer-
den in Organisationen riesige Systeme aller Art haben, die in einem
Sdmellspeidier mit direktem Zugriff Millionen von Wortern enthalten
und zig Millionen Anweisungen in der Sekunde befolgen konnen. Die
meisten dieser Computer werden untereinander in komplizierten
Netzwerken verbunden sein, wodurdi sie (durdi Steuerungsmedianis-
men kontrolliert, an deren Entwicklung einige von Ihnen gerade arbei-
ten) zu jeder verfiigbaren Information iiber alles und jedes Zugang
haben. Und dieser Trend in der Entwicklung 'Von Computern ist un-
aufhaltsam ...
In der Beherrsdiung der Programmierung und der Kontrolle von
Computern konnten vor allem wir eine kritisdie Rolle spielen. Es ist
sehr wahrsc:heinlim, daB keine andere Organisation in der Lage ist,
dieselbe Rolle zu iibernehmen, nom dazu gibt es keine widitigere Rolle
in der Naturwissensmafl: und der Tedmik von heute.
Die groBe Bedeutung dieser Rolle riihrt aus dem Umstand, daB der
Computer sich zlIm festen Bestandteil der meisten Funktionen ge-
macht hat, und dies aum in Zukunfl: tun wird, die fiir die Unterstiit-
zung, Verteidigung und Entwicklung unserer Gesellsdiafl wesenrlidi
sind. Bereits heute gibt es keinen Weg zUTuck, und in ein paar Jahren
wird deutlid; geworden sein, daB wir ebenso vital von der Informa-
tionsverarbeitung unserer Computer abhangig sind wie vom Wamsen
des Getreides auf den Feldern und vom Sprudeln der Erddlquellen ...
In diesen Ausfiihrungen finder sichnicht der geringste Hin-
weis auf die Frage, ob wir diese Zukunfl: iiberhaupt wollen.
Wir sind hilflos angesichts der Flut, die unaufhaltsam ist,
ohne daB dies in irgendeiner Weise begriindet wird. Es gibt
keinen Weg zuriick. Die Frage wird nicht einmal einer Dis-
kussion fUrwert eraditet.
"Das allgemeine Problein von Steuerung und Kontrolle kann unter
versdiiedenen Gesimtspunkten betraditet werden. Das Spektrum
reidit von im wesentlidien philosophisdien Problemen, in denen es
um Bedeutung, Absimten und die Herstellung von Konformitat zwi-
schen einem geplanten und dem tatsadilidien Verhalten eines komple-
31 8
xen Systems geht, bis zu dem fast aussc:nlieBlim tec:hnismen Problem,
wie man Wanzen in Unterprogrammen findee.. .
(1m Computerjargon ist ,.Wanze« ein Programmierfehler.)
Man beachte den bomierten, namlidi technisch ausgerichte-
ten Begriff von Philosophie, der hier zum Ausdruck kommt.
Der Text fahrt fort:
"Man sollte sim nimt mit Programmiermethoden zufrieden geben, bei
denen sim Wanzen in die Programme einsc:hmuggeln konnen. Wahr-
sdieinlidi besteht der beste Weg zur Aussc:naltung von Wanzen in der
Entwicklung wanzenfreier Programmiennethoden. Niditsdestoweni-
ger sollte das Entwanzen (die Entfernung von Wanzen aus Program-
men, J. W.) im Mittelpunkt der Forsdiungsbemiihungen stehen, mit
denen wir die Programmiertedinik in den Griff bekommen wollen.
Der Grund ist darin zu sudien, daB die Forsdiung iiber das Entwanzen
zu Einsiditen in viele Probleme im Hinblick auf die Formulierung und
Losung eines Problems fiihren wird. Es handelt sim niche nur um den
Kodierungsvorgang bei der Formulierung und Ldsung eines Problems.
In dem MaBe, in dem wir die Programmiertedinik beherrsdien, wird
der Bereich der Problemlosungen sidi bestandig ausweiten und unser
Gegenseandsbereidi sim vergroBern. Das Ziel sollte eine Programmier-
methode sein, die auf diesen hoheren Ebenen ebenso frei von Wanzen
und Fehlern ist wie auf den unteren ...
Daran ist vor allem bemerkenswert, daB das hauptsadi-
liche - eigentlich das einzige - Hindernis fur eine »Pro-
blemlosung«, selbst auf diesen »hoheren Ebenen«, aus-
schlieBlich als Frage von technischen Fehlem betrachtet
werden soll. Innerhalb der Gesellschafl: gibt es keine wirk-
lichen Konflikte. Sobald wir »mensdiliche Absiditen« selbst
als technisches Problem ansehen, ist auch alles andere tech-nischer Natur.
"Es kann als simer angenommen werden, daB Computer in fast allem,
was sie tun, fehlerfreier sind als Mensc:nen. Wenn wir ein Programm
erfinden konnen, das selbst Programme sdireibt, hatten wir also einen
widitigen Sc:hritt auf dem Weg zu einer fehlerfreien Software" zuriick-
gelegt. Es ist jedodt wimtig, nimt einfad; iiber die Probleme hinweg-
zugehen, die zwischen der mensdilidien Formulierung eines Problems
und dem Verstandnis liegen, das der Computer davon hat. Der Com-
puter wird kaum ein geeignetes Programm sdireiben konnen, wenn
er das Problem vollig falsm verstanden hat ...
" S. FuBnote auf S. 247.
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Ein moglic:herweise wic:htiger Ansatz zur Beherrsc:hung der Program-
miertec:hnik und der Entwanzung griindet sic:hauf den Bau von Mo-
dellen •.• Zu Anfang bedient sic:hder mensc:hlic:heProgrammierer der
Modelle, die ihm als Hilfsmittel zur Verfiigung stehen. Am Ende iiber-
nehmen die Modelle, in einem umfassenden Modell kombiniert, den
groBten Teil der Programmierarbeit und der Entwanzung, aber der
mensc:hlic:heProgrammierer ist immer noc:h auf der Bildflac:he, sei es
zur Kontrolle, zur Aushilfe, zur heuristisc:hen Anleitung oder was
auc:h immer. Wenn die Bemiihungen erfolgreic:h waren, wird das Mo-
dell sc:hlieBlic:hzum automatisc:hen Programmierer •••
Es ist hOc:hstenszwei Jahre her, da muBte man das WOrt ,Wissenc im-
mer noc:hmit Anfiihrungsstric:hen versehen, wenn es in einem Kontext
wie dem unsrigen ersc:hien•• . Aber es besteht (innerhalb eines kleinen
Kreises von Computerwissensc:haftlern) Obereinst immung dariiber,
daB wir die Sc:hwelle erreic:ht haben, hinter der man Computer sic:h
als Trager von Wissen vorstellen kann, das sie sinnvoll und effektiv in
entsprec:hender Weise wie der Mensc:h einsetzen - wenn die Zeit ge-
kommen ist, sogar in einer dem Mensc:hen iiberlegenen Weise •.•
Gesprac:he mit und innerhalb (unserer) Fakultat lassen das starke Ge-
fiihl einer Konvergenz aufkommen, die in eine neue Ric:htung geht.
Viele empfinden ansc:heinend dieselben Probleme als vordringlic:h. Die
Umsetzung dieser Gefiihle in Worte hat viel niic:hternes Denken, Re-
flektion und viele ausgedehnte Diskussionen erfordert.
Die Konvergenz der Ric:htungen ••• enthalt die Forderung, Computer
nic:ht nur einfac:h in der Bedienung, sondem, wie bier betont wurde,
auc:h 'CJertrauenswiirdig zu mac:hen ••.
Unsere auBerordentl ic:hen Hilfsquellen werden besser geniitzt , wenn
fiir sie die vollkommene Garantie besteht, daB die computerbeherrsc:hte
Zukunfl: eine Zukunfl: ist, die w ir wollen. Vielleic:ht sind nu r wir in der
Lage, die Verwirklic:hung dieses Ziels anzusteuern.«
Der Autor dieses Dokuments - nebenbei bemerkt niemand,
der noch an anderer Stelle dieses Buches erwahnt worden
ware - sdilagt hier lediglich die Realisierung des Pro-
gramms vor, das so oft von anderen Vertretem eines tech-
nischen Optimismus hinausposaunt wurde. Seine Ausfiih-
rungen sind z , B. vollig konsistent mit der Prognose, die
H. A. Simon 1960 getroffen hat, daB
»wir innerhalb einer sehr nahen Zukunfl: - viel weniger als 2S Jahre
- tec:hnisc:h in der Lage sein werden, jede mensc:hlic:heFunktion in
Organisationen von Masc:hinen iibernehmen zu lassen. 1m selben Zeit-
raum werden wir eine umfassende und empirisc:h abgesic:herte Theorie
3 20
der kognitiven Prozesse des Mensc:hen und deren Interaktion mit
mensc:hlic:hen Emotionen, Einstellungen und Werten entwidtelt
haben* 10.«
Aber der hier zur Schau getragene »Optimismuse ist kei-
neswegs nur auf Computer besdirankt, Professor B. F.
Skinner, Haupt der behavioristischen Schule innerhalb der
Psychologie, von dem oft gesagt wird, er sei der einflu~-
reichste heute lebende Psychologe, hat vor kurzem gesdirie-
ben:
,.Die verheerenden Resultate des gesunden Mensc:henverstandes in der
Organisierung des mens<hlic:hen Verhaltens kommen in jeder Lebens-
lage zum Vorsc:hein, in den internationalen Beziehungen wie bei der
Sauglingspflege, und unser Ungeniigen in all diesen Bereic:hen wird so
lange andauern, bis eine wissensc:haft lic:he Analyse die VorteiIe einer
effektiveren Tec:hnik deutlic:h werden la£t.
In den Augen des Behaviorismus kann der Mensc:h nunmehr sein eige-
nes Gesc:hidt kontrollieren, da er weiB, was zu tun ist und wie dies zu
gesc:hehenhatll
.«
Der letzte Satz kann doch wohl nur so verstanden werden:
»Ich, B. F. Skinner, weiB was zu tun ist und wie dies zu
geschehen hate, genau wie der letzte Satz des von ~ir
zitierten Planungspapiers nur bedeuten kann, daB »wir«,
deren Aufgabe es ist, alle Krafte einzusetzen, urn die com-
puterbeherrschte Zukunft sicherzustellen, die »wire wiin-
schen, nur aus dem kleinen Kreis von Computerwissen-
.. In derselben Arbeit prophezeit Simon: ,.Eine Verdopplung der Fahigkciten
des Gehirns im Hinblick.auf Problemlosung und Informationsverarbeitung istabzusehen; es ware verwunderlich, wenn dies nicht innerhalb der nachsten
zehn Jahre erreicht wiirde... Nun, inzwischensind mehr als zehn Jahre ver-
gangen, und das Gehim ist so rauelhaft geblieben wie immer. Wir diirfen
davon ausgehen, daB Dr. Simon jetzt iiberrascht ist. Wer manchmal im Kino
eine besonders schlimmeHorrorszene sieht und sich nicht davon iiberwaltigen
lassen will, der Macht sichvielleicht bewuBt, daB die Personen auf der Lein-
wand schlieBlichnur schauspielen. Aber mit diesem Verfahren kommt man
hier nicht weiter. Professor Simon ist einer der einfluBreichstenFunktionare
der Naturwissenschaft im heutigen Amerika. Was er sagt wird wirklich ernst
genommen.10 H. A. Simon, ,.The Shape of Automation.. (1960), Neuabdr. in: Z. W.
Pylyshyn (ed.), Perspectives on the Computer RtfJolution, Englewood CliffslN. J. 1970.II B. F. Skinner, About Behaviorism, New York 1974, S. z34 u. S. zp.
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smaftlem bestehen, innerhalb dessen »wirc aufriditig spre-
men konnen und ohne euphemiseisdie Anfllhrungszeidien
zu verwenden. Es ist kein Zufall, daB die beiden Satze
jeweils am Ende der beiden Dokumente stehen. Offensidit-
lim enthalten sie die absdilieliende und widitigste Bot-schafl ,
Aber die tedinokratisdien Erloser, die es fiir unmoglidi
halten, dem mensdilichen Denken zu vertrauen und sidideshalb verpflichtet fiihlen, »vertrauenswiirdige« Compu-
ter zu bauen, die in der Lage sind, mensdilidie Absiditen
zu verstehen und menschliche Probleme zu losen, haben
audi von anderer Seite Konkurrenz bekommen. Einer der
prominentesten davon ist Professor J. W. Forrester vom
MIT, der geistige Vater der »kybemetisdien Systemtheo-
rie«. In einer Aussage vor einem VS-KongreBkomiteeU
bemerkter:
, .Meine Hauptthese lautet , daB das menschlidie Denken nidtt geeignet
ist, das Verhalten sozialer Systeme zu erklaren . .. Bis vor kurzem hat
es keine andere Moglidtkeit gegeben, das Verhalten sozialer Systeme
abzusdiatzen als durch Beobadnung, Diskussion, Behauptungen und
Vermutungen ...
Mit anderen Worten, die Art und Weise wie Plato, Spinoza,
Hume, Mill, Gandhi und so viele andere iiber soziale
Systeme nachgedacht haben, ist offensiditlidi der Methode
der Systemanalyse unterlegen. Das Problem besteht darin,
daB das menschlidie Denken auf Denkmodellen beruht.
Vnd
, .ein Denkmodell ist unklar. Es ist unvollstandig, Es is t ungenau for-
muliert. AuBerdem verlindert sidt ein Denkmodell in einem Indivi-
duum mit der Zeit und sogar im Ablauf einer Unterhaltung .•. Die
Ziele sind uneersdiiedlidi und bleiben unausgesprodten. Kein Wunder,
daB Kompromisse so viel Zeit in Ansprudt nehmen ...
1mKlartext: Es miissen Ziele und damit audi Denkmodelle
festgelegt werden, denn wie konnen wir sonst die Opera-
J2 Die folgenden Zitate von Forrester sind entnommen seinem .Testimony
before the Subcommittee on Urban Growth of the Committee on Banking
and Currency of the United States House of Representatives«, given inWashington, D. C., October 7, 1970, 91. Congress, zweite Sitzung, Teil III,
S. zoS-z6S.Zu bestelleniiber das Government Printing Office.
toren bestimmen (urn die GPS-Sprame zu verwenden), die
auf die Gegenstande angewandt werden sollen, die wir in
»erwiinschte Objekte« transformieren wollen? Und die
Vnklarheit von Denkmodellen riihrt nadi der BeobachtungForresters weitgehend aus der Vnklarheit der mensdilichen
Spradie selbst. Aum dem muB abgeholfen werden., .Computermodelle untersdteiden sidr in wesentlidter Hinsidit von
Denkmodellen. Computermodelle sind explizit formuliert. Die -mathe-matische- Begriffssdtrift, die zur Besdireibung des Modells verwendet
wurde, ist unzweideutig. Sie ist klarer und praziser als eine gespro-
diene Spradie wie etwa Englisdt oder Franzdsisdr, Computermodell-
spradten sind einfadter. Ihr Vorteil besteht in der Klarheit der Bedeu-
tung und der Einfadtheit ihrer Syntax. Die Spradie eines Computer-
modelles kann von fast jedem verstanden werden, gleidigiil tig weldie
Sdtulbildung er hat . AuBerdem konnen alle Begriffe und Beziehungen,
die sich in einer normalen Spradie klar formulieren lassen, in die
Computerspradie iibersetzt werden.«
Man muB sich wundern, warum sidi diese normale Spradie
mit all ihren Dysfunktionalitaten so lange am Leben ge-halten hat. Und wenn sie so klar ist, daB aIle Begriffe und
Beziehungen in Computerbegriffe iibersetzt werden kon-
nen, warum strengen sidi dann Linguisten wie Halle,
Jakobson und Chomsky immer noch so maditig an? Und
warum gibt es dann immer nom Dichter? Was jedodi das
eigentlidie Thema angeht: Es stimmt einfach nidit, daB
»fast jeder« die Sprache z. B. der Forrestersdien Compu-
termodelle verstehen kann. Die letzteren sind hauptsachlich
deshalb so weitgehend akzeptiert worden, wei! sie von
einem beriihmten Wissenschafl:ler von einer Prestige-Uni-
versitat stammen und weil ihre Resultate etwas sind, »was
der Computer sagt«. Die meisten Spitzenpolitiker, Ge-
werkschafl:sfiihrer und Gesellsdiaflskritiker, die sidi an der
Diskussion iiber die »Grenzen des Wamstumsc beteiligt
haben, konnten die der Kontroverse zugrunde liegenden
Computerprogramme ebensogut verstehen, als harte man
ihnen die Grundgleidiungen der Quantenphysik vorgelegt.
Aber genau wie Admiral Moorer hielten sie es fiir zweck-
maBig, der Masdiine zu »vertrauen«.Am Ende versidiert Forrester seiner Zuhorersdiafl, daB die
»Mittel in Sidirweite« sind (fiir ihn, selbsrverstandlich),
3 . 1 3
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mit denen der Unsicherheit langsam ein Ende gemachtwerden kann.
»Die groBe Unsidierheit bei Denkmodellen besteht darin, daB sie
unmoglidl die Interaktionen zwischen einzelnen Bestandteilen eines
Systems vorhersehen konnen. Bei Computermodellen ist diese Un-
sieherheitvollig beseitigt. Sobald eine Matrix von Annahmen formu-
liert isr, liefert der Computer die daraus resultierenden Konsequenzen,
und zwar fehlerlosund ohne Unsicherheitsspielraum.«Er sagt dann weiter, daB es zwar in unserem sozialen
System «keine Utopien« und keine tragbaren Verhaltens-
weisen gibt, die frei von Druck und Zwang sind, daB aber
trotzdem einige Verhaltensweisen »erwiinsdrter« als andere
sind. Und wie werden diese erwiinschten Verhaltenswei-sen ermogliduj
,.Sie sind wohl nur moglidl, wenn wir iiber ein ridrtiges Verstandnis
der Theorie dynamisdier Systeme verfiigen und bereit sind, uns der
Selbstdisziplin zu unterziehen und die Zwange zu ertragen, die die
erwiinsdlteVerhaltensweisebegleiten miissen,«
Es gibt fraglos eine Interpretation der Worte »System«
und »dynamisch«, bei der dieser Beobachtung ein richtiger
Sinn zukame, Aber in dem Zusammenhang, in dem diese
Worte stehen, haben sie die besondere Bedeutung, die For-
rester ihnen verliehen hat. Es ist also klar, daB keinerlei
Unterschied besteht zwischen Forresters Botschafl:und der
von Skinner und den anderen: der einzige Weg zur Gewin-
nung jenes Verstandnisses, das allein zu »erwiinschten Ver-
haltensweisen« fiihrt, ist die Methode einer »wissensdiafl-
lichen Analyse« nach Forrester (oder Skinner oder GPSusw.).
Die verschiedenen von uns behandelten Systeme und
Programme haben einige sehr bedeutsame Kennzeichen
gemeinsam: sie sind aIle in gewissem Sinne einfach, sie aIle
entstellen und miBbrauchen die Sprache, und sie behaupten
aIle, nichts Normatives zu enthalten, befiirworten indessen
einen Autoritarismus gegeniiber dem Expertentum. Ihre
Parteinahme wird natiirlich kaschiert durch die Verwen-
dung einer scheinbar neutralen, mit Fachausdriicken ge-
spickten Sprache (d. h. einer Sprache, die ein normalerMensch als »Bockmist« bezeichnen wiirde). Diese gemein-
324
samen Eigenschafl:en lassen sichbis zu einem gewissen Grad
voneinander trennen, aber sie sind voneinander nicht unab-
hangig.Die oberfladilidisten Aspekte der Einfachheit dieser Syste-
me - wie sie in der simplizistischen Konstruktion ihrer
behandelten Gegenstande zum Ausdruck kommt - sind
unmittelbar ersichtlich. Fiir Simon z. B. ist der Mensch
»ganz einfach«. Die »offensichtlidie« Komplexitat seinesVerhaltens verdankt sich der Komplexitat seiner Umwelt.
Jedenfalls kann er durch ein System simuliert werden, das
nur auf »ein paar einfache Parameter« reagiert, eines, das
aus nur wenigen (bestimmt sehr viel weniger als, sagen wir,
10000) »elementaren Informationsprozessen« besteht.
Der von mir zitierte Laboratoriumsdirektor ist der An-
sidit, daB es am zweckmalligsten ist, das Problem der
menschlichen Intentionalitat durch Forschungsarbeiten iiber
Techniken zur »Entwanzung« von Computern einer Lo-
sung naher zu bringen, eine Ansicht, die von vielen seinerKollegen geteilt wird. Skinner sieht den Menschen als im
wesentlichen passives Produkt seiner genetischen Ausstat-
tung und seiner Geschichte von Verscarkungskontingenzen.
Der Hauptunterschied zwischen Skinners System und GPS
sdieint der zu sein, daB Skinner nur das »input-output-
Verhaltene betraditen modite (um im Computerjargon zu
spredien), wahrend die Schopfer von GPS und ahnlidien
Systemen der Ansidit sind, sie konnten auch einige Aussa-
gen dariiber machen, was innerhalb des Organismus selbst
vor sidi geht. Aber die philosophischen Unterschiede zwi-schen beiden Einstellungen sind geringfiigig. Fiir Forrester
besteht die ganze Welt budistablidi aus lauter Riickkopp-
lungssdileifen."Riidtkopplungssdlleifen sind die Grundbausteine von Systemen••.
Eine Riidtkopplungssdlleife besteht aus zwei Arten von Variablen, die
hier als Niveaustands- und FlieBgesdlwindigkeitsvariablebezeidinet
werden. Diese beiden Arten von Variablen sind notwendig und hin-
reidiend ..• Die Niveaustandsvariablen sind Akkumulationen oder
Integrationen •.• Veranderte FlieBgesdlwindigkeiten bewirken eine
Veranderung des Niveaustandes. Die Niveauseande liefern die Ein-gabeinformationen fiir die Gesdrwindigkeitsgleidmngen, die den
DurdlfluBregeln.
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Die FlieBgleichungen sind die Formulierungen der Systempoli tik. Sie
legen fest, auf welche Weise die erhaltene Information in einen Hand-
lungsfluB umgewandelt wird .•. Eine FlieBgleichung stel lt die Diskre-
panz fest zwischen dem Soll- und dem Istzustand. Und schlieBlich
formuliert sie die Aktion, die aus dieser Diskrepanz folgen wirdll.«
Man beachte die sprachlichen Oberschneidungen zwischen
dieser Aussage und der Diskussion von Newell und Simon
von Problemen und Problemlosungen (6. Kap.). Die Letzt-
genannten sprechen von »vorhandenene und »erwiinsdi-
ten« Gegenstanden, tiber Unterschiede zwischen beiden,
Operatoren, die diese Unterschiede reduzieren, tiber Ziele
usw. Der Unterschied zwischen ihrem System und dem
von Forrester liege hauptsachlidi in den unterschiedlichen
Klassen der »elementaren informationsverarbeitenden«
Bausteine, die beide verwenden und natiirlich in der Tat-
sache, daB GPS sich heuristischer Methoden bedient, mit
denen die Suche nach Operatoren etc. verkiirzt werden
kann, wahrend in Forresters System alles explizit algorith-
miert ist, und zwar als Flieflgeschwindigkeits- und Niveau-
standsvariable in Verbindung mit Riickkopplungsschleifen.
Aber die Auffassungen von der Welt, die in beiden Syste-
men zum Ausdruck kommen, sind im Grunde dieselben.
Und sie sind sehr einfach.
Aber diese Systeme sind auch in einem tieferen und widi-tigeren Sinne einfach. Sie haben die Vemunft selbst ledig-
lich auf deren Rolle bei der Beherrschung von Dingen,
Menschen und letztlich der Natur reduziert.
sDie Begriffe wurden auf Zusammenfassungen von Merkmalen redu-
ziert, die mehrere Exemplare gemeinsam haben. Indem sie eine ~hn-
lichkeit bezeidinen, entheben die Begriffe der Miihe, die Quali taten
aufzuzahlen, und dienen so dazu, das Material der Erkenntnis besser
zu organisieren. Man sieht in ihnen bloBe Abbreviaturen der einzelnen
Gegenstllnde, auf die sie sich beziehen. Jeder Gebrauch, der iiber die
behelfsmaBige, technische Zusammensetzung faktischer Daten hinaus-
gehe, ist als eine letzte Spur des Aberglaubens geti lgt , Begriffe sind zu
widerstandslosen, rationalisierenden, arbeitssparenden Mitteln gewor-
den .. , (das) Denken selbst (ist) auf das Niveau industrieller Prozesse
13 J. W. Forrester, Urban Dynamics, CambridgelMass. 1969, S. 13 if.
326
reduziert worden .•. kurz, zu einem festen Bestandteil der Produktion
gemachtu.«
Keiner, dem die technische Grundlage der Systeme nicht
vertraut ist, von denen ich rede, kann vermutlich nadiemp-
finden, wie deprimierend genau diese Worte darauf zutref-
fen. Sie stammen von dem Philosophen und Soziologen
Max Horkheimer, der sie 1947 niedergeschrieben hat, Jahre
bevor die Kdifte, die bereits damals die Vemunft verfin-srerten, um mit Horkheimer zu sprechen, schlieBlich budi-
stablich in Maschinen verkorpert wurden.Diese Passage - insbesondere angesichts der Tatsache, wannund von wem sie geschrieben wurde - belehrt uns noch ein-
mal, daB der Computer, wie er gegenwartig von den tech-
nischen Eliten eingesetzt wird, fUr nichts die Autorenschaft
hat. Er ist vielmehr ein Instrument, das in den Dienst ge-
zwungen wurde, um die konservativsten, ja reaktionarsten
ideologischen Stromungen des gegenwartigen Zeitgeistes zu
rationalisieren, zu unterstiitzen und am Leben zu erhalten.An den von uns untersuchten Systemen hat sich eindeutig
gezeigt, daB Bedeutung vollig in Funktion transformiert
worden ist. Die Sprache, und damit auch die Vernunft, ist
zu nichts anderem gemacht worden als zu einem Instru-
ment, mit dem die Dinge und Ereignisse in der Welt beein-
fluBt werden konnen. Nichts von dem, was diese Systeme
tun, hat eine immanente Bedeutung. Es gibt nur Ziele, die
von Fluten diktiert werden, die unaufhaltsam sind. Es gibt
nur noch Zweck-Mittel-Analysen zum Aufspiiren von
Diskrepanzen zwischen dem »beobachteten Zustand« unddem Zustand, den uns das Schicksal, das uns zustoBt, als
den erwiinschten bezeichnet. 1m Prozef unserer Anpassung
an diese Systeme haben wir uns, einschlieBlich der Admi-
rale unter uns, nicht nur selbst entmannt (d. h. uns der Im-
potenz iiberlassen), sondern auch unsere ganze Sprache.
Denn nun, da die Sprache lediglich zu einem Werkzeug
unter vielen gemacht worden ist, haben alle Begriffe, Ideen
und Phantasien, die von Klinstlern und Schriftstellem nicht
14 M. Horkheimer, Zur Kritik Jer instrumtntellen Vemunf/, Frankfurt 1967,
S. 30 f.
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in eine computerverstandliche Spradie gebradit werden
konnen, ihre Funktion und ihre Potenz verloren. Forrester
sagt uns das mit wilnschenswerter Deutlichkeit - aber man
sieht im Geiste die andern beifallig nicken: »Alle Begriffe
und Beziehungen, die sidi in einer normalen Spradie klar
formulieren lassen, konnen in die Computerspradie tiber-
setzt werden.« Die Beweislast dafiir, daB etwas »klar for-
muliert« ist, tragt der Dichter, Kein Wunder, daB bei die-sem Begriff von Spradie die Untersdieidung zwischen dem
Lebendigen und dem Leblosen, zwischen Mensdien und
Masdiinen, aus der Welt des Realen verdrangt wurde. 1m
besten Fall handelt es sidi um Untersdiiede in der Nuan-cierung.
In der Rhetorik der tedmisdien Elite ist die korrumpierte
Spradie fest verankert. Wir haben bereits auf die Trans-
formation der Bedeutung des Wortes »versrehen« hinge-
wiesen, aus dem Minsky einen rein instrumentellen Begriff
gemadit hat. Und nattirlidi ist es diese Interpretation, diein aIle Systeme einflieBt, iiber die wir gesprodien haben.
Newells und Simons Gebraudi des Wortes »Probleme ist
ein anderes Beispiel und nidit minder signifikant,
Zur Zeit der Studentenunruhen an den amerikanisdien
Universitaten konnte man oft von wohlwollenden Red-
nern horen, die Unruhe, zumindest die an der eigenen
Universitat, sei hauptsadilich auf eine ungeniigende Kom-
munikation zwischen den versdiiedenen Teilen der Univer-
sitat zuriickzufUhren, z. B. den Fakultaten, Fachschaflen,
der Administration usw. Somit wurde das »Problem« imPrinzip unter dem Aspekt der Kommunikation, d. h. als
tedmisdies gesehen. Aus diesem Grund konnte es mit
technisdien Mitteln gelost werden, indem man z. B. ver-
sdiiedene ,.heiBe Drahte« etwa zwischen den Biiros des
Prasidenten und der Dekane legte, Vielleidit gab es Kom-
munikationssdrwierigkeiten, die gibt es an fast allen Uni-
versitaten, Aber diese Sidit des »Problemse - vollig in
Einklang mit Newells und Simons Sidit des »mensdilichen
Problemlosens« und ihrer instrumentellen Argumentation
- verbirgt und versdiiitret effektiv die Existenz realer Kon-flikte. Es kann z. B. sein, daB Studenten genuin ethisdie,
3 z 8
moralisme und politisdie Interessen haben, die mit den
Interessen in Widersprum stehen, die die Universitats-
administration als die ihrigen ansieht, und daB jede Gruppe
die Interessen der anderen genau versteht. Dann besteht
ein edites Problem und keine Kommunikationssdrwierig-
keit, jedenfalls keine, die sidi durdi das tedmisdie Mittel
heiBer Drahte beheben laBt. Aber die instrumentelle Ver-
nunft verkehrt jedes nodi so genuine Dilemma in ein bIoBesParadox, das dann durch Anwendung von Logik und Be-
rechnung aufgehoben werden kann. AIle konfligierenden
Interessen werden allein durch die Interessen der Tedmik
ersetzt.Wie die Gesdiidite von Philip Morrison ist audi diese eine
Parabel. Ihre weitergehende Bedeutung liegt darin, daB die
Korruption des Wortes »Problem« in ihrem Gefolge die
Mystik des »Problemlosens« hatte - mit katastrophalen
Folgen fUr die ganze Welt. Wenn jedes Problem auf dem
Feld der internationalen Politik von den »besten und intel-Iigentesten« Problemlosern als bIoBes tedmisdies Problem
diagnostiziert wird, dann werden Kriege wie der in Viet-
nam wirklidi unvermeidlidi, Die Anerkennung zutiefst
konfligierender, aber legitimer Interessen von nebeneinan-
der existierenden Gesellsdiaflen - und fraglos ist diese
Anerkennung eine Vorbedingung fiir eine Konfliktlosung
oder -regelung - wird von Anfang an unmoglidi gemadit,
Statt dessen werden die einfadisten Kriterien angewandt,
um Differenzen festzustellen, nadi Mitteln zur Reduktion
dieser Differenzen zu sudien und sdilielllich auf die »vor-liegenden Objekte« Operatoren anzusetzen, um aus ihnen
»erwiinsdrte Objekte« zu madien. In der Tat ist es vollig
verniinftig, wenn mit» Vernunfl« eine »instrumentelle Ver-
nunfl« gemeint ist, gegeniiber einem »kommunistisdi be-
herrsditen« Vietnam (eindeutig ein »unerwiinsdites Ob-
jekte) amerikanisdier Streitkrafle, Bomber vom Typ B-52,
Napalm und alles andere einzusetzen, um es vermittels
dieses »Operators« in ein »erwiinschtes Objekt« zu trans-
formieren, namlidi in ein Land, das den amerikanisdien
Interessen dient.Die Medianisierung von Vernunft und Spradie hat Kon-
3Z9
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sequenzen, die weit jenseits von denen liegen, die von den
zitierten Problemlosern gesehen werden. Lange bevor
Computer zum Fetisch wurden und der Verfinsterung der
Vemunft eine konkrete Gestalt gaben, hat Horkheimer
uns die notwendige Perspektive eroffnet:
»Gerechtigkeit, Gleichheit, Gliidt, Toleranz, aIle die Begriffe, die ..•
in den vorhergehenden Jahrhunderten der Vernunft innewohnen
oder von ihr sanktioniert sein sollten, haben ihre geistigen Wurzelnverloren. Sie sind noch Ziele und Zwedte, aber es gibt keine rationale
Instanz, die befugt ware, ihnen einen Wert zuzusprechenund sie mit
einer objektiven Realitat zusammenzubringen. Approbiert durdr ver-
ehrungswiirdige historisdie Dokumente, mdgen sie sidi noch eines
gewissenPrestiges erfreuen, und einigesind im Grundgesetz der groB-
ten Lander enthalten. Nichtsdestoweniger ermangeln sie der Bestati-
gung durdr die Vernunft in ihrem modernen Sinne.Wer kann sagen,
daB irgendeines dieser Ideale enger auf Wahrheit bezogen ist als sein
Gegenteil? Nadi der Philosophie des durdisdmirrlidien modernen
InteIlektueIlen gibt es nur eine Autoritat, namlidi die Wissenschaft,
begriffen als Klassifikation von Tatsachenund Berechnungvon Wahr-scheinlichkeiten.Die Feststellung, daB Gerechtigkeit und Freiheit an
sich besser sind als Ungerechtigkeit und Unterdriidtung, ist wissen-
schaftlichnidit verifizierbar und nutzlos. An sich klingt sie mittler-
weile gerade so sinnlos wie die Feststellung, Rot sei schoner als Blau
oder ein Ei besseralsMilch15.«
Wie wir selbst ebenfalls beobachtet haben, erlaubt die
Verdinglichung komplexer Systeme, die keine Autoren
haben und iiber die wir lediglich wissen, daB sieuns irgend-
wie von der Naturwissenschaft geschenkt wurden und daB
sie mit deren Autoritat sprechen, keinerlei Fragen iiberWahrheit oder Gerechtigkeit.
Ich weiB nicht, warum die von mir angefiihrten Fiirspre-
cher moditen, daB die von ihnen vorausgesagten Entwidt-
lungen auch eintreten. Einige von ihnen haben mir als
Begriindung angegeben: »Wenn wir es nicht tun, tut es
jemand anderer«, was einer moralischen Bankrotterkla-
rung gleichkommt. Sie befiirchten, daB schlechte Menschen
superintelligente Maschinen bauen und sie zur Unterdriik-
kung der Menschheit einsetzen, und daB die einzige Ab-
If Ibid., S. 32 f.
330
wehr gegeniiber diesen feindlichen Maschinen in der Ent-
widtlung superintelligenter Maschinen besteht, die von
»uns« kontrolliert werden, d. h. von Personen mit lauteren
Absichten. Andere gestehen ein, daB sie ihre Autonomie
unter Berufung auf das »Prinzip« der technischen Zwangs-
laufigkeit aufgegeben haben. Aber letzten Endes ist alles,
was ich von diesen Leuten mit Sicherheit sagen kann, daB
sienicht dumm sind. Alles iibrige bleibt ein Ratsel.Es ist fast genauso sdiwer einzusehen, warum die Offent-
lichkeit auf solche Ideen hodistens gleichgiiltig, mandimal
jedoch sogar enthusiastisch reagiert. Die Rhetorik der tech-
nischen Intelligenz ist vielleicht attraktiv, da sie an die
Vemunft zu appellieren scheint. Das tut sie fiirwahr. Aber
was sie herausfordert, ist eine instrumentelle Vernunft,
keine wirkliche menschliche Rationalitat, Sie preist leichte
und »wissensdiafllidi« verbramte Antworten auf alle er-
denklichen Probleme an. Sie macht sich den Mythos des
Expertentums zunutze, Auch hier spielt die Korruption derSprache eine wichtige Rolle. Die Sprache der »kilnstlidien
Intelligentsia«, der Verhaltensmodifizierer und der Sy-
stemanalytiker ist mystifizierend. Menschen, Dinge, Ereig-
nisse werden »programmiert«, man spricht von »inputs«
und »ouputs«, von Riidtkopplungsschleifen, Variablen,
Parametem, Prozessen usw., bis schlieBlich jede Verbin-
dung mit konkreten Situationen zur Abstraktion ver-
dampft ist. Was iibrig bleibt, sind Schaubilder, Datenmen-
gen und Ausdrucke, Und nur »wir«, die Experten, konnen
sie verstehen. »Wir« sind es - und sei es auch nur zu Zwek-ken unserer Imagep£1egein der Offenlichkeit -, die sich urn
die gesellschaftlichen Konsequenzen »unserer« Handlungen
und Plane Gedanken machen. Planungspapiere wie das von
mir zitierte enthalten fast immer einen einleitenden Ab-
schnitt, in dem beilaufig auf das zerstorerisdie Potential
unserer Gerate eingegangen wird. Und »wir« schreiben
Aufsatze iiber die gesellschaftlichen Implikationen unserer
Erfindungen. Aber wie ich an anderer Stelle bemerkt habe,
stellen sich diese Artikel als bemerkenswerte N abelschau
heraus.
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»Typische Aufsatze zum Thema -Der Einflufi von Computern auf die
Gesellsc:hafl:csind gewohnHd!. so aufgebaut: Zunad!.st gibt es ein .Einer-
seitse-Statement, Darin wird von all dem Guten gesprod!.en, das die
Computer sdion fiir die Gesellschaft geleistet haben, und oft wird sa-
gar zu beweisen versudit, daB die soziale Ordnung langst aus den
Fugen geraten ware, hatte die -Computer-Revolution- nidit statt-
gefunden. Sodann folgt eine .Andererseits<-Warnung, in der von
bestimmten Problemen die Rede ist, die die Einfiihrung von Compu-
tern mit sid!. bringt, Die Bedrohung der Privatsphare durdi groBe
Datenbanke, die Gefahr einer Arbeitslosigkeit groBen Seils durdi die
Automatisierung der Industrie werden gern angefiihrt. Sd!.lieBlid!.
preist man die grandiosen gegenwartigen und zukiinftigen Errungen-
sd!.aften der Computertedmik und fiihrt den Nachweis, daB aud!. die
Gefahren, auf die man im zweiten Teil anspielte, durdi tedmisdie
Kniffe behoben werden kdnnen. Der Sd!.luBteil besteht aus einem an
die Gesellschaft geriditeten Pladoyer fiir groBziigige Unterstiitzung
weiterer und umfassenderer Computerforschung und -entwiddung.
Dies ist fiir gewohnlid!. mit der mehr oder weniger bemantelten Be-
hauptung verbunden, daB nur die Computer- Wissensd!.aft, das heillt
also, nur der Computerwissensd!.aftler, die Welt vor dem zugegebe-
nermaBen gefahrlidien Eingriff der angewandten Computer-Tedmik
bewahren konne1'.«
Die wirkliche Botschaft solch typischer Aufsatze besteht
deshalb darin, daB der Experte sich um alles kiimmem
wird, sogar um die Probleme, die er selbst erst schafft. Er
braucht mehr Geld, und zwar standig, Aber er beruhigt
nur ein Publikum, das sowieso nichts Naheres wissen will.
Und welche Antwort haben die Technologen auf die hiervorgebrachten Vorwiirfe? .
Erstens tun sie sie als blolle philosophische Fragen abo Soerhielt ich nach dem Erscheinen meines Artikels iiber den
EinfluB von Computem auf die Gesellschaft Hunderte von
Briefen, aber nur einen aus den Reihen der kiinstlichen
Intelligenz. Er stammte von einem ehemaligen Schiiler
Simons, und in ihm hieBes:
»Soweit es um die Gesellsd!.aft als Ganzes geht, sind die Haupteffekte
der Computerted!.nik wid!.tiger als ihre (sic) Nebenwirkungen. Nur der-
jenige, der eher philosophisd!.e Neigungen verspiirt, wird die mdg-
16 J. Weizenbaum, »Der Einflu6 von Computern auf die Gesellsdtaft:cin:Psyr:he, Vol. XXIX (1973), S. 171-83, hier S. '7'.
lichen Nebenwirkungen fiir wid!.tiger halten .•• Man md sd!.on lange
sud!.en, um jemanden zu finden, der mehr als nur ein paar Stunden
iiber die philosophisd!.en Implikationen nad!.denkt17.«
Das steht natiirlich vollig in Einklang mit Horkheimers
Beobachtung, daB die Sprache sogar ihr Recht verloren hat,
in nicht-instrumentelIen, d. h. philosophischen Begriffen zu
sprechen. Aber eine Antwort, deren Bedeutung unmittel-
barer einzusehen ist, wurde von Dr. Kenneth B. Clark aufeiner Tagung gegeben, die vor nicht allzu langer Zeit am
MIT stattfand. Er hatte gerade seiner Besorgnis dariiber
Ausdruck verliehen, daB das MIT seine Moglidikeiten
nicht starker fiir die Losung sozialer Fragen einsetzte. Er
sagte (ich zitiere aus dem Gedachtnis): »Hier ist ein groBes
Institut, das sich der Naturwissenschaft und Technik ver-
schrieben hat und auf diesem Gebiet hodise kompetent ist.
Warum setzen Sie in dieser schweren Zeit Ihre Instrumente
und Techniken nicht fiir die brennenden sozialen Fragen
der Zeit ein?«Ich behauptete dagegen, daBAntworten auf die drangenden
Fragen unserer Zeit nicht ausschlieBlich in Naturwissen-
schaft und Technik zu finden seien. Ich sagte, seine Suche
nach technischen Losungen groBer Probleme, z, B. sein
Vorschlag, die grofsen Manner der Weltpolitik regelmallig
mit Tranquilizem zu versorgen, fiihre moglidierweise ganz-
lich in die Irre."
Er erwiderte darauf: »Idi bin seit langem zu dem SchluB
gekommen, daB Antworten auf die groBen Fragen, denen
sich die Menschen aller Zeiten gegeniiber sahen, nur einemrationalen Denken entspringen konnen. Die einzige Alter-
native ist jene Art von Geistlosigkeit, die, wie wir gesehen
haben, nur in Gewalt und Zerstorung ausartet.«
Man konnte diese Auffassung gewiB unterstiitzen, aber
nur, wenn mit Rationalitat etwas anderes gemeint ist als
die bloBe Anwendung von Naturwissenschaft und Technik,
wenn Rationalitat nicht implizit und automatisch mit Be-
rechenbarkeit und logischem Denken gleichgesetzt wird.
17 L. s . Coles, »Brief an denHerausgeberc, in Science, 10. Nov. 197Z.18 K. B. Clark, »Leadership and Psydtotedtnologyc, in: New York Times,
9· Nov. '97'.
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Die Alternative zu der Art Rationalitat, die die Losung
der Weltprobleme in der Psychotedmik erblickt, ist nicht
Geistlosigkeit. Es ist eine VemunA:, die sich wieder auf
ihre menschliche Wiirde besinnt, auf Echtheit, Selbstadi-
tung und individuelle Autonomie.
Die instrumentelle VemunA: hat aus Worten einen Fetisch
gemacht, der von schwarzer Magie umgeben ist. Und nur
die Magier haben die Rechte der Eingeweihten. Nur siekonnen sagen, was die Worte bedeuten. Und sie spielen mit
Worten und betriigen uns. Wenn Skinner die Naturwissen-
schaA:dem »common sense« gegeniiberstellt und behauptet,
die erstere sei diesem weit iiberlegen, dann meint er seine
»Verhaltenswissensdiafl«, und das Wort »common« in
»common sense« hat bei ihm eine abwertende Bedeutung.
Er meint keinen »common sense«, dem eine gemeinsame
kulturelle Perspektive eignet, noch einen, der ohne »ver-
niinfligen« Grund bei dem Gedanken ersdirickt, Freiheit
und Wiirde seien absurde und iiberholte Begriffe.Der Technologe behauptet immer wieder, Ansichten wie
die hier vorgetragenen seien anti-tedmisdi, anti-wissen-
schaA:lichund schlieBlich anti-intellektuell. Er wird versu-
chen, alle Argumente gegen seine groBenwahnsinnigen
Visionen als Argumente fiir die Abkehr von VemunA:,
Rationalitat, NaturwissenschaA: und Technik auszugeben,
als Pladoyer fiir pure Intuition, Gefiihl, drogen-induzier-
tes Bewuiltsein usw. In Wirklichkeit spreche ich fu r eine
Rationalitat, Aber ic h behaupte, daB man Rationalitat
nicht von Intuition trennen kann. Ich pladiere fUr denrationalen Einsatz von NaturwissenschaA: und Tedmik,
nicht fiir deren Mystifikation und erst recht nicht fiir deren
Aufgabe. Ich fordere die EinfUhrung eines ethischen Den-
kens in die naturwissenschaA:liche Planung. Ich bekampfe
den Imperialismus der instrumentellen VernunA:, nicht dieVernunA:an sich.
Es wird behauptet, man konne immer Manner finden, die
der Ansicht waren, ihre Zeiten seien voll der emstesten An-
zeichen bevorstehender Katastrophen, ja, daB ihre Zeit die
schlechteste aller moglidien Zeiten fUr die ganze Menschheitsei. Zugegeben, wir, die wir die Zeit erlebt und bewuBt er-
334
fahren haben, als der Faschismus iiberall den Sieg davon-
zutragen schien, wir sahen bereits das Ende aller Zivilisa-
tion auf uns zukommen. Irgendwie hat die Zivilisation
diese Bedrohung iiberlebt - eine Bedrohung, die die heutige
Generation nicht mehr verstehen kann. Aber damit ist
nicht gesagt, daB die Zivilisation sie oder den Weltkrieg,
der nur zwei Jahrzehnte zurllcklag, unversehrt iiberstanden
hat. Wir haben wie niemals zuvor erfahren, was der Menschseinen Mitmenschen antun kann. Deutschland verwirk-
lichte die »Endlosung« des »judenproblemse wie ein Lehr-
stiick in instrumenteller VernunA:. Die Menschheit befiel ein
kurzes Schaudem, als sie ihren Blick nicht langer von dem
Gesdiehenen abwenden konnte, als die von den Mordern
selbst aufgenommenen Bilder die Runde machten und als
die traurigen Uberlebenden wieder aus dem Dunkel auf-
tauchten, Aber am Ende machte es keinen Unterschied.
Dieselbe Logik, dieselbe kalte und erbarmungslose Anwen-
dung rechenhaA:er VemunA: sdilachtete in den folgendenzwanzig Jahren mindestens ebenso viele Menschen ab wieden Technikem des Tausendjahrigen Reiches zum Opfer
gefallen waren. Wir haben nichts dazugelemt. Die Zivilisa-
tion ist noch genauso gefahrdet wie damals.
Aber wie jede Zeit dieselben Kassandrarufe vemommen
hat, so hat auch jede Zeit gelemt, als wie wenig prophe-
tisch sie sich stets herausstellen sollten. Es sind sehr viele
Zivilisationen vemichtet worden, doch nie die ganze
Menschheit. Aber diesmal ist es anders. Vielleicht konnen
wir es nicht mehr horen, aber es ist nicht zu leugnen: diesesMal ist der Mensch in der Lage, alles zu vernichten. Nur
seine eigenen Entscheidungen konnen ihn davor be-
wahren.
Man kann auch oA:vemehmen, Religion sei das Opium des
Volkes gewesen. Ich vermute, daB damit gesagt werden
sollte, daB man Menschen mit Visionen vom guten Leben
betaubte, das sie sicher erwarten wiirde, wenn sie nur gedul-
dig in der irdischen Holle ausharrten, die ihre Herren
ihnen bereitet hatten. Andererseits kann es sein, daB Reli-
gion iiberhaupt kein Suchtmittel war. Ware sie das gewe-sen, dann ware vermutlich Gott nicht gestorben, und die
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neue Rationalitat harte nicht ihren Sieg iiber die Gnade
Gones davongetragen. Aber eine instrumentelle Vernunft
eine triumphierende Technik und eine ziigellose Natur-
wissenschaft s ind Sudirmittel. Sie schaffen eine konkrete
Wi~kl~~keit, einen sich selbst erfullenden Alptraum. Dieoptimistisdien Technologen haben moglicherweise doch
recht: vielleicht haben wir den Punkt erreicht, an dem es
kein Zuriick. mehr gibt. Aber ist das ein Grund fUr dieMannschaft, die uns so weit gebracht hat, in Jubelrufe aus-
zubrechen? Warum sehen die Passagiere nicht von ihren
Spielbrettern auf? Und schlieBlich, da endlich wir anstelle
G?ttes .mit dem Universum Wiirfel spielen, wie schaffenwir es, immer nur Gewinnwiirfe hinzulegen?
10.Gegen den Imperialismus derinstrumentellen Vernunft
DaB der Mensch durch die Mittel seiner Naturwissenschaft
und Technik eine enorme Macht angehaufl hat, ist eine der-
art banale Platitude, daB sie zwar paradoxerweise nochgenauso verbreitet ist wie eh und je, in einer ernsthaften
Unterhaltung jedoch nicht mehr so oft wiederholt wird. Zu
dem Paradoxon kommt es, wei! eine Planheit, die aufhort,
Allgemeinplatz zu sein, nicht mehr als Plattheit wahr-
genommen wird. In bestimmten Kreisen, wo sie des lange-
ren nicht mehr vorgebracht wurde, kann sie sogar als ihr
Gegenteil aufgefaBt werden, namlidi als profunde Wahr-
heit. Auch darin liegt eine Parabel: die Macht, die der
Mensch durch seine Naturwissenschaft und Technik erwor-
ben hat, hat sichin Ohnmacht verkehrt.Von Arbeiten wird das bestimmt so empfunden. In einer
Untersuchung der Alltagsarbeit in Amerika schreibt Studs
Terkel:
-B e i den meisten z eig t s ic h kaum verhohlene Unzufriedenheit . .. )Im
bin eine Masdiine-, sagt der Punktsdrweiiier. >I m bin in einem Kiifig
eingesperrt<, sagt der Bankbeamte, der damit nur dem Hotelportier
aus dem Mund spridn, )Im bin ein Packesels , sagt der Stahlarbeiter.
)Meine Arbeit konnte genausogut ein Affe madien- , sagt die Emp-
fangsdame. )Im bin weniger als ein landwirtschafllidier ZubehOr-
artikel-, sagt der Wanderarbeiter. )Im bin ein Objekt-, sagt das Man-
nequin. Ob sie im blauen oder im weillen Kittel arbeiten, bei allen
kommt es auf dasselbe heraus: )Im bin ein Roboter.e«
Vielleicht glauben die einfachen Leute, daB sie zwar madit-
los sind, daB es aber eine Macht gibt, namlidi die, die von
ihren Fiihrern ausgeiibt wird. Aber wie wir gesehen haben,
ist der amerikanische AuBenminister der Ansicht, daB Er-
eignisse sich einfach »zutragen«, und der Vorsitzende der
Vereinigten Stabschefs der USA bekennt, ein Sklave der
Computer geworden zu sein. Auch unsere Fuhrer suchen
vergeblich danach, wo die Macht geblieben ist.I s. Terkel, Working, New York 1974, S.XI.
337