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Tim Rohrmann Individuelle Förderung begabter Grundschüler

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Tim Rohrmann

Individuelle Förderung begabter Grundschüler

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Tim Rohrmann

Individuelle Förderungbegabter GrundschülerEvaluation eines Schulversuchs

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1. Auflage 2009

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009

Lektorat: Monika Mülhausen

VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der FachverlagsgruppeSpringer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes istohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesonderefür Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesemWerk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solcheNamen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachtenwären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., MeppelGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN 978-3-531-16756-5

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Kultur

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Was verwirklicht wird wird dem Wesen nach verändert.

Ilse Aichinger (1987) Das nur Gedachte bleibt in seinen Einzelheiten unbestimmt, rätselhaft, magisch.

Das Verwirklichte aber ist aus jenem Stoff gemacht, den wir kennen – so kann es nur ernüchtern.

Aus dem Original-Leitspruch-Tages-Kalender 2004, 12. 5.2004. Hinterbrühl: Bellaprint Verlag.

Es gibt keine Blaupause für die eine richtige Schule, die dann nur noch kopiert werden müsste.

Gelungene Schulen haben Biografien. Sie müssen aus Voraussetzungen, die sie sich nicht aussuchen konnten

und die zu beklagen nichts nützt, etwas machen. Schulen müssen eigene Wege finden.

Reinhard Kahl (auf www.reinhardkahl.de)

In den ICE steigen Ängstlich, Schritt für Schritt.

Ganz viel Mut haben. Gerumpel hören.

Sessel sehen. Aber weiter gehen:

Es vibriert so hübsch in dem ICE.

Sebastian Heller, 2. Klasse (2005)

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Inhalt

Vorwort 9�

1� Begleitforschung als Herausforderung 11�

2� Der Schulversuch 15�2.1� Ziele des Schulversuchs 15�2.2� Rahmenbedingungen des Schulversuchs 16�2.3� Stichprobe und soziodemografische Daten 19�

3� Psychologische Diagnostik 27�3.1� Überblick und Verfahren 27�3.2� Ergebnisse: Intelligenz 39�3.3� Ergebnisse: Leistungsbeurteilungen 55�3.4� Ergebnisse: Selbstkonzept 65�3.5� Ergebnisse: Sozial-emotionales Erleben 78�3.6� Auswahl von Schülern für Maßnahmen der Begabtenförderung 96�

4� Förderung 109�4.1� Aktionsforschung 109�4.2� Evaluation von Maßnahmen der Begabtenförderung 116�4.3� Die „Selber-Machen-Schule“: Beteiligung von Kindern 151�

5� Der Hort im Schulversuch 171�5.1� Der Hort im Schulversuch 171�5.2� Zusammenarbeit von Schule und Hort 171�5.3� Konzeptumstellung auf die Arbeit mit Themenräumen 174�5.4� Zusammenfassende Einschätzung 176�

6� Die Eltern 179�6.1� Die Elternschaft der 16. Grundschule 179�6.2� Einbeziehung der Eltern in die Begleitforschung 180�6.3� Die Perspektive der Eltern – einige Schlaglichter 182

7� Individuelle Entwicklungen 187�7.1� Die Kinder: sechs Fallbeispiele 190�7.2� Vertiefende Fragestellungen 195�

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8� Selbstevaluation von Schulversuch und Begleitforschung 217�8.1� Ergebnisse der standardisierten Befragung 217�8.2� Auswertung der individuellen Abschlussgespräche 221�

9� Außenwirkung der Begleitforschung 235�

10� Zusammenfassung und Konsequenzen 237�

Literatur 259 Anhang: Tabellen, Arbeitsblätter, Fragebogen 265

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Vorwort Was brauchen Kinder mit besonderen Begabungen? Was können Grundschulen tun, um begabte Kinder gut zu begleiten, die Entfaltung ihrer Potenziale zu un-terstützen und problematischen Entwicklungen vorzubeugen? Diese Fragen stan-den am Ausgangspunkt eines Schulversuchs des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus mit dem Titel „Grundschule mit erweitertem Angebot für Schüler mit besonderer Begabung“, der von 2002 bis 2007 an der 16. Grundschule „Josephi-ne“ in Dresden durchgeführt wurde.

Die 16. Grundschule Dresdens ist ein gesicherter Schulstandort mit der Ka-pazität einer vierzügigen Grundschule. Im Rahmen eines Schulversuchs wurden dort seit Beginn des Schuljahres 2002/03 Kinder eingeschult, die als besonders begabt eingeschätzt wurden und deren Eltern eine besondere Beschulung befür-worteten. Die Schüler wurden im Rahmen des vorhandenen Schulprogramms integrativ in einer Klasse mit Schülern unterschiedlicher Lern- und Entwick-lungsstände gefördert. In diesem Zusammenhang wurde die Schule auch in das Projekt „Impulsschulen – Integrative Hochbegabtenförderung“ der Karg-Stiftung aufgenommen.

Verlauf und Ergebnisse des Schulversuchs wurden umfassend dokumen-tiert. Das Sächsische Staatsministerium für Kultus hat eine Broschüre „Integrati-ve Begabtenförderung – Ein Beitrag zur Schul- und Unterrichtsentwicklung an Sachsens Grundschulen“ mit Ergebnissen des Schulversuchs herausgegeben, die im Internet verfügbar ist. Auch der Abschlussbericht des Schulversuchs steht online zur Verfügung (Sächsisches Staatsministerium für Kultus, 2008).

Parallel dazu wurde der Schulversuch über einen Zeitraum von 4 ½ Jahren begleitend evaluiert. Dabei sollte das Konzept des Schulversuches nicht nur analysiert und bewertet, sondern gleichzeitig im Verlauf und auch aufgrund der Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung weiterentwickelt werden. Zunächst war ein umfangreiches externes Evaluationsvorhaben unter finanzieller Beteiligung einer Stiftung angedacht worden; diese Kooperation kam jedoch nicht zustande. Verwirklicht werden konnte schließlich die in diesem Bericht geschilderte, im Umfang wesentlich geringere wissenschaftliche Begleitfor-schung, mit der allerdings erst im November 2003 begonnen werden konnte und damit im bereits laufenden, im Herbst 2003 neu eingeschulten Jahrgang.

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10 Vorwort

Im vorliegenden Bericht werden die vielfältigen Ergebnisse der Begleitforschung dokumentiert. Zunächst werden in den Schulversuch und in die Begleitforschung eingeführt (Kapitel 1 und 2). Eine Auswertung quantitativer psychodiagnosti-scher Daten ermöglicht eine Einschätzung der kognitiven und psychosozialen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler im untersuchten Jahrgang (Kapitel 3). Die Dokumentation der Begleitforschung reflektiert Ansätze und Methoden der Begabtenförderung in der Grundschule und gibt Einblicke in den Prozess der Unterrichts- und Schulentwicklung (Kapitel 4).

Die allgemeinen Analysen werden schließlich in der Schilderung von indi-viduellen Entwicklungsverläufen konkretisiert (Kapitel 7). Die Einbeziehung von Hort und Eltern, sowie eine Evaluation der Begleitforschung runden den Bericht ab (Kapitel 5, 6 und 8). Abschließend werden Konsequenzen für die Förderung von Kindern mit besonderen Begabungen an Grundschulen diskutiert (Kapitel 10). Die in der Begleitforschung verwendeten Materialien stehen als Download im Internet zur Verfügung, soweit sie nicht in diesem Bericht enthal-ten sind (http://www.vs-verlag.de/pdf/978-3-531-16756-5_anhang.pdf).

Der aktiven Mitwirkung von Schul- und Hortleitung, der Lehrkräfte und der Horterzieherinnen ist es zu verdanken, dass trotz des begrenzten Zeit- und Fi-nanzbudgets des Forschungsvorhabens zahlreiche Themen und Facetten des Schulversuchs in den Blick genommen und Chancen und Schwierigkeiten kri-tisch analysiert werden konnten. Die folgenden Fachkräfte waren an der Aktions-forschung und Praxisreflexion beteiligt und stellten eine Fülle hochinteressanten Materials bereit, der dieser Abschlussbericht schon aus Platzgründen kaum ge-recht werden kann. Schul- und Projektleitung Frau Bräuer, Frau Jäger, Herr Jeschke, Frau Stephan Lehrkräfte Frau Hölzel, Frau Irmler, Frau Luft, Frau Wagner,

Frau Urbitsch, Frau Neitzel, Frau Frohberg, Frau Probst

Hortleitung Frau Noack Horterzieherinnen Frau Hannisch, Frau Klein, Frau Kühnel. Nicht zuletzt hatten die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Eltern einen we-sentlichen Anteil am Gelingen dieses Projekts. Mein Dank geht an alle Eltern, die sich für Elterngespräche im Rahmen der Begleitforschung zur Verfügung stellten. Insbesondere aber bedanke ich mich bei den Schülerinnen und Schülern des Untersuchungsjahrgangs für die oft begeisterte Aufnahme und die konstante Bereitschaft, auf meine Fragen zu antworten, Testverfahren zu bearbeiten und mir von sich zu erzählen.

Tim Rohrmann, im Februar 2009

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1 Begleitforschung als Herausforderung Bildungsforschung und Fragen nach der Qualität von Schule sind seit einigen Jahren zunehmend Themen geworden, die großes öffentliches Interesse finden. Nicht zuletzt die großen Schulleistungsstudien PISA und IGLU haben dazu ge-führt, dass Evaluation ein zunehmend selbstverständlicher Teil der Qualitätsent-wicklung von Schulen geworden ist.

Dies gilt allerdings nicht für den Bereich der Begabtenförderung, in dem ein deutlicher Mangel an systematischer Evaluation und Reflexion von Praxisansät-zen zu verzeichnen ist. So berichten Mittag & Heinbokel von der 16. Weltkonfe-renz für Hochbegabung im Jahre 2005: „Auffallend war, dass sowohl in den Vorträgen als auch in den Posterpräsentationen und bei den Anbietern von Lite-ratur das Thema Evaluation von Fördermaßnahmen kaum eine Rolle spielt. Da-bei vermissen viele Fachleute Methoden, um die Wirksamkeit ihrer Arbeit über-prüfen zu können. Hier besteht nicht nur in Deutschland, sondern weltweit eine Lücke, die dringend geschlossen werden muss“ (Mittag & Heinbokel, 2005, S. 498).

Auch Vock, Holling & Preckel (2007) beklagen, dass im Bereich der Be-gabtenförderung nach wie vor kaum Evaluation betrieben wird. Die meisten Evaluationsstudien über Hochbegabtenfördermaßnahmen stammen heute aus den USA. „Im deutschen Sprachraum begnügen sich viele Anbieterinnen und Anbie-ter von Maßnahmen mit dem Hinweis darauf, dass bestimmte Maßnahmen of-fenkundig zu großen Lernfortschritten bei den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern geführt hätten. Dabei wird allerdings kaum berücksichtigt, dass allein die exzellenten Eingangsvoraussetzungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wie eine hohe Begabung, Lernfreude oder eine hohe Leistungsmotivation schon derartige Erfolge begünstigen (ebenda, S. 17; vgl. Hany, 2000).

Der beschriebene Mangel führt dazu, dass in der Begabtenförderung insge-samt oft verschiedenste Maßnahmen und Methoden ausprobiert werden, grund-sätzliche Fragen aber übergangen werden. Es wird auch nur selten überprüft, ob die aktuelle Praxis eigentlich den ursprünglichen Erwartungen und Idealen noch entspricht. Inwieweit die beteiligten Kinder davon überhaupt profitieren, kann oft überhaupt nicht festgestellt werden.

Rost (2007) stellt fest: „Solange es wissenschaftlich unterfütterte einschlä-gige Evaluationsstudien für Fördermaßnahmen nicht gibt (…), solange stehen

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12 Begleitforschung als Herausforderung

bei uns alle Effektaussagen auf ausgesprochen wackeligen Füßen“ (S. 34). Und Bergs-Winkels & Reinders (2008) fassen den bisherigen Kenntnisstand dahin gehend zusammen, „dass bisherige, aufschlussreiche Grundlagenforschung einer Ergänzung durch praxisbezogene (Evaluations-)studien bedarf, um daraus Er-kenntnisse über eine entwicklungsförderliche Infrastruktur pädagogischer Prog-ramme ableiten zu können“ (S. 4).

Evaluation ist in der Pädagogik allerdings grundsätzlich eine schwierige Angelegenheit: „… pädagogische und sozialpädagogische Leistungsprozesse (sind) gekennzeichnet von ihrer hohen Abhängigkeit von den konkret am Leis-tungsprozess beteiligten Menschen, vom chronischen Fehlen klarer, in der Fachwelt akzeptierter Bewertungsmaßstäbe und von einem ausgeprägten Dissens darüber, auf welche Ursachen positive oder negative Ergebnisse pädagogischer Prozesse letztlich zurückzuführen sind…“ (Bewyl & Bestwater, 1998, S. 37).

Dies gilt auch und gerade für die Begabtenförderung. Es besteht durchaus keine Einigkeit darüber, was die Ziele von Begabtenförderung sind bzw. sein sollten – weder unter Fachleuten und Lehrkräften noch unter den geförderten Kindern und Jugendlichen sowie ihren Eltern. Selbst zur grundlegenden Frage der Definition von besonderen Begabungen bzw. Hochbegabung gibt es unter-schiedliche Ansichten. Von daher ist nicht überraschend, dass es kaum Maßstäbe dafür gibt, ob bzw. wann eine Fördermaßnahme als erfolgreich zu bewerten ist.

Rindermann stellt dar, dass auch Evaluationsansätze, die hohen wissen-schaftlichen Anforderungen genügen, oft nur begrenzte Wirkung entfalten kön-nen. Er fordert daher: „Bei zukünftigen Programmevaluationen im Bereich der Begabtenförderung, die besonderen Wert auf die Optimierung laufender Prog-ramme legen, sollte deshalb ein Schwerpunkt auf didaktische und inhaltliche Fragestellungen gelegt werden. Formative Evaluationen sollten dementsprechend auch auf eine enge Koordinierung der Arbeit mit den Programmgestaltern und Kursleitern Wert legen. Durch informelle Kommunikationsprozesse sind so oft größere Veränderungen zu erzielen als durch offizielle Endberichte“ (Rinder-mann, 2000, S. 28). Evaluation in diesem Sinne „ist eher Beobachtung, Kommu-nikation und Dokumentation als Messung, statistische Analyse und Bewertung“ (ebenda, S. 29).

Für die Beteiligten selbst stellt Evaluation stets eine besondere Herausforde-rung dar (vgl. Altrichter & Messner, 2001; Altrichter & Posch, 1998). In aller Regel stoßen dabei sehr unterschiedliche Erwartungen aufeinander. In der Eva-luation des Schulversuchs an der 16. Grundschule war dies von Anfang an ange-legt. Auf Seiten des Auftraggebers bestand von Anfang an ein klares Interesse an einer externen Bewertung des Schulversuchs in Hinsicht auf die mögliche Über-tragbarkeit von Erfahrungen auf weitere Schulen. Den Lehrkräften war in erster Linie an begleitender Unterstützung gelegen, was angesichts des zu betretenden

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Begleitforschung als Herausforderung 13

Neulandes sehr verständlich war. Dem Verfasser wiederum gab das Projekt die Möglichkeit, Fragen von Begabung und Begabtenförderung grundlegend zu thematisieren.

Der Anspruch, über die Anforderungen einer aktuellen Pädagogik hinaus ein Konzept für die Förderung von Kindern mit besonderen Begabungen zu entwickeln, führt manchmal zu mehr offenen Fragen als Antworten. Im Sinne von Forschung ist dies durchaus positiv zu bewerten. Für die Fachkräfte in Schu-le und Hort, die stets unter Handlungs- und Erwartungsdruck seitens der Eltern und übergeordneten Behörden stehen, stellt sich die Situation manchmal anders dar. Begleitforschung kann als zusätzliche Belastung erlebt werden und die auf-geworfenen Fragen können manchmal verunsichernd wirken.

Als Evaluationsvorhaben stand die Begleitforschung daher vor der Aufgabe, das Verhältnis von wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse, Bewertung des Vor-handenem und dem Wunsch der Praxis nach unmittelbar umsetzbaren Erkenn-tnissen immer wieder neu zu bestimmen. Dies stellte einen Balanceakt zwischen der Offenheit für Fragen, Zweifel und Irrtümer auf der einen Seite, der Notwen-digkeit fachlicher Anforderungen, Bewertung und Kontrolle auf der anderen Seite dar.

Wünschenswert gewesen wäre zum einen eine längsschnittliche Untersu-chung aller als „besonders begabt“ aufgenommen Kinder sowie einer Ver-gleichsgruppe durchschnittlich begabter Kinder. Zum anderen wäre eine syste-matische Evaluation von konkret angewandten Methoden und Fördermaßnahmen sinnvoll. Ein solches Vorhaben wäre allerdings sehr umfangreich. Im zur Verfü-gung stehenden finanziellen Rahmen war ein derart umfangreiches Forschungs-vorhaben nicht zu realisieren.

Vor diesem Hintergrund wurde ein zweiteiliges Vorgehen vorgeschlagen. Eine Analyse quantitativer Daten sollte Daten auswerten, die zum Teil mit ver-tretbarem Aufwand durch den Verfasser erhoben werden konnten, zum Teil durch die Lehrkräfte bereitgestellt wurden. Dazu gehörten auf der einen Seite Daten aus Intelligenztests sowie aus Verfahren zur Erfassung von Selbstkonzept und sozial-emotionalem Schulerleben, auf der anderen Seite Schulnoten und Angaben zu besonderen Leistungen und Erfolgen.

Ein Aktionsforschungsprojekt sollte die begleitende Reflexion der Förder-maßnahme ermöglichen. Dabei wurden Forschungsfragen zu aktuellen Themen im Prozessverlauf der Fördermaßnahme gemeinsam entwickelt, untersucht und reflektiert. Die Reflexion erfolgte in der Gruppe der unterrichtenden Lehrkräfte und Erzieherinnen.

In der Methode der Aktionsforschung wurde die Möglichkeit gesehen, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Beteiligten „unter einen Hut zu bekommen“. Aktionsforschung soll die Betroffenen befähigen, ihre Praxis hinsichtlich selbst

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14 Begleitforschung als Herausforderung

bestimmter Fragestellungen zu untersuchen und zu verändern. König (2000) sieht in diesem Ansatz eine theoretische Wurzel von Selbstevaluationsverfahren. Gemeinsam ist der Aktionsforschung wie der Selbstevaluation die Praxisorien-tierung, die Prozessorientierung und die Orientierung auf die beteiligten Prakti-kerInnen als ExpertInnen in eigener Sache. In diesem Zusammenhang verfolgte die Evaluation zwei Ziele:

1. Den teilnehmenden Fachkräften sollten Methoden zur Verfügung gestellt

werden, mit denen sie die Wirkmechanismen und die Erfolge ihrer Arbeit überprüfen können (Selbstevaluation);

2. Dem Auftraggeber des Projekts sollten Informationen über die Erreichung der mit dem Schulversuch verbundenen Ziele gegeben werden (Programm-evaluation).

Entsprechend den Prinzipien von Aktionsforschung sollen die verwendeten Me-thoden nutzerorientiert und prozessorientiert sein. Nutzerorientiert bezieht sich hier auf die teilnehmenden Fachkräfte. Sie selbst sollen die Fragen formulieren, mit denen sie ihre Praxis evaluieren, und sie selbst sollen Kriterien für den Er-folg des Schulversuchs entwickeln und fortlaufend bewerten. Prozessorientiert meint hier, dass die Globalziele des Schulversuchs im Aktionsforschungsprozess durch die Beteiligten konkretisiert wurden. Mit den Beteiligten sind hier auch die SchülerInnen gemeint, deren Meinungen und Fragen mit verschiedenen Metho-den erhoben und an verschiedenen Stellen des Forschungsprozesses thematisiert wurden. Diesen beiden Orientierungen liegt die Annahme zugrunde, dass sich sowohl die Fragen als auch die Fragenden beim Forschen verändern.

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2 Der Schulversuch

2.1 Ziele des Schulversuchs Ausgangspunkt des Schulversuchs war die Annahme, dass begabte Kinder zu problematischen Entwicklungen neigen, wenn ihre besonderen Begabungen nicht erkannt und sie nicht ausreichend gefordert und gefördert werden. Während im Projekttitel von „besonderer Begabung“ gesprochen wird, beginnt das Kon-zept mit dem Hinweis auf „ca. 2 Prozent besonders begabte Schüler, dabei ist die Begabung in verschiedenen Bereichen zu finden (intellektuelle, soziale, musika-lische, kreative, psychomotorische Begabung)“ (Konzeption, S. 3). Für eine besondere Förderung sprachen außerdem Nachfragen von Eltern, die Fortfüh-rung des Angebots zur Förderung begabter Kinder in Dresdner Kindertagesein-richtungen sowie der Anschluss an Begabtenfördermaßnahmen in der Sekun-darstufe.

Die Ziele des Projekts wurden im Konzept wie folgt formuliert:

Schwerpunkt Der Schwerpunkt des Schulversuches ist die Förderung von besonders begabten Schülern (intellektuelle Begabung), die integrativ mit Schülern unterschiedlicher Leistungspotentiale in einer Klasse lernen. Die Möglichkeiten der inneren Differen-zierung und Individualisierung im Unterricht werden dabei ausgeschöpft. Wissenserwerb Für besonders begabte Schüler werden durch entsprechend differenzierte und indivi-dualisierte Entwicklungspläne und Zusatzangebote Möglichkeiten geschaffen, die einen über die Leistungsanforderungen des Lehrplanes hinausgehenden Wissenser-werb und die Entwicklung von Lern- und Methodenkompetenz befördern. Sozialkompetenz und emotionale Intelligenz Neben dem Wissenserwerb werden die Entwicklung der Persönlichkeit, der Sozial-kompetenz und der emotionalen Intelligenz hohe Bedeutung beigemessen. Werte- und zielorientiertes Handeln Besonderer Wert wird auf die Entwicklung eines werte- und zielorientierten Han-delns auf der Grundlage eines humanistischen Menschenbildes und Verantwor-tungsbewusstseins im Sinne des Sächsischen Schulgesetzes gelegt.

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16 Der Schulversuch

Chancengerechtigkeit Mit dem Schulversuch werden die Entwicklungschancen für besonders begabte Schüler entsprechend ihrem Leistungspotential deutlich erhöht. Leistungs- und kindorientierte Grundschule Der Schulversuch versteht sich als Impuls zur Weiterentwicklung von Lehr- und Lernkultur in der leistungs- und kindorientierten Grundschule im Freistaat Sachsen. Wirkung auf andere Grundschule in Sachsen Der Schulversuch wirkt als innovativer Faktor für die Begabtenförderung in den Grundschulen Sachsens. Die Entwicklung von Förderangeboten für besonders be-gabte Schüler und die Implementierung in die Unterrichtspraxis leistet einen Beitrag für die Qualitätsentwicklung des Unterrichts in allen Grundschulen, gemessen an dem Anspruch, jeden Schüler entsprechend seinen individuellen Möglichkeiten zu fördern. (Konzept, S. 4).

2.2 Rahmenbedingungen des Schulversuchs Die Rahmenbedingungen des Schulversuchs waren zunächst vergleichsweise günstig. Sowohl der Status als Versuchsschule als auch die Aufnahme der Schule in das Impulsschulenprogramm der Karg-Stiftung ermöglichten eine besonders gute finanzielle und personelle Ausstattung.

Die Lernumgebung konnte durch finanzielle Zuwendungen des Kultusmi-nisteriums, der Karg-Stiftung und weiterer Sponsoren deutlich anregender gestal-tet werden. Dies spiegelt sich heute auch im äußeren Erscheinungsbild der Schu-le wider. Außerdem wurden für den Schulversuch zusätzliche Lehrerstunden im Grundbereich (je 4 Stunden in de 1. und 2. Klasse, je 2 Stunden in der 3. und 4. Klasse) sowie weitere Anrechnungsstunden für Projektleiterin und Klassenlehre-rInnen bereitgestellt. Mit Fortbildungen wurden z.T. das gesamte Kollegium, z.T. einzelne KollegInnen weiter qualifiziert. Schließlich wurde auch der zusätz-liche Aufwand für die Teilnahme an der Begleitforschung zumindest teilweise durch weitere Anrechnungsstunden bzw. Honorarverträge abgedeckt.

Verbunden mit dieser vielfältigen Förderung waren hohe Erwartungen an die Beteiligten und an das Gelingen des Schulversuchs. Von Beginn an wurde die 16. Grundschule nach außen hin als Modellprojekt dargestellt, an dem begab-te Kinder besonders gefördert würden. Übersehen wurde dabei allerdings, dass die dafür erforderlichen Kompetenzen zu Beginn des Schulversuchs nur begrenzt vorhanden waren. In der Konzeption des Schulversuchs wurden hohe Anforde-rungen an die Lehrkräfte formuliert: „Die Lehrkräfte, die sich diesem Schulver-such stellen, müssen in der Lage und bereit sein, die hohen Anforderungen an die Gestaltung des Unterrichts und darüber hinaus zu realisieren“ (Konzeption, S. 7).

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Rahmenbedingungen des Schulversuchs 17

So sollten sie z.B. über Vorkenntnisse zum Thema Begabtenförderung verfügen und in der Lage sein, „ein breites Methodenrepertoire auf der Grundlage effekti-ver Analyseverfahren“ anzuwenden.

De facto hatten sich viele Lehrkräfte mit dem Thema Hochbegabung zuvor nicht oder nur wenig beschäftigt. Etliche der beteiligten Kolleginnen hatten zu-dem nur wenig Berufserfahrung. Die Lehrerausbildung wiederum bereitet kaum auf moderne Formen offenen Unterrichts vor; noch weniger wird das Thema Hochbegabung thematisiert. Während also in der Konzeption des Schulversuchs ein „begabungsgerechter und begabungsentwickelnder Unterricht“ (S. 6) als gegeben vorausgesetzt wurde, waren viele Lehrkräfte noch dabei, sich überhaupt in das Thema einzuarbeiten.

Ergebnis war eine anfangs deutliche Diskrepanz zwischen der Außenwir-kung des Projekts und den entsprechenden Erwartungen nicht zuletzt von Eltern einerseits, der Realität im Schulalltag andererseits. Es wurde angenommen, dass an der 16. Grundschule Begabtenförderung erfolgreich durchgeführt wurde, da es so im Konzept formuliert war und einzelne Lehrkräfte bereits vor dem Projekt als Expertinnen auf diesem Gebiet hervorgetreten waren. Vor diesem Hinter-grund war es zu Beginn des Schulversuchs schwer, Unsicherheiten, kritische Fragen und Misserfolge zu thematisieren. Schwierigkeiten wurden oft nur „inof-fiziell“ in privaten Gesprächen benannt. Im Verlauf des Projekts gewannen die PädagogInnen mehr Sicherheit und konnten sich von überzogenen Erwartungen distanzieren. Damit gelang es dann, die im Konzept formulierten Zielsetzungen im Laufe des Schulversuchs tatsächlich zu realisieren.

Als weiteres Problem sind an dieser Stelle viele Wechsel von Lehrkräften und übergeordnetem Fachpersonal zu nennen. Allein im Untersuchungsjahrgang kam es zu zwei ursprünglich nicht beabsichtigten Klassenlehrer- und zahlreichen Fachlehrerwechseln. In der Schulleitung kam es zu Vertretungen durch Aus-landsaufenthalt sowie Elternzeit. Im dritten Schuljahr kam es nach längerer Inter-imszeit zu einer Neubesetzung der Schulleiterstelle. Die Wechsel in der Schullei-tung gingen mit schwierigen Konflikten einher, was verständlicherweise zu Ver-unsicherung bei den Beteiligten am Schulversuch führte. Auch im Regional-schulamt sowie im Kultusministerium wechselten die zuständigen Ansprechpart-nerInnen mehrfach. Personalwechsel sind sowohl an Schulen als auch in Behör-den unvermeidlich. Gerade für ein Modellprojekt sind sie aber besonders un-günstig, weil sie die kontinuierliche Arbeit an Zielen und Inhalten erschweren.

Eine besondere Schwierigkeit von schulischen Evaluationsvorhaben gene-rell stellen die komplexen Strukturen des Systems Schule dar. Unklare Abspra-chen und Zuständigkeiten, Missverständnisse bei der Formulierung von Arbeits-aufträgen sowie die allgemeine Belastung der Lehrkräfte durch die vielfältigen Anforderungen des Schulversuchs führten verschiedentlich zu Verzögerungen

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18 Der Schulversuch

und Irritationen in der Zusammenarbeit von Schule und Begleitforschung, die aber letztlich immer wieder konstruktiv aufgelöst werden konnten. Im zweiten Jahr der Begleitforschung kam es zu einer offenen Aussprache mit den Beteilig-ten über ihre allgemeine Befindlichkeit im Schulversuch, in der eine große Be-lastung der Lehrkräfte zum Ausdruck kam. Diese hingen zum Teil mit unerfüll-ten Erwartungen an die Möglichkeiten der Begleitforschung zusammen, aber auch mit strukturellen Konflikten in der Zusammenarbeit von Lehrkräften, Schulleitung, Hort, Eltern und Aufsichtsbehörde. Auf die Begleitforschung wirk-te sich dies insofern aus, als dass diese zeitweise in erster Linie als zusätzliche Belastung erlebt wurde („auch das noch!“).

Im Rückblick ist festzustellen, dass die Zusammenarbeit verschiedener In-stitutionen im Bereich der Begabtenförderung in Sachsen im Laufe des Schul-versuchs intensiver geworden ist. Während des Berichtszeitraum gelang es, die Koordination von Kindergärten und 16. Grundschule durch Kooperationsab-kommen zu verbessern. Die Fortsetzung der begonnenen Förderung an Gymna-sein führte zu Unsicherheiten vieler Eltern von Kindern mit besonderen Bega-bungen. Mit einem derzeit laufenden Anschlussprojekt des Kultusministeriums zur „Begabtenförderung am Übergang von der Grundschule zum Gymnasium“ wird dieses Thema aufgegriffen.

In Sachsen nahm im Februar 2008 die Beratungsstelle zur Begabtenförde-rung ihre Arbeit auf. Die Beratungsstelle soll Eltern, Schülern und Lehrern bei der Diagnose einer besonderen Begabung helfen. Und sie soll Eltern und Lehrer beraten, wie die Schüler am besten zu fördern sind. Die Einrichtung steht auch Schulen zur Verfügung, die Begabtenförderung als Mittel der Schul- und Unter-richtsentwicklung verstehen und sich auf diesem Gebiet weiter entwickeln wol-len. Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie verschiedene Einrichtungen (Kinder-tagesstätten, Grundschulen und weiterführende Schulen) zusammenarbeiten können, um mittelfristig ein flächendeckendes Angebot integrativer Begabten-förderung für den gesamten Bildungsweg vom Kindergarten bis zum Schulab-schluss und darüber hinaus zu etablieren.

Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass der Schulversuch tendenziell mit Erwartungen überfrachtet war und ist. Dem gegenüber wurde im Rahmen der Begleitforschung versucht, den Ergebnisdruck zu mildern, um Raum für eine offene Diskussion über die vielen Fragen zu ermöglichen, die der Versuch einer integrativen Förderung von begabten Kindern aufwerfen kann. Wie die abschlie-ßenden Rückmeldungen der Beteiligten zeigten, hat die Begleitforschung dieses Ziel erreicht und wurde insgesamt als positiv und bereichernd erlebt (vgl. Kapitel 8).

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Stichprobe und soziodemografische Daten 19

2.3 Stichprobe und soziodemografische Daten 2.3.1 Der 2003 eingeschulte Jahrgang Gegenstand der Untersuchung sind in erster Linie die im Jahre 2003 eingeschul-ten 1. Klassen. Erfreulicherweise erhielten wir von fast allen Eltern eine Einwil-ligung in die Aufnahme ihres Kindes in die wissenschaftliche Begleitforschung; im vierten Schuljahr hatten die Eltern aller Kinder ihre Einwilligung erteilt. Es liegen daher Angaben zu ca. 95 % der Kinder des Untersuchungsjahrgangs vor. Dies kann im Vergleich mit anderen entsprechenden Untersuchungen als ausge-zeichneter Wert angesehen werden.

In den Einschulungsjahrgang Herbst 2003 wurden zum Schuljahresbeginn zunächst 57 SchülerInnen aufgenommen, davon 20 Regelschulkinder („Regel-schulkinder“, 35,1 %) und 37 zusätzlich aufgenommene Kinder („Projektkin-der“, 64,9 %). Von den zusätzlich aufgenommen Kindern waren zwei Drittel als begabt eingestuft worden (vgl. Kapitel 3.6). Das Durchschnittsalter der Erstklässler lag bei 6 ½ Jahren, wobei sich die Vergleichsgruppen im Mittel kaum unterschieden. Allerdings wurden einige Projektkinder deutlich früher eingeschult; das jüngste Kind war bei Einschulung 5,4 Jahre alt. Auf der anderen Seite gab es sowohl Projekt- als auch Regelschulkinder, die erst mit sieben Jah-ren eingeschult wurden. Dazu kamen zwei Regelschulkinder, die die 1. Klasse wiederholten.

In allen Klassen gab es einen Jungenüberschuss (insgesamt 57,9 %), der vom höheren Jungenanteil unter den Projektkindern herrührte. Während die Regelschulkinder jeweils zur Hälfte Jungen bzw. Mädchen waren, waren fast zwei Drittel (62,2 %) der Projektkinder Jungen. Dies hat nicht zuletzt zur Folge, dass die Projektkinder in der Gruppe der Jungen mit 69,7 % deutlich überreprä-sentiert sind.

In allen Schuljahren des Untersuchungsjahrgangs gab es dann eine nicht unerhebliche Fluktuation in der Schülerschaft. Drei Kinder wurden verspätet ins erste Schuljahr aufgenommen, zwölf weitere im Verlauf der nächsten Schuljahre als Quereinsteiger oder aufgrund von Ortswechseln aufgenommen. Umgekehrt verließen elf SchülerInnen die Schule im Verlauf der Grundschulzeit.

Damit besuchten nur 2/3 der insgesamt aufgenommenen 70 Kinder für volle vier Jahre die 16. Grundschule. Neun von elf Abgängern waren Regelschulkin-der, wogegen es sich bei den fünfzehn Zugängen nur in vier Fällen um Regel-schulkinder handelte. Die anderen elf Kinder wurden zusätzlich als Projektkinder aufgenommen. Die Abgänge waren zum geringeren Teil durch Umzüge und besondere Ereignisse bedingt; in vier Fällen waren Leistungsprobleme, in einem weiteren Fall massive Verhaltensauffälligkeiten Grund der Umschulungen. Bei

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20 Der Schulversuch

den neu aufgenommenen Kindern handelte es sich ganz überwiegend um über-durchschnittlich begabte Kinder.

Insgesamt hatten die Wechsel eine deutliche Verringerung des Anteils der Regelschulkinder und eine Steigerung des Leistungsniveaus in den Klassen des Untersuchungsjahrgangs zur Folge. Zum Einschulungszeitpunkt waren noch ein Drittel der SchülerInnen Regelschulkinder. Am Ende der Grundschulzeit war ihr Anteil auf weniger als ein Viertel gesunken. In zwei der drei untersuchten Klas-sen standen nur noch vier Regelschulkinder 16 Projektkindern gegenüber. Im Ergebnis ist zumindest in diesen Klassen fraglich, ob noch von „Integrativer Begabtenförderung“ im eigentlichen Sinne gesprochen werden kann, weil nur noch ein kleiner Teil der Kinder aus dem Stadtteil stammt und deutlich mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler als zumindest überdurchschnittlich begabt eingestuft werden kann.

Wechsel gab es allerdings auch auf der Seite der Erwachsenen. In einer Klasse wechselte zum zweiten Schuljahr, in einer weiteren Klasse zum dritten Schuljahr die Klassenlehrerin. Damit verbunden waren etliche weitere Lehrer-wechsel, u.a. in Mathematik. Darüber hinaus kam es auch auf allen anderen Ebe-nen des Schulversuchs zu Wechseln, die sich auf den Prozess des Schulversuchs auswirkten (s. Kapitel 2.2).

2.3.2 Analyse soziodemografischer Daten Es ist ein offenes Geheimnis im Bereich der Begabtenförderung, dass besondere Fördermaßnahmen und Angebote meist von Eltern aus gesicherten sozialen Ver-hältnissen mit gutem Bildungshintergrund in Anspruch genommen werden. Dies ist nicht überraschend, da für Förderangebote und besondere Schulen oft viel Geld investiert werden muss. Oft liegt es aber auch schon daran, dass diese El-tern sich mehr über mögliche Angebote interessieren und sich besser informie-ren.

Informationen über die soziale Lage und den Bildungshintergrund von El-tern werden im Bereich der Begabtenförderung allerdings kaum einmal veröf-fentlicht – vielleicht, weil sonst all zu offensichtlich würde, dass viele Maßnah-men der Begabtenförderung nicht nur nicht zur Chancengleichheit beitragen, sondern im Gegenteil die zurzeit oft kritisierten sozialen Ungerechtigkeiten des deutschen Bildungswesens sogar noch verstärken können.

Im Rahmen der Begleitforschung an der 16. Grundschule konnten Daten zur Familienstand, zum Bildungsstand und zur Beschäftigungssituation aller Eltern erhoben werden. Die Daten wurden zum einen auf der Grundlage vorhandener Informationen von der Schule bereitgestellt, zum anderen mittels eines Elternfra-

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Stichprobe und soziodemografische Daten 21

gebogens vor den Sommerferien 2004 erhoben. Bei nachfolgenden Neuaufnah-men wurden diese Daten ebenfalls aufgenommen. Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf die Zusammensetzung der Stichprobe zu Beginn des zweiten Schuljahres. Ein Vergleich mit der Zusammensetzung der Stichprobe am Ende des vierten Schuljahres ergab trotz der vielen Zu- und Abgänge keine wesentli-chen Unterschiede zu den früheren Ergebnissen.

Die Analyse zeigt, dass sich die Eltern der Kinder, die im Rahmen des Schulversuchs zusätzlich aufgenommen wurden, in Bezug auf Bildungsstand und Beschäftigungssituation deutlich von den Eltern der Regelschulkinder unter-scheiden. Festzustellen ist im Durchschnitt ein höherer Bildungsstand sowie kaum Arbeitslosigkeit auf Seiten der Eltern der zusätzlich aufgenommenen Kin-der.

Über 80 % der Eltern von Projektkindern, aber nur gut 40 % der Väter und Mütter von Regelschulkindern verfügten über die Hochschulreife. Knapp drei Viertel der Väter und über zwei Drittel der Mütter der Projektkinder haben darü-ber hinaus ein Hochschul- oder zumindest Fachhochschulstudium abgeschlossen, aber nur etwa ein Drittel der Väter und knapp ein Viertel der Mütter der Regel-schulkinder. Doppelt so viele Projekt- wie Regelschulkinder wachsen daher zumindest mit einem Elternteil mit Hochschulabschluss auf. Kein Regelschul-kind, aber jedes fünfte Projektkind hat zumindest ein promoviertes Elternteil (vgl. die Abbildungen auf den folgenden Seiten sowie Tabelle A-1 im Anhang).

Erläuterung zu den Abbildungen auf den folgenden Seiten: 1 kein Schulabschluss 2 Hauptschule 3 Realschule / Polytechnische Oberschule 4 Fachschule ohne Abitur 5 Abitur 6 Fachhochschule 7 Wissenschaftliche Hochschule Angegeben ist der jeweils höchste Bildungsabschluss.

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Projektkinder Regelschulkinder

Abbildung 1: Erreichte Bildungsabschlüsse der Väter

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Projektkinder Regelschulkinder

Abbildung 2: Erreichte Bildungsabschlüsse der Mütter

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Stichprobe und soziodemografische Daten 23

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60%

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Projektkinder Regelschulkinder

Abbildung 3: Höchster Bildungsabschluss mindestens eines Elternteils In Bezug auf die Beschäftigungssituation zeigte sich, dass die Väter der Projekt-kinder zum Erhebungszeitpunkt zum allergrößten Teil Vollzeit beschäftigt war-en, keiner dagegen arbeitslos. Bei den Vätern der Regelschulkindern lag der Anteil der Vollbeschäftigten dagegen bei unter 40 %, der Anteil der Arbeitslosen mit knapp einem Viertel leicht über dem Landesdurchschnitt. Bei den Müttern war dieser Kontrast nicht so deutlich ausgeprägt, obwohl auch hier der Anteil der Beschäftigten bei den Projektkindern größer war.

Allerdings fiel auf, dass im Gegensatz zu einem Drittel der Mütter der Re-gelschulkinder nur wenige Mütter von Projektkindern angaben, arbeitslos zu sein. Etwa 20 % der Mütter von Projektkindern gaben dagegen an, nicht er-werbstätig zu sein, was von Müttern von Regelschulkindern nur selten angege-ben wurde (vgl. die Abbildungen auf der folgenden Seite).

Es kann vermutet werden, dass es sich bei den Eltern der Projektkinder in diesen Fällen um gut verdienende Väter handelt, so dass die Mütter sich ent-scheiden konnten, zu Hause zu bleiben und eine mögliche Berufstätigkeit zu-gunsten der Familie (zunächst) zurückzustellen. Dies zusammen mit ihrem oft hohen Ausbildungsniveau ermöglicht ihnen einen intensiven Einsatz für die Förderung ihrer Kinder.

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Vollzeit Teilzeit arbeitslos nichterwerbstätig

Projektkinder Regelschulkinder

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Vollzeit Teilzeit arbeitslos nichterwerbstätig

Projektkinder Regelschulkinder

Abbildung 4: Beschäftigungssituation der Väter (oben) und Mütter (unten)

(2005)

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Stichprobe und soziodemografische Daten 25

Die gelegentlich im persönlichen Gespräch geäußerte Vermutung, dass ein gro-ßer Teil der „Projekteltern“ einen westdeutschen Hintergrund hatte, konnte da-gegen nicht bestätigt werden. Zumindest kam der ganz überwiegende Teil (87,5 %) der Kinder des Untersuchungsjahrgangs in Dresden oder im Umland zur Welt und wuchs auch dort auf. Lediglich fünf Kinder stammten aus West-deutschland bzw. in einem Fall aus der Schweiz.

Fünf Kinder hatten Eltern mit Migrationshintergrund (in zwei Fällen Osteu-ropa, in drei Fällen Südostasien); bis auf eines kamen diese Kinder aber alle in Dresden zur Welt. Natürlich kann es sein, dass im Einzelfall Eltern aus West-deutschland stammten und bereits vor der Geburt nach Dresden zogen (dies wurde nicht erhoben); bei der Mehrheit der Familien war dies jedoch nicht der Fall.

Es lässt sich zusammenfassen, dass sich vor allem gut ausgebildete Eltern in gesicherten Verhältnissen durch den Schulversuch angesprochen fühlten bzw. Kinder solcher Eltern das Auswahlverfahren der Schule erfolgreich absolvierten. Dieses Ergebnis stellt eine wichtige Grundlage für die Einschätzung des Verlaufs und des Erfolgs des Schulversuchs dar – von der Gestaltung des Aufnahmever-fahrens bis hin zu Fragen der Elternarbeit.

Nicht zuletzt muss es im Kontext der aktuellen PISA-Ergebnisse zur Aus-wirkung der sozialen Herkunft auf den Bildungsverlauf gesehen werden. Diese bestätigten die im internationalen Vergleich in Deutschland sehr hohe Kopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg: Bei gleichen Lese- und Mathematik-fähigkeiten hat ein Akademikerkind eine viermal so hohe Chance wie ein Fach-arbeiterkind, das Gymnasium zu besuchen. Zwar wird von den Autoren der PI-SA-Studie in erster Linie die Notwendigkeit betont, leistungsschwächere Schüle-rInnen zu fördern, aber Defizite gibt es auch im oberen Bereich des Kompetenz-spektrums: „Die Befunde lassen erkennen, dass die materiellen und kulturellen Ressourcen der Elternhäuser eine bedeutsame Rolle bei der Kompetenzentwick-lung spielen. Dies bedeutet auch, dass Potentiale und Talente übersehen werden oder nicht ausreichend gefördert werden“ (PISA-Konsortium Deutschland, 2005, S. 40). So weisen die Autoren auf einen nicht unbeträchtlichen Anteil von Ju-gendlichen mit Migrationshintergrund hin, die Ergebnisse im oberen Kompe-tenzbereich erzielten.

Den Ergebnissen des PISA-Ländervergleichs zufolge war in Sachsen der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg geringer als im Bundesdurchschnitt. Es wäre bedauerlich, wenn nun gerade die Förderung von begabten Kindern Chancengerechtigkeit entgegenwirken würde. Dies bedeutet aber, dass der sozialen Herkunft bei der Identifikation und Auswahl von Kindern für besondere Fördermaßnahmen ein deutliches Gewicht gegeben werden muss. Dieser Erkenntnis wurde von Seiten der Schule dadurch Rechnung getragen,

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26 Der Schulversuch

dass im Auswahlverfahren für Bewerbungen sozialen Gründen heute stärker berücksichtigt werden als zu Beginn des Schulversuchs (vgl. Dokumentation, des Schulversuchs, SMK 2008, S. 18).

Unabhängig davon stellt es für Lehrkräfte eine besondere Herausforderung dar, sich derart gut situierten, hoch qualifizierten und oft sehr anspruchsvollen Eltern gegenüber zu sehen. Positiv ist das große Engagement vieler Eltern, ohne die viele Projekte und Vorhaben der Schule gar nicht zu realisieren gewesen wären. Auf der anderen Seite sind viele gut ausgebildete Eltern auch besonders anspruchsvoll und kritisch. Viele dieser Eltern stellen ihren Kindern materielle Möglichkeiten bereit, die auch eine gut ausgestattete Schule nicht bieten kann. Zum anderen können Eltern die pädagogische Arbeit der Fachkräfte in einem Ausmaß in Frage stellen, das an gewöhnlichen Schulen selten ist. Dies kann bis dahin gehen, dass Eltern Lehrkräften z.B. ungefragt Vorschläge für die Unter-richtsgestaltung machen. Vor diesem Hintergrund war eine intensive Elternarbeit im Schulversuch sowohl möglich als auch erforderlich.

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3 Psychologische Diagnostik

3.1 Überblick und Verfahren Die testpsychologischen Untersuchungen im Rahmen der Begleitforschung um-fassten die Bereiche Intelligenz, Selbstkonzept, sozial-emotionales Schulerleben und soziale Integration. Die Auswahl der Verfahren orientierte sich zunächst an der LOGIK-Studie (Weinert, 1998), der umfassendsten neueren deutschen Studie zur Entwicklung der Intelligenz im Kindesalter sowie an der Evaluation des Schulversuchs zur Integrativen Begabtenförderung an der Beuthener Straße in Hannover (Henze, Sandfuchs & Zumhasch, 2006 sowie die vorliegenden unver-öffentlichten Zwischenberichte des Projekts). Im Verlauf der Begleitforschung konnten sowohl im Bereich der Intelligenz als auch im Bereich des sozial-emotionalen Erlebens neue bzw. neu normierte Verfahren verwendet werden. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die durchgeführten Untersuchungen und Befragungen.

Tabelle 1: Übersicht über psychologische Diagnostik und standardisierte

Befragungen Intelligenz Selbstkonzept Soziale Aspekte 1. Schuljahr 2. Hj. CFT 1 FSK 2. Schuljahr 1. Hj. 2. Hj.

SPM

FSK

Soziometrie FEESS 1-2

3. Schuljahr 1. Hj. 2. Hj.

CFT 20-R

FSK

Soziometrie FEESS 3-4

4. Schuljahr 1. Hj. 2. Hj.

PSB-R 4-6 FSK

FEESS 3-4

Die diagnostischen Untersuchungen wurden überwiegend als Gruppentests,

zum kleineren Teil als Einzelbefragungen durchgeführt. Angesichts des finan-ziellen Rahmens der Begleitforschung musste der Umfang der diagnostischen Untersuchungen begrenzt bleiben. Dies lag auch im Interesse der SchülerInnen und Lehrkräfte, denen nicht zu viele psychologische Testuntersuchungen zuge-mutet werden sollten. Nicht zuletzt ergab sich ein Problem dadurch, dass eine

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28 Psychologische Diagnostik

der untersuchten Klassen im Schuljahr 2006/2007 für die Teilnahme an der TIMMS-Studie ausgewählt wurde1. Um den Umfang testpsychologischer Unter-suchungen nicht zu groß werden zu lassen, wurde daher die letzte intelligenz-diagnostische Untersuchung nicht zum Schuljahresende, sondern bereits am Ende des ersten Halbjahres durchgeführt. Dies hatte zudem den Vorteil, dass die Ergebnisse in Einzelfällen bei der Erarbeitung der Bildungsempfehlungen be-rücksichtigt werden konnten.

Bei der Analyse der Daten ergab sich zunächst die Frage der Definition von Vergleichsgruppen. Im Auswahlverfahren für die zusätzlich aufzunehmenden Kinder wurde eine Einstufung der Begabungen der Kinder vorgenommen. Aller-dings wurden auch etliche Kinder aufgenommen, die dem Kriterium „begabt“ nicht genügten. Die Regelschulkinder wurden nicht auf eine mögliche Begabung hin überprüft. Wie sich herausstellte, ließ sich eine anfängliche Einstufung als „begabt“ oder „nicht begabt“ durch die psychologische Diagnostik in vielen Fällen nicht bestätigen, so dass im Vordergrund der Auswertungen der Vergleich von Projekt- und Regelschulkindern steht.

Aus der Forschung ist bekannt, dass Leistungen und Sozialverhalten im Grundschulalter wesentlich mit dem Geschlecht zusammenhängen. Darum wur-den alle Ergebnisse nach Geschlecht differenziert analysiert. Grundlage für vergleichende Analysen sind damit folgende Variablen: „Projektkinder“ (zusätzlich aufgenommene Kinder) vs. „Regelschulkinder“ (aus dem Schulbezirk); 1. im Aufnahmeverfahren als „begabt“ eingestufte vs. als „nicht begabt“ ein-

gestufte Kinder; 2. Bildung von drei Begabungsgruppen auf der Grundlage von Intelligenztest-

ergebnissen („hochbegabt“ – „überdurchschnittlich begabt“ – „durchschnitt-lich begabt“);

3. Jungen und Mädchen. Beim Vergleich von Ergebnissen über mehrere Schuljahre hinweg muss bedacht werden, dass die Gruppen aufgrund von Fehlzeiten, Zu- und Abgängen nicht identisch sind. Die Zahl der leistungsstärkeren Kinder im Untersuchungsjahr-gang hat dadurch tendenziell zugenommen. 1 In einer Stellungnahme des Verfassers wurden den leitenden Wissenschaftler der Studie sowie den zuständigen Mitarbeiter des SMK diesbezügliche Bedenken mitgeteilt. Insbesondere wurde darauf hingewiesen, dass die 16. Grundschule eine Modellschule und ihr Schülerklientel angesichts des hohen Anteils überdurchschnittlich begabter SchülerInnen in keiner Weise repräsentativ für die allgemeine Schülerschaft ist. Die Aufnahme der betreffenden Klasse in die der TIMMS-Studie zugrunde liegende „Zufallsauswahl“ ist vor diesem Hintergrund als problematisch einzustufen. Dennoch wurde auf der Durchführung der Tests bestanden.

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Überblick und Verfahren 29

Die Ergebnisse der diagnostischen Untersuchungen wurden regelmäßig in den Prozess der Begleitforschung eingebracht. Zum einen wurden im Rahmen der Reflexionstreffen Ergebnisse allgemein dargestellt und mögliche Ursachen und Hintergründe diskutiert. Zum anderen wurden individuelle Ergebnisse mit den Lehrkräften und Horterzieherinnen im jeweiligen Klassenteam besprochen. Einzelne Aspekte wurden auch in Gesprächsrunden mit Kindern thematisiert. Die Ergebnisse dieser Besprechungen sind in die Ergebnisdarstellung mit eingef-lossen. Schließlich wurden ausgewählte Ergebnisse an Elternabenden dargestellt; hier wurden allerdings ausdrücklich keine individuellen Ergebnisse oder Aussa-gen über einzelne Klassen mitgeteilt.

3.1.1 Intelligenz Bei der Auswahl geeigneter Verfahren für die Diagnostik der Intelligenz ergaben sich zwei Probleme. Zum einen lagen zu Beginn des Schulversuchs kaum Intel-ligenztestverfahren für das Grundschulalter vor, die über aktuelle Normen verfü-gen und im oberen Begabungsbereich gut differenzieren. Dies hat sich allerdings in den letzten Jahren geändert, so dass im weiteren Verlauf aktuellere Verfahren verwendet werden konnten.

Zum anderen gibt es verschiedene Intelligenzmodelle und damit verbunden auch Testverfahren, die verschiedene Aspekte von Intelligenz erfassen. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Modellvorstellungen lassen sich Testverfahren in eindimensionale und mehrdimensionale Tests einteilen (Rohrmann & Rohrmann, 2005). Mehrdimensionale Intelligenztests ergeben ein Profil intellektueller Fä-higkeiten, das Aussagen über spezifische Fähigkeiten ermöglichen soll. Diese spezifischen Fähigkeiten stehen in engem Zusammenhang mit Bildungsinhalten, wie sie zum Beispiel im schulischen Lernen erworben werden, und sind damit vom Bildungsstand abhängig. Ein solches Verfahren, der KFT, kam bereits im Rahmen des Auswahlverfahrens für den Untersuchungsjahrgang zum Einsatz.

In eindimensionalen, sprachfreien Verfahren wird Intelligenz dagegen als Problemlösefähigkeit, als Fähigkeit zum logischen und schlussfolgernden Den-ken verstanden. Diese Verfahren haben das Ziel, Intelligenz unabhängig vom Wissen zu erfassen, das in familiären Sozialisationsprozessen oder schulischen Lernsituationen erworben wurde2. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitfor-

2 Neuere Untersuchungen stellen die Annahme, dass sprachfreie Verfahren Intelligenz unabhän-gig von Bildungs- bzw. Umwelterfahrungen erfassen, immer mehr infrage. Welche konkreten Um-weltfaktoren und Lernerfahrungen es sind, die sich auf die Leistungen in sprachfreien Intelligenztests auswirken könnten, ist bislang jedoch nicht geklärt (vgl. Rohrmann & Rohrmann, 2005, S. 66f.; Neubauer & Stern, 2007 ).