theophrasts kritik am unbewegten beweger des aristoteles

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Theophrasts Kritik am unbewegten Beweger des Aristoteles Author(s): Dorothea Frede Source: Phronesis, Vol. 16, No. 1 (1971), pp. 65-79 Published by: BRILL Stable URL: http://www.jstor.org/stable/4181857 . Accessed: 22/04/2013 09:20 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . BRILL is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Phronesis. http://www.jstor.org This content downloaded from 132.174.255.116 on Mon, 22 Apr 2013 09:20:55 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Page 1: Theophrasts Kritik Am Unbewegten Beweger Des Aristoteles

Theophrasts Kritik am unbewegten Beweger des AristotelesAuthor(s): Dorothea FredeSource: Phronesis, Vol. 16, No. 1 (1971), pp. 65-79Published by: BRILLStable URL: http://www.jstor.org/stable/4181857 .

Accessed: 22/04/2013 09:20

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Page 2: Theophrasts Kritik Am Unbewegten Beweger Des Aristoteles

Theophrasts Kritik am unbewegten Beweger des Aristoteles

DOROTHEA FREDE

Seit W. Jaeger') die Widerspriiche und Unstimmigkeiten im Kosmologischen "System" des Aristoteles auf verschiedene Veranderungen zuriickgefiihrt hat, die Aristoteles im Lauf

seines Lebens an seiner kosmologischen Theorie vorgenommen hat, ist die Frage der Entwicklung der aristotelischen Kosmologie ver- schiedentlich Gegenstand von Diskussionen gewesen. Man unter- scheidet nun im wesentlichen vier Stufen in dieser Entwicklung: die noch von Platon beeinfluBte Kosmologie von "De philosophia", das mechanistische Himmelssystem von "De caelo", die Lehre vom unbewegten Beweger in Met. A 6-9 und Physik H, 0 und schlieflich den (Ybergang von einem zu vielen unbewegten Bewegern in Met. A 8.2

Die Diskussion iiber diese Entwicklung soil hier nicht aufgenommen werden, ich will mich kurz auf eine Zusammenfassung der Ergebnisse beschranken, soweit sie die Lehre des Aristoteles in seiner spateren Zeit betreffen (I), und mich dann der Frage zuwenden, welche Fassung

'Aristoteles, Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin 1923 (1955 2. Aufl.); s.a. Studien z. Entstehungsgeschichte d. Metaphysik d. Aristote- les, Berlin 1912. 2 H. v. Amnim, Die Entstehung d. Gotteslehre d. Aristoteles, Sitzungsber. d. Akad d. Wiss. in Wien, phil.-hist. Klasse CCXXII, 1931 5. Abhandlung. W. D. Ross, Aristotle's Metaphysics, Oxford 1924 Bd. II, S. 384-396; Aristotle's Physics, Oxford 1936 Introduction S. 94-102. W. Jaeger, Theophrastus' Metaphysics edd. Ross & Fobes, Gnomon VIII, 1932, S. 290-295. W. K. C. Guthrie, Aristotle On the Heaven, London 1939, Preface XV-XXXVI; The Development of Aristotle's Theology, Class. Qu. XXVII, 1933, S. 162-171; E. Grumach, Physis und Agathon in d. alten Stoa, Problemata VI, 1931, Berlin, S. 48 ff. Ph. Merlan, Aristotle's Unmoved Movers, Traditio IV, 1946, S. 1-30. W. Schadewaldt, Eudoxos v. Knidos und die Lehre vom unbewegten Beweger, Satura - Festschrift f. Otto Weinreich, Baden-Baden 1952, S. 103-129. K. Oehler, Der Beweis f.d. unbewegten Beweger b. Aristoteles (Metaph. A 6, 1071 b 3-20) Philol. 99, 1955, S. 70-93. G. Reale, Teofrasto e la sua aporetica Metafisica, Brescia 1964, S. 103-134. Eine ausfiihrliche Bibliographie bringt Reale S. 111.

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Page 3: Theophrasts Kritik Am Unbewegten Beweger Des Aristoteles

der aristotelischen Kosmologie der Kritik Theophrasts im sog. Meta- physikfragment zugrundeliegt (II).

Als letzte Stufe in der Entwicklung der aristotelischen Kosmologie ist nach Jaeger die Ersetzung der Lehre von einem unbewegten Be- weger als Ursache fur die Himmelsbewegungen durch die Annahme mehrerer von einander unabhangiger unbewegter Spharenbeweger anzusehen, die von Aristoteles in Met. A 8 vorgenommen wird. Fur die Richtigkeit der Annahme, daB das 8. Kapitel in den letzten Lebens- jahren des Aristoteles entstanden ist und erst spater in den Kontext der uns uiberlieferten Metaphysik gesteilt wurde, sprechen vor allem zwei Griinde: einerseits die Beobachtung, daB A 8 vom Stil wie auch vom Inhalt her den Zusammenhang der iibrigen Kapitel unterbricht (vgl. Jaeger, Aristoteles S. 369 ff), anderseits die Tatsache, daB Aristoteles in seine astronomischen Ausfiihrungen in A 8 die Ver- besserungen mit aufgenommen hat, die der Astronom Kallippos am kosmologischen System des Eudoxos vorgenommen hatte (A 8, 1073 b 17 ff; 1073 b 32): da Aristoteles kaum vor 330 v. Chr. mit Kallippos zusammengetroffen sein kann, muB Met. A 8 in den Jahren zwischen 330 und 323 entstanden sein.3

Aristoteles hat, wie Jaeger weiter darsteilt (a.a.O. S. 371 f), seine Lehre von der Vielzahl unbewegter Beweger nicht mehr in seine Schriften einarbeiten konnen: Met. A 8 steht unverbunden zwischen zwei Kapiteln, die ausschlieBlich von einem unbewegten Beweger handeln. Auch in den anderen Schriften sind die Verweise auf eine m6gliche Pluralitat der Bewegungsprinzipien nur fluchtig hinzugefugt und nicht weiter verarbeitet (a.a.O. S. 387-392). So ist zu vermuten, daB Aristoteles seine neue Erklarung fulr die Vielfiltigkeit der Him- melsbewegungen erst spat entwickelt hat und sie selbst nicht mehr weiter diskutieren konnte.

Jaegers Beweisfiihrung ist nicht ohne Widerspruch aufgenommen worden. So vertritt Merlan4 eine Interpretation, nach der Kapitel 8 durchaus zum urspriinglichen Bestand des Buches A der Metaphysik gehbrt. Seine Auffassung hat von verschiedener Seite Zustimmung

a Zu Kallippos vgl. Jaeger S. 366; Ross Metaphysics II, S. 391. Aristotle's Unmoved Mover, Traditio IV, 1946, S. 1-30.

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Page 4: Theophrasts Kritik Am Unbewegten Beweger Des Aristoteles

gefunden,5 und von Reale ist die Kritik an Jaegers Argumentation noch weiter ausgefiihrt und erganzt worden.

Betrachten wir kurz Merlans Interpretation. Nach seinen Darlegungen fiigt sich das Kapitel 8 ohne weiteres in

den Kontext von Met. A ein: Die Kapitel 7 und 9 beschranken sich auf die Bestimmung des Begri//es eines unbewegten Bewegers und lassen offen, ob es sich um einen einzigen oder aber um eine Klasse von unbewegten Bewegern handelt: "But whether or not this sphere comprises more than one unmoved entity was, as he understood it, still an entirely open question - open, of course, for his hearers rather than the author, who being still a Platonist, probably felt sure from the very outset, that the sphere of "unmnoved entity" comprises more than one umoved entity" (Merlan S. 8; vgl. Reale S. 116-127). Das Kapitel 8 enth5it also nach dieser Auffassung als notwendige Er- ganzung zu den Kapiteln 6, 7 und 9 die Untersuchung dariiber, ob ein oder mehrere Beweger als causa movens des Himmelssystems anzusehen sind.

Von der Annahme her, daB Aristoteles sich in der Frage nach dem unbewegten Beweger noch stark an Platon anlehnt, vermag Merlan auch die Schwierigkeit zu l6sen, wie es eine Vielfalt von unbewegten Bewegern geben soll, wenn diese keine Materie haben: Sie sind nicht Individuen einer species sondern "unica in specie " (Merlan S. 9/10) und unterscheiden sich voneinander wie die platonischen idealen Zahlen nur in Hinblick auf das "np6&epov - U'arepov", d.h. nach der Anordnung der jeweils den Bewegern zugeordneten Spharen.6

Merlans Vorschlag erscheint zunachst iiberzeugend, weil er nicht nur erlaubt, am uiberlieferten Text festzuhalten, sondern auch eine verhaltnismaBig einfache Losung fur viele Schwierigkeiten in den Kapi- teln 6-8 bietet. Verschiedene schwache Stellen in dieser Interpretation lassen sich bei n.herer Untersuchung dennoch nicht uibersehen.

5 Vgl. A. J. Festugi6re, Les Premiers Moteurs d'Aristote, Revue philosophique de la France et de l'Etranger CXXXIX, 1949, S. 66-71; G. Reale, Teofrasto e la sua aporetica Metafisica, Brescia 1964 (Rez. A. Solignac, Archives de Philo- sophie XXI, 1968, S. 151-152). 6 Auf diesem Hintergrund versteht Merlan auch den Einschub in A 8, 1074 a 31- 38, der der Annahme einer Vielzahl von Bewegern zu widersprechen scheint. Was Aristoteles hier nach Merlan im Auge hat (S. 12 f) ist nicht die Widerlegung der Annahme mehrerer unbewegter Beweger uberhaupt, sondern die Annahme mehrerer Hierarchien unbewegter Beweger, die nicht ein sondern viele Himmels- systeme lenken wfirden. Zu diesem Einschub s.u. S. 76/77.

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So ist schwer vorstellbar, daB Aristoteles in der spaten Zeit, in der das 8. Kapitel wegen der Beschaftigung mit den Theorien des Kal- lippos entstanden sein muB, noch ohne weiteres ein AnalogieverhMtnis zwischen der Lelhre von den idealen Zahlen Platons und seiner eigenen Theorie von den unbewegten Bewegern voraussetzen wiirde.7 Und daher scheint es auch mehr als zweifelhaft, - wie auch immer es sich mit der Theorie vom 7rp6,rpov - ucrrpov verhalten mag - daB Aristoteles in A 8 Platons Unterscheidung durch ein 7tpo6rpov - ufarTpov-Verhaltnis anwendet, ohne dem Leser einen deutlichen Hinweis zu geben, zumal er dort als anscheinend einziges Prinzip numerischer Verschiedenheit die Materie nennt (1074 a 33/34).

DaB Aristoteles sich in seiner spateren Zeit in Fragen der Kosmologie noch so eng an Platon und der Akademie orientiert hat, wie Merlan es wil (S. 2 ff), ist auch deswegen zweifelhaft, weil fiir Aristoteles lange Zeit ein monistisches System zum mindesten im Vordergrund der tYberlegungen gestanden hat, wie de Caelo und Phys. 0 5-6 (und auch die Kritik Theophrasts, wie wir noch sehen werden) zeigen. Da also von einer kontinuierlichen Anlehnung an Platon in dieser Frage schwerlich die Rede sein kann, diirfte es fur einen Leser von Kapitel 7 nicht einmal eine "open question" sein, ob Aristoteles einen oder mehrere Beweger annimmt: nichts deutet auf eine VielzahJ von solchen Bewegern hin. Wenn Aristoteles in Met. A 6 und 7 die Behandlung dieser Frage nur ausgespart hatte, um sie im 8. Kapitel zu behandeln, wiirde man Hinweise wie in Phys. 0 6, 259 a 6-13; 258 b 10/11; 259 b 28-31 erwarten oder wenigstens statt der Be- zeichnung fur den unbewegten Beweger als "o b 6s" (1072 b 25-30) etwa "-a &eZov j ',& ?*6ic" und statt des Ausdrucks "-rccu'Tv 'Tv outaLov"

(7,1073 a 6) ein "rrv -rotc&rnp oUialav" wie am Anfang von Kap. 8 (1073 a 14).

Vor allem aber ist befremdlich, daB Aristoteles auch nach dem Beweis fuir die Notwendigkeit mehrerer unbewegter Beweger in Kapitel 9 nur von dem vo5c spricht, und nicht einmal andeutungsweise erwahnt, daB und wie die Bestimmung fuir den ersten Beweger als sich selbst denkenden vo5q auch fur die uibrigen Beweger gilt. Das Verhaltnis der unbewegten Beweger zueinander bleibt so ganz ungeklart. Dies ist erklarlich, wean Kapitel 8, wie Jaeger es auffal3t, ein spater

7Diese Schwierigkeit scheint vor allem Reale, der das ganze Buch A in die Spatzeit des Aristoteles datiert, entgangen zu sein, wenn er Merlans "platoni- sierende" Losung ubernimmt (S. 123-127).

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Page 6: Theophrasts Kritik Am Unbewegten Beweger Des Aristoteles

Zusatz ist, der von Aristoteles nicht mehr weiter ausgearbeitet wurde. Ist A 8 dagegen in einem Zusammenhang mit den uibrigen Kapiteln von Met. A entstanden, so ist unbegreiflich, warum Aristoteles jegliche Andeutung uiber diese fur einen Metaphysiker so wichtige Frage unterlaBt, astronomische Theorien dagegen ausfulhrlich bespricht.

Jaeger hat seine Beobachtung, das 8. Kapitel hebe sich auch vom Stil her deutlich gegen die fibrigen Kapitel des Buches A ab, im ein- zelnen nicht weiter nachgewiesen. Reale bemuiht sich demgegeniuber herauszustellen, daB das 8. Kapitel wegen der Kiirze und Konzentriert- heit der Ausfiihrungen des Aristoteles dem Verstandnis nicht weniger Schwierigkeiten bereite, als die uibrigen Kapitel (S. 112-115). Ein Vergleich der Kapitel 6, 7 und 9 mit Kapitel 8 macht jedoch sofort deutlich, worauf sich Jaegers Behauptung fiber den Stil bezieht: Alle anderen Kapitel bestehen aus sehr kurzen Satzen, oft nur Satz- radikalen, deren Sinn eben dieser verkiurzten Ausdrucksweise wegen schwer zu verstehen ist. Vielfach sind Worte aus dem Vorhergehenden zu erganzen, und oft sind es nicht die grammatikalisch nachst liegen- den. Ich zitiere nur Met. A 6,1072 a 10-15: "cI 8'e [Lexx yXvsatq xat

(p,op& EIVCXL, aX)o elzt lVaX &eCL EVEpyoUV &Xxwq xat &)Xwq. av&yxj &pM E ?L&V xaO& cvuto EVepyeV C18)L a XoTt &XXO. irOL 5"px Xad ?pov xoct&

toi5'ro. o&vcyx7) a xmctx Vouo. 7x0V yap c ZeVO Lur'7(0 rT xOtov x&xdLvc.

Das Kapital 8 dagegen besteht (mit Ausnahme des Einschubs 1074 a 31-38 s.u. S. 76 f.) aus langen sorgfMltig konstruierten Satzperioden: (1073 b 13-17) "T6 a? )o61tv Tc'L [LeV 47qOuVVto ou'OVg &eL ?Ox a? tuV1*uVo-

LeVOUq 7XocpM 'rTV J7rOUV'wcJV, XV rt 9V7IvaLt np& t& VUV eLtpYLeva toL; T0cka mpoyt-oeuO%2OLe , ypL?LV .LeV a'icp o'rpOUq, 7?teOaNCL ai -roZ axpc-

PeT'rpoLq." Durch die Kompliziertheit der Konstruktionen wird oft das Verstandnis erschwert, besonders an den Stellen, an denen Aristo- teles auf astronomische Berechnungen fiber die Anzahl der Spharen eingeht. Diese Schwierigkeit ist jedoch von ganz anderer Art als in den ulbrigen Kapiteln, in denen Aristoteles anscheinend vieles muind- licher Ausfiihrung vorbehielt.8

Trotz der Vorteile der Merlanschen Interpretation scheint man mir aus den angefuihrten Grfinden doch davon ausgehen zu muissen, daB das 8. Kapitel ein spaterer Zusatz ist, und daB Aristoteles wenigstens

8 Es fallt auch auf, daB Aristoteles sich in Kap. 8 anders als in den ubrigen Kapiteln sorgfiLtig um die Vermeidung von Hiaten bemiiht (mit Ausnahme von 1073 b 38-1074 a 38). Vgl. dazu Ross Met. II, 383 ad 1073 a 3-38 und Merlan S. 18 n 58.

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eine zeitlang von nur einem unbewegten Beweger ausgegangen ist, wie Jaeger es darstellt. Eine genauere Betrachtung iiber das Ver- hMitnis der kleinen Metaphysikschrift des Theophrast zu Aristoteles' Metaphysik A soll uns helfen, die Veranderung des Begriffes des unbewegten Bewegers bei Aristoteles weiter zu klaren.

II

Die Diskussion uiber die Spharenbeweger ist nach allgemeiner Auf- fassung unter Theophrast im Peripatos fortgesetzt worden, der, wie aus dem Metaphysikfragment hervorgehe, die Theorie von A 8 als unvereinbar mit der sonstigen Lebre des Aristoteles kritisiert habe und selbst wieder zu einem monistischen System zuriickgekehrt sei (Jaeger S. 374; Merlan S. 29-30; Grumach S. 56-64; Reale S. 46-50). Gegen die Richtigkeit dieser Darstellung des Verhiltnisses des Metaphysikfragments des Thphr. zur aristotelischen Metaphysik ergeben sich bei genauerer Betrachtung jedoch schwerwiegende Ein- wande.

So unzweifelhaft es ist, daB Thphr. in seinem Metaphysikfragment9 die Kosmologie des Aristoteles kritisiert und zu modifizieren versucht, so ist doch zu bezweifeln, ob er bei seiner Kritik die Lehre von der Vielzahl der unbewegten Beweger im Auge hat, wie sie von Aristoteles in Met. A 8 vertreten wird. Mir scheint, man kann vielmehr nachweisen, daB Theophrast diese Theorie zur Zeit der Abfassung seiner kleinen Schrift uber Probleme der Metaphysik nicht gekannt hat, sondern daB er sich mit seiner Kritik gegen schwache Stellen im monistischen System des Aristoteles richtet, d.h. also gegen die Theorie von einem ersten unbewegten Beweger, der die Gestirnsspharen vermittels ihrer 6peEtq zu ihm bewegt.

Zunachst scheint freilich der Augenschein gegen meine Annahme zu sprechen; denn an zwei Stellen erwagt Thphr. die M6glichkeit mehrerer erster Prinzipien und gibt einem ersten Beweger den Vorzug (4 b 6-11; 5 a 17-18). Im Zusammenhang mit dieser Frage scheint sich Thphr. auch unmittelbar auf Met. A 8 zu beziehen (vgl. Thphr. 5 a 21-23; Aristoteles Met. A. 8, 1073 b 3-5).10

9 Zitiert nach Ross-Fobes, Oxford 1929. 10 Thphr. eigene kosmologische Vorstellungen konnen hier nicht diskutiert werden, eine ausfuhrliche Behandlung bietet Reale S. 37 ff, 148 ff und im fort- laufenden Kommentar zur tbersetzung S. 165 ff.

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Page 8: Theophrasts Kritik Am Unbewegten Beweger Des Aristoteles

Betrachten wir zunachst die beiden ersten Stellen genauer: Die erste Stelle enth5lt durchaus keine kritische Auseinandersetzung mit einem pluralistischen kosmologischen System sondern nur eine vor- sichtige Spekulation uiber eine mogliche erste Substanz (4 b 6-11):

eL a ?repx 'L' OVat(M 7tpOt?ep XOL Xpe(t5t)V SaTLV, laU'T-V 7M?pOLQM1V xecyeLv,

7'CoTpov po TL4 xa aptBLF6v Xct eTl80o t xovr& yevoq. eUoy'repoV

8' oi'iv & puaLV CotaoC ev 'OX LyOL4 eINO L xoci 7CpLQTOLq d { xal

:pWtoL0 X &l teV -z 7pCTC. Aristoteles selbst hat in der mittleren Phase seiner Kosmologie ahnliche Erwagungen fiber die Moglichkeit mehrerer erster Beweger angestellt: "e6rep oUv &oatAo ' xtv7aL &LLOV

xocL TO xLV0oV CaX 7UpFOTOV, EL SL av e 7tA,EE, 7rtXeL(O X' CatLM. 9V 8? VOaAoV

n 7orao, c 7rE7epoc,rIV &7tLpO (E V LV. tG)V OWTOiV yap au4tLV6V-

T'JV OC TO& =?7rspOajVx j&?Xov X-e0ov" (Phys. 0 6, 259 a 6-12; s.a. 258 b 10-11; 259 b 28-31)11

An der zweiten Stelle (5 a 17-21) lehnt Thphr. zwar ausdriicklich die Moglichkeit ab, mehrere erste Ursachen fuir die verschiedenartigen und z.T. gegenlaufigen Stembewegungen anzusetzen. Sie wird aber nur kurz erwogen und mit einem einzigen Argument abgetan, so wie man gewohnlich eine Moglichkeit ausscheidet, die der Vollstandigkeit halber wenigstens zu erwahnen ist: ""tVe: yap &v '7 XLV0ov, OCOTnOV 70

Cn ntwrca (sc. -r& xux?Lxoc) T'7?v oc'rq'v (sc. x(vnaLV)' ete xc&' gxcarov Trepov x4t 'r'& (pXcL ntXe , o wa'e O- CU>p&vov O vUS6OV ELT&V l sp.V toV -V

&p(a'rn'v oU'aoqi 9vep6v". - Auch hier kann man von einer Ausein- andersetzung mit dem Gedanken eines pluralistischen Himmelssystems eigentlich nicht sprechen: Der Einwand Theophrasts, die Harmonie der Gestirnsbewegungen werde durch die Annahme mehrerer erster Prinzipien fragwuirdig, macht keineswegs den Umfang der Schwierig- keiten und Widersprfiche deutlich, die sich aus einer Vielzahl unbe- wegter Beweger ffir Aristoteles' Lehre von der Einheit und Begrenzt- heit des Himmels, den Begriff der Kausalitat etc. ergeben mfissen.i2

Uberhaupt ist auffillig, daB das Problem eines pluralistischen kos- mologischen Systems ffir Thphr. nur wenig Gewicht zu haben scheint. Nur an den zwei genannten Stellen wird die Moglichkeit mehrerer erster Beweger fiberhaupt erw5ihnt und gleich wieder fallengelassen.

11 Jaeger erklart diese Stellen als spate Zusatze (a.a.O. S. 387-392); dagegen Ross Phys. Introd. S. 101 f. Is Vgl. dagegen die Kritik Plotins an Aristoteles Enn. V, 1, 9; Jaeger a.a.O. S. 376-378; Reale S. 122 n 39.

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Page 9: Theophrasts Kritik Am Unbewegten Beweger Des Aristoteles

Dagegen er6rtert Thphr. auf breitem Raum Schwierigkeiten, die sich fur Aristoteles aus seinem monistischen System ergeben, von denen ich hier nur einige nennen will. - Der Begriff der "9(pcr" oder "6pEcq", vermittels welcher die Spharen durch den unbewegten Beweger bewegt werden, erscheint Thphr. unklar (5 a 5-17), und auch die Bewegung als energeia der Spharen aus Sehnsucht nach dem ersten Beweger ist fragwiirdig (5 a 23-25; 7 b 9 ff): Warum bewegen sich die Gestirne und stehen nicht still, um so die Unbewegtheit des ersten Bewegers nachzuahmen? In Zusammenhang mit dem Problem des Begriffs des unbewegten Bewegers greift Thphr. auch die Frage auf, die Aristoteles bereits in De caelo II, 3 beschaftigt hat: warum die Erde als ein Teil des Himmels nicht gleichfalls eine Kreisbewegung ausfiihrt, sondern ruht (5 b 10-26).13 Ein fulr Thphr. wichtiges Problem scheint aber vor allem die Frage gewesen zu sein, warum die Himmelsk6rper in ihrer orexis nach Aristoteles keine bessere energeia erlangen als die Kreis- bewegung (5 a 28-b 10): Da die Spharen beseelt sein miissen, um ein Begehren nach der Aktualitat des unbewegten Bewegers empfinden zu k6nnen, miiBten sie statt der Kreisbewegung die beste fur die Seele mogliche energeia ausfiihren - "XpEL'tOV yap T 'rr 4uxnc, XOCt 7tp(rr

8 xoa [LOFaxcr 1 -q aLtzVOLoc, Mqy' fq xaL - 6pe,cc" (5 b 8-10; vgl. 5 b 26-28).14

Es ist nicht ganz klar, ob Aristoteles in der spateren Zeit die Theorie von der Beseeltheit der Spharen wieder ganz aufgegeben und eine intellektuelle Aktivitat allein dem unbewegten Beweger selbst zu- geschrieben hat. Es laBt sich jedenfalls durch die verschiedenen Ent- wicklungsstufen der aristotelischen Kosmologie die Tendenz beob- achten, "Beseeltheit" und "Leben" immer mehr auf den unbewegten Beweger allein zu iibertragen, wie etwa ein Vergleich von De cael. II,2,285 a 29 "o a' oupasv6 9[Lfrxoq x "L gyeL xLvYae) (ypx-v..." und 12,292 a 18-21 "&k' +>zct 6c 7tep. ac,v ax&Cv .t6vov, xac .lov&8cv

'iLV LiV 'X6vrWV, 4+UX0V ai 7ac'L7V, &LMVOO4Le40. 8C 8 (a' I x6vrwv

u7OXM44X'VCLV 'Xp(c, xlO XC, " mit Met. A 7,1072 b 26ff deutlich macht wo Aristoteles so nur vom unbewegten Beweger selbst spricht:

xaI UCOYY K Y uPXM t. '2 Yap V0o 'V'pY?'L OCJY, 'XELVOq a M ?V6pyCLO.

ev6pyeLca 8g ) x(' xur?nv kxELvou ~c,0) &ptar- xKCL (Lo. (Pv a& T6

k6hv elvow. ~Cov". Aristoteles bemerkt zwar in Zusammenhang mit

13 Vgl. De mot. anim. 699 b 36 ff; Aristotles scheint spater keine neue L6sung des Problems vorgeschlagen zu haben. 1, Zu diesen Aporien bei Thphr. vgl. Reale S. 37-55.

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Page 10: Theophrasts Kritik Am Unbewegten Beweger Des Aristoteles

seinen Ausfiihrungen fiber die Bewegung durch den unbewegten Be- weger "vo54 8i U'n6 roi5 vo-nrou XtvLetro" (Met. A 7, 1072 a 30), es wird aber nie ganz deutlich, ob die energeia der Spharenseelen allein in der Bewegung ihrer "TOntx- Vt" besteht, d.h. einer Bewegung, die von den Spharen qua Materie und nicht qua Seele ausgefiihrt wird. Vor allem aber ist unklar, ob Aristoteles auch in seiner Spatzeit noch eigene Stemseelen neben den unbewegten Bewegern angenommen hat.') Theophrast jedenfalls setzt ohne weiteres fuir die Spharen "5w" und intellektuelle "4uX" voraus und scheint sich also auch hier auf die mittlere Stufe in der Entwicklung der aristotelischen Kosmologie zu beziehen.I6

Einige der Einwande, die Thphr. gegen Aristoteles vorbringt wiirden nattirlich auch fur die Spatfassung der aristotelischen Kos- mologie zutreffen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daB Thphr. sich auf die Diskussion generell schwacher Punkte im kosmologischen System des Artistoteles konzentrieren wiurde, wenn es ihm darum ginge, die Kritik der Schiiler des Aristoteles an seiner Abkehr vom monisti- schen System zu formulieren. Wenn Thphr. in seiner Metaphysik seine Argumente gegen das pluralistische System zusammenfassen wollte, so ware er schlecht beraten, in der Hauptsache gegen das monistische Himmelssystem zu argumentieren." Die Art der Argumentation ist dagegen sinnvoll, wenn man die Metaphysik fufr eine Zeit ansetzt, in der Aristoteles prinzipiell noch an einem unbewegten Beweger festhielt, und wie Jaeger sich ausdriickt, "noch nicht viel mehr als die bloBe Moglichkeit bestand, sich fiir eine groBere Zahl von Planeten- bewegern zu entscheiden" (a.a.O. S. 387).

Doch kommen wir zu dem vermeintlichen Zitat aus Aristoteles Met. A 8 bei Thphr. Dem Anschein nach greift Thphr. mit dem Vorwurf "t6 8i xarx TO '6 rnXi$0oq 'Vav acpxpiLv -r oc'Vacq 4ticEovo 7teZ ?,6yov. oi) yocp <xpxeZ> o ye 'rv aa'rpoX4y&v", (5 a 21-23), die Aus- fiihrungen des Aristoteles in Met. A 8 an; denn Aristoteles beruft

16 Zu diesem Problem vgl. Jaeger a.a.O. S. 375; Ross Met. Introd. CXXXXII; Bd. II S. 374; Physics Introd. S. 100-102; Guthrie, On the Heavens, Pref. S. XX- XIVIV; The Development of Aristotle's Theology S. 166-169. 16 S. Thphr. Met. 5 a 28-b 1. 27 Thphr. geht bei seiner Kritik von einem System mit einer &pXn aus - "MkXpt tAiv 80 ro'rcav olov gprLoq 6 X6yog, &PpXJv -re t=6&v >LoZV 7W^v&ov xcZI tirv kv6pyetav xac r'v o'UaEToxv &7oW8oi5 ... T6 8i [ck 'ra&t' %8- )6you 8t,roL 7rXtovoq-.. ." (5 a 5-15), und auch spater ist "'r6 np&rov" (5 b 8; 5 b 14; 5 b 27) bzw. "6 voi5 xoal &64" (7 b 22/23) Gegenstand der Fragen und tYberlegungen.

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sich in der Tat auf die Lehre der Astronomen in Hinblick auf die Zahl der Spharen: "Tb 8& 7poq %81 'v qop@v 'x 'tq o1mo'raV

'pLXOroLx -TiV [ 7aL(xrtx&v C?7rLOTY%L&OV aeL aXO7reLV, ?x '-vq latpoXoyL(q"

(1073 b 3-5; vgl. b 10-13). Theophrast mufBte in diesem Fall aber ganz uibersehen haben,

daB sich Aristoteles in Met. A 8 keineswegs auf die Wiedergabe astro- nomischer Theorien uber die Zahl der Himmelsspharen beschrankt, sondern soweit das moglich ist eine philosophische Erklarung fur die Vielzahl der Spharenbewegungen gibt. Eine 'metaphysische De- duktion' der Anzahl der Spharen aus einem einheitlichen Prinzip ist jedoch in einem pluralistischen System wie dem von A 8 nicht m6glich. Der Metaphysiker kann nur die Notwendigkeit einer eineindeutigen Zuordnung von Spharen und Bewegern nachweisen, wie es Aristoteles auch tut (1073 a 26-b 3; 1074 a 14-31). Es scheint mir unwahrschein- lich, daf Thphr. dies iibersehen und so Sinn und Aufbau des fur die aristotelische Theorie so wichtigen Kapitels verkannt haben soil. So ist eher anzunehmen, daB Thphr. die ausgearbeitete Theorie iiber die Vielzahl unbewegter Beweger von A 8 nicht vor sich hatte, sondern sich mit seiner Forderung nach " r- mt(rtacq ,teovm X6yov"(5 a22) gegen die vielleicht bei Aristoteles eine zeitlang vorherrschende Tendenz richtet, kosmologische Fragen mit Hilfe der Astronomie zu beantworten.

Einige tJberlegungen sollen nun plausibel machen, daB es in der Tat eine Zeit gegeben hat, in der Aristoteles keine wirkliche Er- klarung fur die Vielfalt der Himmelsbewegungen gehabt hat: in der mittleren Zeit, in der er noch grundsatzlich die Theorie von einem un- bewegten Beweger fur alle Spharen vertrat und wohl nur gelegentlich die Moglichkeit mehrerer solcher &pXt erwog.

Das Problem der Vielzahl und Gegenlaufigkeit der Spharenbe- wegungen ist fuir Aristoteles nicht erst in seinen letzten Lebens- jahren aufgetaucht. Er ist zu einer Zeit in die Akademie eingetreten, in der dort Eudoxos8 lehrte, und hat sich daher sicher schon als Stu- dent mit astronomischen Fragen beschaftigt. Damals hat er vermutlich auch die Erklarung des Eudoxos fur das Platon beunruhigende Problem der scheinbar irregularen Planetenbewegungen kennengelernt.19

"I Vgl. Jaeger a.a.O. S. 15/16; bes. Schadewaldt "Eudoxos v. Knidos und die Lehre vom unbewegten Beweger" S. 106 ff. 19 Schadewaldt will den EinfluB des Eudoxos auf Aristoteles auch uber rein astronomische Fragen hinaus auf die Entwicklung der Lehre vom unbewegten Beweger und der Bewegung vermittels der orexis ausdehen. S. 107 ff.

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Wir finden nun auch bereits in De caelo einen Versuch des Aristoteles eine Ursache fuir die Verschiedenartigkeit der Gestirnsbewegungen zu finden. Die Erklarung, die Aristoteles dort gibt, sei hier nur kurz angedeutet: Die Verschiedenartigkeit der Bewegungen ist einerseits notwendig fur alles Werden und Vergehen (De cael. II,3); sie ist auBerdem auf die verschiedenen Grade der Voilkommenheit der verschiedenen Himmelskorper zuriickzufiihren: Dinge, die der Voll- kommenheit so nahe sind wie die Fixsterne, beduirfen zur voilkom- menen energeia nur einer einfachen Bewegung. Dinge, die etwas weiter von der Vollkommenheit entfernt sind wie die Planeten, bediirfen dazu mehrerer Bewegungen. Die Dinge, die so weit von der Voilkommenheit entfernt sind wie Sonne und Mond, mflBten im Prinzip eine noch kompliziertere Bewegung ausfiihren, haben aber nur noch wenig Vermogen, ihrem Ziele nachzustreben (De caelo II, 12, 291 b 24-293 a 4). An diese Erklarung flickt Aristoteles schlieBlich noch eine andere Begriindung an: die mittleren Spharen werden von auBen bewegt und bewegen selbst die inneren; ihre Bewegungen sind da- her vielftltiger als die der auBeren und der inneren Spharen (293 a 4-14).

Es ist anzunehmen, daB diese Erklarungen Aristoteles nicht lange zufriedengestellt haben, sondern von ihm als unzureichend betrachtet wurden, sobald er die Lehre von einem unbewegten Beweger und der Bewegung durch die orexis der Spharen entwickelt hatte. Warum bewegen sich die Spharen in ihrem Verlangen nach dem unbewegten Beweger nicht alle im selben Sinne? - Man wird kaum annehmen wollen, daB Aristoteles das Problem lange Zeit einfach iibersehen oder ausgeklammert hat, um sich seiner erst viel spater wieder an- zunehmen.

Da sich weder in Phys. 0 noch auch in Met. A in Zusammenhang mit der Lehre vom unbewegten Beweger eine Behandlung unseres Problems findet, sind wir beziiglich der Lbsung, die Aristoteles in der mittleren Phase seiner Kosmologie angenommen hat, auf Vermutungen angewiesen. Es wird nicht einmal ganz klar, wie der unbewegte Beweger die Spharen bewegt. Im wesentlichen ergeben sich dafiir zwei Mbglichkeiten: (1) Der unbewegte Beweger bewegt vermittels der orexis unmittelbar die Fixsternsphare, diese iibertragt ihre Bewegung dann auf die inneren Sphiren.20 Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, daB einerseits die Viel-

20 Met. A 7, 1072 b 3 "xLvel Si c'o &p'OtLevov, XLVOUAVcp 8U r&DAX xLvel"; vgl. Oehler, "Der Beweis fur den unbewegten Beweger bei Aristotles" S. 86; Ross, Metaph.

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falt der Bewegungen nicht erklart ist,21 andererseits unklar ist, ob die einzelnen Spharen noch in irgendeiner orexis-Beziehung zum unbewegten Beweger selbst stehen. (2) Der unbewegte Beweger bewegt alle Spharen aufgrund ihrer orexis; akzidentell bewegen sich die Spharen zusatzlich noch gegenseitig.22 Das wuirde zwar die verschiedenen Geschwindigkeiten der Spharen erklaren, nicht aber das Phanomen gegenlaufiger Bewegungen.

Es ist wahrscheinlich, daf3 sich Aristoteles damals eng an die Theo- rien des Eudoxos anlehnte, die zwar keine befriedigende Losung fur die aufgezeigten Schwierigkeiten liefem konnten, aber doch eine Beschreibung des Himmels gaben, nach der System und Regelhaftig- keit in den Himmelsbewegungen erhalten blieben. Diese Lehre der Astronomen mag nun Aristoteles so lange geniigt haben, bis er - viel- leicht durch die Diskussionen in seiner Schule - von der Mangel- haftigkeit dieser Kosmologie iiberzeugt, seine Lehre noch einmal anderte.

In den uns erhaltenen Werken finden wir auler in Met. A 8 keine Auseinandersetzung des Aristoteles mit den Spharentheorien eines Astronomen, auf die sich Thphr. mit seiner Kritik beziegen konnte. Will man sie nicht aRlein in die miindliche Diskussion im Peripatos verweisen, so bietet sich folgende Erklarung; Es ist m6glich, daB Aristoteles seine friihere, von Eudoxos beeinfluBte, Lehre uiber die Spharenbewegungen im Zusammenhang mit seiner Behandlung des Begriffs des unbewegten Bewegers und des orexis-Prinzips vorge- tragen hat, - d.h. also in Zusammenhang mit Met. A 6-9. Man muB Jaeger zwar zugeben, da3 sich Kapitel 9 liickenlos an Kapitel 7 an- schlie3en wiirde; dennoch scheint mir moglich, daB an Stelle des uns iiberlieferten Kapitels 8 eine 31tere Fassung gestanden hat, in welcher Aristoteles von seiner Theorie des einen unbewegten Bewegers her das Problem der Spharenbewegungen behandelt hat.

Diese Vermutung wird durch einen Einschub in dem erhaltenen Kapitel 8 bestatigt, der die Interpreten seit der Antike immer wieder verwirrt hat, weil Aristoteles dort unvermittelt wieder einen unbe- wegten Beweger einsetzt, um die Einheit des Himmelssystems zu

Intr. CXXXIV/V "Thus each sphere imparts its own motion to the sphere next in it, and the prime mover, by moving the outmost sphere moves all the other spheres indirectly". 21 Vgl. Ross, Metaphys. Introd. CXXXVIII. n Phys. 9 6, 259 b 29-31 "'Z tdv yap 'u' kripou (sc. xLvel:a&L xacrm cauc,3s,px6dq) iPXdpXe xal tCV &v oupaxvCp IvLaZL &pXoL4, 6am nXe(ouc cpipexL ?opdc- - ".

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bewahren.23 Dieser Einschub k6nnte nun ein Teil der ersten Version von A 8 sein, in dem sich Aristoteles mit dem Problem der Spharen. bewegungen und der Einheit des Himmels auseinandergesetzt hat.24 Fur diese Auffassung spricht vor allem Jaegers Beobachtung fiber den Stil dieses Einschubs: "es ist derselbe Abkfirzungsstil, der in den uibrigen Teilen des Buches herrscht; er sticht von der tadellosen sprachlichen Ausfulhrung des 8. Kapitels scharf ab" (S. 378).25

Jaeger selbst erklart zwar, dieses Zwischenstulck sei "ein spater und zwar ein kritischer Nachtrag, da er implizite den Gegenbeweis gegen die Annahme einer Mehrzahl von Bewegern enth5it. Aristoteles hat ihn zu dieser Ausfiihrung wohl als Einwand, den er sich selbst gemacht hat, notiert, und die Redaktoren haben ihn getreulich in den Text gesetzt" (S. 378). - Der Einschub scheint mir aber keines- wegs den Charakter einer kritischen Randbemerkung zu haben, sondem vielmehr aus einer ausfiihrlicheren Diskussion fiber die Einheit des Himmelssystems zu stammen, die sich aus der Einheit des unbewegten Bewegers ergibt. Unter dem Stichwort "oipxv6q" scheint ein Redaktor spater das Zwischenstuick an der Stelle ein- gefuigt zu haben, an der es uns erhalten ist.26 Die Erklarung Jaegers fuir den Einschub als weitere Korrektur der Spatlehre durch Aristoteles halte ich daher fulr wesentlich weniger plausibel als diejenige, die auch durch Jaegers Beobachtung fiber den Stil des Einschubs nahegelegt wird: daB3 dieses Stflck ein tberrest einer fruiheren Fassung des Kapitels A 8 ist.

Auf dieses alte Kapitel A 8 mag sich Theophrast dann mit seiner Kritik daran bezogen haben, daB Aristoteles anstelle einer wirklichen Erklarung fuir die Anzahl der Spharen nur astronomische Berechnun- gen vorgetragen hat.

Fassen wir das Ergebnis der Untersuchung zusammen: Die Art der Kritik des Thphr. am kosmologischen System des Aristoteles gab zu der Vermutung AnlaB, daB Aristoteles sich in der mittleren Phase der Entwicklung seiner Kosmologie mehr oder weniger an astronomische Theorien fiber die Spharenbewegungen angeschlossen

2 1074 a 31-38: "... Iv &pox xact 6yco xmlt &pLetLC To6 npCYroV xKLO5V &xEVwrov 6v". Vgl. Thphr. 4 b 7 /8. tlber Merlans Interpretation dieses Abschnitts s.o. S. 67 n.6. 24 Vgl. Guthrie, The Development of Aristotle's Theology, Class. Quart. XXVIII, 1934 S. 91 n 1. 26 Vgl. etwa die dreimalige Satzverknupfung durch "&pa" in 1047 a 36, 37, 38. '6 Das Zwischenstfick schlieft sich an "..... tkXoq ga'rL c&an pop&i- 'riv pOo.L6Vcjv

rL &cEcov atL-ircov xm-& ',rv oupav6v" an (1074 a 30/31) :"6rt 8i elt oupacv6, cxmvp6v."

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hat. Als Ort, an dem eine Beschaftigung mit diesem Problem nahe- liegen wiirde, bietet sich Buch A der Metaphysik an, da es ausfuhrlich die Theorie vom unbewegten Beweger als Ursache fur die Himmels- bewegung diskutiert. Die Vermutung, daB es eine Mltere Fassung des Kapitels 8 gegeben hat, findet eine Stiitze in dem erhaltenen Zwischen- stuck (1074 a 31-38), in welchem Aristoteles an einem unbewegten Beweger festhalt. Aristoteles muB dann schlief3lich das Kapitel ganz umgearbeitet haben, als er sich durch die genannten Schwierig- keiten gezwungen sah, die Theorie von einem unbewegten Beweger aufzugeben. In dieser Neubearbeitung des Kapitels hat er dann auch der neuen Berechnung der Anzahl der Spharen durch Kallippos Rechnung getragen. Das Zwischenstiick ist anscheinend durch einen Zufall erhalten geblieben und von einem Redaktor in den Text gesetzt worden, der annahm, Aristoteles wolle darin nur zum Aus- druck bringen, dal3 er trotz der Vielzahl der Beweger an der Einheit des Himmelssystems festhalte.

Wie immer es sich auch mit dem Einschub verhalten mag, legen unsere tJberlegungen und der Vergleich der kritischen Anmerkungen des Thphr. mit den Darlegungen bei Aristoteles nahe, daB Theophrasts Kritik im sog. Metaphysikfragment aus der Zeit vor der Neubear- beitung von Met. A 8 stammt. Hauptangriffspunkte bei Thphr. sind die Lehren, die Aristoteles in der mittleren Phase seiner Kosmologie vertreten hat. - Da nun Thphr. aller Wahrscheinlichkeit nach bereits unter Aristoteles selbstandig Vorlesungen gehalten hat, ist anzu- nehmen, daB wir mit dem Metaphysikfragment ein Vorlesungsma- nuskript aus dieser Zeit vor uns haben.2" Fur eine friihe Abfassungszeit spricht auBer der Tatsache, daB Aristoteles selbst nicht mit Namen genannt wird, obwohl sich Thphr. hauptsachlich mit seiner Lehre auseinandersetzt, auch unter anderem, daB Thphr. das Prinzip der Autokinese immerhin noch fur erwagenswert h5lt (7 b 19-23), eine Moglichkeit, die ein Peripatetiker spater wohl nicht mehr in Betracht gezogen hatte, da sie von Aristoteles mit Entschiedenheit abgelehnt worden ist.

Nach dem Schriftenkatalog bei Diogenes Laertius (I, V, 42-50) hat Thphr. sonst kein Werk uber Metaphysik und auch keinen Kom- mentar zur aristotelischen Metaphysik geschrieben.28 Da sich auch

27 Uber den Charakter von Thphr. Metaphysik s. Reale S. 11 ff; S. 135-161; Ross-Fobes XXIII-XXV; Regenbogen R. E. Supp. 7, 1940, 1354-1562 bes. 1395. 2I Vgl. Usener Analecta Theophrastea.

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Page 16: Theophrasts Kritik Am Unbewegten Beweger Des Aristoteles

aus den Fragmenten kein Hinweis auf ein solches Werk ergibt, ist es wahrscheinlich, daB sich Thphr. spater mit Fragen der Metaphysik nicht mehr beschaftigt hat.29

Diese Ausfiihrungen bestatigen Jaegers Auffassung uber die Ab- fassungszeit von Met. A 8 und sein Verh5ltnis zu den ubrigen Kapiteln des Buches A. Theophrasts Metaphysik scheint mir jedoch nicht zu Recht als terminus ante quem - "als Echeo dieser neuen Lehre" (Jaeger S. 374) des Aristoteles herangezogen zu werden. Vielmehr scheint mir, daB Theophrasts Kritik AufschluB uber die Diskussionen gibt, die Aristoteles veranlaBt haben, seine Lehre vom unbewegten Beweger zu andern. Jaeger selbst weist auf die Moglichkeit solcher Diskussionen hin: "Hier zeigt sich deutlich, daB es nicht Aristoteles selbst gewesen ist, der zur Erweiterung der fruiheren Lehre getrieben hat, sondern daB er sich mehr widerwillig den Argumenten anderer fiigte" (S. 384).

2" Daher ist das Metaphysikfragment vielleicht schon fruh unter die Papiere des Aristoteles geraten und so erhalten geblieben. Vgl. Jaeger, Gnomon Bd. 8, 1932 S. 290ff.

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