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Page 1: STAATSGRENZEN / BOUNDARIES || Der Verlauf der Elbgrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR

Der Verlauf der Elbgrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDRAuthor(s): STEPHAN GEORG SASSENROTHSource: Archiv des Völkerrechts, 24. Bd., 3. H., STAATSGRENZEN / BOUNDARIES (1986), pp.314-335Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40798211 .

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Der Verlauf der Eibgrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR

STEPHAN GEORG SASSENROTH

Vorbemerkung Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um die 'gekürzte Fassung eines

Gutachtens, das nach der ausführlichen Berichterstattung über eine ent- sprechende Arbeit Dieter Schröders1 durch das SED-Organ „Neues Deutsch- land" vom Frühjahr 19852 im Auftrag des Kieler Instituts für Internatio- nales Recht kurzfristig zum 30. April 1985 fertiggestellt worden ist3. Dabei wurden ausschließlich die seinerzeit zur Verfügung stehenden, öffentlich zugänglichen Quellen und Materialien verwertet; die erst später von der britischen Regierung freigegebenen Akten des Public Record Office konnten ebensowenig Berücksichtigung finden wie bestimmte, nach wie vor geheim- gehaltene Unterlagen des Bonner Bundesministeriums des Innern. Dieser gravierende Mangel verleiht dem Folgenden naturgemäß den Charakter des Vorläufigen: Es ist keinswegs auszuschließen, daß die von mir inzwischen ebenfalls in Angriff genommene Auswertung des umfangreichen britischen Materials zu Schlußfolgerungen führen könnte, die von dem hier vertrete- nen Ergebnis abweichen.

Ausgangspunkt für die Feststellung des Grenzverlaufs an der Elbe ist nach der übereinstimmenden Ansicht der beiden deutschen Regie- rungen4 und nach den bisher an die Öffentlichkeit gelangten Rechts-

1 Dieter Schröder, Gutaditen über den Verlauf der Grenze zwisdien der briti- schen Besatzungszone/Bundesrepublik Deutsdiland und der sowjetisdien Be- satzungszone/Deutsdie Demokratisdie Republik von Eibkilometer 472,6 bis Eib- kilometer 566,3, Berlin 1984 (Manuskriptdruck).

2 „SPD-Gutachten bestätigt: Eibgrenze BRD-DDR verläuft in der S troni -

mitte", ND vom 25. 3. 1985, Seiten 1 und 2; weiterer Bericht sowie längerer Text- auszug in: ND vom 26. 3. 1985, Seiten 1 und 2.

8 Stephan Georg Sassenroth, Gutachten über den Verlauf der Grenzlinie zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik im Eibabschnitt, Kiel 1985 (vom Institut vervielfältigt).

4 Vgl. die Erklärung zu Protokoll der beiden Delegationsleiter bei den Ver- handlungen über den Grundlagenvertrag, abgegeben im Zusammenhang mit einem Zusatzprotokoll (BGBl. 1973 II, 426) und gedruckt als Bundestags-Drucksache 7/153 vom 9. 2. 1973.

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gutachten5 das Londoner Protokoll über die Besatzungszonen in Deutsch- land und die Verwaltung von Groß-Berlin, das am 12. September 1944 von den Vertretern Großbritanniens, der Sowjetunion und der Ver- einigten Staaten unterzeichnet wurde. An der Interpretation dieses Ver- trages sowie an der Beurteilung der ihm nachfolgenden Vereinbarungen und tatsächlichen Handlungen britischer und sowjetischer Stellen entzündet sich bis heute der Streit.

I. Grenzverlauf nach dem Text des Londoner Protokolls („Wortlautgrenze")

Nach Art. 31 Abs. 1 und 2 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge (WVK) ist bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages zunächst vom Wortlaut auszugehen. Der Text des Londoner Protokolls lautet hinsichtlich des fraglichen Grenzabschnitts:

„. . . 1. Germany, within her frontiers as they were on the 31st December, 1937, will, for the purposes of occupation, be devided into three zones, one of which will be allotted to each of the three Powers, . . . 2. The boundaries of the three zones . . . will be as follows:

Eastern Zone (as shown on the annexed map „A") The territory of Germany . . . situated to the East of a line drawn from the point of Lübeck Bay where the frontiers of Schleswig-Holstein and Mecklenburg meet, along the western frontier of Mecklenburg to the frontier of the province of Hanover, thence, along the eastern frontier of Hanover, to the frontier of Bruns- wick . . .

North Western Zone (as shown on the annexed map „A") The territory of Germany situated to the West of the line defined above . . . The frontiers of States (Länder) and Provinces within Germany, referred to in the foregoing description of the zones, are those which existed after the coming into effect of the decree of 25th June, 1941 (published in the Reichsgesetzblatt, part I, No. 72, 3rd July, 1941) . . .*«

Bei ausschließlicher Anwendung dieser im Textteil des Vertragsinstrumen- tes gegebenen Gebietsbeschreibung ergibt sich - allerdings erst bei Zuhilfe- nahme von außerhalb des Vertrages liegenden topographischen Karten - am vereinbarten Stichtag des Jahres 1941 für die Grenze zwischen Mecklen- burg und der preußischen Provinz Hannover an der Elbe folgende Linien- führung:

Von Schnackenburg (Stromkilometer 472,6) aus stromabwärts verläuft sie zunächst links der Elbe etwas entfernt vom Ufer, überquert dann den Fluß und passiert die rechtselbisch gelegenen Lütkenwischer Wiesen in

5 Dietrich Rauschning, Die Grenzlinie im Verlauf der Elbe, in: Recht im Dienst des Friedens, Festschrift für Eberhard Menzel, Berlin 1975, 429 (447); Schröder (Anm. 1), 2, 6/7.

« United Nations Treaty Series (UNTS), Vol. 227 (1956), 280, 282.

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einiger Entfernung vom Nordost-Ufer; danach biegt sie nach links ab und erreicht die Strommitte, der sie über ca. 25 km folgt. Anschließend wechselt sie wieder auf die linke Elbeseite und umschreibt dort das Kaltenhofer Viereck in einiger Entfernung vom Südwest-Ufer, bevor sie erneut die Strommitte erreicht und ihr bis nach Wehningen (km 511,6) folgt. Dann wendet sie sich nach rechts, verläßt den Strom und verläuft auf einer Strecke von ca. 45 km rechtselbisch in erheblicher Entfernung vom Nordost-Ufer (Neuhauser Streifen). Bei Radegast erreicht sie wieder die Elbe, folgt ein Stück weit der Strommitte und wechselt dann nochmals auf die linke Seite des Flusses. Dort verläuft sie zunächst unmittelbar am Südwest-Ufer, biegt dann aber ein weiteres Mal nach links ab und umschreibt das Gebiet von Vier Werder, wobei sie schließlich wieder auf den Fluß stößt. Auf den letzten 4 km des Elbeabschnitts folgt sie dann erneut der Strommitte bis nach Lauenburg (km 566,3).

Dieser die Elbe mehrfach in ihrer ganzen Breite überquerende, in der Linienführung häufig verspringende („Zick-Zack") Verlauf der preußisch- mecklenburgischen Grenze ist unbestritten. Anlaß zum Streit gibt jedoch die Frage, inwieweit zur Feststellung der heutigen deutsch-deutschen Grenze auf jene historische Linie zurückgegriffen werden muß.

Während Rauschning dies unter Hinweis auf die Karte A zum Londoner Protokoll noch ablehnte7, soll nach der neueren Gegenauffassung Schröders der Rückgriff notwendig sein, weil die Karte ungenau, fehlerhaft und daher „juristisch wertlos" sei8.

II. Grenzverlauf nach der Karte A zum Londoner Protokoll („Kartengrenze")

Betrachtet man nunmehr die dem Vertrag beigefügte Karte A (Abb. l)9, die nach dem klaren Wortlaut („annexed map") als Anhang im Sinne von Art. 31 Abs. 2 WVK anzusehen und demgemäß neben dem Text zur Aus- legung heranzuziehen ist, ergibt sich ein von dem oben beschriebenen Grenz- verlauf abweichendes Bild:

Die Karte zeigt die preußisch-mecklenburgische Grenze auf der gesamten Länge des Elbeabschnitts rechts des Stroms, und zwar durchgehend unmittel- bar am Nordost-Ufer mit Ausnahme des Neuhauser Streifens, wo sie in einem Abstand von einigen Kilometern nordöstlich der Elbe markiert ist. Der transparente „rote Strich", der die vereinbarte Besatzungszone darstellt,

7 Rauschning (Anm. 5), 445: „Der Text des Protokolls verweist zwar auf die deutsdien Verwaltungsgrenzen, . . . dodi gingen die Besatzungsorgane von den Karten aus."

8 Schröder (Anm. 1), 13. 9 Reproduktion der Karte A in UNTS (Anm. 6), neben Seite 411.

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io RGBl. 1919, 687 (758).

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folgt erkennbar dieser Markierung, indem er sie in der Weise überlagert, daß die zugrundeliegende schwarze Linie der deutschen Ländergrenze noch deutlich durchschimmert. Die Zonengrenze verläuft daher auf der Karte ebenfalls komplett rechtselbisch. Zwischen der aus dem Vertragsinstrument unmittelbar ablesbaren Linie in der Karte A und der aus dem Text er- schließbaren Grenzlinie ist somit eine Divergenz erkennbar, die, auch wenn sie den Vertragsparteien kaum bewußt gewesen sein dürfte, heute den Ansatzpunkt für unterschiedliche Auslegungen bietet.

III. Vorrang der „Wortlautlinie" oder Vorrang der „Kartenlinie"?

Eine spezielle vertragliche Kollisionsregel für den Fall derartiger Ab- weichungen, wie sie etwa in Art. 29 Abs. 2 des Versailler Vertrages enthal- ten war10, findet sich im Londoner Protokoll nicht. Dem Zusatz „as shown on the annxed map A" könnte man zwar eine ähnliche Funktion zumessen, dies erscheint aber nicht zwingend, da er sich nicht eindeutig auf den Kolli- sionsfall bezieht.

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1. Existiert eine völkerrechtliche Regel über ein Rangverhältnis von Text und beigefügten Karten bei der Vertragsauslegung?

Aus Art. 31 Abs. 2 WVK ist eine Antwort auf diese Frage zunächst nicht zu gewinnen, da dort die Anhänge eines Vertrages dem Text hinsichtlich der Auslegung generell gleichgestellt werden. Es könnten sich aber im Völker- recht für den Spezialfall von beigefügten Karten besondere Regeln über deren Stellenwert bei der Vertragsauslegung gebildet haben.

Schröder meint eine generell skeptische Haltung „der Völkerrechtler"

gegenüber solchen Karten konstatieren zu können. Sie würden in der Völ- kerrechtslehre lediglich als malerische Versuche bezeichnet und seien auch im vorliegenden Fall eindeutig nachrangig gegenüber dem Text des Ver-

trages11. Schröder beruft sich dabei im wesentlichen auf ein Gutachten des

Ständigen Internationalen Gerichtshofs aus dem Jahr 1923 sowie auf einen

Schiedsspruch Hubers von 192812, daneben auf eine Stelle in einem west- deutschen Lehrbuch, die außer der Wortprägung von den „malerischen Ver- suchen" als Begründung lediglich die fast 60 Jahre alte Entscheidung Hubers wiederholt13.

Demgegenüber ist festzuhalten, daß der Nachweis einer völkerrechtlichen

Regel oder maßgeblichen Lehrmeinung, wonach der Text eines Vertrages grundsätzlich Vorrang vor beigefügten Karten habe, ohne ausreichende Be-

rücksichtigung der neueren Entwicklung in Staatenpraxis, internationaler

Rechtsprechung und Literatur nicht möglich ist. Zur Systematisierung dieser Entwicklung muß zunächst zwischen zwei

Typen von Karten unterschieden werden. Karten, die als Anhang eines

Vertrages dessen „integral part" bilden und kraft Verweises im Text

„binding character" tragen, werden heute in Rechtsprechung und Literatur anders (nämlich als „primary evidence") behandelt als die nicht in einen

Vertrag inkorporierten Karten, die nur als von der Bindungswirkung nicht

erfaßte, zusätzliche Auslegungsmittel („secondary evidence") dienen kön- nen14.

Die dem Londoner Protokoll beigefügte Karte A gehört zum ersten Typ: Sie ist durch ausdrückliche Verweisung im Text („annexed map") in den

Vertrag inkorporiert. Zusätzlich ist sie mit den Paraphen aller beteiligten

u Saröder (Anm. 1), 11, 13. 12 Permanent Court of International Justice (PCIJ), Ser. B, No. 8, 32 lt.

(Gutachten im Jaworzina-F all) ; Reports of International Arbitral Awards (RIAA) II, 829 ff. (Schiedsspruch im P*/m*5-Fall).

is Friedrich Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Band 1, ¿. Aufl., Muncnen !?/:>, 315 f.

14 Zu den Begriffen vgl. die Entscheidungen des IGhL: International i^ourt ot

Justice Reports (ICJ Rep.) 1959, 209 (220) und IC, Rep. 1962, 6 (21 f., 33) sowie Durward Sandiger, Evidence Before International Tribunals, Revised Edition, Charlottesville 1975, 229 f.

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Unterhändler abgezeichnet, ein auch bei Grenzverträgen keineswegs alltäg- licher Umstand16, der verdeutlicht, daß die Parteien gerade auch die Karte als bindendes Ergebnis ihrer Einigung kennzeichnen wollten.

a) Die bisherige Staatenpraxis Was die einschlägige Staatenpraxis betrifft, die in Grenzverträgen zum

Ausdruck kommt und auf die Schröder nicht weiter eingeht, so ist eine ge- festigte Übung in der Richtung des Vorrangs des Textes gegenüber inkorpo- rierten Karten nicht nachweisbar. Zwar ist eine ähnliche Regelung zwischen 1871 und 1933 gelegentlich vereinbart worden16. Für die Zeit nach 1933 ist

jedoch kein Fall mehr ersichtlich, in dem eine derartige Vorrangklausel in einen mit dem Londoner Protokoll vergleichbaren Vertrag aufgenommen worden wäre. Das Londoner Protokoll selbst, aber auch der Staatsvertrag über Österreich vom 15. 5. 1955 und andere mit dem Ende des Zweiten

Weltkrieges zusammenhängende Verträge über neue Grenzen in Europa, denen ebenfalls Karten beigefügt waren17, lassen eher eine gegenläufige Tendenz erkennen.

b) Ältere Rechtsprechung und Lehre Schon die ältere Rechtsprechung kannte den bedeutsamen Unterschied

zwischen inkorporierten und nicht inkorporierten Karten. Der Schiedsspruch Hubers im Palmas-Fa.il, der von Schröder für seine Position in Anspruch genommen wird, bezog sich aber gerade nicht auf Karten, die Teil eines

Vertragsinstruments waren, sondern auf die begrenzte Beweiskraft einer

Argumentation wie der der Vereinigten Staaten, die ihren Anspruch auf die Insel Palmas mit einer Vielzahl von Karten zu untermauern versucht hatten, von denen keine einzige jemals Bestandteil oder auch nur Bezugsobjekt einer rechtlich bindenden Einigung der Streitparteien war18. Dieser Entscheidung lag folglich ein Sachverhalt zugrunde, der mit dem hier zu untersuchenden nicht vergleichbar ist.

iß Vgl. Sassenroth (Anm. 3), 8, Fn. 31. 16 Am bekanntesten dürfte der sdion erwähnte Art. 29 Abs. 2 des Versailler

Vertrages sein, der jedodi mit dem Londoner Protokoll insoweit nidit vergleidibar ist, dazu im einzelnen Sassenroth (Anm. 3), 9 f. Vgl. im übrigen die Zusammen- stellung bei A. Oye Cukwurah, The Settlement of Boundary Disputes in Inter- national Law, Mandiester 1967, 225, Fn. 2, der für diesen Zeitraum nur drei u. U. vergleidibare Fälle nennt.

17 Vgl. die Regelungen in Art. 22 des Staatsvertrages, UNTS Vol. 217, 223 (245), sowie die Grenzverträge der Bundesrepublik mit der Sdiweiz, Österreich und den Niederlanden, BGBl. 1963 II, 463 ff.; 1967 II, 2041 ff.; 1975 II, 766 ff.; 1979 II, 378 ff.

i« RIAA II (Anm. 8), 829 (853); dazu insbes. Guenter Weissberg, Maps as Evidence in International Boundary Disputes: A Reappraisal, in: American Journal of International Law, Vol. 57 (1963), 781 f.

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Huber macht in seinem Schiedsspruch zudem ausdrücklich die Einschrän- kung: „A map . . ., except when annexed to a legal instrument, has not the value of such an instrument . . ,"19. Wendet man dies im Umkehrschluß auf die Karte A an, die dem Londoner Protokoll „ annexed " ist, so spricht es eher für das Gegenteil der Auffassung Schröders.

Der zweite von ihm angeführte Fall gibt für seine Argumentation eben- falls wenig her, da der Gerichtshof dort die von den Streitparteien herge- stellten Karten des in Rede stehenden Grenzgebietes bei Jaworzina, die dem Beschluß einer Botschafterkonferenz „annexed" bzw. „attached" waren, gerade nicht als Beweismittel abwertete, sondern ihnen den Rang von

„important facts" beimaß. Im übrigen konnte das Gericht in diesem Fall eine Abweichung der Karten von dem Text des Beschlusses überhaupt nicht feststellen20. Es handelte sich mithin um eine Konstellation, die mit der beim Londoner Protokoll entstandenen Problemlage wiederum kaum vergleich- bar ist.

Mit der von ihm herangezogenen älteren Rechtsprechung ist demnach die Ansicht Schröders ebenfalls nicht zu begründen.

Aus der Völkerrechts Wissenschaft hätte allenfalls die Literatur der 30er und 40er Jahre im angelsächsischen Sprachraum für seine Sichtweise in An-

spruch genommen werden können, da sie in der Tat Karten bei Grenz-

streitigkeiten mit großer Reserve gegenüberstand21. Sie wird von ihm jedoch nicht erwähnt.

c) Neuere völkerrechtliche Entwicklung Von einer wie auch immer gearteten Regel über den Nachrang der bei-

gefügten Karten im Fall der Kollision mit dem Text eines Grenzvertrages kann spätestens seit der durch die Rechtsprechung des Internationalen Ge- richtshofs (IGH) in den 50er und 60er Jahren eingeleiteten neueren Ent-

wicklung im einschlägigen Völkerrecht nicht mehr die Rede sein. Im An- schluß an zwei grundlegende Entscheidungen dieses Gerichts setzte eine

Umorientierung hinsichtlich der Bewertung von Karten ein, die im folgen- den näher zu untersuchen ist.

Der IGH hatte sich erstmals in seinem Urteil im Case Concerning Sover-

eignty over Certain Frontier Land vom 20. 6. 1959 mit dem Stellenwert von Karten im Zusammenhang mit einem Grenzvertrag auseinanderzusetzen. In diesem Gebietsstreit zwischen Belgien und den Niederlanden ging es insoweit um einen mit dem Elbeproblem vergleichbaren Fall, als es das Ge- richt dort ebenfalls mit Karten zu tun hatte, die von Beauftragten der Parteien „prepared and signed" und gemäß Artikel 3 des zugrundeliegen-

I» RIAA II (Anm. 8), 853 (Hervorhebung d. Verf.). 20 PCIJ (Anm. 8), 32, 33. 2* Vgl. die Übersicht bei Weissberg (Anm. 18), 784/785.

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den Vertrages diesem „annexed" waren22. Später waren sie von den Nieder- landen wegen Abweichung von dem im Text des Vertrages zum Ausdruck kommenden Parteiwillen angezweifelt worden. In seiner Wertung dieser

inkorporierten Karten kam der IGH zu dem Ergebnis:

„These maps, in which the disputed plots are shown as belonging to Belgium, were designed to become and did become part of the Convention and, in accor- dance with Article 3 thereof, had the same legal force as the Convention itself"23.

Den Einwand der Niederlande, diese Karten seien fehlerhaft und wider-

sprächen dem wahren Willen der Parteien, wies der Gerichtshof folgender- maßen zurück:

„The Court must ascertain the intention of the Parties from the provisions of a treaty in the light of all the circumstances ... In the detailed map . . . which was to become part of the Boundary Convention, it was shown clearly, and in a manner which could not escape notice that the disputed plots ... in accordance with the legend of the map ... did not belong to the Netherlands but to Belgium. The situation of those plots must have immediately arrested attention. This map, signed by the members of the respective Commissions, of its very nature must have been the subject of check by both Commissions against original documents and surveys"24.

Auf diese Weise erlegte das Gericht der Partei, die durch die Kartengrenze benachteiligt war, die Pflicht auf, diese Linie vor Unterzeichnung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen und ggfs. auf einer Korrektur zu bestehen. Da die Niederlande dies unterließen, hielt der IGH die Kartengrenze für gültig. Weissberg kommentierte dies schon 1963 so:

„. . . in examining the contentions of the parties, in evaluating the intentions of the two states, and in reaching a decision, an unusually significant value was attached to maps in comparison to earlier cases25.

Hält man sich nun das Argument Schröders vor Augen, die Karte A zum Londoner Protokoll sei fehlerhaft, weil sie von der „wahren", aus Vertrags- text und Drittdokumenten zu erschließenden Ländergrenze abweiche, so ist dem mit dem IGH entgegenzuhalten, daß diese Abweichung gerade an einer geographisch und kartographisch so auffälligen Stelle wie der Flußgrenze an der Elbe von einer der Parteien des Londoner Protokolls, die ja alle die Karte mit ihrer Paraphe abgezeichnet und sie folglich nicht nur oberfläch- lich zur Kenntnis geommen haben, vor Unterzeichnung des Abkommens hätte gerügt werden müssen. Die Sowjetunion, die hier als durch die Karten- linie benachteiligt angesehen werden könnte, hat dies aber weder zum da- maligen Zeitpunkt noch später getan.

22 ICJ Rep. 1959, 209 (215). 2» Ebd., 220. 2* Ebd., 225 f. 2« Weissberg (Anm. 18), 790 f.

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Die referierte Entscheidung des IGH, die von Schröder und Rauschning nicht erwähnt wird, räumt in einem dem hier in Rede stehenden in wichti- gen Punkten ähnlichen Fall einer vertraglich inkorporierten Karte den Vorrang vor dem Text ein und spricht damit gegen die Annahme einer solche Karten abwertenden Völkerrechtsregel.

Diese Rechtsprechung hat der IGH im Jahr 1962 in seinem Urteil im Case Concerning the Temple of Preah Vihear vom 15. 6. 1962 fortgeführt. Dort ging es im Streit zwischen Kambodscha und Thailand um eine Grenz- linie, die nach dem Text eines Vertrages von 1904 zwischen den Rechts- bzw. Namensvorgängern beider Staaten, Frankreich und Siam, der Wasser- scheide in der Gebirgsregion um den Tempel folgen sollte. 1907 war dazu von französischen Offizieren eine Landkarte erstellt worden, die aber nicht

Vertragsbestandteil wurde. Diese Karte zeigte die Tempelregion als zu dem Teil des Hoheitsgebietes von Französisch-Indochina gehörend, der später kambodschanisches Staatsgebiet wurde.

Thailand bezog im Prozeß den Standpunkt, diese Karte sei fehlerhaft und daher unbeachtlich, denn „the frontier line indicated on this map was not the true watershed line in this vicinity"26.

Obwohl einiges für diese Behauptung sprach (eine siamesische Kommis- sion hatte in den 30er Jahren das Gebiet noch einmal vermessen und war dabei nach thailändischer Darstellung erstmals auf die Divergenz von Kar- tenlinie und wirklicher Wasserscheide gestoßen) und obwohl es sich um eine nicht in den Grenzvertrag inkorporierte Karte handelte, kam der Gerichts- hof zu dem Schluß, die Kartengrenze habe Vorrang vor dem Wortlaut des

Vertrages und einer wie auch immer verlaufenden „wahren" Wasserscheide:

„The court considers that the acceptance of the Annex I map by the parties caused the map to enter the treaty settlement and to become an integral part of it. It cannot be said that this process involved ... a violation of the terms of the Treaty of 1904, for . . . the map (whether in all respects accurate by reference to the true watershed line or not), was accepted by the Parties in 1908 ... In other words, the Parties at that time adopted an interpretation of the treaty settlement whidi caused the map line, in so far as it may have departed from the line of the watershed, to prevail over the relevant clause of the treaty"21.

Diese Formulierungen des Gerichtshofes zeigen deutlich, daß der Einwand Schröders, die im Temple-Fall zugrundeliegenden Karten seien topographisch viel exakter als die Karte A zum Londoner Protokoll, und deswegen seien die Entscheidungsgründe dieses Falles auf den hier zu untersuchenden nicht anwendbar, fehlgehen muß : Denn dem Gericht kam es bei seiner Feststellung des Vorranges der Karte auf die Frage nach deren topographischer Genauig- keit überhaupt nicht an. Vielmehr gewann es dieses Ergebnis im Wege der Vertragsauslegung („as a matter of treaty interpretation") anhand der auch

26 ICJ Rep. 1962, 6 (21). 27 Ebd., 33 f. (Hervorhebungen d. Verf.).

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in Art. 31 Abs. 1 und 3 WVK verankerten Kriterien des Vertragszwecks und der nachfolgenden Praxis („primary object of the Parties in the frontier settlement" und „subsequent conduct"). Diese Kriterien sind aber auf jeden Vertrag, also auch auf das Londoner Protokoll anwendbar.

Zur Begründung seines Ergebnisses bediente sich das Gericht im wesent- lichen zweier Argumentationslinien: Die erste bestand in der Anwendung des auch im Völkerrecht geltenden Satzes „qui tacet, consentire videtur si loqui debuisset ac potuisset" auf das Verhalten Thailands bei und nach Kenntnisnahme von der Karte: Da die siamesische bzw. thailändische Regie- rung die Karte ohne Protest hingenommen habe und sie auch später trotz vieler entsprechender Gelegenheiten nicht - jedenfalls nicht auf diplomati- scher Ebene - gerügt habe, sei sie mit Einwendungen gegen deren Genauig- keit präkludiert. Die nachfolgende Praxis lokaler thailändischer Autori- täten im Tempelbezirk sei demgegenüber von untergeordneter Bedeutung und könne an der Akzeptanz der Grenze durch Schweigen (tacit acceptance, acquiescence) nichts ändern28.

Die zweite Argumentationslinie des Gerichtshofs stellt auf den Sinn und Zweck von Grenzverträgen ab und zieht daraus, ganz im Sinne des Art. 31 Abs. 1 und 2 WVK, Schlüsse für die Vertragsinterpretation und den Stellen- wert von Grenzkarten:

„In general, when two countries establish a frontier between them, one of the primary objects is to achieve stability and finality. This is impossible if the line so established can, at any moment, ... be called in question, and its rectification claimed, whenever any inaccuracy by reference to a clause in the parent treaty is discovered . . . Such a frontier, so far from being stable, would be completely precarious. ... It is precisely to achieve this (certainty and finality, d. Verf.) that delimitations and map lines are resorted to"29.

Dieser vom IGH konstatierte hohe Stellenwert von Karten für die Rechts- sicherheit und -klarheit bei der Grenzfestlegung und der Auslegung von Grenzverträgen hat in der westdeutschen Literatur wenig Beachtung gefun- den80. Um so mehr Aufmerksamkeit ist diesem Punkt im neueren englisch- sprachigen Schrifttum zuteil geworden, das jedenfalls darin weithin über- einstimmt, daß von einer völkerrechtlichen Regel im Sinne des Vorrangs des Textes gegenüber inkorporierten Karten nicht mehr ausgegangen werden kann31. Sharma etwa stellt fest: „More recently, however, the International

28 Ebd., 23 ff., 32-35. 29 Ebd., 34. 30 Unklar z. B. Alfred V er dr ossi Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl.,

Berlin 1984, 668/669. »1 Weissberg (Anm. 18), 803; Ähnlich Surya P. Sharma, International Boundary

Disputes and International Law, Bombay 1976, 215 f.; D. H. Johnson, The Case Concerning the Temple of Preah Vihear (Urteilsbesprechung), in: International and Comparative Law Quarterly, Vol. 11 (1962), 1198 (1203); A. L. W. Munk-

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Court of Justice departed from the traditional approach and has accorded conclusive value to the maps . . ."32. Und Weissberg bezeichnet es zusammen- fassend als

„. . . fact that the evidentiary value of maps has undergone a change. Indeed, on the basis of the decisions of the International Court of Justice, it may surely be concluded that a map in derogation of a treaty provision can no longer be regarded as of slight value, particularly if the map is attached or annexed to the agreement ... In consequence, maps may be regarded as strong evidence of what they purport to portray. They may be termed and treated as admission, considered as binding, and said to possess a force of their own"33.

Nach allem ist festzuhalten, daß weder die neuere Staatenpraxis noch internationale Rechtsprechung und Literatur für die Existenz einer beson- deren völkerrechtlichen Regel in Anspruch genommen werden können, die bei strittigen Grenzverträgen einen Vorrang des Textes vor angefügten Kar- ten statuierte. Im Gegenteil, eher ist, im Anschluß an die neueren ein- schlägigen Entscheidungen des IGH, eine Tendenz im Vordringen begriffen, die unter bestimmten, im folgenden noch genauer zu untersuchenden Vor- aussetzungen die Linienführung aus einer in den Vertrag inkorporierten Karte notfalls auch gegen dessen Wortlaut für bindend hält. Grundsätzliche völkerrechtliche Bedenken dagegen, die allgemeinen Auslegungsregeln des Art. 31 WVK, insbesondere über die Zweckbestimmung eines Vertrages sowie über nachfolgende Vereinbarungen und nachfolgende Praxis, auch auf Grenzabkommen - und hier insbesondere auf das Londoner Protokoll -

anzuwenden, bestehen folglich nicht.

2. Interpretation des Londoner Protokolls nach den Kriterien der Wiener Vertragsrechtskonvention

a) Sinn und Zweck des Vertragswerks Betrachtet man zunächst gemäß Art. 31 Abs. 1 WVK den Zweck des

Londoner Protokolls, so fällt auf, daß der Vertragstext selbst ihn benennt, ein Umstand, der bei Grenzverträgen nicht die Regel ist und hier die Aus-

legung erleichtern könnte: Die Drei Mächte trafen ihre Vereinbarung über Grenzen in Deutschland ausdrücklich „for the purposes of occupation".

man. Adjudication and Adjustment-International Judicial Decision and the Settle- ment of Territorial and Boundary Disputes, in: British Yearbook of International Law, Vol. 46 (1972-73), 1 (79 f. und insbes. 98 f.); Itamar Bernstein, Delimitation of International Boundaries, Tel Aviv 1974, 164; A. Lamb, Treaties, Maps and the Western Sector of the Sino- Indian Boundary Dispute, in: Australian Yearbook of International Law 1965, 51, Fn. 31; Sandifer (Anm. 14), 230, für inkorporierte Karten; teilweise abweichend Cukwurah (Anm. 16), 217 ff.

32 Sharma (Anm. 31), 298. 33 Weissberg (Anm. 18), 803.

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Verlauf der Eibgrenze zwischen Bundesrepublik und DDR 325

Untersucht man die Auswirkungen dieser gegenüber den bisher betrach- teten Fällen speziellen Zweckbestimmung auf die Anwendbarkeit der dort entwickelten Auslegungskriterien, so gelangt man nicht etwa zu einer Ab-

wertung der Karte A, sondern eher zum gegenteiligen Ergebnis. Dies gründet sich auf die folgenden Überlegungen:

Der IGH hatte als hauptsächlichen Zweck einer vertraglichen Grenz- regelung zwischen Staaten die Gewährleistung von Stabilität, Bestimmtheit und Endgültigkeit des vereinbarten Grenzverlaufs herausgestellt84. Wenn auch das Ziel der Endgültigkeit im Londoner Protokoll, das die Grenzen der als vorläufig gedachten Besatzungszonen und nicht etwa die defini- tive Aufteilung Deutschlands regeln wollte, ursprünglich keine Rolle gespielt hat, kann jedoch hinsichtlich der übrigen allgemeinen Zielsetzungen eines Grenzvertrages kaum angenommen werden, daß es den Drei Mächten auf eine - befristete - Stabilität und insbesondere auf die Klarheit und Be- stimmtheit der von ihnen festgelegten Besatzungszonengrenzen nicht ange- kommen wäre. Im Gegenteil, es war ein Hauptzweck der Demarkations- linien, für die Dauer der Besetzung den Truppenverbänden und Verwal-

tungsorganen einen klar abgegrenzten und daher effektiv kontrollierbaren Aktionsraum und eindeutigen Zuständigkeitsbereich zuzuweisen. Netti be- nennt als Zielsetzung:

„. . . the most effective machinery possible to ensure . . . control of Germany . . . The original purpose of the zones was to mark off the areas of occupation . . . Zonal frontiers were not intended primarily as frontiers for the Germans, but between the different allies"35.

Virally hebt hervor, daß die Grenzfestlegung insbesondere auch nach strategischen und militärischen Gesichtspunkten vorgenommen wurde36. Es ging mithin darum, schon bei der Grenzziehung Ansatzpunkte für Kompe- tenzstreitigkeiten und äußerstenfalls auch militärische Zwischenfälle zu ver- meiden. Auch gegenüber der deutschen Bevölkerung war es notwendig, klar abgegrenzte Zuständigkeitsbereiche für die jeweils in ihren Zonen die Be- satzungsgewalt ausübenden Militärregierungen zu schaffen. Ein unübersicht- licher Grenzverlauf wäre diesen Zielsetzungen diametral zuwidergelaufen.

Es ist daher kaum vorstellbar, daß die Parteien des Londoner Protokolls ausgerechnet an der Elbe einen Verlauf der Demarkationslinie ins Auge ge- faßt haben sollen, der eine effektive Kontrolle der Flußgrenze geradezu unmöglich gemacht hätte. Denn vergegenwärtigt man sich die Linienführung der historischen deutschen Verwaltungsgrenze in diesem Abschnitt, so hätte deren Ausgestaltung zur Zonengrenze zur Folge gehabt, daß sich auf einer

34 oben bei Anm. 29. 35 /. P. Netti, The Eastern Zone and Soviet Policy in Germany 1945-1950,

Oxford 1951, 259 f. 36 Michel Virally, Die internationale Verwaltung Deutschlands, Baden-Baden

1948, 50.

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326 Stephan Georg Sassenroth

Länge von 93,7 Stromkilometern sowjetische und britische Besatzungshoheit fünfmal hintereinander abgewechselt hätten. Es ist offensichtlich, welche Komplikationen dies für das Kontrollsystem auf dem Strom mit sich ge- bracht hätte. Zudem hätten sich drei zwischen dem Fluß und dem Hoheits-

gebiet einer fremden Besatzungsmacht eingeklemmte „Exklaven" gebildet, deren Verwaltung und Versorgung mannigfache Schwierigkeiten bereitet hätten.

Es erscheint daher in hohem Maße realitätsfern, gegen den klar rechts- elbischen Verlauf der vereinbarten Kartenlinie und gegen alle Praktikabili-

tätserwägungen der Einigung der Alliierten im Wege der Auslegung zu unterstellen, sie habe historischen Kuriositäten in der Linienführung einer innerdeutschen Verwaltungsgrenze Rechnung tragen wollen, die nicht ein- mal die Deutschen selbst in der Verwaltungsgrenzenkarte des Statistischen Reichsamts berücksichtigt hatten, die unbestritten Ausgangskarte und mater der ins Londoner Protokoll inkorporierten Karte A gewesen ist.

Die teleologische Interpretation des Londoner Protokolls anhand der vom IGH entwickelten Kriterien und anhand der gerade bei Besatzungs- zonengrenzen im Vordergrund stehenden Zweckbestimmung der einfachen und effektiven Kontrolle ergibt folglich bereits gewichtige Hinweise darauf, daß im Konflikt zwischen der unübersichtlichen „ Wortlautgrenze

" und der im Elbeabschnitt klaren und eindeutigen „Kartengrenze" einer Auslegung im Sinne der letzteren der Vorzug zu geben ist.

Betrachtet man nun den Textpassus „as shown on the annexed map A" in diesem Lichte und bedenkt man die Tatsache, daß die Legende der verein- barten und abgezeichneten Karte A die dort markierte rote Linie für über- einstimmend mit dem im Text beschriebenen Grenzverlauf erklärt, so kann kaum noch ein Zweifel darüber bestehen, daß diese rechtselbische Linie dem

objektiv im Vertragswerk zum Ausdruck gebrachten Willen der Drei Mächte

entspricht.

b) Einfluß eines allseitigen Irrtums bei Vertragsschluß? Auch wenn diese Vorstellung, gemessen an der „wahren" Ländergrenze,

irrig gewesen sein mag, hat das keine Auswirkungen hinsichtlich der Wirk- samkeit der auf die Kartenlinie gerichteten vertraglichen Einigung. Denn das Völkerrecht stellt nicht nur für den einseitigen, sondern auch für den beider-

seitigen bzw. allseitigen Irrtum bei Vertragsschluß eine Regel zur Ver-

fügung, wonach ein Vertrag jedenfalls solange gültig ist, wie keine Partei ihn wegen eines Irrtums über einen Umstand anficht, der zur Zeit des Ver-

tragsschlusses eine wesentliche Grundlage ihrer Zustimmung bildete37. Ganz

abgesehen davon, daß die Annahme der Drei Mächte im Jahr 1944, die

37 Hubert Schulte-Beerbühl, Irrtum bei völkerreditlidien Verträgen nadi der Wiener Vertragsreditskonvention, Gelsenkirdien 1982, 41 ff. und 187 ff. m. w.N.

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Verlauf der Eibgrenze zwischen Bundesrepublik und DDR 327

deutsche Ländergrenze verlaufe rechts der Elbe, wohl kaum die essentielle Basis ihrer Zustimmung zum Londoner Protokoll insgesamt gewesen sein dürfte, hat eine Anfechtung nach Art. 48 Abs. 1 WVK niemals stattge- funden.

Als Ergebnis einer nach Art. 31 Abs. 1 WVK vorgenommenen Interpre- tation von Text und Anhang (Karte A) des Londoner Protokolls unter

Berücksichtigung von Sinn und Zweck dieses Vertrages ist mithin festzu- stellen, daß sie zur Annahme eines komplett rechtselbischen Verlaufs der dort vereinbarten Grenze zwischen der britischen und der sowjetischen Zone führt.

c) Nachfolgende Vereinbarungen Dieses Resultat wird durch die dem Londoner Protokoll nachfolgenden

Vereinbarungen, die nach Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK zur Auslegung heran- zuziehen sind, bestätigt.

Zwar geben die beiden Ergänzungsabkommen vom 14. 11. 1944 bzw. 26. 7. 1945 über den Verlauf der Elbegrenze keine weiteren Aufschlüsse. Denn am Text der Grenzbeschreibung des Protokolls vom 12. 9. 1944 für die Ostzone änderten sie nichts; die ihnen beigefügten Karten C und D stimmen insoweit mit der Karte A überein38. Die kartographischen Abwei-

chungen, die demgegenüber Schröder beim Verlauf des „roten Striches"

festgestellt hat39, haben offensichtlich lediglich drucktechnische Gründe. Dies

zeigt sich deutlich, sobald man die graphisch sehr sauber hergestellten Reproduktionen in der amtlichen Vertragssammlung der Vereinigten Staa- ten40 zum Vergleich heranzieht: Dort sind solche Divergenzen nicht aufzu- finden.

Wohl aber verdient das britisch-sowjetische Abkommen über Änderungen der Zonengrenze im Bereich des Ratzeburger Sees vom 13./27. 11. 1945 eine gewisse Aufmerksamkeit. Es regelte einen Gebietstausch, durch den drei

schleswig-holsteinische Gemeinden an die sowjetische und vier mecklen-

burgische Gemeinden an die britische Zone kamen41. In der Literatur wird der Zweck dieses Vertrages so beschrieben:

„Die Änderung erfolgte, wie ein Blick in die Karte hinreichend dartut, um die Grenze zu begradigen und damit den Grenzverkehr leiditer überwachen zu können"42.

38 UNTS (Anm. 6), 286 ff. und 298 ff. mit Karten neben Seite 411. 3» Schröder, (Anm. 1), 8. 40 United States Treaties and Other International Acts Series, No. 3071, 8 it. 41 Uwe Barschel/Volkram Gebel, Landessatzung für Schleswig-Holstein, Kom-

mentar, Neumünster 1975, 309 f. 42 Wrobleski, Zu Art. 50 Landessatzung, in: Schleswig-Holsteinische Anzeigen

1950, Teil A, 73 (73).

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328 Stephan Georg Sassenroth

Die Bedeutung der Vereinbarung liegt darin, daß ihre Zweckbestimmung das oben gefundene Ergebnis bestätigt: Den Alliierten kam es bei der Fest-

legung der Zonengrenzen auf deren leichte und effektive Kontrollierbarkeit an. Wurde dieses Ziel in einem Grenzabschnitt nicht erreicht, weil dort die Linienführung selbst nach den Karten A, C und D allzu unübersichtlich war, kam es zu einer vertraglichen Grenzbegradigung, der genau jene Prakti- kabilitätserwägungen zugrundelagen, die auch bei der Interpretation des Londoner Protokolls selbst von entscheidender Bedeutung sind.

Durch die britisch-sowjetische Vereinbarung vom 29. 6. 1945, gebilligt vom Kontrollrat am 30. 7. 194543, wurde der Neuhauser Streifen, der das

einzige Stück britischen Besatzungsgebiets bildete, das nach der Karte A östlich des Stroms in die sowjetische Zone hineinragte, dieser einverleibt. Diese Vereinbarung ist für die Auslegung des Londoner Protokolls im Hin- blick auf den Verlauf der Elbegrenze von doppelter Bedeutung.

Zum einen ist bezeichnend, daß als sowjetische Gegenleistung nur ein relativ kleines Gebiet bei Bad Sachsa im südlichen Harz in die Abrede auf- genommen wurde, das mit dem Elbgrenzverlauf nicht in innerem Zusam- menhang stand. Hätten die Parteien die von Schröder verfochtene Wort-

lautinterpretation zugrundegelegt, wäre es das Nächstliegende gewesen, die unter dieser Voraussetzung ebenfalls regelungsbedürftigen Eibabschnitte der Lütkenwischer Wiesen, des Kaltenhofer Vierecks und der Vier- Werder-Halb- insel im selben Vertrag mitzubereinigen. Daß dies nicht geschah, ergibt einen Sinn, wenn man bei der Auslegung der Kartenlinie den Vorrang gibt: Wenn die Parteien der Vereinbarung vom 29. 6. 1945 von der Geltung dieser Kartenlinie ausgingen, die ja die Grenze mit Ausnahme eben des Neuhauser Streifens durchgehend unmittelbar am Nordost-Ufer zeigt und die genann- ten drei Gebietsteile gerade nicht berücksichtigt, wird es erklärlich, daß diese auch in dem Grenzbereinigungsabkommen nicht erwähnt sind.

Zum anderen läßt die Vereinbarung einen weiteren entscheidenden Rück- schluß auf die Interpretation des Londoner Protokolls zu, die dessen Parteien selbst bei der Behandlung des Elbgrenzenproblems zugrundelegten: Bei der

Sitzung des Kontrollrats vom 30. 7. 1945 waren als Vertreter Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA die Oberkommandierenden Montgomery, Schu- kow und Eisenhower anwesend; hinzu kam der französische General Koenig44. In dieser Zusammensetzung, also unter Beteiligung aller Parteien des Lon- doner Protokolls einschließlich der Sowjetunion, billigte der Rat den Ge- bietstausch, wobei ihm als Unterlagen die „Notes on Changes'* vom 27. 7.

43 Foreign Relations of the United States (FRUS), Diplomatic Papers 1945, Vol. Ill, Washington 1968, 820 (822).

44 Documents on British Foreign Policy Overseas, Series I, Vol. I, London 1984, 1192, Fn. 3 (= Doc. No. 555, „Minutes of First Meeting of the Control Council (Germany) held in Berlin on 30 July, 1945 at 1.15 p. m.).

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Verlauf der Elb grenze zwischen Bundesrepublik und DDR 329

1945 vorlagen, deren Text, von Schröder unbestritten, einen großen Teil des Grenz verlauf in Übereinstimmung mit der Karte A beschreibt: „From Lauenburg to Wehningen this boundary runs East of Elbe . . ."4ß. Diese Formulierung ist deshalb bemerkenswert, weil sie einen gewichtigen Hin- weis darauf bildet, daß die Parteien die Grenzen auch dort, wo sie nach dem isolierten Wortlaut des Londoner Protokolls und der daraus abgeleiteten Auffassung Schröders eigentlich in der Strommitte bzw. sogar linkselbisch hätte verlaufen müssen, nämlich zwischen Lauenburg und Radegast, gleich- wohl östlich der Elbe annahmen und insoweit der auf der Karte eingezeich- neten Grenzlinie den Vorrang gaben. Wenn Schröder in diesem Zusammen- hang selbst einräumt, daß die britische Botschaft in Bonn auf eine ent- sprechende Anfrage der Bundesregierung am 18. 4. 1957 die Auskunft gab, zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung über den Neuhauser Streifen sei die britische Seite davon ausgegangen, daß die Behörden der britischen Besatzungszone die Jurisdiktion über die volle Breite des Stromes innegehabt hätten46, so bestätigt dies das hier vertretene Interpretations- ergebnis. Denn eine solche Annahme ist eigentlich nur erklärlich, wenn die britische Besatzungsmacht das Londoner Protokoll hinsichtlich der Elbe- grenze so auslegte, daß die auf der Karte A eingezeichnete Linie den gülti- gen Ausdruck der am 12. 9. 1944 von den Drei Mächten erzielten vertrag- lichen Einigung bildete.

Nicht zu überzeugen vermag schließlich die Argumentation, mit der Schröder aus dem Inhalt der vom Kontrollrat gebilligten Vereinbarung etwas Gegenteiliges abzuleiten versucht. In der erwähnten Sitzung vom 30. 7. 1945 war nach alliierten Quellen eine Einigung erzielt worden über

„. . . (1) The transfer to the Russian zone of that part of Regierungsbezirk Lüneburg lying in the Province of Hanover lying East of the river Elbe; (2) . . ."47.

Diese Definition des nach dem Londoner Protokoll zur britischen Zone gehörenden Neuhauser Streifens kann schon ihrem Wortlaut nach kaum anders ausgelegt werden als im Sinne eines vereinbarten neuen Grenzver- laufs unmittelbar am Ostufer des Stromes. Hierfür spricht überdies der von Schröder angeführte Umstand, daß die britischen Unterhändler jedenfalls davon ausgingen, daß die Wasserfläche des Flusses im fraglichen Ab- schnitt ohnehin in ihrer gesamten Breite zum britischen Besatzungsgebiet gehörte und es daher unnötig war, ihn in der Vereinbarung noch zu erwäh- nen. Es sollte eben das „east of the river Elbe" belegene Landgebiet - und nichts sonst - der sowjetischen Zone einverleibt werden48. Schröder, der

45 Zit. nadi Rauschning (Anm. 5), 438. 46 Schröder (Anm. 1), 18. 47 FRUS (Anm. 32), 822. 48 Im Ergebnis ebenso: Rauschning (Anm. 5), 442 f.

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330 Stephan Georg Sassenroth

diese Auslegung zunächst selbst als die nächstliegende anerkennen muß49, kommt demgegenüber zu einem abweichenden Ergebnis, indem er den Art. 43 HLKO auf die Vereinbarung vom 29. 6. bzw. 30. 7. 1945 anwendet und den Schluß zieht, die Parteien hätten die historischen Gemeindegrenzen, die teilweise in Strommitte, teilweise aber auch am Ostufer und teilweise noch weiter vom Ostufer entfernt verliefen, berücksichtigen und erhalten wollen, um einer Verpflichtung aus jener Vorschrift gerecht zu werden50.

Dem ist entgegenzuhalten, daß es mehr als zweifelhaft erscheint, ob die Alliierten sich bei der Besetzung Deutschlands und der späteren Ausübung ihrer Besatzungsgewalt an die Regeln der HLKO überhaupt gebunden fühl- ten. Bei der Sowjetunion war dies nach ihrer ausdrücklichen Erklärung nicht der Fall. Auch die britische Besatzungsmacht lehnte es nahezu durchweg ab61. Der französische Völkerrechtler und Spezialist für das Besatzungsrecht in Deutschland, Virally, betont ausdrücklich,

„. . ., daß die Demarkationslinien unbekümmert um gesdiiditliche Verwaltungs- bezirke gezogen worden sind, daß sie Staaten und Provinzen auseinanderreißen und einzelne Bezirke und Städte aus einer Staatsverwaltung herauslösen, der sie stets angehört haben"62.

Spricht all dies schon nicht für die Auffassung Schröders, so erscheinen erst recht die dabei letztlich erzielten Resultate wenig plausibel. Denn Schröder kommt zu dem Schluß, die Vereinbarung vom 29. 6./30. 7. 1945

lege die Zonengrenze teilweise in der Strommitte, teilweise aber auch am Ostufer (!) fest (Gemeinden Viehle, Bleckede und Jarge)58 mit der Folge, daß der unübersichtliche und unpraktische Zustand einer auf der ganzen Breite des Stroms abwechselnden Besatzungshoheit weiterbestanden hätte - für einen Vertrag, der erkennbar der Bereinigung eines nicht prakti- kablen Grenzverlaufs diente, ein sinnwidriges Ergebnis.

Es bleibt daher festzuhalten, daß die Analyse der Vereinbarung über den Neuhauser Streifen auch über den engeren Bereich der dort getroffenen Regelung hinaus eine Auslegung des Londoner Protokolls bekräftigt, die die rechtselbische Linienführung der Karte A als maßgebend ansieht.

d) Nachfolgende Praxis Zu beurteilen bleibt gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK die nachfolgende

Praxis der Parteien in der Anwendung des Londoner Protokolls und seiner

Zusatzvereinbarungen.

49 Schröder (Anm. 1), 18/19. 50 Schröder (Anm. 1), 19 f. 51 Gustav v. Schmoller/ Hedwig Maierl Achim Tobler, Handbudi des Besatzungs-

redits, Tübingen 1957, § 5, Anm. 3 a, 3 b a. E. 52 Virally (Anm. 36), 50. 53 Schröder (Anm. 1), 20.

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Verlauf der Eibgrenze zwischen Bundesrepublik und DDR 331

In der Rechtsprechung des IGH zum Problem des „subsequent conduct" und in der neueren Literatur wird unterschieden zwischen militärischen oder polizeilichen Aktionen und Kontrollmaßnahmen vor Ort („acts of local or provincial authorities", „acts on the ground") und der administrativen bzw. diplomatischen Praxis der Zentralbehörden („attitude of the central authorities ... on the diplomatic level")54.

Der IGH mißt dabei den Aktivitäten von lokalen oder regionalen Orga- nen einer Vertragspartei vor Ort kaum Bedeutung bei, wenn sie nicht von

gleichgerichteten Handlungen der zentralen Regierungs- oder Militärbehör- den begleitet sind. Gerade auch den von letzteren herausgegebenen Karten hat er wiederholt einen hohen Stellenwert für die Einschätzung des „sub- sequent conduct" der jeweiligen Partei zuerkannt. So stellte er im Temple- Fallfest:

„The Court finds it difficult to regard . . . local acts as overriding and nega- tiving the consistent and undeviating attitude of the . . . central authorities to the frontier line as mapped"65.

Im Frontier Land-VAX sagte das Gericht zur Frage, ob Karten Ausdruck

nachfolgender Souveränitätsausübung sein können:

„As the question whether Belgium ever relinquished its sovereignty over the disputed plots, it is to be observed that Belgian military staff maps since their first publication . . . have shown these plots as Belgian territory"66.

Die in den Entscheidungen nur implizit enthaltene Begründung für die

große Zurückhaltung hinsichtlich der Beweiskraft der Praxis „on the ground" wird in der Literatur folgendermaßen gegeben:

„Reasons for this may be that official maps are preferred as acts more closely related to a central governmental authority; whereas administrative activities mostly operate on the local level. Furthermore, maps may afford more notorious evidence of claims to other possible claimants and to third parties"57.

Nachdem im Fall der Elbegrenze Rauschning und Schröder die - unein- heitliche und widersprüchliche - Praxis der britischen und sowjetischen Offiziere und Zivilbeamten „on the ground", nämlich an und auf dem Fluß, ausführlich für ihre jeweilige Position aufbereitet haben, ohne daß daraus letztlich eindeutige und zwingende Schlüsse gezogen werden könn- ten68, soll hier das Hauptgewicht auf einige Aspekte des Handelns der

m ICJ Rep. 1962, 6 (30, 32) sowie Johnson (Anm. 31), 1201; Weissberg (Anm. 18), 796; J.P.Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, Köln - Berlin 1971, 47 f.

66 ICJ Rep. 1962, 6 (30). se ICJ Rep. 1959, 209 (227); dazu insbes. Weissberg (Anm. 18), 803. 57 Munkman (Anm. 31), 98. 58 Vgl. die divergierenden Folgerungen aus z. T. denselben faktischen Befunden

bei Rauschning (Anm. 5), 432 - 434, und Schröder (Anm. 1), 23 - 34. Das beste Beispiel für die Unergiebigkeit dieser lokalen Praxis gibt Schröder (Anm. 1), 25,

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332 Stephan Georg Sassenroth

britischen und des damit korrespondierenden Unterlassens der sowjetischen Zentralbehörden auf administrativer und diplomatischer Ebene gelegt werden.

Von zumindest indizieller Bedeutung könnte dabei eine von der britischen Militäradministration herausgegebene Karte der Verwaltungsgrenzen in Deutschland59 aus dem Jahr 1946 sein. Diese Karte (Abb. 2) ist - soweit ersichtlich - die erste amtlich bekanntgemachte kartographische Darstellung einer der beteiligten Parteien, die den neuen Grenzverlauf nach den oben untersuchten britisch-sowjetischen Vereinbarungen über Grenzänderungen berücksichtigt.

Vergleicht man sie mit der Karte A zum Londoner Protokoll (Abb. 1), so fällt sofort ins Auge, daß sie den „roten Strich", der die Zonengrenze markiert, durchgehend unmittelbar am Nordost-Ufer der Elbe zeigt. Sie folgt damit exakt der schon in der Karte A enthaltenen, ebenfalls am rechten Ufer verlaufenden Linie. Der einzige Unterschied besteht darin, daß im Bereich des Neuhauser Streifens die Grenzlinie von ihrer ursprünglichen Lage in etlichen Kilometern Entfernung nordöstlich des Stroms auf die Höhe des rechten Ufers zurückgenommen wurde. Mit anderen Worten: Diese Karte stellt eine getreue Widerspiegelung und Bestätigung des Aus- legungsergebnisses dar, das oben durch die Anwendung des Art. 31 Abs. 1

30, wenn er berichtet, die sowjetischen Behörden hätten es 1945 zunächst akzeptiert, daß sie für Fahrten ihrer Boote stromabwärts von Schnackenburg vorher eine britische Genehmigung einholen mußten; 1946 hätten sie sich daran nicht mehr gehalten, während sie es noch später, 1947, wiederum hingenommen hätten, daß ihre Fahrzeuge „zeitweilig voll von britischen Stellen kontrolliert" wurden.

59 „Germany. Administrative Boundaries", abgedruckt in: Monthly Report of the Control Commission for Germany (British Element), Vol. 1, No. 5, October 1946, in Anschluß an Anhang 10.

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Verlauf der Eibgrenze zwischen Bundesrepublik und DDR 333

und 3 lit. a WVK gewonnen wurde: Die zentrale britische Besatzungsbe- hörde, die diese Karte herstellen ließ und sie herausgab, dokumentierte da- mit erkennbar die Auffassung, daß die Zonengrenze auch nach den Ände- rungen von 1945 komplett rechts der Elbe verlief. Die Veröffentlichung der Karte in dem amtlichen Mitteilungsblatt „Monthly Reports of the Control Commission for Germany (British Element)", nach der Titelseite „prepared at Headquarters, Control Commission for Germany . . ., Berlin" geht über die Handlungsweise bloßer „local or provincial authorities" weit hinaus. Sie entspricht somit eher den strengen Anforderungen des IGH an beweis- kräftige Formen von „subsequent conduct" im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK.

Dies ist um so bedeutsamer, als die Art und Weise der Veröffentlichung es als ausgeschlossen erscheinen läßt, daß sie den übrigen Parteien des Lon- doner Protokolls und insbesondere der Sowjetunion entgangen sein könnte. Vielmehr mußte die Herausgabe an derartig zentraler Stelle sofort Auf- merksamkeit erregen und Widerspruch auslösen, falls die Karte mit der Auffassung einer betroffenen Besatzungsmacht nicht im Einklang gestanden haben sollte. Die Situation war insoweit ähnlich der, die der IGH im Temple-VAX zu beurteilen hatte, als er zu einem möglichen „acknowledge- ment by conduct" ausführte:

„. . . the circumstances were such as called for some reaction, within a reasonable period, on the part of the Siamese authorities, if they wished to disagree with the map or had any serious question to raise in regard to it. They did not do so ... and thereby must be held to have acquiesced"60.

Es ist nicht bekannt, daß die Sowjetunion jemals öffentlich oder auf diplomatischer Ebene die Linie auf der Karte angezweifelt oder gar gegen sie protestiert hätte, obwohl sie dazu im Kontrollrat oder in anderen Vier- Mächte-Gremien genügend Gelegenheiten hatte.

Mit dem IGH ist aus einem derartigen Verhalten der Schluß zu ziehen, daß sie der Kartenlinie und der darin zum Ausdruck kommenden Interpre- tation der vorangegangenen Grenzvereinbarungen stillschweigend zuge- stimmt hat und mithin ein Fall des „acknowledgement by subsequent con- duct" gegeben ist. Die Karte von 1945 stellt zudem keineswegs einen Einzel- fall dar. So erschien z. B. in demselben offiziellen britischen Mitteilungsblatt im Jahr 1948 eine weitere Karte der Zonen- und Verwaltungsgrenzen in Deutschland61, die die Grenze ebenfalls rechts der Elbe darstellte. Auch hierauf ist keine Reaktion der Sowjetunion bekannt; ebensowenig hatte sie

eo ICJ Rep. 1962, 6 (23). 61 „Administrative Boundary Map of the US, British, French and Soviet

Occupation Zones in Germany, Status of 1 May 1948a, in: Monthly Report ... (Anm. 59), Vol. 3, No. 7, July 1948, im Anschluß an Seite 116.

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334 Stephan Georg Sassenroth

jemals gegen die Linienführung der Grenze in der Karte A zum Londoner Protokoll protestiert. - Auch die dem Londoner Protokoll nachfolgende Praxis der Parteien auf

zentraler bzw. diplomatischer Ebene führt demnach hinsichtlich der Elbe-

grenze zu keinem anderen Ergebnis als die bisher angewendeten Auslegungs- mittel nach Art. 31 WVK: Sie spricht eher für einen durchgehenden Verlauf der Grenze am Nordost-Ufer des Stromes.

e) Sonstige völkerrechtliche Regeln Schließlich sind nach Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK diejenigen einschlägigen

Regeln des Völkerrechts anzusprechen, die sonst noch zwischen den Ver-

tragsparteien anwendbar sein könnten. Hier ist an die Regeln zu denken, die das Völkerrecht allgemein für Flußgrenzen entwickelt hat, genauer: Für Grenzen, die dem Lauf eines schiffbaren Flusses wie der Elbe folgen. Zwin-

gende Regeln bestehen allerdings insoweit nicht; lediglich für den Fall des Fehlens einer speziellen, auf den jeweiligen Grenzfluß zugeschnittenen Rege- lung gilt die Vermutung, daß die Grenze längs der Mitte der Fahrrinne ver- laufe«2.

Abgesehen von der Frage, ob dieses sog. Talwegprinzip den besonderen natürlichen Gegebenheiten im Eibstrom gerecht wird, ist es schon aus grund- sätzlichen Erwägungen hier nicht anwendbar. Denn das Völkerrecht kennt eine Rangfolge der Geltungsgründe einer Grenze. Danach sind Grenzlinien

vorrangig durch Verträge oder durch Akte einseitiger Anerkennung be- stimmt. In zweiter Linie können sie auch durch unbestrittenen Besitzstand

festgelegt sein. Erst wenn keine dieser Möglichkeiten gegeben ist, ist es subsidiar zulässig, auf die allgemeinen Regeln über natürliche Grenzen

zurückzugreifen68. Im Fall der Eibgrenze ist in Gestalt des Londoner Protokolls und der

nachfolgenden Vereinbarungen ein ganzes Netz von vertraglichen Grenz-

festlegungen gegeben. Folglich ist für die Anwendung irgendwelcher allge- meiner Völkerrechtsregeln, insbesondere des Talwegprinzips, hier kein Raum. Sie können daher an dem oben gewonnenen Interpretationsergebnis nichts ändern.

Zusammenfassung :

Nach dem durch mangelnden Zugang zu den noch geheimgehaltenen ein-

schlägigen Akten eingeschränkten Erkenntnisstand vom Frühjahr 1985 (vgl.

62 Verdross/Simma (Anm. 30), 668 f. m. w. N. «3 So sdion das Sdiweizerisdie Bundesgeridit im Nufenen-FaW, BGE 26 I 450

(1900), 54 I 202 (1928) und 96 I 648 (1970), zustimmend zit. bei Jörg Paul Müller/ Luzius Wildhaber, Praxis des Völkerrechts, 2. Aufl., Bern 1982, 218 ff. Ähnlich Verdross/Simma (Anm. 30), 669, und Rausdoning (Anm. 5), 447.

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Page 23: STAATSGRENZEN / BOUNDARIES || Der Verlauf der Elbgrenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR

Verlauf der E Ib grenz e zwischen Bundesrepublik und DDR 335

die Vorbemerkung) führt die Auslegung des Londoner Protokolls gemäß den in Art. 31 WVK enthaltenen Regeln und den von der neueren Praxis und Lehre des Völkerrechts entwickelten Grundsätzen über Grenzverträge mit inkorporierten Karten zu dem Schluß, daß die Demarkationslinie zwischen der britischen und der sowjetischen Besatzungszone am Nordost- Ufer des Stromes festgelegt war.

Aus der Erklärung zu Protokoll64, die im Zusammenhang mit dem Ver- trag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 21. 12. 1972 von den Vertretern beider Staaten abgegeben worden ist, folgt dann aber, daß auch die deutsch-deutsche Grenze am rechten Eibufer verläuft.

Ein Entgegenkommen der Bundesregierung gegenüber der Regierung der DDR dergestalt, daß gleichwohl die Strommitte als Grenzlinie vertraglich anerkannt würde, müßte demnach als Gebietsabtretung angesehen werden. Dies würde, folgt man der überwiegenden Ansicht von den rein deklarato- rischen Kompetenzen der deutsch-deutschen Grenzkommission65, über deren Befugnisse jedenfalls hinausgehen und zusätzlich die Frage der Berührung von Vier-Mächte-Rechten aufwerfen66.

Wollte man einer derartigen Lösung des Grenzstreits dennoch näher- treten - aus übergeordneten politischen Gründen, und weil man die recht- lichen Bedenken für letztlich überwindbar halten könnte - so müßte aller- dings der damit nach der hier vertretenen Auffassung verbundene Rechts- verlust im Verhandlungsfall der anderen Seite gegenüber klargestellt und durch Umfang, Qualität und Dauerhaftigkeit der von ihr zu erwartenden Gegenleistungen angemessen ausgeglichen werden - ein Ziel, das wegen des aus Prestigegründen (Geraer Forderungen) hohen politischen Stellen- werts der Elbefrage in der DDR vielleicht nicht einmal völlig außerhalb des Erreichbaren liegt.

64 Zit. bei Anm. 4. 66 Dazu Günter Pagel, Die Arbeit der Grenzkommission, in: Deutsdiland

Ardiiv 1980, 22 ff. (23 f.); Gottfried Zieger, Rechtsfragen zum Regierungsprotokoll über die innerdeutsdie Grenze, ebd., 29 ff. (34); Klaus-Otto Nass, Das Protokoll über die innerdeutsche Grenze, Europa-Archiv 1979, 19 ff.

66 Diesen beiden Problemkreisen soll vom Verfasser in Kürze an anderer Stelle weiter nadigegangen werden.

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