Über die ursachen der harnveränderungen nach arterienabklemmung

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(Aus der Universitatskinderklinik Freiburg i. Br. [Prof, Dr. C. Noeggerath].) Uber die Ursachen der Harnver~nderungen nach Arterienabklemmung. Von Dr. reed. H. Hungerland. (Eingegangen am 20. April 1936.) Die bisher vorliegenden Angaben 1 fiber die Wirkung des Adrenalin auf die Harnzusammensetzung geben ein wenig klares Bild. Die Ergeb- nisse der sehr zahlreichen Untersuchungen sind teilweise widersprechend, teilweise erschweren es die verschiedenen Versuchsbedingungen, einen Vergleich durchzuffihren. Die Phosphate des Harns fand man in den meisten Versuchen zun/~chst ver- mindert, dann vermehrt; eine eindeutige Adrenalinwirkung auf die Chlorid- ausscheidung konnte bisher nicht festgestellt werden; man land sowohl Hemmung wie F6rderung der C1-Ausscheidung; die Na- und K-Abgabe in den Ham wird nach Adrenalin erheblich vermehrt; die Wasserstoffionenkonzentration des Harns wird vortibergehend erh6ht; dann folgt eine verminderte S/~ureausfuhr. Die Harn- sekretion wird zun/tehst gehemmt, dann, wenn auch meist nur andeutungsweise, gesteigert, beim Kaninchen oft auf das 2--3fache. Die gleichen Harnver/i, nderungen, die nach Adrenalininjektion beob- achtet wurden, fand ich 2, a in /~hnlieher Weise naeh zeitweiser Ab- klemmung der Carotiden und Femoralisarterien. Sie sind dadurch ge- kennzeichnet, dab ein Anstieg in der Ausscheidung der Gcsamtbasen, des Bicarbonats, h/~ufig des Chlors und des Wassers eintritt; dagegen nehmen der S/s und die Phosphatausscheidung ab ; im ganzen ein Bild, das man als Basenaussehfittung beschreiben bzw. das man als Ausdruek einer Alkalose deuten kann. Daran anschlieBend tritt dann eine Umkehr im Verhalten der einzelnen Bestandteile ein. Insbesondere steigt die Phosphatausscheidung an. Nach Carotidenabklemmung konnte eine gesteigerte Adrenalin- sekretion naehgewiesen werden 4, 5 und ich 6 konnte in letzter Zeit zeigen, dab diese vermehrte Adrenalinsekretion aueh eine Hyperglyk/~mie aus- 15st. Deshalb untersuchte ich in mehreren Versuchen, ob es durch Adre- nalininjektion gel~nge, eine Ver/~nderung der Harnzusammensetzung zu erreichen, die der entspricht, wie ieh sie nach Carotiden und Femoralis- Abklemmungen beobachten konnte. Bei diesen Untersuchungen fiber die Adrenalinwirkung kam es mir nieht darauf an, die sicher vorhandene vielfs Wirkung in ihrer Abh/ingigkeit von Menge und Anwendungs- art zu zeigen, sondern es lag mir daran, festzustellen, ob durch Adrenalin dieselben Harnvers festzustellen w/iren wie nach Abklemmung der Arterien.

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Page 1: Über die Ursachen der Harnveränderungen nach Arterienabklemmung

(Aus der Universitatskinderklinik Freiburg i. Br. [Prof, Dr. C. Noeggerath].)

Uber die Ursachen der Harnver~nderungen nach Arterienabklemmung.

Von Dr. reed. H. Hungerland.

(Eingegangen am 20. April 1936.)

Die bisher vorliegenden Angaben 1 fiber die Wirkung des Adrenalin auf die Harnzusammensetzung geben ein wenig klares Bild. Die Ergeb- nisse der sehr zahlreichen Untersuchungen sind teilweise widersprechend, teilweise erschweren es die verschiedenen Versuchsbedingungen, einen Vergleich durchzuffihren.

Die Phosphate des Harns fand man in den meisten Versuchen zun/~chst ver- mindert, dann vermehrt; eine eindeutige Adrenalinwirkung auf die Chlorid- ausscheidung konnte bisher nicht festgestellt werden; man land sowohl Hemmung wie F6rderung der C1-Ausscheidung; die Na- und K-Abgabe in den Ham wird nach Adrenalin erheblich vermehrt; die Wasserstoffionenkonzentration des Harns wird vortibergehend erh6ht; dann folgt eine verminderte S/~ureausfuhr. Die Harn- sekretion wird zun/tehst gehemmt, dann, wenn auch meist nur andeutungsweise, gesteigert, beim Kaninchen oft auf das 2--3fache.

Die gleichen Harnver/i, nderungen, die nach Adrenalininjektion beob- achtet wurden, fand ich 2, a in /~hnlieher Weise naeh zeitweiser Ab- klemmung der Carotiden und Femoralisarterien. Sie sind dadurch ge- kennzeichnet, dab ein Anstieg in der Ausscheidung der Gcsamtbasen, des Bicarbonats, h/~ufig des Chlors und des Wassers eintritt; dagegen nehmen der S/s und die Phosphatausscheidung ab ; im ganzen ein Bild, das man als Basenaussehfittung beschreiben bzw. das man als Ausdruek einer Alkalose deuten kann. Daran anschlieBend tritt dann eine Umkehr im Verhalten der einzelnen Bestandteile ein. Insbesondere steigt die Phosphatausscheidung an.

Nach Carotidenabklemmung konnte eine gesteigerte Adrenalin- sekretion naehgewiesen werden 4, 5 und ich 6 konnte in letzter Zeit zeigen, dab diese vermehrte Adrenalinsekretion aueh eine Hyperglyk/~mie aus- 15st. Deshalb untersuchte ich in mehreren Versuchen, ob es durch Adre- nalininjektion gel~nge, eine Ver/~nderung der Harnzusammensetzung zu erreichen, die der entspricht, wie ieh sie nach Carotiden und Femoralis- Abklemmungen beobachten konnte. Bei diesen Untersuchungen fiber die Adrenalinwirkung kam es mir nieht darauf an, die sicher vorhandene vielfs Wirkung in ihrer Abh/ingigkeit von Menge und Anwendungs- art zu zeigen, sondern es lag mir daran, festzustellen, ob durch Adrenalin dieselben Harnvers festzustellen w/iren wie nach Abklemmung der Arterien.

Page 2: Über die Ursachen der Harnveränderungen nach Arterienabklemmung

Harnver/~nderungen naeh Arterienabklemmung. 49

Die Harnver/~nderungen verhielten sich nach Carotiden und Fe- moralisabklemmung insofern verschieden, als beim letzteren Eingriff die maximalen Ausschl/ige meist erst nach LSsen der Unterbindung eintraten, w/~hrend sie nach Carotidenabklemmung noch w/~hrend der Abklemmung eintreten. Diese zeitliche Differenz lieB daran denken, dab fiir die gleichen Harnver~nderungen verschiedene Ursachen wirk- sam sind. Bekanntlich ffihrt die zeitweise Unterbrechung der Blutzufuhr zu einer Extremit/~t zur Bildung von Histamin : oder, wie Th. Lewis sich vorsichtiger ausgedriickt hat, zur Bildung der H-Substanz, einer Histamin /~hnlich wirkenden Substanz. Die Histaminwirkung auf die Harnzusammensetzung ist vonA. Hiller s und anderen beschrieben worden.

A . Hiller finder ein Abnehmen der Wasserstoffionenkonzentration des Hams (p~ 7,1--8,0) und gleichzeitig Abnehmen der Ammoniak- und S/~ureausscheidung nach Histamininjektion, ein Harnbild, das man als Ausdruck einer Alkalose ansehen k6nnte. (Hiller findet da- gegen gleichzeitig im Blur "a mild uncompensated acidosis".) Es zeigt sich also ebenfalls eine weitgehende ~hnlichkeit mit unseren Befunden nach Arterienabklemmung. Da Hiller die Gesamtbasen, die Phosphate und das Chlor in seinen Versuchen nicht bestimmt hatte, fiihrte ich mehrere Versuche durch, bei denen die Harnver/inderungen nach Histamin in der oben erw/~hnten Richtung untersucht wurden.

Versuchsanordnun9. Weibliche Hunde im Gewicht yon 4--10 kg hungern 36 Stunden, erhalten aber w/ihrend dieser Zeit Wasser, das mit Beginn des eigent- lichen Versuches entzogen wird. Wi~tlrend des Versuehes befindet sich der Hund in einem Stoffwechselki~fig und wird 2stiindig katheterisiert. Der Ham wird unter Toluol aufgefangen und darin Ammoniak, Titrationsacidit/~t, Wasserstoffionen- konzentration, Gesamtbasen sofort bestimmt, Chlor und Phosphate werden sp~ter bestimmt. Von der Bestimmung des Bicarbonats muBte aus technischen Grfinden abgesehen werden. Da ich * friiher zeigen konnte, wie weitgehend die Ausscheidungs- verh~ltnisse des Ammoniaks, der Titrationsaciditat, der Phosphatausscheidung und des Biearbonats verkniipft sind, konnte die Bestimmung des letzteren unter- bleiben, ohne dab dadurch die Vergleichsm6glichkeit zwischen den Harnver/~nde- rungen, die nach Abklemmung der Arterien und solehen die naeh Adrenalin auf- treten, eingeschr~nkt werden. Am Ende einer Zweistundenperiode wurde Adrenalin bzw. Histamin injiziert. Meist wurden 2, gelegentlich 3 Harnportionen vor der Injektion entnommen. Der einzelne Versuch wurde fiber 12--14 Stunden aus- gedehnt.

Methodik. Die Analyse geschah nach den bekannten Mikromethoden: 1. Die NH4-Bestimmung wurde nach der Methode, die L. Pincussen angegeben

hat 9 ausgefiihrt. Die Apparatur wurde so ge~ndert, dab man sie beschicken und reinigen konnte, ohne sie auseinandernehemen zu mfisscn. Um die NH4-Aus- treibung vollst/~ndiger zu gestalten, saugte ich die Luft durch eine Capillare, so dab ich bei einem Druek yon etwa 18--20 mm Hg durchsaugte. Dadureh wurden unsere Fehler nie grSl~er als 2%, meist nut 1/,--1%.

2. I)ie Wassersto]/ionenkonzentration wurde elektrometriseh nach dem larinzip G. Roeders mit der yon N. Gerbers u. Co. gelieferten Apparatur bestimmt.

3. Dieselbe Apparatur benutzte ich auch zur Bestimmung der Titrations- aciditdt nach Henderson, indem ich in das eine Elektrodengef~B eine Pufferl6sung mit einem pn=7,4 gab, in das zweite Elektrodengef/tfl 1/.~ ccm Harn, zu dem solange

Z. f. d. gcs. exp. Med. 99, 4

Page 3: Über die Ursachen der Harnveränderungen nach Arterienabklemmung

50 H. Hungerland:

n/50 Na0H oder H2SO a gegeben wurde, bis das angelegte Elektrometer keinen Aussehlag mehr zeigte. Dieses Verfahren gestattet ein wesentlich einfaeheres und besseres Arbeiten als das kolorimetrisehe Verfahren.

4. Die Gesamtbasen wurden naeh Adair und Keys lO bestimmt, die mit ihrem Ver- fahren eine sehr genaue und einfache Methode gegeben haben.

5. Chlor wurde nach der Vollhardschen Methode, wie sic L. Pincussen " be- schreibt, bestimmt.

6. Die Phosphate wurden nach dem von Kleinmann verbesserten Neumannschen Verfahren 11 bestimmt mit Abanderung des Verfahrens, wie ieh es frfiher 2 be- schrieben habe.

Die Fehlerbreite der einzelnen Methoden ist bekannt, bei allen Analysen wurden Doppelbestimmungen durehgeffihrt.

Die Ergebnisse der einzelnen Versuche sind in Tabellenform wiedergegeben. Alle Werte sind als Millii~quivalente berechnet, entweder pro Liter zur Angabe der Konzentration oder als absolute Menge. ])as Phosphat wird als HPO 4 also zweiwertig berechnet. B bedeutet die gesamten fixen Basen und A die Titrations- acidit~t nach Henderson.

Ergebnisse . 1. Versuche mit Adrenalin.Injelaion.

1. Versuch fiber 12 Stunden (6. 3. 35). Hund F. 3,6 kg, 38 Stunden gehungert. Naeh der 2. Harnentnahme in Ab-

st~nden yon 20 Min. 6mal je 0,4 mg Adrenal. hydrochh intramuscular.

Tabel le 1.

Milli~quivalent pro Liter ccm[ B [ NH, A ] C1 i HPO ' It,O] pit

106,4 195,6 121,2 [ 68,0 88,1 [5,85 J

114,0 210,0 70,4 100,0 107,5 9 [5,86 126,4 177,6 37,6 I 84,0 4 ~ [6,07 284,3 104,8 7,6 64,0 7,0 [ 7,07 397,6 118,4 47,8 68.0 130,4 [6,63 271,2 182,8 169,6 410,3 16 - - ] 5,77

Absolute Mengen in Milli~quivalent

B INH41 A

0,96 1,76 ] 1,09 0,80 1,47 ] 0,49 0,38 0,53 0,11 0,85 0 , 3 1 0,02 2,39 0,71 0,29 2,71 1,83 1,70

I Cl I HPO4

0,61 0,79 0,70 0,75 0,25 I 0,14 0,19r o

,41 0,78 4,10

Aus den Zahlen des 1. Versuchs ergibt sich folgendes Verhal ten der einzelnen Bestandteile :

1. Absolute Mengen: Die Harnmenge nimmt erheblich ab. Die Ammoniak- Ausscheidung nimmt ebenfalls wie die S~ureausscheidung stark ab, desgleichen die Phosphate, die sparer in grSBter Menge ausgeschieden werden, wobei gleich- zeitig die S~ure- und Ammoniak-Ausscheidung ansteigt. Die Gesamtbasen nehmen zuniichst ebenfalls ab; ihre Ausscheidung steigt aber schon wieder an, w~hrend die'Ammoniak-, die S~ure- und die Phosphatausscheidung noch abnehmen. Dann steigt die Basenausscheidung weiter an, jetzt aber gemeinsam mit der Ammoniak-, S~ure- und Phosphatausscheidung. Die Chlorausscheidung nimmt etwas ab um spi~ter wieder zuzunehmen.

Konzentrationen: Nach derAdrenalin-Injektion nehmen die Konzentrationen des Ammoniaks, des Siturefiberschusses, des Phosphats, der Wasserstoffionen, auch des Chlors, trotz der starken Abnahme der Wasserausscheidung ab; nur die Basenkonzentration zeigt eine Zunahme auf fiber das Doppelte. Sparer steigt diese weiter an, aber jetzt gemeinsam mit der Zunahme der andern Konzentrationen.

Page 4: Über die Ursachen der Harnveränderungen nach Arterienabklemmung

ttarnveri~nderungen nach Arterienabklemmung. 51

Zusammenfassung. I n diesem Versuch ist die W i r k u n g des Adrena l in sehr ausgesprochen; besonders auffal lend ist die A b n a h m e der Phos- phate , des A m m o n i a k s und der Ti t ra t ionsac id i t~ t , sowie die A b n a h m e der Wassers to f f ionenkonzen t ra t ion . Die Zunahme der Basenausscheidung ist n icht sehr ausgesprochen. Die Maxima bzw. Minima f inden sich 2 S tunden nach der l e tz ten Adrenal in in jekt ion .

2. Versuch fiber 24 Stunden (22. 3. 35). Hund F., 7,5 kg, 38 Stunden gehungert. Nach der 3. Harnentnahme in Ab-

st~nden von 20 Min. 6real je 0,8 mg Adrenal. hydroehl, intramuseuli~r.

Milli~quivalent pro Liter

B A C1 NH4

Tabe l l e 2.

phi H P 0 4 ~

20,51 15 18,25 4,5 16 18,17

79,0 9 [ 6,88 30,1 10 15,95

5,1 8 ] 6,07 138,2 13 [7,72 285,8 12 ]7,44

327,0 280,2 231,8 176,4 187,2 447,2 506,0

3,0 --44,0 14,0 11,8 --31,0 12,0 62,2 17,0 29,0

123,6 29,0 10,0 98,8 14,0 16,0 40,8 --17,7 40,0 26,0 --32,0 66,0

Absolute Men :en in Millihquivalent

B- N ~ A C1 HPO.

4,91 0,05 --0,66 0,21 4,48 0,19 --0,50 0,19 2,09 0,56 0,15 0,26 1,76 1,24 0,29 0,10 1,50 0,79 0,11 0,13 5,81 0,53 --0,05 0,52 6,07 0,31 --0,38 0,79

0,31 0,007 0,71 0,30 0,04 1,80 3,43

Aus den Zahlen des 2. Versuches ergibt sich folgendes Verha l t en der einzelnen Bestandte i le .

1. Absolute Mengen. Die Harnmenge nimmt nach der Adrenalin-Injektion ab. Die Ammoniakausscheidung ist bei Beginn des Versuches sehr niedrig, sic nimmt zungchst zu, auch noah w~hrend der Zeit der Adrenalininjektionen, dann erst nimmt sie bis gegen Ende des Versuches ab. Der Harn ist bei Beginn des Versuches stark alkaliseh, wird in der 3. Harnportion sauer, aber der SaurefiberschuB nimmt auch erst mit der 5. Harnportion wieder ab, wobei dann im 6. und 7. Harn ein ,,BaseniiberschuB" titriert wird. Die Phosphatausscheidung ist bei Versuchs- beginn gering, sie nimmt dann zu und wird nach der Adrenalininjektion sehr gering, um daran anschlieBend sehr stark anzusteigen. Die Chlorausscheidung zeigt kein sehr charakteristisches Verhalten, sie nimmt nach der Adrenalininjektion etwas ab. Die Wasserstoffionenkonzentration, bei Versuchsbeginn am geringsten, nimmt zungchst zu; in der 6. Harnportion finder sieh eine starke Abnahme. Die Gesamt- basen werden bei Versuchsbeginn in grol~er Menge ausgeschieden, die Ausscheidung nimmt noch vor Beginn der Adrenalininjektion stark ab, f~llt mit der 4. und 5. Harn- portion waiter ab, um erst in der 6. und 7. Harnportion stark anzusteigen, jedoch geht dieser Anstieg schon mit dam Wiederanstieg der Phosphatausseheidung ein- her, w~hrend die Ammoniak- und S~ureausscheidung noch abnehmen.

Konzentrationen. Die Basenkonzentration nimmt von Beginn des Versuches an ab, erreieht w~hrend der Injektionsperiode ihr Minimum, steigt dann auf sehr hohe Werte an. Die Ammoniakkonzentration verh~lt sich genau umgekehrt, ebenso die Titrationsacidit~t, die in den ersten und letzten beiden Harnportionen einen erbeblichen BasenfiberschuB zeigt. Die C1-Konzentration ist ziemlieh niedrig, sie steigt in der letzten ttarnportion an. Die Phosphatkonzentration zeigt in der 2. und 5. Harnportion sehr niedrige Werte. In den letzten Harnportionen erfolgt ein erheblicher Anstieg der Konzentration. Die Wasserstoffionenkonzentration ist bei Versuehsbeginn sehr niedrig, erreicht in der 4. Harnportion ihr Maximum, um dann wieder abzunehmen, wobei der Harn wie zu Beginn des Versuches al- kalisch wird.

4*

Page 5: Über die Ursachen der Harnveränderungen nach Arterienabklemmung

52 H. Hungerland:

Zusammenfassung. Dieser Versuch ve rmi t t e l t kein sehr klares Bi ld der Adrena l inwirkung . Abgesehen :con der Phospha taussche idung zeigen die Verhs der ers ten und der le tz ten beiden H a rnpo r t i one n weit- gehende l~bere ins t immung. I n diesen Ha rnen l inden sich hohe Basen- ausscheidungen der basensparenden Komponen ten . Abweichend is t hier nur das Verha l ten der Phospha te , deren Aussche idung ans te ig t , w~hrend A m m o n i a k und S~ureausscheidung noch deut l ich abnehmen.

3. Versuch tiber 12 Stunden (27. 3. 35). t tund N., 11,6 kg, 38 Stunden gehungert. Nach der zweiten tIarnentnahme

in Absti~nden yon 20 Min. 6real je 1,2 mg Adrenalin hydroehl, intramuscul~tr.

Tabe l l e 3.

Millihquivalent pro Liter cc--~ " - 7 Absolute Mengen in Millihquivalent

B I NH. A C1 ] HPO4 H2G pH

183,6 72,4 7,0 46,0 44,2 12 7,061 2,20 0,87 0,08 0,55 0,53 123,6 104,4 14,0 30,0 I 2,9 5 6,521 0,62 0,52 0,0710,15 0,01 84,4 47,6 7,9 6,0 I 1,3 30 6,01~ 2,53 1,43 0,24 10,18 0,04

106,4 21,6 3,5 4,0 I 0,7 32 6,72~ 3,40 0,69 0,11 0,I3 0,02 416,0 20,0 - -20,0 52,0 19,4 15 7,85] 6,24 0,30 - -0 ,30 0,78 0,29 407,6 22,4 1,5 84,0 165,8 17 7,29] 6,93 0,38 0,03 1,43 2,82

Aus den Zahlen des 3. Versuches erg ib t sich folgendes Verha l ten der einzelnen Bes tand te i l e :

1. Absolute Mengen. Die H~rnmenge nimmt erheblich zu, die Ammoniak- ausseheidung steigt in der 3. Harnportion etwas an, um dann wieder abzunehmen, die Si~ureausscheidung, die an sich sehr gering ist, steigt nur wenig in der 3. Harn- portion an, nimmt dann ab. In der 5. Harnportion findet sich ein erheblicher Basen- fiberschuB. :Die Gesamtbasen steigen nach der Adrenalininjektion sehr stark an, w/~hrend gleichzeitig S/~ure- und Ammoniakausscheidung abnehmen. :Die Phosphat- ausseheidung, an sich sehr gering, wird in der letzten Harnportion erheblich. Die Chlorausscheidung steigt in den letzten Harnportionen stark an.

Konzentrationen. :Die Gesamtbasenkonzentration fi~llt nach der Adrenalin- injektion zunaehst ab, steigt dann auf sehr hohe Werte an. Die Ammoniak- konzentration nimmt yon der 2. Harnportion an ab und ist in den letzten 3 Harnen ungef~hr gleich. :Die Titrationsaeidit/~t nimmt nach der Adrenalininjektion deut- lieh ab. Die Chlorkonzentration fallt in der 3. und 4. Harnportion ab, steigt in den letzten beiden ttarnen an. :Die Phosphatkonzentration zeigt ihre niedrigsten Werte naeh der Adrenalininjektion, der letzte Wert ist hoeh. Die Wasserstoffionen- konzentration steigt bis zur 3. Harnportion an, nimmt dann ab, wobei der Ham alkalisch wird und steigt erst in der letzten Harnportion wieder an.

Zusammenfassung. I n diesem Versuch f indet sich im Gegensatz zu den anderen Versuchen ein erhebl icher Anst ieg der Harnaussche idung . Die Basen- und Phospha taussche idung zeigen charakter i s t i sche Aus- schl/ige. Ebenso setzen die Ver/~nderungen der A m m o n i a k - und S/s ausscheidung, wenn auch e twas verzSgert , in der i ibl ichen Weise ein.

2. Versuche mit Histamininjektion.

4. Versueh fiber 6 Stunden (2. 4. 35). Hund F., 4,9 kg, 36 Stunden gehungert. Nach der 2. Harnentnahme im Ab-

stand yon 45 Min. 2mal je 5 mg Histamin subcutan.

Page 6: Über die Ursachen der Harnveränderungen nach Arterienabklemmung

Harnver/inderungen nach Arterienabklemmung. 53

Tabelle 4.

Milli/~quivalent pro Liter ~ Absolute Mengen in Milli/~quivalent ~ ~cm, ~- , ~ ~ - - - B ~ .....L__~ t cx I ~iv___2o,

259,9162,4 I 32,6112,01185,1 ~616,7711,5610,37 0 , 2 0 ~ 1 , 1 1 204,4 [ 89,6 I 62,2[36,0 t167,7 7 16,151 1,43 10,63 0,44 10,251 1,1v 361,2 I 40,8 I 13,0 [ 24,0 I 152,9 5 17,001 1,81 [ 0,20 0,07 [0112 [ 0,76 640,41 7,6 1--29,01 24,0 ]231,6 9 17,851 5,76 [0,07 --0,2610,22 I 2,08 38,ol l ;SI [- bSi 44 16,451 1,67 IO,62 0,5311,0611,76

293,6[64,4 I 28,0 I 28,0 1242,5 13 16,8713,82 10,84 0,36 10,361 3,15

Aus den Zahlen des 4. Versuches ergibt sich folgendes Verhalten der einzelnen Bestandteile.

1. Absolute Mengen. Die Harnmenge steigt in der 5. Harnportion sehr stark an (yon durchschnittlich 7 ccm auf 44 ccm). Die Ammoniak- und Sgureausscheidung fallen nach der Histamininjektion ab, erreichen die niedrigsten Werte im 4. Harn, zu welcher Zeit die Gesamtbasenausscheidung unvermittelt sehr stark angestiegen ist. Die Phosphatausseheidung nimmt nach der Histamininjektion ab, um im 4. Harn sehon wieder anzusteigen. Die Chlorausseheidung zeigt nur im 5. Ham einen geringen Anstieg, sie verlauft ungef~thr parallel der Wasserausseheidung.

Konzentrationen. Die Konzentration der fixen Basen steigt nach der Histamin- injektion sehr stark an und erreicht insbesondere in der 4. Harnportion abnorm hohe Werte. Die Ammoniakkonzentration und die Titrationsacidit~t nehmen naeh der Histamininjektion erheblich ab, im 4. Ham findet sich ein BaseniiberschuB und die nach der Histamininjektion abnehmende Wasserstoffionenkonzentration erreicht bier ihr Minimum (PH=7,85). Die Abnahme der Phosphatkonzentration nach der Histamininjektion ist in diesem Versuch nicht sonderlich ausgepragt. Die Chlorkonzentration ist, yon den ersten beiden Werten abgesehen, ungef~hr konstant.

Zusammen/assung. Der Einflu6 des Histamins auf die Harnzusammen- setzung ist in diesem Versuch deutlich. Er wird am besten dadurch gekennzeichnet, dab wir ihn als basenausschiit tend bezeichnen. Die basensparenden Komponenten (NH 4 und A) nehmen ab, die Basen- ausscheidung steigt s tark an, wobei der vorher saure Harn alkalisch wird. Auffallend ist der verspi~tete Eintr i t t der Diurese, die der Basen- ausscheidung geradezu nachhinkt .

5. Versuch fiber 12 Stunden (10. 4. 35). Hund P., 7,5 kg, 36 Stunden gehungert. Nach der 2. Harnentnahme Injektion

von 15 mg Histamin subcutan.

Tabelle 5.

Milli~quivalent pro Liter n ~ Absolute Mengen in Milli/~quivalent

1as,1 6,o 96,8 6,471 1,13 1 0,63 I 0,21 10,04 0,58 154,61~1',; I 3;',; 20,0 80,6 3 6,33[ 0,4610,221 00910,061 0,24 330,5 1 2,0~--31,1 8,0 7o,3 36 s,03111,9010,07]--1,1210,291 2,53 361,9 29,8 17,3 ] 12,0 229,6 29 7,02[ 10,50 [ 0,86 [ 0,50 [0,35[ 6,66 245,6 93,0 164,2 8,0 333,5 6,04[ 2,21 I 0 , 8 4 1 1 , 4 8 [0,071 3,00

Page 7: Über die Ursachen der Harnveränderungen nach Arterienabklemmung

54 H. Hungerland:

Aus den Zahlen des 5. Versuches erg ib t sich folgendes Verha l t en der einzelnen Bes t and te i l e .

Absolute Mengen. Unmittelbar nach der Histamininjektion nimmt die Harn- menge erheblich ab, steigt dann aber stark an. Aullerordentlich hohe Werte finden sich bei der Basenausscheidung, die nach kurzem Abfall in der 3. Harnportion, in der 4. Ha~nportion sehr stark ansteigt, wahrend gleichzeitig die Ammoniak- und S~ureausseheidung abnehmen, ebenso nimmt die Phosphatausscheidung ab, sie steigt aber im 4. Harn schon wieder an, erreicht in der 5. Harnportion ihr Maxi- mum, zu weleher Zeit die Basenausscheidung bereits wieder abnimmt und Ammoniak und Saureausseheidung zunehmen. Die Chlorausscheidung ist w~hrend des ganzen Versuches gering.

Konzentrationen. Die Basenkonzentration steigt im 4. Harn auf das doppelte des Vorwertes an, trotzdem die Wasserausscheidung stark zunimmt, die Kon- zentrationen aller anderen Komponenten nehmen nach der Histamininjektion ab und das Minimum der Wasserstoffionenkonzentration (p~=8,03) fallt mit dem Maximum der Ausscheidung der fixen Basen zusammen.

Zusammenfassung. Dieser Versuch zeigt dasselbe Bild, wie der vor- ausgehende 4. Versuch. Die Basenaussch i i t tung nach H i s t a m i n k o m m t st/~rker zum Ausdruck , wie auch alle anderen Ausschl~ge in d iesem Ver- such besonders grog sind.

6. Versuch fiber 12 Stunden (26. 4. 35). Hund F., 4,9 kg, 36 Stunden gehungert. Nach der 2. Harnentnahme in Ab-

stKnden yon 20 Min. je 2 mg Histamin intramuscular. Nach der letzten Injektion erbrieht Hund Galle.

:Milllaquivalent pro L i t e r

210,2 72,6 lo4,91 I

204,0 I 4,1 1 206,5 32,2 273,8 32,2

A C1

- - 8,2 40,0 l l ,2 36,0 20,2 48,0

- - 2,0 56,0 54,1 42,0 79,6 56,0

Tabe l l e 6.

Absolute Mengen in Mil l i~quivalent

HPo, ~ n.o:, 16,8 4,4[75, 6] 0,92 ]0,101--0,04]0,18] 0,07 18,7 7 ]6,38] 0,51 0,231 0,08 10,25t 0,13 19,4 4,1~ 6,4010,43 0,16 I 0,08 ]0,20t 0,08 5,2 56, [7,5~ 1,14 [0,02 [--0,0110,31 i 0,03

149,1 1 5 ~ 2 0 ]0,50 ~ 0,84 10,651 2,31 176,0 17,616,78] 4,82 10,57 ] 1,4010,99[ 3,10

Aus den Zahlen des 6. Versuches ergibt sich folgendes Verha l t en der einzelnen Bes tand te i l e :

1. Absolute Mengen. Nach der Histamininjektion zunaehst geringe Abnahme der Basenausscheidung, dann im 4. Harn Anstieg der Basenausseheidung, der bis zum Ende des Versuches anhalt. Die Harnmenge steigt ebenfalls nach malliger

.Abnahme an. Im 4. Ham zeigen die Ammoniak-, die Saure- und die Phosphat- ausscheidung ihre kleinsten Werte, in den folgenden Harnportionen nehmen sie gemeinsam zu. Die Chlorausseheidung steigt gegen Ende des Versuches gemein- sam mit der gesteigerten Wasserausscheidung an.

Konzentrationen. Nach der Histamininjektion haben in der 4. Harnportion die Ammoniak-, Phosphat- und Wasserstoffionenkonzentration (pn=7,51) Werte erreicht, die alle erheblich geringer sind als die Werte der vorausgehenden ]-Iarn- portion. Nur die Basenkonzentration erreicht fast das doppelte des Vorwertes. Die Chlorkonzentration steigt nur wenig und voriibergehend an, sie nimmt erst in der letzten Harnportion wieder etwas zu.

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Harnver/~nderungen nach Arterienabklemmung. 55

Zusammenfassung. Der 6. Versuch ergibt dieselben Verh~ltnisse wie die vorhergehenden Versuche: Nach der Histamininjektion Zu- nahme der Basenausscheidung, Abnahme der basensparenden Kom- ponenten. Gegen Ende des Versuches Anstieg der letzteren, wobei die Gesamtbasen welter mit ansteigen.

Zusammenfassende Besprechung der Versuche. Die Harnver~nderungen, die nach Adrenalin- und nach Histamin-

injektion auftreten, ergeben ein charakteristisches Bild. Die ~nderung der Harnzusammensetzung ist nach Adrenalin-, wie Histamininjektion die gleiche. Sie li~Bt sich hinsichtlich der Ausscheidung der absoluten Mengen zusammenfassend wie folgt beschreiben: Die S~ureausscheidung wird geringer und die Bestimmung der Wasserstoffionenkonzentration zeigt in 5 yon 6 Versuchen, dab der Harn alkalisch geworden ist (PH > 7,4). Der verminderten S~ureausscheidung geht die Abnahme der Ammoniak- ausscheidung parallel, und ebenso nimmt die Phosphatausscheidung ab. Wiihrend somit alle Komponenten, mit deren Hilfe der Organismus Basen einspart, vermindert ausgeschieden werden, zeigt sich, dab die Ausscheidung der Gesamtbasen zunimmt. Die Chlor- und Wasser- ausscheidung verhi~lt sich nicht sehr charakteristisch. Es findet sich sowohl Zu- wie Abnahme dieser Harnbestandteile als Folge der Adrenalin- bzw. Histamininjektion. Der Harn entspricht also in seiner Zusammen- setzung dem Bilde eines Organismus, der einen BasentiberschuB ~us- scheidet. Somit ergibt sich dasselbe Bild, das ich 2, a als charakteristische Folge der Arterienabklemmung beschrieben babe.

Ehe ich hierauf niiher eingehe, scheint es mir notwendig, den Ver- such zu machen, eine Deutung fiir die merkwiirdige ~bereinstimmung in der Wirkung zweier Substanzen zu geben, yon denen wir gewShnlich eher eine antagonistische Wirkung erwarten. Dieser Gedanke des Anta- gonismus zwischen Adrenalin und Histamin, wie er vor allem in den Arbeiten Dales und seiner Mitarbeiter wiederholt zum Ausdruck kommt, kSnnte zu einer Erkl~rung fiihren. Man k6nnte die gleiche Wirkung so deuten, da~ man beispielsweise die beobachtete ~nderung der Harn- zusammensetzung nach der Histamingabe als eine Adrenalinwirkung darstellt. :Die gleichen Harnver~,nderungen nach Histamin w~ren unter diesen Umst~nden nur der Ausdruck eines physiologischen Antagonis- mus, wobei das Histamin eine reaktive Adrenalinsekretion bedingte, die die Harnveriinderungen verursacht. Bei Untersuchungen fiber die Blutdruckwirkung des Histamins lieB sich eine sekund~re Adrenalin- sekretion nachweisen, die man auch ffir die beobachtete Blutzucker- erhShung und Zunahme der Milchsiiure im Blut nach Histamininjektion verantwortlich gemacht hat 12. Man wfirde damit einer Anschauung folgen, wie sie C. F. und G. T. Cori la fiir die Deutung der scheinbar gleichen Wirkung des Insulin und Adrenalin auf die Blutzusammen-

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56 H. Hungerland:

setzung entwickelt haben. Nachdem man nach Insulin wie Adrenalin Anstieg der Blutmilchs/~ure und Abnahme der anorganischen Phosphate gefunden hatte, konnten diese Forscher zeigen, dal3 die scheinbar gleiche Wirkung der an sich antagonistisch wirksamen Hormone darauf beruhte, dab die Insulin-Hypoglyk/~mie eine Adrenalinausschfittung veranlal3te. Und letztere verursacht die Zunahme der Milchsiiure und die Abnahme der anorganischen Phosphate im Blur. So auBerordentlich wahrschein- lich der physiologische Antagonismus zwischen Histamin und Adrenalin auch sein mag, so scheint es mir doch sehr unwahrscheinlich, die beob- achteten Harnver/~nderungen etwa nur durch Adrenalin bedingt, an- zunehmen. Denn die Beobachtungen fiber reaktive Adrenalinsekretion nach Histamin zeigen, daf$ die Adrenalinsekretion die eigentlich blut- drucksenkende Wirkung bei den entsprechenden Tieren wohl fiir kurze Zeit unterbrechen, aber nicht hintenanhalten kann. Unsere Versuchs- hunde zeigten dementsprechend nach der Histamininjektion deutlich livid verf/irbte Schleimh/~ute.

Wir mfissen uns fragen, ob die gleichen Ver/~nderungen der Harn- zusammensetzung nach Adrenalin und Histamin als entsprechende und gleiche Ver/inderungen in der Vorflutniere, im Blut, wiederzufinden sind. Tats~chlich linden sich zahlreiche ~bereinstimmungen. Sie lassen sich besser deuten, wenn wir uns daran erinnern, welche Folgen die Adrenalin- und Histaminwirkung auf den Stoffaustausch zwischen Blut und Gewebe haben kann. Betrachten wir die Grenzfiille, so ist es leicht, gleiche Wirkungen beider Stoffe hinsichtlich des Stoffaus- tausches zu folgern. Die maximale Kontraktion der Arteriolen und Capillaren wird den Stoffaustausch bzw. die Sauerstoffversorgung des Gewebes in derselben Weise hindern wie die maximale Dilatation der- selben Gef/~Bgebiete mit darausfolgender Stase des Blutes. Eppinger 14 gibt in einem yon ihm nicht weiter verfolgten Nebenbefund eine gewisse Bestiitigung dieser Anschauung. Er untersuchte die Wirkung des Histaminshocks auf die Muskelermiidung. Dabei stellte er fest, dal~ die schnelle Ermiidung des Muskels im Histaminshock auch nach Adre- nalin beobachtet werden kann.

In ausffihrlichen Versuchen konnte Helene Wastl 18 den Einflul3 des Adrenalins, des Histamins und anderer Stoffe auf die Muskeldurch- blutung zeigen. Sie nahm als Mal3stab der Durchblutung die Kon- traktionsh6he des arbeitenden Muskels. Es zeigte sich, dal3 die indi- viduelle Reaktion der Tiere auf Adrenalin sehr verschieden war, dal3 aber die reine Abnahme der Kontraktionsh6he des Muskels die h/~ufigste Folge der Adrenalinwirkung war, wobei dieser Reaktionstypus mit steigender Adrenalindosis in fast allen F~llen zu beobachten war, ,,wenn auch die Grenzkonzentrationen hierffir bei den verschiedenen Tieren verschieden hoch sind". Die Abnahme der Kontraktionsh6he, oft ihr v611iges Verschwinden land sich aber in derselben Weise wie nach

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Harnveri~nderungen nach Arterienabklemmung. 57

Adrenalin auch nach Abklemmung der Art. femoralis (Wastl verwandte den M. sartorius), nach Histamin, naeh Hypophysenstoffen, ,,wenn die begleitenden Kreislaufver~nderungen betr/iehtlich genug waren, um die Zirkulation im Muskel starker zu beeinflussen". Wurde die Adrenalin- vasokonstriktion dureh Ergotamin verhindert, so fand sieh kein Ein. flul~ des Adrenalins auf die Muskelkontraktion. Gerade die Wastlsehen Versuehe seheinen mir die entsaheidende Bedeutung der geniigenden Durchblutung des Gewebes bzw. seiner Sauerstoffversorgung, oder wie es Eppinger genannt hat, der ,,Capillarisierung" darzulegen. Ihre Versuche sind gleichsam eine Parallele zu den von mir ausgeftihrten Versuchen: Beobaehtete Wastl als Ausdruck der Ver/~nderungen des Stoffweehsels die Ver/~nderungen der Kontraktionsh6he des Muskels nach Adrenalin, Histamin und l%moralisabklemmung, so beobaehtete ieh die Auswirkung dieser Stoffweehselver/~nderungen im Harnbild. Versuehte Wastl das Entscheidende ihrer Versuchsbedingungen in der gestSrten Blutzirkulation dadurch zu zeigen, dab sie nach der Blut- druckerh5hung durch die Hypophysensubstanzen dieselbe Abnahme der MuskelkontraktionshShe beobaehtet und umgekehrt nachweist, dub Adrenalin unwirksam wurde, wenn die Blutdruckwirkung ausfiel, so zeigte ieh, dab der im wesentlichen nur nerv5s bedingte Blutdruek- anstieg naeh Carotidenabklemmung dieselben Folgen zeitigt, wie Adre- nalin- oder Histamininjektion oder Femoralisabklemmung.

Eppinger sieht die Histaminstase als Ursaehe des vermehrten Milch- siiuregehaltes des Blutes an, der einen so feinen Indicator der Blut- versorgung der Muskulatur darstellt und j ede StSrung des Gleichgewichts- zustandes zwischen anaeroben Zerfall des Glykogens zur Milchs/i.ure und seiner aeroben Synthese aufzeigt. Milchs/~ureanstieg im Blut finder sieh aber ebenso nach Adrenalin 16 und es liegt nahe, seine Ursaehe in der sehlechteren Sauerstoffversorgung der Muskulatur zu sehen, die als Folge der Gef/~l~kontraktion eintritt. Und ebenso hat der erhShte Milchs/iuregehalt des Blutes der dekompensierten Herzkranken seine Ursaehe im Sauerstoffmangel der Muskulatur 17. Wir finden auf dem- selben Gebiet eine sehr deutliche Parallele : Kindler is untersuchte neuer- dings die Kreatinurie bei cardialer Dekompensation. Er findet eine eindeutige Abhi~ngigkeit der Kreatinurie vom Grade der eardialen De- kompensation. Er deutet sie als ein Zeiehen aus dem Symptomen- komplex des Glykogenzerfalls in der Skeletmuskulatur (Brentano) und sieht die Ursache in der Beeintri~chtigung der oxydativen Resynthese der Milchsi~ure durch die Anoxamie. Dieselbe Kratinurie konnte aber Bohn 19 bei allen Kranken mit blassem Hoehdruck feststellen und Tsu]i 2o und Brentano 21 fanden sie ebenfalls naeh Adrenalin. Adrenalin und Histamin zeigen gleiche Wirkungen auch auf den Kreislauf : bei kleineren Histamindosen findet sich eine allgemeine Gef/~l~erweiterung; es folgt ein erhShtes Minutenvolumen bei schnellerem Fliei~en des Blutes, die

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58 H. Hungerland:

arterio-venSse Differenz wird demzufolge kleiner; geben wir groi~e Dosen, so bedingt die nun eintretende starke Erweiterung der Capillaren ein langsames Fliel~en des Blutes. Das Minutenvolumen nimmt ab. Ver- folgen wir die Adrenalinwirkung, so entwiekelt sieh dasselbe Bild: bei kleineren Dosen findet sich erhShte Blutumlaufgeschwindigkeit und gesteigertes Minutenvolumen; die zunehmende Arteriolenverengung nach gr613eren Adrenalindosen bedingt einen wachsenden Widerstand der Peripherie mit verl/tngerter Blutumlaufzeit und Abnahme des Minutenvolumens. So verschieden die Ursachen des jeweils ver/~nderten Kreislaufs auch sind, die Auswirkung auf den Stoffaustausch zwischen Blut und Gewebe wird dieselbe sein. Stase im Capillargebiet wie ver- minderte Blutzufuhr nach dem Capillargebiet hat denselben Effekt, zl B. den schon besehriebenen Milehs~ureanstieg im Blut. Daraus mul~ sich die gleiche Inanspruchnahme der Regulationsvorrichtungen des Blutes ergeben, die bei einer St6rung des S/~urebasengleichgewichts, und um eine solche handelt es sieh bier, einen wertvollen Hinweis auf die yore Organismus verlangte Leistung geben. Und so begegnen wit der Abnahme der C02-Spannung, Abnahme der Alkalireserve, eventuell einer geringen Verschiebung der Wasserstoffionenkonzentration nach der sauren Seite him Es finder sich also eine Hypocapnie, die als Folge der Adrenalin- und Histamininjektion wiederholt beschrieben ist 22. Da- neben finden sieh noch andere iibereinstimmende Ver~nderungen im Blur als eine Folge der Einwirkung dieser beiden Stoffe beschrieben: Anstieg des Blutzuckers, F6rderung der Blutgerinnung. Andererseits linden sich auch entgegengerichtete Ver/~nderungen: Adrenalin dichtet die Capillarw/~nde ab, nach Histamin werden die Capillarendothelien durchl/tssiger. Nach Adrenalin nimmt das Lebervolumen ab, nach Hista- rain hingegen zu. Diese Gegens/~tzlichkeiten bedeuten keinen Wider- spruch zur Erkl~rung der beschriebenen Hypocapnie. Die anorganischen Phosphate sollen ebenfalls ein entgegengerichtetes Verhalten zeigen: Abnahme nach Adrenalin, Anstieg nach Histamin; doch wird auch an- gegeben, da$ Adrenalin als solches zur Zunahme der anorganischen Phosphate im Blut fiihrt 2a. Adrenalin wie Histamin erh6hen den Grund- umsatz; nur w~hrend der Blutdrucksenkung finder sich eine kurze Ab- nahme des Sauerstoffverbrauehs nach Histamin. Dieser erhShte Sauer- stoffverbrauch nach Histamin wird dutch die im Blur vermehrt auf- tretende Milchs/~ure bedingt, die als Folge der Kreislaufsch/~digung bzw. des damit verbundenen Sauerstoffmangels auftritt. Ich halte es fiir wahrscheinlich, da~ der erh6hte Sauerstoffbedarf nach Adrenalin wenigstens zum Teil dieselben Ursachen hat; denn auch hier findet sich Anstieg des Milchs/turegehalts des Blutes, wobei angenommen wird, da$ die Milchss vorwiegend aus dem Muskel stammt 7, 16.

Die eingehende Schilderung der Blut- und Harnver~nderungen nach Adrenalin und Histamin und ihrer Ursachen schien mir notwendig,

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Harnver/~nderungen nach Arterienabklemmung. 59

um eine Deutung der Harnbefunde naeh Arterienabklemmung zu geben. Bestehen Anhaltspunkte dafiir, dab hier Zusammenh~nge bestehen? Ich erwithnte bereits, dab naeh Carotidenabklemmung eine vermehrte Adrenalinsekretion naehgewiesen werden konnte. Aber es ist bekannt, dab sie fiir die gleichzeitig eintretende Blutdruekerh6hung nicht wesent- lich verantwortlich gemacht werden kann. Nach dem Gesagten sehe ich aber die entscheidenden Vorg/tnge in dem gestSrten oder ver~nderten Stoffaustausch zwisehen Blut und Gewebe, der StSrung der Capillari- sierung im Sinne Eppingers ~4. Somit sehe ich die Ursache der Harn- vers nach Carotidenabklemmung zum Teil jedenfalls in dem erhShten Blutdruck, der zur gleiehen St6rung der Sauerstoffversorgung des Gewebes fiihrt, wie sic eine Adrenalininjektion bedingt, die zu dem- selben Blutdruckanstieg fiihrt. Diese Vorstellung gewinnt an Wahr- scheinlichkeit, wenn wir uns daran erinnern, dab das Muskelgefs ein Haupterfolgsgebiet der Sinusnerven ist (Rein); sie wird weiter gestiitzt durch die oben erw~hnten Wastlschen Versuche. Tatss finden sieh nach Carotidenabklemmung im Blut Vergnderungen, die denjenigen nach Adrenalininjektion entspreehen: Heymanns 4 findet CO~-Abnahme des Blutes, eine Verlangsamung der peripheren Zirkulation, Verminderung des Sehlagvolumens, und worauf sp~ter in anderem Zu- sammenhang noch einzugehen ist, eine Alkalose des kreisenden Blutes. Er erkl~rt diese Befunde damit, dal3 nach Carotidenabklemmung und der daraufhin auftretenden Hypertonie ein Teil des Blutes aus der Zirkulation ausgesehaltet wird (~r locale, une exh6mie, il existe une stase p6riph~rique~>) w/ihrend der andere Teil des Blutes bei minimalem Capillarkreislauf dureh arterioven6se Kurzschliisse (des court-circuits) am Kreislauf teilnimmt.

Neben iibereinstimmenden Blutver~nderungen naeh Carotidenabklem- mung und Adrenalinhochdruck f~llt auf, dab Heymanns betont, dab im kreisenden Blut eher eine Alkalose best~nde (~... il peut exister a un endroit du corps [dans le cas present les gros vaisseaux et les r6gions ou la circulation est active) une alkalose gazeuze contemporaine ~ d'autres endroits (dans le cas present ~, la p6riph~rie et probablement dans le foie) d'une retention du C02, d'une acidose locale,>I, w~hrend nach Adre- nalininjektion eine Hypocapnie beschrieben wird. Darauf soll noch sp/iter eingegangen werden.

Es konnte 13 nachgewiesen werden, da~ voriibergehende Kreislauf- unterbrechungen in einer Hundeextremit~t zum Freiwerden eines Stoffes fiihrt, der pharmakologisch als Histamin identifiziert werden konnte. Es ergibt sich die Frage, ob die von uns durchgefiihrte 2stiindige Ab- klemmung der Femoralarterien zur Bildung einer solehen Menge yon Histamin fiihrt, dab seine Wirkung derjenigen gleichgesetzt warden k6nnte, die ieh dureh Histamininjektion erreichte. Diese MSgliehkeit ist sehr unwahrscheinlich. Feldberg und Schil[ 7 haben bereits versucht

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nach voriibergehender Abklemmung der Aorta den Nachweis der Histamin- entstehung dadurch zu fiihren, dab sie den EinfluB dieses Eingriffs auf den Blutdruck studierten. Sic fanden nach einer Abklemmungsdauer von 20 bis 30 Minuten einen eindeutigen Blutdruckabfall. Ich klemmte in mehreren Versuchen nur beide Art. femorales fiir 1--11/2 Stunden ab. Nach L6sen der Abklemmung war jedesmal ein Blutdruckabfall sehr deutlich; aber Gr6Be und AusmaB spreehen daffir, dab sich nur geringe Mengen von Histamin gebildet haben konnten. Der Blutdruck f/~llt naeh L6sen der Abklemmung innerhalb 1 Minute um etwa 10 bis 20 mm Hg, um ansehlie6end innerhalb von weiteren 1 bis 2 Minuten wieder auf die alte H6he anzusteigen. (Die Blutdruekschreibung erfolgte mit der Trendelenburgschen Gegenstromapparatur und Einbinden einer T-Kantile in eine Art. earotis.) Deshalb erseheint mir eine andere Deu- tung der gleichen Harnver/~nderungen nach Histamin- und Femoralis- abklemmung wahrseheinlieh: Abklemmung der Aorta fiihrt, fibrigens ebenso wie der Histaminshock, zur Ansammlung yon Milchsgure in der Muskulatur. Bei L6sen der Klemmen gelangt die Milchs~ture in gr6Berer Menge in den Kreislauf und muB jetzt zu denselben Ver- /~nderungen der Blutzusammensetzung f/ihren, die aueh naeh Histamin- und Adrenalininjektion als Folge der vermehrten Milchsgurebildung auftreten. Wir kommen hier wieder auf den Ausgangspunkt der Be- trachtung, der St6rung der Capillarisierung, d .h . der Sauerstoffver- sorgung der Gewebe zurfick. Ob wir diese St6rung durch Carotiden- abklemmung mit dadureh ausgel6ster, nerv6s bedingter, allgemeiner GefS, Bkonstriktion ausl6sen, ob wir dieselbe Gef/~Bkonstriktion durch Adrenalininjektion herbeiffhren, ob wir durch Histamin eine allgemeine periphere Stase erzwingen oder ob wir sehlieBlich in einem begrenzten Gefg6bezirk die Sauerstoffzufuhr sperren, die Auswirkungen sind immer dieselben. Diese Verh~ltnisse werden beispielhaft dureh die Schneider- sehen 2s Versuehe im Reinsehen Insti tut illustriert, der zeigen konnte, dab die Abklemmung der Carotiden zu einer Abnahme der Femoralis- durehblutung ffihrt. Die Femoralisabklemmung wird dadureh zu einer Wiederholung der Carotidenabklemmung in einer anderen und ver- gr6berten Form.

Von den Ver/~nderungen der Blutzusammensetzung, die nach Adre- nalin-, Histamin-Injektion und Carotidenabklemmung auftreten, ist die auffallendste die Hypoeapnie, die Verminderung der Alkalireserve. Diese verminderte Alkalireserve ist als Ausdruek einer Azidose gedeutet worden. Die Harnvers bieten das Bild eines Organismus, der sieh im Zustand der Alkalose befindet. Und so sehlieBt A. Hiller aus ihren eingangs erw/~hnten Versuchen: "The kidneys failed to respond normally ~o the internal change towards acidosis by increasing their acid output ." Diese Auffassung Hillers verlangte die Annahme, dab die Niere sich naeh Histamin nicht als ein ,,automatiseher Diener des Stoffweehsels"

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Harnver~nderungen nach Ar~erienabklemmung. 61

( i . Brock 28) erwiese, ffir den man sie anzusehen geneigt ist und f fir welche Annahme die meisten Tatsachen sprechen.

Die hier beobachteten, anscheinend entgegengerichteten Vorg/inge im Blut und in der Nierenarbeit erinnern an andere Befunde im Blur, die bei der oft bestehenden Schwierigkeit der Deutung der regulativen Vor- g/~nge im Blut zu verschiedenen entgegengesetzten Meinungs/iul]erungen AnlaB gaben. Ich meine die Abnahme des Bicarbonats des Blutes bzw. des Serums in _~ther- oder Chloroformnarkose. Henderson und Haggard 27 deuteten diese Verminderung des Kohlenss als Alkalose, als Folge einer ~berventilation, die durch das Exzitations- stadium der Narkose bedingt war. Die l~berventilation soll zur Abnahme des H~CO a und sekundiir zur Abnahme des BHCO a ffihren, also zur Alkalose. Henderson und Haggard vermuten dementsprechend einen l~bertritt yon Basen aus dem Blur in das Gewebe. Dieser Meinung wurde sehr bald widersprochen. Es wurde insbesondere darauf aufmerksam gemacht, daI~ die Bestimmung des Kohlens/~urebindungsvermSgens allein keine Entscheidung darfiber zul/~l~t, ob eine Alkalose oder Azidose besteht. Zu diesem Zweck ist es notwendig, mindestens 2 der 3 GrSl3en: H2COa, BHCO 3 und PH zu bestimmen. Van Slyke, Austin und Cullen ~s und andere Forscher kSnnten durch die Bestimmung des BHCO 3 und des Pl~ des Blutes das Bestehen einer Azidose in Narkose sicher stellen: nieht eine Abwanderung der Basen ins Gewebe, sondern vielmehr eine Einwanderung von S~uren ins Blur t r i t t nach ihrer Ansicht ein, nieht H~CO 3 sondern BHC03 soll nach ihrer Ansicht prims abnehmen.

Haggard und Henderson 39 bezeichneten als Ursache der l~berventi- lation ein ,,respiratory x", fiber das sie nur negative Aussagen machen konnten. Straub ao hat auseinandergesetzt, dab dieses ,,respiratory x" von Haggard und Henderson sehr wahrscheinlich entsprechend den Ansehauungen Wintersteins die lokale S~urebildung im Atemzentrum ist, die zur zentrogenen Hyperpnoe ffihrt, ffir die zuns die Ver- schiebung der Blutreaktion nach der basisehen Seite hin eharakteristiseh ist. Straub erweitert die Wintersteinsche Anschauung dahin, dab er annimmt, dab nach Eintri t t der Alkalose im Blur jetzt sekundi~r ein Abwandern des Alkalis ins Gewebe und ,,vor allem dureh die Niere" eintritt, und die Niere Ss einspart. Auf diese Weise ergibt sieh jetzt eine Azidose im Blur, durch welche Reaktionsverschiebung die zentrogene in die h~matogene Hyperpnoe gewandelt wird.

Die zentrogene Hyperpnoe finden wir auch in grol3en HShen als Folge der Sauerstoffabnahme der Atemluft. Ffir diese Verhs lieB sich aber, entgegen i~lteren Versuchen, zeigen, dab aueh der Milchsi~ure- gehalt im Blut zunimmt, der Bicarbonatgehalt abnimmt. Barcro/t 81 schlol~ aus diesem letzteren Beflmd, da~ primi~r die Nieren vermehrt Alkali ausscheiden, wodureh die Alkalireserve vermindert wiirde. Einen Beweis erbrachte er ffir diese Ansehauung nieht. Hypoeapnie und Anstieg

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62 H. Hungerland:

des Milchs/turegehaltes des Blutes wird nach Adrenalin und Histamin beobachtet. Dieselben Verh/~ltnisse finden sich bei Sauerstoffmangel in der Atemluft. Die yon Barcro[t und Straub geforderte Basenausscheidung durch die Niere konnte ich als charakteristisehe Folge der Arterien- abklemmung 2, 3 und naeh Adrenalin und Histamininjektion beschreiben. Welche Beziehungen lassen sich bier Ieststellen ? Voraussetzung fiir die Straubschen Gedankeng/~nge ist die Annahme der zentrogenen Hyper- ventilation, die primer auftritt. K6nnen wir annehmen, daB nach Adrenalin- und Histamininjektion nnd nach Carotidenabklemmung ein Sauerstoffmangel des Atemzentrums entsteht, der eine Hyper- ventilation ausl6st, ehe ein Sauerstoffmangel in der Peripherie entstanden ist ? Es ist sehr unwahrscheinlieh und fiir den Fall der Femoralis- abklemmung auszuschlieBen. Ich hatte ja gerade die gestSrte Capillari- sierung der Peripherie nach den Eingriffen als entscheidendes Ereignis hingestellt. Ich sehe die Erkl/irung fiir die gleichen Erscheinungen in folgendem: Adrenalin, Histamin, Carotidenabklemmung, Femoralis- abklemmung fiihren zur StSrung der Capillarisierung, zur Milchs/~ure- bildung und Hypocapnie, zur Azidose, diese bedingt eine Mimatogene Hyperventilation. Die Hyperventilation fiihrt zur Regulierung und Kompensierung der Azidose des Blutes. Indem aber die ,,h/~matogene" Hyperventilation nur dadurch wirksam wurde, daB das Gewebe des Atemzentrums selbst eine geringste Verschiebung der Reaktion naeh der saueren Seite lain erfuhr, ist es jetzt nur eine Fortsetzung der Winter- steinschen Gedankeng/~nge, wenn ich annehme, dab diese Reaktions- verschiebung im Bereich der Gewebsfliissigkeit des Atemzentrums noeh besteht, wenn die regulativen Reaktionen im Blut bereits wieder einen Gleiehgewichtszustand erreicht haben. Und nun wirkt weiter die ,,zentro- gene" Hyperventilation, die zur Alkalose fiihrt. Der weitere Ablauf w/~re eine Umkehr der oben beschriebenen Phasen. Von diesen Phasen sind yon Vollmer 32 die ersten beiden als bestehend beschrieben worden. Er zeigte, daB Adrenalin kurz nach der Injektion azidotisch und dann erst alkalotisch wirkt. Und fiir die Hyperventilation nach starker Muskel- t/itigkeit land man die Milchsiiure als Ursache, land aber weiter, dab die einmal ausgelSste Hyperventilation zur Alkalose fiihren kann. Die 3. Phase wiirde wieder durch eine Umkehr der Alkalose in die Azidose charakterisiert. In meinen Versuchen kommt dies in den weiteren Ver- /inderungen des Harnbildes zum Ausdruck. Auf die Abnahme der Aus- scheidung aller basensparenden Komponenten erfolgt ein starker Anstieg der Titrationsazidit/~t, der Ammoniak und Phosphatausseheidung und wir beobachten die gerade Umkehr tier vorausgehenden Erscheinungen. Die Harnver/inderungen, die nach Hyperventilation auftreten sind im Zusammenhang mit den entsprechenden Ver~nderungen im Blut von Collip und Backus 33 beschrieben. Ihre Ergebnisse entsprechen den Ver- /~nderungen, die ich bereits beschrieben habe. Sie weisen darauf hin,

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Harnver~nderungen nach Arterienabklemmung. 63

dab im H a m vermehrt Bicarbonat ausgeschieden wird, genau wie wenn man Bicarbonat verabfolgt h/~tte, trotzdem im Blut die Bicarbonat- konzentration abnimmt; deshalb sehen sie nicht den Bicarbonatgehal~, woht aber die Wasserstoffionenkonzentration des Biutes als entseheiden- den Faktor f/Jr die Regulation des Siturebasen]lauskaltes an.

Angaben fiber _~nderung der Atmung finden sich fiir Adrenalin 16 und Histamin 7: Adrenalin Iiihrt bei starkem Anstieg des Blutdrucks zur Hemmung; nach subcutaner Applikation ist jedoch eine Hyperventi- lation die Regel. Nach Histamin ist auch beschleunigte Atmung beob- achtet worden; doch sind hier die Verh~ltnisse durch den EinfluB des Histamins auf die Bronchialmuskulatur kompliziert. Sehr viel deutlicher und eingehender ist die Atmung nach Carotidenabklemmung untersucht. Ich zitiere hier wieder Heymanns, der dariiber unter anderem schreibt:

(,... lorsqu'on provoque une hypotension dans les sinus carotidiens, l'hyperpn~e r6flexe, qui est ainsi d6clench6e, persiste malgr~ l'alcalose sanguine, malgr6 la dimi- nution de la teneur en CO S du sang produite par cette hyperpn6e et malgr6 l'augmen- ration de la circulation art~rielle centrale ...,)

Ffir die Carotidenabklemmung scheint also hinsicktlich der Aus- 15sung der Hyperpnoe die Vers in der Peripherie geringe Bedeutung zu haben. Ich mSchte dabei bemerken, dab ich in meinen Versuchen am Hund keine so plStzlichen ~nderungen der Atmung beobachten konnte, wie sie Heymans beschreibt.

~berblicken wit die gesamten Befunde, so li~13t sick feststellen, dab die jeweiligen Harnver~nderungen gleichgeriehteten Ver~nderungen im Bereich der Vorflutniere entsprechen, so dab wir keinen AnlaB haben, eine fehlerhafte Nierenfunktion anzunehmen. Die gleichen Ver~nde- rungen im Bereich der Vorflutniere sind letzten Endes als durch eine ,,zentrogene Hyperventilation" ausgel5st anzunehmen. Die Art ihrer Entstehung habe ich darzulegen versucht. Im Falle der Carotiden- abklemmung findet eine direkte Erregung des Atemzentrums start. Die Veriinderungen im Blur kSnnten durch sie bedingt sein. Ob sie die alleinige Ursache ist, kann ich vorerst nicht entscheiden, ich halte es jedoch ffir wahrscheinlich, da2 die ver~nderte Capillarisiernng gleich- zeitig eine wesentliche Rolle spielt. In den anderen F/~llen ist die Alkalose erst sekund~r, ausgel6st durch die mangelnde Capillarisierung der Peri- pherie, die primiir zur hiimatogenen Hyperventilation gefiihrt hat.

Brentano 34 sclfliel]t seine Ausffihrungen fiber den ,,Symptomen- komplex des Glykogenzerfalls in der Skeletmuskulatur" mit der Forde- rung, zu einer ,,allgemeinen Pathologie des Stoffwechsels" zu kommen, ,,die die Erforschung der verschiedenen Reaktionstypen auf humoralen, Gebiete zum Ziele haben wird". Ich bin mir darfiber klar, dab es bei den von mir entwickelten Fragen gilt, noch zahlreiche Einzelheiten zu verfolgen und sicher zu stellen. Aber ich sehe in den geschilderten An- schanungen einen mSglichen Weg einer einheitliehen Anschauung und,

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64 H. Hungerland:

wenn man will, einen ,,Symptomkomplex der gest6rten Capillarisierung der Gewebe, insbesondere der Muskulatur" wie sr nach Adrenalin, Histamin, Femoralisabklemmung auftritt, einen , ,Symptomenkomplex der Hyperventilation, wie er nach Carotidenabklemmung, nach Sauer- stoffmangel und als sekund~re Fo]ge der gest6rten Capillarisierung auftr i t t" . Die von mir dargestellten , ,Symptome" sind die Vers im Harnbild. Mit dieser Auffassung wird es auch mSglieherweise gelingen, die hoffnungslose Zahl der Befunde auf dem Gebiet des ,,Mineralstoff- wechsels" zu vereinheitlichen. Es ist zu vermeiden, bei der Wirkung eines Stoffes oder Eingriffes die Reaktion der Niere zu diskutieren, she nicht vorher seine Wirkung auf den Kreislauf bzw. die Capillarisierung siehergestellt ist.

Zusammen/assung. Es wird gezeigt, dal3 die Harnverii, nderungen bsim Hund nach Carotiden und Femoralisabklemmung, nach Adrenalin und Histamin dieselben sind: Die Harnver~nderungen sind im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dai~ sine vermehrte Ausscheidung der Gesamt- basen, gelegentlich des Wassers eintritt, da~ die Wasserstoffionenkonzen- tration des Harns abnimmt. Ebenso nimmt ab die S~ure-, Ammoniak- un4 Phosphatausseheidung; d .h . bei vermehrter Basenausscheidung finder sich gleichzeitig verminderte Ausscheidung aller basensparenden Kompo- nenten. Im AnschluB an diese Phase zsigt sich Umkehr dieser Vsrhglt- nisse: vermehrte Ausscheidung der basensparenden Komponenten, wobei die stark vermehrte Phosphatausscheidung bssonders auffgllt. Dis Gesamtbasen werden in dieser zweiten Phase meist ebenfalls vermehrt ausgeschieden.

Es kann auf Grund zahlreicher Daten der Literatur gezeigt werden, dab die gleichen Harnverg, nderungen auf gleichen Ver~nderungen im Gebiete der Vorflutniere beruhen.

Die Ursache wird in allen Fallen in einer Hyperventilation gesehen, die naeh Carotidenabklemmnng direkt, nach den anderen Eingriffen indirekt ausgel6st zu werden scheint.

Die geschilderten Ver~nderungen werden als Symptome dsr gest6rten Capillarisierung bzw. der Hyperventilation aufgefaBt.

(Diese Arbeit wurde mit Unterstfitzung der deutschen Forschungs- gsmeinschaft unct der Freiburger Wissenschaftlichen Gesellschaft aus- geffihrt.)

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Page 18: Über die Ursachen der Harnveränderungen nach Arterienabklemmung

Harnver~nderungen nach Arter ienabklemmung. 65

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