tragfÄhigkeit der Öffentlichen finanzen · kh 2017-20282017 2028 % des bip höchst-stand 2023...

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Seite 1 | 1. EINLEITUNG Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen, auch fiskalische Tragfähigkeit genannt, bezeichnet die Fähigkeit eines Staates, seine laufenden Ausgaben sowie steuerpolitische und andere damit verbundene Maßnahmen langfristig aufrechtzuerhalten, ohne seine Solvenz oder seine Fähigkeit zu gefährden, bestehenden Verpflichtungen oder versprochenen Ausgaben nachkommen zu können. Die jüngste Krise hat gezeigt, von welch entscheidender Bedeutung die fiskalische Tragfähigkeit ist. Dennoch ist die fiskalische Tragfähigkeit nicht nur in außergewöhnlichen Situationen von Belang. Ihr kommt vielmehr auch eine entscheidende Bedeutung zu, wenn es um die gerechte Lastenverteilung zwischen den Generationen geht, und ihr liegen Grundsätze zugrunde, die für alle Zeiten und für alle Staaten unabhängig von deren aktuellem Schuldenstand gültig sind. Die Staatsverschuldung in Grenzen zu halten und dennoch weiterhin bei Bedarf Schuldtitel herausgeben zu können, ist für das reibungslose Funktionieren der Wirtschaft unverzichtbar. Die Mitgliedstaaten müssen in der Lage sein, sich unvorhergesehenen Umständen, die nicht in der Kontrolle der Regierungen liegen (wie beispielsweise starke Konjunkturschwankungen oder Wirtschaftskrisen) anzupassen. Eine begrenzte Kapazität, Steuereinnahmen aus der Wirtschaft zu ziehen, wirtschaftspolitische Aspekte, die eine Konsolidierung erschweren, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Strukturreformen in Ländern mit einer soliden fiskalischen Ausgangssituation erfolgreicher sind, stellen ebenfalls Gründe dar, entsprechende Vorkehrungenpeppisa zu treffen. 1 Vor diesem Hintergrund haben sich die seit 2008 in der EU zu verzeichnende Verschlechterung der Haushaltslagen sowie der Anstieg der Staatsverschuldungen, einhergehend mit den durch die Alterung der Bevölkerung entstehenden Haushaltszwängen, gegenseitig verschärft und somit bewirkt, dass die fiskalische Tragfähigkeit zu einer akuten politischen Herausforderung geworden ist. Seit 2014 ist bei der Staatsschuldenquote auf EU- Ebene insgesamt zwar eine rückläufige Tendenz festzustellen, doch leiden mehrere EU-Länder infolge der Krise weiterhin unter der Last eines hohen Schuldenstands. Eine Analyse der voraussichtlichen Entwicklungen bei der Staatsverschuldung und der Risiken für 1 Obstfeld, M. (2013), „On Keeping Your Powder Dry: Fiscal Foundations of Financial and Price Stability“, IMES institute for monetary and economic studies, Bank of Japan, Discussion Paper No. 2013-E-8, Fournier. M, und Fall (2015), „Government Debt and Fiscal Frameworks“, OECD Working Paper, ECO/CPE/WP1(2015)7/ANN2; Eyraud, L und Wu, T (2015), „Playing by the Rules: Reforming Fiscal Governance in Europe“, IMF Working Paper WP/15/67. EUROPÄISCHES SEMESTER – THEMENBLATT TRAGFÄHIGKEIT DER ÖFFENTLICHEN FINANZEN

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1. EINLEITUNG

Die Tragfähigkeit der öffentlichen

Finanzen, auch fiskalische Tragfähigkeit genannt, bezeichnet die

Fähigkeit eines Staates, seine laufenden Ausgaben sowie

steuerpolitische und andere damit

verbundene Maßnahmen langfristig aufrechtzuerhalten, ohne seine Solvenz

oder seine Fähigkeit zu gefährden, bestehenden Verpflichtungen oder

versprochenen Ausgaben nachkommen zu können.

Die jüngste Krise hat gezeigt, von welch entscheidender Bedeutung die fiskalische

Tragfähigkeit ist. Dennoch ist die fiskalische Tragfähigkeit nicht nur in

außergewöhnlichen Situationen von Belang. Ihr kommt vielmehr auch eine

entscheidende Bedeutung zu, wenn es um die gerechte Lastenverteilung

zwischen den Generationen geht, und ihr

liegen Grundsätze zugrunde, die für alle Zeiten und für alle Staaten unabhängig

von deren aktuellem Schuldenstand gültig sind. Die Staatsverschuldung in

Grenzen zu halten und dennoch weiterhin bei Bedarf Schuldtitel

herausgeben zu können, ist für das reibungslose Funktionieren der

Wirtschaft unverzichtbar. Die

Mitgliedstaaten müssen in der Lage sein, sich unvorhergesehenen Umständen, die

nicht in der Kontrolle der Regierungen liegen (wie beispielsweise starke

Konjunkturschwankungen oder Wirtschaftskrisen) anzupassen. Eine

begrenzte Kapazität, Steuereinnahmen aus der Wirtschaft zu ziehen,

wirtschaftspolitische Aspekte, die eine

Konsolidierung erschweren, sowie

konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Strukturreformen in Ländern mit einer

soliden fiskalischen Ausgangssituation erfolgreicher sind, stellen ebenfalls

Gründe dar, entsprechende Vorkehrungenpeppisa zu treffen.1

Vor diesem Hintergrund haben sich die seit 2008 in der EU zu verzeichnende

Verschlechterung der Haushaltslagen sowie der Anstieg der

Staatsverschuldungen, einhergehend mit den durch die Alterung der Bevölkerung

entstehenden Haushaltszwängen, gegenseitig verschärft und somit

bewirkt, dass die fiskalische

Tragfähigkeit zu einer akuten politischen Herausforderung geworden ist. Seit 2014

ist bei der Staatsschuldenquote auf EU-Ebene insgesamt zwar eine rückläufige

Tendenz festzustellen, doch leiden mehrere EU-Länder infolge der Krise

weiterhin unter der Last eines hohen Schuldenstands.

Eine Analyse der voraussichtlichen Entwicklungen bei der

Staatsverschuldung und der Risiken für

1 Obstfeld, M. (2013), „On Keeping Your Powder Dry: Fiscal Foundations of Financial and Price Stability“, IMES institute for monetary and economic studies, Bank of

Japan, Discussion Paper No. 2013-E-8, Fournier. M, und Fall (2015), „Government Debt and Fiscal Frameworks“, OECD Working

Paper, ECO/CPE/WP1(2015)7/ANN2; Eyraud, L und Wu, T (2015), „Playing by the Rules: Reforming Fiscal Governance in Europe“, IMF

Working Paper WP/15/67.

EUROPÄISCHES SEMESTER – THEMENBLATT

TRAGFÄHIGKEIT DER ÖFFENTLICHEN FINANZEN

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die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen ist daher für die Euro-Länder

wie auch für die EU insgesamt

unverzichtbar, wenn diese geeignete politische Reaktionen erarbeiten wollen,

um gegebenenfalls die Solvenz ihrer Haushalte zu stärken. Die jüngsten

Entwicklungen – und hier insbesondere die Staatsschuldenkrise, die einigen EU-

Ländern den Zugang zu den Märkten erschwert hat – haben deutlich gemacht,

dass die Herausforderungen in Bezug auf die Tragfähigkeit der öffentlichen

Finanzen nicht nur langfristiger Natur

sind. Dabei ist ein rechtzeitiger Neuaufbau der finanzpolitischen

Spielräume unverzichtbar, um in der Lage zu sein, erneute Erschütterungen –

nicht zuletzt durch eine absehbare Erhöhung der Zinssätze – auffangen zu

können.

Im Euro-Währungsgebiet und in der EU

insgesamt ist weiterhin eine Verbesserung der Aussichten für die

öffentlichen Finanzen2 bei einem prognostizierten Rückgang der

Schuldenquote3 auf 1,1 % im Euro-Währungsgebiet bzw. auf 1,2 % in der

EU im Jahr 2017 festzustellen; darüber

hinaus wird mit einer Fortsetzung dieses Trends gerechnet, wodurch die

Schuldenquote 2019 auf 0,8 % im Euro-Währungsgebiet bzw. 0,9 % in der EU

sinken könnte4. Aufgrund der geringeren Defizite und positiver Schneeball-Effekte

ist bei der Schuldenquote im Euro-Währungsgebiet und in der EU seit 2014

eine rückläufige Tendenz festzustellen.

Es wird erwartet, dass sie 2017 89,3 % im Euro-Währungsgebiet bzw. 83,5 % in

der EU erreicht und in der Folge weiter auf 85,2 % bzw. 79,8 % im Jahr 2019

sinken wird. Die so verbesserten Aussichten für einen Abbau der

Verschuldung des öffentlichen Sektors werden durch ein nominales Wachstum

2 Europäische Kommission (2017) EU-Wirtschaftsprognose – Herbst 2017. 3 Dies entspricht dem Saldo der

Gesamthaushalte. 4 Für weitere Informationen über die Haushaltslage des Euro-Währungsgebiets und

der EU siehe: Europäische Kommission (2016), EU-Jahreswachstumsbericht 2017.

des BIP und historisch niedrige Zinssätze weiter verstärkt. Allerdings sind in den

EU-Ländern auch große Unterschiede bei

der derzeitigen und künftigen Wirtschafts- und Haushaltslage

festzustellen. Daher muss auch die Wahl der geeigneten Kombination der

politischen Maßnahmen, die zur Gewährleistung der Tragfähigkeit der

öffentlichen Finanzen erforderlich sind, in Abhängigkeit von den

Herausforderungen, denen die einzelnen Länder5 gegenüberstehen, von Fall zu

Fall getroffen werden.

Und schließlich ist die Tragfähigkeit der

öffentlichen Finanzen in der EU eng mit den in den Verträgen verankerten

Grundsätzen sowie mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) und dem

Prozess der multilateralen Überwachung

verbunden, der über das Europäische Semester als Teil eines Gesamtrahmens

realisiert wird, in dem die Kommission zusammen mit den Mitgliedstaaten tätig

ist.

Der übrige Teil dieses Themenblatts ist

wie folgt gegliedert: Abschnitt 2 beschreibt die Herausforderungen, die

mit der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen verbunden sind; Abschnitt 3

beleuchtet die Möglichkeiten der politischen Handhabe; Abschnitt 4

untersucht den derzeitigen Stand der politischen Maßnahmen.

5 In diesem Themenblatt bleibt

Griechenland als ein Land, das ein Anpassungsprogramm durchläuft, unberücksichtigt. Die makroökonomischen und haushaltspolitischen Aussichten für

„Programm“-Länder werden häufiger bewertet, als dies bei den anderen Mitgliedstaaten der Fall ist. Der Zeitraum, auf

den sich die Prognosen für solche Länder erstrecken, unterscheidet sich ebenfalls von dem der anderen Mitgliedstaaten und legt

eine vollständige Umsetzung des Anpassungsprogramms zugrunde.

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2. HERAUSFORDERUNGEN

Bei der Bewertung der fiskalischen

Tragfähigkeit ist dem aktuellen und dem prognostizierten Niveau der

ausstehenden Staatsschulden gebührend Rechnung zu tragen. Hochverschuldete

Länder sind anfälliger gegenüber Konjunkturabschwüngen und

Zinsschocks. Ohne einen hinreichend kräftigen Primärüberschuss, der unter

Umständen auf Dauer nur schwer zu

bewahren ist, könnte die Staatsverschuldung – selbst ohne das

Phänomen einer alternden Bevölkerung – nicht tragfähig sein. Hohe ausstehende

Staatsschulden können die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen daher

unabhängig von langfristigen alterungsbedingten Ausgaben gefährden.

2017 verzeichnete mehr als die Hälfte der EU-Länder eine Staatsschuldenquote,

die über dem im Vertrag festgelegten

Schwellenwert von 60 % lag. Würden die Länder jedoch die finanzpolitischen

Regeln des Stabilitäts- und Währungspakts (SWP), d. h. das SWP-

Szenario, in vollem Umfang einhalten, wäre für das Jahr 2028 grundsätzlich in

allen Ländern mit einer niedrigeren Schuldenquote zu rechnen, als dies bei

unveränderter Fiskalpolitik der Fall wäre (Abbildung 1). Darüber hinaus wäre –

unter der Annahme einer vollständigen

Einhaltung der fiskalischen Regeln des SWP – bis 2028 in keinem Mitgliedstaat

ein Anstieg der Staatsschuldenquote zu verzeichnen.

Abbildung 1 – Prognosen zur Bruttostaatsverschuldung nach dem SWP-Szenario im Vergleich zum Basisszenario „Unveränderte Fiskalpolitik“ (in % des BIP)

SWP-Szenario

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EE LU BG SE CZ LV DK MT SK LT DE NL PL SI IE FI AT HU EU28 EA UK CY HR ES BE PT IT FR RO

KH 2017-2028 2017 2028

% des BIP

Höchst-stand2023

Höchststand2017

Höchst-stand2018

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Basisszenario „Unveränderte Fiskalpolitik“

Quelle: Kommissionsdienststellen

Anmerkungen: Die Zahlen beruhen auf der von der Kommission erstellten Herbst-Prognose 2017. Prognosen zu

der nach den verschiedenen Szenarien zu erwartenden Bruttoverschuldung sind in der Bewertung der

Stabilitätsprogramme der einzelnen Länder durch die Kommission enthalten, die abrufbar sind unter

http://ec.europa.eu/economy_finance/economic_governance/sgp/convergence/index_en.htm.

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BG LU SE DK CZ MT LV SK NL DE IE AT SI CY HU EU28 HR EA UK BE ES PT IT EE LT PL FI RO FR

KH 2017-2028 2017 2028

% des BIP

Höchststand2028

Höchststand2017

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Der multidimensionale Ansatz der Europäischen Kommission zur Bewertung

der fiskalischen Tragfähigkeit kombiniert

die längerfristigen mit den eher unmittelbaren Herausforderungen und

Risiken; sowohl die Langfrist- als auch die Kurzfrist-Analyse werden durch

geeignete Indikatoren untermauert, die Aufschluss über das Ausmaß und den

Umfang der Risiken für die Tragfähigkeit geben können, und zwar6:

Kurzfristige fiskalische Herausforderungen werden anhand

des S0-Indikators analysiert: Mit Hilfe einer gewichteten Kombination

aus Fiskal-, Finanz- und makroökonomischen

Wettbewerbsfähigkeitsindikatoren nutzt der S0-Indikator das

Signalisierungsvermögen seiner

Komponenten7, um fiskalischen

6 Die unten angeführten Indikatoren werden

ihren technischen Einzelheiten detaillierter im neuesten „Debt Sustainability Monitor“ und im „Fiscal Sustainability Report“ der

Europäischen Kommission erläutert, siehe:

Europäische Kommission (2017), „Debt Sustainability Monitor 2016“, Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen (GD

ECFIN), European Economy, Institutional Paper 063, 2017, https://ec.europa.eu/info/publications/econo

my-finance/debt-sustainability-monitor-2016_en und Europäische Kommission (2016), „Fiscal Sustainability Report 2015“,

GD ECFIN, European Economy, Institutional Paper 018/2016, http://ec.europa.eu/economy_finance/publications/eeip/pdf/ip018_en.pdf. 7 In dem zusammengesetzten Indikator S0 ist eine ganze Reihe wirtschaftlicher Variablen gewichtet. Bei diesen Variablen handelt es

sich um: Fiskalindikatoren: Haushaltssaldo, Primärsaldo, konjunkturbereinigter Haushaltssaldo, stabilisierender Primärsaldo,

Bruttostaatsverschuldung (Schuldenstand und Veränderung), kurzfristige Staatsverschuldung, Nettostaatsverschuldung,

Bruttofinanzierungsbedarf, Veränderung bei den Staatsausgaben, Veränderung bei den Konsumausgaben des Staates (alle in % des

BIP) plus Zins-Wachstums-Differenzial. Finanz- und makroökonomische Wettbewerbsindikatoren: Auslandsvermögen,

Nettosparaufkommen der Haushalte, Schuldenstand des privaten Sektors,

Stress zu identifizieren und innerhalb einer Einjahresfrist frühe

Warnhinweise in Bezug auf

bestehende Risiken zu geben.

Mittelfristige fiskalische Herausforderungen werden anhand

des S1-Indikators8 gemessen: der Indikator für die mittelfristige

Tragfähigkeitslücke (S1) zeigt auf, welche fiskalischen Anstrengungen

vorab erforderlich sind, um die

Schuldenquote bis 2032 auf 60 % des BIP zu senken, wobei auch die

Finanzierung aller zusätzlichen Ausgaben, wie z. B. für

alterungsbedingte Kosten, berücksichtigt ist.9, 10.

Kreditströme des privaten Sektors,

kurzfristige Verschuldung nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften, kurzfristige Verschuldung der Haushalte, gleitender

Dreijahres-Durchschnitt der Leistungsbilanz (alle in % des BIP), Bausektor (in % der Wertschöpfung), realer effektiver

Wechselkurs gegenüber 35 Handelspartnern

auf der Basis des Deflators der Exporte (% der Veränderung über drei Jahre), nominale Lohnstückkosten (% der Veränderung über

drei Jahre), Renditestrukturkurve, reales BIP-Wachstum und pro-Kopf-BIP in Kaufkraftparitäten (KKP) in % des US-

Niveaus. 8 Die Bewertung der mittelfristigen fiskalischen Herausforderungen stützt sich

ebenfalls auf die „Debt Sustainability Analysis" der Europäischen Kommission (siehe den Bericht „Fiscal Sustainability Report 2015“, Fußnote 6). 9 Diese Konsolidierungsanstrengung wird anhand der Verbesserung des strukturellen Primärsaldos gemessen, der sich über fünf

Jahre nach der Prognose kumuliert hat und dann ein Jahrzehnt aufrechterhalten werden muss. Der Primärsaldo ist die Haushaltsbilanz

eines Landes ohne Berücksichtigung des Schuldendienstes für bestehende Kredite, bereinigt um zufällige Dynamiken wie konjunkturelle Effekte, einmalige und

sonstige befristete Maßnahmen. 10 Zu den jüngsten Schätzungen der mit der Alterung der Bevölkerung verbunden

Haushaltsausgaben siehe: Europäische Kommission (2015), „The 2015 Ageing Report. Economic and budgetary projections

for the EU 28 Member States (2013-2060)“, GD ECFIN, European Economy, 3/2015.

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Langfristige fiskalische Herausforderungen werden anhand

des S2-Indikators bewertet: Dieser

Indikator für die langfristige Tragfähigkeitslücke zeigt auf, welche

Haushaltsanpassungen vorab und dauerhaft erforderlich sind, um die

Verschuldungsquote auf unbegrenzte Zeit zu stabilisieren, wobei die

alterungsbedingten Kosten berücksichtigt sind.11

Diese Reihe von Indikatoren wird von der Kommission für ihre Bewertung der

Haushaltspläne der EU-Länder im Rahmen des Stabilitäts- und

Wachstumspakts herangezogen.12 Mit ihrer Hilfe kann bewertet werden, in

welchem Maße aktuell oder in der Zukunft eine Notwendigkeit für

umfassende politische Anpassungen

besteht und welcher Art die erforderlichen Anpassungen sind

(fiskalische oder strukturelle Anpassungen oder eine Kombination aus

beiden). Dabei muss analysiert werden, wie die Herausforderungen in Bezug auf

die Tragfähigkeit mittel- bis langfristig angegangen werden sollten. Diese

Analyse erfolgt in zwei Schritten:

Ermittlung, inwieweit signifikante

Herausforderungen in Bezug auf die fiskalische Tragfähigkeit bestehen;

Feststellung, welcher Art die bestehenden Herausforderungen

sind, mit dem Ziel, geeignete

politische Maßnahmen zur Bewältigung der Situation erarbeiten

zu können. Dies geschieht durch eine Betrachtung des derzeitigen und

künftigen relativen Defizit- und

11 Die vom S2-Indikator angezeigte

Anpassung kann zur Folge haben, dass sich die Verschuldung auf relativ hohem Niveau stabilisiert. Daher muss die Anpassung bei hoch verschuldeten Ländern mit Blick auf die

SWP-Anforderungen umsichtig erfolgen. 12 Siehe die Bewertung der Stabilitäts- oder Konvergenzprogramme der Europäischen

Kommission, GD ECFIN, Arbeitsunterlagen der Kommissionsdienststellen, abrufbar unter

http://ec.europa.eu/economy_finance/economic_governance/sgp/convergence/index_en.htm.

Schuldenstands sowie des künftigen alterungsbedingten Ausgabendrucks

in der EU (insbesondere für Renten,

Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege).13

Die Tragfähigkeit der öffentlichen

Finanzen wird für jeden Zeitraum einzeln und nicht automatisch bewertet, wobei

zusätzliche (auch länderspezifische) Faktoren und Bedingungen

berücksichtigt werden.

2.1. Kurzfristige fiskalische

Herausforderungen (S0-Indikator)

S0-Indikatorwerte, die oberhalb des

Schwellenwerts liegen, deuten auf potenzielle kurzfristige Risiken für die

fiskalische Tragfähigkeit hin. Eine präzisere Ermittlung der

länderspezifischen fiskalischen Kurzfrist-Risiken wird durch die Analyse der

einzelnen Variablen und ihrer Werte im Verhältnis zu dem jeweiligen

Schwellenwert ermöglicht. Länder, in

denen der Wert des Gesamtindikators im Jahr 2017 über dem Schwellwert (0,46)

liegt, laufen Gefahr, im darauf folgenden Jahr in eine fiskalische Stresssituation zu

geraten (Abbildung 2).

2.2. Mittelfristige fiskalische

Herausforderungen (S1-Indikator)

In Bezug auf die mittelfristigen Herausforderungen wird untersucht,

welche stetigen fiskalischen Anpassungen in den fünf Jahren, die sich

an den durch die Prognose erfassten

Zeitraum (2019) anschließen, erforderlich sind, um die im Vertrag

festgeschriebene Obergrenze für die Verschuldungsquote von 60 % in

fünfzehn Jahren (bis 2032) zu

13 Siehe: Europäische Kommission (2014), „Identifying fiscal sustainability challenges in the areas of pension, healthcare and long-

term care policies“ European Economy, Occasional Papers No 201|2014.

Seite 7 |

erreichen.14 Die Schwellenwerte für den S1-Indikator sind 0 bzw. 2,5, was

bedeutet, dass ein Wert zwischen diesen

beiden Zahlen ein mittelhohes Risiko darstellt. Liegt der S1-Indikator unter 0

oder über 2,5, bedeutet dies ein geringes bzw. hohes Risiko. Abbildung 3 zeigt den

S1-Indikator vor dem Szenario „Unveränderte Politik“, wobei die

Haushaltslage 2019 (dem letzten Jahr, das in der Herbstprognose 2017 der

Europäischen Kommission berücksichtigt ist) als Ausgangspunkt zugrunde gelegt

wird.

2.3. Langfristige fiskalische

Herausforderungen (S2-Indikator)

Der Tragfähigkeitsindikator S2

quantifiziert das Ausmaß der derzeitigen und künftigen Haushaltsungleichgewichte

und somit den Druck auf die öffentlichen Finanzen. Je höher die Werte des

Tragfähigkeitsindikators S2 sind, desto größer ist das Risiko für die Tragfähigkeit

der öffentlichen Finanzen und folglich auch der erforderliche Bedarf für

fiskalische Anpassungen. Liegt der S2-

Indikator über 6, zeigt dieser ein hohes Risiko an; liegt er unter 2, ist das Risiko

gering. Rückblickend lassen sich mehrere Beispiele für Zeiten erkennen, in denen

es eine dauerhafte Verbesserung der Haushaltslage (Primärsaldo) von bis zu

zwei Prozentpunkten des BIP gab. Allerdings gab es nur sehr wenige

Zeiten, in denen dauerhafte

Verbesserungen von sechs Prozentpunkten oder mehr zu

verzeichnen waren. In Fällen, in denen hohe alterungsbedingte Kosten eine

große Tragfähigkeitslücke verursachen, sind Strukturreformen, die den

langfristigen Trend bei den alterungsbedingten Ausgaben bremsen,

ein notwendiger Teil des politischen

Anpassungsprozesses.

14 Die fiskalische Tragfähigkeitslücke wird

durch den Indikator S1 (%60

20321S), erfasst,

wobei der Endpunkt auf 60 % des BIP

festgesetzt wurde, der in 15 Jahren (bis 2032) erreicht sein muss.

Die Ergebnisse für den Tragfähigkeitsindikator S2 oder die

Tragfähigkeitslücke lassen sich in zwei

Teile gliedern:

Die ursprüngliche Haushaltslage (Höhe des Schuldenstands und

ursprünglicher struktureller Primärsaldo): In Anbetracht der Höhe

ihres Schuldenstands und ihres langfristigen Wachstumspotenzials

verzeichnen einige EU-Länder zurzeit

ein zu großes Defizit, das selbst ohne Berücksichtigung der Auswirkungen

der Bevölkerungsalterung eine Explosion bei der Verschuldung

bedeuten würde. Die „alterungsbedingten Kosten“,

d. h. die absehbare Änderung bei den langfristigen alterungsbedingten

Ausgaben. Auch hier sind zwischen

den EU-Ländern große Unterschiede festzustellen: Einige Länder sehen

sich mit einem sehr viel größeren Anstieg bei den Ausgaben

konfrontiert als andere, was im Wesentlichen auf die demografische

Struktur und die Merkmale des jeweiligen Rentensystems, aber auch

auf andere Ausgabenkategorien wie

Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege zurückzuführen ist.

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Abbildung 2 – Der S0-Indikator, aufgeschlüsselt in seine beiden Teilindizes:

Fiskalindikator und Finanz-/Wettbewerbsfähigkeitsindikator

Quelle: Kommissionsdienststellen.

Anmerkung: Die Daten beruhen auf der von der Kommission erstellten Herbstprognose 2017.

Abbildung 3 – Der S1-Indikator und seine Komponenten (in Prozent des BIP)

Quelle: Kommissionsdienststellen.

Anmerkung: Die Daten beruhen auf der von der Kommission erstellten Herbstprognose 2017. AS steht für die

Anforderungen in Bezug auf den Schuldenstand; aK steht für alterungsbedingte Kosten, aufgeschlüsselt nach

-6

-4

-2

0

2

4

6

8

AS aK - Sonstige aK - LZPf aK - GV aK - Renten uHL S1

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den Kosten für Langzeitpflege (LZPf), Gesundheitsversorgung (GV), Renten und andere Kosten; uHL steht für

die ursprüngliche Haushaltslage.

Abbildung 4 zeigt die ursprüngliche Haushaltslage (uHL) auf der horizontalen

Achse und die Langzeitkomponente

(bzw. die alterungsbedingten Kosten) auf der vertikalen Achse. Ein Land, das auf

der linken Seite abgebildet ist, weist eine günstige ursprüngliche Haushaltslage

auf; liegt der Wert unter null, bedeutet das, dass die Tragfähigkeit der

öffentlichen Finanzen durch die Haushaltslage begünstigt wird. Je näher

ein Land in Richtung Boden der Achse

positioniert ist, desto geringer sind seine langfristigen alterungsbedingten Kosten.

Länder im oberen Bereich können die

Tragfähigkeit ihrer öffentlichen Finanzen verbessern, indem sie den projizierten

Anstieg der alterungsbedingten

Ausgaben bremsen, beispielsweise durch Rentenreformen. Länder auf der rechten

Seite können die Situation in Bezug auf die Tragfähigkeit ihrer öffentlichen

Finanzen verbessern, indem sie ihre öffentlichen Finanzen konsolidieren. Je

näher ein Land in der oberen rechten

Ecke positioniert ist, desto größer ist seine Tragfähigkeitslücke. Die diagonalen

Linien verdeutlichen die Größe der

Tragfähigkeitslücke. So weist die EU als Ganze eine Tragfähigkeitslücke von

1,5 % des BIP auf.

Abbildung 5 stellt die Komponenten der alterungsbedingten Kosten detaillierter

dar. Für die EU als Ganze spielt der

Beitrag der Ausgaben für Gesundheitsversorgung und

Langzeitpflege eine große Rolle, während die Ausgaben für Rentenzahlungen eher

vernachlässigbar scheinen. Allerdings sind zwischen den einzelnen Ländern

große Unterschiede festzustellen. In einigen Ländern wird die Tragfähigkeit

der öffentlichen Finanzen durch die

Entwicklung bei den Rentenausgaben beeinträchtigt; in anderen Ländern ist

die fiskalische Tragfähigkeit zumeist durch die Ausgabenentwicklungen in den

Bereichen Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege gefährdet.

Abbildung 4 – Aufschlüsselung der S2-Tragfähigkeitslücke

Quelle: Kommissionsdienststellen.

Anmerkung: Die Daten beruhen auf der von der Kommission erstellten Herbstprognose 2017.

BEBG

CZ

DK

DE

EE

IE

ES

FR

HR

IT

CY

LV

LT

LU

HU

MT

NLAT

PLPT

RO

SI

SKFI

SE

UK

EU

EA

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0

2

4

6

8

-4 -2 0 2 4 6

Günstige langfristige

ProjektionenGünstige fiskalische Ausgangslage Ungünstige fiskalische Ausgangslage

Keine Tragfähigkeitslücke

(S2<0)

Tragfähigkeitslücke

(S2>0)

aK (% des BIP)

IBP (% of GDP)

Ungünstige langfristige

Projektionen

S2=0

S2=12S2=10S2=8S2=6S2=4

S2=2

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Abbildung 5 – Der S2-Indikator und seine Komponenten: ursprüngliche Haushaltslage (uHL) und alterungsbedingte Kosten (aK) (in Prozent des BIP)

Quelle: Kommissionsdienststellen.

Anmerkung: Die Daten beruhen auf der von der Kommission erstellten Herbstprognose 2017.

3. MÖGLICHKEITEN DER POLITIK

Es gibt mehrere politische Maßnahmen,

die ergriffen werden können – darunter beispielsweise eine

Haushaltskonsolidierung und/oder

Strukturreformen, und zwar insbesondere solche, die auf eine

Eindämmung der langfristigen alterungsbedingten Kosten abzielen.

3.1. Die Ausgangssituation: die

Finanzlage der öffentlichen

Haushalte

Die Finanzlage der öffentlichen Haushalte ist die wichtigste Komponente der

Tragfähigkeitsindikatoren. Ihre Bewertung sollte nicht durch temporäre

Faktoren beeinflusst werden. Aus diesem

Grunde ist es erforderlich, eine Bereinigung für konjunkturelle Einflüsse

auf den staatlichen Haushaltssaldo und den Einfluss von einmaligen Maßnahmen

vorzunehmen.

Ergebnis dieser Bereinigung ist der

strukturelle Primärsaldo (SPS). Abbildung 6 zeigt die strukturellen

Primärsalden der EU-Länder, sowohl nach dem jeweiligen Landesdurchschnitt

in der Zeit von 2008 bis 2012 als auch nach den Prognosen der Kommission für

das Jahr 2019.

Für jedes Land besteht der erste Schritt

zur Bewältigung der Herausforderungen in Bezug auf die Tragfähigkeit der

öffentlichen Finanzen darin, die EU-Fiskalregeln, d. h. den Stabilitäts- und

Wachstumspakt,15 in vollem Umfang

einzuhalten. Auch Maßnahmen zur Verbreiterung der Steuerbasis können

zur Gewährleistung einer soliden Haushaltslage beitragen.16

15 Fiskalrahmen und Fiskalpolitik werden in

eigenständigen Themenblättern behandelt, die die im Rahmen des Europäischen Semesters angegangenen Herausforderungen

und mögliche politische Reaktionen auf diese beschreiben. 16 In diesem Zusammenhang siehe auch das

Themenblatt zu nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit.

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-3

-2

-1

0

1

2

3

4

5

6

7

CY HR IE SE IT DK PT BG LV FR ES DE EA EU28 EE CZ UK SK BE AT FI NL PL LT MT HU LU RO SI

aK - Sonstige aK - GV&LZPf aK - Renten aK - Sonstige S2

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Abbildung 6 – Struktureller Primärsaldo (in % des BIP, Prognosen für 2019 gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2008-2012)

Quelle: Kommissionsdienststellen.

Anmerkung: Die Daten beruhen auf der von der Kommission erstellten Herbstprognose 2017.

3.2. Eine langfristige Determinante der Tragfähigkeit der öffentlichen

Finanzen: die alterungsbedingten Kosten und deren Komponenten

Ein wichtiger langfristiger Faktor für die

Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen

sind die alterungsbedingten Kosten. Bei der Tragfähigkeitsbewertung werden die

alterungsbedingten Kosten über einen längeren Zeitraum, und zwar bis zum

Jahr 2060,17 betrachtet.

Den größten Ausgabenposten bilden hier

die öffentlichen Ausgaben für Rentenzahlungen, die ca. 11 % des BIP

der EU insgesamt ausmachen. Dabei sind zwischen den Ländern sowohl bei der

derzeitigen Höhe der Aufwendungen als

17 Die Posten der alterungsbedingten

Ausgaben umfassen öffentliche Ausgaben für Renten, Gesundheitsversorgung, Landzeitpflege und Bildung sowie für die

Arbeitslosenunterstützung (Alterungsbericht 2015).

auch bei den projizierten Änderungen in Bezug auf die Aufwendungen für

Rentenzahlungen erhebliche Unterschiede zu verzeichnen, was auf die

unterschiedlichen Rentensysteme und die verschiedenen Stufen des

Rentenreformprozesses in den Ländern zurückzuführen ist (Abbildung 7).

Der zweitgrößte Posten sind die öffentlichen Ausgaben für die

Gesundheitsversorgung, auf die ca. 7 % des EU-BIP entfallen. Neben der

Gesundheitsversorgung sollten auch die Ausgaben für Langzeitpflege

berücksichtigt werden.

Zusammengenommen machen diese beiden Posten fast 9 % des EU-BIP aus.

Wie bei den Renten sind auch hier

erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern festzustellen, die sich aus den

unterschiedlichen Systemen und

Regelungen der Gesundheitsversorgung und

Langzeitpflege ergeben (Abbildung 8).

-6

-5

-4

-3

-2

-1

0

1

2

3

RO EE FR PL HU LV ES FI LT DK SI HR BE LU NL SK BG AT UK CZ SE IT PT CY MT IE DE

SPS Durchschn. 2008-2012 SPS 2019

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Abbildung 7 – Öffentliche Ausgaben für Rentenzahlungen (in % des BIP, 2019 gegenüber 2060)

Abbildung 8 –Öffentliche Ausgaben für Gesundheitsleistungen und Langzeitpflege (in % des BIP, 2018 gegenüber 2060)

Quelle: Kommissionsdienststellen.

Anmerkung: Die Daten beruhen auf der von der Kommission erstellten Herbstprognose 2017.

Zu den Reformen, die die langfristigen Ursachen für fiskalische

Tragfähigkeitsrisiken angehen, zählen die, die die alterungsbedingten Kosten

und deren Komponenten begrenzen wollen.

Eine Reform des Rentensystems umfasst eine Anpassung des Renteneintrittsalters

und eine Änderung bei der Höhe der Rentenbezüge.18

Die erste Kategorie von Reformen bewirkt eine Absenkung der sogenannten

„Coverage Ratio“ des Rentensystems, d. h. diese Reformen zielen darauf ab,

18 Die Rentenpolitik wird in einem

eigenständigen Themenblatt behandelt, das die im Rahmen des Europäischen Semesters angegangenen Herausforderungen und

mögliche politische Reaktionen auf diese beschreibt.

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die Zahl der begünstigten Personen zu begrenzen. Dies geschieht in der Regel

durch Maßnahmen wie die Abschaffung

oder Einschränkung von Vorruhestandsregelungen und von

anderen Möglichkeiten für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben,

durch die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters (auch über die

Einführung einer automatischen Anpassung an eine veränderte mittel-

und langfristigen Lebenserwartung) oder durch eine Angleichung des

Renteneintrittsalters von Männern und

Frauen.

Die zweite Kategorie von Reformen stellt

eine Alternative zur Begrenzung der „Coverage Ratio“ des Rentensystems

dar, indem die „Pension-Benefit-Ratio“ (definiert als das Verhältnis der

Durchschnittsrenten zu den wirtschaftsweiten Durchschnittslöhnen)

gesenkt wird. Wenn dieses Verhältnis

sowohl im Vergleich zum Referenzlohn als auch im Vergleich zu anderen EU-

Ländern sehr hoch ist, könnte dies darauf hindeuten, dass das

Rentensystem zu großzügig ist. Weniger großzügige Rentenansprüche können

daher die öffentlichen Ausgaben für das Rentensystem deutlich senken oder

zumindest stabilisieren.

Die Herausforderungen in den Bereichen

Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege sind stärker

länderspezifisch. Das bedeutet, dass Kostenwirksamkeit und

haushaltspolitische Steuerung generell

von Fall zu Fall verbessert werden müssen.19

4. POLITISCHE MAßNAHMEN:

DERZEITIGER STAND DER DINGE

Die in diesem Themenblatt enthaltenen

Schaubilder haben bisher eine länderübergreifende Übersicht über die

Herausforderungen und die Einflussmöglichkeiten der Politik

gegeben.

19 Die Gesundheitspolitik wird in einem eigenständigen Themenblatt behandelt.

Die Alterung der Bevölkerung setzt die öffentlichen Ausgaben weiter unter

Druck; dabei sind große Unterschiede

zwischen den EU-Ländern festzustellen, denen diese Risiken zunehmend bewusst

geworden sind und die politische Maßnahmen ergriffen bzw. sichtbare

Fortschritte in Bezug auf den prognostizierten Anstieg der

alterungsbedingten Ausgaben, insbesondere der Ausgaben für

Rentenzahlungen, erzielt haben. Da zwei aufeinanderfolgende Alterungsberichte,

die 2012 und 2015 veröffentlicht

wurden, darlegen, dass bei den alterungsbedingten Gesamtausgaben

von einer Prognose zur anderen ein rückläufiger Trend festzustellen ist, ist

ersichtlich, dass die Reformen in diesem Bereich bereits Früchte tragen.

Zu den wirksamsten Maßnahmen, um die alterungsbedingten Kosten in den Griff

zu bekommen, gehören Mechanismen, die das Renteneintrittsalter und/oder die

Rentenhöhe (wie von der Kommission in mehreren Jahreswachstumsberichten20

empfohlen) automatisch an die Lebenserwartung anpassen. Derzeit

verfügt fast die Hälfte der EU-Länder

über einen solchen Mechanismus (Abbildung 9); die Euro-Gruppe hat

dieses Prinzip befürwortet und sich bereit erklärt, im Laufe des Jahres 2018 ein

Benchmarking für die Tragfähigkeit der Renten zu erarbeiten.21

Dies verdeutlicht, dass diese Mechanismen eine doppelte Dividende

bringen: Automatische Anpassungen stärken die Tragfähigkeit des

Rentensystems und verbessern

20 Siehe: Europäische Kommission (2016), „Jahreswachstumsbericht 2017“. 21 Erklärung der Euro-Gruppe (2017) zur „Agenda für Strukturreformen – Thematische Beratungen über Wachstum und Beschäftigung: Benchmarking der

Tragfähigkeit des Rentensystems“, 144/17, 20.3.2017, und Euro-Gruppe 2016 „Gemeinsame Grundsätze für die Stärkung

der finanziellen Tragfähigkeit der Rentensysteme“ 16. Juni 2016. http://www.consilium.europa.eu/en/press/pr

ess-releases/2016/06/16-eurogroup-pension-sustainability/

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gleichzeitig die Angemessenheit des Rentenniveaus. Die Einzahlung höherer

Beiträge während eines verlängerten

Erwerbslebens gewährleistet den Menschen im Alter eine höhere Rente.

Abbildung 9 – Wirksame Maßnahmen zur Stärkung der Tragfähigkeit der Rentensysteme

Anmerkung: In allen NDC-Systemen (d. h. in allen fiktiven Systemen mit Beitragszusagen) sind die Altersbezüge über den Rentenfaktor an die Lebenserwartung geknüpft.

* Mit Hilfe des „Proratisierungs“-Koeffizienten entwickeln sich die Altersbezüge entsprechend der Lebenserwartung; dies muss bis spätestens 2035 rechtlich umgesetzt sein. ** Nur zwei Drittel des Anstiegs der Lebenserwartung hat sich im Renteneintrittsalter niedergeschlagen. *** Für Betriebsrentensysteme findet ein automatischer Anpassungsmechanismus Anwendung.

**** vorbehaltlich einer Parlamentsentscheidung.

Quelle: Kommissionsdienststellen.

Datum: 22.11.2017

LandAutomatischer

Anpassungsmechanismus

Tragfähigkeitsfaktor

(Leistung an

Lebenserwartung

gekoppelt)

Rentenalter an

Lebenserwartung

gekoppelt

Gesetz

Italien X X 1995 & 2010

Lettland X 1996

Polen X 1999

Schweden X X 1998 & 2001

Frankreich* X 2003

Deutschland X 2004

Finnland X X 2005 & 2015

Portugal** X X 2007 & 2013

Griechenland*** X 2010

Dänemark**** X 2011

Niederlande X 2012

Zypern X 2012

Slowakei X 2012

Spanien X X 2011 & 2013

Litauen X 2016

Malta***** X 2016

Norwegen X 2011

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5. LITERATUR

Eyraud, L., und Wu, T., (2015), „Playing by the rules: Reforming fiscal governance in

Europe“, IMF Working Paper No 15/67.

Erklärung der Euro-Gruppe (2017) zur „Agenda für Strukturreformen – Thematische

Beratungen über Wachstum und Beschäftigung: Benchmarking der Tragfähigkeit des Rentensystems“, 144/17, 20.3.2017

http://www.consilium.europa.eu/sk/press/press-releases/2017/03/20/eurogroup-statement-structural-reform-agenda/

Erklärung der Euro-Gruppe (2016), „Gemeinsame Grundsätze für die Stärkung der finanziellen Tragfähigkeit der Rentensysteme“, vom 16. Juni 2016

http://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2016/06/16-eurogroup-

pension-sustainability/

Europäische Kommission (2017), „Autumn 2017 European Economic Forecast“,

Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, European Economy, Institutional Paper 047/2017

Europäische Kommission (2017), „Debt Sustainability Monitor 2016“, Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, European Economy, Institutional Paper

063/2017 https://ec.europa.eu/info/publications/economy-finance/debt-sustainability-monitor-

2016_en

Europäische Kommission (2016), „Jahreswachstumsbericht 2017“, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank,

den Ausschuss Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank, Brüssel, 16,11.2016, COM(2016)725.

http://www.eesc.europa.eu/en/our-work/opinions-information-reports/opinions/annual-growth-survey-2017

Europäische Kommission (2016), „Fiscal Sustainability Report 2015“, Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, European Economy, Institutional Paper

018/2016

Europäische Kommission (2015), „The 2015 Ageing Report: Economic and budgetary projections for the EU 28 Member States (2013-2060)“, Generaldirektion Wirtschaft

und Finanzen, European Economy 3/2015

Europäische Kommission (2014), „Identifying fiscal sustainability challenges in the

areas of pension, health care and long-term care policies“, Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen, European Economy, Occasional Papers No 201/2014

Europäische Kommission (2012), „The 2012 Ageing Report: Economic and budgetary projections for the EU 28 Member States (2013-2060)“, Generaldirektion Wirtschaft

und Finanzen, European Economy 2/2012

http://ec.europa.eu/economy_finance/publications/european_economy/2012/pdf/ee-2012-2_en.pdf

Fournier, J. M., und Fall, F. (2015), „Government debt and fiscal frameworks, Annex 2 The government debt limit“, OECD Working Paper, ECO/CPE/WP1(2015)7/ANN2

Obstfeld, M. (2013), „On keeping your powder dry: Fiscal foundations of financial and price stability“, IMES institute for monetary and economic studies, Bank of Japan

Discussion Paper No 2013-E-8