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Page 1: Studien und Texte zu Antike und Christentum · 2020. 8. 27. · Kirchengeschichte des Altertums und Patrologie an der LMU München. ISBN 978-3-16-155760-6/ eISBN 978-3-16-155966-2
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Studien und Texte zu Antike und ChristentumStudies and Texts in Antiquity and Christianity

Herausgeber/Editors Christoph Markschies (Berlin) · Martin Wallraff (München)

Christian Wildberg (Princeton)

Beirat/Advisory BoardPeter Brown (Princeton) · Susanna Elm (Berkeley)

Johannes Hahn (Münster) · Emanuela Prinzivalli (Rom)Jörg Rüpke (Erfurt)

108

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Mohr Siebeck

Reinhard M. Hübner

Kirche und Dogma im Werden

Aufsätze zur Geschichte und Theologie des frühen Christentums

Herausgegeben von

Roland Kany

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Reinhard M. Hübner: geboren 1937; 1969 Promotion; 1976 Habilitation; 1977–90 o. Prof. an der Kath. Universität Eichstätt; 1990–2003 o. Prof. für Kirchengeschichte desAltertums und Patrologie an der Kath.-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München; 2003 Emeritierung.

Roland Kany: geboren 1958; 1986 Promotion; 2003 Habilitation; seit 2004 Ordinarius für Kirchengeschichte des Altertums und Patrologie an der LMU München.

ISBN 978-3-16-155760-6 / eISBN 978-3-16-155966-2ISSN 1436-3003 (Studien und Texte zu Antike und Christentum)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar.

© 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer-tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset-zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck-papier gedruckt und gebunden.

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Vorwort des Herausgebers

Dieser Band gesammelter Aufsätze von Reinhard Hübner erscheint aus Anlaßder Vollendung seines achtzigsten Lebensjahres am 26. Oktober 2017 − mit einpaar Wochen Verzögerung, die ich selbst zu verantworten habe. Ist eine gewisseVerspätung vielleicht ein Signum aller historischen Wissenschaft?

Erstmals veröffentlicht werden im vorliegenden Buch Hübners Einleitungund die umfangreichste Studie des Bandes, nämlich die vor wenigen Monatenfertiggestellte Abhandlung über die Johannesakten. Die anderen Aufsätze sindseit 1971 an verstreuten, teils entlegenen Orten erschienen und waren seithernur dort zu finden. Die Seitenziffern der Erstdrucke sind am Rand angegeben;die wenigen Druckfehler und Versehen wurden stillschweigend korrigiert; inmanchen Fußnoten finden sich, durch eckige Klammern und Kursivierungkenntlich gemacht, später publizierte Text-Editionen verglichen und wichtigeNeuausgaben erwähnter Fachliteratur verzeichnet. Reihen und Zeitschriftenwerden nach Schwertners »Internationalem Abkürzungsverzeichnis« (32014) zi-tiert. Auf sieben der Aufsätze folgen jeweils von Hübner verfaßte, zuvor perSternchen am Rand der betreffenden Stellen angekündigte Addenda et Corri-genda. Dort und in der Einleitung finden sich auch Hübners Stellungnahmenzu neueren Ansichten anderer Forscher.

Die fünf im Jahre 1999 von Markus Vinzent in dem Band »Der paradoxEine« versammelten Studien Hübners zum antignostischen Monarchianismusdes zweiten Jahrhunderts werden nicht nochmals abgedruckt, doch sei nach-drücklich auf sie verwiesen. Der vorliegende Band hat ein breiteres Themen-spektrum und enthält Arbeiten, die in einem Zeitraum von einem halben Jahr-hundert entstanden sind. Um so beeindruckender erscheint mir die thematischeVerzahnung und methodische Kohärenz dieser Aufsätze. Ihr Autor scheint re-sistent gegen Moden geblieben zu sein und sich den Themen zugewandt zuhaben, die sich ihm in Quellenanalysen aufdrängten und nach näherer Unter-suchung verlangten. Hübners Forschungen beruhen auf intensivsten Quellen-studien, für die er sich umfassende Materialsammlungen angelegt hat, die weitüber das hinausgehen, was er in seinen Publikationen zitiert. Kein elektroni-sches Rechercheinstrument kann je die Vertrautheit mit Sprache und Gedan-kenwelt der Quellen ersetzen, die sich aus einer solchen Arbeitsweise ergibt.Hübners Thesen sind schon darum stets ernstzunehmen und verdienen auchdort, wo der Leser skeptisch reagieren mag, gründliche Auseinandersetzung.

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VI Vorwort

Dieser Band macht nicht zuletzt durch Reinhard Hübners Einleitung und dieAnordnung der Aufsätze sichtbar, wie die verhandelten Themen und Thesenzusammenhängen: So birgt die Herausarbeitung des Monarchianismus als einerbedeutsamen Gestalt von Theologie im frühen Christentum Potentiale zu einerNeuvermessung der Theologie- und Kirchengeschichte des zweiten Jahrhun-derts in sich. Denn u. a. ergeben sich in diesem Kontext Gründe für eine Spät-datierung der bereits auf die Gnosis und den Monarchianismus reagierendenIgnatianen und für eine neue Interpretation der Johannesakten. Datierungsfra-gen haben darüber hinaus Relevanz für die Rekonstruktion der Entstehung vonStrukturen der Kirche. Vom Monarchianismus aus läßt sich mit Hübner zudemeine Brücke ins vierte Jahrhundert schlagen, als Basilius von Cäsarea und seinBruder Gregor von Nyssa im Ringen um eine angemessene Gotteslehre unter-schiedliche philosophische Denkmodelle erprobten und Basilius auf theologi-sche Konzepte zurückgriff, die Apolinarius von Laodicea in der Kritik der teilsmonarchianischen Lehre des Markell von Ankyra entwickelt hatte.

Der Monarchianer Noet aus dem zweiten Jahrhundert und der hochgebil-dete Intellektuelle Apolinarius aus dem vierten Jahrhundert sind vielleicht dietragischen Helden des vorliegenden Buches: Beider Lehren wurden als Häresienverurteilt, und doch scheinen beide Theologen Hübners Analysen zufolgetheologische Einsichten hinterlassen zu haben, auf denen die spätere trinitäts-theologische und christologische Orthodoxie in stärkerem Maße beruht, als zu-meist gesehen wurde. Im Laufe des zweiten Jahrhunderts war die Überzeugunggewachsen, daß Erlösung nur durch Gott selbst möglich ist, den Unsichtbaren,Ungezeugten, Leidensunfähigen − daß aber gleichzeitig Jesus Christus, derSichtbare und Gezeugte, uns Menschen durch sein Leiden vom Tod befreit hat.Noet hatte diese doppelte Einsicht prägnant und paradox formuliert. Ob dieZweinaturenlehre des Konzils von Chalcedon, die kirchlich rezipierte theo-paschitische These: »Einer aus der Trinität hat gelitten« und bedeutende For-men neuzeitlicher Christologie und Gotteslehre Noets Paradoxie aufzulösenvermocht haben, ist eine der Fragen, die Hübner an die heutige Theologie rich-tet. Es könnte zu wichtigen historischen und systematischen Klärungen beitra-gen, wenn sich Theologen mit dieser Frage und den Thesen, auf denen sieberuht, auseinandersetzen. Auch dazu soll der vorliegende Band anregen.

Reinhard Hübner danke ich herzlich dafür, sich auf dieses Buchprojekt ein-gelassen zu haben, das vom Team des Verlages Mohr Siebeck bestens betreutwurde. Christoph Markschies danke ich ebenso herzlich für die schon vor vie-len Jahren gegebene und geduldig aufrechterhaltene Zusage, den Band in die»Studien und Texte zu Antike und Christentum« aufzunehmen.

München, im Advent 2017 Roland Kany

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Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Erster Teil. Kirche im Werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Die Anfänge von Diakonat, Presbyterat und Episkopat in derfrühen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Thesen zur Echtheit und Datierung der sieben Briefe desIgnatius von Antiochien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Überlegungen zur ursprünglichen Bedeutung des Ausdrucks ›KatholischeKirche‹ (καϑολικη` εκκλησια) bei den frühen Kirchenvätern . . . . . . . 93

Acta Iohannis, Kap. 94–102. 109 − gnostisch oder monarchianisch?Die Nachwirkungen der paradoxen Antithesen des Noet von Smyrna . 147

Zweiter Teil. Dogma im Werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Gregor von Nyssa als Verfasser der sog. ep. 38 des Basilius.Zum unterschiedlichen Verständnis der ουσια bei denkappadozischen Brüdern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

Zur Genese der trinitarischen Formel bei Basilius von Caesarea . . . . . 291

Der Gott der Kirchenväter und der Gott der Bibel.Zur Frage der Hellenisierung des Christentums . . . . . . . . . . . . . . 327

Basilius der Große, Theologe der Ökumene, damals und heute . . . . 349

Basilius von Caesarea und das homoousios . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

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VIII Inhalt

Die Hauptquelle des Epiphanius (Panarion, haer. 65) über Paulus vonSamosata: Ps-Athanasius, Contra Sabellianos . . . . . . . . . . . . . . . . 379

Epiphanius, Ancoratus und Ps-Athanasius, Contra Sabellianos . . . . . . 397

Ps-Athanasius, Contra Sabellianos. Eine Schrift des Basilius vonCaesarea oder des Apolinarius von Laodicea? . . . . . . . . . . . . . . . . 407

Soteriologie, Trinität, Christologie.Von Markell von Ankyra zu Apolinarius von Laodicea . . . . . . . . . . 417

Die eine Person und die zwei Naturen −Der Weg zur Zweinaturenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

Schriftenverzeichnis Reinhard M. Hübner und Nachweise . . . . . . . 465

Stellenregister zu den antiken Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489

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Einleitung

Die vorliegende Aufsatz-Sammlung, die mein Nachfolger Roland Kany vorvielen Jahren angeregt und jetzt, nachdem ich eine Studie über die Johan-nesakten und Nacharbeiten beendet habe, herausgeben kann, umfaßt zweigleich große Teile.

Die ersten vier Artikel lassen sich − wenigstens grosso modo − dem Thema»Kirche im Werden« zuordnen, die übrigen kann man unter der Überschrift»Dogma im Werden« unterbringen. Daß beide Teile, vom ersten Aufsatz an,doch besonders gut erkennbar im vierten über die »gnostischen« Kapitel derJohannesakten, durch Studien zum Monarchianismus miteinander verknüpftsind, wird bei der Vorstellung im einzelnen deutlich werden.

Einige Artikel sind etliche Jahre vor ihrer Veröffentlichung bereits konzi-piert, aber noch nicht fertig ausgearbeitet gewesen. Das wirkt sich in der An-ordnung hier aus, die dem inneren Zusammenhang, nicht dem (dann vielleichtirritierenden) Veröffentlichungsdatum folgt. Das späte Erscheinen erlaubte je-denfalls eine bessere Reifung der Darstellung und das Eingehen auf inzwischengeäußerte andere Stellungnahmen.

Die letztlich treibende Frage bei fast allen Untersuchungen war die nach demUrsprung eines theologischen Gedankens oder einer kirchlichen Einrichtung.Ist es vielleicht gelungen, den Ursprung und die Gründe für ihn ausfindig zumachen, so lassen sich Bedeutung und Tragweite des kirchlichen oder theolo-gischen »Phänomens« und die darauf folgende weitere Entwicklung sachgerech-ter beurteilen. Je älter ein solches »Phänomen« ist, desto schwieriger sind seineUrsprünge zu ermitteln. Das liegt an der großen Ungleichheit der Quellenlagefür die einzelnen Etappen der Kirchengeschichte. Sind die Quellen zum Bei-spiel für kirchliche Institutionen, Liturgie, Trinitätslehre, Christologie im vier-ten Jahrhundert reichlich vorhanden, so vermögen wir mit historischen Mittelnetwa über die Ursprünge der heutigen Sakramente, einschließlich Taufe undEucharistie, wegen des Mangels und der Disparatheit der Quellen nur − immerwieder anfechtbare − hypothetische Angaben zu machen. Das gilt auch für dasAufkommen und die Ausgestaltung der Ämter in der Kirche Gottes, also für dasThema des hier an erster Stelle stehenden Aufsatzes, für das immer wieder, etwadurch eine veränderte Chronologie der Quellenschriften oder frisch entdecktesachliche Parallelen, neue Aspekte gefunden werden, welche die Forschungendazu nicht leicht zu einem Ende bringen werden.

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2 Einleitung

Dieser Aufsatz (»Die Anfänge von Diakonat, Presbyterat und Episkopat inder frühen Kirche«) ist die ausgearbeitete Fassung eines Vortrags, der auf dem»Regensburger Ökumenischen Symposion 1985« gehalten wurde und einekomprimierte Zusammenfassung einer für die Theologiestudierenden in Bayernverpflichtenden Vorlesung über die Entwicklung der Ämter darstellt. Es handeltsich dabei also nicht um einen alle Punkte des Themas berücksichtigendenTraktat, sondern im großen und ganzen um den Versuch einer kritischen Aus-wertung des damaligen Forschungs- und Diskussionsstandes, wobei vor allemLiteratur herangezogen wurde, die auch für Studierende leicht zugänglich war.Meine schon damals im Anschluß an die Studie von Robert Joly »Le dossierd’Ignace d’Antioche«1 vorgenommene und wenigstens andeutungsweise mitneuen, theologiegeschichtlichen Argumenten2 unterstützte Spätdatierung derIgnatianen hat bei den römisch-katholischen und orthodoxen Teilnehmern desSymposions, welche mehrheitlich die kirchliche Hierarchie für eine StiftungJesu Christi hielten oder sie wenigstens noch in »apostolischer Zeit« begründetsahen, verständlicher Weise heftigen Protest ausgelöst. Ich habe mich natürlichgefragt, ob es sich lohnt, diesen Vortrag nach so vielen Jahren nochmals ab-zudrucken. Doch die Diskussion um hier berührte entscheidende Datierungs-fragen (insbesondere der Pastoralbriefe, des Corpus Polycarpianum und derIgnatianen) geht bis heute weiter und wurde und wird, wie mir scheint, vonvielen Autoren nicht mit der gebotenen Gründlichkeit geführt. So findet manzum Beispiel in dem einschlägigen »Lehrbuch« von D.-A. Koch »Geschichtedes Urchristentums« (2013) und seinem voraufgehenden Aufsatz »Die Entwick-lung der Ämter in den frühchristlichen Gemeinden Kleinasiens« (2010) an ein-zelnen, nicht grundlegenden Stellen der Ämtergeschichte Präzisierungen (diehier in den nachgetragenen Anmerkungen vermerkt sind); jedoch läßt seineDarstellung gerade wegen unzulänglicher Auseinandersetzung mit den genann-ten chronologischen Fragen und offenbar ungeprüfter Übernahme scheinbardie These des Spätansatzes der Ignatianen widerlegender Argumente, eine Strin-genz vermissen.3 Der Wiederabdruck meines Vortrags gibt Gelegenheit, auf die

1 R. Joly, Le dossier d’Ignace d’Antioche, Bruxelles 1979.2 Unten S. 56 Anm. 123.3 Siehe D.-A. Koch, Die Entwicklung der Ämter in frühchristlichen Gemeinden Kleina-

siens, in: Th. Schmeller/M. Ebner/R. Hoppe, Neutestamentliche Ämtermodelle im Kon-text, QD 239, Freiburg/Basel/Wien 2010, 166–206; ders., Geschichte des Urchristentums.Ein Lehrbuch, 2. korrigierte u. erweiterte Auflage, Göttingen 2014, 439–457. − AuchU. Schnelle bleibt mit der komprimierten Darstellung der »Strukturen und Ämter« in sei-nem Buch: Die ersten 100 Jahre des Christentums 30–130 n. Chr. Die Entstehungsge-schichte einer Weltreligion, Göttingen 2015, 421–426, bei den traditionellen, nicht selb-ständig geprüften Frühdatierungen der Pastoralbriefe und Ignatianen. − Ein letztes Beispiel:J. Wagner, Die Anfänge des Amtes in der Kirche. Presbyter und Episkopen in der früh-christlichen Literatur, TANZ 53, Tübingen 2011, zugleich Dissertation TU Dortmund,zeigt die gleichen Mankos und bedeutet insgesamt eher einen Rückschritt: Behauptungenwie die, daß der Herrenbruder Jakobus den monarchischen Episkopat in Jerusalem ausgeübthabe, können nur mangels kritischen Urteils formuliert werden. − Die Auseinandersetzun-

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3Aufsätze über die Anfänge der Ämter und über die Ignatiusbriefe

offenen Fragen einzugehen und weiterführende Literatur auszuwerten: Deut-liche Korrekturen und einen erheblichen Fortschritt bei besonders vielen The-men bringen die methodisch äußerst überlegten, umsichtig analysierenden Ar-beiten M. Theobalds, zuletzt seine große Monographie »Israel-Vergessenheit inden Pastoralbriefen«.4 Für die Datierung des Clemens Romanus, des erstenPetrusbriefes, der Pastoralbriefe, für den ursprünglichen Text der Polycarpianaund ihre Chronologie und die brisante zeitliche Einordnung der Ignatianen hatO. Zwierlein unübertroffene kritische Arbeiten vorgelegt, die hier mit größtemDank ausgewertet werden.5

Die Frage nach der Echtheit und Entstehungszeit der Ignatiusbriefe, die imParagraphen 9 des voraufgehenden Aufsatzes behandelt wurde, hatte mich seitdem Erscheinen von R. Jolys »Dossier« im Jahre 1979 beschäftigt. Die Entdek-kung der Verwandtschaft der antithetisch gebauten »Christushymnen« IgnEph 7, 2 und IgnPol 3, 2 mit den paradoxen theologischen Antithesen, welcheHippolyt, Refutatio IX und X, von Noet von Smyrna und seinen römischenSchülern mitteilt,6 − eine Verwandtschaft, die, wie ich erst viel später bemerkte,F. Chr. Baur bereits 1848 entdeckt hatte und die von den nachfolgenden For-schern (Th. Zahn, A. Hilgenfeld, A. Harnack, F. Loofs) bestätigt und auf Textedes Melito von Sardes, des Irenaeus und Tertullian ausgedehnt wurde − hatmich zur weiteren Erforschung des Monarchianismus (»Sabellianismus«) deszweiten Jahrhunderts veranlaßt. Die in verschiedenen Zeit- und Festschriftenpublizierten Ergebnisse sind von Markus Vinzent 1999 in dem Sammelband»Der paradox Eine« herausgegeben worden.7 Darin erschien auch erstmals mei-ne Studie »Die Ignatianen und Noet von Smyrna«. Sie baut auf den drei vor-aufgehenden Untersuchungen zu Melito von Sardes und Noet (1989), zur anti-gnostischen Glaubensregel des Noet (1989) und zum antivalentinianischenCharakter der Theologie des Noet (1993) auf und führt sie − nach einem Be-richt über die Forschungsgeschichte seit F. Chr. Baur − für die Ignatianen fort.8

gen mit dieser Literatur wird, soweit erforderlich, bei der Behandlung der entsprechendenThemen in den »Addenda et Corrigenda« geführt.

4 M. Theobald, Israel-Vergessenheit in den Pastoralbriefen. Ein neuer Vorschlag zu ihrerhistorisch-theologischen Verortung im 2. Jahrhundert n. Chr. unter besonderer Berücksich-tigung der Ignatiusbriefe, SBS 229, Stuttgart 2016.

5 O. Zwierlein, Petrus in Rom. Die literarischen Zeugnisse. Mit einer kritischen Editionder Martyrien des Petrus und Paulus auf neuer handschriftlicher Grundlage, UALG 96, 2.,durchgesehene und ergänzte Auflage, Berlin/New York 2010; ders., Petrus und Paulus inJerusalem und Rom. Vom neuen Testament zu den apokryphen Apostelakten, UALG 109,Berlin/Boston 2013; ders., Die Urfassungen der Martyria Polycarpi et Pionii und das Cor-pus Polycarpianum Bd. 1: Editiones criticae. Bd. 2: Textgeschichte und Rekonstruktion.Polycarp, Ignatius und der Redaktor Ps.-Pionius, UALG 116, Berlin/Boston 2014.

6 Siehe den Hinweis unten S.56 Anm. 123.7 R. M. Hübner, Der paradox Eine. Antignostischer Monarchianismus im zweiten Jahr-

hundert, mit einem Beitrag von M. Vinzent, SVigChr 50, Leiden/Boston/Köln 1999.8 (1.) R. M Hübner, Melito von Sardes und Noet von Smyrna, in: Ders., Der paradox

Eine (wie Anm. 7), 1–32; in den Nachträgen S. 33–37, gehe ich auf die zustimmenden und

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4 Einleitung

Zur rechten Beurteilung des Beweisganges für die Abhängigkeit der Ignatianenvon Noet und ihrer Einbettung in die monarchianische Theologie des zweitenJahrhunderts ist die Kenntnisnahme dieser voraufgehenden Studien hilfreich.Eine geraffte Zusammenfassung des (damals in Arbeit befindlichen) Aufsatzes»Die Ignatianen und Noet von Smyrna« bildet den Hauptteil der nun im vor-liegenden Band S. 63 ff. erneut abgedruckten und um Addenda et Corrigendaerweiterten »Thesen zur Echtheit und Datierung der sieben Briefe des Ignatiusvon Antiochien«, die im allerersten Heft der »Zeitschrift für Antikes Christen-tum« 1997 veröffentlicht wurden.

Eines meiner Hauptargumente für die Spätdatierung der Ignatianen hielt of-fenbar T. Barnes für unwiderleglich. Er hat meinen Nachweis, daß die StelleIgnPol 3, 2 aufgrund der − in der gesamten Literatur der ersten drei Jahrhun-derte völlig einzigartigen − Übereinstimmung im Wortlaut und in der (durchden valentinianischen descensus-Mythos festgelegten) Abfolge der Begriffe nurals Reaktion auf die von Irenaeus, Adv. haer. I, 6, 1 mitgeteilte Aussage derPtolemäer verstanden werden kann,9 aufgegriffen und das Abfassungsdatum dervon ihm für echt gehaltenen Ignatiusbriefe in die Vierziger Jahre des 2. Jahr-hunderts verlegt, eine chronologisch nicht mögliche Konstruktion;10 die Briefekönnen nur erheblich später entstanden sein.

ablehnenden Stellungnahmen von H. J. Vogt (1992), J. Frickel (1993), M. Simonetti(1995), A. Brent (1995) und G. Uribarri Bilbao (1996) ein. Eine Korrektur der vorge-tragenen Thesen war nicht notwendig. (2.) R. M. Hübner, Die antignostische Glaubens-regel des Noet von Smyrna (Hippolyt, Refutatio IX, 10, 9–12 und X, 27, 1–2) bei Ignatius,Irenaeus und Tertullian, in: Ders., Der paradox Eine (wie Anm. 7), 39–90; in den »Ergän-zungen und Korrekturen« (91–94), wird der Einwand von R. Braun, REAug. 37,1991, 354, Tertullian und Irenaeus könnten nicht bewußt einen »monarchianischen« Textbenutzt und ausgearbeitet haben, durch eine Analyse des Sprachgebrauchs in Tertullian,Apol. 17, 2 und Adv. Valentianos 27, 2, par. Irenaeus, Adv. haer. I, 7, 2, widerlegt. Diedeutlichen Nachklänge der noetianischen Glaubensregel und Antithesen bei Tertulliankönnten auch auf einen direkten Kontakt mit der römischen Schule des Noet zurückgehen,also einen von T. Barnes bestrittenen Rom-Aufenthalt Tertullians wahrscheinlicher ma-chen (93 f.). − (3.) R. M. Hübner, Der antivalentinianische Charakter der Theologie desNoet von Smyrna, in: Ders., Der paradox Eine (wie Anm. 7), 95–129. − (4.) M. Vinzentweist in einem eigenen Beitrag: »Ich bin kein körperloses Geistwesen«. Zum Verhältnis vonκηρυγμα Πετρου, »Doctrina Petri«, διδασκαλια Πετρου und IgnSm 3 (ebd., 241–286) dieAbhängigkeit des Verfassers der Ignatianen von dem nach Markion geschriebenen κηρυγμαΠετρου (doctrina Petri) nach und plädiert für eine Abfassung der Briefe »einige Zeit nach150« (S. 286).

9 Siehe »Thesen zur Echtheit und Datierung«, unten S. 76, sowie »Die Ignatianen undNoet von Smyrna«, in: »Der paradox Eine« (wie Anm. 7), 163–165. Daß die Abfolge derBegriffe durch den valentinianischen descensus-Mythos bestimmt ist, zeigt nicht nur die mitIrenaeus, Adv. haer. I, 6, 1 parallele Stelle Clem. Alex., Exc. ex Theod. 59, 3 f.; das läßtsich auch aus dem sachlich parallelen Bericht des Tertullian, Adv. Valentinianos 26, 2erkennen.

10 T. D. Barnes, The Date of Ignatius, in: ET 120, 2008, 119–130. Barnes hat meinArgument allerdings nicht korrekt wiedergegeben. Ich danke O. Zwierlein für die Kor-rektur von Barnes’ Irrtum, die er in den »Addenda et Corrigenda« der 2. Auflage seiner(oben Anm. 5 zitierten) Untersuchung »Petrus in Rom« S. 481 f. vorgenommen hat.T. Barnes hat aufgrund der Parallelität von IgnPol 3, 2 und dem ptolemäischen Text bei

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5Echtheit und Entstehungszeit der Ignatiusbriefe

R. Joly hatte schon 1979 nachgewiesen, daß die den Ignatius und dessenBriefe angeblich bezeugenden Stellen im Philipperbrief des Polykarp von Smyr-na interpoliert sind, und deswegen und auch u. a. wegen der Propagierung desMonepiskopats und des Vorkommens der antignostischen Polemik die Briefe indie Zeit 160–170 datiert.11

Diesen Ansatz hat Th. Lechner in seiner Untersuchung »Ignatius adversusValentinianos?« bestätigt.12 Er hat erstmals seit Th. Zahn und J. B. Lightfoot diechronologischen Grundlagen für die Datierung der Briefe (insbesondere Chro-nik und Kirchengeschichte des Eusebius v. Caesarea) untersucht und die Fik-tivität von dessen − bis heute grundsätzlich selten in Frage gestellten − Datie-rungen erwiesen. Eine über Jolys Studie hinausgehende Analyse des Polykarp-briefes und dessen Interpolationen sowie der antignostischen Polemik imEpheserbrief des Ignatius führt ihn zu einer Datierung der Briefe in die Jahre165–175.

Gegen die Authentizität und Frühdatierung der Ignatianen hat − eine selteneAusnahme − J. V. M. Sturdy in seinem aus dem Nachlaß von J. Knight ediertenBuch »Redrawing the Bounderies« eigene Gründe vorgetragen und eine er-staunlich reichhaltige Liste der Forscher zusammengestellt, die ebenso geurteilthaben.13

In dem bedauerlicherweise erst nach seinem Tode veröffentlichten Aufsatz»Zu Ignatius von Antiochien« schließt sich W. Schmithals der von R. Joly,Th. Lechner und mir vertretenen Spätdatierung der sieben fiktiven Briefe an,ergänzt die Argumente und weist zugleich die Unzulänglichkeit der Antwortennach, welche von A. Lindemann, G. Schöllgen, M. J. Edwards und H. J. Vogtauf meine »Thesen« in den folgenden Heften der ZAC gegeben wurden.14 Sei-ne neue, das Rätsel der Ignatianen mehr erhellende These (über die ich aus-führlich mit ihm korrespondiert hatte), die Briefe seien von einem uns unbe-

Iren., Adv. haer. I, 6, 1 und weiterer, umfassender Wortuntersuchungen entschieden er-klärt, daß »Ignatius die Lehren des Ptolemaeus gekannt habe« (125). − Mir ist schlichtwegrätselhaft, wie dieses Argument für die Bezugnahme des Verfassers der Ignatianen auf dendescensus-Mythos der Ptolemäer, das, wie nochmals betont werden soll, auf der Überein-stimmung einer Wortfolge beruht, die in der gesamten Literatur der ersten drei Jahrhun-derte nur bei IgnPol 3, 2 und Irenaeus, Adv. haer. I, 6, 1 zu finden ist, von den auf meine»Thesen« reagierenden Autoren übergangen werden konnte. Jeder Neutestamentler, dereine solche einzigartige Parallelität zwischen einem neutestamentlichen und anderen Textfeststellen würde, wüßte die Schlußfolgerungen zu ziehen. Diese Übereinstimmung zwi-schen den genannten Textstellen allein genügt, die Posteriorität des Verfassers der Ignatia-nen gegenüber Ptolemäus und seinen Schülern, die Fiktivität der Briefe und ihr spätes Ab-fassungsdatum zu erweisen.

11 Joly, Le dossier (wie Anm. 1).12 Th. Lechner, Ignatius adversus Valentinianos? Chronologische und theologiegeschicht-

liche Studien zu den Briefen des Ignatius von Antiochien, SVigChr 47, Leiden/Boston/Köln 1999.

13 J. V. M. Sturdy, Redrawing the Bounderies. The Date of Early Christian Literature,London/Oakville 2007, 8–13.

14 W. Schmithals, Zu Ignatius von Antiochien, ZAC 13, 2009, 181–203.

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6 Einleitung

kannten Verfasser in Rom geschrieben worden, um in dieser Stadt für denMonepiskopat zu werben, ist von M. Theobald akzeptiert und mit weiterenBeobachtungen zum Rom-Bezug der Ignatianen verstärkt worden.15 Die Dis-kussion darüber wird hoffentlich fortgeführt werden, die Herausbildung desBischofsamtes hoffentlich die gebührende Beachtung finden.

Mit der Verabschiedung der ZAC-Rezensionen durch W. Schmithals ist −neben den zahlreichen Autoren, welche weiterhin bei der Frühdatierung derIgnatianen geblieben sind und sich zur Rechtfertigung dafür auf die (von ihnenmeist gänzlich ungeprüfte) angebliche Widerlegung meiner Argumente durchdie genannten Rezensenten in der ZAC berufen haben − auch der ebenso ver-fahrende Allen Brent zurückgewiesen. Er verzichtet in seiner Studie »Ignatius ofAntioch and the Second Sophistic« auf eine korrekte und zureichende Wie-dergabe der von Joly, Lechner und mir vorgetragenen Argumente und verweistpauschal auf die Rezensionen in der ZAC.16 Daß sein »Beweis« für die Früh-datierung mißlungen ist, weil er auf ungedeckten Voraussetzungen beruht undder Stringenz entbehrt, hat B. Dehandschutter in seiner ausführlichen Rezen-sion dargelegt;17 ebenso O. Zwierlein.18 Thomas Lechner hat in seinem Aufsatz»Ignatius von Antiochien und die Zweite Sophistik« Brents Thesen und seineliterarischen Methoden (»Sprachspiel und Montagetechnik«) ausführlich ge-würdigt und dessen Versuch, die Ignatianen theologie- und kulturgeschichtlichim frühen zweiten Jahrhundert unterzubringen, für gescheitert erklärt.19

Die umfassendste und präziseste Untersuchung zum Philipperbrief des Po-lykarp, zu dessen und der Ignatianen Datierung sowie zum Todesdatum desPolykarp verdanken wir Otto Zwierlein, der sie im Zusammenhang mit seinerneuen, alle bisherigen Ausgaben überholenden, kritischen Edition des Poly-karp-Martyriums vorgelegt hat.20 Zwierlein korrigiert hier die in seinem Buch»Petrus in Rom«21 noch vertretene Auffassung der Integrität des Polykarpbrie-fes. Er weist in diesem Brief − durch eindringlichste, wie mir scheint, unwi-derlegliche Analysen − eine doppelte, den Ignatius, dessen Briefe und schließ-lich dessen Gefährten betreffende Interpolation nach: PolPhil 13,1–2a stammevom Verfasser der Ignatianen (der mit dieser Interpolation sein gefälschtes Pro-dukt durch die Autorität des Martyrerbischofs beglaubigen will). PolPhil 1, 1und 13, 2 b seien sehr wahrscheinlich von Ps-Pionius eingeschoben worden,

15 M. Theobald, Israel-Vergessenheit in den Pastoralbriefen (wie Anm. 4), 310–314.16 A. Brent, Ignatius of Antioch and the Second Sophistic. A Study of an Early Christian

Transformation of Pagan Culture, Tübingen 2006, 18–23, hier 21, Anm. 11.17 B. Dehandschutter, VigChr 64, 2010, 89–94.18 O. Zwierlein, Die Urfassungen (wie Anm. 5), 380 f.19 Th. Lechner, Ignatius von Antiochien und die Zweite Sophistik. Kritische Anmer-

kungen zu den Thesen von Allen Brent, z. Zt. im Druck in dem von Th. J. Bauer undP. von Möllendorff herausgegebenen Sammelband zu den Ignatianen, Millennium-Stu-dien 2018.

20 O. Zwierlein, Die Urfassungen (wie oben Anm. 5).21 O. Zwierlein, Petrus in Rom (wie oben Anm. 5), 2009 = 22010, 188–193.

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7Echtheit und Entstehungszeit der Ignatiusbriefe

welcher um 400 n. Chr. das Martyrium Polycarpi und den Polykarpbrief zu-sammen mit der von ihm verfaßten Vita Polycarpi und anderen Texten in seinCorpus Polycarpianum eingliederte (Bd. 2, S. 268). Für das Todesdatum desPolykarp ermittelt Zwierlein den Zeitraum 161–168 (Bd. 2, S. 1–36); die Ur-fassung des Martyrium Polycarpi sei »vermutlich kaum später als ein Jahr nachden Ereignissen« geschrieben worden (Bd. 2, S. 263); der Philipperbrief desPolykarp wird um 150 datiert (Bd. 2, S. 378 f.); für die Ignatianen lassen sichdie Jahre um 180 als Abfassungszeit bestimmen (Bd. 2, S. 380–407). Mit diesenschwerlich zu erschütternden Untersuchungen hat Zwierlein jedem Versucheiner Früdatierung der Ignatius-Briefe die Grundlagen entzogen.

Einen ganz eigenen Weg zur Bestimmung der Abfassungszeit der Ignatianenhat M. Theobald in seiner schon genannten Monographie eingeschlagen, indemer die Paulusbriefsammlung der Ignatianen ermittelt.22 Er untersucht zunächstsorgfältig die Textgeschichte, um entscheiden zu können, ob es sich bei densieben Schreiben − wie bei den Pastoralen − um ein konsequent aufgebautesBriefcorpus handele und welches die ursprüngliche Reihenfolge der Schreibengewesen sei − eine Frage, die von fast allen Autoren (auch von mir) vernach-lässigt worden ist. Aufgrund vielfältiger Beobachtungen und Überlegungenkann Theobald die Euseb’sche, heute von allen Editoren eingehaltene Brief-Akoluthie als die ursprüngliche bestätigen (S. 270–275). Die folgende Analyseder »intertextuelle(n) Verwobenheit der Ignatianen mit dem Corpus Paulinum«im Abschnitt »Ignatius und Paulus« (S. 289–309) führt zu dem Ergebnis, daß das»vom Verfasser der Ignatianen benutzte Corpus Paulinum« möglicherweise be-reits die bekannten 13 Briefe enthielt, auch wenn Kol, 1 Thess und 2 Thesskeine Spuren hinterlassen haben« (S. 308 f.). Das passe zu der von Schmithalserwogenen Abfassungszeit in den Jahren des römischen Bischofs Eleutherus(ca. 175–189), erklärt Theobald (S. 309–312).

Die Ignatianen haben eine grundlegende Bedeutung für die gesamte Kirchen-und Theologiegeschichte des zweiten Jahrhunderts: nicht nur für die Geschich-te der kirchlichen Ämter, sondern ebenso für die Geschichte der Rezeption derneutestamentlichen Schriften, was zuletzt die Arbeit Theobalds demonstrierthat; für die Herausbildung (und auch Umbildung) der Sakramente, besondersder Eucharistie; für die Glaubensregel und Gotteslehre (Monarchianismus und»Verarbeitung« der johanneischen Logos-Aussagen); für die Auseinandersetzungmit Markion und der valentinianischen Gnosis; für die Martyriumstheologie;für die Verbreitung und Benutzung jüdischer, christlicher und nichtchristlicherLiteratur und die Ausbildung der Pseudepigraphie. Über alle diese (und wohlnoch weitere Themen) kann ohne die genaue Bestimmung des Zeitraums, indem die Ignatianen geschrieben sind, nicht sachgerecht gehandelt werden.

22 M. Theobald, Israel-Vergessenheit in den Pastoralbriefen (wie oben Anm. 4), 259–314;eine ausführliche Würdigung der Untersuchungen Theobalds zu den Ignatianen hatTh. Lechner in dem oben Anm. 19 genannten Artikel geschrieben.

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8 Einleitung

Thema und These des im Jahre 2004 in der Festschrift für Hermann JosefSieben erschienenen Aufsatzes »Überlegungen zur ursprünglichen Bedeutungdes Ausdrucks ›katholische Kirche‹ (καϑολικη` εκκλησια)« hatte ich bereits inden soeben besprochenen »Thesen zur Echtheit und Datierung« der Ignatianenvorgestellt. Mir schien, daß die Formulierung vor allem eine polemische Noteenthalte und daß die Frage, gegen wen oder gegen was sich die ›katholischeKirche‹ absetze, am ehesten mit dem Hinweis auf die Gnostiker beantwortetwerden könne. Nur um einer bedeutenden Sache willen konnte diese neueNamensschöpfung entstanden sein, und dies war die Erlangung des ewigenHeils. Die Gnostiker sprachen es allein den (wenigen) auserwählten, erkennen-den Pneumatikern zu, die ›katholische Kirche‹ dagegen umfassend (καϑολου)allen Christen, die durch die Taufe den Geist empfangen und damit als Pneu-matiker die Anwartschaft auf das ewige Leben Gottes, der das Heil aller Men-schen will, erlangt hatten. Daß die frühesten Zeugnisse für diesen Ausdruck inder Zeit um 180 aus dem westkleinasiatischen Raum stammten, in dem Noetvon Smyrna, wohl ein Nachfolger des Polykarp von Smyrna, Melito von Sardesund der Verfasser der Ignatianen gegen starke gnostische Strömungen zu kämp-fen hatten, paßte genau zur Annahme eines antignostischen Ursprungs des Aus-drucks.

Nun sind durch die neue, 2014 erschienene kritische Edition des MartyriumPolycarpi von Otto Zwierlein, über die ich in den »Addenda et Corrigenda«berichte, die von mir als älteste Belege für die Formulierung »katholische Kir-che« eingeschätzten Stellen in der bis dahin anerkannten Fassung dieses Mar-tyriumsberichtes sämtlich den ins 4. und 5. Jahrhundert fallenden (stark erwei-terten und interpolierten) Versionen zugewiesen worden, entfallen also als frü-he Zeugnisse für den Ausdruck »katholische Kirche«; übrig geblieben als ersteserhaltenes Beispiel ist die Stelle aus dem Ignatiusbrief an die Smyrnäer 8, 2, alszweiter Text der Anonymus antimontanista aus den Jahren 192/193 (die Tex-te 5 und 6). Warum die Lektüre dieses Artikels trotz der genannten Ausfälledoch aufschlußreich und vielleicht sogar nützlich sein kann, habe ich in den»Addenda et Corrigenda« an Ort und Stelle zu erklären versucht: Der Erweisfür die antignostische Bildung des Ausdrucks aufgrund der beigebrachten Textescheint mir durch den Ausfall der Stellen aus dem Martyrium Polycarpi keineEinbuße erlitten zu haben, sondern immer noch gültig, zumindest bedenkens-wert zu sein, und die sehr bunte Forschungsgeschichte zu diesem Terminusoffenbart, welche Forscher − trotz mangelnder kritischer Editionen − doch zueinem erstaunlich treffenden Urteil gelangt sind.

Die Entdeckung der Spuren der paradoxen theologischen Antithesen desNoet von Smyrna bei Ignatius, Melito, Irenaeus und Tertullian hat mich ver-anlaßt, einen neuen Durchgang durch die christliche Literatur vor allem deszweiten Jahrhunderts (unter Einbeziehung auch der sog. apokryphen undpseudepigraphischen Schriften) zu nehmen, um die Gottesauffassung der Chri-sten dieser Zeit zu erkunden. Das mühsam errungene und meiner bisherigen»orthodoxen« Vorstellung entgegenstehende Ergebnis war die Erkenntnis, daß

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9»Katholische Kirche«, Monarchianismus, Acta Iohannis

der Glaube dieser Christen sich an den einen Gott wandte, der in Jesus auf derErde erschienen war und (durch seinen Tod) die Menschen erlöst hatte. Nichtder Glaube an einen dreieinigen Gott, nicht die Trinitätslehre, sondern der spä-ter als »Sabellianismus« verurteilte Monarchianismus ist (etwa seit den VierzigerJahren) der Gottesglaube fast aller Christen des zweiten Jahrhunderts und dar-über hinaus (selbst Justin, der im Logos-Sohn einen »anderen« Gott sah, teiltden Glauben an die »Monarchie« des einzigen wahren Gottes, Dial. c. Try-phone 1, 3 f.). Diese Untersuchungen fanden (1996) ihren Niederschlag in demAufsatz, dessen Titel das monarchianische Bekenntnis des römischen BischofsZephyrin aufnimmt: »Εις ϑεο`ς ᾽Ιησους Χριστος«, und in dem Teil der Studieüber »die Ignatianen und Noet«, in dem die Gottesauffassung des »Ignatius«dem Monarchianismus des späten 2. Jahrhunderts zugeordnet wird.23

Daß sich Reflexe der paradoxen noetianischen Antithesen in einem glau-bensregelartigen Stück der apokryphen Petrusakten finden (ActVerc 20, AAA I,68, 3–10 Lipsius), und daß auch in dem allgemein als gnostisch-valentinianischgeltenden (und damals auch von mir so eingeschätzten) Kapitel 101 der Johan-nesakten in ursprünglich monarchianischer Sprache vom Blut, Leiden und Toddes mit dem einen Gott identischen Logos geredet wurde, hatte ich in den ge-nannten Aufsätzen schon vermerkt.24 Doch erst bei der viele Jahre später be-gonnenen, intensiveren Beschäftigung mit den Johannesakten und der theolo-gischen Eigenart der als gnostisch bezeichneten Kapitel 94–102. 109 gewannSchritt für Schritt die Überzeugung Raum, die Carl Schmidt schon 1903 ent-schieden geäußert hatte, nämlich daß, ebenso wie die Petrusakten, auch diegesamten Johannesakten den monarchianischen Gottesglauben des späten zwei-ten Jahrhunderts bezeugen. Dem Nachweis dafür ist die Untersuchung »ActaIohannis, Kapitel 94–102 und 109: gnostisch oder monarchianisch?« gewidmet.Sie ist so extensiv und umständlich ausgefallen, weil die Überzeugungskraft dergroßen, zweibändigen, kommentierten Edition der Johannesakten von E. Junodund J.-D. Kaestli (der ich auch lange erlegen war) überwunden werden mußte.Diese Autoren hatten, um die Kapitel 94–102. 109 als gnostisch-valentiniani-sche Texte zu erweisen, welche − aller Wahrscheinlichkeit nach − ein gno-stischer Autor in die bereits vorliegenden Johannesakten interpoliert habe, über-wältigend viel gnostisches Material zum Vergleich beigebracht, das geprüft wer-den mußte, ebenso wie die bestätigenden, nuancierenden, auch abweichendund neu interpretierenden Untersuchungen nachfolgender Forscher.

Die hoffentlich bald einsetzende Diskussion wird zeigen, ob meine Inter-pretation, daß die genannten Kapitel − in einem scheinbar gnostischen Sprach-gewande − eine mit der Melitos und des römischen Bischofs Kallist verwandtemonarchianische Theologie offenbaren, und ebenso wie der sog. »Grundstock«

23 Εις ϑεο`ς ᾽Ιησους Χριστος. Zum christlichen Gottesglauben im zweiten Jahrhundert − einVersuch, in: MThZ 47, 1996, 325–344, danach in: »Der paradox Eine« (wie oben Anm. 7),207–240; »Die Ignatianen und Noet von Smyrna«, ebd. 177–202.

24 Siehe »Der paradox Eine«, z. B. S. 159. 161. 185 f. Anm. 175.

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10 Einleitung

der Johannesakten deutliche Spuren der theologischen Antithesen Noets auf-weisen, und daß eher ein einziger Autor für den Grundstock und die mögli-cherweise von ihm später eingefügten Kapitel 94–102 anzunehmen sei, derÜberprüfung standhält.

Die zweite Reihe der Aufsätze hat trinitätstheologische, auch christologischeThemen, die sich meist aus der Arbeit an der Dissertation und Habilitations-schrift ergaben.

In der Forschungsgeschichte zur Soteriologie und Ekklesiologie des Gregorvon Nyssa, dem Thema meiner Dissertation, ließ sich bei zahlreichen Autoreneine Verquickung der (mit einem angeblich platonischen Begriffsrealismus er-klärten) Soteriologie und Anthropologie mit der Trinitätslehre feststellen, wel-che der jüngere Bruder des Basilius von Caesarea in seinen sogenannten kleinentrinitätstheologischen Schriften und seinen Büchern gegen Eunomius dargelegthatte.25 Um Gregors Begrifflichkeit und sachliche Aussagen besser beurteilen zukönnen, wurde sein Lehrer und Vorgänger in der Auseinandersetzung mit Eu-nomius, Basilius, zu dieser Sache befragt. Das Ergebnis war die Feststellung, daßdie Brüder, wohl bedingt durch eine jeweils besondere philosophische Aus-gangsposition, ein durchaus unterschiedliches Verständnis des in der trinitari-schen Formel so zentralen Begriffs ουσια entwickelt hatten. Die Resultate derUntersuchungen, die auf den Patristischen Konferenzen von Oxford 1967 und1971 vorgetragen und diskutiert wurden, sind in der Festschrift für Card. Da-nielou unter dem Titel: »Gregor von Nyssa als Verfasser der sog. ep. 38 desBasilius. Zum unterschiedlichen Verständnis der ουσια bei den kappadozischenBrüdern« veröffentlicht worden.

Die Untersuchung des umstrittenen Begriffs ο καϑολου ανϑρωπος in GregorsDe hominis opificio hatte ergeben, daß damit der Allgemeinbegriff ›Mensch‹ −im Unterschied zum mit Namen bezeichneten bestimmten Menschen (ο τι`ςανϑρωπος) − gemeint ist, wie das etliche Forscher schon festgestellt hatten.Dieselben Definitionen, in oft identischer Sprache, illustriert an ähnlichen Bei-spielen aus der Schrift, begegnen auch in der sog. »ep. 38« des Basilius, und inden trinitarischen Schriften Gregors; sie entsprechen zweifelsfrei den aristote-lischen Definitionen der ουσια πρωτη, dem nicht aussagbaren letzten Subjekt,und der ουσια δευτερα, dem Gattungs- und Artbegriff, der von einem be-stimmten Subjekt ausgesagt werden kann.26 In dem Artikel in der Festschrift

25 Siehe in meiner Dissertation: Die Einheit des Leibes Christi bei Gregor von Nyssa.Untersuchungen zum Ursprung der ›physischen‹ Erlösungslehre, PP 2, Leiden 1974, dieForschungsgeschichte S. 3–25, und den »Exkurs« zur sog. »doppelten Schöpfung« des Men-schen (in der Schrift De hominis opificio 16) S. 67–94; hier wird die in den anthropolo-gischen und trinitätstheologischen Schriften verwandte Begrifflichkeit untersucht und dieTerminologie in De hominis opificio, der sog. »ep. 38« des Basilius und der kleinen trini-tarischen Schriften verglichen, eine Vorarbeit zu den Analysen in dem Aufsatz in der FSCard. Danielou (unten S. 245 ff.).

26 Siehe den Exkurs in der Anmerkung zuvor genannten Dissertation, 72–83.

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11Gregor v. Nyssa; zur Formel »eine Wesenheit, drei Hypostasen«

Card. Danielou ist die exakte Gleichheit/Identität dieser ουσια-Definitionenbei Gregor, in »ep. 38« und Aristoteles mit zahlreichen Zitaten belegt. Des Ba-silius Definitionen der ουσια Gottes, des Menschen, aller Dinge sind so grund-legend abweichend, daß Gregor an einer Stelle, an der er deutlich die Defini-tion seines Bruders aufnimmt, ihr voll widerspricht. Die Beschäftigung mit derstoischen Logik ergab nun, daß Basilius die stoische Seinsanalyse kennt undgrundsätzlich den stoischen ουσια-Begriff verwendet, den sein Bruder nichtakzeptiert. Die mit zahlreichen genauen Belegen aufgewiesenen Übereinstim-mungen und Differenzen zwischen den ουσια-Definitionen des Aristoteles undder Stoa, des Gregor und Basilius genügen, dem Gregor die »ep. 38« zuzu-schreiben. Sie konnte auch inhaltlich und zeitlich in die theologische ›Entwick-lung‹ Gregors eingeordnet werden.27

Die stoische Interpretation der ουσια wurde − vorsichtshalber − auf die inder Studie untersuchten Texte des Basilius eingeschränkt; er ist kein stoischerMetaphysiker; er benutzt bei anderen Problemen durchaus die aristotelischeLogik, sogar plotinische Spekulationen.28 Ob nun stoische oder aristotelischeoder eine andere, vielleicht neu konstruierte kategoriale Begrifflichkeit zur Er-klärung der trinitarischen Formel herangezogen wird, keine vermag zu eineradäquaten Erkenntnis des trinitarischen Gottes zu verhelfen, Basilius sagt das inden (unten S. 281 f.) zitierten Texten immer wieder. Er hat bei seinem Be-mühen, den Angriff des Eunomius abzuwehren, klar erkannt, daß die trinita-rische Formel, für die er mit seinen Unterscheidungen die Grundlage gelegthatte, alle philosophischen Kategorien sprengt, und daß diese Formel nur mitungenügenden Bildern und Vergleichen erläutert werden kann. Die philoso-phische Anstrengung, die Gregor von Nyssa − nach dem Tod des Basilius! − inseinen frühen »kleinen« trinitarischen Schriften unternimmt, das Verhältnis vonουσια und υποστασις widerspruchsfrei zu bestimmen, wäre nach dem Urteilseines Bruders nur ein fehlgeleiteter Versuch der Gotteserkenntnis gewesen.Das gilt eben auch für die Ep. 38. Die Erkenntnis Gottes, auf die es für denMenschen (und sein »Heil«) ankommt, ist nach den (S. 273 f.) zitierten Aussa-gen des Basilius anderer Art und wird auf anderem Wege gewonnen. Diesegrundlegende Differenz zwischen dem theologischen Urteil des Basilius unddem des frühen Gregor festzuhalten, war mir wichtig. Die in dieser Studie ge-wonnenen Ergebnisse haben sich in den folgenden, weiter unten genanntenUntersuchungen zum theologischen Denken des Basilius bewährt.

Bei der wiederholten Lektüre der Bücher »Adversus Eunomium« des Basiliuswar ich auf die Stelle gestoßen, an der der ehemalige Homöusianer, der ουσια

27 Siehe »Gregor von Nyssa als Verfasser der sog. ep. 38« (unten S. 281 f.); die Chrono-logie der frühen trinitätstheologischen Schriften Gregors wird behandelt in dem Artikel»Gregor von Nyssa und Markell von Ankyra«, in: Ecriture et culture philosophique dans lapensee de Gregoire de Nysse. Actes du Colloque de Chevetogne (22–26 Septembre 1969),edites par M. Harl, Leiden 1971, S. 200–209.

28 Belege in »Gregor von Nyssa als Verfasser der sog. ep. 38«, unten S. 271 f.

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12 Einleitung

und υποστασις in der Gotteslehre auch gleichsinnig verwendet hatte, − umEunomius zu widerlegen, − den ersten Versuch machte, beide Begriffe zu dif-ferenzieren und damit die Voraussetzung für die spätere klassische Formulie-rung von der einen ουσια in den drei göttlichen Hypostasen zu schaffen.29 DieseThese trug ich in meinem Habilitations-Probe-Vortrag im Herbst 1976 derBonner Fakultät vor. Die Ausarbeitung mehr als zwei Jahrzehnte später (1998)für die Festschrift Kard. Wetter brachte den Vorteil, auf mehrere weitere in-zwischen vorgetragene Versuche der Erklärung einzugehen, alle als Ursprungs-ort vorgeschlagenen Texte gründlich abzuhören und die eigene These, an derich festhalte, umfassend zu begründen: »Zur Genese der trinitarischen Formelbei Basilius von Caesarea«, jetzt unten S. 291 ff.

Der Gang der Forschungsgeschichte (von A. v. Harnack bis H. C. Brenn-ecke) in Abschnitt I hat auch den Gang der Untersuchung bestimmt: Sie folgtden einschlägigen Texten seit dem Konzil von Sirmium 357 bis zur Abfassungder Bücher Adv. Eunomium I-III des Basilius, wobei auch die sicheren undvermutlichen Apolinaristica einbezogen wurden. Wenn nicht alles trügt, hatApolinarius, der wohl kurz vor Basilius auf Eunomius antwortete, mit seiner inAdv. Eunomium IV (PG 29, 681 AB) vorgenommenen Unterscheidung vonουσια (»Wesenheit«) und τροπος της υπαρξεως (»Daseins«- oder »Existenzwei-se«) der göttlichen Personen für die »Lösung«, die Basilius in Adv. EunomiumI, 15 vorträgt (ουσια − τροπος της υποστασεως), die entscheidende Vorarbeitgeleistet. Daß diese neuen Begriffsdifferenzierungen, welche die Grundlage dertrinitarischen Formel werden, philosophisch nicht »durchrechenbar« sind, ergibtsich, wenn man ihrer hier erklärten Entstehungsgeschichte folgt. PhilosophischeModelle (wie sie in vielen der in den »Addenda et Corrigenda« [S. 283 ff.] be-sprochenen Studien gesucht werden) waren sicher nicht die Ursache für dieEntstehung der trinitarischen Formel, sie dienten vielmehr als willkommeneIllustration und Erläuterung der (gegen alle Logik) durch den Angriff des Eu-nomius erzwungenen Begriffs-Differenzierungen. Sie sollten auch gebildeteChristen überzeugen, daß der Glaube an die so »definierte« Trinität rational sei.

In meiner Eichstätter Antrittsvorlesung vom Juni 1979: »Der Gott der Kir-chenväter und der Gott der Bibel« habe ich den Versuch gemacht, aufgrund dergewonnenen Erkenntnisse über die Trinitätstheologie des griechischen 4. Jahr-hunderts durch eine komprimierte Darlegung der Entstehung der − heute dochsehr fremd gewordenen − zentralen Glaubensformeln in den Bekenntnissenvon Nicaea (325) und Konstantinopel (381) den Theologiestudierenden (undinteressierten Christen) die theologische Botschaft dieser dogmatischen Defi-nitionen nahe zu bringen. Diese Botschaft, ihre Tragweite und zugleich ihreGrenzen, lassen sich erkennen, wenn man die Frage herausgefunden hat, aufwelche die spröden Formeln antworten. Der Leser mag entscheiden, ob mir das

29 Das ist in dem vorhergehenden Aufsatz über die »ep. 38«, unten S. 271, erwähnt. − Zuden Termini »Homöusianer« und »homoiusios« siehe die »Addenda et Corrigenda« zumAufsatz »Genese der trinitarischen Formel« (unten S. 323 f.).

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13Der Gott der Kirchenväter und der Gott der Bibel; Basiliusstudien

gelungen ist. (Eine Korrektur muß ich anbringen. Weiteres Nachdenken überden Weg, der zur Ausbildung der trinitarischen Formel geführt hat, hat meinUrteil über Markells von Ankyra Gottesauffassung (S. 342 »absurdes Gottes-bild«) als falsch erwiesen. Markell ist der erste Theologe, der versucht hat, einrationales trinitarisches »Modell« zu finden, in dem die absolute göttlicheGleichheit von Gott, Logos und Hl. Geist in einer absoluten Einheit verbundenist. Weil Apolinarius von Laodicea dieses »Modell« zum Scheitern gebracht hat,war er gezwungen, ein eigenes zu entwerfen; damit hat er den Versuchen desBasilius von Caesarea, den Angriff des Enomius abzuwehren, den Weg gebahnt,siehe dazu den Aufsatz: »Die Genese der trinitarischen Formel«. − Eine zweiteAnmerkung: Die im letzten hier abgedruckten Aufsatz aufgewiesenen Aporienaller in der Antike vorgetragenen christologischen Modelle und Formeln wieauch die Ergebnisse neutestamentlicher Forscher lassen mich zögern, die Aus-sage Joh 1, 14 im Sinne einer sarkosis und nicht eher als »Theophanie« zu ver-stehen.)

Der kleine Beitrag zur Festschrift des Eichstätter Bischofs Alois Brems überBasilius als Theologen der Ökumene sollte mit vielen Aussagen dieses großenTheologen belegen (was oben schon mehrfach erwähnt ist), daß für Basilius dieBotschaft des Evangeliums von der befreienden Liebe Gottes das Zentrum desChristentums ausmachte. Die theologischen Formeln waren für ihn zwar not-wendige, aber auch notdürftige, keineswegs metaphysisch auszuhandelnde De-finitionen, die nicht zum Hauptgegenstand der (ewig streitenden) Theologiegemacht werden dürfen. Ihr Zweck besteht lediglich in der Abwehr häretischerAngriffe auf das für das Christentum, wie er es verstand, Wesentliche.

Im weiteren Studium der trinitarischen Schriften des Basilius und seinerZeitgenossen, die für eine geplante Habilitationsschrift über »Basilius als Trini-tätstheologen« erforderlich waren, erfolgte die Entdeckung von dessen vielfa-cher Abhängigkeit von Apolinarius von Laodicea. Kernstück der Untersuchun-gen war die Frage, wer der Autor der kleinen pseudathanasianischen Schrift»Contra Sabellianos« (PG 28, 96 D–121 B) war, welche an vielen sehr markan-ten Stellen sogar wörtliche Übereinstimmungen mit der bedeutendsten und amhäufigsten zitierten trinitätstheologischen Homilie des Basilius aufwies: Hom.24, Contra Sabellianos, Arium et Anomoeos (PG 31, 600 B–617 B). Die m. E.genügend gesicherte These, daß dieser Autor der Athanasiusfreund Apolinariuswar, bei dem sich Basilius theologischen Rat in der Frage nach einem rechtenund akzeptablen Verständnis des homoousios von Nicaea geholt hatte, und daßBasilius in dieser Homilie auf dessen Schrift Contra Sabellianos zurückgegriffenhatte, fand ihren Niederschlag in der Habilitationsschrift, die nun als notwen-dige Vorarbeit zu dem ehemaligen Vorhaben, die Ausbildung der Trinitäts-theologie dieses Theologen zu ermitteln, gelten kann.30 Die Studien brachten

30 Der Titel der Druckfassung lautet: Die Schrift des Apolinarius von Laodicea gegen Pho-tin (Pseudo-Athanasius, Contra Sabellianos) und Basilius von Caesarea, PTS 30, Berlin/New York 1989.

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14 Einleitung

weitere trinitätstheologische und christologische Erkenntnisse, die teilweise inden im Folgenden genannten, mehrfach durch Festschrift-Anfragen provozier-ten Artikeln veröffentlicht wurden.

Dazu gehört der Beitrag: »Basilius von Caesarea und das homoousios« in derFestschrift für G. Christopher Stead von 1993, in dem die Auswirkungen desfrühen Briefwechsels zwischen Basilius und Apolinarius für die Interpretationdes homoousios untersucht werden und zugleich nachgewiesen wird, daß die ein-zige Stelle seiner Homilien, an der das homoousios vorkommt, nämlich Hom.24, 4, ihre sachliche und z. T. wörtliche Vorlage in der dem Apolinarius ge-hörenden Schrift Contra Sabellianos 6 f. hat. − Spuren dieses Traktats findensich auch in anderen Schriften des Basilius: in den Büchern gegen Eunomius, inBriefen und weiteren Homilien und in De Spiritu Sancto.31 Aber er ist nicht dereinzige, der diesen Text geschätzt hat. Sein Zeitgenosse Epiphanius von Salamishat sich die scharfsinnige und treffende Argumentation, mit welcher der Autordie theologischen Positionen eines Gegners, der als der Markell-Schüler Photinvon Sirmium identifiziert werden konnte,32 ebenfalls zunutze gemacht und dasdort gefundene »Material« in seinem »Arzneikasten« − ohne jegliche Skrupelund Scheu vor Verfälschungen − auf die Kapitel über Sabellius (Pan. haer. 62),vor allem Paulus von Samosata (haer. 65) und Photin (haer. 71) verteilt. Schonin den trinitätstheologischen Ausführungen der ersten Kapitel seines etliche Jah-re zuvor abgefaßten »Ancoratus« hat er sich von den markanten Formulierun-gen in der Schrift des Apolinarius inspirieren lassen. In dem Beitrag: »DieHauptquelle des Epiphanius über Paulus von Samosata« im Festschrift-Heft derZKG 1979 zum 65. Geburtstag von Wilhelm Schneemelcher und in dem in derZKG 1981 folgenden Artikel: »Epiphanius, Ancoratus und Ps-Athanasius, Con-tra Sabellianos« wurden diese Nebenprodukte der Habilitationsschrift veröffent-licht.

Joseph T. Lienhard hat 1986 in einem Artikel in den Vigiliae Christianaesiebzehn parallele Texte aus dem Pseud-Athanasianum Contra Sabellianos undder Homilie 24 des Basilius verglichen und vorgeschlagen, C. Sabellianos als einfrühes Werk des Basilius zu betrachten, das dieser selbst in seiner späteren Ho-milie gewissermaßen kopiert habe. Sein Versuch weist jedoch beträchtlichemethodische und sachliche Mängel auf. In meiner kurzen Replik in derselbenZeitschrift 1987: »Ps-Athanasius, Contra Sabellianos: Eine Schrift des Basiliusvon Caesarea oder des Apolinarius von Laodicea?« konnte aufgrund von be-deutenden theologischen und begrifflichen Differenzen zwischen dem Pseud-Athanasianum und den frühen Schriften des Basilius dessen Autorschaft ausge-schlossen werden. Die des Apolinarius ließ sich − außer durch die Feststellung,daß er wie Pseud-Athanasius ein früher Verteidiger des homoousios von Nicaeaist − vor allem durch seine besondere Christologie mit der einzigartigen For-

31 Vgl. »Die Schrift des Apolinarius« (wie Anm 30), 252–268.32 Ebd. 163–196.

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15Basilius- und Apolinarius-Studien; weitere Künftige Forschungsaufgaben

mulierung, daß »Christus Mensch nur in homonymen Sinne« sei, beweisen.Diese Formulierung begegnet im 4. Jahrhundert, soweit ich damals feststellenkonnte, nur dreimal: zweimal in der Anacephalaeosis des Apolinarius und ein-mal im Pseud-Athanasianum Contra Sabellianos.

In dem Beitrag »Soteriologie, Trinität, Christologie« zur Festschrift WilhelmBreuning (1985) ging es mir darum aufzuzeigen, wie sich die im vierten Jahr-hundert mitten den den trinitarischen Streitigkeiten scheinbar unvermittelt auf-tauchende christologische Frage nach dem Verhältnis von Gottheit undMenschheit in Jesus Christus aus der letztlich »monarchianischen« (von Basiliusals »sabellianisch« heftig bekämpften) trinitarischen Konzeption des NizänersMarkell von Ankyra ergab, welche vom Nizäner Apolinarius in die Aporie ge-führt wurde.

Einige schlußfolgernde Überlegungen zu dessen Christologie und überhauptzum brüchereichen Gang unserer Theologiegeschichte bringt der letzte Artikel:»Der Weg zur Zweinaturenlehre«, gewissermaßen meine Abschiedsvorlesung.Sie vereint versuchsweise die Ergebnisse der Studien über die Gotteslehre undden Monarchianismus des zweiten Jahrhunderts mit dem Aufkommen der trini-tätstheologischen und christologischen Fragen und deren »Lösung« auf denökumenischen Konzilien von Nicaea bis Chalcedon.

Wenn ich nun sagen sollte, welche Forschungsergebnisse mir als die wichtigstenerscheinen und vielleicht neue Wege eröffnen könnten, so nenne ich zuerst dieveränderte Chronologie der Ignatiusbriefe und weiterer, auch neutestamentli-cher Schriften des 2. Jahrhunderts. Treffen die neuen Datierungen zu, dannwird das die Darstellung der Theologie- und Kirchengeschichte dieser Zeit gra-vierend verändern.

Der zweite Punkt hängt mit dem ersten eng zusammen. Es sind die Resultateder Untersuchungen zu Noet von Smyrna und zum Monarchianismus. DieThese, daß der Monarchianismus in seinen verschiedenen, fast niemals gleich-förmigen, in etlichen Schriften sich mit gnostischem Denken mehr oder we-niger stark überlappenden Gestalten das eigentliche »Dogma« der Christen bis indie erste Hälfte des dritten Jahrhunderts war, wird wohl lange umstritten blei-ben, weil die Quellenlage sehr karg ist: Seit die Trinitätstheologie gesiegt hat,wurden die Zeugnisse des Monarchianismus (z. B. die vielen Schriften Melitos)vernachlässigt und nicht mehr überliefert. (Die Verfahrensweise des Eusebiusvon Caesarea ist dafür ein gutes Beispiel.) Die Nachwirkungen der theologi-schen Paradoxien des Noet sind groß, das zeigt die Wiederkehr seiner para-doxen Antithesen und deren theologischer Aussage bei vielen Autoren, auch,wie ich hier zu zeigen versuche, beim Verfasser der Acta Iohannis. (Im »Fazit«zu diesem Aufsatz sind wenigstens einige Autoren und Texte zitiert, bei denendie Nachwirkungen Noets manifest sind.)

An dritter Stelle nenne ich eher eine Forschungsaufgabe (die ich nicht mehrbewältigen kann) als ein Forschungsergebnis, das sind die Beziehungen zwi-schen Basilius und Apolinarius. Der Nachhall der Theologie des Apolinarius ist

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16 Einleitung

nicht nur in der Trinitätstheologie des Basilius zu erkennen (wie das hier derBeitrag zur Festschrift Stead deutlich machen sollte); viele seiner frühen Ho-milien zeigen bis in die Formulierungen hinein den Einfluß der ausgeprägtenChristologie des Apolinarius. Diese Beziehungen werden erheblich leichter undsicherer festzustellen sein, wenn die Schriften Ps-Athanasius, Contra Arianos IVund Contra Sabellianos, sowie Ps-Basilius, Adversus Eunomius IV/V (undmöglicherweise noch einige weitere Texte) als Werke des Apolinarius allge-mein anerkannt sind.33

Auch der letzte Punkt, den ich nennen möchte, ist nicht ein festes Ergebnis,sondern der Hinweis auf eine mögliche theologische Aufgabe.

Die Geschichte der Entstehung und weiteren Auslegung der »kappadozi-schen«, in Konstantinopel 381 definierten und gewissermaßen »klassisch« ge-wordenen trinitarischen Formel: »eine ousia, drei Hypostasen oder Personen«und die Geschichte ihrer Interpretationen durch die Jahrhunderte lehrt, daßdiese Formel im logischen Sinn aporetisch ist.

Roland Kany hat den Weg zu dieser »kappadozischen« Formel und diescharfsinnige Kritik, die Augustinus in De Trinitate I-VII an ihr übt, präzisenachgezeichnet.34 Augustinus begegnet der von ihm als unzulänglich abgelehn-ten griechischen »Lösung« des trinitarischen Problems mit einem Neuansatz,den Kany an zwölf Schritten mit großer Klarheit analysiert und wiedergibt: Aufdem Wege einer systematischen Reflexion über die Bedingungen der Möglich-keit von Selbstbezug und Selbsterkenntnis als Kern alles Geistigen gelange Au-gustinus zu einem Denken der Trinität, das sich nicht mehr − wie letztlich nochdie kappadozische Formel und ihre Erklärungen durch die Kappadozier − amModell gegenständlicher Erkenntnis orientiere. Gott erweise sich als derjenige

33 Ein großer Gewinn für diese Arbeit wird die erste kritische Edition von Adv. Euno-mium IV/V sein, die gegenwärtig von Christina Abenstein in Arbeit ist. In ihrer Disser-tation: »Die Basilius-Übersetzung des Georg von Trapezunt in ihrem historischen Kontext«,BzA 336, Berlin/Boston 2014, 11–37, hat sie kritisch über den Forschungsstand zuAdv. Eunomium IV/V und Ps-Basilius, De Spiritu berichtet und mit umfassenden ge-schichtlichen Untersuchungen die kritische Edition von dessen lateinischer Übersetzung derSchriften des Basilius und Ps-Basilius, Contra Eunomium I-V und De Spiritu Sanctovorbereitet: Die Basilius-Übersetzung des Georg von Trapezunt. Edition, BzA 337, Berlin/Boston 2015. Die Autorin konnte (vgl. ebd., XXXVI) feststellen, daß Janus Cornarius seineEdition des griechischen Textes der Basilius-Schriften (1551) anhand von Georgs von Tra-pezunt lateinischer Übersetzung korrigiert und Konjekturen Georgs ins Griechische rück-übersetzt hat. Erst die jetzt in Arbeit befindliche kritische Edition wird uns einen mehr ver-läßlichen, von solchen Eingriffen bereinigten Text von Adversus Eunomium IV/V geben.− Ein unschätzbarer Fortschritt ergäbe sich, wenn die Autorschaft dieser Schriften, zusätz-lich zu den philologischen und theologischen Untersuchungen, mit jenen statistischen undmathematischen Computer-Methoden geprüft würde, welche G. Maspero, M. Degli Espo-sti und D. Benedetto für (Basil.) ep. 38 angewendet haben (siehe den Bericht am Ende der»Addenda et Corrigenda« zum Aufsatz über »ep. 38« unten S. 288).

34 R. Kany, Augustins Trinitätsdenken. Bilanz, Kritik und Weiterführung der modernenForschung zu »De trinitate«, STAC 22, Tübingen 2007, bes. 456–506; zum oben Folgendensiehe ebd. 507–534.

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17Basilius- und Apolinarius-Studien; weitere Künftige Forschungsaufgaben

Grund allen geistigen und nichtgeistigen Seins, in dem Dreiheit und Einheitnoch unvermischt und ungetrennt sind.

So sehr Augustins tiefsinnige Analyse der trinitarischen Selbstgegenwart alsGrund und Voraussetzung aller Selbsterkenntnis in der Nachzeichnung Kanyseinleuchtet und Zustimmung finden kann, von den orthodoxen Vätern, denenwir die von Augustinus kritisierte trinitarische Formel verdanken, wäre ein der-artiges Trinitätsdenken wohl nicht anerkannt worden. Vielleicht könnte eineAnalyse aber zeigen, daß ihre »Trinität« als eine zeitbedingte Chiffre für deneinzigen Gott des Alten und Neuen Testaments gelten kann. So gedeutet, müß-te sie nicht in unüberwindlichem Widerspruch zu Augustins Trinität stehen.Dieser Befund, überprüft und bestätigt, könnte es den Systematikern ermögli-chen, eine groß-ökumenische, christliche Gotteslehre zu konzipieren.

Danksagung

Mir bleibt, denen zu danken, die zum Zustandekommen dieses Aufsatzbandesmitgeholfen haben. An erster Stelle sage ich meinen großen Dank meinemNachfolger Roland Kany. Er hat sehr bald nach der Übernahme des Lehrstuhlsden Vorschlag gemacht, eine Auswahl meiner Aufsätze herauszugeben; er hatmit unermüdlicher Geduld die − mehrfach von anderen Aufgaben unterbro-chene − Abfassung des neuen Beitrags über die Johannesakten abgewartet, mitvielen Ratschlägen die Niederschrift der »Addenda et Corrigenda« unterstütztund die (von mir nicht zu leistende) mühsame Erstellung der Druckfassung unddes Stellenregisters auf sich genommen. Für alles dies danke ich von Herzen.Meinen ehemaligen Schülern Dr. Thomas Lechner und PD Dr. HerbertSchmid danke ich für zahlreiche Hinweise auf mir noch unbekannte Literaturund ihre Besorgung. Besondere Hilfe erfuhr ich in dieser Hinsicht von Seitendes mir seit seinen Eichstätter Studienzeiten verbundenen, jetzigen KollegenMarkus Vinzent, King’s College London, dem herzlich gedankt sei. Das hand-schriftliche Manuskript des Beitrags über die Acta Iohannis, der »Einleitung«und der »Addenda et Corrigenda« hat Herr Hubert Holzmann, Sekretär meinesNachfolgers, in den PC eingegeben; er sei für die sorgfältige Ausführung viel-mals bedankt. Die zügige Erstellung des Personenregisters ist Herrn Mag.Theol. Benjamin Mitterrutzner zu verdanken. Mein besonderer Dank giltHerrn Kollegen Christoph Markschies für die schon vor geraumer Zeit gewähr-te Gastfreundschaft in der von ihm begründeten Reihe »Studien und Texte zuAntike und Christentum«.

Eichstätt, 26. 06. 2017 R. M. Hübner

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Erster Teil

Kirche im Werden

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Die Anfänge von Diakonat, Presbyterat und Episkopatin der frühen Kirche

Diakonat, Presbyterat und Episkopat, die uns heute geläufige Form der Ämter 45

in unseren Kirchen, sind uralt; ihre Anfänge reichen bis in die apostolische Zeitzurück, aber sie sind doch nicht die einzigen Gestalten von Diensten und Äm-tern, die wir in der frühen Zeit der werdenden Kirche antreffen, und sie sindauch keineswegs die ältesten. Vor ihnen und neben ihnen läßt sich eine Vielfaltvon Formen des Gemeindelebens, der Gemeindeordnung und der Gemeinde-leitung entdecken, unter denen keine Ausschließlichkeitsanspruch erhebenkonnte oder wollte. Wenn sich aus dieser Vielfalt gegen Ende des zweiten Jahr-hunderts schließlich die hierarchisch gestuften Ämter des Diakons, Presbytersund Bischofs herausgebildet haben, so ist dies das Ergebnis einer geschichtlichenEntwicklung, in der sich die den Möglichkeiten und Erfordernissen der Kircheim damaligen römischen Staat und in der damaligen Gesellschaft offenbar amwirksamsten entsprechende und angemessene Form der Gemeindeleitungdurchgesetzt hat. Aber man kann durchaus nicht sagen, daß diese Entwicklungvon Anfang an absehbar war oder daß sie als die einzig mögliche von vorne-herein angelegt war. Es ist nicht erkennbar, daß die Entwicklung notwendig sound nicht anders laufen mußte, daß also von Anfang an diese bestimmte Formder Gemeindeleitung intendiert war.

Auch die Ämter des Diakons, Presbyters, Bischofs selbst begegnen uns beiihrem ersten Auftauchen in der Geschichte der Kirche nicht in der Gestalt undin der Zuordnung, die sie am Ende des zweiten Jahrhunderts zeigen, sondernhaben eine teilweise erstaunliche Wandlung erfahren. Es gibt anfangs nicht diehierarchische Gliederung des Dreieramtes, ja es gibt noch nicht einmal dasgleichzeitige Nebeneinander von Diakonen, Presbytern und Episkopen. Viel-mehr finden wir die Diakone und Episkopen zunächst in paulinischen Gemein- *den, in denen wir im übrigen eher charismatische Dienste voraussetzen müssenund in denen die Presbyter unbekannt sind. Und wir finden Presbyter als Leiter 46

von Gemeinden, die durchaus noch charismatische Dienste, aber keine Diakoneund Episkopen kennen (1 Petr).

Das Bild der Gemeindeordnungen, das sich dem aufmerksamen Betrachterder Dokumente des frühen Christentums bietet, ist etwas kompliziert, die be-stimmenden Linien darin sind nicht sogleich klar unterscheidbar. Um einersachgerechten Würdigung der Entwicklung des Dreieramtes willen müssen wirzunächst wenigstens einen kurzen Blick auf die Vielfalt der Dienste und Ämter