strafrechtliche reaktionen auf fahrlässige tötung bei
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Strafrechtliche Reaktionen auf fahrlässige Tötung bei besonderer persönlicher
Betroffenheit
Ein Vergleich der Rechtslage bei Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Erwachsenen
Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magistra der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium
der Rechtswissenschaften
Eingereicht von:
Katharina Wenzel
Angefertigt am:
Institut für Strafrechtswissenschaften Beurteiler:
Univ.-Prof. Dr. Alois Birklbauer
November 2015
Seite | I
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne
fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt
bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht
habe.
Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument
identisch.
Sprachliche Gleichbehandlung
Werden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich in der
männlichen oder weiblichen Form verwendet, so schließt dies das jeweils andere
Geschlecht mit ein.
Wien, November 2015 Katharina Wenzel
Seite | II
INH ALTSVERZEICHNI S
Eidesstattliche Erklärung ................................................................................................ I
Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................. VI
Einleitung ........................................................................................................................ 1
1 Vorstellung der einzelnen Sachverhalte ................................................................ 4
1.1 Jugendlicher ....................................................................................................... 4
1.2 Junger Erwachsener ........................................................................................... 4
1.3 Erwachsener ....................................................................................................... 5
2 Differenzierung und Erläuterung der Altersgrenzen ............................................. 6
2.1 Unmündiger ........................................................................................................ 6
2.2 Jugendlicher ....................................................................................................... 6
2.3 Junger Erwachsener ........................................................................................... 6
2.4 Erwachsener ....................................................................................................... 7
3 Generelle Strafbarkeit .............................................................................................. 8
3.1 Fahrlässigkeit ..................................................................................................... 8
3.2 Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts ....................................................................... 8
3.2.1 Objektiver Tatbestand - Fahrlässigkeitsdelikt ............................................... 8
3.2.2 Subjektiver Tatbestand ................................................................................ 9
3.3 § 80 Fahrlässige Tötung ..................................................................................... 9
3.3.1 Tatbestand .................................................................................................10
3.3.2 Abgrenzung zu § 81 StGB ..........................................................................10
3.3.3 Strafrahmen des § 80 StGB ........................................................................11
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3.4 Erwachsenenstrafrecht ......................................................................................11
3.4.1 Gerichtszuständigkeit .................................................................................11
3.5 Junge Erwachsene ............................................................................................11
3.5.1 Besondere Strafzumessungen bei jungen Erwachsenen ............................12
3.5.1.1 Herabsetzung der Strafdrohungen § 36 StGB .....................................12
3.5.2 Gerichtszuständigkeit .................................................................................12
3.6 Jugendliche .......................................................................................................13
3.6.1 Besondere Strafzumessungen bei Jugendlichen ........................................13
3.6.2 Gerichtszuständigkeit .................................................................................14
3.7 Präventionsgedanke ..........................................................................................15
3.7.1 Absolute Straftheorie ..................................................................................16
3.7.2 Relative Straftheorie ...................................................................................16
3.7.2.1 Spezialprävention ................................................................................16
3.7.2.2 Generalprävention ...............................................................................16
3.8 Persönliche Betroffenheit ...................................................................................17
3.9 Täterbetroffenheit ..............................................................................................18
4 Erledigungsvarianten – alternative Erledigung ....................................................20
4.1 Diversion – im allgemeinen Strafrecht................................................................20
4.1.1 Definition ....................................................................................................20
4.1.2 Voraussetzungen der intervenierenden Diversion § 198 ff StPO.................21
4.1.3 Arten der intervenierenden Diversion ..........................................................22
4.1.3.1 Zahlung eines Geldbetrages – § 200 StPO ..........................................22
4.1.3.2 Die Erbringung gemeinnütziger Leistungen – § 201 StPO ...................23
4.1.3.3 Bestimmung einer Probezeit – § 203 StPO ..........................................23
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4.1.3.4 Tatausgleich – § 204 StPO ..................................................................24
4.1.4 Ausschluss der Diversion............................................................................25
4.2 Nicht intervenierende Diversion .........................................................................25
4.2.1 Einstellung wegen Geringfügigkeit – § 191 StPO ........................................25
4.3 Diversion bei jungen Erwachsenen ....................................................................26
4.3.1 intervenierende Diversion bei jungen Erwachsenen ...................................27
4.3.2 schlichte Diversion bei jungen Erwachsenen ..............................................27
4.4 Diversion im Jugendstrafrecht ...........................................................................27
4.4.1 intervenierende Diversion bei Jugendlichen ................................................27
4.4.2 Abweichungen der intervenierenden Diversion im Jugendstrafrecht ...........28
4.4.2.1 Keine schwere Schuld .........................................................................28
4.4.2.2 Primat der Spezialprävention ...............................................................28
4.4.2.3 Todesfolge ...........................................................................................28
4.4.2.4 Arten der intervenierenden Diversion – Besonderheiten ......................30
4.4.3 schlichte Diversion bei Jugendlichen ..........................................................30
4.4.4 Nebenfolgen der Diversion – Unterschied zur Verurteilung .........................31
5 Strafzumessung ......................................................................................................32
5.1 Erwachsene und junge Erwachsene ..................................................................32
5.1.1 Verhängung einer Geldstrafe anstelle einer Haftstrafe ................................33
5.1.2 Bedingte Strafnachsicht ..............................................................................34
5.1.3 Teilbedingte Strafnachsicht .........................................................................34
5.2 Jugendliche .......................................................................................................35
5.2.1 Schuldspruch ohne Strafe – § 12 JGG........................................................35
5.2.2 Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe – § 13 JGG .................................35
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6 Änderungen im Strafrecht mit 1.1.2016 .................................................................37
6.1 Gesetzesnovelle StGB von 2015 – Änderungen ................................................37
6.1.1 Fahrlässigkeit neu ......................................................................................37
6.1.2 § 80 StGB neu – Fahrlässige Tötung ..........................................................37
6.1.3 § 81 StGB neu – Grob fahrlässige Tötung ..................................................38
6.1.4 Diversion neu..............................................................................................39
6.2 Gesetzesnovelle Jugendstrafrecht .....................................................................39
7 Subsumtion der einzelnen Fälle nach aktueller Rechtslage ................................41
7.1 Jugendlicher ......................................................................................................41
7.1.1 Tatbestand .................................................................................................41
7.1.2 Erledigung ..................................................................................................42
7.2 Junger Erwachsener ..........................................................................................43
7.2.1 Tatbestand .................................................................................................43
7.2.2 Erledigung ..................................................................................................43
7.3 Erwachsener ......................................................................................................45
7.3.1 Tatbestand .................................................................................................45
7.3.2 Erledigung ..................................................................................................45
8 Subsumtion der einzelnen Fälle nach künftiger Rechtslage ...............................47
8.1 Jugendlicher ......................................................................................................47
8.2 Junger Erwachsener ..........................................................................................47
8.3 Erwachsener ......................................................................................................48
9 Zusammenfassung .................................................................................................49
Literaturverzeichnis ....................................................................................................... IX
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Abkürzungsverzeichnis
Abs Absatz
aE am Ende
AnwBl Anwaltsblatt
ao außerordentliche
APA Austria Presse Agentur
AT Allgemeiner Teil
BG Bezirksgericht
BGBl Bundesgesetzblatt
BlgNR Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrats
BT Besonderer Teil
bzw beziehungsweise
dh das heißt
e contr e contrario
E Ergänzungseinheit (zu Kienapfel Strafrecht AT14
)
ER Einzelrichter
Erl Erläuterungen
ErlRV Erläuterungen zur Regierungsvorlage
etc et cetera
f folgend
ff fortfolgend
FS Freiheitsstrafe
FS Jesionek Festschrift für Udo Jesionek zum 65. Geburtstag
gem gemäß
GP Gesetzgebungsperiode
GS Geldstrafe
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hA herrschende Ansicht
hL herrschende Lehre
hM herrschende Meinung
Hrsg Herausgeber
HS Halbsatz
idF in der Fassung
idR in der Regel
ieS im engeren Sinne
iHv in Höhe von
iSd im Sinne des
iSe im Sinne einer
iSv im Sinne von
iVm in Verbindung mit
iwS im weiteren Sinne
JAP Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung
JBl Juristische Blätter
JGG Jugendgerichtsgesetz
JN Jurisdiktionsnorm
JSt Journal für Strafrecht
Jud Judikatur
LG Landesgericht
lit litera
mE meines Erachtens
ME Ministerialentwurf
mwN mit weiteren Nachweisen
nF neue Fassung
NR Nationalrat
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oa oben angeführt
OGH Oberster Gerichtshof
ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung
OÖ Oberösterreich, oberösterreichische
RIS Rechtsinformationssystem
RS Rechtssatz
Rsp Rechtsprechung
RV Regierungsvorlage
RZ Österreichische Richterzeitung
Rz Randziffer
SbgK Salzburger Kommentar
StA Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft
StGB Strafgesetzbuch
StPO Strafprozessordnung
StRÄG Strafrechtsänderungsgesetz
TilgG Tilgungsgesetz aus 1972
TS Tagessatz
ua unter anderem
va vor allem
vgl vergleiche
Vor Vorbemerkungen
WK StPO Wiener Kommentar zur StPO
WK2 (StGB) Wiener Kommentar zum StGB und Nebengesetzten in der 2. Auflage
Z Ziffer
zB zum Beispiel
ZVR Zeitschrift für Verkehrsrecht
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Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit strafrechtlichen Reaktionsmöglichkeiten auf
fahrlässige Tötung bei gleichzeitiger besonderer persönlicher Betroffenheit. Es handelt
sich in den nachstehenden Fällen um persönliche Betroffenheit, die durch fahrlässige
Tötung eines nahen Angehörigen bewirkt wurde und beim Verursacher eine schwere
psychische Betroffenheit ausgelöst hat. Die Arbeit stellt einen Vergleich der
strafrechtlichen Erledigung bei Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Erwachsenen an.
Es soll aufgezeigt werden, dass die strafrechtlichen Möglichkeiten, die das Gesetz bietet,
sehr stark an starre Altersgrenzen des Täters gekoppelt sind. Es stellt sich die Frage, ob
das im Falle schwerer persönlicher Betroffenheit aus general- und spezialpräventiven
Gründen geboten scheint.
Für die Arbeit werden drei verschiedene Sachverhalte herangezogen, wovon einer
lediglich beim Alter des Täters abgewandelt wurde, sodass er nicht nur auf Jugendliche,
sondern auch auf junge Erwachsene anwendbar ist. Sämtliche Fälle erfassen den
Straßenverkehr, wobei das Opfer jeweils ein naher Angehöriger war.
Der Fokus ist stets auf die besondere persönliche Betroffenheit der drei Täter gerichtet,
die für jeden Einzelnen gleich belastend ist, da alle drei mit den gleichen dramatischen
psychischen Folgen, den Verlust eines Angehörigen verschuldet zu haben, zu kämpfen
und zu leben haben.
Die Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in fünf große Teile, in denen jeweils zwischen
den einzelnen Altersgruppen unterschieden wird. Einleitend werden die drei-, der Arbeit
zugrundeliegenden Sachverhalte geschildert. Der erste Teil behandelt die Differenzierung
und Erläuterung der jeweiligen Altersgrenzen.
Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der generellen Strafbarkeit der fahrlässigen
Tötung nach § 80 StGB. Dabei wird ua näher auf die Fahrlässigkeit an sich eingegangen,
was sie ist und in welchen Fällen sie strafbar ist. Es wird eine Abgrenzung zur
fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen vorgenommen und die
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jeweilige Strafdrohung nach den unterschiedlichen Altersgruppen der Täter ermittelt und
die Gerichtszuständigkeit erörtert.
In diesem Zusammenhang wird auch die Prävention an sich behandelt. Es werden die
einzelnen Straftheorien vorgestellt und die Strafzwecke erläutert. Anhand der
verschiedenen Altersstufen werden die unterschiedlichen Präventionsgedanken
differenziert.
Insbesondere fließen in diesem Teil auch allgemeine Erläuterungen zu den besonderen
Milderungsgründen, für Jugendliche und junge Erwachsene, die auf Grund des geringen
Alters gewährt werden können, mit ein. Danach wird auf die speziellen Regelungen im
Jugendgerichtsgesetz Bezug genommen und die Besonderheiten des JGG bei
persönlicher Betroffenheit erläutert.
Im dritten Teil beschäftigt sich die Arbeit mit den alternativen Erledigungsvarianten, die
das Strafrecht bietet. Es ist an Hand der verschiedenen Altersgrenzen zu differenzieren,
ob eine alternative Erledigung überhaupt in Betracht gezogen werden kann, da das
Gesetz in diesem Punkt wenig Ermessen zulässt. Das österreichische Strafrecht bietet bei
Jugendlichen, anders als bei Erwachsenen und jungen Erwachsenen, die Möglichkeit
eines Rücktritts von der Strafverfolgung im Rahmen eines Diversionsangebots, selbst
wenn die Tat den Tod eines Menschen zur Folge hat. In diesem Zusammenhang werden
die Bestimmungen des JGG näher betrachtet.
Zuerst werden die einzelnen Möglichkeiten der strafrechtlichen Erledigung vorgestellt wie
zB Einstellung wegen Geringfügigkeit oder Diversion. Dabei wird besonderes Augenmerk
auf die Diversion gelegt. Hiebei werden die allgemeinen Diversionsbestimmungen aus der
StPO, betreffend die Altersstufen der Erwachsenen und jungen Erwachsenen, den
privilegierenden Normen der Jugendlichen gegenübergestellt. In diesem Zusammenhang
wird auch die persönliche Betroffenheit, die bis dato nur im JGG eine Rolle spielt, näher
erörtert. Abschließend wird noch auf die Vorteile einer diversionellen Erledigung
gegenüber einer Verurteilung und deren Nebenfolgen eingegangen.
Der vierte Teil beschäftigt sich mit der Strafzumessung. Er zeigt auf, welche Möglichkeiten
der Strafverhängung es gibt, wenn eine Diversion nicht durchführbar ist. Zunächst wird die
Strafzumessung der Erwachsenen und jungen Erwachsenen erläutert und auf die
bedingte bzw teilbedingte Strafnachsicht genauer eingegangen. Desweiteren werden die
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privilegierenden Sanktionsmöglichkeiten des Jugendstrafrechts, der Schuldspruch ohne
Strafe und der Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe behandelt.
Im fünften großen Teil der Arbeit wird auf die künftigen Änderungen im Strafrecht
eingegangen, die mit 1.1.2016 in Kraft treten sollen. Einerseits auf die bereits
beschlossene und kundgemachte Novelle des Strafgesetzbuchs BGBl I 112/2015 und
andererseits auf die derzeit im Begutachtungsverfahren befindliche Novelle des
Jugendgerichtsgesetzes, wo aktuell nur ein Ministerialentwurf 148/ME XXV.GP im
Nationalrat aufliegt.
Abschließend werden die einzelnen, anfangs vorgestellten Sachverhalte sowohl nach
aktueller Rechtslage als auch nach künftiger Rechtslage betrachtet, um die Unterschiede
der strafrechtlichen Reaktionen in Bezug auf die Altersgrenzen besser aufzeigen zu
können. So werden die Verbesserungen va für junge Erwachsene, die sowohl das
StRÄG 2015 als auch die JGG Novelle mit sich bringen, verdeutlicht.
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1 Vorstellung der einzelnen Sachverhalte
Der Arbeit liegen drei Fälle zu Grunde, die allesamt nach § 80 StGB als fahrlässige
Tötung zu werten sind. Sie unterscheiden sich nur im Alter der Täter. Hinzu kommt, dass
das Opfer jeweils ein naher Angehöriger des Täters ist. Die besondere persönliche
Betroffenheit jedes einzelnen Täters ist zweifelsfrei zu bejahen. Die Arbeit soll in der
Folge aufzeigen, welche unterschiedlichen Strafzumessungen bzw Erledigungsvarianten
es für die verschiedenen Altersstufen im Strafgesetzbuch bzw im Jugendgerichtsgesetz
gibt.
1.1 Jugendlicher
Ein 17-jähriger L17-Ausbildungsfahrer macht mit seinem Vater im Herbst 2013 in
Oberösterreich im Rahmen seiner Führerscheinausbildung eine Übungsfahrt, bei der es
auf der Westautobahn zu einem Unfall kommt. Der Jugendliche ist von der linken
Fahrspur plötzlich auf die Innenfahrbahn geraten und ist einem dort fahrenden
Sattelschlepper mit Anhänger auf der linken hinteren Seite aufgefahren. Durch den
Aufprall wurde sein am Beifahrersitz sitzender Vater getötet.
Ein gerichtlich beeideter Sachverständiger konnte einen Defekt am Fahrzeug
ausschließen. Laut Gutachten war ein Fahrfehler der Auslöser. Die StA wirft dem
Jugendlichen vor, die im Straßenverkehr gebotene Aufmerksamkeit und Sorgfalt außer
Acht gelassen zu haben und durch den Spurwechsel eine Kollision mit dem
Sattelanhänger verursacht zu haben. In weiterer Folge musste der 17 Jährige, der mit
seinem Vater ein gutes Einvernehmen hatte, psychologische Hilfe in Anspruch nehmen1.
1.2 Junger Erwachsener
Um die Strafbarkeit der jungen Erwachsenen näher zu erläutern wurde der oben
angeführte Fall des Jugendlichen dahingehend abgewandelt, dass der Lenker im
Tatzeitpunkt mittlerweile 18 Jahre alt war und nunmehr als junger Erwachsener zu
beurteilen ist. Ein durch einen Fahrfehler verursachter Verkehrsunfall hat zum Tod des
Vaters des 18-jährigen Lenkers geführt. Ein Defekt am Fahrzeug kann ausgeschlossen
werden. Der Fahranfänger ist von seiner Fahrspur abgekommen und einem
Sattelanhänger in der hinteren linken Seite aufgefahren, wodurch der Vater des jungen
Erwachsenen getötet wurde. Der junge Erwachsene, der mit seinem Vater ein gutes
Einvernehmen hatte, musste daraufhin psychologisch betreut werden.
1 Krieglsteiner, OÖ Nachrichten Onlineausgabe vom 17. Nov. 2013.
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1.3 Erwachsener
Eine 33-jährige Mutter hat im Frühjahr 2015 ihr Kleinkind im Kinderwagen am Bahnsteig
abgestellt und ist ins Untergeschoß gefahren, um Tickets zu kaufen. Der Bahnsteig war
zu den Gleisen hin leicht abschüssig. Während die Mutter im Untergeschoß war, hat ein
Güterzug den Bahnhof zügig passiert. Der Kinderwagen hat sich in Bewegung gesetzt
und ist auf die Gleise gerollt. Das Kleinkind wurde vom durchfahrenden Zug erfasst und
erlitt tödliche Verletzungen. Die Mutter musste von einem Kriseninterventionsteam betreut
werden2.
Alle drei oben geschilderten Sachverhalte haben gemein, dass der einzelne Beschuldigte,
durch den Tod eines Angehörigen schwer persönlich betroffen ist. Jeder Einzelne stand
nach der Tat unter Schock und musste psychologisch Betreut werden. In der Folge soll
aufgezeigt werden, dass das Strafrecht unterschiedliche Erledigungsmöglichkeiten für die
verschiedenen Altersstufen bietet.
Es wird in weiterer Folge auf die spezial- und generalpräventive Notwendigkeit einer
Bestrafung solcher Fahrlässigkeitsdelikte mit schwerer persönlicher Betroffenheit
eingegangen und diskutiert, ob ein Festhalten an starren Altersgrenzen, gerade bei solch
dramatischen Fällen, geboten erscheint.
2 APA, Presse Onlineausgabe vom 08. Apr. 2015.
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2 Differenzierung und Erläuterung der Altersgrenzen
2.1 Unmündiger
Ein Unmündiger iSd Jugendgerichtsgesetz ist per Legaldefinition des § 1 JGG ein
Mensch, der das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Strafrechtliche Vergehen
eines Unmündigen bleiben straflos3.
2.2 Jugendlicher
Jugendliche sind Personen, die zwar die Mündigkeitsgrenze bereits überschritten haben
und daher prinzipiell, wenn auch nur unter den Einschränkungen des JGG, strafbar sind,
aber das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 1 Z 2 JGG). Ab dem Folgetag des
14. Geburtstags beginnt die Strafmündigkeit. Dies entspricht auch der Legaldefinition des
§ 74 Abs 1 Z 3 StGB. Eine Schuldunfähigkeit und daraus resultierende Strafunmündigkeit
jugendlicher Straftäter kann sich nur in Ausnahmefällen und nur auf Grund verzögerter
Reife gem § 4 Abs 2 Z 1 JGG ergeben4.
Als Jugendstraftat bezeichnet man eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, die
von einem Jugendlichen begangen wurde (§ 1 Z 3 JGG).
2.3 Junger Erwachsener
Nach Vollendung des 18. Lebensjahres beginnt im Strafrecht die Phase des jungen
Erwachsenen. Das sind Personen, die das 18. Lebensjahr bereits vollendet haben bis hin
zur Vollendung des 21. Lebensjahres. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass Straftaten
junger Menschen sehr häufig entwicklungsbedingt begangen werden und ein Ausdruck
der „Adoleszenzkrise“ sind5. Er hat für junge Straftäter eine Zwischenstufe zwischen
Jugendlichen und Erwachsenen geschaffen, da nach Überwindung der Adoleszenzkrise
die Straftatneigung meist von selbst abnimmt. Aus diesem Grund steht der
Erziehungsgedanke bei der Strafbarkeit junger Erwachsener im Vordergrund, mit dem
Ziel, den jungen Straftäter wieder voll in die Gesellschaft zu integrieren.
In diesem Lebensabschnitt kommt den jungen Erwachsenen, bei strafrechtlichen
Vergehen, der Strafmilderungsgrund des geringen Alters (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB) zugute
und es gelten die reduzierten Strafrahmen des § 36 StGB.
3 Schroll in WK
2, § 1 JGG Rz 7.
4 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT
14, Z 16, Rz 5.
5 Fuchs, in FS Jesionek, 77.
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2.4 Erwachsener
Erwachsene sind nach dem Strafgesetzbuch all jene Personen, die bereits das 21.
Lebensjahr vollendet haben und somit nicht mehr als junge Erwachsene einzustufen sind.
Die Strafrahmen im Besonderen Teil des Strafgesetzbuches sind auf Taten Erwachsener
zugeschnitten, sie stellen die Norm dar.
Falls nicht ein geänderter Strafrahmen (§ 36 StGB) für junge Erwachsene anwendbar ist,
gelten grundsätzlich die Strafrahmen Erwachsener gleichfalls auch für junge Erwachsene.
In dieser Arbeit wird in der Folge immer von der Strafzumessung des Erwachsenen auf
die speziellen Strafzumessungen Jugendlicher bzw junger Erwachsener herunter
gebrochen.
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3 Generelle Strafbarkeit
3.1 Fahrlässigkeit
Fahrlässiges Handeln ist gem § 7 Abs 1 StGB e contr nur dann strafbar, wenn das Gesetz
einen eigenen Tatbestand vorsieht, der fahrlässiges Handeln ausdrücklich sanktioniert.
Dies hat der Gesetzgeber für fahrlässige Tötung in § 80 StGB getan. Die Fahrlässigkeit
an sich wird in § 6 StGB näher ausgeführt und ist demnach die „Außer-Acht-Lassung“ der
gebotenen Sorgfalt – unerheblich, ob es sich dabei um bewusste (Abs 2) oder
unbewusste (Abs 1) Fahrlässigkeit handelt – zu der man nach den Umständen verpflichtet
und nach den geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt wäre. Die Einhaltung der
gebotenen Sorgfalt müsste im Tatzeitpunkt zumutbar gewesen sein. Die „Außer-Acht-
Lassung“ der gebotenen Sorgfalt muss dazu führen, dass man nicht erkennt, dass man
einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht.
3.2 Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts
Der strafrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff setzt sich aus der objektiven Sorgfaltswidrigkeit
der Handlung, der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit der Handlung, der objektiven
Voraussehbarkeit des Erfolgs und der subjektiven Voraussehbarkeit des Erfolgs
zusammen6.
3.2.1 Objektiver Tatbestand - Fahrlässigkeitsdelikt
Die objektive Sorgfaltswidrigkeit der Handlung zielt auf die in § 6 umschriebene
„Außer-Acht-Lassung“ der Sorgfalt ab und kann durch Verletzung von Rechtsnormen oder
Verkehrsnormen erwirkt werden oder subsidiär durch den Vergleich mit dem Verhalten
einer differenzierten Maßfigur7. Das Ganze ist aus einer ex-ante Betrachtung zu
beurteilen. Abzustellen ist auf einen einsichtigen und besonnenen Menschen aus dem
Verkehrskreis des Täters, ausgestattet mit dessen Sonderwissen, in der konkreten
Situation8. Wenn dieser „Maßmensch“ aus dem Verkehrskreis des Täters, in der gleichen
Situation anders gehandelt hätte, ist dem Täter die Sorgfaltswidrigkeit objektiv
vorzuwerfen.
Die objektive Zurechnung des Erfolges setzt bei den Fahrlässigkeitsdelikten den
Adäquanzzusammenhang und den Risikozusammenhang voraus9. Sie dient als Korrektiv
ausufernder Anwendungsfälle. Es wird die objektive Vorhersehbarkeit des Erfolges
betrachtet.
6 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT
14, Z 25, Rz 6.
7 Reitmaier, Die objektive Erfolgszurechnung im österreichischen Strafrecht, 45.
8 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT
14, Z 25, Rz 9.
9 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT
14, Z 27, Rz 1.
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Der Adäquanzzusammenhang wirkt als erster grober Filter und soll gänzlich atypische
Kausalverläufe ausschließen. Der Täter soll nur für jenen Erfolg haften, den ein
einsichtiger und besonnener Mensch in der Lage des Täters auch vorhersehen hätte
können – nur für Erfolge, die innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegen. Der
Risikozusammenhang verknüpft den eingetretenen Erfolg mit dem jeweils angelasteten
Sorgfaltsverstoß. Er ist nur dann objektiv zuzurechnen, wenn sich gerade jenes Risiko
verwirklicht hat, dem die übertretene Sorgfaltsnorm entgegenwirken wollte10. Als letztes
Korrektiv ist die Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten zu
prüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, ob das rechtswidrige Verhalten, das der Täter
gesetzt hat, den Eintritt des Erfolges gegenüber einem rechtmäßigen Verhalten
zweifelsfrei erhöht hat. Dabei wird ein hypothetisches, rechtmäßiges Alternativverhalten
des Täters angenommen und seinem tatsächlichen Verhalten gegenübergestellt und
abgewogen, ob das rechtmäßige Alternativverhalten zur Vermeidung des
tatbestandsmäßigen Erfolgs geeignet gewesen wäre.
3.2.2 Subjektiver Tatbestand
Auf der subjektiven Seite des Tatbestands schaut man sich beim Fahrlässigkeitsdelikt
besonders die subjektive Erkennbarkeit des geschaffenen Risikos an. Die subjektive
Sorgfaltswidrigkeit wird idR durch die objektive indiziert. Sie entfällt, wenn dem Täter im
Tatzeitpunkt durch besondere geistige oder körperliche Verhältnisse die Einhaltung der
objektiv geschuldeten Sorgfalt, nach seinen persönlichen Verhältnissen, nicht möglich
war.
Die subjektive Zurechnung des Erfolgs setzt voraus, dass der Handelnde den
eingetretenen Erfolg und den zu ihm führenden Kausalverlauf, wenn auch nur in seinen
Grundzügen, subjektiv voraussehen konnte11. Wie bei der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit
wird auch die subjektive Vorhersehbarkeit durch die objektive indiziert. In der Praxis hat
die subjektive Vorhersehbarkeit so gut wie keine Bedeutung, da bei einem atypischen
Kausalverlauf bereits die objektive Vorhersehbarkeit entfiele12.
3.3 § 80 Fahrlässige Tötung
Die fahrlässige Tötung bildet neben den anderen Fahrlässigkeitsdelikten gegen Leib und
Leben den Kernbereich des „Verkehrsstrafrechts“. Geschütztes Rechtsgut ist demnach
die körperliche Unversehrtheit des Menschen13.
10
Burgstaller in WK2 StGB, § 6, Rz 65.
11 Burgstaller in WK
2 StGB, § 6, Rz 93.
12 Burgstaller in WK
2 StGB, § 6, Rz 98.
13 Schwab, ZVR 1992, 236.
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3.3.1 Tatbestand
Der Tatbestand des § 80 StGB setzt voraus, dass jemand anderes als der Täter
fahrlässig, durch die Vornahme einer objektiv sorgfaltswidrigen Handlung, getötet wird.
Der für § 80 StGB maßgebliche Erfolg ist der Tod eines anderen Menschen. Dieser muss
iSd Äquivalenztheorie kausal verursacht worden sein und es darf sich nicht um einen
atypischen Kausalverlauf handeln, der die Vorhersehbarkeit des Erfolgs ausschließen
würde. Maßgeblich bei Fahrlässigkeitsdelikten ist, dass dem Täter im Tatzeitpunkt
jeglicher Vorsatz fehlt14 und er bloß die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die
den Eintritt des Erfolgs mit großer Wahrscheinlichkeit verhindert hätte.
3.3.2 Abgrenzung zu § 81 StGB
Die fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 81 StGB) ist formell
betrachtet ein selbstständiges Delikt, das einen gesteigerten Handlungsunwert gegenüber
§ 80 StGB aufweist. Der Erfolg ist der Gleiche wie bei der fahrlässigen Tötung – der Tod
eines anderen. § 81 normiert drei selbstständige Deliktsfälle iSv Deliktsqualifikationen15.
Z 1 sanktioniert die Begehung unter besonders gefährlichen Verhältnissen.
Abzustellen ist nach der Judikatur auf den gesteigerten Gefährlichkeitsgrad, auf eine
gesteigerte Reichweite kommt es gerade nicht an. Darunter sind sehr häufig Fälle aus
dem Straßenverkehr zu qualifizieren, aber um § 81 Abs 1 zu erfüllen bedarf es noch nicht
alleine der gefährlichen Handlung – das Autofahren an sich, – sondern das Vorliegen
besonders gefährlicher Verhältnisse, sei es auch in einer bereits an sich gefährlichen
Situation, die jedoch von der Rechtsprechung gebilligt wird. Diese besonders gefährlichen
Verhältnisse sind nach der hL dann anzunehmen, wenn ex-ante betrachtet nach der
allgemeinen Lebenserfahrung eine außergewöhnlich hohe Wahrscheinlichkeit eines
Unfalls mit tödlichem Ausgang oder schweren Verletzungen begründet wird16.
Z 2 erfasst Fälle, die der Täter im Minderrausch begeht. Ein Minderrausch ist dann
gegeben, wenn die Zurechnungsfähigkeit nicht zur Gänze ausgeschlossen werden kann.
Die Rauschtat umfasst nicht nur Taten unter Alkoholeinfluss, sondern auch Taten, die
unter Einwirkung anderer Suchtgifte oder psychotroper Stoffe iSd Suchtmittelgesetzes
verübt wurden17. Dabei ist zu unterscheiden einerseits die Versetzung in den
Minderrausch und andererseits die Begehung einer gefährlichen Handlung, die den Tod
eines Menschen zur Folge hat.
14
Birklbauer/Hilf/Tipold, Strafrecht BT I3, §80, Rz 1.
15 Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I
3, § 81, Rz 4.
16 Kienapfel/Schroll, Strafrecht BT I
3, § 81, Rz 10.
17 Burgstaller in WK
2 StGB, § 81, Rz 41.
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Z 3 erfasst Fälle, in denen der Täter ein gefährliches Tier, entgegen einer
Rechtsvorschrift oder eines verwaltungsbehördlichen Auftrags, hält, verwahrt oder führt
und es dadurch zu einer fahrlässigen Tötung kommt.
3.3.3 Strafrahmen des § 80 StGB
Das Strafausmaß sieht, im Falle einer fahrlässigen Tötung gem § 80 StGB, eine bis zu
einem Jahr dauernde Freiheitsstrafe vor. Das gilt gleichermaßen für Jugendliche, junge
Erwachsene und Erwachsene Straftäter. Für Strafen bis zu einem Jahr Freiheitsentzug ist
das Bezirksgericht sachlich zuständig. Eine die Eigenzuständigkeit begründende
Ausnahme gem § 30 StPO kommt für § 80 StGB nicht in Betracht, wodurch das
Bezirksgericht durch einen Einzelrichter zu entscheiden hat.
3.4 Erwachsenenstrafrecht
3.4.1 Gerichtszuständigkeit
Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 25 StPO und richtet sich primär nach dem
Ort, an dem die Tat ausgeführt wurde. Subsidiär wird, wenn der Tatort im Ausland liegt
oder nicht ermittelt werden kann, der Ort des Erfolgseintritts herangezogen, anderenfalls
ist gem § 25 Abs 2 StPO der Wohnsitz des Beschuldigten ausschlaggebend. Sachlich
zuständiges Gericht ist das Bezirksgericht.
3.5 Junge Erwachsene
Bei der Aburteilung junger Erwachsener kommen sowohl die Bestimmungen des JGG, vor
allem in verfahrenstechnischer Hinsicht, als auch die Strafbestimmungen des
Erwachsenenstrafrechts im StGB zur Anwendung. Grundsätzlich bemisst sich der
Strafrahmen für junge Erwachsene, wie für Erwachsene auch, nach dem in § 80 StGB
festgesetzten Strafausmaß. Jungen Erwachsenen kommt, auf Grund des geringen Alters
und der oftmals daraus resultierenden Orientierungsschwierigkeiten im
Erwachsenenleben, ein gemilderter Strafsatz zu Gute, der sich bei der Strafzumessung
auswirkt. Man hat erkannt, dass die Straftaten, die junge Erwachsene verüben, meist
nicht gleichzeitig einen Einstieg in die Kriminalität per se bedeuten. Der
Erziehungsgedanke steht bei jungen Erwachsenen im Vordergrund. Der gemilderte
Strafsatz ist nur unter den strengen Grenzen des § 36 StGB anwendbar. Da die
Strafdrohung des § 80 StGB bei bis zu einem Jahr FS liegt, kann ex lege keine Milderung
des Strafrahmens gem § 36 StGB für junge Erwachsene angewendet werden und es
bleibt bei der fahrlässigen Tötung beim selben Strafrahmen wie für Erwachsene.
Seite | 12
3.5.1 Besondere Strafzumessungen bei jungen Erwachsenen
Tätern, die zwar das 18. Lebensjahr aber das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
kommen besondere Milderungsgründe des § 34 Abs 1 StGB zu Gute. Der Gesetzgeber
nimmt eine Minderung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit junger Erwachsener an
und unter dem Aspekt der mangelnden Lebenserfahrung, gewährt er ihnen diesen
Strafmilderungsgrund18. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass Straftaten, die von jungen
Erwachsenen begangen werden oft nur eine Auswirkung der Orientierungslosigkeit in der
Phase des Heranwachsens sind. Die erhöhte Neigung zur Tatbegehung ist meist nur
episodenhaft und schwächt mit zunehmendem Alter, nach Überwindung der
Adoleszenzkrise, ab19.
3.5.1.1 Herabsetzung der Strafdrohungen § 36 StGB
Bei jungen Erwachsenen tritt anstelle der lebenslangen Freiheitsstrafe eine maximal
zwanzig Jahre dauernde Freiheitsstrafe als Höchststrafmaß hinzu. Eine Strafandrohung
von lebenslang bzw zehn bis zwanzig Jahre oder lebenslang wird durch eine
Strafdrohung von fünf bis zwanzig Jahren ersetzt. Mindeststrafdrohungen von mehr als
einem Jahr Freiheitsstrafe werden auf ein Jahr Mindeststrafdrohung herabgesetzt20. Eine
Mindeststrafe von einem Jahr wird auf sechs Monate reduziert und entfällt bei
Strafdrohungen mit einer Obergrenze von fünf Jahren vollends21.
3.5.2 Gerichtszuständigkeit
Sachlich zuständig für die Aburteilung von Straftaten junger Erwachsener ist gem
§ 46a JGG das Gericht, dem sonst die Ausübung der Jugendstrafsachen obliegt.
Demzufolge findet § 27 JGG auch für junge Erwachsene Anwendung. Damit soll
sichergestellt werden, dass Strafverfahren junger Erwachsener von denselben besonders
geschulten Richtern wie im Jugendstrafrecht geführt werden22. Für die Ermittlung der
sachlichen Zuständigkeit, der Zuteilung zu den einzelnen Gerichten iSd § 29 ff StPO,
haben die herabgesetzten Strafdrohungen des § 36 StGB keine Bedeutung, es sind die
allgemeinen Strafdrohungen der einzelnen Delikte des StGB heranzuziehen. Wenn es
sich um geschworenengerichtliche bzw schöffengerichtliche Zuständigkeit handelt, muss
das Gericht nach den entsprechenden besonderen Besetzungsvorschriften für
Jugendliche gem § 28 JGG besetzt sein. Weitere prozessuale Besonderheiten betreffend
Strafverfahren junger Erwachsener sind in § 46a Abs 2 JGG angeführt.
18
Birklbauer/Schmidthuber in SbgK, § 34 StGB, Rz 21. 19
Fucik/Hopf, ÖJZ 2015/101. 20
Maleczky, Jugendstrafrecht4, 61.
21 Ebner in WK
2 StGB, § 36, Rz 3.
22 Birklbauer, Strafprozessrecht
2, Rz 21/9.
Seite | 13
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich, wie beim Erwachsenen auch, nach den
allgemeinen Regeln des § 25 StPO. Demnach ist auch bei Straftaten junger Erwachsener
der Ort der Tatausführung primär heranzuziehen.
Für § 80 StGB heißt das, dass bei einer Begehung durch einen jungen Erwachsenen der
Strafrahmen, der prinzipiell bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe vorsieht, nur durch den
Milderungsgrund des geringen Alters § 34 Abs 1 Z 1 StGB herabgesetzt werden kann. Für
dieses Delikt ändert § 36 StGB nichts an der vorgesehenen Strafdrohung.
3.6 Jugendliche
Für Jugendstraftaten hat der Gesetzgeber eigene materielle, verfahrenstechnische und
vollzugsrechtliche Bestimmungen erlassen. Zu diesem Zweck hat er abweichende
Regelungen vom StGB und der StPO, speziell für Jugendliche, im JGG von 1988
zusammengefasst. Als Jugendstraftat gilt eine Tat dann, wenn sie von einem im
Tatzeitpunkt jugendlichen Täter begangen wurde. Wie schon mehrfach erwähnt, legt der
Gesetzgeber Wert auf die Erziehung der jugendlichen Straftäter, eine Kriminalisierung
selbst von Bagatelldelikten könnte den jugendlichen Straftätern mehr schaden und sie
könnten, durch einen Strafvollzug oder einer daraus resultierenden Eintragung ins
Strafregister, in ihrem weiteren Fortkommen gehindert bzw dieses erheblich erschwert
werden.
3.6.1 Besondere Strafzumessungen bei Jugendlichen
Soweit im JGG nichts Abweichendes bestimmt ist, gelten auch für Jugendstraftaten die
allgemeinen Strafgesetze des StGB. Besondere Regelungen, die das Strafausmaß
betreffen, sind in § 5 JGG angeführt.
Im Jugendstrafrecht gilt das Primat der Spezialprävention, es hat va den Zweck, den
Täter selbst von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. Es geht nicht darum,
andere Personen von einer möglichen Tatbegehung abzuschrecken23.
Den jugendlichen Straftätern kommen gem § 5 Z 2 bis 5 JGG geänderte Strafsätze zu
Gute. Dabei wird zum Teil auch unterschieden, ob die Tat vor oder nach dem 16.
Lebensjahr begangen wurde.
Bei Straftaten, die bei Erwachsenen mit lebenslanger Freiheitsstrafe bzw mit
Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe
bedroht sind, tritt anstelle der oa Strafrahmen, wenn die Tat von einem Jugendlichen
begangen wurde, der das 16. Lebensjahr bereits erreicht hat, eine Strafdrohung von
23
Maleczky, Jugendstrafrecht4, 13.
Seite | 14
mindestens einem Jahr bis höchstens fünfzehn Jahre; wenn der Jugendliche die Tat vor
Erreichung des 16. Lebensjahres begangen hat, ändert sich die Strafdrohung auf
mindestens ein Jahr bis höchstens zehn Jahre. Eine lebenslange Freiheitsstrafe wird bei
Jugendlichen ausgeschlossen.
Eine allgemeine Strafdrohung von zehn bis zwanzig Jahren wird auf eine Freiheitsstrafe
von mindestens sechs Monaten bis auf höchstens zehn Jahre reduziert.
Bei allen anderen allgemeinen Strafrahmen, die die Androhung einer Freiheitsstrafe
enthalten, entfällt eine festgesetzte Strafuntergrenze und die Strafobergrenze wird auf die
Hälfte reduziert24.
Bei Strafen, die nach Tagessätzen bemessen werden, wird das Höchstmaß um die Hälfte
reduziert. Generell ist bei Jungendlichen bei der Verhängung von Geldstrafen, deren
Bemessung sich nach der Höhe eines Wertes, Nutzens oder Schadens richtet, stets
Bedacht auf die konkrete Lebenssituation und das weitere Fortkommen des Jugendlichen
zu nehmen.
Diese umfassende Milderung des Strafrahmens bei Jugendstraftaten erübrigt idR die
Berücksichtigung des jugendlichen Alters als besonderen Strafmilderungsumstand nach
den Bestimmungen des StGB. Demgemäß stellt § 34 Abs 1 Z 1 StGB auch nur mehr auf
die Altersgruppe der jungen Erwachsenen ab25. Eine Berücksichtigung des
Milderungsgrundes auf Grund des geringen Alters würde entgegen § 32 Abs 2 StGB dem
Doppelverwertungsverbot widersprechen.
Für die Einteilung der strafbaren Handlungen in Verbrechen und Vergehen gem
§ 17 StGB und für die strafrahmenbezogene Anwendungsgrenze des § 191 StPO – die
Einstellung wegen Geringfügigkeit – unterscheidet der Gesetzgeber das Jugendstrafrecht
nicht von den Strafbestimmungen für Erwachsene und in diesen beiden taxativ
aufgezählten Fällen des § 5 Z 7 JGG ist auch für Jugendliche der Strafrahmen des
allgemeinen Strafrechts heranzuziehen.
3.6.2 Gerichtszuständigkeit
Nach den allgemeinen Strafbestimmungen enthält § 80 StGB ein Strafausmaß von bis zu
einem Jahr Freiheitsstrafe. Da der Strafrahmen gem § 5 Z 4 JGG auf die Hälfte zu
reduzieren ist, ist bei jungendlichen Straftätern bei § 80 StGB ein Höchstmaß von bis zu
sechs Monaten anzuwenden.
24
Schroll in WK2, § 5 JGG, Rz 17.
25 Schroll in WK
2, § 5 JGG, Rz 13a.
Seite | 15
Dieses geminderte Strafmaß hat für die sachliche Gerichtszuständigkeit keine Relevanz.
Diese ist nach den allgemeinen Grundsätzen der StPO zu ermitteln. Die Abgrenzung
zwischen Bezirks- und Landesgericht bzw dem Landesgericht als ER oder dem
Landesgericht als Schöffengericht richtet sich in Jugendstrafsachen gem § 27 Abs 2 JGG
nach den allgemeinen Regeln der sachlichen Zuständigkeit in der StPO. Auch die
Eigenzuständigkeiten sind in Jugendstrafsachen den §§ 30 ff StPO zu entnehmen26.
Dem zur Folge ist bei der fahrlässigen Tötung gem § 80 StGB, die durch einen
Jugendlichen begangen wurde, das Bezirksgericht das sachlich zuständige Gericht.
Die örtliche Zuständigkeit richtet sich gem § 29 JGG, anders als im
Erwachsenenstrafrecht bzw bei jungen Erwachsenen, nach dem gewöhnlichen Aufenthalt
des Beschuldigten zur Zeit des Beginns des Strafverfahrens.
Gem § 1 Abs 2 StPO beginnt das Strafverfahren, sobald Kriminalpolizei oder
Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren zur Aufklärung eines Anfangsverdachts
einleiten. Ein Anfangsverdacht liegt gem § 1 Abs 3 StPO dann vor, wenn auf Grund
bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen
worden ist.
Der gewöhnliche Aufenthalt wird nach § 66 Abs 2 JN nach tatsächlichen Umständen
bestimmt. Maßgebend ist der Ort, der als nicht bloß vorübergehender Lebensmittelpunkt
dient27. Erst wenn kein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland besteht, kommen gem § 31
JGG die allgemeinen Vorschriften für das Verfahren in Strafsachen zur Anwendung. Die
örtliche Zuständigkeit würde sich dann nach den §§ 25 und 36 StPO richten und es wäre
subsidiär wie bereits oa das Tatortgericht zuständig28.
3.7 Präventionsgedanke
Im österreichischen Strafrecht ist Ausgangspunkt der Strafe die Schuld des Täters. Die
Schuld des Täters ist nicht nur Voraussetzung, sondern auch gleichzeitig Begrenzung der
Strafe. Die verhängte Strafe darf das Maß der Schuld nicht übersteigen29. Man
unterscheidet zwei Straftheorien, einerseits die zweckfreien, absoluten Straftheorien und
andererseits die zweckorientierten, relativen Straftheorien30.
26
Maleczky, Jugendstrafrecht4, 30.
27 vgl JBl 1999, 62; mwN OGH 15 Nds 1/98.
28 Schroll in WK
2, § 29 JGG, Rz 12.
29 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT
14, Z 2, Rz 2.
30 Ebner in WK
2 StGB, Vor zu §§ 32–36, Rz 6.
Seite | 16
3.7.1 Absolute Straftheorie
Die bedeutendsten Vertreter der zweckfreien, absoluten Straftheorie waren Kant und
Hegel31. Die absolute Straftheorie basiert auf dem Vergeltungsgedanken. Die Strafe wird
als Ausgleich für die Tat angesehen, als gerechter Schuldausgleich. Sie hat zu erfolgen,
weil die Tat an sich nicht ungesühnt bleiben kann. Dem Täter muss das widerfahren, was
er verursacht hat, um Gerechtigkeit wieder herzustellen32. Die Strafe verfolgt keinerlei
weiteren Zweck, als Vergeltung und Sühne. Nach hL ist den Strafzwecken der absoluten
Strafrechtstheorie, für die Strafzumessung, heute kaum noch Bedeutung zu schenken.
3.7.2 Relative Straftheorie
Im Gegensatz zu den absoluten Straftheorien verfolgt die relative Straftheorie den Ansatz
der Verbrechensverhütung künftiger Straftaten. Dabei unterscheidet man die Vermeidung
künftiger Straftaten beim Täter selber (Spezialprävention, dessen bekanntester Vertreter
von Liszt war33) von der Abschreckung der Allgemeinheit von der Begehung strafbarer
Handlungen (Generalprävention). Sie ist auf Feuerbach34 und Beccaria35
zurückzuführen. Die Strafe wird als Mittel zum Zweck angesehen. Der Zweck
unterscheidet sich, je nach Präventionsgedanken, in die Abschreckung der Allgemeinheit
oder die Zuführung zur Rechtstreue des konkreten Täters36.
3.7.2.1 Spezialprävention
Die Spezialprävention richtet sich gegen die tatsächliche Gefährlichkeit des konkreten
Täters, sie siedelt die präventive, die Strafe rechtfertigende Wirkung beim Täter selbst
an37. Sie soll ihn zum einen von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abhalten
und ihn zu einem rechtstreuen Verhalten erziehen – negative Spezialprävention – und
ihm zum anderen die Möglichkeit zur Besserung und Resozialisierung – positive
Spezialprävention – bieten. Die Spezialprävention will, durch das unmittelbare Einwirken
auf den konkreten Täter, weitere Tatbegehungen verhindern.
3.7.2.2 Generalprävention
Unter Generalprävention versteht man die Abschreckung anderer Personen als den Täter
von der Begehung künftiger Straftaten. Dabei ist die erzieherische Wirkung der Strafe auf
die Allgemeinheit ausschlaggebend38. Die Generalprävention ist in der Lehre sehr
umstritten, da die abhaltende Wirkung auf die Allgemeinheit nicht gemessen werden
31
Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 19.
32 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT
14, Z 2, Rz 5.
33 Meier, Strafrechtliche Sanktionen
3, 24.
34 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT
14, Z 2, Rz 6.
35 Meier, Strafrechtliche Sanktionen
3, 21.
36 Ebner in WK
2 StGB, Vor zu §§ 32–36, Rz 13.
37 Meier, Strafrechtliche Sanktionen
3, 24.
38 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT
14, Z 2, Rz 10.
Seite | 17
kann. Mittlerweile ist es aber allgemein anerkannt, dass der Reaktion auf eine Straftat,
sprich die Androhung, Verhängung und Vollstreckung der Strafe39, gegenüber der
Allgemeinheit eine abschreckende Wirkung zukommt. Die Höhe der Strafe hingegen ist
unbeachtlich und dient nicht der Abschreckung.
Die Generalprävention wird nach hM in negative Generalprävention und positive
Generalprävention unterteilt. Die negative Generalprävention ist die Abschreckung der
Allgemeinheit durch Furcht vor Strafe40. Die positive Generalprävention, der mittlerweile
der Vorzug gegeben wird, soll das Vertrauen der Allgemeinheit in die Einhaltung der
Rechtsordnung stärken.
Der Präventionsgedanke und die Unterscheidung der relativen Straftheorie in General-
und Spezialprävention sind besonders für die Strafzumessung von Bedeutung, da die
Strafe nur nach Maßgabe der Schuld verhängt werden darf.
3.8 Persönliche Betroffenheit
Der Begriff der persönlichen Betroffenheit ist im Strafrecht nicht gesetzlich determiniert. Er
findet sich sowohl bei der persönlichen Betroffenheit von Opfern als auch bei der
Diversion im Jugendstrafrecht wieder.
Im Opferschutz stellt sich die Frage der persönlichen Betroffenheit meist im
Zusammenhang mit dem Rechtsanspruch auf Prozessbegleitung. Das entscheidende
Kriterium für die Beurteilung ist die psychische Beeinträchtigung des Opfers, die sich auf
Grund der schlimmen Auswirkungen der Tat beim Opfer einstellen kann. Sei es durch
posttraumatische Belastungsstörungen, Traumatisierungen, Depressionen etc41.
Im Jugendstrafrecht findet die persönliche Betroffenheit zudem im § 7 JGG ihre
Anwendung. So ist eine fahrlässige Straftat, die den Tod eines Angehörigen zur Folge
hat, dann diversionsfähig, wenn der Beschuldigte durch die Tat schwere psychische
Belastungen erfährt, die eine Bestrafung des Täters nicht mehr notwendig erscheinen
lässt. Für die Abwägung, ob eine schwere psychische Belastung durch den Tod eines
Angehörigen gegeben ist, ist die Schwere der Schuld zu berücksichtigen sowie sind
spezialpräventive Überlegungen anzustellen, ob eine Strafe im konkreten Fall geboten
erscheint.
Nachbaur spricht in Bezug auf den Opferschutz jedenfalls von einem außergewöhnlich
belastenden Ereignis, wenn man den Verlust von Angehörigen durch eine Straftat,
miterlebt. Konsequenterweise ist von einer Steigerung der psychischen Belastung
39
Meier, Strafrechtliche Sanktionen3, 21.
40 Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT
14, Z 2, Rz 11.
41 Nachbaur, JSt 2010, 50.
Seite | 18
auszugehen, wenn man den Tod eines Angehörigen nicht nur mitbekommt, sondern ihn
selbst fahrlässig verursacht hat. Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Bemessung
der Strafe gem § 32 Abs 1 StGB. Dabei sind stets die spezialpräventiven Überlegungen
hinter einer Strafe zu berücksichtigen. Der spezialpräventive Zweck einer jeden Strafe ist
den Täter von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten42. Eine fahrlässige
Tatbegehung reduziert auf Grund des geringen Handlungs- und Gesinnungsunrechts die
Schuld des Täters. Dadurch, dass der Täter durch die nachteiligen Folgen der Tat –
unmittelbar oder mittelbar – betroffen ist, wird eine positive Präventionsprognose
vermutet43. Wenn der notwendig vorausgesetzte, entsprechend hohe psychische
Leidensdruck des Beschuldigten alleine durch die Verursachung des Todes eines
Angehörigen so groß ist, dass eine Durchführung des Strafverfahrens bzw Bestrafung
nicht erforderlich scheint, kann man von einem weiteren die Schuld reduzierenden
Umstand sprechen und von schwererer persönlicher Betroffenheit iSd § 7 JGG
ausgehen44.
3.9 Täterbetroffenheit
Der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 19 StGB ist dann anzuwenden, wenn der Täter
dadurch betroffen ist, dass er oder eine ihm persönlich nahestehende Person durch die
Tat am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt wurde oder er sonstige
gewichtige tatsächliche oder rechtliche Nachteile durch die Folgen der Tat erlitten hat.
Dieser Gedanke entspricht dem Ultima-Ratio Prinzip des Strafrechts und soll in erster
Linie general- und spezialpräventive Überlegungen bedienen. Je mehr der Täter alleine
durch die Folgen der Tatbegehung betroffen ist, desto weniger ist eine Einwirkung durch
Strafe notwendig45.
Strafminderung kommt nur dann in Betracht, wenn die Tatfolgen unmittelbar dem Täter
persönlich nahe stehenden Personen treffen oder der Täter selbst mittelbar – sei es
emotional oder wirtschaftlich – davon betroffen ist46. Um den Strafmilderungsgrund der
Täterbetroffenheit gewähren zu können, muss nicht zwangsläufig nur ein Angehöriger des
Täters von den Tatfolgen betroffen sein. Es sind auch alle dem Täter unter Schutz
gestellten oder ihm persönlich nahe stehenden Personen von dem Milderungsgrund
erfasst. Der Personenkreis, der für eine Anwendung des § 34 Abs 1 Z 19 in Betracht
kommt, richtet sich nach § 74 Abs 1 Z 5 aE47.
42
Jerabek in WK2 StGB, § 43, Rz 16.
43 Birklbauer/Schmidthuber in SbgK, § 34 StGB, Rz 136.
44 ErlRV 231 BlgXXIII.GP, 28; mwN Schroll in WK
2, § 7 JGG, Rz 19.
45 Ebner in WK
2 StGB, § 34, Rz 40.
46 Ebner in WK
2 StGB, § 34, Rz 42.
47 Birklbauer/Schmidthuber in SbgK, § 34 StGB, Rz 140.
Seite | 19
Bei vorsätzlichem Handeln findet der Milderungsgrund keine Anwendung48. Jedoch selbst
der Eintritt eines besonders schweren Erfolges, wie der Tod, der fahrlässig herbeigeführt
wird, hindert die Anwendbarkeit des § 34 Abs 1 Z 19 StGB nicht. Der Milderungsgrund der
Täterbetroffenheit findet besonders bei Verkehrsdelinquenz, wo eine dem Täter
nahestehende Person verletzt oder getötet wird, Anwendung49.
48
Ebner in WK2 StGB, § 34, Rz 40a.
49 Ebner in WK
2 StGB, § 34, Rz 42.
Seite | 20
4 Erledigungsvarianten – alternative Erledigung
4.1 Diversion – im allgemeinen Strafrecht
4.1.1 Definition
Bei dem aus den USA kommendem Begriff der Diversion handelt es sich um Fälle des
unteren und mittleren Kriminalitätsbereichs, bei denen der Staat auf ein förmliches
Strafverfahren und die Verhängung von Sanktionen im formellen Sinne, durch
Urteilsspruch verzichtet50. Wörtlich bedeutet er so viel wie „Umlenkung“ bzw „Ableitung“.
Dies lässt bereits erkennen, worum es geht. Strafverfahren sollen „umgeleitet“ werden.
Weg von den klassischen Erledigungsvarianten, hin zu alternativen, informellen
Erledigungsformen51. Das spiegelt den Ultima-Ratio Gedanken des Strafrechts wider. Es
soll nur eine Strafe verhängt werden, wenn es kein gelinderes und besser geeignetes
Mittel gibt, den vom rechten Weg Abgekommenen wieder zurück auf den rechten Weg zu
führen. Durch die Einführung der Diversion in Österreich wurde der internationalen
Tendenz zu einer alternativen Erledigungsvariante im Strafrecht nachgegeben52. In
Österreich wurde die Diversionsregelung mit der Strafprozessnovelle 1999
(BGBl I 55/1999) eingeführt. Zuvor wurde sie bereits ab Mitte der 80er Jahre im
Jugendstrafrecht und davor schon im Suchtgiftrecht erprobt53.
Diversion bedeutet keine „Entkriminalisierung“54. Die Tat bleibt strafbares Verhalten, sie
führt nur nicht zur Sanktionierung. Der Beschuldigte muss in einem dem Strafverfahren
vorgelagertem Verfahren seine Bereitschaft, Verantwortung für die Tat zu übernehmen,
unter Beweis stellen55. Neben den ursprünglichen Reaktionsmöglichkeiten wie der
Verhängung einer Geld- oder Freiheitsstrafe oder der Verhängung einer vorbeugenden
Maßnahme wird sie als „dritte Spur“ des österreichischen Strafrechts bezeichnet. Sie ist
eine Möglichkeit, auf den Beschuldigten ohne Stigmatisierung durch einen Schuldspruch,
gezielt unter Berücksichtigung des Präventionsgedankens, einwirken zu können und auch
die Opferinteressen unter dem Wiedergutmachungsaspekt mit einzubeziehen.
Je nach Intensität des Eingriffs unterscheidet man schlichte und intervenierende
Diversion. Die intervenierende Diversion bedarf der freiwilligen Mitwirkung des
Beschuldigten, um von der Strafverfolgung abzusehen. Das Verfahren ist vorläufig
50
Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14
, E 10, Rz 3. 51
Hinterhofer, Diversion statt Strafe, 4. 52
Seiler, AnwBl 2001, 445. 53
Hurich, JAP 2013/2014/23, 200. 54
Burgstaller in Miklau/Schroll, Diversion, 12. 55
Maleczky, Strafrecht AT II18
, 17.
Seite | 21
eingestellt, der Beschuldigte muss sich an die Auflagen und Weisungen halten, um nicht
doch nachträglich eine Wiederaufnahme des „klassischen“ Strafverfahrens zu erwirken.
Die schlichte Diversion hingegen ist ein bloßes Einstellen der Strafverfolgung unter den
gesetzlichen Voraussetzungen, die kein weiteres Zutun des Beschuldigten erfordert.
4.1.2 Voraussetzungen der intervenierenden Diversion § 198 ff StPO
Eine intervenierende Diversion kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn es sich
um eine von Amts wegen zu verfolgende Straftat (Offizialdelikt) handelt, eine Einstellung
wegen Geringfügigkeit oder die Einstellung aus rechtlichen bzw tatsächlichen Gründen
nach den §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommt und der, dem Verfahren
zugrundeliegende Sachverhalt, hinreichend geklärt ist. Ein Sachverhalt gilt dann als
hinreichend geklärt, wenn alle wesentlichen Beweise aufgenommen wurden und bei
einem Strafverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verurteilung des Beschuldigten
festgestellt werden würde56.
Ein wichtiger Aspekt bei der Diversion ist die Freiwilligkeit des Beschuldigten, er hat die
Möglichkeit bis zum endgültigen Rücktritt der Verfolgung die Fortsetzung des Verfahrens
zu verlangen57 und das Anbot des Staatsanwaltes für eine diversionelle
Verfahrenserledigung abzulehnen.
Eine Diversion gem § 198 Abs 2 Z 2 StPO setzt voraus, dass die Schuld des
Beschuldigten nicht als schwer iSd § 32 StGB anzusehen wäre. Schuld ist bei der
Entscheidung für oder gegen eine diversionelle Maßnahme iSd Strafzumessungsschuld
zu verstehen58. Eine schwere Schuld ist nicht erst bei Überwiegen von
Erschwerungsgründen gem § 33 StGB anzunehmen59. Ein schweres Verschulden liegt
dann vor, wenn Handlungs- und Erfolgsunrecht sowie der Gesinnungsunwert insgesamt
im Rahmen einer Gesamtbewertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen sind60.
Folglich dann, wenn der typischerweise von Tätern verwirklichte Unrechts- und
Schuldgehalt erheblich überstiegen wird61.
Problematisch ist die Bestimmung der Schwere der Schuld meist bei
Fahrlässigkeitsdelikten. Hier steht die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung im
Vordergrund. Die bewusste Verletzung elementarer Verkehrsvorschriften, verbunden mit
einem erhöhten Unfallrisiko, erhöht den Gesinnungsunwert. Von einem geringen
56
Loderbauer, ZVR 2009/245, 475. 57
Schroll in WK StPO, § 198 StPO, Rz 10. 58
Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14
, E 10, Rz 13. 59
vgl OGH 13 Os 111/00. 60
vgl OGH 12 Os 18/03; mwN OGH 14 Os 38/02. 61
Maleczky, Strafrecht AT II18
, 19.
Seite | 22
Gesinnungsunwert ist dann auszugehen, wenn lediglich Verkehrsvorschriften übersehen
werden, bloße Aufmerksamkeitsfehler passieren oder eine verspätete Reaktion der
Auslöser war. Ein positives Nachtatverhalten reduziert den Gesinnungsunwert62. Der
Handlungsunwert wird durch die Art und Weise der Tatbegehung beschrieben und ist bei
Fahrlässigkeit als gering einzustufen. Je geringer der Erfolgsunwert an sich – also die
Schädigung oder Gefährdung anderer – ist, desto mehr Raum kann dem
Gesinnungsunwert zugesprochen werden und ein Ausscheiden der Diversion ist nur bei
einer Tatbegehung durch erheblichen sozialen Störwert möglich63.
Eine diversionelle Verfahrensbeendigung ist nur dann möglich, wenn es nicht aus
general- oder spezialpräventiven Gründen geboten erscheint, eine gerichtliche
Verurteilung anzustrengen64. Die Rsp ist besonders bei fahrlässiger Verkehrsdelinquenz
geneigt, auf Grund der Häufigkeit der verübten Delikte und des großen potentiellen
Täterkreises, die Diversion aus generalpräventiven Gründen von vornherein abzulehnen.
Dem sei entgegen zu halten, dass keine generalpräventiven Bedenken bei Verzicht auf
den Schuldspruch bzw die Strafe bestünden, sobald die Bevölkerung die konkrete
Diversionsform als adäquate strafrechtliche Reaktion auf das Fehlverhalten des Täters
wahrgenommen hat65. Überlegungen zur Prävention sind stets auf den Einzelfall
abzustellen. Dabei ist zu beachten, dass eine intervenierende sozialkonstruktive
Diversionsmaßnahme künftiger Delinquenz besser entgegensteuern kann als ein
Schuldspruch mit bedingt nachgesehener Strafe66. Der Täter muss sich bei der Diversion
mit seiner Tat bewusst auseinander setzten und den entstandenen Schaden beim Opfer
so gut als möglich wiedergutmachen. Alleine schon die Tatsache, dass der Beschuldigte
bei einer Diversion keine Eintragung ins Strafregister zu erwarten hat, die ihm eine soziale
Stigmatisierung vor allem im beruflichen Umfeld bringt, zeigt den Vorteil einer Diversion
auf.
4.1.3 Arten der intervenierenden Diversion
4.1.3.1 Zahlung eines Geldbetrages – § 200 StPO
Der Staatsanwalt bietet dem Beschuldigten an, freiwillig einen bestimmten Geldbetrag
binnen 14 Tagen zu Gunsten des Bundes zu zahlen. Die Geldstrafe darf maximal in der
Höhe von 180 Tagessätzen, zuzüglich hypothetischer Verfahrenskosten im Falle einer
Verurteilung, betragen. Ein Zahlungsaufschub kann dem Beschuldigten unter den in
§ 200 Abs 2 festgesetzten Bestimmungen dann gewährt werden, wenn ihn die Zahlung
62
Schwaighofer, ZVR 2008/119, 280. 63
Schwaighofer, ZVR 2008/119, 279; vgl OGH Os 42/07a. 64
Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14
, E 10, Rz 14. 65
Burgstaller, ZVR 2009/244, 471. 66
vgl Pilgram/Hirtenlehner/Kuschej, ÖJZ 2001, 210.
Seite | 23
des festgesetzten Geldbetrages unbillig hart treffe. Er kann längstens für sechs Monate
gewährt werden. Um das Verfahren einstellen zu können, muss der Beschuldigte darüber
hinaus von sich aus einen Nachweis erbringen, dass er den allfälligen Schaden beim
Opfer, innerhalb einer höchstens sechsmonatigen Frist, ersetzt hat. Nach erbrachter
Leistung des Geldbetrages und Wiedergutmachung des Schadens hat der Staatsanwalt
das Verfahren gem Abs 5 einzustellen, sofern nicht eine nachträgliche Fortsetzung nach
§ 205 StPO eintritt67.
4.1.3.2 Die Erbringung gemeinnütziger Leistungen – § 201 StPO
Der Staatsanwalt kann von der Verfolgung der Straftat vorläufig zurücktreten, wenn sich
der Beschuldigte ausdrücklich bereit erklärt, innerhalb von einer sechs monatigen Frist
gemeinnützige Leistungen unentgeltlich in seiner Freizeit zu erbringen. Sie dürfen
höchstens in einem Ausmaß von 240 Arbeitsstunden festgesetzt werden. Die
wöchentliche Arbeitszeit darf 40 Stunden nicht überschreiten, wovon täglich maximal
8 Stunden anfallen dürfen. Dabei ist stets auf gleichzeitige Aus- oder Fortbildung bzw
berufliche Tätigkeiten des Beschuldigten Bedacht zu nehmen. Die vom Beschuldigten zu
erbringende Leistung muss gemeinnützig sein. Gemeinnützig sind solche Arbeiten nach
§ 35 Abs 2 BAO, die dem Gemeinwohl auf geistigem, kulturellem, sittlichem oder
materiellen Gebiet nützen68. Dabei soll die Bereitschaft des Beschuldigten zum Ausdruck
gebracht werden, dass er Verantwortung für seine Tat übernimmt und dafür einsteht69.
Diese Diversionsart wird häufig bei Wiederholungstaten und mittlerer Kriminalität
eingesetzt, da der Eingriff in die Lebensführung des Beschuldigten enorm hoch ist im
Vergleich zu anderen Diversionsarten. Der Staatsanwalt hat nach Erbringung der
gemeinnützigen Leistungen, Zahlung eines Pauschalbetrages gem § 388 Abs 2 StPO und
allfälligen Schadenersatzzahlungen von der Verfolgung der Straftat endgültig
zurückzutreten, wenn nicht wiederum eine nachträgliche Fortsetzung gem § 205 StPO in
Betracht kommt.
4.1.3.3 Bestimmung einer Probezeit – § 203 StPO
§ 203 StPO regelt den vorläufigen Rücktritt der Verfolgung einer Straftat durch den
Staatsanwalt unter Verhängung einer Probezeit von einem bis zu zwei Jahren. Die Frist
beginnt ab Zustellung der Verständigung über den vorläufigen Rücktritt zu laufen. Der
Rücktritt unter Verhängung einer Probezeit kann mit Auflagen iSv Weisungen gem
§ 51 StGB oder mit Betreuung durch einen Bewährungshelfer gem § 52 StGB verknüpft
67
Schroll in WK StPO, § 200 StPO, Rz 12. 68
Schroll in WK StPO, § 201 StPO, Rz 4. 69
Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14
, E 10, Rz 19.
Seite | 24
sein70, falls dies geboten erscheint. Die Weisung bedarf einer spezifischen
Verhaltensaufforderung71, die geeignet scheint, den Beschuldigten von einer weiteren
Straftat abzuhalten. Diese Diversionsmaßnahme findet besonders bei Verkehrsdelikten
oder Delikten im Bagatellbereich Anwendung, da sie geeignet ist, präventiv auf das
Fehlverhalten des Beschuldigten zB durch Verhängung einer Nachschulung oder
Therapie einzuwirken. Nach Ablauf der Probezeit, Zahlung des Pauschalbetrages gem
§ 388 StPO und Erfüllung allfälliger Pflichten bzw Auflagen hat der Staatsanwalt die
Verfolgung endgültig einzustellen, sofern nicht das Verfahren gem § 205 StPO
fortzusetzen wäre.
4.1.3.4 Tatausgleich – § 204 StPO
Der Staatsanwalt kann von der Verfolgung der Straftat zurücktreten, wenn durch die Tat
Individualrechtsgüter unmittelbar beeinträchtigt sein könnten und sich der Beschuldigte
bereit erklärt, für die Tat einzustehen, den Schaden gutzumachen, sich mit den Ursachen
der Tat auseinandersetzt und falls möglich, die Folgen der Tat auf eine den Umständen
entsprechenden Weise ausgleicht. Die Bereitschaft des Beschuldigten, künftig ein solches
Verhalten, das zur Tat geführt hat, zu unterlassen, muss klar erkennbar sein. Das
Zustandekommen eines Tatausgleiches bedarf der Zustimmung des Opfers, es sei denn,
es lehnt aus für das Strafverfahren nicht berücksichtigungswürdigen Gründen ab, wie
etwa aus Gründen der Rache. Zur Durchführung des Tatausgleiches kann die
Staatsanwaltschaft einen in Mediation geschulten Konfliktregler heranziehen, der
gleichermaßen auf den Beschuldigten und das Opfer, unter größtmöglicher
Berücksichtigung der Opferinteressen gem § 206 StPO, einwirken kann und den
Tatausgleich anleitet72. Er versucht eine Versöhnung zwischen Verdächtigem und Opfer
herzustellen, um dadurch den strafrechtlichen Konflikt aus der Welt zu schaffen73. Sobald
sich der Staatsanwalt eines Mediators bedient, tritt er vorläufig von der Strafverfolgung
zurück, ein endgültiger Rücktritt ist erst nach Zahlung des Pauschalkostenbeitrages gem
§ 388 StPO und Legung des Abschlussberichts des Konfliktreglers nach Entscheidung
des Staatsanwaltes bzw des Gerichts möglich, wenn er bzw es den Tatausgleich als
gelungen ansieht. Ein Tatausgleich wird meist für Konflikte im sozialen Nahbereich wie zB
innerhalb der Familie, in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz eingesetzt oder auch für
Taten, die situativ erfolgt sind, wie zB Wirtshausraufereien oder ein Aggressionsausbruch
70
Maleczky, Strafrecht AT II18
, 24. 71
Schroll in ÖJZ 2013/95, 866. 72
Schroll in WK StPO, Vor §§ 198–209b StPO, Rz 15. 73
Schwaighofer, ZVR 2008/119, 277.
Seite | 25
im Straßenverkehr etc. Man kann sagen, der Tatausgleich kommt überall dort zum
Einsatz, wo es einen Konflikt aufzuarbeiten gilt74.
4.1.4 Ausschluss der Diversion
Ein diversionelles Vorgehen ist ausgeschlossen, wenn die Straftat in die Zuständigkeit
des Landesgerichts als Schöffen- oder Geschworenengericht fällt. Demnach sind
grundsätzlich alle Delikte mit einem Strafrahmen bis zu fünf Jahren diversionsfähig. Zu
beachten und von der Diversion ausgeschlossen sind schöffen- und
geschworenengerichtliche Eigenzuständigkeiten gem § 31 Abs 2 und Abs 3 StPO75.
Die Schuld des Beschuldigten darf nicht als schwer anzusehen sein76 und sie darf
nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt haben. Der Tod muss als objektiv
zurechenbarer Erfolg der Tathandlung eingetreten sein, atypische Kausalverläufe, bei
denen das Opfer stirbt, schließen ein diversionelles Vorgehen nicht aus. Bei fahrlässiger
Tötung gem § 80 StGB und fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen
Verhältnissen gem § 81 StGB kann das Verfahren – ex lege – nicht informell iSe
Diversion erledigt werden.
4.2 Nicht intervenierende Diversion
Die schlichte Diversion unterscheidet sich von der intervenierenden Diversion maßgeblich
im Reaktionsverzicht. Die Justiz verzichtet auf ein förmliches Strafverfahren und stellt es
ohne Sanktionierung zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein, sofern die materiellen
Voraussetzungen erfüllt sind77.
Neben dem Verfolgungsverzicht wegen Geringfügigkeit aus den allgemeinen
Strafbestimmungen gem § 191 StPO kommt als schlichte Diversionsmaßnahme eine
Verfahrenseinstellung nach den Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes gem
§§ 4 Abs 2 Z 2 und 6 Abs 1 bis 3 JGG in Betracht78.
4.2.1 Einstellung wegen Geringfügigkeit – § 191 StPO
Dieser Paragraph hat sich aus dem bereits aufgehobenen § 42 StGB entwickelt. Dieser
war, im Gegensatz zur heutigen Darstellung, als Strafaufhebungsgrund konzipiert. Dem
folgt § 191 StPO nicht. Die Verfolgung soll nicht wie in § 42 StGB mangels Strafbarkeit
74
Maleczky, Strafrecht AT II18
, 26.
75 Hurich, JAP 2013/2014/23, 205.
76 vgl Ausführungen zu 4.1.2.
77 Schroll in WK StPO, § 192 StPO, Rz 27.
78 Schroll in WK StPO, Vor §§ 198–209b StPO, Rz 12.
Seite | 26
unterbleiben, sondern wegen deren Geringfügigkeit zum frühestmöglichen Zeitpunkt
eingestellt werden79.
Die Verfolgung einer Straftat kann wegen Geringfügigkeit eingestellt werden, wenn die
Straftat mit einer drei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe und/oder Geldstrafe
sanktioniert ist. Bei Jugendstraftaten ist nicht von den geänderten Strafdrohungen, wie sie
§ 5 JGG enthalte, auszugehen80. Es sind auch auf Jugendliche die Strafrahmen des
allgemeinen Strafrechts als Grundlage heranzuziehen (§ 5 Z 7 JGG).
Berücksichtigungswürdig sind nur Offizialdelikte. Eine Einstellung ist weiters nur dann
möglich, wenn der Störwert der Tat als gering anzusehen wäre und eine Bestrafung bzw
ein Vorgehen gem § 198 StPO aus general- oder spezialpräventiven Gründen nicht
geboten erscheint.
Der Störwert richtet sich nach dem verschuldeten Unrecht und ist dann als gering
anzusehen, wenn die Schuld iSd § 32 StGB im Rahmen einer Gesamtbetrachtung, als
gering anzusehen ist und der Beschuldigte sich nach der Tat im Hinblick auf eine allfällige
Schadensgutmachung vorbildlich verhält81.
Die general- und spezialpräventiven Gründe werden gleichermaßen berücksichtigt, erst
dann, wenn eine Diversion besser geeignet erscheint, um den Beschuldigten von der
Begehung der gleichen bzw einer ähnlichen Straftat abzuhalten, wird die Diversion der
Einstellung wegen Geringfügigkeit vorgezogen. Der Umstand alleine, dass eine Tat mit
geringem Störwert strafrechtlich verfolgt wird, ist als Abschreckung für die Allgemeinheit
ausreichend um ihr die Normverbundenheit und Stärkung des Rechtsbewusstsein in
Erinnerung zu rufen, so dass eine Ablehnung der Verfahrenseinstellung wegen
Geringfügigkeit aus Gründen der Generalprävention restriktiv zu handhaben ist82.
4.3 Diversion bei jungen Erwachsenen
Für Beschuldigte, die im Tatzeitpunkt das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind
grundsätzlich dieselben Bestimmungen wie im allgemeinen Strafverfahren anzuwenden.
Die Sonderbestimmungen des JGG können auf junge Erwachsene nicht angewendet
werden83.
79
Tauschmann in StPO Praktikerkommentar, § 191 StPO, Rz 1. 80
Maleczky, Strafrecht AT II18
, 27. 81
Bertel in StPO Kommentar, § 191 StPO, 519. 82
Schroll in WK StPO, § 191 StPO, Rz 68. 83
Ferz/Filler, Mediation, § 7 JGG Z 1, 203.
Seite | 27
4.3.1 intervenierende Diversion bei jungen Erwachsenen
Eine intervenierende Diversion kommt für junge Erwachsene gem § 46a JGG nur nach
den Diversionsbestimmungen des 11. Hauptstücks der StPO unter den oben genannten
Voraussetzungen in Betracht84. Eine Herabsetzung der Strafdrohung bleibt für die
sachliche Zuständigkeit gem § 27 JGG außer Acht, diese richtet sich nach den
allgemeinen Strafdrohungen, wie auch bei Erwachsenen.
4.3.2 schlichte Diversion bei jungen Erwachsenen
Der StA kann von der Verfolgung einer Straftat, die durch einen jungen Erwachsenen
begangen wurde, unter denselben Voraussetzungen wie bei Erwachsenen gem
§ 191 StPO zurücktreten.
4.4 Diversion im Jugendstrafrecht
Zusätzlich zu den allgemeinen Diversionsvoraussetzungen der StPO sind bei
Jugendstraftaten die Sonderbestimmungen zur Diversion nach dem JGG zu beachten.
Die für Jugendstraftaten festgelegten Kriterien sind weitgehend ident mit denen der
Diversion nach der StPO, sie schaffen lediglich eine weiterreichende Anwendbarkeit der
Diversion im Jugendstrafrecht85. Die §§ 6 bis 8 JGG sind als lex specialis gem § 31 JGG
den allgemeinen Diversionsmaßnahmen des 11. Hauptstücks der StPO vorzuziehen.
Scheidet eine schlichte diversionelle Erledigung gem den Voraussetzungen des § 6 JGG
aus, dann ist zu prüfen, ob die Kriterien des § 7 JGG für die Anwendbarkeit einer
intervenierenden Diversion gegeben sind, sofern der Beschuldigte dem
Diversionsangebot des StA zustimmt86.
4.4.1 intervenierende Diversion bei Jugendlichen
Eine intervenierende Diversion nach § 7 JGG iVm § 198 StPO kommt dann in Betracht,
wenn ein Absehen von der Strafverfolgung gem § 6 JGG – die schlichte Diversion – nicht
anwendbar ist. Es muss eine Jugendstraftat vorliegen, der Sachverhalt muss hinreichend
geklärt sein, eine Verfahrenseinstellung nach §§ 190 bis 192 StPO darf nicht in Betracht
kommen, die Schuld des Beschuldigten darf nicht als schwer anzusehen sein, die Tat darf
grundsätzlich nicht den Tod eines Menschen zur Folge haben und die Durchführung des
Strafverfahrens darf nicht aus spezialpräventiven Gründen geboten erscheinen. Bei
Jugendstraftaten reicht die Diversion wesentlich weiter, es gibt weder eine
Gerichtszuständigkeit noch eine Strafobergrenze, die ein diversionelles Vorgehen
ausschließen würden87. Abweichend vom Grundsatz des § 7 JGG kann eine Diversion bei
84
Mahler, JAP 2014/2015/19, 206. 85
Schroll in WK2, § 7 JGG, Rz 1.
86 Mahler, JAP 2013/2014/1, 9.
87 Schroll, ÖJZ 2009/4, 22.
Seite | 28
Todesfolge gewährt werden, wenn durch die fahrlässige Tötung ein Angehöriger des
Jugendlichen getötet wurde und dieser dadurch schwer persönlich betroffen ist. Wenn das
Opfer kein Angehöriger des Jugendlichen ist, ist auch in solchen Fällen ein diversionelles
Vorgehen ausgeschlossen88.
4.4.2 Abweichungen der intervenierenden Diversion im Jugendstrafrecht
4.4.2.1 Keine schwere Schuld
Das Jugendstrafrecht schließt, anders als im allgemeinen Strafrecht, keine Straftaten aus,
selbst dann nicht, wenn sie in die Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffen- oder
Geschworenengericht fallen würden. Bei Jugendstraftaten wird nur ein Augenmerk auf die
Schuld des Beschuldigten gelegt. Eine schwere Schuld gem § 32 StGB schließt das
Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO iVm § 7 JGG aus. Die Schwere der Schuld
ist nach denselben Kriterien wie bei § 198 Abs 2 Z 2 StPO zu beurteilen89, die bereits bei
den Erläuterungen zum Erwachsenenstrafrecht näher ausgeführt wurden90. Es ist eine
objektive Gesamtbetrachtung des Täterverhaltens anzustellen und nach dem OGH ist
schwere Schuld dann gegeben, wenn der Handlungs- und Gesinnungsunwert als
auffallend und ungewöhnlich beurteilt werden kann91.
4.4.2.2 Primat der Spezialprävention
Bei Jugendstraftaten gilt das Primat der Spezialprävention. In § 5 Z 1 JGG ist der primäre
Zweck des Jugendstrafrechts beschrieben. Es dient in erster Linie dazu, den Täter von
der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten92. Generalpräventive Aspekte
haben unberücksichtigt zu bleiben und stellen keinen Ausschlussgrund für die Diversion
dar.
4.4.2.3 Todesfolge
In Ausnahmefällen kann eine Diversion auch bei Todesfolge angewendet werden.
Voraussetzung dafür ist, dass ein Jugendlicher einen Angehörigen fahrlässig getötet hat
und eine Bestrafung, im Hinblick auf die durch den Tod des Angehörigen resultierende
schwere psychische Belastung beim Beschuldigten, nicht geboten erscheint.
Der Angehörigenbegriff des StGB ist sehr weit gefasst. Angehöriger iSd § 7 Abs 2 Z 2
JGG iVm § 72 StGB ist jede in gerader Linie verwandte und verschwägerte Person,
berücksichtigt sind sowohl Aszendenten als auch Deszendenten. Weiters ist der Ehegatte
88
vgl Ausführungen zu 4.4.2.3. 89
Schroll in WK2, §7 JGG, Rz 13.
90 vgl Ausführungen zu 4.1.2.
91 vgl OGH 13 Os 111/00.
92 Fabrizy, StGB
11, § 5 JGG, Rz 1.
Seite | 29
bzw eingetragene Partner während aufrechter Ehe bzw Partnerschaft ein Angehöriger iSd
§ 72 StGB. Umfasst sind auch Geschwister und deren Ehegatten mit Kindern und
Enkelkindern, Geschwister der Eltern oder Großeltern und Cousins und Cousinen.
Angehörige sind auch Vater oder Mutter des gemeinsamen Kindes, Wahl und Pflegeeltern
sowie ihre Wahl und Pflegkinder untereinander, aber auch der Vormund und sein Mündel.
Gem § 72 Abs 2 StGB sind Angehörigen auch Personen gleichgestellt, die in einer
Lebensgemeinschaft leben. Diese werden neben ihren Kindern und Enkelkindern wie
Angehörige behandelt93.
Von der ausnahmsweisen Anwendung der Diversion im Todesfall sind nur fahrlässig
herbeigeführte Todesfälle umfasst. Vom Anwendungsbereich des § 7 Abs 2 Z 2 JGG ist
sowohl die fahrlässige Tötung gem § 80 StGB als auch die fahrlässige Tötung unter
besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 StGB, grundsätzlich eingeschlossen. Als
entsprechendes Korrektiv kommt dem Diversionshindernis der schweren Schuld hier
besondere Bedeutung zu94. Aus Gründen der schweren Schuld wird ein diversionelles
Vorgehen bei Taten, die einen hohen Gesinnungsunwert aufweisen, wie zB beträchtliche
Alkoholisierung, besonders rücksichtslose und aggressive Fahrweise, oder an § 81 StGB
angelehnte andere besonders gefährliche Verhältnisse, in Kombination mit einem bei der
fahrlässigen Tötung sehr hohem Erfolgsunwert, meist ausgeschlossen werden können.
Fahrlässige Tötungen unter besonders gefährlichen Verhältnissen sind daher idR auch
bei Jugendlichen meist von der Diversion ausgeschlossen95. Es ist zu berücksichtigen,
dass ein hoher Leidensdruck des Beschuldigten aus Gründen der sogenannten
Täterbetroffenheit des § 34 Abs 1 Z 19 StGB einen die Schuld reduzierenden
Milderungsgrund darstellt96. Unter Täterbetroffenheit versteht man jenen Umstand, wo die
Tatfolgen bei einer Sympathieperson des Täters eintreten und der Täter alleine durch das
Naheverhältnis zum Opfer unter der Tatbegehung zu leiden hat, sei es emotional oder
auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Häufig handelt es sich dabei um Verkehrsdelinquenz. In
solchen Fällen scheint eine harte Bestrafung nicht geboten, wenn nicht sogar inhuman97.
Die Diversion ist dann anwendbar, wenn eine Bestrafung im Hinblick auf die durch den
Tod des Angehörigen beim Beschuldigen verursachte schwere psychische Belastung
nicht geboten erscheint (§ 7 Abs 2 Z 2 JGG). Den ErlRV zum BGBl I 93/2007 ist zu
entnehmen, dass ein Rücktritt von der Verfolgung weiterhin ausgeschlossen sein soll,
wenn der Beschuldigte über den Tod des Angehörigen erleichtert ist oder kein
93
Triffterer in SbgK, § 72 StGB, Rz 5 ff. 94
Leitner in StPO Praktikerkommentar, §§ 198-199 StPO, Rz 18. 95
Schwaighofer, ZVR 2008/119, 280/282. 96
Schroll in WK2, § 7 JGG, Rz 19.
97 Ebner in WK
2 StGB, § 34, Rz 42.
Seite | 30
Naheverhältnis bestanden hat98. Die Angehörigeneigenschaft des Opfers begründet
alleine noch keine schwere psychische Betroffenheit, diese muss im Einzelfall festgestellt
werden99.
4.4.2.4 Arten der intervenierenden Diversion – Besonderheiten
Es sind dem Grunde nach dieselben Diversionsarten wie im allgemeinen Strafrecht auch
auf Jugendliche anzuwenden. Dabei ist aber äußerst Bedacht auf die Lebensverhältnisse
des Jugendlichen zu legen.
Die Zahlung eines Geldbetrages gem § 200 StPO iVm § 8 JGG soll nur dann
vorgeschlagen werden, wenn anzunehmen ist, dass der Jugendliche das Geld aus
eigenen Mitteln zahlen wird, über die er selber verfügen kann.
Gemeinnützige Leistungen gem § 202 Abs 1 StPO iVm § 8 JGG dürfen in Summe 120
Stunden nicht übersteigen. Wöchentlich dürfen maximal 20 Stunden gemeinnützige
Leistungen erbracht werden und täglich nicht mehr als sechs Stunden.
Anders als bei den allgemeinen Regelungen des Tatausgleichs gem § 204 Abs 2 StPO
bedarf es nicht der Zustimmung des Opfers, um einen Tatausgleich zu erwirken.
In jedem Fall ist bei der Schadensgutmachung in angemessener Weise auf die
Leistungsfähigkeit des Jugendlichen abzustellen und darauf zu achten, dass sein
Fortkommen nicht unnötig erschwert wird.
4.4.3 schlichte Diversion bei Jugendlichen
Auch bei Jugendstraftaten iSd § 1 Z 3 JGG besteht die Möglichkeit, durch einen
Reaktionsverzicht von der Strafverfolgung zurückzutreten und das Ermittlungsverfahren
einzustellen. Von der Strafverfolgung kann der Staatsanwalt gem § 6 JGG dann absehen,
wenn die Tat mit einer fünf Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe gem § 5 JGG
bedroht ist, ein diversionelles Vorgehen nach den §§ 198 ff StPO iVm § 7 JGG nicht
geboten erscheint, um den Beschuldigten von der Begehung weiterer strafbaren
Handlungen abzuhalten, und die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat.
Der Tod muss als objektiv zurechenbare Folge der Tat eintreten, um eine schlichte
Diversion gem § 6 JGG auszuschließen. Bei der nicht intervenierenden Diversion gibt es
keine Ausnahme, wie sie in § 7 Abs 2 Z 2 JGG vorgesehen ist.
98
ErlRV 231, BlgNR XXIII.GP, 29. 99
Schroll in WK2, § 7 JGG, Rz 20.
Seite | 31
Die Strafzumessung richtet sich nach den Kriterien des § 5 JGG – demnach sind auch
Straftaten umfasst, die eine abstrakte Strafdrohung von bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe
im Erwachsenenstrafrecht enthalten.
Der StA kann aus spezialpräventiven Gründen eine Belehrung durch die Jugendwohlfahrt
bzw durch das Pflegschaftsgericht beantragen, damit beim Jugendlichen kein falsches
Bild über sein zur Tat führendes Verhalten erweckt wird, indem seitens des Staates keine
Reaktion auf das strafbare Verhalten gezeigt wird100. Aus diesem Grund ist es strittig, ob
das Absehen von der Strafverfolgung als solches überhaupt als eine schlichte, nicht
intervenierende Diversion gewertet werden kann.
Grundsätzlich wird der Spezialprävention im Jugendstrafrecht der Vorrang gegenüber der
Generalprävention eingeräumt, allerdings beim Absehen von der Strafverfolgung gem § 6
iVm § 14 JGG können auch generalpräventive Gründe in die Beurteilung mit einfließen.
Der StA kann gerade bei solchen Entscheidungen, die nur aus einem Reaktionsverzicht
bestehen, die Wirkung der nichtvorhandenen staatlichen Reaktion auf die Allgemeinheit
mitberücksichtigen101.
4.4.4 Nebenfolgen der Diversion – Unterschied zur Verurteilung
Eine Verurteilung durch ein Strafgericht bringt in der Regel auch über die Strafe
hinausgehende Konsequenzen mit. Die wohl bedeutendste Folge ist neben dem Eintritt
von ex lege eintretenden Rechtsfolgen, wie zB der Amtsverlust eines Beamten bei einer
mehr als einjährigen Verurteilung, die Eintragung im Strafregister. Da bei diversionellem
Vorgehen kein Schuldspruch durch ein gerichtliches Urteil erfolgt, gilt für den
Beschuldigten die Unschuldsvermutung selbst dann, wenn er das Diversionsangebot des
StA annimmt102. Die Annahme begründet formell kein Schuldeingeständnis. Der Vorteil
bei diversioneller Erledigung ist, dass eine Eintragung ins Strafregister, mangels
Urteilsspruch, unterbleibt. Dem Beschuldigten wird die stigmatisierende Wirkung einer
Vorstrafe erspart.
100
Schroll in WK2, § 6 JGG, Rz 11; mwN Maleczky, Jugendstrafrecht
4, 21.
101 Fabrizy, StGB
11, § 14 JGG, Rz 1.
102 Bericht der Expertenkommission, ÖJZ 2004/35, 552 f.
Seite | 32
5 Strafzumessung
Eine Strafe ist ein mit Tadel verbundenes Übel, das wegen einer strafbaren Handlung von
einem Strafgericht aufgrund und nach Maßgabe der Schuld des Täters verhängt wird103.
Die Tadelswirkung erstreckt sich in der Darstellung des sozialethischen Unwerts, das
Übel in den Rechtseinbußen, die der Täter durch die Strafe erleidet. Eine Strafe stellt das
stärkste staatliche Mittel zur Verhaltenssteuerrung der Rechtsunterworfenen dar und ist
als letztes Mittel einzusetzen und soll nur verhängt werden, wenn kein gelinderes Mittel
denkbar ist, um den Täter zu normkonformen Handeln zu bewegen104.
Das österreichische Strafrecht kennt als strafrechtliche Sanktion sowohl die Verhängung
von Freiheitsstrafen als auch die Auferlegung von Geldstrafen. Freiheitsstrafen können
auf Lebensdauer oder auf bestimmte Zeit verhängt werden (§ 18 StGB). Das Mindestmaß
bei zeitlichen Freiheitsstrafen beträgt einen Tag, bis hin zu einem Höchstmaß von
zwanzig Jahren. Für Jugendliche und junge Erwachsene sind die bereits oben
angeführten reduzierten Strafsätze als Höchstmaß ausschlaggebend105.
Geldstrafen werden in Tagessätzen bemessen und gehen stets mit der Festlegung einer
Ersatzfreiheitsstrafe bei Uneinbringlichkeit einher. Ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe entspricht
dabei zwei Tagessätzen. Die Höhe des TS richtet sich nach den individuellen
Verhältnissen des Täters und kann von 4 bis zu 5000 Euro betragen.
5.1 Erwachsene und junge Erwachsene
Den Ausgangspunkt für die Strafzumessung bildet der konkrete gesetzlich determinierte
Strafrahmen des verübten Delikts. Bei der Bemessung der Strafe hat das Gericht die in
§§ 33 und 34 StGB demonstrativ aufgezählten Erschwerungs- und Milderungsgründe
gegeneinander abzuwägen, sofern sie nicht schon die Strafdrohung begründen. Das
Augenmerk liegt dabei auf der Gewichtung der einzelnen Gründe, auf eine zahlenmäßige
Abwägung kommt es gerade nicht an106. Entscheidende Kriterien für die Strafzumessung
sind die Schuld des Täters gem § 32 Abs 1 StGB sowie spezialpräventive und
generalpräventive Überlegungen.
Die Strafzumessung liegt im richterlichen Ermessen und ist an die
Strafzumessungskriterien gebunden. Man unterscheidet die Strafzumessung im engeren
Sinne von der Strafzumessung im weiteren Sinne.
103
Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT14
, Z 2, Rz 2. 104
Maleczky, Strafrecht Allgemeiner Teil II18
, 35. 105
vgl Ausführungen zu 3.5.1 ff und 3.6.1 ff. 106
Fabrizy, StGB11
, § 32 StGB, Rz 4.
Seite | 33
Unter Strafzumessung ieS versteht man die Bestimmung des Strafausmaßes, also die
Bestimmung der Dauer der Freiheitsstrafe oder die Anzahl der Tagessätze, die verhängt
werden soll107. Bei der Strafbemessung ieS ist das Doppelverwertungsverbot zu
beachten, dh es dürfen keine Erschwerungs- bzw Milderungsgründe gewertet werden, die
der Gesetzgeber bereits bei der Androhung der Strafe berücksichtigt hat108. Das Gericht
kann auch andere, gleichwertige Gründe, als in §§ 33 und 34 StGB aufgezählt sind, zur
Strafbemessung heranziehen. Zur Gewährung weiterer Milderungsgründe muss die
kriminelle Gesinnung, die Handlung des Täters oder der verursachte Erfolg hinter dem
durchschnittlich erwarteten Verhalten zurück liegen oder eine besonders günstige
präventive Prognose auf Grund des Täterverhaltens gestellt werden können109.
Die Strafzumessung iwS beschäftigt sich mit der Frage, ob eine Geldstrafe anstelle einer
Freiheitsstrafe verhängt werden kann (§ 37 StGB) oder ob eine bedingte bzw teilbedingte
Strafnachsicht gewährt werden soll (§ 43 StGB)110.
5.1.1 Verhängung einer Geldstrafe anstelle einer Haftstrafe
In § 37 StGB bringt der Gesetzgeber den Ultima-Ratio Gedanken des Strafrechts deutlich
zum Ausdruck, indem er eine Norm gestaltet hat, durch die gerade kurzfristige
Freiheitsstrafen – das sind solche bis zu sechs Monaten – verhindert werden sollen. Eine
Tat, die eine fünf Jahre nicht überseigende Strafdrohung vorsieht, muss gem Abs 1 StGB
demnach durch eine 360 TS nicht übersteigenden Geldstrafe ersetzt werden, wenn nicht
general- oder spezialpräventiven Gründen dagegen sprechen. Nach § 37 Abs 2 StGB
kann eine GS anstelle einer FS auch für Delikte mit einer Strafdrohung von über fünf
Jahren FS bis zu maximal zehn Jahren FS verhängt werden, wenn die anberaumte Strafe
maximal sechs Monate beträgt und wiederum keine spezial- oder generalpräventiven
Gründe eingewendet werden können. Die spezialpräventiven Überlegungen sind bei der
Verhängung einer GS anstelle einer FS auf die Warn- und Abschreckungsfunktion des
einzelnen Täters reduziert. Nur in den Fällen, wo eine sogenannte Schockstrafe für den
Täter als Abschreckungseffekt notwendig ist, soll eine kurze FS verhängt werden. Auf
Grund des Tagessatzsystems, wo in der Relation zwei TS einem Tag FS entsprechen, ist
auch der Geldstrafe ein Abschreckungseffekt zuzuschreiben und sie erfüllt gerade bei
nicht vorbestraften Tätern die nötige Abschreckung111.
107
Ebner in WK2 StGB, § 32, Rz 51; mwN Maleczky, Strafrecht AT II
18, 59.
108 Birklbauer/Schmidthuber in SbgK, § 33 StGB, Rz 15.
109 Birklbauer/Schmidthuber in SbgK, § 34 StGB, Rz 12.
110 Maleczky, Strafrecht AT II
18, 59.
111 Flora in WK
2 StGB, § 37, Rz 9.
Seite | 34
5.1.2 Bedingte Strafnachsicht
Bei der bedingten Strafnachsicht zeigt sich deutlich, dass nur jene Sanktionen verhängt
bzw vollzogen werden sollen, die für die Einhaltung der Strafzwecke unbedingt
erforderlich sind112. Der Strafvollzug wird bedingt nachgesehen unter Verhängung einer
Probezeit von einem bis zu drei Jahren. Sie ist in den Fällen anzuwenden, wenn ein
Strafausspruch unerlässlich erscheint, aber der Täter nicht in seinem Fortkommen
gehindert werden soll und eine Vermeidung eines Rückfalls des Täters alleine durch die
Androhung der Strafe, ohne tatsächliche Vollstreckung, ausreicht und auch keine
generalpräventiven Gründe für einen Strafvollzug vorliegen. Nach Ablauf der Probezeit
wird die Strafe endgültig nachgesehen, sofern sie nicht innerhalb der Frist widerrufen
wurde (§ 43 Abs 2 StGB).
In Österreich können sowohl Geldstrafen, als auch Freiheitsstrafen – bis zu einem
Strafausspruch von maximal zwei Jahren – bedingt nachgesehen werden, sofern die
materiellen Voraussetzungen der §§ 43 StGB ff erfüllt sind. Bei Jugendlichen kann eine
Strafe gem § 5 Z 9 JGG in jedem Fall bedingt nachgesehen werden, selbst wenn das in
§§ 43 und 43a StGB festgesetzte Höchstmaß von zwei bzw drei Jahren überschritten
wird.
Für die Frage, ob eine Strafe bedingt nachgesehen werden kann, sind ausschließlich
general- und spezialpräventive Gründe heranzuziehen. Schuldgesichtspunkte sind bereits
bei der Strafzumessung ieS, bei der Festsetzung der Strafe, anerkannt worden, und
haben daher für die Strafnachsicht außer Betracht zu bleiben113. Bei einer verhängten
Geldstrafe oder einer nach § 37 StGB verhängten Geldstrafe anstelle einer Freiheitsstrafe
kann ex lege maximal die Hälfte der Strafe bedingt nachgesehen werden.
5.1.3 Teilbedingte Strafnachsicht
Die teilbedingte Strafnachsicht bietet die Möglichkeit in jenen Fällen, wo eine zur Gänze
bedingt nachgesehen Strafe aus general- oder spezialpräventiven Gründen nicht
anwendbar ist, bloß einen Teil der Strafe nachzusehen oder eine kombinierte Geld-
Freiheitsstrafe zu verhängen. Das Fehlen der präventiven Erfordernisse für die
vollständige bedingte Nachsicht bzw für die kombinierte Geld-Freiheitsstrafe gem § 43a
Abs 2 StGB wird vorausgesetzt; ihr gleichzeitiges Fehlen für die teilbedingte
Freiheitsstrafe ist dadurch aber nicht indiziert114. Die zulässige Obergrenze der Strafe
beträgt in der Regel zwei Jahre, bei einer hohen günstigen spezialpräventiven Prognose
112
Maleczky, Strafrecht AT II18
, 66. 113
Jesionek/Birklbauer/Rauch, RZ 2012, 4, 5; mwN Birklbauer in FS Jesionek 2002, 325. 114
Birklbauer in SbgK, § 43a StGB, Rz 115.
Seite | 35
kann eine darüber hinausgehende, teilbedingte Strafe auch bis zu einer Obergrenze von
drei Jahren Freiheitsstrafe gewährt werden. Bei Jugendlichen entfällt die Obergrenze115.
Bei der Strafteilung wird eine tatschuldangemessene unbedingte Sanktion über den Täter
verhängt, der Rest der Strafe wird bedingt nachgesehen116. Die materiellen
Voraussetzungen sind dieselben wie bei der zur Gänze bedingt nachgesehenen Strafe in
§ 43 StGB, demnach kommt eine bedingte Strafnachsicht eines Teils der Strafe nur dann
in Betracht, wenn eine günstige spezialpräventive Prognose erstellt werden kann und der
Vollzug einer unbedingten Strafe aus generalpräventiven Gründen nicht erforderlich ist.
5.2 Jugendliche
Wenn eine diversionelle Erledigung bei jugendlichen Straftätern nicht möglich ist, gibt es
im Jugendstrafrecht zusätzlich zu den oben angeführten Möglichkeiten, die das
allgemeine Strafrecht bietet, privilegierte Reaktionsmöglichkeiten. Das Gericht hat im
Bereich des formellen Strafverfahrens die Möglichkeit, Jugendliche zu verurteilen, ohne
eine Sanktion verhängen zu müssen117.
5.2.1 Schuldspruch ohne Strafe – § 12 JGG
Wenn wegen einer Jugendstraftat nur eine geringe Strafe – idR eine Freiheitsstrafe von
bis zu drei Monaten118 – zu verhängen wäre, dann hat das Gericht von einem
Strafausspruch abzusehen, wenn der Ausspruch der Schuld genügen werde, um den
Rechtsbrecher von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Es dürfen
keine besonderen Gründe iSd § 14 JGG vorliegen, die eine generalpräventive
Verhängung einer Strafe erfordern. Die Sanktion begnügt sich mit einer Tadelswirkung
ohne das üblicherweise mit der Strafe verbundene Übel. Ein späterer Strafausspruch ist
nicht mehr möglich.
5.2.2 Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe – § 13 JGG
Als weitere Sanktionsvariante kommt bei Jugendstraftaten die Möglichkeit eines
Schuldspruchs unter Vorbehalt der Strafe für eine Probezeit von einem bis zu drei Jahren
in Betracht. Erforderlich für § 13 JGG ist, dass der Schuldausspruch genügen werde, um
den Täter von weiteren Tatbegehungen abzuhalten und keine generalpräventiven
besonderen Gründe iSd § 14 JGG die Durchführung eines Strafverfahren erfordern. Der
Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe wird dann angewendet, wenn ein Schuldspruch
ohne Strafe nicht mehr möglich ist, weil das Strafausmaß die Dreimonatsgrenze des § 12
JGG übersteigt. Die Strafe wird vorerst noch nicht festgesetzt. Zusätzlich zur Probezeit 115
Birklbauer in SbgK, § 43a StGB, Rz 113. 116
Fabrizy, StGB11
, § 43a StGB, Rz 1. 117
Maleczky, Jugendstrafrecht4, 19.
118 Schroll in WK
2, § 12 JGG, Rz 4.
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können Weisungen iSd § 50 Abs 1 StGB erteilt oder Bewährungshilfe angeordnet werden,
sofern es aus spezialpräventiven Gründen notwendig ist119. Erst wenn innerhalb der
Probezeit eine neuerliche Verurteilung des Jugendlichen erfolgt oder er sich gegen
Weisungen des Gerichtes, trotz Mahnung, widersetzt, kann ein nachträglicher
Strafausspruch iSd § 15 JGG erfolgen. Nach positiver Absolvierung der Probezeit ist
mittels Beschluss endgültig vom Strafausspruch abzusehen. Der Jugendliche ist zu
belehren, dass trotz fehlender Strafe eine gerichtliche Verurteilung mit allen damit
verbunden Konsequenzen vorliegt120.
Die beiden Reaktionsmöglichkeiten der §§ 12 und 13 JGG sehen nur von der Verhängung
des Übels – dem Vollzug der Strafe selbst – ab, eine Eintragung im Strafregister hat
ungeachtet dessen trotzdem zu erfolgen, obgleich für den Schuldspruch unter Vorbehalt
der Strafe lediglich die beschränkte Auskunft aus dem Strafregister gem § 6 Abs 2 Z 2
TilgG gilt, dh er wird in die Strafregisterbescheinigung nicht aufgenommen und
diskriminiert den Jugendlichen nicht von vornherein am Arbeitsmarkt121.
119
Maleczky, Jugendstrafrecht4, 23.
120 Schroll in WK
2, § 13 JGG, Rz 10.
121 Bertel/Venier, Strafprozessrecht
8, Rz 605.
Seite | 37
6 Änderungen im Strafrecht mit 1.1.2016
6.1 Gesetzesnovelle StGB von 2015 – Änderungen
Am 13. August 2015 wurde das neue Strafrechtsänderungsgesetz 2015 (StRÄG 2015) mit
BGBl I 112/2015 kundgemacht. Die Bestimmungen treten mit 1.1.2016 in Kraft. Diese
Strafrechtsnovelle enthält einige, für diese Arbeit relevante, Änderungen im StGB, wie zB
die Erweiterung der Fahrlässigkeit um die Definition der groben Fahrlässigkeit, einen
neuen Strafrahmen des § 80 StGB und eine Ausdehnung der Strafbarkeit des § 80 bei
Todesfolge mehrerer Personen sowie die Neugestaltung des § 81 StGB. Im prozessualen
Teil gibt es Änderungen bezüglich der Diversionserfordernisse gem § 198 StPO. In
weiterer Folge werden die Neuerungen und deren Auswirkungen auf die konkreten Fälle
diskutiert.
6.1.1 Fahrlässigkeit neu
§ 6 (3) StGB lautet „Grob fahrlässig handelt, wer ungewöhnlich und auffallend
sorgfaltswidrig handelt, sodass der Eintritt eines dem gesetzlichen Tatbild
entsprechenden Sachverhaltes als geradezu wahrscheinlich vorhersehbar war.“
Das StRÄG 2015 fügt bei der Fahrlässigkeit einen dritten Absatz hinzu, indem die grobe
Fahrlässigkeit definiert wird. Es sollen nur jene Fälle als grob fahrlässig eingestuft werden,
die das gewöhnliche Maß an nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des
täglichen Lebens ganz erheblich übersteigen122. Bei der Auslegung des Begriffs der
groben Fahrlässigkeit soll auf Grund des verdreifachten Strafrahmens restriktiv
umgegangen werden. Die ungewöhnliche und auffallende Sorgfaltswidrigkeit ist aus der
bisherigen Rsp und Judikatur, sowohl aus dem Zivilrecht, sowie aus den Bestimmungen
zu schwerem Verschulden aus dem Strafrecht, abzuleiten. Diese Legaldefinition wurde im
Hinblick auf die Neugestaltung des § 81 StGB, die grob fahrlässige Tötung, eingeführt123.
6.1.2 § 80 StGB neu – Fahrlässige Tötung
§ 80 (1) StGB lautet „Wer fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt, ist mit
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu
bestrafen.“
(2) „Hat die Tat den Tod mehrerer Menschen zur Folge, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe
bis zu zwei Jahren zu bestrafen.“
122
ErlRV 689, BlgNR XXV.GP, 6; vgl RIS-Justiz RS0030303. 123
ErlRV 689, BlgNR XXV.GP, 6; mwN Nimmervoll in SbgK, § 104a StGB, Rz 90.
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Der erste Absatz wird bloß um die Möglichkeit einer Verhängung einer Geldstrafe iHv 720
TS erweitert. Bei fahrlässiger Tötung, die den Tod mehrerer Menschen zur Folge hat, war
dem Gesetzgeber das Höchststrafmaß von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe zu gering, er
hat eine qualifizierte Begehung in Abs 2 eingefügt, wobei die Qualifikation – alleine im
erhöhtem Erfolgsunwert – in der fahrlässigen Tötung mehrerer Menschen liegt124. Da die
Strafdrohung mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren einhergeht, ist künftig in
Fällen des Abs 2 nicht mehr wie beim Grunddelikt das Bezirksgericht zur Aburteilung
zuständig, sondern die sachliche Zuständigkeit der Qualifikation fällt gem § 31 Abs 4
StPO dem Einzelrichter am Landesgericht zu.
6.1.3 § 81 StGB neu – Grob fahrlässige Tötung
§ 81 (1) StGB lautet „Wer grob fahrlässig (§ 6 Abs 3) den Tod eines anderen herbeiführt,
ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.“
(2) „Ebenso ist zu bestrafen, wer den Tod eines Menschen fahrlässig herbeiführt,
nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch Genuss von Alkohol oder
den Gebrauch eines anderen berauschenden Mittels in einen die Zurechnungsfähigkeit
nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hat, obwohl er vorhergesehen hat oder
hätte vorhersehen können, dass ihm einen Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in
diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder dir körperliche Sicherheit
eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet sei.“
(3) „Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist zu bestrafen, wer grob
fahrlässig (§ 6 Abs 3) oder in dem in Abs 2 bezeichneten Fall den Tod einer größeren
Zahl von Menschen herbeiführt.“
Der frühere Begriff der besonders gefährlichen Verhältnisse hat in der Praxis zu
erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten geführt und war vielfach nur durch die
Heranziehung von Sachverständigen zu beurteilen. Durch die Neuregelung des § 81 wird
eine Tatbegehung, die grob fahrlässiges Handeln voraussetzt, strafbar. Für die Auslegung
der groben Fahrlässigkeit verweist das Gesetz auf die Ausführungen zu § 6 StGB nF, die
bereits unter 6.1.1 erläutert wurden. Der Abs 2, der die sogenannte Rauschtat beschreibt,
wurde lediglich aus dem alten § 81 übernommen und ist nahezu unverändert geblieben.
Als Qualifikation zur grob fahrlässigen Tötung (Abs 1) und der fahrlässigen Tötung in
einem Minderrausch (Abs 2) ist in Abs 3 die grob fahrlässige Tötung einer größeren Zahl
von Menschen normiert. Wenn eine solche Erfolgssteigerung vorliegt reicht das
Strafausmaß von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Dem Strafrahmen nach wäre das
Delikt grundsätzlich noch diversionsfähig, allerdings scheidet es meist schon auf Grund
124
ErlRV 689, BlgNR XXV.GP, 6.
Seite | 39
der schweren Schuld durch die grob fahrlässige Tatbegehung und die Todesfolge aus.
Die Zuständigkeit des § 81 StGB nach dem StRÄG 2015 obliegt dem Einzelrichter am
Landesgericht gem § 31 Abs 4 StPO.
6.1.4 Diversion neu
Ab 1. Jänner 2016 ist eine Diversion dann zulässig, wenn die Tat nicht mit einer fünf
Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Die schöffen- bzw
geschworenengerichtliche Zuständigkeit wird dadurch ersetzt und die Diversion findet
dann auch auf alle Delikte Anwendung, die auf Grund der Eigenzuständigkeit bisher unter
die Zuständigkeit des LG als Schöffen-, oder Geschworenengericht gefallen sind.
Insbesondere handelt es sich dabei um die in § 31 Abs 2 Z 4 bis 11 erwähnten
Tatbestände. Künftig soll für genau diese Fälle, die nach der reinen Strafdrohung in die
Ingerenz des ER des LG fallen, ein diversionelles Vorgehen zulässig sein125.
6.2 Gesetzesnovelle Jugendstrafrecht
Derzeit liegt im Parlament ein Ministerialentwurf 148/ME XXV.GP zur Begutachtung auf,
mit dem das Jugendgerichtsgesetz geändert werden soll und Teile der privilegierten
Strafbarkeit Jugendlicher nunmehr auch für junge Erwachsene zur Anwendung kommen
sollen. Angedacht wäre ein Inkrafttreten der Novelle mit 1.1. 2016.
Zunächst sieht der Entwurf eine Legaldefinition des jungen Erwachsenen im JGG vor, der
wie bisher junge Straftäter vom 18. bis zum vollendeten 21. Lebensjahr einschließt. Die
bedeutendste Änderung ist in § 19 JGG normiert, sie enthält eigens angeführte
Sonderbestimmungen für junge Erwachsene.
§ 19 (1) JGG neu lautet: „Gegen eine Person, die zur Zeit der Tat das einundzwanzigste
Lebensjahr noch nicht vollendet hat, darf auf keine strengere als eine Freiheitsstrafe von
fünfzehn Jahren erkannt werden. Das Mindestmaß aller angedrohten zeitlichen
Freiheitsstrafen richtet sich nach jenem bei Jugendlichen (§ 5 Z 2 lit a, 3 und 4).“
(2) „ § 5 Z 1, die §§ 7, 8, 12, 13, 14 (soweit er auf 13 verweist), 15 bis 17a und 35a gelten
in allen Fällen, in denen die Tat vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres
begangen wurde, entsprechend.126“
Diese Novelle des Jugendgerichtsgesetzes bringt eine erhebliche Verbesserung der
Sanktionspalette bei Straftaten junger Erwachsener. Es wären Sanktionsarten möglich,
die vorher nur Jugendlichen vorbehalten waren, wie zB die Anwendbarkeit der
intervenierenden Diversion auch im Todesfall eines nahen Angehörigen, der
125
ErlRV 689, BlgNR XXV.GP, 52. 126
148/ME XXV.GP.
Seite | 40
Schuldausspruch ohne Strafe sowie der Schuldausspruch unter Vorbehalt der Strafe. Bei
den einzelnen Diversionsarten, insbesondere bei der Schadensgutmachung, wäre dann
auch bei jungen Erwachsenen besonders auf ihre Leistungsfähigkeit Rücksicht zu
nehmen. Es bestünde die Möglichkeit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine
Kombination zweier, in § 8 Abs 3a JGG eigens angeführten, Diversionsarten zu
verhängen. Bei einem Tatausgleich oder bei der Erbringung gemeinnützigen Leistung
kann zusätzlich ein Bewährungshelfer hinzugezogen werden, falls dies notwendig
erscheint, um ein Abrutschen des Jugendlichen bzw des jungen Erwachsenen zu
verhindern oder wenn eine intensivere Betreuung erforderlich ist, damit die gemeinnützige
Leistung tatsächlich gänzlich erbracht werden oder ein Tatausgleich durchgeführt werden
kann127.
Durch die Sanktionserweiterung der Strafbarkeit junger Erwachsener um einen
Schuldspruch ohne Strafe bzw um einen Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe, würde
dem jungen Erwachsenen durch die beschränkte Auskunftspflicht nach dem TilgG, die die
beiden genannten Reaktionsmöglichkeiten mit sich bringen, entgegen gekommen werden.
Die Chancen am Arbeitsmarkt würden, durch Aufscheinen einer Verurteilung im
Strafregister, nicht von vornherein verhindert bzw gemindert werden.
Der Strafzweck der Spezialprävention wäre auch beim jungen Erwachsenen nunmehr
vorrangig und generalpräventive Überlegungen hätten nur dann einzufließen, wenn
besonders berücksichtigungswürdige Gründe iSd § 14 JGG vorlägen128.
Es wäre eine Angleichung der Strafuntergrenze für junge Erwachsene an jene der
Jugendlichen vorgesehen. Die bisherigen Sonderregelungen, betreffend der
Strafzumessung des § 36 StGB, würden entfallen. Demnach wäre anstelle einer
Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe und einer FS von zehn bis zu zwanzig
Jahren eine maximale Freiheitsstrafe von 15 Jahren angedacht. Anstelle einer FS von
zehn bis zu zwanzig Jahren wäre eine Androhung von sechs Monaten bis höchstens zehn
Jahren vorgesehen und bei allen anderen Strafandrohungen mit einer festgesetzten
Strafuntergrenze würde das Mindestmaß entfallen.
Eine generelle Herabsetzung der Strafdrohungen auch für junge Erwachsene, wie sie
§ 5 Z 4 1. HS JGG für Jugendliche enthält, hat der Gesetzgeber unterlassen. Es gelten für
junge Erwachsene selbst nach Einführung der JGG Novelle dieselben Strafrahmen wie für
Erwachsene.
127
Erl zu 148/ME XXV.GP, 3. 128
Erl zu 148/ME XXV.GP, 5.
Seite | 41
7 Subsumtion der einzelnen Fälle nach aktueller Rechtslage
7.1 Jugendlicher
7.1.1 Tatbestand
Ein 17-jähriger Fahranfänger macht mit seinem Vater, im Rahmen seiner Ausbildung, eine
Übungsfahrt. Dabei ereignet sich ein Unfall, der auf einen Fahrfehler des Jugendlichen
zurückzuführen ist, bei dem sein Vater ums Leben kommt.
Der objektive Tatbestand des § 80 StGB ist erfüllt, da der Jugendliche jemand anderen
fahrlässig getötet hat. Der Tod des Vaters ist kausal iSd Äquivalenztheorie, da das auf die
Innenbahnlenken des Sohnes und die darauffolgende Kollision mit dem Lastwagen nicht
weggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg – der Tod des Vaters – in seiner
konkreten Gestalt entfiele.
Der subjektive Tatbestand erfordert bloß fahrlässiges Handeln dh, dass er lediglich die
gebotene Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er verpflichtet gewesen wäre. Ein technischer
Defekt am Fahrzeug konnte durch einen Gutachter ausgeschlossen werden, sodass
davon ausgegangen werden kann, dass sich der Unfall auf Grund eines Fahrfehlers des
L17-Fahrers ereignet hat. Ein gewissenhafter und sorgfältiger Fahranfänger hätte den
Wagen nicht auf die Innenfahrbahn gelenkt, während dort ein Sattelschlepper mit
Anhänger fährt und hätte dadurch keinen Auffahrunfall verursacht.
Für eine Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen gem § 81 StGB
bedarf es gegenüber dem Grunddelikt eines erhöhten Verhaltensunwerts129. Z 2 die
Rauschtat und Z 3 die fahrlässige Tötung durch ein gefährliches Tier scheiden von
vornherein aus. Zu prüfen ist, ob Z 1 anwendbar ist und eine Begehung unter besonders
gefährlichen Verhältnissen vorliegt. Dabei liegt das Augenmerk auf dem gesteigerten
Gefährlichkeitsgrad. Es muss durch das Verhalten eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit
des Erfolgseintritts erwirkt werden130. Im Nachhinein konnte nicht mehr nachgewiesen
werden, ob erhöhte Geschwindigkeit als Unfallauslöser in Frage kam. Es ist von einer
Unachtsamkeit auszugehen, die nicht gleichzeitig den Verhaltensunwert steigert. Eine
Qualifikation nach § 81 StGB kann mangels andere Anhaltspunkte nicht angenommen
werden.
129
Burgstaller in WK2 StGB, § 81, Rz 5.
130 Birklbauer/Hilf/Tipold, Strafrecht BT I
3, § 81, Rz 4.
Seite | 42
7.1.2 Erledigung
Da der Beschuldigte im Tatzeitpunkt erst 17 Jahre alt war gilt er als Jugendlicher und
seine Tat als Jugendstraftat iSd § 1 JGG. Wie bereits mehrfach erwähnt gelten für
Jugendliche grundsätzlich die allgemeinen Regelungen der Strafprozessordnung, es sei
denn, das JGG enthält speziellere Regelungen, dann sind diese anzuwenden.
Der Strafrahmen des § 80 StGB wird auf Grund der Sonderbestimmung des § 5 Z 4 JGG
auf die Hälfte reduziert und beträgt somit maximal sechs Monate.
Ein Absehen von der Strafverfolgung gem § 6 JGG kann nicht angedacht werden, da die
Todesfolge ein solches Vorgehen verhindert. Da eine schlichte Diversion nicht in Frage
kommt, bleibt dem Jugendlichen nur noch die Möglichkeit einer intervenierenden
Diversion. Voraussetzung für die Anwendung der §§ 198 StPO iVm 7 JGG ist, dass eine
Einstellung des Verfahrens nach §§ 190 bis 192 StPO nicht in Betracht kommt, der
Sachverhalt muss hinreichend geklärt sein und es dürfen keine spezialpräventiven
Gründe vorliegen, um den Jugendlichen von der Begehung derselben bzw einer
ähnlichen Straftat abzuhalten.
Der Störwert der Tat kann auf Grund der Todesfolge nicht als gering angesehen werden,
sodass eine Einstellung der §§ 190 bis 192 nicht zur Anwendung kommt. Es sind keine
spezialpräventiven Gründe ersichtlich, die gegen eine Diversion sprechen und zu einem
zwingenden Strafverfahren führen würden. Da es bei einer Anklage mit großer
Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung des Beschuldigten kommen würde, kann der
Sachverhalt als hinreichend geklärt angesehen werden.
Die Schuld des Jugendlichen darf nicht als schwer iSd Strafzumessungsschuld gem
§ 32 StGB anzusehen sein. Ein schweres Verschulden liegt, wie bereits unter 4.1.2
erwähnt, dann vor, wenn Handlungs-, Erfolgs- und Gesinnungsunwert insgesamt als
auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen sind, in diesem Fall ein auffallend und
ungewöhnliches Außer-Acht-Lassen der gebotenen Sorgfalt besteht. Ein technisches
Gebrechen des PKW konnte durch einen Sachverständigen ausgeschlossen werden131.
Der Unfall, der sich auf Grund eines Fahrfehlers ereignet hat, lässt auf einen geringen
Handlungsunwert schließen. Da es sich um Fahrlässigkeit handelt, ist auch die kriminelle
Energie, die hinter der Tat steht – der Gesinnungsunwert – als niedrig einzustufen.
Lediglich der Erfolgsunwert ist ein hoher, da der Tod die schlimmste Verletzung des
Rechtsguts Leben darstellt. Nach hA wirken sich bei geringem Handlungsunwert auch
bedeutsame Folgen kaum auf die Schwere der Schuld aus132. Unter Berücksichtigung
131
Krieglsteiner, OÖ Nachrichten Onlineausgabe vom 17. Nov. 2013. 132
Schwaighofer, ZVR 2008/119, 279/280.
Seite | 43
aller Aspekte, kann nicht von einem, die schwere Schuld bezeichnenden, auffallend und
ungewöhnlichem Sorgfaltsverstoß ausgegangen werden.
Ein diversionelles Verfahren bei Todesfolge ist auch bei Jugendlichen nur in den
Ausnahmefällen des § 7 Abs 2 Z 2 JGG möglich. Diversion darf angewendet werden,
wenn ein Angehöriger des Beschuldigten getötet wurde und dieser dadurch schweren
psychischen Belastungen ausgesetzt ist und eine Bestrafung aus diesen Gründen nicht
mehr geboten erscheint. Die persönliche Betroffenheit wird immer nach dem Einzelfall
bewertet, die Tatsache, dass ein Angehöriger getötet wurde, stellt für sich alleine noch
keine psychische Belastung dar. Sobald ein Naheverhältnis bestanden hat zwischen dem
Jugendlichen und seinem Vater, kann von einer persönlichen Betroffenheit ausgegangen
werden und der StA kann von der Verfolgung gem § 7 JGG, trotz Todesfolge,
zurücktreten133. Da der Jugendliche mit seinem Vater, der Angehöriger iSd § 72 StGB ist,
ein gutes Einvernehmen hatte und auch nach der Tat psychologisch betreut werden
musste, ist davon auszugehen, dass auf Grund, der durch den Tod des Vaters beim
Jugendlichen verursachten schweren psychischen Belastung, keine Bestrafung geboten
erscheint.
Eine diversionelle Erledigung gem §§ 198 StPO und § 7 JGG ist demnach bei einem
solchen Unfall, der durch einen Jugendlichen verursacht wurde, möglich.
7.2 Junger Erwachsener
7.2.1 Tatbestand
Der Tatbestand deckt sich mit den beim Jugendlichen genannten Ausführungen, durch
den begangenen Fahrfehler kann dem jungen Erwachsenen ein objektiv sorgfaltswidriges
Verhalten angelastet werden, dass ihm auch subjektiv vorwerfbar ist. Der StA kann
Anklage wegen fahrlässiger Tötung gem § 80 StGB erheben. Anzeichen für eine
tatbestandsmäßige Erfüllung des § 81 StGB gibt es, mangels gesteigerten
Handlungsunwerts, keine.
7.2.2 Erledigung
Junge Erwachsene werden grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln der
Strafprozessordnung behandelt. Für 18 bis 21 Jährige ist das JGG nur vereinzelt
anwendbar, die Regelungen der Diversion sind aber für junge Erwachsene ausgenommen
und es muss nach aktueller Rechtslage bei jungen Erwachsenen nach den allgemeinen
Bestimmungen der StPO vorgegangen werden.
133
ErlRV 231, BlgNR XXIII.GP, 29.
Seite | 44
Eine Einstellung nach § 190 bzw § 191 StPO kommt nicht in Betracht, da die Tat keinen
geringen Störwert aufweist. Eine diversionelle Erledigung ist für junge Erwachsene nur
nach den Bestimmungen der §§ 198 ff StPO möglich. Das Strafmaß der fahrlässigen
Tötung enthält eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr und es wird durch die Anwendung
der Strafsatzmilderung des § 36 StGB für junge Erwachsene nicht reduziert. Es bleibt
daher bei einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe134.
Es kommt für ihn nur eine Strafmilderung im Rahmen der Strafzumessung durch
besondere Milderungsgründe, wie sie § 34 StGB demonstrativ aufzählt, in Betracht. Da er
die Tat nach Vollendung des 18. Lebensjahres und vor Vollendung des 21. Lebensjahres
begangen hat, ist ihm der Milderungsgrund des geringen Alters (Z 1) zu Gute zu halten.
Da der junge Erwachsene durch den Tod seines Vaters, eine ihm nahestehende Person
iSd § 72 StGB, persönlich betroffen ist, ist der Milderungsgrund der Z 19, der
Täterbetroffenheit, in die Strafzumessung ebenfalls mit einzubeziehen135.
Da der Strafrahmen des § 80 StGB eine FS von bis zu einem Jahr vorsieht, ist das
formelle Kriterium des § 43 StGB, eine zwei Jahre nicht übersteigende Strafandrohung,
erfüllt und die Strafe kann gänzlich bedingt nachgesehen werden und auf den Vollzug,
unter gleichzeitiger Verhängung einer Probezeit von mindestens einem Jahr verzichtet
werden. Die gelindeste Strafe, die dem jungen Erwachsenen auferlegt werden kann, ist
eine 1-tägige, bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe. Durch den hohen Leidensdruck, den
der Täter durch die Tötung des nahen Angehörigen erlitten hat, ist davon auszugehen,
dass die Vollstreckung der Strafe nicht erforderlich ist, um den jungen Erwachsenen von
der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Die Allgemeinheit hat
Verständnis, dass in so einem Fall nur eine kurze Freiheitsstrafe verhängt wird und auf
den Strafvollzug, nach erfolgreicher Probezeit, verzichtet wird. Die Durchschlagskraft der
Rechtsordnung leidet nicht darunter136.
Wenn die konkrete Strafe weniger als sechs Monate Freiheitsstrafe beträgt, was
anzunehmen ist, da mildernd das geringe Alter und die Betroffenheit mit einfließen, kann
auch eine Geldstrafe anstelle einer FS gem § 37 StGB verhängt werden. Eine teilbedingte
Nachsicht der GS kann unter denselben Kriterien wie bei der Freiheitsstrafe
ausgesprochen werden, die Rsp ist hiebei allerdings sehr restriktiv, da sie oft
generalpräventive Erfordernisse, auf Grund des geringeren Übels der Geldstrafe, sieht.
134
Mahler, JAP 2014/2015/19, 204. 135
Oshidari, Handbuch des Verkehrsunfalls VII, Rz 284. 136
Soyer, AnwBl 1989, 311.
Seite | 45
7.3 Erwachsener
7.3.1 Tatbestand
Eine 33-jährige Mutter hat den Kinderwagen mit ihrem Kleinkind am Bahnsteig abgestellt
und ist ins Untergeschoß Fahrkarten kaufen gegangen. Während sie die Tickets besorgte,
rollte der Kinderwagen auf die Gleise als ein Güterzug den Bahnhof passierte. Der
Kinderwagen wurde vom Zug erfasst und das Baby tödlich verletzt.
Voraussetzung um den Tatbestand des § 80 StGB zu erfüllen ist ein objektiv
sorgfaltswidriges Verhalten der Mutter. Das kann im unsachgemäßen Abstellen des
Kindes am Bahnsteig gesehen werden. Denkbar wäre ein objektiv sorgfaltswidriges
Verhalten zB dann, wenn die Mutter vergessen hätte, die Bremsen des Kinderwagens zu
betätigen, obwohl der Bahnsteig zu den Gleisen hin leicht abschüssig war und an dem
Tag ein kräftiger Wind gegangen ist. Abzustellen ist auf das Verhalten einer
differenzierten Maßfigur im Zeitpunkt der Tat. Eine mit den Werten der Rechtsnorm
verbundene Mutter hätte ihr Kind nicht alleine im Kinderwagen am Bahnsteig abgestellt
bzw hätte nicht vergessen die Bremse zu fixieren, wenn das Bahnsteiggelände ohnehin
leicht abschüssig ist.
Um die subjektive Seite des Tatbestands zu erfüllen, bedarf es bloßer Fahrlässigkeit. Da
die Mutter die gebotene Sorgfalt beim Abstellen des Kinderwagens außer Acht gelassen
hat, kann ihr fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden. Das Strafmaß der fahrlässigen
Tötung beträgt bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe, wodurch das Delikt in die sachliche
Zuständigkeit des Bezirksgerichts (§ 30 StPO) fällt.
7.3.2 Erledigung
Taten Erwachsener Straftäter werden ausschließlich nach den allgemeinen
Bestimmungen des Strafrechts und der Strafprozessordnung erledigt.
Eine Einstellung wegen Geringfügigkeit gem § 191 StPO kommt wegen der Todesfolge,
die einen hohen Störwert der Tat darstellt, nicht in Betracht. Aus denselben Gründen
scheidet auch eine diversionelle Erledigung aus, da die Tat den Tod eines Menschen zur
Folge hatte, was gem § 198 Abs 2 einer Diversion entgegen steht.
Die StA hat gegen die Mutter Anklage wegen fahrlässiger Tötung gem § 80 StGB zu
erheben. Das Gericht kann der erwachsenen Täterin nur den Milderungsgrund der
Täterbetroffenheit gem § 34 Abs 1 Z 19 StGB gewähren, da sie als Mutter Angehörige iSd
§ 72 StGB ist und durch den Tod des eigenen Kindes psychisch schwer betroffen ist.
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Wenn auf keine höhere Strafe als eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten zu
entscheiden wäre, dann ist die FS gem § 37 Abs 1 StGB in eine Geldstrafe umzuwandeln,
sofern keine präventiven Erfordernisse für eine Freiheitsstrafe vorliegen. In so einem Fall
wären grundsätzlich nur generalpräventive Einwände des Gerichts denkbar, aus
spezialpräventiver Sicht ergeben sich keine Bedenken, da die Mutter ohnehin schon leidet
und sie durch eine Geldstrafe ausreichend gestraft wäre. Auf Grund des geringen
Unrechtgehalts der Tathandlung sollte der Anwendung des § 37 StGB nichts
entgegenstehen. Der Strafrahmen wäre gem § 19 StGB mit mindestsens zwei TS bis hin
zu maximal 360 TS zu bemessen. Eine daraus resultierende Geldstrafe könnte gem
§ 43a StGB teilbedingt nachgesehen werden.
Selbst wenn keine Geldstrafe anstelle einer Freiheitsstrafe verhängt werden kann, wird
eine bedingte Strafnachsicht gewährt werden können. Wenn die konkrete Strafe weniger
als sechs Monate FS beträgt, kann, vorausgesetzt die Präventionserfordernisse fehlen,
die Strafe zur Gänze nachgesehen werden, andernfalls nur teilbedingt.
Im konkreten Fall wäre angesichts der geringen Schuld und der kaum erforderlichen
Präventionsgründe eine eintägige FS denkbar und diese könnte auch gänzlich bedingt
nachgesehen werden. Die Allgemeinheit versteht es, wenn eine Mutter, die ihr Kind auf
solch tragische Weise verloren hat, nur eine kurze, bedingt nachgesehene FS bekommt.
Das Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit wird dadurch nicht erschüttert.
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8 Subsumtion der einzelnen Fälle nach künftiger Rechtslage
Für alle drei oben erläuterten Sachverhalte kann gemeinsam festgehalten werden, dass
künftig ab 1.1.2016 bei fahrlässiger Tötung nicht mehr zwangsläufig nur auf eine
Freiheitsstrafe zu erkennen ist, sondern die Möglichkeit einer Verhängung einer
Geldstrafe von bis zu 720 TS denkbar ist.
Um eine Anwendbarkeit des § 81 StGB auszuschließen, darf der Unfall nicht grob
fahrlässig herbeigeführt worden sein. Das wäre dann der Fall, wenn eine ungewöhnliche
und auffallend sorgfaltswidrige Handlung gesetzt worden wäre, die gem § 6 Abs 3 StGB
nF den Eintritt eines dem gesetzlichen Tatbild entsprechenden Sachverhalts geradezu
wahrscheinlich erscheinen lässt. In den oben geschilderten Sachverhalten kann jedoch
keine ungewöhnlich auffallend sorgfaltswidrige Handlung erkannt werden.
8.1 Jugendlicher
Für die Tatbegehung durch einen Jugendlichen ändert sich zu den oben getätigten
Ausführungen nichts, ein diversionelles Vorgehen ist nach wie vor möglich und als
gelindestes Mittel, entsprechend dem Ultima-Ratio Gedanken des Strafrechts, einer
Bestrafung, sei es durch Verhängung einer Geldstrafe oder durch eine Freiheitsstrafe,
vorzuziehen.
8.2 Junger Erwachsener
Die größten Änderungen ergeben sich in der Strafbarkeit von jungen Erwachsenen. Wenn
der Begutachtungsentwurf idF 148/ME XXV.GP angenommen wird, wären nunmehr bei
jungen Erwachsenen die §§ 5 Z 2 lit a, Z 3 und Z 4 2. HS JGG anwendbar. § 80 StGB
sieht eine Strafdrohung von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bzw 720 TS vor. Die oa
Strafrahmenreduktionen für Verbrechen bzw der Entfall eines Mindestmaßes sind bei
§ 80 StGB nicht einschlägig und es bleibt beim Strafrahmen der für Erwachsene
vorgesehen ist von bis zu einem Jahr FS oder bis zu 720 TS.
Die erweiterte Sanktionspalette sieht künftig eine Diversion gem § 7 JGG auch bei
Todesfolge vor, wenn der junge Erwachsene durch den Tod eines nahen Angehörigen
schwer psychisch beeinträchtigt ist und eine Bestrafung aus diesem Grund nicht geboten
erscheint. Die Diversionsarten sind so zu wählen, dass das weitere Fortkommen des
jungen Erwachsenen nicht erheblich erschwert wird und er im Falle einer Zahlung eines
Geldbetrages diese aus seinen eigenen Mitteln erbringen kann.
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Bei Verhängung der Diversionsart der gemeinnützigen Leistung oder des Tatausgleichs
kann nunmehr auch ein Bewährungshelfer hinzugezogen werden, wenn es aus
spezialpräventiven Gründen geboten erscheint, oder der Sicherstellung der vollständigen
Schadensgutmachung dient.
Sollte eine Diversion nicht in Betracht kommen, zB weil der Getötete nicht ein naher
Angehöriger des jungen Erwachsenen ist, würden die Sanktionsmaßnahmen des
Schuldausspruchs ohne bzw unter Vorbehalt der Strafe nunmehr auch bei 18 bis 21
jährigen Straftätern Anwendung finden.
Da das Jugendgerichtsgesetz keine eigenen Regelungen für eine bedingte oder
teilbedingte Strafnachsicht enthält, sowohl nach aktueller Rechtslage als auch nach
künftiger Fassung nicht, bleiben im Falle einer Verurteilung mit Strafausspruch die
Bestimmungen der §§ 43 ff StGB für junge Erwachsene anwendbar.
8.3 Erwachsener
Bei der Aburteilung des Erwachsenen kommt künftig nur die Möglichkeit einer
Verhängung einer Geldstrafe iHv 720 TS hinzu. Ein diversionelles Vorgehen bleibt auf
Grund der Todesfolge bei Erwachsenen weiterhin ausgeschlossen.
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9 Zusammenfassung
Wie schon mehrfach in dieser Arbeit erwähnt wurde, hört die Phase des
Heranwachsenden, die sogenannte Adoleszenzkrise, nicht mit Vollendung des 18.
Lebensjahres auf. Vielfach entscheidet aber gerade nur das Alter über die Anwendbarkeit
oder nicht Anwendbarkeit des Strafrechts, bzw einzelner Privilegien des JGG137. Es zeigt
sich ein besonders starker Anstieg der verübten Delinquenz zwischen dem 17. und dem
20. Lebensjahr, danach nimmt die Kriminalitätsbelastung bis zum 25. Lebensjahr deutlich
ab138.
Sinnvoller wäre es, die Rahmenbedingungen für Straftaten Jugendlicher bzw junger
Erwachsener anzugleichen und möglichst breit festzulegen und dem Richter seine
ursprüngliche Aufgabe, die Strafzumessung an den Einzelfall anzupassen,
zurückzugeben. Wenn dem Gericht ein großer Spielraum eingeräumt wird, kann er die
Strafzumessung besser auf den Einzelfall anpassen und angesichts der
spezialpräventiven Erfordernisse gezielt reagieren. Durch ein vorab festgesetztes
Grundkonzept, innerhalb dessen ein breites Reaktionsspektrum liegt, soll Willkür
entgegen gewirkt werden, eine gewisse Vorhersehbarkeit der Strafe bleibt gegeben.
Ein wie in Deutschland existierendes Heranwachsendenstrafrecht, bei dem im Einzelfall
entschieden wird, ob der junge Erwachsene nunmehr nach dem Jugendgerichtsgesetz
oder nach den Strafbestimmungen des Erwachsenenstrafrechts zu bestrafen sei, ist
abzulehnen. Besonderes Augenmerk ist auf die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit und
die Umstände der konkreten Tat zu legen139 besonders im Hinblick darauf, ob es sich um
eine typische Jugendverfehlung handelt. Da den Gerichten vielfach die notwendigen
entwicklungspsychologischen Kenntnisse oder teilweise sogar einfach nur die
notwendigen Informationen fehlen, haben sie für die Entscheidung, welches Recht zur
Anwendung kommt, Gutachten heranzuziehen. Um eine strafrechtliche Vorhersehbarkeit
zu gewährleisten, wäre es zu begrüßen, wenn auch für junge Erwachsene stets das
Jugendstrafrecht herangezogen würde und innerhalb der Bestimmungen des JGG, je
nach Einzelfall geurteilt würde. Der Exkurs ins deutsche Heranwachsendenstrafrecht soll
aufzeigen, dass eine Einzelfallbetrachtung, ob Jugendstrafrecht anwendbar ist oder nicht,
in der Praxis zu erheblichen Problemen führen kann.
137
Birklbauer, JSt 2011, 157, 164. 138
Miklau in FS Jesionek, 138. 139
Ostendorfer, ÖJZ 2003/7, 121 ff.
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An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass jede altersorientierte Grenzziehung ein
Akt kriminalpolitischer Wertung ist und im Hinblick auf die stets unterschiedlich
fortgeschrittene Entwicklung des einzelnen jungen Straftäters problematisch zu bewerten
ist140.
Die Jugendgerichtsnovelle, die derzeit im Begutachtungsverfahren beim NR liegt, kommt
einer angemessenen Beachtung der jungen Erwachsenden im Strafrecht näher. Zu
begrüßen ist der Vorrang der Spezialprävention, der nunmehr auch bei jungen
Erwachsenen vorherrschend ist. Die Novelle idF 148/ME XXV.GP bleibt im Bereich der
Strafzumessung hinter den Erwartungen zurück. Der Gesetzgeber hat lediglich die
Strafrahmengrenzen schwerer Verbrechen junger Erwachsener an die der Jugendlichen
angeglichen und den generellen Entfall eines festgesetzten Mindestmaßes nunmehr auch
für junge Erwachsene vorgesehen. Wünschenswert wäre eine nahezu Angleichung der
Strafgrenzen für junge Erwachsene an die der Jugendlichen, da die Bedürfnisse junger
Erwachsener sich stark an denen der Jugendlichen orientieren.
Die Anwendbarkeit der Diversion des § 7 JGG bringt für junge Erwachsene erhebliche
Vorteile. Eine Todesfolge eines Angehörigen schließt nicht mehr zwangsläufig die
Diversion aus. Dies geht dem Verein Neustart in seiner Stellungnahme zum
Begutachtungsentwurf nicht weit genug, er fordert eine zweifache Ausdehnung des
§ 7 JGG. Einerseits den Entfall der ausschließlichen Anwendung der Diversion bei Tod
eines Angehörigen, denn oftmals sind Jugendliche bzw nunmehr auch junge Erwachsene
nicht mit der Familie unterwegs und bei verübten Delikten des § 80 StGB kommen meist
Freunde oder Bekannte ums Leben. Bei schwerer psychischer Betroffenheit durch den
fahrlässig verursachten Tod eines Freundes wäre auch die Anwendbarkeit der Diversion
gem § 7 JGG in solchen Fällen erwünscht. Sobald ein Naheverhältnis zum Opfer
bestanden hat, wäre eine schwere psychische Belastung gegeben und ein diversionelles
Vorgehen wäre vertretbar. Desweiteren wird die Ausdehnung der diversionellen
Erledigungsmöglichkeit auch für Erwachsene, bei persönlicher Betroffenheit durch den
Tod eines nahen Angehörigen, in § 198 Abs 2 StPO erwünscht141.
Schon der Bericht der Expertenkommission zur Prüfung der staatlichen Reaktionen auf
strafbares Verhalten in Österreich vom März 2004 hat treffend erkannt, dass ein
gänzlicher Ausschluss der Diversion bei Todesfolge aus dem § 198 StPO beseitigt
werden sollte, zumal die Anwendung ohnehin aus Gründen der Generalprävention nur auf
140
Ostendorfer, ÖJZ 2003/7, 121 ff. 141
1/SN-148/ME XXV.GP, 8.
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Ausnahmesituationen, wie zB bei der leicht fahrlässigen Tötung eines nahen Angehörigen
durch einen Verkehrsunfall, beschränkt wäre142.
Dem kann inhaltlich gänzlich zugestimmt werden, wobei unter Berücksichtigung der oa
Gründe nicht ausschließlich eine Beschränkung auf nahe Angehörige vorzunehmen ist.
Es ist nicht nachzuvollziehen, warum jemand, der ohnehin schon durch die Verursachung
des Todes eines nahen Angehörigen oder einer ihm nahestehenden Person schwer
psychisch betroffen ist, in der Hauptverhandlung alles erneut durchleben muss und,
obwohl die Tat einen geringen Handlungsunwert aufweist, vorbestraft wird. Das
widerspricht den heute vorherrschenden Präventionserfordernissen der General- und
Spezialprävention.
Die StGB Novelle des BGBl I 112/2015 bringt im Hinblick für die Diversionsanwendungen
bei Erwachsenen insofern eine Erleichterung, dass nunmehr Diversion bei Straftaten zur
Anwendung kommen kann, die auf Grund ihre Eigenzuständigkeit in die schöffen- bzw
geschworenengerichtliche Zuständigkeit fallen. § 198 Abs 2 nF stellt nunmehr auf die
Strafdauer – nicht mehr als fünf Jahre Freiheitsstrafe – und nicht mehr auf die gerichtliche
Zuteilung ab. Ein Umdenken bei den Anwendungsvoraussetzungen und eine Ausdehnung
der Diversion wären im Hinblick auf die diversionelle Erledigung bei Todesfolge auch für
Erwachsene wünschenswert.
Bleibt abzuwarten, was aus dem Begutachtungsentwurf 148/ME XXV.GP in das JGG bzw
StGB übernommen wird. In der aktuellen Fassung des Entwurfes stellt die Novelle eine
erhebliche Reaktionserweiterung für junge Erwachsene dar.
142
Bericht der Expertenkommission, ÖJZ 2004/35, 553.
Seite | IX
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