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  • Benedikt EckhardtEthnos und Herrschaft

  • Studia Judaica

    Forschungen zur Wissenschaft des Judentums

    Begrndet vonErnst Ludwig Ehrlich

    Herausgegeben vonGnter Stemberger, Charlotte Fonrobertund Alexander Samely

    Band 72

  • Benedikt Eckhardt

    Ethnos undHerrschaft

    Politische Figurationen judischer Identittvon Antiochos III. bis Herodes I.

    DE GRUYTER

  • Von der Fakutt fr Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universitt Bochum als Dissertationangenommen im Jahre 2011.

    ISBN 978-3-11-030895-2e-ISBN 978-3-11-030917-1ISSN 0585-5306

    Library of Congress Cataloging-in-Publication DataA CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress

    Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internetber http://dnb.dnb.de abrufbar.

    2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/BostonSatz: META Systems GmbH, WustermarkDruck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Gttingen Gedruckt auf surefreiem PapierPrinted in Germany

    www.degruyter.com

  • VorwortDieses Buch ist die berarbeitete Form meiner Dissertation, die unter dem TitelHerrschaftsreprsentation und Ethnos-Figuration in Juda, 2004 v. Chr. imSommersemester 2011 von der Fakultt fr Geschichtswissenschaften an derRuhr-Universitt Bochum angenommen worden ist.

    Zu danken habe ich zuallererst Frau Prof. Dr. Linda-Marie Gnther. Sie hatmir bei Auswahl und Bearbeitung des Themas Freiheiten gelassen, die gewissungewhnlich sind, und die Entstehung der Arbeit stets wohlwollend begleitet.Herrn Prof. Dr. Jrg-Dieter Gauger danke ich fr die freundliche bernahmedes Zweitgutachtens. Besonderer Dank gilt zudem Herrn Prof. Dr. ClemensLeonhard, der mir neben der gemeinsamen Arbeit im Mnsteraner Exzellenz-cluster Religion und Politik viel Freiraum gelassen und so den Abschlussdieser Arbeit erst ermglicht hat.

    Fr die Aufnahme in die Reihe Studia Judaica und sehr hilfreiche Kritikdanke ich Herrn Prof. Dr. Alexander Samely und Herrn Prof. Dr. Gnter Stem-berger. Wichtige Anregungen und Kritiken gehen zudem auf die Herren Prof.Dr. Christof Schuler und Andrew Lepke zurck; auch ihnen sei dafr herzlichgedankt.

    Rheine, November 2012.

  • InhaltVorwort V

    1 Einleitung 11.1 Identitt als Kategorienproblem Ethnos als Lsung? 21.2 Ethnos und Herrschaft 81.3 Quellen 121.3.1 Makkaberbcher 121.3.2 Weitere parabiblische Texte 171.3.3 Flavius Josephus 201.4 Gliederung 24

    2 Figurationen des judischen Ethnos 272.1 Seleukidische Figurationen 282.1.1 Ethn im Seleukidenreich 312.1.2 Antiochos III. und Jerusalem 382.1.3 Juda unter Seleukos IV. 442.1.4 Ethnos und Eth: Antiochos IV. 472.1.5 Ergebnis 592.2 Die Hasmoner: Figurationen des autonomen Ethnos 602.2.1 Die eigene Sprache 622.2.2 Freiheit als Souvernitt ber das eigene Land 692.2.3 Zentralismus 772.2.4 Rituale 872.2.5 Geschichte 912.2.6 Feste 1002.2.7 Alternativen 1122.2.8 Ergebnis 1262.3 Herodes: Das Ethnos als Teil des Imperium Romanum 1272.3.1 Herodes und die Diaspora 1302.3.2 Herodes und die judischen Sondergruppen 1342.3.3 Herodes und die Eth 1392.3.4 Historiographie und Freiheit 1432.3.5 Ergebnis 1472.4 Fazit 149

    3 Die politische Ordnung Judas 1533.1 Politische Ordnungskonzepte in vorhasmonischer Zeit 1563.2 Die Ausbildung der hasmonischen Herrschaft 165

  • VIII Inhalt

    3.2.1 Das Hohepriestertum 175160 v. Chr. 1663.2.2 Judische und seleukidische Hohepriester 1743.2.3 Die Verbindung von politischer und religiser Autoritt 1783.2.4 Ergebnis 1843.3 Die Entstehung des hasmonischen Knigtums 1863.3.1 Die politische Ordnung in der hasmonischen

    Herrschaftsreprsentation 1873.3.2 Die Hasmoner und das hellenistische Knigtum 1923.3.3 Ergebnis 1973.4 Alternative Figurationen zwischen Dyarchie und Monarchie 1973.4.1 Judische Polemik in paganen Texten? 1983.4.2 Die Phariser 2023.4.3 Melchizedek 2063.4.4 Politische bersetzungen? LXX Ezekiel und 1Esdras 2093.4.5 Das Knigtum in den Texten der Hasmonerzeit 2143.4.6 Priesterliche und knigliche Heilsgestalten 2213.4.7 Ergebnis 2273.5 Pompeius und die Folgen der rmischen Eroberung 2283.5.1 Die Neuordnung 63 v. Chr. Triumph der theokratischen

    Opposition? 2293.5.2 Folgen der Neuordnung 2353.5.3 Ergebnis 2393.6 Das herodianische Knigtum 2413.6.1 Knigtum und Priestertum 2423.6.2 Knigtum und Tyrannis 2473.6.3 Das Knigtum Davids als (Gegen-)Modell? 2523.6.4 Ergebnis 2553.7 Fazit 256

    4 Genealogie, Herrschaft und Zugehrigkeit 2594.1 Genealogie und Herrschaft 2624.1.1 Die Legitimitt des oniadischen Priestertums 2634.1.2 Herkunft und Verdienst bei den Hasmonern 2684.1.3 Das seleukidische Knigtum als Modell 2804.1.4 Alternativen: Levis Priestertum 2884.1.5 Hasmoner und Oniaden 2944.1.6 Entwicklungen im Schatten Roms 2974.1.7 Ergebnis 3054.2 Genealogie und Zugehrigkeit 3064.2.1 Die Inkorporation von Nichtjudern in das Ethnos 308

  • Inhalt IX

    4.2.2 Zwangsbeschneidung in der hasmonischenHerrschaftsreprsentation 314

    4.2.3 Herkunft und Beschneidung in 1Makk 3214.2.4 Zugehrigkeitskriterien in anderen Texten der

    Hasmonerzeit 3254.2.5 Hellenentum und als Modell? 3354.2.6 Ergebnis 3394.3 Fazit 340

    5 Schluss 345

    Anhang 1: Caesar und der 351

    Anhang 2: Die Zadokiden 357

    Anhang 3: , und in den Makkaberbchern 369

    Verzeichnisse 373a) Abkrzungen: Quellen 373b) Abkrzungen: Literatur 373c) Quellenausgaben 374d) Bibliographie 374

    Register 423Moderne Autoren 423Namen und Sachen 431Quellen 438

  • 1 EinleitungIm Jahre 4 v. Chr., kurze Zeit nach dem Tod des Knigs Herodes in Jericho,wurde auf einer von Augustus im Apollontempel in Rom einberufenen Ver-sammlung die Zukunft Judas als Teil des Imperium Romanum entworfen.1 Esging dabei einerseits um die Administration und die politische Ordnung einesGebietes, das zwar 63 v. Chr. unter rmische Kontrolle geraten, jedoch nichtwie Syrien zur rmischen Provinz geworden war. Andererseits waren Personal-entscheidungen zu treffen. Als rex socius et amicus populi Romani war Herodesber 30 Jahre lang Garant einer effizienten und zugleich romfreundlichen Poli-tik in Juda gewesen; jetzt war zu fragen, wem man eine solche Rolle knftigzutrauen knne.

    Aus diesem Grund waren Delegationen aus Juda gekommen. Nikolaos vonDamaskus, langjhriger Berater des verstorbenen Knigs und mit besten Kon-takten nach Rom ausgestattet, fhrte eine Gruppe um Herodes Archelaos, dentestamentarisch zum Erben bestimmten Sohn des Herodes, an. Eine Gegenpar-tei, zu der auch der Bruder des Nikolaos gehrte, vertrat die Interessen vonHerodes Antipas, einem jngeren Bruder des Archelaos, und berief sich neben einem lteren Testament mit anderer Nachfolgeregelung vor allem aufdie Unfhigkeit des lteren.2 Zu dieser Frontstellung, die bereits im Vorfeld zuDebatten vor Augustus gefhrt hatte, gesellte sich nun noch ein weiterer Bru-der, Philipp, der vom syrischen Statthalter Varus in die Gesprche geschicktworden war. Zustzlich verkompliziert wurde dieses letzte Treffen aber vorallem durch eine Gruppe, die nach dem Wortlaut eines Nikolaosfragments , das ganze Ethnos der Juder, reprsentiert haben soll.3Sie schilderte den toten Knig Herodes als einen Tyrannen, der stets gegen dieInteressen des Ethnos gehandelt habe, und schloss mit der Bitte, eher Judader Provinz Syrien anzugliedern, als einen Sohn dieses verhassten Knigs aufden Thron zu setzen.

    Nikolaos hat hierauf, wie Josephus berichtet, in einer Rede nicht nur kon-krete Vorwrfe widerlegt, sondern auch die vorgebrachte Kritik selbst als Argu-ment verwendet. Die Juder seien ein schwer zu regierendes Ethnos, vonNatur aus ungehorsam gegenber ihren Knigen.4 Er mag Augustus berzeugt

    1 BJ 2,8093; AJ 17,299317.2 BJ 2,2038; AJ 17,224249.3 Nikolaos von Damaskus FGH 90 F 136. In BJ 2,80 und AJ 17,300 ist von 50 Gesandten dieRede, die jedoch von ber 8000 rmischen Judern untersttzt worden seien.4 BJ 2,92: -.

  • 2 1 Einleitung

    haben. Zur Provinz wurde Juda nicht erklrt; stattdessen erhielten alle BrderTeile Judas als Herrschaftsgebiet, wenn auch auf die erneute Verleihung desKnigstitels verzichtet wurde.

    Das Argument des Nikolaos von Damaskus ist nur in der uerst knappenZusammenfassung des Josephus erhalten; man wrde gewiss nuanciertereThesen finden, wenn eines der konstantinischen Exzerpte die Rede berlieferthtte.5 Man wrde indes auch dann die Behauptung, die Juder seien letztlichunregierbar, nur als reine Polemik werten knnen. Dennoch enthlt sie in ein-facher Form den Kern der hier verfolgten Fragestellung. Nikolaos behaupteteinen direkten Zusammenhang zwischen bestimmten Eigenarten des judi-schen Ethnos und den Anforderungen an die Legitimation von Herrschaft.Diese Anforderungen erscheinen hier als so unverhltnismig, dass in JudaHerrschaft praktisch nicht legitimiert werden kann (und dies von Natur aus).Seine Festlegung der Eigenschaften des Ethnos, die diese Situation herbeifh-ren, steht im Kontext von Herrschaftsreprsentation. Es geht um die positiveBewertung eines Knigs, der zwar selbst nicht mehr lebt, dessen Herrschaftjedoch nachtrglichen Deutungskmpfen unterworfen ist. Die Delegierten desEthnos zeichnen ein ganz anderes (und ebenfalls polemisches) Bild von dieserHerrschaft und damit auch von sich selbst. Nikolaos markiert also in seinerRede selektiv Eigenschaften, die die Identitt des Ethnos ausmachen, unddies mit dem Ziel, die Herrschaft des Herodes nachtrglich zu legitimieren.Das fhrt zu einer engen Verknpfung der Reprsentation von Herrschaft mitder Reprsentation judischer Identitt.

    Um diesen Effekt, der sich verallgemeinern lsst und in einfachsten wie inkomplexen Formen begegnen kann, geht es in dieser Arbeit. Die folgendenKapitel untersuchen die Reprsentation von Herrschaft im antiken Juda undihren Einfluss auf die Konstruktion von Identitt.

    1.1 Identitt als Kategorienproblem Ethnos als Lsung?Eine solche Fragestellung reiht sich zunchst in den weiten Kreis derjenigenUntersuchungen ein, die in den letzten Jahrzehnten zur Identitt der Juden in

    5 Neben die genannte Stelle ist AJ 17,315316 zu stellen, wo es ein wenig konkreter wird. DieJuder werden dort als umstrzlerisch, aufstndisch und nicht an die Bewahrung von Rechtund Gesetz gewhnt geschildert. Es ist aber mglich, dass dort nur diejenigen Juder gemeintsind, die zuvor einen Aufstand gegen Archelaos unternommen haben. Das bereits zitierte Frag-ment aus der Autobiographie des Nikolaos (FGH 90 F 136) stellt die Kernforderung der Juderinsofern etwas anders da, als zwar die rmische Herrschaft gewnscht, aber auch eine Herr-schaft des Antipas nur eben nicht die des Archelaos in Betracht gezogen wird; seine Redefasst Nikolaos (wie auch die Forderung der Juder, die hier den Herodes gar nicht erwhnt) ineinem Satz zusammen, der sich auf die Rechtfertigung des Archelaos konzentriert (ohne das

  • 1.1 Identitt als Kategorienproblem Ethnos als Lsung? 3

    der Antike verffentlicht worden sind. Sie bezieht sich damit auf ein Feld,das terminologisch umstritten und forschungsgeschichtlich problematisch ist.Kategorisierungs- und Identittsfragen haben fr das antike Juda oft beson-dere Brisanz es bedarf kaum des Hinweises auf christlich-theologische, zio-nistische und antisemitische Diskurse. Dennoch, oder gerade deshalb, habenin den letzten Jahrzehnten Fragen nach der Identitt des jdischen Volkes,der jdischen Nation oder des Judentums in der Antike Konjunktur. DerIdentittsbegriff verbindet dabei sehr unterschiedliche Herangehensweisen; erermglicht eine gemeinsame Orientierung, oft auf Kosten der Przision.6

    In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Aufmerksamkeit vermehrtdarauf gerichtet, zu klren, wie angemessen die Begriffe Nation, Volk,Judentum oder auch Religion bei der Frage nach jdischer Identitt in derAntike sind.7 Die weiter aktuelle Frage, ob man den antiken Begriff mit Jude oder Juder zu bersetzen habe, ist vielleicht der bekannteste Aus-druck solcher Klrungsbemhungen.8 Sie reflektiert die Schwierigkeiten, diesich hier ergeben, auf mehreren Ebenen zugleich. Denn die Uneinigkeit beginntoft bereits bei den modernen Begriffen etwa bei der Frage, ob Jude bzw.Jew heute tatschlich ein rein religiser Begriff ist, wie man zugunsten derJuder angefhrt hat, oder ob er die in der neuen bersetzungsvariante ver-mutete Vielschichtigkeit bereits enthlt.9

    hier interessierende Argument). Das kann daran liegen, dass die konstantinischen Exzerptehier gekrzt haben; wahrscheinlicher ist, dass die vollstndige Rede im Geschichtswerk desNikolaos stand und daher nicht noch einmal in der vita sua stehen musste.6 Die Diskussion um Kategorien hat folglich noch nicht dazu gefhrt, den Identittsbegriffselbst zu problematisieren. Es bedarf womglich auch eines solchen Oberbegriffs, um die Dis-kussion ber die Disziplinen hinweg anschlussfhig zu halten. Freilich macht der inhaltlichunbestimmte Begriff Identitt es ebenso mglich, aneinander vorbei zu arbeiten. Ob dasPrfen von Kategorien langfristig dazu fhren kann, Identitt durch eine przisere, derjeweils fr richtig gehaltenen Kategorie inhrente Begrifflichkeit zu ersetzen, wird sich zeigen.Diese Arbeit mag als erster Versuch gewertet werden, hier weiter zu kommen.7 Fr den Begriff Nation optiert besonders Goodblatt 2006; vgl. ferner die Diskussion beiWeitzman 2008; Himmelfarb 2009; Aitken 2011 untersucht national identity. Mit dem BegriffGesellschaft (society) argumentiert S. Schwartz 2001; vgl. zuletzt dens. 2010; aber in anderemKontext setzt er betont nation (2011, 227). Zum Judentum vgl. v. a. Cohen 1999.8 Angestoen v. a. von Cohen 1999, 69106. Vgl. den berblick bei Miller 2010, der aber wich-tige Aspekte auslsst.9 Das Problem stellt sich so natrlich nur, wenn man umgekehrt Juder nicht als rein territo-rialen Begriff sieht. So aber z. B. D. Schwartz 2007c, 10: Whats good about territorial termsis that they imply very little apart from territory. The question is, however, whether preferringa term which is simple, and which is relatively unambiguous, does justice to the situation asit was. Die gleich nher zu besprechende Position von Mason 2007a verwendet Juder kei-neswegs derart eindimensional.

  • 4 1 Einleitung

    Eine Lsung der Kategorienprobleme erhoffen sich zuletzt einige Darstel-lungen von dem Begriff, den auch Nikolaos von Damaskus im zitierten Textverwendet: Ethnos. Teilweise wird er an strategischen Stellen ohne berset-zung eingefhrt, um die antike Realitt authentisch zur Geltung kommen zulassen und eine Festlegung auf eine moderne Kategorie zu vermeiden. DerBegriff wird dann so eingesetzt, dass die Frage nach der Identitt der antikenJuden in der Sprache der Quellen eindeutig beantwortet wird; sie waren einEthnos. Diese Position tendiert allerdings dann zur Tautologie, wenn die logi-sche Folgefrage, was denn ein Ethnos sei, nicht gestellt wird. Das ist andersin den theoretisch ambitionierten Arbeiten, die zuletzt den Ethnos-Begriff insZentrum der Fragestellung gerckt haben. So hat Steve Mason in einem Beitragzur -Debatte die Ansicht vertreten, bis in die Sptantike hinein seiendie Juder generell als Ethnos gesehen worden, dann htten christliche Auto-ren sie als Angehrige einer Religion verstanden man knne daher vonJuden erst seit der Sptantike sprechen.10 Ganz anders argumentiert ShlomoSand. In seinem Bemhen, den vlkischen Charakter des gegenwrtigenisraelischen Staates zu dekonstruieren, versteht er die Juden (sic) der Antikeals eine politische und religise Gemeinschaft.11 Die zionistische Geschichts-schreibung hat demnach ein Volk Israel erfunden, dass keine historischeGrundlage hat. Diese geschichtspolitische Konstruktion, die den historischenSachverhalt verzerre, nennt Sand Ethnos. Es wird deutlich, dass der Begriffhier etwas anderes bezeichnet als bei Mason, denn daran, dass antike Quellendie Juder als Ethnos bezeichnen, kann kein Zweifel bestehen.12 Die unter-schiedlichen Anstze zeigen also die Attraktivitt des Ethnos-Begriffs als Ant-wort auf Identittsfragen, aber auch die Vielschichtigkeit des Begriffs selbst.

    Auch in dieser Arbeit wird der Ethnos-Begriff verwendet. Das geschiehtaber nicht im Anschluss an die genannten Positionen. Diese stimmen darinberein, dass sie Ethnos fr einen Begriff halten, der Wesensaussagen ermg-licht nur deshalb ist ja die Frage wichtig, ob die Juder ein Ethnos gewesensind oder nicht. Ethnos bezeichnet aber in der Antike keine ontologische Kate-

    10 Mason 2007a.11 Sand 2010.12 Ein Leser der Darstellung bei Sand wird aber notwendig zu dem Eindruck kommen ms-sen, dass genau dies anders ist dass also bereits die antiken Quellen von den Judern nichtals Ethnos gesprochen htten. Das liegt zum einen daran, dass Sand an keiner Stelle darberinformiert, dass es sich bei dem Begriff nicht nur um eine soziologische Kategorie (abstam-mungsbasierte Gruppe im Gegensatz zum Demos mit politisch definierter Mitgliedschaft), son-dern auch um antike Quellensprache handelt. Zum anderen liegt es daran, dass dort, wo derBegriff in der antiken Bedeutung auftaucht, in irrefhrender Weise mit den Quellen umgegan-gen wird. Vgl. unten Anm. 26.

  • 1.1 Identitt als Kategorienproblem Ethnos als Lsung? 5

    gorie. In den Quellen zu Juda wird der Begriff zwar mit groer Regelmigkeitverwendet, aber Ausbung, Legitimation und Rezeption von Herrschaft spielendabei eine groe Rolle. Entsprechend variabel mssen die Inhalte gewesensein, die mit dem Begriff verknpft wurden. Orientiert man sich am Sprachge-brauch der Quellen, fllt das schnell ins Auge. Antiochos III. benutzt denBegriff bei der Etablierung seleukidischer Herrschaft in Juda;13 Antiochos V.legt Wert darauf, dass auch dieses Ethnos in Ruhe leben darf wie die ande-ren Ethn des Seleukidenreichs;14 die Rmer und andere politischen Grenschreiben Briefe an das Ethnos der Juder;15 bei der Klrung der Herrschafts-verhltnisse in Juda soll Pompeius 63 v. Chr. mit einer Delegation des Ethnoskonfrontiert gewesen sein, das gegen beide Thronprtendenten optierte;16 Hyr-kanos II. erhlt 47 v. Chr. von Rom das erbliche Recht, ber das Ethnos derJuder zu herrschen;17 die Gesandtschaft des ganzen Ethnos der Juder 4v. Chr. in Rom wurde schon besprochen; unter den simulacra gentium aus demSebasteion des kaiserzeitlichen Aphrodisias fand sich auch die Basis einerFigur, die das Ethnos der Juder darstellte.18 Diese wenigen Beispiele weisenauf die durchgehende Verwendung des Ethnos-Begriffs in unterschiedlichenHerrschaftszusammenhngen hin. Damit ist aber noch nicht bewiesen, dassdas Bezeichnete stets dasselbe ist. Hinter der einheitlichen Terminologie ver-bergen sich ganz unterschiedliche Kontexte der Herrschaftsausbung, die auchunterschiedliche Anforderungen an die Legitimation von (und die Kritik an)Herrschaft stellten. Jeder Wechsel der Herrschaftsbedingungen muss auch zuVernderungen in der Selbst- und Fremdbeschreibung der Beherrschtengefhrt haben. Man kann also nicht davon ausgehen, dass der Begriff Ethnosbei entsprechender Deduktion stets auf dieselbe jdische Identitt zurckfh-ren wrde.

    Hinzu kommen unterschiedliche Begriffstraditionen. Ethnos bezeichneteinerseits einen Volksstamm, der dann eigene Sitten, Gesetze und Kulte hat,oder berhaupt eine Gruppe von Menschen. Es kann als inferiores Gegenmo-dell zur Polis fungieren. Andererseits nennen sich so die griechischen Bundes-staaten der sptklassischen und hellenistischen Zeit. Und schlielich ist Eth-nos eine politische Kategorie im Kontext von Groreichen. Eine verbreiteteAufzhlung der Bestandteile der hellenistischen Staatenwelt unterscheidet

    13 AJ 12,142 ( ).14 2Makk 11,25 ( ).15 1Makk 8,23. 10,25. 13,36. 15,2 ( [] ).16 AJ 14,41 ( ).17 AJ 14,196 ( ... ).18 Abbildung bei Smith 1988, Pl. VIII Nr. 5 ( ). Man spricht von simulacra gen-tium wegen Serv. ad Aen. 8,721.

  • 6 1 Einleitung

    Knige, Dynasten, Stdte und Ethn. Die rmische Herrschaft im Osten funk-tionierte zwar grundstzlich anders, bernahm aber diese Terminologie; latei-nische bersetzungen fr sind natio und gens. Auch die Hasmonerbehielten die Bezeichnung fr ihren autonomen Staat bei,bersetzten sie freilich auf Mnzen ins Hebrische (ever hajjehudim). Auchhier war die damit bezeichnete Identitt der Juder nicht dieselbe wie zuvor.Zu bedenken sind ferner spezifisch judische Unterscheidungen. Die biblischeTradition verwendet hufig (nicht immer) die Bezeichnung am fr Israel, wh-rend alle anderen Vlker gojim genannt werden; die Septuaginta setzt dannmeist fr Israel , fr die Vlker . Das Erste und das Zweite Makkaber-buch benutzen sehr konsequent fr Israel als Kultgemeinde und fr das politische Gemeinwesen, zeigen sich also von den hellenistischen Kate-gorien beeinflusst; auch hier ist aber der Pauschalbegriff fr die Fremden.Man sieht, dass der Begriff Ethnos an sich kaum Aussagen ber die Identittdes Bezeichneten erlaubt.19

    Dieses Verstndnis von Ethnos widerspricht vor allem demjenigen vonSand. Bei ihm ist Ethnos ausschlielich moderner Analyseterminus. Vonethn* abgeleitete Begriffe (ethnisch, Ethnie, Ethnos, Ethnizitt) markiert Sandals inadquat fr die Erfassung antiker jdischer Identitt; als Gegenbegriffdient Religion. Dabei spielen die Mglichkeit der Konversion und die Kenn-zeichnung des Judentums als missionarische Religion eine entscheidendeRolle. Sand schliet hier teilweise an die neuere Forschung20 und speziell andie Arbeiten von Shaye Cohen an, auch wenn das ethnische Element jdi-scher Identitt dort nicht vllig marginalisiert wird. Cohen beobachtet das Auf-kommen des Konversionsgedankens in Texten der Hasmonerzeit und stellteine Bewegung from ethnos to ethno-religion fest.21 Beiden gemein ist, dasssie die Begriff ethnisch und Ethnos fast vollstndig auf den Abstammungs-

    19 Fr die Nachweise zum hellenistischen Gebrauch s. u. Kap. 2.1.1; fr den rmischen Kap.2.3; fr den ever hajjehudim Kap. 2.2.1; fr und in den Makkaberbchern An-hang 3.20 Dort ist der Konversion und vor allem dem Missionsgedanken aber eine so bedeutendehistorische Rolle wie bei Sand nicht zugewiesen worden. Vgl. besonders Goodman 1994, derberzeugend nachweist, dass es keinen judischen Missionseifer in der vorrabbinischen Antikegegeben hat. Sand 2010, 476 Anm. 250 fhrt die positive Rezeption dieses wichtigen Buchesin den Kreisen israelischer Wissenschaftler (etwa nur dort?) darauf zurck, dass GoodmanTendenzen der neueren jdischen Nationalgeschichtsschreibung (die eine ethnische Identittvoraussetzt) bernommen habe. Sand selbst schreibt sich mit seinen Thesen zur Mission inder Antike in eine ltere Forschungstradition ein, die in den Quellen keine Untersttzungfindet; vgl. fr ein Resmee Cohen 2003.21 Cohen 1999, 109139. Eine andere Erklrung fr die von Cohen beobachtete Entwicklungsoll in Kap. 4 gegeben werden.

  • 1.1 Identitt als Kategorienproblem Ethnos als Lsung? 7

    aspekt reduzieren22 und Religion als einen selbstverstndlichen Gegenbegriffeinsetzen,23 der keine theoretische Reflexion zu erfordern scheint. Ethnos istalso jeweils eine moderne Beobachterkategorie, die vor allem mitgefhrt wird,um festzulegen, was die Juder zumindest der Hasmonerzeit nicht (mehr)gewesen sind.

    Mason hingegen geht vom Sprachgebrauch der Quellen aus. Er fhrt Eth-nos als political-ethnographic category24 ein, die unter anderem die Berei-che Territorium, politische Verfassung, Abstammung und Kult abdeckt. Dashat den unbestreitbaren Vorteil, dass Mason sich auf einen Begriff sttzt, mitdem antike Beobachter sowohl in hellenistischer wie in rmischer Zeit die - tatschlich bezeichnet haben. Erst im 3. Jahrhundert n. Chr. gibt es Stim-men, die eine Herleitung aller aus dem der Juder nicht mehrplausibel finden. Cassius Dio wei nicht zu sagen, woher die Bezeichnung stammt, die schlielich auch bei anderen (also nichtjudischen) Men-schen Anwendung finde, sofern sie die entsprechenden Sitten pflegten.25 Ori-genes stellt fest, dass der Name nicht das bezeichne, sonderneine Wahl, denn auch jemand, der nicht dem angehre, knne Proselytwerden und gelte dann als .26 Diese Passagen zeigen, dass man grund-

    22 Vgl. dagegen Smith 1986, 42, wo der Glaube an gemeinsame Abstammung nur ein Teil-aspekt des vierten von fnf Punkten ist, die eine Ethnie definieren, auch wenn ebd., 4849Abstammung stark betont wird. Die kompetente Diskussion der Konzepte Ethnie und Nationbei Goodblatt 2006, 127 fhrt zur Vermeidung des ersteren und zur bewussten Anwendungdes Begriffs Nation auch auf das antike Juda (vgl. bes. ebd., 1112). Die erratische Diskussionbei Sand 2010, 5564 kann die Polysemie der ethn*-Begriffe nicht herausarbeiten. Die Vielzahlder (besonders englischsprachigen) Arbeiten, die ohne Diskussion als nation berset-zen, kann hier nicht aufgefhrt werden.23 Vgl. die Bemerkungen zu Sand bei Kampling/Leonhard 2010, 286.24 Mason 2007a, 484.25 Cass. Dio 37,17,1; vgl. Cohen 1999, 60.26 Comm. ad Rom. 3,9; vgl. Cohen 1999, 134 (wo flschlich Rm 2,2829 als Bezugsstellegenannt wird). Origenes unterscheidet zwischen dem eigentlichen und denProselyten, die auch heien. Mason 2007a, 495 Anm. 83 verweist auf C. Cels. 1,14. 55;2,8 wo Origenes die Bezeichnung auf die Juder anwendet. Die Existenz eines setzt indes auch der Kommentar zu Rm 3,9 voraus; es wird lediglich bestritten, dassalle genannten Personen ihm angehren. Sand 2010, 253 zitiert die Stelle nach Cohen(ebd., 134) und bernimmt daher auch dessen vom Text nicht gesttzte Unterscheidung zwi-schen und nation (dadurch herbeigefhrt, dass dasselbe Wort einmal unbersetztgelassen und einmal als nation bersetzt wird: the noun Ioudaios is the name not of anethnos but of a choice. For if there be someone not from the nation of the Jews [ , B.E.] ). So entsteht zumindest bei Sand, der auch mit der KategorieNation operiert, der falsche Eindruck, bereits in der Antike habe man bei der Beschreibungvon Juden die Bezeichnung zugunsten von Nation abgelehnt.

  • 8 1 Einleitung

    stzlich die Klassifizierung als Ethnos auch im 3. Jahrhundert n. Chr. nochvoraussetzte. Unter Berufung auf derartige Texte behandelt Mason Ethnos alseinen Begriff, der hohen Erklrungswert fr einen Zeitraum von Herodot bisin die Sptantike hinein haben soll. Das setzt voraus, dass bei aller auch vonMason betonten Polysemie des Wortes die mit Ethnos verknpften Konnota-tionen in der gesamten Antike im Wesentlichen stabil geblieben sind. Es istaus dieser Perspektive dann nicht mehr von besonderem Interesse, wer Eth-nos sagt, solange man wei, was Ethnos grundstzlich bedeutet. Das ist frethnographische oder verwandte Texte (also etwa historische Exkurse oderauch die lteren adversus Iudaeos-Schriften) vertretbar. Fr die politische Ter-minologie kann solche Einheitlichkeit, wie gesehen, nicht unterstellt werden.Diese dominiert jedoch in den Quellen zur judischen Geschichte von 200 v.Chr. bis zur Zerstrung des Zweiten Tempels 70 n. Chr.

    Das Problem ist also nicht, dass man die Juder nicht als ein Ethnos untervielen behandeln knne.27 Vergleichende historische Analysen knnen auchJuda einbeziehen. Aber man darf nicht glauben, mit dem Ethnos-Begriff seidie Antwort auf Identittsfragen vorweggenommen. Mason bercksichtigt dieVerwendung von Ethnos im Kontext von Herrschaftsreprsentation unddamit in einer Vielzahl der relevanten Quellen! nicht, weil er den Begriff alsberzeitliches, jedenfalls fr die gesamte Antike gltiges Konzept versteht.Diese Deutung ist nicht plausibel. Hier soll das Gegenteil versucht werden: Esgilt, die historische Bedingtheit und die Variabilitt judischer Identittenherauszuarbeiten. Das geht, wie bereits die Verwendung des Ethnos-Begriffsin den Quellen aufzeigt, nicht ohne Bercksichtigung der Reprsentation vonHerrschaft.

    1.2 Ethnos und HerrschaftEs geht hier also keineswegs um eine Geschichte des Ethnos-Begriffs, sondernum den historischen Zusammenhang von Herrschaft und Identittskonstruk-tion. Die Ethnos-Debatte bildet deshalb den Ausgangspunkt, weil sie einenKernbegriff politischer Kommunikation aus seinem Gebrauchskontext gelstund zu einem Wesensbegriff erhoben hat. Bettet man den Begriff wieder inden Kontext der Quellensprache ein, stt man auf die Bedeutung von Herr-schaftsreprsentation fr die Konstruktion von Identitt.

    Die Bezeichnung Ethnos dient in ihrer seleukidischen, hasmonischen,rmischen und herodianischen Verwendung der kategorialen Erfassung einer

    27 So aber Levine 2009, 3132.

  • 1.2 Ethnos und Herrschaft 9

    beherrschten Entitt. Ihre Anwendung auf Juda macht Herrschaftsansprchegeltend. Wie dieser Begriff mit Inhalt gefllt wird, also etwa: welche Institutio-nen des Ethnos anerkannt werden, wie Zugehrigkeit zum Ethnos definiert ist,wo seine Grenzen sind und (im Falle der Fremdherrschaft) welche Leistungendas Ethnos in welcher Form zu erbringen hat all dies wird in diesem Diskurskaum durch Rckgriff auf eine universale politisch-ethnographische Katego-rie, sondern nach Magabe des Herrschaftstyps, des Ausmaes der ausgeb-ten Kontrolle und regionaler Besonderheiten von dem- oder denjenigen festge-legt, die herrschen.

    Herrschaft bedarf indes der Legitimation. Das ist der Aspekt, der mit demBegriff Herrschaftsreprsentation (der hier Legitimation und Delegitimationumfasst) am hufigsten in Verbindung gebracht wird.28 Herrschaftsreprsen-tation bezeichnet Bemhungen, eine Herrschaft in ein bestehendes Weltbildeinzufgen. Zu diesem Weltbild gehrt das, was man Identitt nennen kann,nmlich ein Ethnos-Bild: Eine Vorstellung von dem, was das beherrschteGemeinwesen ausmacht. Zur Herrschaftsreprsentation gehrt also einebestimmte Sicht auf die Beherrschten. Sie erfordert eine Markierung derjenigenAspekte von Identitt, die fr die Anerkennung von Herrschaft relevant sind.Die eingangs zitierte Rede des Nikolaos von Damaskus ist ein einfaches, abertreffendes Beispiel.

    Das weist auf Zusammenhnge zwischen der Reprsentation von Herr-schaft und der Figuration eines Ethnos hin. Es handelt sich gleichsam umdie uere Schale eines Themenkomplexes, der auch weiterfhrende Analysenleiten kann, die bis an den Kern klassischer Identittsfragen fhren. Gewissist inzwischen die Feststellung banal, dass Vlker und Nationen keine ber-zeitlichen Konstanten sind, sondern als solche erfunden oder sozial konstru-iert werden.29 Es geht hier aber spezifischer um eine Neuformulierung derFrage nach Identittskonstruktion, die der Beschaffenheit der berlieferungangemessen ist und daher die groe Bedeutung der Reprsentation von Herr-schaft bercksichtigt. Auszugehen ist dabei von einem wechselseitigen Prozess.Einerseits selektiert die offizielle Reprsentation von Herrschaft bestimmte Ele-mente eines Ethnos, die als beobachtungsrelevant markiert werden. So kommtkein vollstndiges Bild zustande, sondern eines, das auf die praktischen undideologischen Erfordernisse einer bestimmten Herrschaftsform ausgerichtet ist.

    28 Zuletzt zum Thema: Bernett 2011, 7980.29 Gerade in Untersuchungen zum antiken Juda ist das freilich noch nicht so selbstverstnd-lich wie in anderen Bereichen. Selbst Sand beschftigt sich zwar ausfhrlich mit modernenErfindungen des jdischen Volkes, setzt aber voraus, dass die antiken Quellen eine ontolo-gisch gesicherte, nicht erfundene Identitt zu rekonstruieren erlauben.

  • 10 1 Einleitung

    Auf der anderen Seite bleibt diese selektive Beobachtung von Eigenschaften,die dem Ethnos zukommen, nicht folgenlos fr seine Selbstbeschreibung.Interne Figurationen des Ethnos und seiner wesentlichen Elemente entstehenin Auseinandersetzung mit den Selektionen, die der offiziellen Reprsentationvon Herrschaft dienen. Das kann planmig geschehen, etwa wenn Schlag-worte der herrscherlichen Selbstdarstellung aufgegriffen werden, aber darinerschpft sich der beobachtete Zusammenhang nicht. Auch unbewusste ber-nahmen und Modifikationen sind mglich. Die Markierung von Aspekten, diedas Ethnos ausmachen, wird von Herrschern und beherrschten Eliten30 in ana-logen Prozessen vollzogen, was zu wechselseitigen Adaptionen ebenso fhrenkann wie zu Konflikten wenn konkurrierende Figurationen des Ethnos ent-stehen, von denen nur eine dazu dient, die Anerkennung aktuell ausgebterHerrschaft zu gewhrleisten.

    Allgemein gesprochen geht es um eine historische Anwendung der Ein-sicht, dass jede Beschreibung Simplifikation ist. Das wird man leicht einsehen,wenn ein Knig ein beherrschtes Gebiet in generischen Begriffen beschreibt,ohne nheren Einblick in die rtlichen Verhltnisse zu haben. Es gilt aber auchfr jede Selbstbeschreibung, denn sie kann nie alles gleichzeitig abbilden.Jeder Gebrauch rekursiver Identittsindikatoren (beginnend mit wir) reduzierteine Vielzahl beobachtbarer und unbeobachtbarer Phnomene auf eine kom-munikable, widerspruchsfreie Einheit.31 Nur solche (Selbst-)Simplifikationenfinden auch ihren Weg in die schriftlichen Quellen. Die These wird im Folgen-den sein, dass die Selektion von Elementen, aus denen die Quellen zur judi-schen Geschichte Identitt konstruieren, wesentlich von Herrschaftsverhlt-nissen und ihrer Deutung bestimmt ist. Das gilt fr zeitgenssische Quellen,aber auch fr historiographische Darstellungen die zunchst Herrscherge-schichten sind, fr die Beschreibung von Herrschaft aber notwendig ein Bildder Beherrschten brauchen. Erforderlich ist also ein einheitlicher Zugriff auf

    30 Nur ber deren Perspektive geben die literarischen Texte Aufschlsse. Die Arbeit mit bibli-schen und parabiblischen Texten rekonstruiert Elitendiskurse, nicht kollektive Mentalitt. Vgl.die Hinweise bei Davies 1995, 154156, pointiert dort 155: The Jewish scriptures as representa-tive of a Jewish society at any time is historically impossible. Die von Goodblatt 2006, 4748zur Umgehung des (ebd., 3233 anerkannten) Problems angefhrten regelmigen Lesungensind erst im 1. Jh. n. Chr. belegt und drften auch dann weite Teile der Bevlkerung nichtbetroffen haben. Gegen die Bibel als nationales Symbol zuletzt Aitken 2011, 39, der aberGoodblatts Position falsch wiedergibt.31 Diese Beobachtung hat in der Systemtheorie einige Bedeutung. Vgl. Luhmann 1984, 8889, 126127; 623624. Anstatt von Selbstsimplifikation wird dort auch von Selbstillusionierungdes Systems gesprochen; vgl. Luhmann 1997, 4447 (auch zum Identittsbegriff in diesemZusammenhang).

  • 1.2 Ethnos und Herrschaft 11

    verschiedene Quellengattungen, von seleukidischen Inschriften bis zum Histo-rikerstreit zwischen Josephus und Nikolaos von Damaskus um die BewertungHerodes des Groen.

    Der Begriff Ethnos ist dabei deshalb ein naheliegender Ausgangspunkt,weil er in den wichtigsten Quellen (dem Brief des Antiochos III. an Jerusalem,den Makkaberbchern und den Berichten des Flavius Josephus) als Einheits-begriff zur Bezeichnung des judischen Gemeinwesens verwendet wird. Es istnur folgerichtig, auch hier durchgehend vom judischen Ethnos zu sprechen,zumal dies die offizielle Bezeichnung selbst in der Hasmonerzeit gewesen ist.Da es aber nicht um den Ethnos-Begriff als solchen, sondern um die allgemei-nere Frage nach Selektionsmechanismen im Zusammenhang mit der Reprsen-tation von Herrschaft geht, kann sich die Untersuchung nicht auf Textstellenbeschrnken, in denen das Wort Ethnos vorkommt. Der Begriff wird daherauch dort zu Grunde gelegt, wo die Quellen ihn nicht nennen nicht nur, weilsie teilweise hebrisch verfasst sind, sondern auch, weil sie naturgem nichtin jedem Satz eine Bezeichnung der Beherrschten unterbringen. Das machtEthnos zu einem Einheitsbegriff, auf den die Analysen verschiedener Quellenzurckkommen knnen. Dieser Begriff ist aber seinerseits den Quellen entnom-men und wird nicht mit modernen Theorieelementen aufgefllt.

    Fr die selektive Konstruktion von Identitt in Auseinandersetzung mitder Reprsentation von Herrschaft wird im Folgenden der Begriff Ethnos-Figu-ration verwendet. Er ist so untheoretisch wie mglich zu fassen.32 Er ersetztden Begriff der Definition vor allem deshalb, weil die herkmmliche Seman-tik von Definition wesentlich mit Eindeutigkeit verbunden ist; gegenberKonstruktion hat er den Vorzug, dass Unvollstndigkeit und Variabilitt leich-ter in den Blick geraten und zudem kein scharfer Gegensatz zur Realittimpliziert ist. Mit Blick auf die hufige Verwendung des Begriffs Ethnos imantiken Sinne wird auf die Verwendung moderner Ableitungen (ethnisch,Ethnizitt) verzichtet. Von Identitt wird durchaus distanziert gesprochen,denn etwas, das stndiger Vernderung unterworfen ist, Identitt zu nennen,erscheint paradox. Schlielich wird grundstzlich mit Juder ber-setzt. Das fhrt zu den bekannten sprachlichen Hrten, wenn es um die Dia-

    32 Der soziologische Figurationsbegriff, den Elias 2010 erlutert, wre die nchstliegendeReferenz (Figurationen als spezifische Formen menschlichen Zusammenlebens), erscheint aberzumindest in dieser Formulierung als betont antikonstruktivistisches Analyseinstrument (vgl.bes. ebd., 77 gegen Weber, der die Realitt der Figurationen nicht gesehen habe). Er dient alsozur Beschreibung eindeutiger sozialer Verhltnisse in der Welt, was dem hier vertretenenAnsatz zuwiderluft.

  • 12 1 Einleitung

    spora geht, die jedoch zugunsten einer einheitlichen Lsung in Kauf zu neh-men sind.33

    1.3 QuellenDie Bearbeitung einer derartigen Fragestellung muss grundstzlich auf dasgesamte zeitgenssische Quellenmaterial zurckgreifen. Diese Feststellung ver-weist bereits auf ein Problem, denn zu Datierung und Herkunft vieler Texteexistieren sehr unterschiedliche Positionen. An dieser Stelle sollen die Haupt-quellen eingefhrt und ihre Behandlung begrndet werden unter Beschrn-kung auf diejenigen Aspekte, die in der Forschung umstritten sind.

    1.3.1 Makkaberbcher

    Die wichtigste Quelle fr die Analysen zur Hasmonerzeit ist das ursprnglichhebrisch verfasste, jedoch griechisch berlieferte34 Erste Makkaberbuch

    33 Man muss der Tatsache Rechnung tragen, dass auch die Quellen nur einen Begriff verwen-den, sollte also nicht nach modernen Kriterien zwischen Juden und Judern unterscheiden.Die sprachliche Hrte (etwa gyptische Juder) ergibt sich auch nur daraus, dass manJuder meist rein territorial versteht. Hier ist der Begriff nicht derart festgelegt; eher nochsollte man ihn als reine Transkription von verstehen, die folglich alle Aspekteumfasst, die auch der griechische Begriff enthlt (hierzu Mason 2007a).34 Zwei Probleme ergeben sich aus dieser Konstellation: 1.) Die Tendenz der Forschung gehtzuletzt dahin, Semitismen nicht mehr als sicheren Hinweis auf ein hebrisches Original zuwerten, sondern als authentische Wiedergabe des in Juda gesprochenen, semitisch beeinflus-sten Griechisch oder sogar als Septuagintalismen, also von den bersetzungen der Septua-ginta beeinflusste Wendungen. Vgl. dazu Davila 2005 (dort etwa 5154 die Anwendung auf dasBuch Baruch, das meist fr ursprnglich hebrisch verfasst gehalten wird); Corley 2008a mitder Anwendung auf das Buch Judit. Dieses Problem ist im Fall von 1Makk zu vernachlssigen.Origenes und Hieronymus bezeugen eine hebrische Version (Origenes apud Euseb. hist. eccl.6,25,2 mit dem ungeklrten Titel Sarbetsabanaiel; Hieronmyus prol. Galeat.: Machabaeorumprimum librum Hebraicum reperi, whrend fr Ben Sira, Judit und Tobit keine entsprechendenFassungen vorlgen [fr Sir und Tob sieht die Textberlieferung inzwischen anders aus]); auchdas Ausma der Semitismen und Fehler im Griechischen hat wohl bewirkt, dass in der neuerenForschung die ursprnglich hebrische Abfassung des 1Makk noch nicht in Frage gestellt wor-den ist (unabhngig davon, dass m. E. auch fr Judit ein hebrisches oder aramisches Origi-nal weiterhin wahrscheinlich ist). 2.) Auch wenn man ein hebrisches Original voraussetzt,kann die bersetzung nicht nur im Wortlaut, sondern auch in der Anlage des Textes erheblichabweichen. Das Buch Esther etwa erhlt in der griechischen Version durch Zustze und Modifi-kationen einen ganz anderen Charakter als in der hebrischen; das ist fr uns in diesem Fallnachvollziehbar, weil beide Fassungen erhalten sind. Fr 1Makk gilt das nicht; es besteht alsodie nicht berprfbare Mglichkeit weitreichender nderungen in der griechischen Fassung

  • 1.3 Quellen 13

    (1Makk). Es handelt sich um eine historische Darstellung der judischenGeschichte von Antiochos IV. bis zum Tod Simons, also der Jahre 175 bis 135v. Chr. Der Text ermglicht somit einerseits die Rekonstruktion der Ereignis-geschichte dieser Jahre. Er gibt andererseits wichtige Aufschlsse ber Herr-schaftsreprsentation und Ethnos-Figuration in der Zeit des Hyrkanos I. unddamit zu Beginn der unabhngigen hasmonischen Herrschaft ber das Ethnos.

    Diese Bewertung enthlt drei Prmissen. Erstens wird vorausgesetzt, dassder Text um 110 v. Chr. entstanden ist. Dieser Nherungswert beruht auf ver-schiedenen Argumenten. Der wichtigste Hinweis ist der Schluss des Buches,der auf eine historische Darstellung der Taten des Hyrkanos I. verweist undeinige davon nennt, jedoch den Tod des Hyrkanos 104 v. Chr. m. E. nichtvoraussetzt.35 Es gibt zwar plausible Grnde fr die Annahme einer frherenFassung, die mit dem Anfang des Kap. 14 endete und spter ergnzt worden

    (vgl. Gauger 1977, 318319 mit Anm. 294 fr die Analogie zu Esther; 303317 fr die Deutungvon 1Makk 8 und 1Makk 15,1524 als Interpolationen; ferner unten Kap. 3.4.5). Weitere Analo-gien wren das Buch Daniel (wo die Zustze aber abgeschlossene Geschichten sind) und BenSira (wo die griechische Fassung oftmals Nuancen ndert und vielleicht auch den Text aneinen gewandelten politischen Kontext anpasst: s. u. Kap. 4.1.5). Auch nur annhernd sichereSchlsse sind hier nicht zu erlangen, da unter dieser Voraussetzung auch der Datierungshin-weis (um 110 v. Chr., siehe die folgende Anmerkung) entweder original oder Zusatz seinknnte. Gravierende Schwierigkeiten ergeben sich bei einer Betrachtung des 1Makk als Einheitnicht, auch wenn einige Abschnitte diskutabel sind (zu Kap. 1416 s. u. Anm. 35); wenn Inter-polationen als mglich und relevant erscheinen, wird das Problem am Ort diskutiert. Wennan einigen Stellen dieser Arbeit versucht wird, aus der griechischen Terminologie in 1Makkauf hebrische Bezeichnungen zu schlieen, liegt das nicht daran, dass eine Rckbersetzungdes Textes in die Ursprungsfassung heute noch als mglich gelten knnte. Bei wiederkehren-den termini technici kann aber davon ausgegangen werden, dass die bersetzungstechnik kon-stant bleibt (Beispiele in Anhang 3).35 1Makk 16,24: die Taten des Hyrkanos finden sich ,das mit seiner Einsetzung als Hohepriester beginnt. Fr die Datierung in die Sptzeit desHyrkanos optiert etwa Sievers 1990, 3. Schunck 1980, 292 rechnet mit einer Entstehung um120 v. Chr., jedoch aufgrund der heute nicht mehr zu haltenden Prmisse, der Verfasser steheden Pharisern nahe (so dass der Text vor dem Bruch des Hyrkanos mit den Pharisern ent-standen sein msste). Dagegen meint etwa Grimm 1853, S. xxv, in 1Makk 16,24 sei der Tod desHyrkanos bereits vorausgesetzt; das ist auch die Ansicht von Goldstein 1976, 6263; Nickels-burg 1981, 117; Dommershausen 1995, 6; die Genannten datieren den Text daher in die(Frh-)zeit des Alexander Jannaios. Weitere Tendenzen der Darstellung geben wenig her. Soknnte 1Makk 8,14 auf eine Entstehung vor 104 v. Chr. hindeuten, da in diesem Jahr AristobulosI. der erste hasmonische Knig wurde (aber vgl. zur Stelle unten Kap. 3.4.5); ferner ist dasganze Lob der Rmer in Kap. 8 ein recht sicheres Indiz fr ein Datum vor 63 v. Chr. In dieZeit des Hyrkanos deutet womglich 1Makk 2,4546, wenn man das Berichtete als historischeRechtfertigung der von Hyrkanos behaupteten Zwangsbeschneidungen versteht (hierzu s. u.,Kap. 4).

  • 14 1 Einleitung

    ist, aber gesichert ist das nicht; zudem liegt der Text auch nach dieser Theorienur in der Endredaktion vor.36 Zweitens wird vorausgesetzt, dass die haupt-schliche Funktion des Textes in der Legitimierung hasmonischer Herrschaftbesteht, dass er also als Propagandatext begriffen werden kann, wozu gleichausfhrlicher Stellung zu nehmen ist. Drittens wird davon ausgegangen, dassein Text, der um 110 v. Chr. im Kontext der Herrschaftsreprsentation entstan-den ist, nicht die Argumente der 160er Jahre v. Chr. transportiert, sondern dieLegitimationsstrategien seiner Entstehungszeit.37 Es handelt sich also nicht umein Repertoire von Argumenten, die etwa den Makkaberaufstand getragenhaben, sondern um eine historische Darstellung, die auf den hasmonischenHerrscher der Gegenwart zuluft; folglich ist auch das Bild des Ethnos in die-sem Text als die Figuration desjenigen Ethnos aufzufassen, ber das Hyrka-nos I. herrscht.

    36 Gauger 1977, 318319 setzt die Abfassung des hebrischen Textes in die Frhzeit des Hyrka-nos, die vorliegende griechische Fassung dagegen in die Zeit des Aristobulos I. (104 v. Chr.).S. Schwartz 1991 kontrastiert den Inhalt des Buches mit der Expansions- und Integrationspoli-tik des Hyrkanos und pldiert fr eine Datierung der ersten Fassung um 130 v. Chr. und derEndfassung um 100 v. Chr., wobei er lediglich die fr die Datierung mageblichen Verse 16,2324 als sptere Hinzufgung deutet. Einige Argumente sind durch neue Datierungen der hasmo-nischen Expansion hinfllig geworden (hierzu s. u. Kap. 4.1). Analysen der Erzhlstrukturweisen aber 1Makk 1416 als relativ unverbunden mit dem vorangegangen Text aus; vgl. denberblick bei Williams 2001a, 173174. Dazu passen zwei lngst bekannte Befunde, nmlichdas Fehlen von poetischen Stcken nach 1Makk 14,415 (von Neuhaus 1974, 111121 mit Blickauf das Fehlen solcher Stcke auch in Kap. 5, 6, 8, 10 und 13 diskutiert und auf die Prferenzenfr einzelne Vertreter der Dynastie zurckgefhrt) und die Tatsache, dass Josephus, der in AJ12 und 13 1Makk als Quelle benutzt, Kapitel 14 bis 16 des Textes anscheinend nicht kannte(die gegenstzlichen Positionen von Schunck 1954, 1015, Wirgin 1964b, 1924 und Anderensind nicht berzeugend). Als Lsung hat man erwogen, dass Josephus die hebrische (Ur-)Fas-sung vorlag, die eben die Kapitel 14 bis 16, die bereits auf Hyrkanos I. zulaufen, nicht enthaltenhtte. Vgl. hierfr Destinon 1882, 8091 (1Makk wre dann [ebd., 90] als Geschichte derFreiheitskmpfe konzipiert worden); der Einwand von Schrer 1882, 390 (das Streben nachsummarischer Krze begrnde sein rasches Hinweggleiten ber diese Capitel) ist kaumhinreichend. Nodet 2005, 407431 versucht durch eine umfangreiche Auflistung von Belegstel-len den Rckgriff des Josephus auf einen hebrischen Text zu erweisen (aber die Argumentesind selten zwingend). Akzeptiert man die Annahme einer spteren Hinzufgung der Kapitel14 bis 16, ndert sich nicht viel, denn man sollte erwarten, dass dann im Zuge der Endredak-tion auch der brige Text nicht unverndert blieb. Der Bezug zur Expansionspolitik des Hyrka-nos I. (und des Aristobulos I.) bereits in 1Makk 2,4546 etwa bleibt gegeben. Die von Williamsebd. anvisierte Datierung um 100 v. Chr. fhrt auch nicht in eine ganz andere Welt als eineDatierung um 110 v. Chr., so dass von diesem Punkt die Analysen nicht abhngen.37 Anders etwa Goldstein 1987, 78: In all probability it is not a mere creation of the authorbut reflects the actual ideology of Mattathias and his sons. Warum das wahrscheinlich seinsoll, wird nicht gesagt.

  • 1.3 Quellen 15

    Die Charakterisierung des 1Makk als Propagandatext ist das zugespitzteErgebnis der Beobachtung, dass dieser Text wie kein anderer bestrebt ist, auchumstrittene Handlungen der Hasmoner zu rechtfertigen und jeden anderenAnspruch auf Herrschaft ber das Ethnos auszuschlieen.38 Es ist angesichtsdieser Tendenzen wahrscheinlich, dass der Text am hasmonischen Hof ent-standen ist; sein vorrangiges Ziel ist die Legitimierung der herrschendenDynastie. Diese Prmisse bestimmt die Analysen zur Hasmonerzeit und dieFormulierung ihrer Ergebnisse. Es ist aber zu betonen, dass an ihr nicht dieAusrichtung der Arbeit hngt. Wer eine Deutung des 1Makk als den Hasmon-ern grundstzlich wohlgesinnte, mit ihnen aber nicht in einer konkreten Bezie-hung stehende Geschichtsdarstellung vorzieht, wird einige Schlsse fr sichmodifizieren mssen, kann aber immer noch akzeptieren, dass dieser TextHerrschaftsreprsentation und Ethnos-Figuration in eine Beziehung zueinan-der setzt. Erheblich andere Schlussfolgerungen wrden sich indes ergeben,wenn man 1Makk als einen der Tendenz nach antihasmonischen Text deutete,wie es zuletzt verschiedentlich vorgeschlagen worden ist. Fr diese Interpre-tation, die mit der vermeintlichen Dekadenz der spteren Hasmoner argu-mentiert und die Idealisierung ihrer Vorfahren als Polemik gegen die zeitge-nssischen Reprsentanten der Dynastie versteht, sind aber m. E. keineberzeugenden Argumente vorgebracht worden.39

    38 Vgl. etwa Bickerman 1937a, 145; Neuhaus 1974, 121 (der Verfasser war der offizielle Hof-chronist der makkabisch-hasmonischen Dynastie); Schunck 1980, 292; Dobbeler 1997, 37(1Makk liest sich wie eine Hofgeschichte der Makkaber); ferner z. B. H. Lichtenberger 2005,200 (der deshalb auch 2Makk trotz des legendarischen Charakters eher in den Rang derGeschichtsschreibung erheben will als 1Makk).39 Eine alte Argumentationslinie hlt 1Makk schlicht fr einen objektiven historischen Be-richt; vgl. etwa Reuss 1879, 4041: Die Patrioten wrden zu Helden erhoben, aber weil derVerfasser ein wahrer Historiker sei, zeige er auch ihre Schwchen. Neuere Deutungen gehenvon anderen Voraussetzungen aus. Haag 2000 schrnkt die Deutungsmglichkeiten auf zweiPositionen ein: Entweder sind 1Makk 12 nur Prolog fr die weitere Geschichte, oder sie enthal-ten den theologischen Kern des Buches. Letztere Deutung fhrt laut Haag zwangslufig zurAufgabe der Deutung des Textes als prohasmonisch; 1Makk wolle in Wahrheit den aus religi-ser Perspektive degenerierten Hasmonern der Gegenwart die Bewahrung der Theokratie alsIdeal vor Augen halten (so der Schluss ebd., 37). Dass die Einleitungskapitel den Kern derGeschichte enthalten, ist mit Sicherheit richtig, aber warum bereits die Existenz eines solchenKerns die Eignung des Textes als Herrschaftsreprsentation der Hasmoner in Frage stellensoll, ist nicht zu sehen. Als Argumente fhrt Haag auch an, dass der Text nie von Hasmonernspreche und keine Erbfolge fr die Hasmonerdynastie ins Auge fasse (ebd., 36); ersteres istnicht auffllig (erst Josephus spricht von Hasmonern!), letzteres schlicht falsch (vgl. untenKap. 4.1.2). Troiani 2008a, 355356. 359 meint, dass die Zeit des Hyrkanos I. in brskierenderWeise nicht mehr beschrieben werde; das leuchtet nicht ein, denn fr dessen Taten verweist1Makk ja auf einen eigenen Text, der regelrecht empfohlen wird. Balzaretti 2009 meint, auchder Niedergang der Hasmoner werde berichtet (ebd., 198), der Text werfe den Hasmonern

  • 16 1 Einleitung

    Das Zweite Makkaberbuch (2Makk) ist aus verschiedenen Grnden weni-ger leicht zu charakterisieren. Der griechisch verfasste Text gibt sich als Epi-tome eines greren Geschichtswerks aus, dessen Autor Jason von Kyrenesonst unbekannt ist.40 Es pflegt einen legendarischen Erzhlstil und endetbereits mit dem Tod Nikanors im Jahr 161 v. Chr, berichtet also nur von derKarriere des Judas Makkabaios. Es war deshalb lange Zeit blich, in 2Makkeine antihasmonische Darstellung zu sehen,41 doch drfte allein der Befund,dass 2Makk keine dynastisch orientierte Geschichte ist, dafr nicht ausreichen.Dagegen sprechen auch redaktionsgeschichtliche Grnde: Die beiden Einlei-tungsbriefe (Kap. 1 und 2) vertreten offenbar einen hasmonischen Stand-punkt, und Kapitel 10 enthlt eine sptere Einfgung, die das hasmonischeHanukkahfest in den Text einschreibt.42 Dieser redaktionelle Eingriff und dieVerbindung von Festbriefen und Epitome zeigen deutlich, dass der Text zurHerrschaftsreprsentation der Hasmoner genutzt wurde, auch wenn seineursprngliche Entstehungsgeschichte unklar ist.

    Eine Datierung ergibt sich nicht aus der Darstellung selbst, sondern ausdem ersten Einleitungsbrief, der die Existenz der Epitome wohl bereits voraus-setzt. Die konventionelle Datierung in das Jahr 124 v. Chr. beruht erstens aufder Hypothese, Epitome und Briefe seien etwa zeitgleich entstanden, und zwei-tens auf einer Lesung der Datumsangabe. Hier ist zuletzt eine neue Lsungvorgeschlagen worden, die zu einer Datierung in das Jahr 143 v. Chr. fhrenwrde.43 In diesem Fall stnden fast alle bisher zu 2Makk geuerten histori-

    die Profanierung des Sabbat vor (ebd., 222), und 1Makk 2 fhre eine Reihe von Elementen alsnegativ besetzt ein, die hinterher mit den Hasmonern verbunden werden (ebd., 227230). DieDarstellung ist jedoch selektiv; dass Mattathias Geld und Ruhm der Heiden ablehnt, whrendJonathan und Simon dies nicht tun, liegt eben zunchst einmal daran, dass Mattathias dafrein heidnisches Opfer vollziehen soll, whrend seine Shne weitgehende Autonomie fr Judaund das Hohepriestertum erhalten. Ganz hnlich argumentiert aber Mendels 2011, 256.40 2Makk 2,23.41 Vgl. besonders Goldstein 1976, 6289 (bes. 89: Jason must have written to refute FirstMaccabees); 1983, 7183 sieht 2Makk als antihasmonische Reaktion auf 1Makk und erkenntdarin den Versuch einer Gegendarstellung; vgl. die Zusammenfassung bei dems. 1989: theauthors of the two histories were bitter opponents. Beide Texte stammen nach Goldstein ausder Zeit des Jannaios; vgl. auch Nickelsburg 1981, 121. Gegen solche Deutungen polemisiertbereits Efron 1987a, 1420.42 Hierzu s. u., Kap. 2.2.6.43 Seit Bickerman 1980b hat sich die Ansicht durchgesetzt, in 1,19 handle es sich um einenBrief, der (1,9) im Jahre 188 Seleukidischer ra (124 v. Chr.) abgeschickt worden sei und in 1,78 einen lteren Brief aus dem Jahre 169 S (143 v. Chr.) zitiere (1,7: ); vgl. auch Habicht1979, 199200 (dort auch 174 zur gleichzeitigen Entstehung von Epitome und Einleitungsbrief).Die Epitome sei demnach 124 v. Chr. nach gypten geschickt worden, um zur Teilnahme amTempelreinigungsfest zur Zeit des Hyrkanos I. aufzufordern und damit eine Aufforderung aus

  • 1.3 Quellen 17

    schen Hypothesen neu zur Debatte. Ohnehin sollte man mit der Entstehungder Epitome noch vor der Abfassung des Briefes rechnen; zudem empfiehltes sich, angesichts der unklaren Redaktions- und Abfassungsgeschichte keineHypothesen zu formulieren, die von einer genau bestimmten Abfassungszeitdes 2Makk abhngen.

    1.3.2 Weitere parabiblische Texte

    Fast jeder biblische Text ist schon einmal in die Hasmonerzeit datiert worden,ohne dass sich die entsprechenden Vorschlge htten durchsetzen knnen;inzwischen sind solche Argumente aus der Mode gekommen.44 Dies gilt jedochnicht fr die parabiblischen Texte, deren Datierung allerdings schon deshalbimmer unsicher ist, weil wir nichts ber die Autoren dieser teils anonymen,teils pseudepigraphischen Schriften wissen. Eine assoziative Grundhaltungfhrte besonders in der lteren Forschungsliteratur zur Rekonstruktion regel-

    der Zeit Simons zu erneuern. Dagegen hat D. Schwartz 2008, 519529 unter der Voraussetzung,die Briefe seien ursprnglich aramisch oder hebrisch abgefasst gewesen, das als epistolary perfect auf die Gegenwart bezogen und also 143 v. Chr. als Zeitpunkt derAbsendung nach gypten ausgemacht. Weil ein 143 v. Chr. verschickter Brief nicht 124 v. Chr.entstanden sein kann, bernimmt er in 1,9 die Lesung 148 S (165/164 v. Chr.), ndert dieInterpunktion und fasst die Zeitangabe als Erinnerungshilfe auf. Man feiert also die Tage desLaubhttenfestes des Monats Kislew des Jahres 148. Fr Schwartz spricht zwar, dass seineLsung die einfachere ist; an die Stelle zweier ineinander verschachtelter Briefe rckt eineinheitlicher Text 2Makk 1,110a. Womglich wrde man die Datierungsangabe nicht in 1,7,sondern am Ende erwarten, aber den Kanzleistil von Jerusalem kennen wir nicht. Problema-tisch ist aber, dass 2Makk 1,7 nach den Herrschaftsjahren des Demetrios datiert. Bickermanhat gerade diese Tatsache als Beleg fr die Echtheit des Briefes gewertet: Der Brief sei in derkurzen Phase des Jahres 143 v. Chr. geschrieben, in der man noch Demetrios als Oberherrenanerkannt habe; ein Flscher htte nach Simon datiert. Schwartz kann sich auf diese Lsungnicht mehr berufen und msste erklren, warum ein Brief, der aus seiner Sicht die Gewinnungder Steuerfreiheit von Demetrios (1Makk 13,41) zum Anlass hat, nicht nach den Herrschaftsjah-ren Simons datiert ist, wie es doch (1Makk 13,42) seit genau dieser Zeit und aus genau diesemAnlass blich gewesen zu sein scheint. Nur am Rande ist auf Positionen hinzuweisen, die2Makk deutlich spter datieren, so etwa Grimm 1857, 1921, der wegen der historischen Fehlermit spter Entstehung (aber vor 70 n. Chr.) rechnet; Dommershausen 1995, 9 (30 v. Chr. ohneArgumente).44 Man rechnet damit, dass weite Teile des heutigen Kanons bereits in der Perserzeit aner-kannt waren, wenn auch keine einheitliche Textgestalt vorlag oder angestrebt wurde; vgl.Grabbe 2006. Zum Sonderfall Esr/Neh s. u. Kap. 3 Anm. 262. Der kurioseste mir bekannteVersuch ist Fries 1893 zu Kap. 4 und 5 der Klagelieder; vgl. dagegen Lhr 1894, der am Ende(5859) Anstze fr ein Analyseraster entwirft.

  • 18 1 Einleitung

    rechter Parteienkmpfe im hasmonischen Juda, wobei eine passende Datie-rung der parabiblischen (und teils sogar rabbinischen) Texte vorausgesetzt undzudem reichlich Gebrauch von Zuordnungen zu den sogenannten Sekten Phariser, Sadduzer, Essener gemacht wurde.45 Diese traditionelle Sichtzwingt zur Stellungnahme. Von pharisischen, sadduzischen oder esseni-schen Texten wird in dieser Arbeit nicht die Rede sein, da solche Zuschreibun-gen auf einer vereinfachenden Sicht auf das antike Juda beruhen.46 Rabbini-sche Texte werden fr die Analyse nicht verwendet, da Zeit und Methode ihrerAbfassung sie als Quellen fr die Zeit des Zweiten Tempels disqualifizieren.47Nur in wenigen Fllen werden Argumente formuliert, die eine genauereZuschreibung oder Datierung parabiblischer Texte zur Voraussetzung haben.

    Es bleibt hier brig, diejenigen parabiblischen Texte zu nennen, die alsmgliche oder tatschliche Quellen in dieser Arbeit an mehr als einer StelleVerwendung finden. Ben Sira ist eindeutig vorhasmonisch;48 dies gilt womg-lich auch fr das aramische Levidokument.49 Mit Entstehung in hasmoni-

    45 Paradigmatisch ist Aptowitzer 1927; vgl. fr die Herodeszeit Schalit 1962.46 Vereinfachend vor allem deshalb, weil man meint, die Exkurse des Josephus bten alleInformationen, die fr eine Klassifizierung der in Frage stehenden Schriften notwendig sind.In Wahrheit gab es mehr als drei Gruppen von Judern, und es ist (mit Ausnahme des jaad)berhaupt nicht klar, wie sich Gruppenzugehrigkeit in der Produktion von Texten niederge-schlagen hat. Mit Recht hat Trampedach 2007 Abstand von entsprechenden Zuordnungengenommen und stattdessen allgemein antihasmonische Diskursfelder untersucht (vgl. bes.48 mit Anm. 33).47 Das Pldoyer von Batsch 2007 fr eine Wiederaufnahme der lteren Praxis, zumindesttannaitische Texte fr die historische Rekonstruktion der Zeit des Zweiten Tempels zu verwen-den, geht auf wesentliche Probleme nicht ein.48 Das ist deshalb sicher, weil der Enkel Ben Siras in der Einleitung zur griechischen berset-zung des Buches angibt, 132 v. Chr. (offenbar als Erwachsener) nach gypten gelangt zu sein(prom. 8); die Aktivitt des Grovaters setzt man daher in das erste Drittel des 2. Jh. v. Chr.,zumal im Text zwar auf Simon II., aber nicht mehr auf die Hasmoner Bezug genommen wird.Vgl. etwa Skehan/Di Lella 1987, 810.49 Vgl. Greenfield et al. 2004, 1920. Die Datierung ins spte 3. oder frhe 2. Jh. v. Chr. drfteam weitesten verbreitet sein, bleibt aber deshalb unsicher, weil die Beziehung des ALD zumJubilenbuch unklar ist. Kugel 2007 sieht die in ALD angewandte Exegese als vom Jubilen-buch abhngig (vgl. dens. 1993, 5254); da er Jub ins spte 3. oder frhe 2. Jh. v. Chr. setzt, istnach ihm ALD hasmonisch. Er vermutet einen prohasmonischen Autor, der im spten 2. Jh.v. Chr. Levitraditionen zu einem Bild zusammenfgen sollte, das die hasmonische Herrschaftlegitimierte. Die Abhngigkeit des ALD von Jub ist m. E. nicht sicher belegt (die bliche Datie-rung geht vom umgekehrten Fall aus); gegen die Frhdatierung des Jub sprechen auch andereArgumente (siehe die folgende Anmerkung). Kugler 2008 problematisiert die Technik, ausFragmenten verschiedener Provenienz ein einheitliches ALD zu rekonstruieren, und hat miteinigen Kritikpunkten unbestreitbar Recht.

  • 1.3 Quellen 19

    scher Zeit ist dagegen fr das Jubilenbuch,50 das Buch Judit51 und wohl auchfr das griechische Testament Levis52 zu rechnen, wobei insbesondere dasBuch Judit kaum vor der Zeit des Hyrkanos I. entstanden sein drfte. Auch fr

    50 Oft wird indes eine frhere Datierung angenommen, etwa von Kugel 2007, 294300 (vor 175v. Chr.). Das Argument, es gebe keine zeitgenssischen Anspielungen auf die Reformbewegung,Antiochos und die Religionsverfolgung ist sachlich unsicher (man hat durchaus entspre-chende Bezge hergestellt, ob zu Recht, sei dahingestellt) und an sich unzureichend (so aberauch Schaller 2002, 63). Auch die Ansetzung zw. 145 und 140 v. Chr. (Berger 1981) erscheintnoch zu frh. Die Palographie (Fragmente aus Qumran) scheint einen terminus ad quem 125100 v. Chr. zu bestimmen (vgl. etwa Schaller ebd., 62), was mit der hier verfolgten Datierungin die Zeit des Hyrkanos I. noch in Einklang zu bringen ist. Die genannte palographischeAnsetzung trifft indes nur auf die Fragmente eines einzigen Manuskriptes (4Q216) zu, die Teileaus Kap. 1 und 2 enthalten (mithin aus der Bearbeitung des Schpfungsberichts; gewiss keinschlechter Kandidat fr einen ursprnglich separaten Teil). Die anderen Manuskripte sindwesentlich jnger (meist herodianisch). Gerade 4Q216 erlaubt zudem eine womglich relevanteDetailbeobachtung; vgl. hierzu unten Kap. 4. Anm. 140. Auch die Datierung in die hasmoni-sche Zeit kann freilich nur durch inhaltliche Argumente plausibel gemacht werden; man fragtsich, ob die Verwandtschaft zwischen Edom und Israel in einem vorhasmonischen Text vonsolcher Relevanz sein konnte, oder ob die Bedeutung der Beschneidung in Jub nicht in denhasmonisch geprgten Zugehrigkeitsdiskurs gehrt; vgl. etwa Mendels 1987, 5787; Himmel-farb 2006. Zudem hat man die Eiferpassage bisher nicht recht mit 1Makk 2 verbunden, wasaber doch nahe liegt (vgl. unten, Kap. 4.1.4).51 Die vorgeschlagenen Datierungen reichen von der Perserzeit bis in die Zeit Trajans; diehasmonische Zeit gilt inzwischen als gesichert. So lassen sich Anklnge an 2Makk ausma-chen, vgl. Zeitlin 1972, 3031 (mit freilich gewagter Argumentation: Da fr Zeitlin 2Makk in die40er Jahre des 1. Jh. n. Chr. gehrt, nimmt er an, dass Jdt auf Jason von Kyrene zurckgreifeund nach dem dort gefundenen Vorbild des Nikanorfeldzuges die Esther-Geschichte umgestal-tet habe); Zenger 1981, 442443; Gro 1987, 6061; Nihan 2004, 631. Nimmt man eine Abhn-gigkeit von den Makkaberbchern an, ist die Datierung von Gro und Zenger (nicht vor 150v. Chr.) noch deutlich zu frh angesetzt; vielmehr kme dann bereits die Zeit um die Wendevom 2. zum 1. Jh. v. Chr. in Frage (so auch Wills 1994, 1078 und Roddy 2008, 272 auf andererGrundlage). Die Vergeblichkeit der Zuweisung des Textes an eine Gruppe wird dadurch bewie-sen, dass alle nur denkbaren Lsungen angegeben worden sind: Baslez 2004 vermutet einenhasidischen, Moore 1985, 7071 einen pharisischen, Rocca 2005 einen sadduzischen undPhilonenko 1996 einen essenischen Verfasser.52 Der Text gehrt zu den Testamenten der zwlf Patriarchen, die in der heute vorliegendenForm christlich sind. blich ist die Annahme einer judischen Urfassung. Becker 1974 markierteine ganze Reihe von Interpolationen, die meist plausibel, teilweise aber auch diskussionswr-dig sind. Die Extremposition von Hollander/de Jonge 1985, 8385 zieht sich auf die Beobach-tung zurck, dass der Text der TestXII in der jetzigen, weitgehend konsistenten Form jedenfallschristlich und die Annahme eines nichtchristlichen Originals spekulativ ist. Fr TestLev istimmerhin auf die Levitradition (aramisches Levidokument, Jubilenbuch) zu verweisen. Hierlsst sich, wie Kap. 4 zeigt, TestLev gut einordnen, was aber ein schwaches Datierungsargu-ment ist. Mendels 1987, 89107 behandelt die ganzen TestXII als hasmonische Kompositiondes Jahres 108/107 v. Chr., ohne dies berzeugend zu begrnden.

  • 20 1 Einleitung

    das Buch Tobit53 kann man unter Umstndten eine hasmonische Datierungerwgen; fr das Dritte Makkaberbuch54 (das mit dem Stoff der ersten beidenMakkaberbcher nichts zu tun hat) ist sie wahrscheinlich. In die Zeit derrmischen Machtbernahme in Juda gehren die Psalmen Salomos,55 wobeizumindest PsSal 17 auch Bezge zur Herodeszeit aufweist. Wohl recht baldnach 6 n. Chr. ist die Assumptio Mosis56 verfasst, die fr die Rekonstruktioneiner frhen judischen Sicht auf Herodes eine gewisse Bedeutung hat.

    1.3.3 Flavius Josephus

    Auf deutlich sichererem Boden steht man bei Flavius Josephus. Die Arbeit mitdem Bellum Iudaicum (BJ, ca. 73 n. Chr.) und den Antiquitates Iudaicae (AJ,ca. 93 n. Chr.) wird nicht von Datierungsfragen behindert; dieser Zugewinn anSicherheit wird allerdings dadurch erkauft, dass man es bei Josephus nicht mitzeitgenssischem Material zu tun hat. Das ist ein Problem bei der Analyse des

    53 Hierzu s. u. Kap. 2.2.3.54 Hierzu s. u. Kap. 2.2.6.55 PsSal 2. 8. 17,1120 haben sicher die Eroberung durch Pompeius zum Hintergrund; PsSal2,2629 beschreibt offenbar seinen Tod 48 v. Chr., knnte allerdings spterer Zusatz sein. Eslsst sich nicht zeigen, dass alle Psalmen von gleicher Hand und zur gleichen Zeit verfasstworden sind. PsSal 17,110 spricht m. E. von Herodes und nicht von Pompeius (Eckhardt2009c). Erschwert wird die Datierung der Psalmen dadurch, dass mit einem Redaktor zu rech-nen ist, der die Sammlung, wie sie heute vorliegt, geschaffen hat und selbst nicht datiertwerden kann; vgl. v. a. Schpphaus 1977, 138153; Kaiser 2004. Diese Redaktion kann in christ-liche Zeit fallen, wofr etwa PsSal 17,32 ( statt [letztere Formaber in den lteren Textausgaben!]) sprechen knnte. Die PsSal galten lange als pharisisch(siehe etwa Schpphaus ebd., 127137); heute findet sich diese Ansicht nur noch vereinzelt,da sie wenig fr sich hat (gegen die Phariserthese etwa Atkinson 2004a, 186. 220221).56 Die Datierung der ganzen Schrift ins frhe erste Jh. n. Chr. ist heute weitgehend etabliert,gegen frhere Versuche, Kapitel 6 und 7 als sptere Interpolationen zu erweisen und dieeigentliche Schrift in die Zeit des Makkaberaufstandes zu datieren (erstmals vorsichtig beiLicht 1961, 102103; dann dezidiert bei Nickelsburg 1973; gefolgt etwa von Goldstein 1973, 4547 [der sogar exakt auf Winter bzw. Frhling 167/166 v. Chr. datieren will]; Schrer 1986, 282283; vgl. Nickelsburg 1981, 8182. 115 fr eine Rckfhrung von 1Makk 2,3238 auf AssMos 9).Die viel wahrscheinlichere Mglichkeit einer Darstellungsabsicht der Assumptio Mosis, dieeben keine historiographische ist und daher auch einen scheinbaren chronologischen Bruchzwischen Kap. 6/7 und dem Rest ab Kap. 8 zulassen kann, ist bereits bei Collins 1973a gesehen;Collins 1973b gibt den schwcheren Argumenten von Nickelsburg teilweise nach. Vgl. fr eineDatierung der ganzen Schrift kurz nach 6 n. Chr. oder jedenfalls ins erste Viertel des 1. Jh. n.Chr. Brandenburger 1976, 6263; Tromp 1993, 116117; Atkinson 2006, 457467. Die Zuordnungzu einer Gruppe hat sich hier frher als bei anderen Texten als aussichtslos erwiesen; vgl.Brandenburger ebd., 65; Tromp ebd., 118119.

  • 1.3 Quellen 21

    Zeitraums, fr den Josephus die einzige ausfhrliche Quelle ist. Whrend dieHerrschaftsreprsentation der Zeit des Hyrkanos I. anhand von 1Makk rekon-struiert werden kann, ist man bereits fr die Ereignisgeschichte dieser Zeit underst recht fr den weiteren in dieser Arbeit abgedeckten Zeitraum bis 4 v. Chr.auf Josephus angewiesen. Das dreizehnte Buch der AJ ist die einzige Quelle frdie hasmonische Geschichte nach Simon; ber Herodes berichten das ersteBuch des BJ und die Bcher 14 bis 17 der AJ. Vor allem die Zeit des Herodes,fr die belastbare zeitgenssische Texte vllig fehlen, kann so nur unter vlliganderen Voraussetzungen in den Blick genommen werden als die Hasmoner-zeit.

    Ein mglicher Umgang mit diesem Problem ist der Rckgriff auf Quellen-kritik. Das kann heute nicht mehr bedeuten, Josephus als Autor aus der Ana-lyse einfach herauszuhalten und die von ihm arrangierten Informationen mg-lichst vollstndig auf vorzugsweise anonyme Quellen zurckzufhren, wiees in Dissertationsschriften des spten 19. und frhen 20. Jahrhunderts blichwar.57 Bereits die Bearbeitung der biblischen Texte in AJ 110, aber auch dieeingestreuten Reflexionen und die unterschiedliche Bewertung von Vorgngenin BJ und AJ verbieten es, in Josephus einen reinen Kompilator zu erkennen.58Es besteht aber kein Grund, deshalb die Quellenkritik grundstzlich als veraltetzu verabschieden und unter der Magabe, man knne nicht behind Josephus

    57 Vgl. besonders Bloch 1879; Destinon 1882; Hlscher 1904. Die gefundenen Lsungen sinddabei von unterschiedlicher Qualitt. Whrend die Arbeit von Bloch kaum anschlussfhig frDebatten ist, lsst sich mit Destinons Beobachtungen teilweise noch heute arbeiten. Seinesogenannte Anonymus-Hypothese, die alle vorgefundenen Nachrichten inklusive der Quel-lennennungen und der ins Leere fhrenden Verweise auf die Verarbeitung eines von Josephusabgeschriebenen Anonymus zurckfhrt, scheint indes seit der Kritik von Tubler 1916 aufge-geben worden zu sein obwohl Tublers Hauptargument, die Verweise bezgen sich auf einearamische Version des Bellum, kaum glaubhaft ist. Hlscher fhrt alle in den Bchern 11 bis20 der AJ gegebenen Informationen auf nur fnf Quellen zurck: Alexander Polyhistor, Stra-bon, Nikolaos von Damaskus, eine anonyme Herodergeschichte und die mndliche Tradi-tion der Rabbinenschulen.58 Bereits Schrer 1904, 649 beklagte, es werde viel zu wenig mit der Selbststndigkeit undFreiheit des Schriftstellers, die unter Umstnden auch in Willkr und Nachlssigkeit sichuert, gerechnet. Alle Unebenheiten, die bei Josephus zu beobachten sind, sollen ihrenGrund in der Verschiedenheit der Quellen, nicht in ihm selbst haben. Laqueur 1920 sah denGrund fr Widersprche zwischen BJ und AJ in einer gewandelten Einstellung des Josephus.Stern 1960, 49 kritisiert die deutsche tendency to attribute independence, both of thoughtand of literary creativity, to putative anonymi whose works have not come down to us, whilstentertaining but scant respect for any competence in arrangement or any independent thoughton the part of those historians whose writings survive intact. Fr neuere Perspektiven, die ander Legitimitt von Quellenkritik festhalten, jedoch mit erheblichen Eigenleistungen des Jose-phus rechnen, vgl. D. Schwartz 2007d; Rajak 2007a, 29.

  • 22 1 Einleitung

    kommen, historische Analysen aufzugeben.59 Das Konzept, das dem zu Grundeliegt, ist widerspruchsvoll vorgetragen worden und hat bei seiner Anwendungauf die Zeit des Herodes keine Resultate erbracht.60 Quellenkritische berle-gungen zur Zeit des Herodes mssen sich aber auf einer anderen Grundlageabspielen und mit weniger zufrieden geben, als die frhere Herodesforschungangenommen hat.

    Die Forschung zu Herodes ist von Anfang an quellenkritisch orientiertgewesen. Die teilweise eklatanten Widersprche innerhalb der AJ wurden aufdas Nebeneinander von Quellen zurckgefhrt, die teils herodesfreundlich,teils herodesfeindlich eingestellt waren.61 Josephus teilt allerdings an keinerStelle mit, welche eventuell herodesfeindlichen Texte er verwendet. Bei denherodesfreundlichen Passagen hat man sich hingegen allzu sehr auf seineAngaben verlassen. Er erwhnt einmal die des Knigs selbst,deren Verwendung durch Josephus allerdings nicht allgemein akzeptiert ist,62

    59 So aber Mason 2003. D. Schwartz 2007d reagiert darauf.60 Der Widerspruch liegt darin, einerseits einen aus den Literaturwissenschaften bekanntenZugriff auf Texte zu empfehlen und andererseits gerade die Legitimitt solcher Anstze zubestreiten (Mason 1998a, 14: We are not venturing into some abstruse literary theory; we aresimply asking for responsible historical reconstruction). Im Ergebnis setzt Mason an die Stelleder Aussageabsichten der josephischen Quellen eine vermeintlich stets greifbare Intention desJosephus, die er aus der persnlichen Situation des Autors in Rom rekonstruiert; statt konse-quent nach dem Text zu fragen, fragt Mason also nach der Persnlichkeit des Autors und setztsich so der Kritik aus, die bei Josephus verarbeiteten Autoren willkrlich aus der Analyseauszuschalten (vgl. eine hnliche Kritik bei Bernett 2007a, 2022). Der Versuch, ein altes Prob-lem (nmlich die jeder Quellenkritik inhrente Unsicherheit ber die Zuordnung zu bestimm-ten Autoren) durch eine neue Fragestellung zu umgehen, fhrt so (bes. bei Mason 2003) dazu,das Problem berhaupt zu leugnen. Keinen erkennbaren Ertrag hat m. E. die an Masonorientierte narratologische Analyse von Landau 2006 erbracht, die an keiner Stelle die Gltig-keit einer Herangehensweise, die in Josephus stets nur den kreativen Autor sieht, hinterfragtund so kaum ber Beobachtungen dazu hinauskommt, wann und wie Josephus von Schicksalund Vorsehung spricht, wo eine Darstellung dramatisch wird und wo Kontrastierungen einge-setzt werden. Zahlreiche Sachfehler etwa bei der familiren Zuordnung von Personen lassendas Desinteresse an historischen Zusammenhngen erkennen. Aber auch Literaturwissen-schaftler werden nicht von der in Masons Modell erforderlichen und auch bei Landau verwirk-lichten Gleichsetzung von Erzhler und empirischem Autor berzeugt sein.61 Vgl. ausfhrlich Otto 1913, 316 (mit Identifikation anonymer Mittelquellen und der Sicher-heit, bei Josephus sei mit engstem Anschlu [15] an die Quellen zu rechnen); ferner etwaSchalit 1969, 690: Josephus ist nur das Sprachrohr der Quelle [...], die er ausschreibt.62 AJ 15,174. Zur gegebenen Darstellung sagt Josephus: , , um dann eine andere Meinung zu schil-dern: . Bloch 1879, 141143 fhrt insbesondere dasDetailwissen ber die Herodeszeit auf diese Memoiren des Knigs zurck; er verbindet dasmit der Ansicht, Josephus habe da, wo er Nikolaos fr zu voreingenommen hielt, auf dieMemoiren des Knigs (!) zurckgegriffen. Dagegen hat Destinon 1882, 9698. 123126 die ganze

  • 1.3 Quellen 23

    und nennt mehrmals Nikolaos von Damaskus. Dessen Arbeit kritisiert Josephusin den AJ an zwei Stellen; er habe zur Zeit des Herodes gelebt und ihn deshalbpositiv dargestellt.63 Dass Nikolaos als Historiker und Philosoph am Hof desHerodes angestellt war, ist auch aus Fragmenten ersichtlich.64 Seine Bewertungals Propagandist, der stets geschrieben habe, als sehe ihm Herodes ber dieSchulter,65 beruht jedoch allein auf einer Behauptung des Josephus, die zuberprfen unmglich ist66 und die zudem in einem Kontext begegnet, dergerade Nikolaos als den seriseren Historiker erweisen knnte.67 Die Vermu-tung, dass Nikolaos sein Werk erst nach dem Tod des Herodes verfasst hat,seine Orientierung an einem rmischen Publikum, sein vorrangiges Interessean der Erklrung der eigenen Rolle am Hof des Herodes, schlielich die histo-riographische Konvention der Kritik am Vorgnger, lassen das Urteil des Jose-phus als unsichere Basis weitreichender Rekonstruktionen erscheinen.68 Dasheit nicht, dass Nikolaos Herodes nicht positiv dargestellt hat, aber von einerPropagandafunktion seiner Schriften und dem Verschweigen von Schattensei-ten kann man nicht mehr ohne Weiteres ausgehen.

    Stelle auf Nikolaos zurckgefhrt, der dann hinter zu vermuten wre. Gefolgt ist ihmetwa Schrer 1882, 393; vgl. noch den Kommentar von Marcus in LCL ad loc.; Gauger 2000,166 meint allerdings, Josephus habe die Memoiren verarbeitet und korrigiert. Vgl. zuletzt dieBehandlung bei Geiger 2009a, der sich in dieser Frage Schrer anschliet; der von Geigervermutete Entstehungskontext der Memoiren (Rechtfertigung gegenber Augustus vor demHintergrund des Prozesses gegen die Mariammeshne) ist nicht unplausibel.63 AJ 14,9. 16,183184. Der genaue Wortlaut der letzteren Stelle ist problematisch. Nieses Textlautet -. Fr die bersetzungen wird das - des ersten Partizips entweder gestrichen oder abge-trennt und durch ersetzt. So ergbe sich der Sinn: Da er nmlich im Knigreich und mitihm lebte, schrieb er ; vgl. etwa LCL, wo noch durch ersetzt wird (Einigkeitdrfte ber statt bestehen). Man knnte auf Herodes beziehen, wasindes am Sinn wenig ndern wrde. Eindeutig ist jedenfalls die Kritik 16,186: .64 Leicht zugnglich bei Stern 1974, Nr. 9497.65 Wacholder 1989, 163: Nicolaus seems to have been a court historian in the full sense ofthe word, writing as if someone were always looking over his shoulder.66 Die Aporien, die sich hier ergeben, lassen sich in unverndert gltiger Form bereits beiNavet 1853, 16 beobachten: Ja nicht ungerecht ist der unserm Schriftsteller [von Josephus,B.E.] gemachte Vorwurf, da er allzu parteiisch und auf Kosten der Wahrheit die Interesseneines Frsten vertheidigte, ber den das unparteiische Urtheil der Geschichte [d. h. des Jose-phus? B.E.] den Stab gebrochen.67 Niemand wird der von Josephus gegen Nikolaos ins Feld gefhrten Behauptung den Vorzuggeben wollen, Herodes sei bei seiner Plnderung des Davidsgrabes von einer Feuerflammeangegriffen worden.68 Das sind die Hauptargumente von Toher 2003; 2009 fr eine Neubewertung der Herodes-darstellung des Nikolaos. Bereits Destinon 1882, 96100 hatte manches vorweggenommen.

  • 24 1 Einleitung

    Man kann deshalb nicht lnger positive Aussagen ber Herodes bei Jose-phus via Nikolaos auf die Herrschaftsreprsentation des Herodes selbst zurck-fhren.69 Eine mgliche Alternative wre, die verschiedenen bei Josephusbegegnenden Argumentationsstrategien zu sezieren, ohne sie einer Quellezuzuordnen was gelegentlich hilft, klarer zu sehen, am Ende aber nicht rechtbefriedigt.70 Im hier zu Grunde gelegten Modell ist aber auch mehr mglich.Sowohl Josephus als auch Nikolaos schreiben ber Herodes und sein Herr-schaftsverhltnis zum (von beiden so genannten) . Dabeistiften beide Historiker einen Zusammenhang zwischen Herrschaftsreprsenta-tion und Ethnos-Figuration. Gerade die historische Darstellung, die sich in bei-den Fllen an hellenistischen und rmischen Standards der Historiographieorientiert, ist darauf angewiesen, der Darstellung und Bewertung der Herr-schaft des Herodes ein Bild des Ethnos beizufgen, mit dem er sich als Herr-scher auseinanderzusetzen hat. Wenn es gelingt, in Einzelfllen bestimmteFigurationen des Ethnos einem der beiden Autoren auf plausible Weise zuzu-ordnen, kann man den Zusammenhang von Herrschaftsreprsentation undEthnos-Figuration bis in die sptere Historiographie hinein verfolgen.

    Das funktioniert indes nicht immer; zudem bleibt das Problem der fehlen-den Quellen fr die ursprngliche Herrschaftsreprsentation des Herodesbestehen. Analysen zur Hasmonerzeit stehen daher im Vordergrund; oft las-sen sich erst von ihnen her einige Beobachtungen zu Herodes anstellen.

    1.4 GliederungIn einem ersten Schritt (Kap. 2) wird der grundstzliche Zusammenhang vonHerrschaftsreprsentation und Ethnos-Figuration erwiesen. Dazu ist fr dengesamten Untersuchungszeitraum zu zeigen, dass mit den jeweiligen Herr-schaftswechseln auch das Ethnos-Bild variiert, dass also unterschiedlicheAspekte selektiert werden, die der Reprsentation der jeweiligen Herrschaftdienlich sind. Von besonderem Interesse sind dabei die Rekonstruktion ent-sprechender Bemhungen der Hasmoner (1Makk) und die Analyse ihrer Fol-gen, zu denen auch die Grndung eines alternativen Volkes gehrt, dessenFiguration aus den Qumranschriften erschlossen werden kann. Das Themen-

    69 So gehen aber Arbeiten vor, die zuletzt zur Herrschaftsreprsentation des Herodes vorge-legt worden sind; vgl. Ilan 1998; Wilker 2007b; Schwentzel 2007; Marshak 2008. Auch Kasher2007 kann Josephus nur als Abschreiber und Nikolaos nur als Propagandisten ansehen, dasonst die ohnehin fragile Basis psychohistorischer Quellendeutung zusammenfllt.70 Vgl. mein etwas voreilig formuliertes Programm in Eckhardt 2008, 371372; eine ersteAnwendung in Eckhardt 2009a.

  • 1.4 Gliederung 25

    spektrum ist breit gefchert, da verschiedenen Akzentsetzungen der Quellennachgegangen wird.

    Die beiden weiteren Kapitel untersuchen jeweils einen Aspekt vor diesemHintergrund ausfhrlicher. Zunchst (Kap. 3) wird die politische OrdnungJudas in den Blick genommen. Sie wird in der Forschung oft an Normengemessen, die bestimmte Verhaltensweisen und politische Einstellungen moti-vieren und andere ausschlieen. Aber judische Institutionen und ihr Verhlt-nis zueinander sind notwendige (da in ihrer realen Bedeutung unbersehbare)Fixpunkte von Ethnos-Figurationen, sollten also in einem Verhltnis zur Repr-sentation von Herrschaft stehen. Diese Vermutung besttigt sich in Analysenzur historischen Genese des hasmonischen Priesterknigtums und zu seinerBewertung in den zeitgenssischen Quellen, ferner in Untersuchungen zur Dar-stellung des herodianischen Knigtums bei Josephus.

    Abschlieend (Kap. 4) geht es um das Problem der Zugehrigkeit zum Eth-nos. Ein wesentliches Element von Identitts-Konstruktionen, nmlich dieGrenzen der eigenen Gemeinschaft, wurde in der Hasmonerzeit in neuen For-men diskutiert, die Auswirkungen auch auf die Zeit des Herodes hatten. Eswird die These vertreten, dass sich die Entstehung neuer Formen der Integra-tion in das Ethnos in hasmonischer Zeit auf Tendenzen der hasmonischenHerrschaftsreprsentation zurckfhren lsst. Herrschaft und Zugehrigkeitwurden zunehmend herkunftsunabhngig begrndet.

    Diese Gliederung ist zunchst funktional, da die in den Kapiteln 3 und 4behandelten Aspekte umfangreichere Analysen erfordern als die in Kapitel 2gesammelten. Man kann diesen Aufbau aber auch als Dreischritt auffassen,der verschiedene Anwendungsmglichkeiten der hier vertretenen Herange-hensweise abdeckt. Zuerst wird sie als grundstzlich sinnvoll fr die Analyseder mageblichen Quellen erwiesen, dann wird sie zur Dekonstruktion einerverbreiteten Ansicht genutzt, schlielich ermglicht sie die Entwicklung einerneuen Fragestellung.

  • 2 Figurationen des judischen EthnosJuda war ein Teil Koilesyriens und geriet somit nach der Schlacht von Ipsos(301 v. Chr.) unter ptolemische Kontrolle. Die berlieferung berichtet bereitsfr diese erste Besetzung von Protesten des Seleukos I., nachdem Ptolemaios I.bei Ipsos gefehlt, jedoch Stellungen in Koilesyrien ausgebaut hatte und nunein Gebiet beanspruchte, das eigentlich Seleukos zustand.1 In den ersten vierSyrischen Kriegen des folgenden Jahrhunderts, die nur in Anstzen zu rekon-struieren sind, gelang es den jeweiligen seleukidischen Knigen nicht, Koilesy-rien dauerhaft zu erobern, so dass auch Juda fr einen Zeitraum von rechtgenau 100 Jahren dem Ptolemerreich angehrte. An sicher zeitgenssischenjudischen Quellen und auch an inschriftlicher Dokumentation fehlt es frdiese Zeit fast vllig; die meist positive Bewertung der Ptolemerherrschaft inder Historiographie beruht bereits auf dem Kontrast zu den spteren Konfliktenmit den Seleukiden. Als Resultat des 5. Syrischen Krieges wurde Juda 200 v.Chr.2 seleukidisch. Die Eroberung Jerusalems durch Antiochos III. markiert denBeginn des hier untersuchten Zeitraums; mit ihr ist auch der erste Beleg frdie Anwendung des Ethnos-Begriffs auf die Juder verbunden. Whrend unterAntiochos III. und Seleukos IV. anscheinend keine Konflikte im Verhltnis derJuder zu den neuen Herrschern bestanden haben, fhrte unter Antiochos IV.(ab 175 v. Chr.) eine Kette von Ereignissen 168 v. Chr.3 zum Verbot spezifischjudischer Bruche. Der Widerstand gegen die sogenannte Religionsverfol-gung des Antiochos begrndete den hasmonischen Anspruch auf Herrschaftber das .

    1 Diod. 21,1,5. Vgl. zur Geschichte Judas in dieser Zeit den berblick bei Hengel 1988, 821.2 Nach anderer Ansicht 198. Zum Datierungsproblem vgl. Will 1982, II, 118119.3 Die Datierung ist umstritten, da die seleukidischen Jahreszahlen der Makkaberbcher Prob-leme bereiten. Seit Bickerman 1937a, 155168 ist die Datierung der Religionsverfolgung insJahr 167 v. Chr. blich. Bringmann 1983, 1640 setzt sie dagegen unter anderen Voraussetzun-gen (beide Makkaberbcher datieren konstant nach der Herbstra) in das Jahr 168 v. Chr. Dasbernehmen als nunmehr erwiesen etwa Trampedach 2007, 37 Anm. 1; Ehling 2008, 5657,ohne indes auf die teils massive Kritik an Bringmanns Lsung und die auerhalb der deutsch-prachigen Forschung weiterhin bliche Orientierung an Bickerman einzugehen. Ich folge hierBringmann, weil der wichtigste Kritikpunkt (Entsendung des Apollonios zwei Jahre nach derPlnderung Jerusalems laut 1Makk 1,29; vgl. van der Woude 1984, 168; Th. Fischer 1985, 351352; Gruen 1993, 249 Anm. 28) nicht durchschlagend ist (Bringmann geht mit Recht von inklusi-ver Zhlweise, also im zweiten Jahr, aus). Fr die Datierung 168 bis 165 (statt 167 bis 164) v.Chr. optiert auch Grabbe 1991, der dafr aber eine sonst nicht belegte Nisanra ab 312 v. Chr.postuliert. In dieser Arbeit ist die Frage der exakten Datierung meist nebenschlich; hier warnur die getroffene Wahl zu begrnden.

  • 28 2 Figurationen des judischen Ethnos

    Den Beginn der hasmonischen Herrschaft ber Juda genau zu datierenist schwierig, da der Weg dorthin ber eine Einbindung in die seleukidischeTerritorialverwaltung fhrt, deren Ende nicht genau markiert werden kann.Die wichtigste Quelle fr die Untersuchung von Herrschaftsreprsentation ist1Makk, wo vor allem die Legitimationsinteressen des Hyrkanos I. (135104 v.Chr.) vertreten werden. Die Untersuchung hasmonischer Figurationen beziehtsich daher in erster Linie auf den bereits (jedenfalls ab 129 v. Chr.) weitgehendetablierten Hasmonerstaat. Der Weg dorthin, also die Zeit von Judas Makka-baios bis Simon, wird in den Kapiteln 3 und 4 nher beleuchtet. Die Zeit derhasmonischen Herrschaft ist auch deshalb von besonderem Interesse, weilhierher der umfangreichste erhaltene Versuch einer alternativen Ethnos-Figu-ration gehrt, die in Auseinandersetzung mit aktueller Herrschaftsreprsenta-tion und -ausbung entstand. Neben die Untersuchung legitimierender Figura-tionen lsst sich das Alternativmodell des jaad stellen.

    Die Eroberung Jerusalems durch Pompeius 63 v. Chr. machte Juda zueinem rmischen Vasallenstaat. Hyrkanos II. blieb als Hohepriester an derSpitze des Staates, aber eine eigenstndige Politik konnte er nicht mehr betrei-ben. In seinem Schatten vollzog sich der Aufstieg der Antipatriden und damitauch des Herodes, der 40 v. Chr. in Rom aufgrund des Parthereinfalls zumKnig von Juda ernannt wurde. Whrend fr die Zeit von 63 bis 40 v. Chr. nurwenige Aussagen mglich sind, liegen fr Herodes die ausfhrlichen Berichtedes Josephus vor. Hier lassen sich durch eine quellenkritische Herangehens-weise Reprsentations- und Figurationsprozesse mit unterschiedlicher Tendenzherausarbeiten.

    Der historische berblick, der sich am relativ raschen Wechsel von Herr-schaftsformen in Juda orientieren kann, lsst den Gedanken an eine stabileDefinition des beherrschten Ethnos von vornherein als wenig plausibel erschei-nen. Mit Brchen, Neufigurationen und Alternativmodellen muss man rech-nen. Welche Themen dabei relevant waren und wie die Konstruktionen vonHerrschaft und Identitt abliefen, zeigt sich nur, wenn man den Akzentset-zungen der Quellen folgt. Die berlegungen in diesem Kapitel umfassen des-halb ein bewusst breites Themenspektrum. Zwei wichtige Bereiche, dieumfangreichere Analysen erfordern, werden in den Kapiteln 3 und 4 behan-delt.

    2.1 Seleukidische FigurationenJosephus berliefert ein Schreiben des Antiochos III. an seinen Strategen Ptole-maios, das unmittelbar im Anschluss an die seleukidische Eroberung Jerusa-

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    lems ca. 200 v. Chr. verfasst zu sein scheint.4 Weil die Juder Antiochos bei derEroberung der ptolemischen kra in Jerusalem geholfen und seine Truppenmateriell untersttzt haben, gewhrt ihnen der Knig eine Reihe von Privile-gien.

    (138) Knig Antiochos an Ptolemaios. Sei gegrt. Da die Juder von dem Moment an, indem wir ihr Land betraten, sich uns gegenber wohlwollend gezeigt haben, und uns, alswir in ihre Stadt kamen, glnzend empfangen haben und uns mit der Gerousia entgegen-gegangen sind, reichliche Versorgung fr die Soldaten und Elefanten gewhrt haben undauch mit uns die Besatzungsmannschaften der gypter in der Burg vertrieben haben,(139) haben wir es fr richtig gehalten, es ihnen auch selbst entsprechend zu vergeltenund ihre Stadt wieder aufzubauen, die von den Geschehnissen im Kontext der Kriegezerstrt worden ist, und sie wieder zu bevlkern, indem diejenigen, die verstreut wordensind, in sie zurckkehren. (140) Zuerst aber haben wir entschieden, ihnen wegen derFrmmigkeit eine Untersttzung fr die Opfer zu geben: Opfertiere, Wein, l und Weih-rauch im Wert von 20.000 Silberstcken, und heilige Artabai von feinem Mehl gemdem einheimischem Gesetz, und 1460 Medimnoi Weizen und 375 Medimnoi Salz. (141) Ichwill, dass ihnen dies gezahlt wird, wie ich es angeordnet habe, und dass die Arbeit amTempel vollendet wird, die Sulenhallen und was sonst noch der Bauarbeiten bedarf. DasHolz soll aus Juda selbst, aus den anderen Ethn und aus dem Libanon gebracht werden,ohne dass jemand eine Zollgebhr erhebt. In gleicher Weise (soll) mit den anderen Dingen(verfahren werden), die zum Bau des Tempels bentigt werden, damit er strahlender wird.(142) Alle Menschen aus dem Ethnos drfen ihre traditionellen Gesetze anwenden; dieGerousia, die Priester, die Tempelschreiber und die Tempelsnger, die die Kopfsteuer, dieKronsteuer und die Salzsteuer zahlen, sollen davon befreit sein. (143) Damit die Stadtschneller bevlkert wird, gebe ich den jetzigen Bewohnern und denjenigen, die bis zumMonat Hyperberetaios zurckkehren, Steuerfreiheit fr drei Jahre. (144) Wir befreien siezudem knftig vom dritten Teil der Steuern, so dass ihr Schaden gutgemacht wird. Dieje-ni