teppiche und flachgewebe aus zentralanatolien - sov reportagen... · durch die man mit hilfe einer...

8

Click here to load reader

Upload: lamnhi

Post on 17-Sep-2018

212 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Teppiche und Flachgewebe aus Zentralanatolien - SOV reportagen... · durch die man mit Hilfe einer Leiter in das Innere gelangte. Das Haus hatte einen Höhlencharakter – man kann

Teppiche und Flachgewebe ausZentralanatolien1976 war kein rosiges Wirtschaftsjahr in derSchweiz. Ich nutzte damals dieses Tief und reiste mit einem Austin Chipsy in die orientali-schen Länder. Ich wollte dem Orientteppich auf die Spur kommen.

t o r b a 02

Mit der Fähre er-reichte ich Izmir –die Türkei. Mit Fachliteraturund Landkartenausgerüstet ver-suchte ich mich in die Teppich-

und Flachgewebewelt der Türkei einzu-arbeiten. Wo sind die Händler, wo die Nomaden, gibt es Teppichkenner,die bereit sind, ihr Wissen weiterzuge-ben – Fragen über Fragen. Jetzt, im Jahr2002, sind viele der Rätsel gelöst, vieleaber noch genau so unbeantwortet wiedamals.In Zentralanatolien liegt der Schwer-punkt der türkischen Teppich- undFlachgewebeerzeugung. Fast die Hälfteder Produktion entfällt auf das Gebiet,das zwischen Konya, der westlichen, undSivas, der östlichen Begrenzung liegt.

GeschichteIn der «torba 2/01» bin ich auf die Ge-schichte Anatoliens, von der Vergangen-heit bis in die heutige Zeit, eingegangenund möchte mich deshalb hier nicht wiederholen, ausser dem Speziellen,welches Zentralanatolien zugeordnetwerden muss.

Links: Teehaus in Karapinar.

Sesshafte Yürükenauf der Sommerweide.

t o r b a R E P O R T

Page 2: Teppiche und Flachgewebe aus Zentralanatolien - SOV reportagen... · durch die man mit Hilfe einer Leiter in das Innere gelangte. Das Haus hatte einen Höhlencharakter – man kann

Kulturen der Jungsteinzeit (Neolithikum) in Zentralanatolien

Catal HüyükIn den sechziger Jahren des letzten Jahr-hunderts fand der britische ArchäologeJames Mellaart in der baumlosen Land-schaft des Hochlandes von Anatolien, in der Nähe von Konya in den Hügelnvon «Catal Hüyük», einen Siedlungs-platz, dessen Alter auf 6000 v. Chr. datiert wurde. Mellaart fand eine Bauform, wie sie später im westlichen

Kulturkreis nie mehr vorkam. Die Häu-ser hatten glatte weisse Mauern ohne jeden Durchbruch. Der Zugang erfolg-te durch eine Öffnung in der Decke,durch die man mit Hilfe einer Leiter in das Innere gelangte. Das Haus hatteeinen Höhlencharakter – man kann sichgut vorstellen, dass diese Architektur ursprünglich aus dem Leben in Höhlenabgeleitet worden war.Die Bewohner von Catal Hüyük kann-ten bereits in dieser Zeit den Luxus vonObsidianspiegeln, Zeremonialdolchen

und Metallschmuckstücken. Kupfer und Blei wurden geschmolzen und zuSchmuckperlen und Gefässen verarbei-tet. Die Holzgefässe war vielgestaltig.Die Verarbeitung von Tierfasern zumehrfarbigen Textilprodukten war be-reits voll entwickelt.Grossartiger als alles andere war jedochdie Entdeckung der künstlerischenWerke dieser Zeit in Catal Hüyük. In einer grossen Zahl von Häusern wurden Wandmalereien entdeckt. Diegrossformatigen Wandbilder mit geo-metrischen Mustern scheinen im Zu-sammenhang mit der Wirtschaftsformvon Ackerbau und Viehzucht bis in die heutige Zeit überlebt zu haben. DieMuster wurden noch bis vor einigenJahrzehnten von anatolischen Bauern-und Nomadenfrauen auf Flachgewebengewoben.

t o r b a 02 9

Mervlana Kloster mit der Selim Moschee.

Türbe (Grabmal) in Konya.

Inice Gebet, 128 x 190 cm. Konya Ladik, 100 x 160 cm. Konya Yastik, 58 x 106 cm.

Page 3: Teppiche und Flachgewebe aus Zentralanatolien - SOV reportagen... · durch die man mit Hilfe einer Leiter in das Innere gelangte. Das Haus hatte einen Höhlencharakter – man kann

Das 19. und 20. Jahrhundert in ZentralanatolienIm 19. Jahrhundert ist Anatolien dasKernland des damaligen OsmanischenReiches, das nach Verlust der meistenGebiete ausserhalb Kleinasiens übrigblieb.Es gibt wohl kaum ein Land auf unseremErdenrund, das ein so buntes Völkerge-misch aufweist wie Anatolien. Abgesehenvon der türkischen Grundbevölkerungleben hier Kurden, Armenier, Griechen,Tataren, Tscherkessen, islamische Volks-stämme aus dem Kaukasus sowie Rück-wanderer aus dem Balkan. Das bunte Bildwird vervollständigt durch die umherzie-henden Stämme mit der Bezeichnung«Turkmene» oder «Yürük».In den Dörfern der türkischen Grund-bevölkerung sowie eines Teils der auf-geführten Völkerschaften und in denZelten der Yürüken und Turkmene sind die Textilien zu suchen, welche wirzusammenfassend als Teppiche undFlachgewebe der Bauern und NomadenZentralanatoliens bezeichnen.Bauern und Nomaden haben währendJahrhunderten ihren Bedarf an Textilienund Hausgeräten weitgehend selber bestritten. Dabei übernahmen sie meistihre altnationalen Formen.Das anatolische Haus ist zweckmässigund bewusst bescheiden gehalten. SeineForm ist klima- und landschaftsgebun-den sowie ethnisch bestimmt.

Die bäuerliche Le-bensweise kannman noch sehr gut studieren undRückschlüsse aufvergangene Jahr-hunderte ziehen.Bei der nomadi-schen Bevölkerungwird dies schonrecht schwierig. Nur die wenig-sten Nomaden,

die man heute auf dem Zug mit ihrenHerden und Tragtieren oder in ihrenZelten antrifft, sind noch Vollnomaden. Die Zahl ist mit dem Kampf des Staatesgegen das Zelt stetig zurückgegangen.Durch die konsequente Flurteilung, den Pachtzwang und das Anwachsen derDörfer dürfte die Zahl heute nur nocheinige tausend betragen. Die Tage sindgezählt, bis die letzte Familie die Zuchtvon Schafen und Ziegen auf der Wan-derung und das Zelt als ganzjährige Behausung aufgeben muss. Grösser istdie Zahl jener Gruppe, die in festenHäusern in Dörfern wohnen, nach der

t o r b a 02

Konya Yürük, 98 x 117 cm.

Melonen Grossmarkt;Gemüsemarkt;Korbwarenmarkt;Moscheeinnenraum in Karapinar.

Konya, 109 x 129 cm.

Page 4: Teppiche und Flachgewebe aus Zentralanatolien - SOV reportagen... · durch die man mit Hilfe einer Leiter in das Innere gelangte. Das Haus hatte einen Höhlencharakter – man kann

t o r b a 02 11

Konya, 111 x 165 cm.

Sivrisar, 122 x 161 cm.

Ernte aber mit ihrem Vieh vor der Hitzeder Ebene auf kühlere Gebirgsweidenausweichen und dort mit ihren Zelten inSommerlagern «Yayla» leben.

Das Knüpfgebiet von KonyaZum Knüpfgebiet von Konya gehörenneben der Hauptstadt und deren Voror-te die Dörfer Ladik, Derbent, Karapinar,Obruk, Selçuk. Jede einzelne Provenienzhat ihr eigenes Kennzeichen und ihreCharakteristika. Zu viele Teppiche ausdieser Gegend werden leider einfach alsKonya bezeichnet, obschon man sienäher lokalisieren könnte. Die Ge-

schichte der Stadt Konya ist eng verstrickt mit der Vergangenheit desTeppichs. Konya ist der vierte Namedieser Stadt. Vielleicht gab es der Namennoch mehr während der Ansiedlung derHethiter, der Phrygier. Ihnen folgten die Lydier, die Perser, die Könige vonPergamon, die Römer, die Griechen, die Seldschuken und schliesslich die Osmanen.In römischer Zeit gehörte die Stadt zurProvinz Asia; zu Ehren des Kaiser Clau-dius erhielt sie den Namen «Claudico-nium», später «Colonia Aelia Hadria».Auf Ikonion tauften sie die Griechen.

Nach der Apostelgeschichte haben sichPaulus und Barnabas hier aufgehalten.Im 2. Jahrhundert war sie ein wichtigesreligiöses Zentrum der Christen.Schön und mächtig wurde Konya im 12. und 13. Jahrhundert unter der Herr-schaft der Seldschuken. Sultan AlâettinKeykobatt (1219 –1236) umgab die Stadtmit gewaltigen Mauern und 108 Tür-men. Der Hof entwickelte sich zu einembedeutenden Kulturzentrum: ZahlreicheKünstler und Wissenschaftler wurdendorthin berufen, so auch MevlânaCelâletti Rumi, der Begründer des Ordens der Tanzenden Derwische

Konya Yürük, 114 x 168 cm. Konya Cicim, 125 x 182 cm.

Obruk Yürük, 145 x 215 cm. Sivrisar, 95 x 165 cm.

Page 5: Teppiche und Flachgewebe aus Zentralanatolien - SOV reportagen... · durch die man mit Hilfe einer Leiter in das Innere gelangte. Das Haus hatte einen Höhlencharakter – man kann

(torba 1/99, Der Sufi und seine Sym-bole).1466 schlug Mehmet II, der ErobererKonstantinopels, Konya dem Osmani-schen Reich zu.Kemal Atatürk hatte 1923 die Bruder-schaft der Tanzenden Derwische verbo-ten. Sie ist jedoch wieder erstanden. Die Zuneigung frommer Gläubiger zu Mevlana hin ist geblieben. Jährlichkommen hunderttausende von nah undfern zur Mevlana zum Gebet. Hier liegtder Heilige mit seinen Getreuen. In einem Nebentrakt ist auch das sehens-werte Teppichmuseum untergebracht.Die im alten Basar und in den Stadt-geschäften gehandelten älteren undneuen Konya Teppichen haben fastdurchweg ein untrügliches gemein-

sames Merkmal: Ein in vollem, eher hohem Flor gehaltenes warmes tiefesRot im meist nur wenig bemustertenFeld.

Konya LadikVierzig Kilometer von Konya, an derStrasse nach Aksehir, liegt eine der Hoch-burgen des anatolischen Teppichs: Ladik.Ihre Teppiche gehören zu den traditions-

12

Wolle waschende Frauen am Ziebrunnen.

Ganz rechts: Gesponnene Wolle zu Strangen verarbeiten.

Kirsehir, 180 x 477 cm.Konya, 180 x 330 cm.

Konya, 179 x 393 cm.

Page 6: Teppiche und Flachgewebe aus Zentralanatolien - SOV reportagen... · durch die man mit Hilfe einer Leiter in das Innere gelangte. Das Haus hatte einen Höhlencharakter – man kann

reichsten und wertvollsten der türki-schen Provenienzen. Bei den meistenLadiks bildet die Tulpe das Hauptorna-ment, das in vielen Varianten und Abwandlungen eingeknüpft wurde.

ObrukAn der Strasse Konya-Kayseri. Das legendäre Dorf mit dem schiefen Minarett.In Obruk lebt eine Yürük-Sippe, welchesich hier niedergelassen hat und sesshaftwurde. Im Sommer treibt sie ihre Herden zum nahegelegenen MelendizDag 3200 m. Die Yürüken von Obrukhaben ihre freiheitliche Lebensart bis

heute erhalten können. Ihre eher ro-busten Arbeiten sind ihrer Originalitätwegen gesucht.

KarapinarCa. 100 km östlich von Konya, an derStrasse nach Nigde. Karapinar hat eine alte Teppichtradition.Charakteristisch sind die grosszügigengeometrischen Muster. Aus dieser Ge-gend stammen auch die Flachgewebe mit dem sogenannten Nelkenmuster.

KaramanKaraman in der Provinz Konya liegt amFuss des Bolkars. Noch heute ziehen die

13

Filik Angora Ziege;so fein ist das Haar der Ziege;Wolle spinnen.

Yürük Heybe, 44 x 134 cm.

Yürük Heybe, 52 x 156 cm.

Karapinar, 150 x 410 cm.

Yürük Cicim, 155 x 370 cm.

Page 7: Teppiche und Flachgewebe aus Zentralanatolien - SOV reportagen... · durch die man mit Hilfe einer Leiter in das Innere gelangte. Das Haus hatte einen Höhlencharakter – man kann

Mengen von Yastiks, Gebets- und Reihengebetsteppiche aus «Flosch». Sie sind von einer bewundernswertenFarbenpracht und reichem Seidenglanz.Die Teppiche sind so trügerisch, dass sie der Laie kaum von Seidenteppichenunterscheiden kann. Doch das verwen-dete Material ist mercerisierte Baum-wolle und synthetische Fasern.

Avanos

Taspinar (Tas = Stein, Edel pinar = Quelle)Auf der Nebenstrasse nach Nide, unweitder Abzweigung von der HauptrouteKonya-Kayseri bei Aksaray, liegt dasTeppichdorf Taspinar. Hier werden im Hausfleiss Teppiche inkleineren Formaten hergestellt. Beson-deres Qualitätsmerkmal ist das sehr gute

Wollmaterial. Oft werden die Teppicheaus Taspinar mit denen von Yahyali verwechselt.

YahyaliSüdlich von Kayseri, in einem sehr reizvollen Tal, am Fuss des DemirkazikTepe (3756 m), liegt Yahyali.In diesem Tal wird eine ganz besondereArt von Teppichen geknüpft – sowohlvon der sesshaften Dorfbevölkerung wievon den noch halbnomadisierendenYürüken.Die Yahyali haben ein einheitlichesGrundmuster, das aber in seinen Detailsstark variiert. Ein Merkmal sind die Farbkombinatio-nen Blau, Rot und Gold. Ältere Stückesind meistens mit Naturfarben einge-färbt.Der Yahyali gehört zu den feineren Anatoliern und ist von Liebhabern sehrgefragt.

t o r b a 02

Yürücken in die nahe gelegene Sommer-weide. Hier werden auch die bekanntenAngora-Ziegen (Angora = Ankara), dielanghaarigen «Tiftik» sowie die locki-gen und feinhaarigen «Filik», gezüchtet.Karamann war einst Hauptstadt einesmächtigen Emirats.

Das Knüpfgebiet von KayseriIn der Stadt wie im ganzen Bezirk Kay-seri werden auf tausenden von Knüpf-stühlen im Hausfleiss Teppiche im Lohngeknüpft. Es wird in Wolle, in Kunstsei-de und in reiner Naturseide gearbeitet.Speziell für den Verkauf an Touristen,aber auch für den Export entstehen

Yahyali, 54 x 107 cm.

Yahyali, 115 x 213 cm. Yahyali, 124 x 229 cm.

Links: Yahyali, Blick auf die Minarette.Oben: Teppichgeschäft in Yahyali.

Page 8: Teppiche und Flachgewebe aus Zentralanatolien - SOV reportagen... · durch die man mit Hilfe einer Leiter in das Innere gelangte. Das Haus hatte einen Höhlencharakter – man kann

t o r b a 02 15

In den letzten Jahren hat sich die Produktion von Teppichen und Flach-geweben stark gewandelt. Viele der alteingesessenen Händler haben die Bedürfnisse der westlichen Konsumen-ten erkannt und sind, jeder für sich,bemüht, diese Nachfrage zu decken.Die Produktion wurde weitgehendkommerzialisiert, Muster und Farbendem westlichen Geschmack angepasst.Die Individualität der Knüpferin ist nurnoch selten gefragt, sie hat sich an eineMustervorlage zu halten. Der Charak-ter der einzelnen Provenienzen geht total verloren.So entstand in den Jahren 1988 bis 1990in der Umgebung von Konya der

«Konya Atelier», ein modern dessinier-ter Teppich mit geometrisch und flächigangelegten Motiven. Eine Verwandt-schaft zur modernen Malerei war zwei-felsohne zu erkennen. Der erfolgreiche«Gabbeh Art» aus dem Iran fand auch hier in Zentralanatolien seineNachahmer.Bemerkenswerte Produktionen in Flach-geweben, der «Konya Koyun» und der«Konya Tiftik» des Ehepaars Tollu, haben sich bis heute auf dem Markt behaupten können. Dagegen sindNachahmungen des «Azeri» völlig ver-schwunden.

Text und Fotos: Edi Kistler

Lehmsteine vor dem Brennen;Weberzeugnisse zum Bleichen

ausgebreitet;Paprikaschoten;

Hirseroller.

Konya Koyu, 249 x 337 cm. Konya Tiftik, 237 x 334 cm. Konya Atelier, 200 x 275 cm.

Afyoh, 186 x 219 cm.Afyoh, 162 x 247 cm.