social commerce in der praktischen umsetzung
DESCRIPTION
Diese Arbeit beschäftigt sich mit konkreten Social Media Anwendungen und Diensten, die dazu geeignet sind, Kaufentscheidungen im E-Commerce positiv zu beeinflussen und Konsumenten durch Mehrwerte im Bereich Kommunikation und Kooperation mit Hilfe von Social Commerce zu loyalisieren.TRANSCRIPT
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Social Commerce in der praktischen Umsetzung Daniel Hoffmann
II
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ....................................................................................... IV!
1! Einführung ........................................................................................................1!1.1! Ziele und Einschränkungen der Arbeit........................................................2!1.2! Aufbau der Arbeit........................................................................................2!
2! Social Media ......................................................................................................3!2.1! Definition und Wesen der Social Media .....................................................3!2.2! Instrumente und Möglichkeiten...................................................................5!
2.2.1! Social Media-Plattformen....................................................................6!2.2.1.1! Wikis............................................................................................6!2.2.1.2! Blogs............................................................................................7!2.2.1.3 ! Microblogs...................................................................................7!2.2.1.4 ! Podcasts .......................................................................................8!2.2.1.5 ! Social Networks...........................................................................8!2.2.1.6 ! Video-/Foto-/Audio-Sharing-Plattformen ...................................9!2.2.1.7 ! Social News Seiten ......................................................................9!2.2.1.8 ! Ortungsdienste ...........................................................................10!2.2.1.9 ! Social Bookmarking / -taging....................................................10!
2.2.2! Social Media Tools und Add-Ons .....................................................11!2.2.2.1 ! Sharing-Funktionalität ...............................................................11!2.2.2.2 ! RSS Feeds..................................................................................11!2.2.2.3 ! Widgets......................................................................................12!2.2.2.4! Mashups.....................................................................................12!
2.3! Bedeutung für die Online-Landschaft .......................................................13!
3! Social Commerce.............................................................................................19!3.1! Ein wissenschaftlicher Beschreibungsansatz.............................................19!
3.1.1 Die Entwicklung zum Social Commerce.............................................20!3.1.2 Forschungsthemen zu Social Commerce.............................................22!
3.1.2.1! Crowdsourcing...........................................................................22!3.1.2.2! Kooperations- und Kommunikationskonzepte ..........................23!3.1.2.3! Communities und Soziale Netzwerke........................................24!
III
3.1.2.4! Innovation und Sticky Information Theory ...............................24!3.1.2.5! Long Tail ...................................................................................25!3.1.2.5! Mass Customization und interaktive Wertschöpfung................25!
3.1.3 Beteiligte Akteure im Social Commerce .............................................26!3.1.3.1! Kunden........................................................................................26!3.1.3.2! Unternehmen ..............................................................................27!3.1.3.2! Mediatoren..................................................................................27!
3.2! Ein praktischer Beschreibungsansatz ........................................................28!3.3! Zusammenfassung und Definition.............................................................30!
4! Tools und Möglichkeiten für Shop-Betreiber und Unternehmen ..............33!4.1! Bewertungen..............................................................................................34!4.2! Empfehlungen............................................................................................37!
4.2.1! Social Bookmarking ..........................................................................38!4.2.2! Social Recommendations ..................................................................40!
4.3! Foren und Communities ............................................................................43!4.3.1! Question & Answer Commuities.......................................................43!
4.4! Social Shopping.........................................................................................47!4.4.1! Portable (Online) Social Graph .........................................................47!4.4.2! Co-Browsing / Co-Shopping .............................................................52!4.4.3! Social Media Stores ...........................................................................55!4.4.4! Groupbuying......................................................................................59!4.4.5! Shopping-Clubs .................................................................................63!4.4.6! Social Shopping Portale.....................................................................67!
5! Ausblick und Schlusswort ..............................................................................70!
Quellenverzeichnis...............................................................................................73!
IV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Klassischer E-Commerce ................................................................21!Abbildung 2: Social Commerce ............................................................................21!Abbildung 3: Der "Long Tail"...............................................................................25!Abbildung 4: Social Commerce als Schnittmenge ................................................29!Abbildung 5: Amazon ...........................................................................................36!Abbildung 6: StyleFruits .......................................................................................39!Abbildung 7: Apple iTunes - Genius.....................................................................41!Abbildung 8: StyleFeeder......................................................................................42!Abbildung 9: AOL Shopping ................................................................................45!Abbildung 10: Simyo Paten - Kunden helfen Kunden ..........................................46!Abbildung 11: Levi's Friends Store .......................................................................49!Abbildung 12: Volkswagen Bluemotion - Blue your Friends...............................50!Abbildung 13: Mattel Online-Shop USA ..............................................................53!Abbildung 14: Hautbalance Online-Shop Deutschland.........................................54!Abbildung 15: 1-800-Flowers.com Facebook Store..............................................57!Abbildung 16: Amazon aStore (Anwendungsbeispiel) .........................................57!Abbildung 17: Groupon Deutschland (ehem. CityDeal) .......................................61!Abbildung 18: Brands 4 Friends............................................................................65!Abbildung 19: edelight ..........................................................................................68!Abbildung 20: edelight - Angebotsspektrum.........................................................69!
1
1 Einführung
In der Online-Welt ist seit einigen Jahren ein struktureller Wandel zu beobachten.
Durch die immer weiter voranschreitende Verbreitung neuer Technologien im
Internet und der Formulierung neuer Ideen der Online-Kommunikation und
-Kooperation entwickeln sich seit Anfang des 21. Jahrhunderts immer mehr
konkrete Plattformen und Dienste, die von Nutzern generierte Inhalte (User
Generated Content) in den Vordergrund stellen. Die Rollen der Informations-
produzenten und -konsumenten im Internet haben sich damit grundlegend
verändert. Wo früher primär Unternehmens-Websites und Nachrichtenportale die
öffentlichen Inhalte des WorldWideWeb verantwortlich waren, befüllen heute
verstärkt die privaten User das öffentliche Netz mit Inhalten.1 Das „Web 2.0“ wie
es z.B. Scott Dietzen 2003 nannte2 - macht es möglich. Es werden immer mehr
Online-Anwendungen und -Dienste entwickelt, mit deren Hilfe sich die Menschen
unkompliziert der Welt mitteilen und sich untereinander vernetzen und
austauschen können. Diese Dienste werden heute unter den Social Media
zusammengefasst und erleben in den letzten Jahren eine nahezu beispiellose
Massenverbreitung im Internet. Milliarden Fotos, Videos, Meinungen und Ideen
von Menschen aus aller Welt befüllen über die Social Media in Echtzeit das
WorldWideWeb mit neuen Informationen und Inhalten. Ob Facebook, Twitter,
YouTube oder Flickr – diese neuen Dienste sind heute in aller Munde und
überraschen beinahe täglich mit neuen Nutzerzahlen in Millionenhöhe und
technischen Weiterentwicklungen, die es ermöglich immer einfacher und
umfangreicher von Nutzern generierte Inhalte zu erstellen und zu verbreiten.
Auch die „alten“ Informationslieferanten des Web 1.0 – die Unternehmen –
interessieren sich zunehmend für diese neue Art der Kommunikation und
Kooperation im Web. Die Fülle an Möglichkeiten und Informationen beflügelt die
Debatte um die Monetarisierung und nutzenbringende Verwendung der Social
Media in unternehmerischen Prozessen. In diesem Zusammenhang stehen heute
Forschungsthemen wie Social Web Monitoring, Social Customer Relationship
1 Vgl. Weinberg (2010) Social Media Marketing, S. 14.
2 Vgl. Knorr (2003/2004) The Year of Web Services (CIO), S. 90.
2
Management und Social Commerce im Fokus der wirtschaftswissenschaftlichen
Diskussion.
1.1 Ziele und Einschränkungen der Arbeit
Diese Arbeit beschäftigt sich mit konkreten Social Media Anwendungen und
Diensten, die dazu geeignet sind, Kaufentscheidungen im E-Commerce positiv zu
beeinflussen und Konsumenten durch Mehrwerte im Bereich Kommunikation und
Kooperation zu loyalisieren. Dazu wird dieser Teilbereich des Forschungsthemas
Social Commerce marketingpolitisch betrachtet und durch erfolgreiche
Umsetzungen aus der Praxis veranschaulicht. Der zweite Teilbereich, die Nutzung
von Social Software im Zuge der Umsetzung von Social Commerce in
tiefgreifenden Unternehmensprozessen, wird hingegen nur im Theorieteil der
Arbeit vorgestellt. Des weiteren ist zu beachten, dass sich konkrete Anwendungen
und Verknüpfungen der Social Media im E-Commerce zur Zeit in einer rasanten
Entwicklungsphase befinden, so dass diese Arbeit keinen Anspruch auf eine
vollständige Erfassung erheben kann. Die Untersuchung beschränkt sich demnach
auf den Bearbeitungszeitraum dieser Arbeit, und damit bis auf das erste Halbjahr
2010.
1.2 Aufbau der Arbeit
Die Arbeit ist in fünf Kapitel aufgeteilt, wobei Kapitel eins die Einführung und
Kapitel fünf Fazit und Ausblick darstellt.
Kapitel zwei soll dem Leser zunächst den Themenbereich der Social Media
näherbringen und die heutigen Basisanwendungen und –dienste vorstellen sowie
ihre Funktionsweise kurz erläutern. Damit sollen die Grundlagen für die weitere
Betrachtung dieser Anwendungen und Dienste gegeben werden.
Kapitel drei beschäftigt sich mit der Definition des Themenbereiches Social
Commerce. Dabei wird die theoretische und praktische Auslegung des Themas
untersucht, um eine möglichst umfassende Definition des Begriffes Social
3
Commerce zu finden. Diese soll, in Kombination mit den Erkenntnissen aus
Kapitel zwei, die Grundlagen für die Ausführungen in Kapitel vier liefern.
Kapitel vier stellt, aufbauend auf die Erkenntnisse der vorherigen Kapitel,
konkrete Social Media Anwendungen und Dienste vor, die dazu geeignet sind,
Kaufentscheidungen im E-Commerce positiv zu beeinflussen und Konsumenten
durch Mehrwerte im Bereich Kommunikation und Kooperation zu loyalisieren.
Dabei werden erfolgreiche Umsetzungen aus der Praxis zur Veranschaulichung
geliefert und jeweils ein Fazit im Hinblick auf den Aufwand und Nutzen für
Unternehmen, Stärken und Schwächen der Anwendung oder des Dienstes, sowie
die entstehenden Mehrwerte für Konsumenten gezogen.
2 Social Media
„The Social Web is much more than a window into information and
interaction, it is a completely transformative medium that is changing
how we forge relationships, interact with one another, and distribute
and discover information. In many ways, the online social revolution
is reminiscent of the Industrial Revolution.“
Brian Solis3
2.1 Definition und Wesen der Social Media
Die Professoren Dr. Andreas M. Kaplan und Dr. Michael Haenlein von der ESCP
Europe definieren kurz und treffend „Internetanwendungen, die auf den
ideologischen und technologischen Grundlagen des Web 2.0 aufbauen und die
Herstellung und den Austausch von User Generated Content ermöglichen“4 als
Social Media. Der durchaus umstrittene Begriff 5 „Web 2.0“ steht für die
Entwicklung des Internets zu einer Plattform, die es ermöglicht, digitale Inhalte
jeglicher Form schnell und einfach Online verfügbar zu machen.
3 Siehe Solis (2009) The Social Media (R)evolution. 4 Vgl. Haenlein und Kaplan (2009) Users of the world, unite! (Business Horizons).
5 Vgl. Berners-Lee (2006) IBM developerWorks Interviews.
4
Tim O’Reilly definiert das neue Internet und seine Anwendungen über sieben
Grundlagen6 :
1. Das Internet ist keine Einzelapplikation sondern eine freie Plattform.
2. Netzwerkeffekte und Datenbanken sind die treibenden Kräfte und
fördern die kollektive Intelligenz im Internet.
3. Daten und Inhalte bringen den größten Nutzen wenn sie (unter
Berücksichtigung der Privatsphäre) geteilt, erweitert und
weiterverwertet werden können
4. Starre Produkte werden zu dynamischen Dienstleistungen, die unter
dem Einfluss der Nutzer ständig optimiert und weiterentwickelt
werden. Daher werden viele neue Dienste zum Beispiel mit dem
Zusatz „beta“ benannt.
5. Einfachheit ist der Schlüssel für Dienste, Designs und
Geschäftsmodelle. Das Verbinden, Teilen und Nutzen von Inhalten
treibt Innovationen an.
6. Web 2.0 Dienste und Applikationen sind geräteunabhängig, sobald
diese auf die Plattform Internet zugreifen können.
7. Neue Technologien (AJAX,Flash usw.) ermöglichen Dienste und
Applikationen auf Web-Basis, die eine neue Nutzbarkeit und System-
Kompatibilität ermöglichen.
Social Media beschreibt nun die, seit der Jahrtausendwende begonnene,
praktische Umsetzung dieser Grundlagen des neuen Web-Verständnisses. Damit
treffen Social Media Anwendungen ein tief verwurzeltes Bedürfnis der
Menschen. Schon Aristoteles beschrieb vor über 2.000 Jahren den Mensch als
"zoon politikon", ein soziales Wesen mit dem Grundbedürfnis, Gemeinschaft zu
suchen und Gemeinschaften zu bilden.7 Die klassischen Beziehungsformen von
Freunden, Vereinen und anderen sozialen oder ökonomischen
Zusammenschlüssen übertragen sich dank dieser neuen Anwendungen in die
digitale Welt. Diese Vernetzungseigenschaften, gepaart mit den heutigen
6 Vgl. O’Reilly (2005) „What Is Web 2.0. 7 Vgl. Wikipedia (URL1) Zoon Politikon.
5
demokratischen Idealen wie Mitbestimmung und Selbstverwirklichung,
begründen die Kerngedanken des heutigen, Social Media getriebenen Internets.
(Im Folgenden wird der Begriff „Social Web“ synonym für diese neue Form des
Internets verwendet.)
Durch diese immer komplexeren Verbindungen von sozialen Beziehungen im
Internet hat sich im Bezug auf Social Media der Begriff des ”Social Graph“
etabliert, der das Geflecht an Freunden, Bekannten, Kollegen und sonstigen
Beziehungen einer Person beschreibt, die diese über Social Media erreichen
kann.8
Welche Arten von Diensten und Applikationen diese neuen Formen der
Vernetzung und Bildung von Gemeinschaften ermöglichen, wird im folgenden
Abschnitt näher erläutert.
2.2 Instrumente und Möglichkeiten
Die klassischen Möglichkeiten der Kommunikation und Publikation für private
Nutzer beschränkten sich früher auf vier Kernanwendungen: E-Mail, Chat, Foren
und Newsgroups. Diese Dienste erlaubten zum einen den direkten Austausch
untereinander, und zum anderen erste Ansätze, um eigene Inhalte einem größeren
Publikum zugänglich zu machen. Letzteres ermöglichten Newsgroups und
zunehmend User-Foren. Allerdings waren diese Plattformen zunächst mehr ein
Kanal für Programmierer, Techniker und Wissenschaftler, die sich über neueste
Entwicklungen in ihrem Umfeld austauschten. Die breite Masse wurde damit
nicht angesprochen, denn auch Bedienung und Funktionen waren mit den
heutigen Möglichkeiten nicht zu vergleichen. Dies lag einerseits an den noch
langsamen Internetanschlüssen der privaten Nutzer9, so dass der Upload von
eigenen Informationen wie Bilder, Videos oder Audioinhalten ein
zeitaufwändiges Unterfangen war, und andererseits waren Technik, Design und
Usability noch nicht soweit fortgeschritten, diese Partizipation am Online-
Geschehen dem durchschnittlich versierten Internetnutzer zu ermöglichen.
8 Vgl. Singh (2010) Social Media Marketing for Dummies, S. 24-25 und
Google Code (URL) Social Graph API. 9 Vgl. Alby (2008) Web 2.0 Konzepte, Anwendungen, Technologien, S. 1 f.
6
Durch die im vorherigen Abschnitt genannten ideologischen und technologischen
Grundlagen des Web 2.0 entwickelte sich im Laufe der letzten Jahre eine Vielzahl
an neuen Internet-Plattformen und Applikationen, die sich in ihrem Aufbau, ihren
Funktionen und Möglichkeiten deutlich von diesen herkömmlichen
Kommunikationsseiten und -diensten unterscheiden. Gerade im Bezug auf die
Verbreitung bei wenig oder durchschnittlich versierten Internetnutzern sind diese
”Social Media“ dank neuer Technologien und dem Fokus auf einfache
Anwendbarkeit von dem (aus den frühen Formen des Desktoppublishings
stammenden) Begriff ”WYSIWYG“ (What you see is what you get) geprägt.
Social Media Anwendung besitzen somit zwei Kerneigenschaften: Erstens eine
Vernetzungs- und/oder Kollaborationsfunktion, und zweitens eine intuitive und
nutzeroptimierte Funktionsweise bzw. Bedienbarkeit. In der folgenden Auflistung
werden verbreitete Grundformen von Social Media Plattformen und Tools
vorgestellt und ihre Funktionsweise kurz erläutert.
2.2.1 Social Media-Plattformen
2.2.1.1 Wikis
1995 ging das erste Wiki mit dem Namen WikiWikiWeb, entwickelt von Ward
Cunningham, online. Der Begriff stammt aus dem Hawaiianischen und bedeutet
„schnell“. Wikis stellen einen der ersten kollaborativen Dienste des neuen Web-
Gedankens dar. Sie sind Informations- und Wissensdatenbanken, die durch ihre
eigenen Nutzer kontrolliert und erweitert werden. Jeder Nutzer kann dabei jeden
beliebigen Beitrag bearbeiten oder einen neuen hinzufügen. Sie existieren heute
zu fast jedem Themengebiet und können in offenen und geschlossenen
Nutzergruppen geführt werden. Durch die Kernfunktion des Sammelns und
Bereitstellens von Wissen und Informationen fördern Wikis die Bildung einer
Gruppenintelligenz, die sich wie im Falle der bekannten Wikipedia auf die
gesamte Online-Gemeinschaft erstrecken kann.10
10 Vlg. Wikipedia (URL2) Wiki.
7
2.2.1.2 Blogs
Der Begriff „Blog“ stammt von der Idee eines Internet Log- oder Tagebuches,
dem sog. „Weblog“. Es ermöglicht dem Nutzer, eigene Gedanken und Inhalte –
meist ohne weitere Programmierkenntnisse – online zu publizieren. Dank
anwenderfreundlichen und meist kostenfreien Diensten und Plattformen können
dies Texte, Video-, Foto- oder Audioinhalte sein. Leser des Blogs haben
anschließend die Möglichkeit, die veröffentlichten Inhalte zu bewerten, zu
kommentieren und weiter zu verbreiten. Der einzelne Nutzer kann sich somit
ohne einen Verleger oder Medienpartner schnell und unkompliziert dem gesamten
Online-Publikum mitteilen. Blogs stellen daher ein wichtiges Element der Online-
Meinungsbildung dar, man spricht in diesem Zusammenhang auch von der
„Blogosphäre“.11
Bekannte Plattformen, die ein einfaches Erstellen von Blogs ermöglichen, sind
zum Beispiel: Blogger, Wordpress, blog.de oder twoday.com.
2.2.1.3 Microblogs
Microblogs stellen, wie der Name vermuten lässt, den kleinen Bruder des Blogs
dar. Auch diese Plattformen dienen dazu, sich der Online-Öffentlichkeit
mitzuteilen. Allerdings stehen dafür nur eine begrenzte Anzahl an Zeichen
(ähnlich der SMS) zur Verfügung. Dies hat zwei prägende Eigenschaften dieser
Dienste zur Folge: Zum einen muss Platz gespart werden, so dass Texte, Videos,
Bilder und Fotos nicht direkt eingebunden, sondern per Hyperlink veröffentlicht
werden. Zum anderen arbeitet sie in Echtzeit, da Nachrichten schnell verfasst sind
und auch über mobile Endgeräte von jedem Ort aus zu jeder Zeit versendet
werden können. Der Fokus liegt also auf dem sinnvollen Kürzen von Inhalten zur
schnellen Informationsversendung und –aufnahme. Auch der Begriff des
”ReTweets” hat sich in diesem Zusammenhang etabliert. Abgeleitet von dem
Namen einer Nachricht des Microbloging-Dienstes Twitter, einem ”Tweet”,
beschreibt ”ReTweeten“ das erneute Publizieren eines bereits veröffentlichten
Beitrages durch einen Nutzer, der die Information für relevant empfunden hat.
11 Vgl. Keren (2006) Blogosphere: the new political arena S. 1.
8
Somit trägt auch das Microblogging beachtlich zur Kollektivintelligenz des Social
Webs bei und sorgt dafür, dass sich relevante Informationen schnell verbreiten.
2.2.1.4 Podcasts
Der Begriff leitet sich von iPod und Broadcasting ab. Er beschreibt Radio- oder
TV-ähnliche Audio- und Videoinhalte, die abonniert und heruntergeladen werden
können.12 Ursprünglich als Audioblogging bezeichnet, schaffte es der Podcast
dank Apples tragbarem Digital-Audio-Player iPod und der Integration in iTunes
4.9 ab 2005 in den Mainstream der Internetgemeinde.13 So existieren heute
unzählige Audio- und Video-Podcasts zu TV- und Radiosendungen, Künstlern
und Musikprogrammen aber auch zu Bildungsthemen, Sprachkursen oder
Schulungen. Beispiele für bekannte Podcast Verzeichnisse sind: iTunes,
podcast.de oder podcastdirectory.com.
2.2.1.5 Social Networks
Soziale Netzwerke, Social Communities oder Social Networks beschreiben
Netzgemeinschaften, die es ihren Nutzern ermöglichen sich miteinander zu
verbinden und eigene Inhalte auszutauschen. Diese können hier ebenfalls Text-,
Video-, Foto- oder Audioinhalte sein. So bilden diese Netzwerke überwiegend
allgemeine soziale Beziehungen ab, die nicht interessenspezifisch sein müssen. Im
Vergleich zu Wikis, Blogs oder Microblogs sind Social Networks meist
geschlossene Plattformen, die das Publizieren oder den Zugriff auf publizierte
Inhalte erst nach einer Registrierung/Anmeldung oder Anpassung der
Privatsphäreeinstellungen des Publizierenden erlauben. Die Kernfunktionen dieser
Netzwerke sind ein eigenes Profil mit persönlichen Informationen, eine
Kontaktliste für verbundene Nutzer, ein Direktnachrichten-Dienst und eine
Gruppenfunktion, die es ermöglicht Interessengruppen zu bilden. Außerdem
stehen meist eine Pinnwand und ein Fotoalbum zum direkten Veröffentlichen
eigener Inhalte zur Verfügung. Darüber hinaus stellen die Netzwerke, je nach
ihrer Ausrichtung, noch weitere Funktionen zur Kooperation und Vernetzung 12 Vlg. Oxford University Press (URL) Podcast. 13 Vgl. Geoghegan, Klass (2007) Podcast Solutions, S. 3 f.
9
bereit.14 Des Weiteren wurden viele Social Networks mit offenen Schnittstellen
(API15) konzipiert und bieten so Programmierern und Entwicklern die
Möglichkeit die Netzte stetig zu erweitern und mit neuen Funktionen zu versehen.
Bekannte Netzwerke sind beispielsweise: Facebook, die VZ-Netzwerke, Xing
oder LinkedIn.
2.2.1.6 Video-/Foto-/Audio-Sharing-Plattformen
Diese Plattformen stellen eine Differenzierung des ”Webhostings“ dar.
Webhosting beschreibt primär das Bereitstellen von Speicherplatz für eine
Webseite und deren Inhalte bei einem Internet- oder Hosting-Provider. Sharing-
Plattformen haben sich dem neuen Internetverständnis angepasst und bieten den
Nutzern die Möglichkeit, eigene Multimediainhalte ohne eigenen Hostingplatz
kostenfrei und unkompliziert zu veröffentlichen und zu teilen. Andere Nutzer
können anschließend die Inhalte bewerten, kommentieren oder abonnieren. Je
nach Anbieter können die Nutzer die Videos, Fotos oder Musikstücke ebenfalls in
ihre Blogs oder Social Networks einbinden. Sharing-Plattformen sind somit eine
wichtige Komponente des dynamischen Internets, das heute primär von
nutzergenerierten Inhalten getrieben wird.16 Bekannte Plattformen sind: Flickr
(Foto), YouTube (Video) oder Soundcloud (Audio)
2.2.1.7 Social News Seiten
Social News Seiten sind Aggregatoren, die Nachrichten und andere Inhalte im
WorldWideWeb sammeln und durch ihre Nutzer bewerten und aufbereiten lassen.
Die Inhalte werden dazu zunächst über Suchalgorithmen gesammelt oder durch
die Nutzer selbst eingestellt. Danach haben die Nutzer die Möglichkeit, die
Informationen zu kontrollieren und zu bewerten. Gut bewertet Inhalte werden
weiter oben, schlecht bewertete weiter unten auf der entsprechenden Seite
angezeigt. Andere Teilnehmer können sich so rasch ein Bild über die populärsten
und aktuellsten Beiträge machen.
14 Vgl. Back, Gronau, Tochtermann (2008) Web 2.0 in der Unternehmenspraxis S. 64 f. 15 Vgl. Wikipedia (URL3) API. 16 Vgl. Sander, Schott (2008) Bannerwerbung, S. 283.
10
Bekannte Social News Seiten sind zum Beispiel: Digg, Rivva, Yahoo Buzz oder
reddit.
2.2.1.8 Ortungsdienste
Sie stellen eine der jüngsten Formen der neuen Internetanwendungen dar. Sie
nutzen GPS Koordinaten um den aktuellen Aufenthaltsort des Anwenders zu
veröffentlichen und ihm relevante Orte, Veranstaltungen oder sonstige
Informationen zu seinem Standort zu liefern.17 Da gängige Mobiltelefone seit
einiger Zeit vermehrt über ein GPS Modul verfügen, entwickeln und verbreiten
sich diese Dienste immer schneller. Diese ”Location Based Services“ tragen damit
erheblich zur Verknüpfung der Online- und Offline-Welt bei und erweitern das
Kollektivwissen des Social Webs hinsichtlich der Bewertungen und
Empfehlungen realer Orte. Bereits fortgeschrittene Dienste sind zur Zeit:
Foursquare, Gowalla, FriendTicker oder Google Latitude.
2.2.1.9 Social Bookmarking / -taging
Social Bookmarking Dienste sind die Erweiterung des Abspeicherns von Online-
Lesezeichen über den Internetbrowser des Nutzers. Die Erweiterung besteht darin,
dass die gespeicherten URLs nicht lokal auf dem Rechner, sondern online
abgespeichert werden. Auf Wunsch sind sie anschließend auch öffentlich sichtbar.
Damit tragen diese Dienste unter anderem der Plattformunabhängigkeit
Rechnung, da die gespeicherten Seiten von jedem Browser oder internetfähigen
mobilen Gerät aufgerufen werden können.18 Außerdem bieten Social
Bookmarking Dienste die Möglichkeit, die gespeicherten URLs mit
Schlagworten, sog. „Tags“, zu versehen. Tags sind eine häufige Erscheinung im
Social Web und dienen dazu die Fülle an Seiten, Diensten und Informationen des
Webs zu kategorisieren und per Schlagwortsuche schneller auffindbar zu
machen.19 Einige bekannte Social Bookmarking Dienste sind: Delicious,
StumbleUpon oder Mister-Wong.
17 Vgl. Schiller, Voisard (2006) Location-Based Services, S.10 f. 18 Vgl. Back, Gronau, Tochtermann (2008) Web 2.0 in der Unternehmenspraxis, S. 26 f. 19 Vgl. Back, Gronau, Tochtermann (2008) Web 2.0 in der Unternehmenspraxis, S. 39 f.
11
2.2.2 Social Media Tools und Add-Ons
2.2.2.1 Sharing-Funktionalität
Inhalte zu erstellen und untereinander zu teilen ist neben dem
Vernetzungsgedanken die treibende Kraft des Social Webs. Um das Teilen
(„sharing”) und Verbreiten zu vereinfachen, bieten viele der vorgestellten Dienste
und Plattformen die Möglichkeit, die erstellten Inhalte (Blogbeiträge,
Nachrichten, Videos usw.) mit speziellen Funktionen zu versehen, die es den
Lesern/Nutzern erlauben diese mit nur einem Klick mit ihrem Social Graph in den
verschiedenen Netzwerken und Plattformen zu teilen. So verbreiten sich einerseits
die Inhalte schnell im Social Web, und andererseits dienen die Nutzer als eine Art
Filter für andere Nutzer, da „gute“ und relevante Inhalte häufiger geteilt werden
als „schlechtere“ oder weniger relevante. Bekannte Sharing-Funktionen liefern
unter Anderen die Dienste TweetMeme, Facebook-Like, DiggIt, BuzzIt oder
ShareIt
2.2.2.2 RSS Feeds
RSS bedeutet in der Version 2.0 „Really Simple Syndication“ und ist aus
technischer Sicht ein XML-basiertes Dateiformat, das zum plattform-
unabhängigen Austausch von Daten genutzt wird.20 Der Einsatz in der Praxis ist
einfach, jedoch fundamental für die Entwicklung des neuen Informationsflusses
im Social Web.21 So genannte RSS-Feeds ermöglichen es Beiträge und andere
Inhalte einer Webseite – gekürzt oder in vollem Umfang – in einem textbasierten
Standardcode zu speichern und bereitzustellen.22 Durch diese Technologie ist es
also möglich, die sich stetig aktualisierenden Informationen eines Blogs,
Nachrichtenportals, YouTube-Kanals, Podcasts oder sonstigen
Informationslieferanten zu abonnieren. Der neueste Beitrag wird direkt zum
Abonnenten geleitet und kann mit Hilfe eines RSS Readers oder direkten Links
20 Vgl. The World Wide Web Consortium (URL1) Extensible Markup Language. 21 Vgl. O’Reilly (2004) Read Write Web Interview Part 2. 22 Vgl. Wikipedia (URL4) RSS.
12
zum jeweiligen Inhalt gelesen, gehört oder angesehen werden. Die Information
wird nicht mehr durch den Nutzer selbst gesucht oder gefunden, sondern findet
selbstständig den Weg zum Interessenten. In Konkurrenz zu RSS steht der
„Atom“ Standard, welcher ebenfalls ein XML-basiertes Format zum
Datenaustausch darstellt, jedoch nicht mit RSS kompatibel ist und an Relevanz
verliert.23 Bekannte RSS Dienste sind beispielsweise: FeedBurner, FeedCat oder
FeedBlitz.
2.2.2.3 Widgets
Dieses Kunstwort setzt sich aus den Wörtern ”Window” und ”Gadget” zusammen
und beschreibt kleine, fensterbasierte Tools, die in Betriebssysteme und
Webseiten integriert werden können. Die Funktionen von Widgets sind vielfältig.
Sie können aktuelle Inhalte aus RSS-Feeds oder Social Networks bereitstellen
oder durch Anbindung an eine Programmierschnittstelle (API) Zugriff auf eine
webbasierte Anwendung oder Plattform bieten.24 Der Vorteil besteht darin, dass
Widgets direkt auf dem Computer Desktop der Nutzer oder einer relevanten
Webseite dargestellt werden können und so dem Anwender ihre Informationen
meist im direkten Sichtfeld liefern.
Widgets werden unter anderem von Windows Vista, Windows 7, Mac OS X,
Linux und Online-Diensten wie iGoogle, Netvibes oder Facebook unterstützt.
2.2.2.4 Mashups
Der Begriff Mashup leitet sich vom Englischen „to mash“ (dt.: etwas vermischen)
ab und stammt ursprünglich aus dem Musikbereich. Dort steht ein Mashup für
einen Mix aus bestehenden Titeln oder einem Titel zu einem neuen Werk und
wird auch Remix genannt. Im neuen Gedanken des Web 2.0 steht diese Form von
Inhalten für den Grundgedanken Medianinhalte jeglicher Art aufzugreifen und zu
etwas Neuem zu kombinieren. Damit tragen Mashups dem Kerngedanken des
Web 2.0, dem Web des User Generated Content, Rechnung. Mashups können
dabei in vielfältiger Weise entstehen. Neben Videomaterial, Bildern, Texten und 23 Vgl. The Internet Society (URL) The Atom Syndication Format. 24 Vgl. The World Wide Web Consortium (URL2) Widget Packaging and Configuration.
13
Tönen können auch verschiedenste Dienste und Webanwendungen aufgegriffen
und rekombiniert werden. Letzteres wird durch die bereits erwähnten, offenen
Programmierschnittstellen (APIs) ermöglicht, die Programmierern die
Möglichkeit bieten, Funktionen oder Informationen eines webbasierten Service
aufzugreifen und in eigenen, neuen Plattformen (Mashups) zu nutzen. Eine der
Bekanntesten offenen APIs zu diesem Zweck stellt die Google Maps API dar. Sie
wurde bereits für eine Vielzahl an Mashups verwendet, die das Kartenmaterial
von Google nutzen um Ausgehtipps, Kleinanzeigen oder Veranstaltungen, die von
Nutzern generiert wurden, anzuzeigen und zu verbreiten. Auch APIs von Social
Media Diensten wie Flickr, Twitter oder YouTube werden häufig genutzt um die
Echtzeitinformationen dieser Plattformen mit eigenen Seiten, Blogs oder Social
Networks zu verknüpfen.
2.3 Bedeutung für die Online-Landschaft
Blogs, Bewertungsplattformen und Social Networks ermöglichen es heute jedem,
der einen Internetzugang besitzt, Teil der Online-Gemeinschaft zu werden. Dabei
hat man selbst die Wahl, ob man lediglich innerhalb des eigenen, begrenzten
Netzwerkes agiert oder sich mit der ganzen Welt austauscht – letztere Möglichkeit
wird zunehmend genutzt. So existieren heute weit über 100 Millionen Blogs, und
es kommen täglich mehr als 50.000 hinzu.25 Die freie Enzyklopädie Wikipedia
umfasst mehr als 35 Millionen Artikel in nahe zu jeder Sprache, die von Usern
erstellt wurden.26 Zudem ergab eine Studie der Colorado State University unter
Experten zu 50 verschiedenen Fachgebieten, dass 76% der Befragten die
gelesenen Artikel als präzise bezeichneten und 66% die Wikipedia-Inhalte
gleichwertig bis exakter empfanden im Vergleich zu Beschreibungen der
Encyclopedia Britannica.27 Das Social Network Facebook zählte im Juli 2010
500 Millionen aktive Nutzer, und wäre damit, als Staat gesehen, hinter China und
Indien auf Platz drei der größten Staaten der Erde.28 Darüber hinaus wurde in
einer aktuellen Studie von Nielsen Wire festgestellt, dass Internetnutzer weltweit
25 Vgl. Nielsen BlogPulse Statistics (URL). 26 Vgl. Wikipedia (URL5) Wikipedia Statistics. 27 Vgl. Colorado State University Survey (URL). 28 Vgl. Facebook Statistics (URL).
14
bereits im März diesen Jahres über sechs Stunden pro Monat in Social Networks
verbracht haben29 - und dies ist nur ein errechneter Durchschnitt.
Diese Zahlen verdeutlichen den Wandel in der Informationserstellung,
-bereitstellung und -suche. Das Stichwort lautet "User Generated Content" - also
von den Nutzen selbst erstelle Inhalte. Das alte Top-Down-Prinzip durch
Unternehmen und Nachrichtendienste auf dem Informationsmarkt hat ausgedient.
Der (Informations-) Konsument hat eine Stufe der Emanzipation erreicht, in der er
nicht mehr unreflektiert aufnimmt, was im Internet bereitgestellt wird. Er lernt
zunehmend, dass er heute selbst bestimmt, welche Botschaften und Nachrichten er
aufnehmen möchte, und hinterfragt diese kritisch. Diese Entwicklung macht es für
alle Arten von Fehlinformationen, schlechten Produkten oder Dienstleistungen
schwer zu „überleben". Einmal aufgedeckt verbreiten sich Erkenntnisse rasant
von Freund zu Freund, von Blog zu Blog und nicht selten sogar heraus aus dem
Web, in große Tageszeitungen oder Nachrichtensender.30
Das Social Web macht jeden einzelnen Nutzer zu einem (Informations-) Sender
und ermöglicht die Entwicklung einer nie dagewesenen Massenintelligenz. Neben
dem Zugang zum Internet und der Fähigkeit, lesen zu können, existieren keine
nennenswerten Einstiegsbarrieren, um auf den Echtzeit-Informationspool
zuzugreifen. Gleichzeitig wird dieser, ebenfalls in Echtzeit, von Millionen
Nutzern weltweit durch selbst generierte Multimedia-Inhalte, Neuigkeiten,
Erfahrungen und Meinungen kontinuierlich vergrößert. Durch die zunehmende
Verbreitung des mobilen Internets wird zudem neben der Zeitverzögerung auch
die Ortsabhängigkeit der Informationen eliminiert. Jeder kann sich zu jeder Zeit,
an jedem Ort über bestehendes Wissen informieren oder neues hinzufügen.
"Bottom-Up" ist der neue Mechanismus im Social Web. Die kritische Beurteilung
des Einzelnen, die Einfachheit der Erstellung von eigenen Inhalten, die neue Art
der Empfehlung von Mensch zu Mensch im Social Graph und der Wegfall von
Zeitverzögerung und Ortsabhängigkeit von Informationen verdeutlichen im
Kontext der Größe der Social Web Gemeinde, was Brian Solis im Einstiegszitat
29 Vgl. Nielsenwire (URL1) Facebook and Twitter Post Large Year over Year Gains in Unique
Users. 30 Vgl. Stüber (2010) Das Internet hat die Regeln der Macht neu definiert.
15
zu diesem Kapitel beschreibt: Das Social Web ist viel mehr als ein Fenster zu
Information und Interaktion, es ist ein äußerst transformatives Medium, welches
die Art, wie wir Beziehungen knüpfen, miteinander interagieren, und
Informationen verbreiten und entdecken, verändert.31
Diese fundamentale Veränderung im Umgang mit neuen Medien und die daraus
folgende Digitalisierung des privaten und öffentlichen Lebens führt aktuell auch
in Wirtschaft und Wissenschaft zu breiten Diskussionen und Untersuchungen. So
zeigte im vergangenen Jahr eine Studie der tns-infratest, dass spätestens im Jahre
2020 bereits mehr als 95% der Menschen in den USA und Europa das Internet
täglich und intensiv nutzen werden, und diese Entwicklung zwangsläufig
gravierende Auswirkungen auf viele Schlüsselindustrien haben wird.32 Dies
verdeutlicht, dass sich der beschriebene Wandel weder auf spezielle Zielgruppen
beschränkt, noch in absehbarer Zeit abflachen wird. Der emanzipierte Konsument
nutzt zunehmend die neuen Möglichkeiten des Social Web, um Einfluss auf
Marken und Unternehmen auszuüben. Plakative Beispiele dafür sind
zum einen die sich häufenden und immer weiter reichenden öffentlichen Debatten
bei unternehmerischen Fehltritten33, und zum anderen der steigende Anteil an
User Generated Content mit Markenbezug. Dieser lag, laut einer Studie von
Marketing Vox und Nielsen BuzzMetrics unter den Google-Suchtreffern der 20
weltweit größten Marken, bereits im Jahr 2009 bei über 25 %.34
Der Konsument wird nun endgültig zu dem von Alvin Toffler bereits vor dreißig
Jahren beschriebenen „Prosument“35 – einem Produzent und Konsument in einer
Person. Spätestens jetzt, im Zeitalter der Social Media, kann diese Tatsache nur
schwer von Unternehmen ignoriert werden, denn die Konsumenten haben einen
Weg gefunden sich Gehör zu verschaffen, ihren Unmut kund zu tun und ihre
Wünsche und Probleme laut auszusprechen. Es liegt nun an den Unternehmen, 31 Siehe Solis (2009) The Social Media (R)evolution. 32 Vgl. Tns-infratest (2009) Zukunft und Zukunftsfähigkeit der Informations- und
Kommunikationstechnologien und Medien. 33 Vgl. Stüber (2010) Das Internet hat die Regeln der Macht neu definiert. 34 Vgl. Aarons, Edwards, Lanier (2009) Turning Blogsand User-Generated Content Into Search
Engine Results (SES Magazine), S. 24 f. 35 Vgl. Toffler (1980) The third Wave, S. 282 f.
16
diese neuen Bedingungen zu nutzen, um einen offenen Dialog mit ihren Kunden
zu fördern und letztlich eine Win-Win-Situation herbeizuführen. Auch wenn
Beispiele wie Nestlés PR-Debakel um die Marke Kitkat36 zeigen, welch negative
Auswirkungen ein sorgloser Umgang mit der kritischen Netzgemeinde haben
kann, so zeigen doch auf der anderen Seite zahlreiche positive Beispiele, dass
durch einen neuen, innovativen Dialog alle Beteiligten gewinnen. Wie zuvor
beschrieben, sind die neuen Prosumenten nicht nur bereit zu kritisieren, sondern
zeigen sich äußerst hilfsbereit und loyal gegenüber Marken und Produkten, die sie
für gut, ehrlich und empfehlenswert erachten. So versammeln sich beispielsweise
tausende Anhänger auf den Facebook-Seiten, Twitter-Profilen oder YouTube-
Kanälen bekannter Marken, empfehlen diese ihren Freunden, geben Feedback und
erklären sich bereit, „ihre“ Marke aktiv mit zu gestalten.37 Aus dieser Erkenntnis
leitet der Autor und Social Media Fachmann Erik Qualman eine treffende
Abwandlung des Ausdrucks „It’s the economy, stupid“38 ab: „It’s a people-driven
economy, stupid“39.
Diese Erkenntnis erlangten zunächst amerikanische Unternehmen wie Starbucks,
Dell oder Comcast, die frühzeitig damit begannen, die Kräfte der Social Media
zunutzen. So ermöglicht es beispielsweise die Kaffeehauskette Starbucks den
Nutzern der Plattform „My Starbucks Idea“40, ihre eigenen Produktideen und
-verbesserungen zu veröffentlichen. Die Community stimmt anschließend darüber
ab, welche Idee oder welches Produkt von Starbucks umgesetzt werden soll.
Diese
Plattform ermöglicht es Starbucks ohne größere Anstrengungen Produktideen
„von Kunden für Kunden“ zu entwickeln.
Der TV- und Kommunikationsprovider Comcast nutzt hingegen den
Microblogging Dienst Twitter, um schnell, einfach und transparent 36 Vgl. beispielsweise Stüber (2010) Das Internet hat die Regeln der Macht neu definiert. 37 beispielsweise http://mystarbucksidea.force.com und http://www.facebook.com/nikefootball
(14.06.2010). 38 Vgl. Wikipedia (URL6) James Carville. 39 Siehe Qualman (2010) Socialnomics – Wie Social Media Wirtschaft und Gesellschaft
Verändern, S.9. 40 http://mystarbucksidea.force.com (14.06.2010)
17
Kundensupport zu leisten. Unter dem Twitterprofil „@comcastcares“41 hilft das
Supportteam in Echtzeit und transparent für andere Kunden mit ähnlichen
Problemen und Fragestellungen. Gleichzeitig generiert der ständige Dialog
kontinuierlich Kunden-Insights und -Verbesserungsvorschläge, die Comcast
wichtige strategische Informationen liefern. Auch die Deutsche Telekom hat
dieses Verfahren aufgegriffen und bietet unter ihrem kooperativen Twitterprofil
„@Telekom_hilft“42 über sieben Mitarbeiter einen persönlichen Support per 140
Zeichen.
Schließlich steht der Computerhersteller Dell, neben einer sehr breit aufgestellten
Online Community43, für die ersten erfolgreichen Abverkäufe über Social Media
Dienste. Über Twitter Profile wie „@delloutlet“44 oder „@DellHomeOffers“45
werden den Interessenten Rabatte, Spezialangebote und Exklusivprodukte mit
140-Zeichen-Nachrichten offeriert. Dieser Verkaufskanal ist bei den Nutzern sehr
beliebt und zählt zur Stunde über 1,5 Mio. Follower. Für die Reichweite dieser
Angebote bedeutet dies, dass eine Nachricht in Sekunden 1,5 Mio. Interessenten
erreichen kann. Diese leiten relevante Angebote in ihren eigenen Social Graph
und erhöhen somit die Kaufwahrscheinlichkeit insgesamt deutlich. Auch wenn
Dell, als einer der größten Computerherstellern weltweit, nur einen geringen Teil
seines Gesamtumsatzes über diesen Kanal erreicht, wird trotzdem deutlich,
welches Potential hinter diesen neuen Vertriebswegen steckt.
Diese Erfolge führten letztlich auch in Deutschland dazu, dass immer mehr
Unternehmen die Relevanz und Stärke der Social Media erkannten und ebenfalls
versuchen, diese zu nutzen. So zeigte eine Studie der Universität Oldenburg und
der construktiv GmbH, dass Ende 2009 60% der größten deutschen Marken aktiv
Social Media einsetzen und über ein Drittel von ihnen bereits mehr als eine
Plattform dazu nutzen.46 Allerdings scheint sich dieser Trend nur sehr langsam zu
41 http://twitter.com/comcastcares (14.06.2010) 42 http://twitter.com/telekom_hilft (29.07.2010) 43 http://en.community.dell.com/ (14.06.2010) 44 www.twitter.com/delloutlet (14.06.2010) 45 http://twitter.com/DellHomeOffers (14.06.2010) 46 Vgl. Nicolai, Vinke (2009) Wie nutzen Deutschlands größte Marken Social Media.
18
vollziehen. So zeigt ein aktuelle Blitzumfrage der dpa-Tochter news aktuell und
Faktenkontor unter mehr als 1.700 Pressesprechern und PR-Fachleuten, dass rund
6 Monate später zwar zwei Drittel der Befragten Social Media als grundsätzlich
wichtig erachten, jedoch nur 32,5% über eine klare Social Media Strategie
verfügen und lediglich 28,2% ein Budget für Social Media bereit stellen.47 Vor
diesem Hintergrund werden in der aktuellen Diskussion ein unklarer Return on
Investment und das (vermeintliche) Fehlen geeignete Tools bei der Erschließung
des Social Webs bemängelt. Allerdings zeigt ein Blick auf die zuvor genannten
amerikanischen Beispiele, dass weniger die Menge an Diensten und
Erfolgsfaktoren diese Diskussion antreibt, als viel mehr die scheinbar
unüberschaubare Vielfalt an Optionen, die im Social Web bereitstehen, um die
verschiedensten unternehmerischen Disziplinen wie Marketing, Kommunikation,
Public Relation, Entwicklung und Verkauf zu unterstützen.
Aus dieser Fülle von Möglichkeiten der Social Media wird im Verlauf des dritten
Kapitels auf die Eigenschaften der durch das Beispiel Dell beschriebenen
Verkaufsförderung näher eingegangen. Dabei wird erläutert, welche Social Media
Dienste, Applikationen und Netzwerke geeignet sind, den Online-Abverkauf
positiv zu beeinflussen und Kunden über die Schaffung von klaren Mehrwerten zu
loyalisieren.
47 Vgl. Petersen (2010) Social Media in Unternehmen: Wichtig ja, Strategie nein, Budget
Fehlanzeige.
19
3 Social Commerce
„Warum soll der Kunde mit seinen Bedürfnissen nicht auch beim
Einkaufen im WWW im Mittelpunkt stehen? Im Geschäft tut er das ja
auch.“
Dr. Michael Koch und Dr. Alexander Richter48
3.1 Ein wissenschaftlicher Beschreibungsansatz
Der Web 2.0 Gedanke, getragen von neuen Technologien und Ideen, findet seit
Ende der Neunzigerjahre immer mehr praktische Anwendung im Online-Alltag.
Die Nutzer rücken immer stärker in den Mittelpunkt, tauschen sich aus und
versammeln sich zu Millionen in Netzwerken und Communities. Dieser Erfolg
der Social Media führte schließlich auch im E-Commerce dazu, dass Ansätze
gesucht wurden, diese Kräfte zu monetarisieren und Kunden im E-Commerce
stärker zu loyalisieren. Unter dem Begriff „Social Commerce“ wurden nun
Möglichkeiten beschrieben, die E-Commerce mit Social Media verbinden. Eine
breite Aufmerksamkeit fand der Begriff durch den Start des Yahoo Shopping-
Portals „Shoposphere“49 im Jahr 2005, welches den Nutzern ermöglichte, neue
Produkte zu entdecken, zu bewerten und in der Community zu diskutieren. So
begannen letztlich auch Wissenschaft und Forschung sich mit den Veränderungen
im E-Commerce auseinander zu setzen und Social Commerce zu strukturieren.
Einen der ersten, detaillierten Ansätze zur Definition von Akteuren und
Forschungsfeldern im Bereich Social Commerce im deutschsprachigen Raum,
lieferten Professoren der Universität München 2007 im Bericht „Social
Commerce - Eine Analyse des Wandels im E-Commerce“50. Diese Erkenntnisse
wurden bis heute immer wieder aufgegriffen, bestätigt und um praktische
Anwendungen erweitert. Im folgenden werden die Ergebnisse dieser
48 Siehe Koch, Richter (2007) Enterprise 2.0, S. 152. 49 Vgl. Beach, Gupta (2005) Social Commerce via the Shoposphere & Pick Lists. 50 Vgl. Richter, Koch, Krisch (2007) Social Commerce.
20
Untersuchung zusammengefasst und die wirtschaftswissenschaftlichen
Grundlagen aufgezeigt.
3.1.1 Die Entwicklung zum Social Commerce
Social Commerce ist eine neue Ausprägung des E-Commerce, die von den
Möglichkeiten der Social Media profitiert und somit die logische Konsequenz der
zu Beginn beschriebenen Veränderungen im Social Web darstellt. Der Kunde
befindet sich nicht mehr in der alten, passiven Stellung in der Beziehung zu
Unternehmen. Der Trend zu freiwilliger Beteiligung setzt sich stetig fort und
fördert die Entwicklung neuer Software und Dienste. Diese „Social Software“
nutzt Technologie-, Netzwerk- und Skaleneffekte um Koexistenz,
Kommunikation, Koordination und Kooperation im Web zu fördern und so dem
Nutzer in immer mehr Bereichen des Onlinelebens Möglichkeiten zur Interaktion
zu bieten.51 Durch diese Entwicklung entsteht ein neues Beziehungsgeflecht
zwischen Produzenten, Händlern und Kunden, das die Art der Interaktion der
Akteure verändert. Produzenten stellen nun auch (Informations-)Konsumenten dar
und Konsumenten ebenfalls (Informations-)Produzenten. Aus einer meist starren
Ein-Weg-Kommunikation wird nun eine Mehr-Weg-Kommunikation, die es allen
Akteuren ermöglicht sich gegenseitig zu beeinflussen. Folgende Abbildungen
veranschaulichen diesen Wandel vom herkömmlichem E-Commerce zu Social
Commerce:
51 Richter, Koch (2007) Social Software, S. 7 f.
21
Abbildung 1: Klassischer E-Commerce
Quelle: Richter, Koch, Krisch (2007) Social Commerce, S. 4.
Abbildung 2: Social Commerce
Quelle: Richter, Koch, Krisch (2007) Social Commerce, S. 4.
Ausgehend von diesem neuen Beziehungsgeflecht, leiten die Autoren zwei neue
Kerneigenschaften der Nutzer im Social Commerce ab. Zum einen die
22
Möglichkeit, Produkte und Dienstleistungen zu bewerten und zu empfehlen, und
zum anderen den Wandel „(...) vom Wertschöpfungsempfänger zum
Wertschöpfungspartner“52 durch neue Kooperations- und Interaktionstools. Davon
ausgehend wird folgende Definition des Social Commerce gegeben:
„ Der Social Commerce stellt die zwischenmenschlichen Beziehungen und
Interaktionen (den Austausch von Bewertungen, Produktinformationen und
Feedback) in den Vordergrund, die vor, während und nach geschäftlichen
Transaktionen eine Rolle spielen, und setzt damit dem Electronic Commerce eine
zusätzliche kooperations- und kommunikationsorientierte Ebene auf.“53
3.1.2 Forschungsthemen zu Social Commerce
Diese Erkenntnisse führen in der weiteren Untersuchung zu sechs zentralen
Forschungsthemen und Konzepten54, welche die neu entstandenen Kooperations-
und Kommunikationsebenen bedingen und überwiegend dem im ersten Kapitel
beschriebenen Web 2.0 Gedanken zuzuordnen sind.
3.1.2.1 Crowdsourcing
Der Begriff leitet sich von den englischen Begriffen Crowd (Gruppe von
Menschen) und Outsourcing (Auslagern) ab und wurde bereits 2006 von Jeff
Howe näher beschrieben.55 Nach Howe steht Crowdsourcing nicht synonym für
Outsourcing sondern für eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen
Unternehmen, Hobby-Experten, Enthusiasten und Fans. Die Basis dafür liefern
die Technologien und Tools der Social Media; sie ermöglichen die Nutzung der
beschriebenen Bereitschaft der User, einen Beitrag zu leisten und sich aktiv mit
Produkten und Ideen auseinanderzusetzen. Daraus ergeben sich in der Praxis
Vorteile für alle Beteiligten: Anwender können aktiv Einfluss auf Produkte und
52 Vgl. Richter, Koch, Krisch (2007) Social Commerce, S. 5. 53 Richter, Koch, Krisch (2007) Social Commerce, S. 5. 54 Vgl. Richter, Koch, Krisch (2007) Social Commerce, S. 7 f. 55 Vgl. Howe (2006) The Rise of Crowdsourcing.
23
Entwicklungen nehmen oder ihr Wissen mit anderen teilen und Ideen einfließen
lassen. Unternehmen hingegen können mit geringerem Markt- und
Produktforschungsaufwand Leistungen verbessern und neu entwickeln. Zudem
können Kosten im Support oder der Forschung und Entwicklung eingespart
werden. Crowdsourcing beschreibt damit „eine Management-Einstellung und ein
Bekenntnis zu kunden- und lösungsorientierten Produkten“.56
3.1.2.2 Kooperations- und Kommunikationskonzepte
Unter diesen Konzepten fassen Richter, Koch und Krisch Lösungsansätze
zusammen, die es den Nutzern erlauben die Vielzahl an Produkten und
Informationen im Web zu filtern und sich Orientierung zu verschaffen.57 Darunter
fallen unter anderem Social Navigation und Collaborative Filtering. Social
Navigation beschreibt die Orientierung des Nutzers durch die Erfahrungen
anderer. Bewertungen und Empfehlungen von Informationen, Websites oder
Produkten sind typische Ausprägungen dieser hilfreichen Weitergabe von
Erfahrungen und wurden lediglich aus dem „Offline-Leben“ in die digitale Welt
übertragen.58 Damit verbunden ist die Technik des Collaborative Filtering, welche
Systeme bereitstellt, die in einer großen Menge an Daten aus Benutzerprofilen,
Interessen und Bewertungen Zusammenhänge erkennen und Informationen nach
individuellen Präferenzen ermitteln und bereitstellen. 59 Neben diesen
Grundkonzepten entwickelten sich bis heute viele weitere, unterschiedliche
Lösungsansätze, um die Kommunikation und Kooperation der Nutzer zu
unterstützen und zu fördern. Zahlreiche Beispiele finden sich im ersten Kapitel
sowie im weiteren Teil dieser Arbeit.
56 Vgl. Richter, Koch, Krisch (2007) Social Commerce, S. 9. 57 Vgl. Qualman (2010) Socialnomics, S.19 f. 58 Vgl. Resnick, Iacovou, Suchak, Bergstorm, Riedl (1994) An Open Architecture for
Collaborative Filtering of Netnews. 59 Vgl. Dourish, Chalmers (1998) Running Out of Space: Models of Information Navigation.
24
3.1.2.3 Communities und Soziale Netzwerke
Die Funktionsweise sozialer Netzwerke wurde bereits im ersten Kapitel näher
erläutert, daher bezieht sich dieser Abschnitt lediglich auf die Abgrenzung zu dem
Begriff der Communities. Im Gegensatz zu den meist allgemeinen sozialen
Beziehungen in einem sozialen Netzwerk zeichnet sich eine Community durch ein
gemeinsames, spezifisches Interesse aus. Dabei kann die gegenseitige Hilfe,
gemeinsame Entwicklung oder ein gemeinsames Interesse im Mittelpunkt stehen.
Für den Social Commerce ist primär die Ausprägung der „Communitiy of
Interest“ von Bedeutung. Diese Art der Community zeichnet sich durch
unterschiedlichen Akteure aus, die ein gemeinsames Interesse (z.B. an einem
Produkt oder Themengebiet) teilen und rund um diesen Fokus interagieren.60 Dies
kann in Form von Hilfestellungen, Tipps und Ideen oder des Zusammenschlusses
zu einer gemeinsamen Kaufkraft geschehen. Damit besteht eine direkte Relevanz
für Unternehmen, mit diesen Interessensgruppen in (kommerziellen) Kontakt zu
treten.
3.1.2.4 Innovation und Sticky Information Theory
Diese Forschungsthemen bewegen sich nahe am Konzept des Crowdsourcing.
Innovationen entstehen heute immer mehr unter dem Einfluss von
Kundenbedürfnissen, die meist individuelle Lösungen fordern und doch breit
gefächert sind. Dabei stehen Unternehmen vor dem Problem der von Eric von
Hippel beschriebenen „Sticky Information“. Diese „klebrigen Informationen“
beschreiben z.B. private Bedürfnisse, Wünsche und Ansichten von Kunden, die
aufgrund ihrer Orts- und Personenbindung nur schwer von Unternehmen zu
erfassen sind (auch Consumer Insights). Die Lösung dieses Problems liegt nach
Hippel in der Aufteilung des Innovationsprozesses (Problemlösungsprozesses) in
die Kompetenzbereiche der einzelnen Akteure.61 Dies ermöglichen heute Social
Media Technologien und Tools in einer nie da gewesenen Arbeits- und
Kosteneffizienz, wenn Unternehmen „(...) den Kunden in kundendominierten
60 Vgl. Fischer (2001) Communities of Interest, S.4. 61 Vgl. von Hippel (1994) Sticky Information and the Locus of Problem Solving, S. 3 f.
25
Teilaufgaben zur Mitarbeit bewegen um so an die sticky information des Kunden
zu gelangen.“62
3.1.2.5 Long Tail
Die Long Tail Theorie lässt sich anhand des folgenden Schaubildes verdeutlichen:
Abbildung 3: Der "Long Tail"
Quelle: Richter, Koch, Krisch (2007) Social, S. 12.
Es wird beim Long Tail davon ausgegangen, dass nicht nur mit einigen wenigen
aber nachfragestarken Produkten der Umsatz generiert wird, sondern eine „lange
Kette“ (große Masse) an verschiedenen/individuellen Produkten mit geringer
Nachfrage folgt, die in ihrer Gesamtheit ebenfalls einen hohen Umsatz
generieren.63 Die neuen Kommunikations- und Kooperationstechnologien
ermöglichen es heute, dieses Konzept in einer vorher unmöglichen Produktions-
und Kosteneffizienz in der wirtschaftlichen Praxis umzusetzen.
3.1.2.5 Mass Customization und interaktive Wertschöpfung
Kundenindividuelle Massenproduktion (engl. Mass Customization) beschreibt
Systeme, die individuell angepasste Produkte im Rahmen der Massenproduktion 62 Vgl. Richter, Koch, Krisch (2007) Social Commerce, S. 10. 63 Vgl. Anderson (2004) The Long Tail.
26
ermöglichen. So kann beispielsweise der Kunde eine individuelle Farbe oder
Form eines Produktes wählen und so eingeschränkte Individualisierungen
vornehmen. Die Einschränkung liegt dabei auf Seiten des Herstellers, der nur
begrenzte Auswahlmöglichkeiten liefern kann, die sich im Rahmen der
Massenproduktion bewegen. Die Miteinbeziehung der Kunden in den
Produktionsprozess stellt dabei den aussichtsreichsten Weg dar, um diese
Möglichkeiten passend und effizient zu gestalten. Denn letztlich liegt es an den
Kunden, welche Produktanpassungen sie als nützlich und wünschenswert
erachten. Diesen Prozess der Kooperation und des sozialen Austausches zwischen
Kunden und Unternehmen bezeichnen Reichwald und Piller zusammengefasst als
Interaktive Wertschöpfung.64
3.1.3 Beteiligte Akteure im Social Commerce
Im Laufe dieser Arbeit wurden an vielen Stellen die neuen Rollen der Akteure im
Social Web angesprochen. Konsumenten werden zu Produzenten, Produzenten zu
Konsumenten, und Kommunikationsplattformen treten schließlich als Mittler in
diesem Wechselspiel auf. Auch Richter, Koch und Krisch analysieren die
verschienen Rollen des neuen Systems und charakterisieren dabei die Akteure
Kunden, Unternehmen und Mediatoren im Social Commerce wie folgt:65
3.1.3.1 Kunden
Im Social Commerce können Kunden grundsätzlich in vier verschiedene
Kategorien eingeteilt werden. Die erste ist der Kunde als Berater und Experte, er
möchte sein Wissen und seine Erfahrung weitergeben, und bewertet, beschreibt
oder empfiehlt Produkte, durch die er Erfahrungen gesammelt hat und/oder eine
gewisse Kompetenz aufbauen konnte. Diese Rolle ist geprägt von dem zuvor
genannten Willen zu aktiven Beteiligung. Die zweite Form ist der Kunde als
Produktgestalter, der, dank der neuen technischen Möglichkeiten, an der
Gestaltung und Produktion selbst teilhaben kann. Dieser Aspekt trägt dem
beschrieben Konzept der interaktiven Wertschöpfung Rechung. Die dritte 64 Vgl. Reichwald, Piller (2006) Interaktive Wertschöpfung, S. 43 f. 65 Vgl. Richter, Koch, Krisch (2007) Social Commerce, S. 14.
27
Kategorie bilden die Kunden als aktive Verkäufer. Mit dem Bezug auf den „Long
Tail“ ist darunter die Idee zu verstehen, dem Kunden Werkzeuge an die Hand zu
geben, die es ihm ermöglichen, eigene Produkte zu kreieren und diese selbst
online zu vertreiben. So strahlt die Reputation des Konsumenten auf die Marke ab
und umgekehrt.66 Schließlich findet sich auch eine große Gruppe passiver Akteure
im Social Commerce, sie bilden die vierte Gruppe, die sog. Lurker. Sie stellen die
reinen Konsumenten dar, die sich über die Beiträge der aktiven Kunden
informieren, beraten und letzten Endes beeinflussen lassen. Allerdings heben
Richter, Koch und Krisch hervor, dass die aktiven Kunden/Nutzer durch diesen
Informationskonsum wiederum selbst beeinflusst und motiviert werden.
3.1.3.2 Unternehmen
Auf der Angebotsseite stehen nach wie vor primär die Unternehmen als Anbieter
von Waren und Dienstleistungen. Allerdings haben sich ihre Möglichkeiten und
Rahmenbedingungen verändert. Die beschriebene Vielzahl an neuen
Technologien und Konzepten ermöglicht eine völlig neue Interaktion mit den
eigenen Kunden und Konsumenten im Allgemeinen. So können Unternehmen im
Social Commerce beispielsweise durch Web-Monitoring frühe Trends und
Warnsignale erkennen, durch Bewertungen und Empfehlungen Kundenfeedback
erhalten oder mit weiteren Kommunikations- und Kooperationsdiensten und -
anwendungen den Abverkauf fördern. Auf diese Dienste wird im späteren Verlauf
der Arbeit näher eingegangen.
3.1.3.2 Mediatoren
Mediatoren stellen im Social Commerce aus verschiedenen Quellen aufbereitete
Informationen zur Verfügung. Es handelt sich meist um
Kommunikationsplattformen, die Informationen von Unternehmen mit passenden
Nutzerinformationen kombinieren und somit den Konsumenten Social Navigation
ermöglichen. Dabei werden zwei Arten von Plattformen unterschieden67: Zum
einen produktzentrierte Plattformen. Sie sind darauf ausgerichtet, den Nutzern 66 Vgl. beispielsweise Pohlmann (2006) Kunden sind einfach die besseren Verkäufer. 67 Vgl. Richter, Koch, Krisch (2007) Social Commerc, S. 16 f.
28
Kommunikation und Kooperation beim Kauf konkreter Produkte zu ermöglichen.
Zum anderen personenzentrierte Plattformen. In ihrem Fokus stehen die einzelnen
Nutzer, die sich aus Kommunikations- oder Kooperationsgründen austauschen
möchten. Dies kann beispielsweise der Austausch von Waren oder Informationen
sein. Auch zu diesen Plattformen werden im Hauptteil der Arbeit aktuelle
Entwicklungen vorgestellt und näher erläutert.
3.2 Ein praktischer Beschreibungsansatz
Die Erkenntnisse der überwiegend theoretischen Untersuchung liefern eine breite
Grundlage für die heutige Entwicklung und Umsetzung zahlreicher Dienste,
Plattformen und Anwendungen. Zum einen entstehen, unter Ausnutzung der Long
Tail Theorie oder der interaktiven Wertschöpfung, ganz neue Dienstleistungs- und
Unternehmenskonzepte und zum anderen zeigen immer mehr Kommunikations-
und Kooperationsmöglichkeiten der Social Media ihren Nutzen im bestehenden
E-Commerce (Kapitel 4). Der Sozialpsychologe Dr. Paul Marsden beschäftigt
sich in seinem aktuellen White Paper „Social Commerce –
Die Monetarisierung von Social Media“68 mit dieser Adaption von Social Media
Technologien im E-Commerce, die im weiteren Verlauf der Arbeit fokussiert
werden soll.
Marsden geht zunächst von einem allgemeinen Social Media Hype aus, der seit
dem ersten Web 2.0-Gedanken unzählige Technologien, Dienste und
Anwendungen hervorbrachte. Viele von ihnen dienten ausschließlich nicht-
kommerziellen Interessen (Wikis, Blogs, Communities usw.) und fanden schnell
Millionen von Nutzern auf der ganzen Welt. Allerdings fehlte häufig ein
konkretes Geschäftsmodell und ein Return on Investment, um neue
Entwicklungen zu finanzieren oder schlicht das weitere Überleben der Netzwerke
und Plattformen sicherzustellen. Marsden schreibt dieses „Tal der Enttäuschung“
dem Jahr 2010 zu und prognostiziert in der Folge eine konstruktive Verbindung
von Social Media Technologien und E-Commerce Plattformen – die
Monetarisierung von Social Media. Dabei definiert Marsden Social Commerce
wie folgt: 68 Marsden (2010) Die Monetarisierung von Social Media.
29
„Social Commerce ist jene Form des elektronischen Handels, die das Online-
Einkaufserlebnis durch den Einsatz von Social Media – also Online-Medien, die
soziale Interaktion und Userbeteiligung ermöglichen – aufwertet.“69
Abbildung 4: Social Commerce als Schnittmenge
Quelle: Marsden (2010) Die Monetarisierung von Social Media, S. 5.
Diese Verknüpfung stellt eine Win-Win-Situation her, in der Verkäufer und
Käufer gleichermaßen profitieren. Aus Unternehmenssicht entsteht ein messbarer
Return on Investment durch die unabhängige Variable „Social Media“ und die
abhängige Variable „E-Commerce“. Außerdem steigen Traffic und Conversion
Rates der E-Commerce-Plattform und es entsteht neuer Raum zur Entwicklung
neuer, innovativer Geschäftsmodelle. Auf der anderen Seite profitieren auch die
Kunden, da sie zum einen nun in der Lage sind, Produkte zu bewerten und zu
empfehlen, und zum anderen ein neues Einkaufserlebnis erfahren, welches das
Vertrauen zum Onlineshop stärkt und Mehrwerte durch Kommunikations- und
Kooperationstools schafft.
69 Marsden (2010) Die Monetarisierung von Social Media, S. 5.
30
Um die entstandene Vielzahl an Tools, Diensten und Applikationen zu
strukturieren, ordnet Marsden die Social Commerce geeigneten Werkzeuge sechs
Kategorien zu.70
1. Social Shopping
2. Ratings & Reviews
3. Empfehlungen und Referrals
4. Foren und Communities
5. Social Media Optimierung (SMO)
6. Social Ads und Applikationen
Im weiteren Verlauf des White Papers werden darauf aufbauend
sozialpsychologische Untersuchungen angestellt und Anleitungen zur
strategischen Nutzung und Implementierung von Social Media Technologien im
E-Commerce gegeben, um so aktiv Social Commerce zu implementieren. Da
diese Aspekte für den Kern dieser Arbeit, der Vorstellung Social Commerce
unterstützende Tools und Dienste, zu weit gehen, wird diesem Teil weniger
Beachtung geschenkt.
3.3 Zusammenfassung und Definition
Die Grundidee des Social Commerce ist nicht neu. Bereits im Jahr 1995 öffnete
der Onlineshop Amazon.com (damals noch ein reiner Bücherverkauf) seine
Pforten. Schon in den Anfängen erlaubte es Amazon seinen Nutzern gelesene
Bücher zu bewerten und sich untereinander auszutauschen (Kommunikation und
Kooperation).71 Noch im selben Jahr startete auch der Dienst AuctionWeb.com,
der ab 1997 unter dem Namen ebay.com eine weltweite Erfolgsgeschichte
schrieb, mit einem virtuellen Marktplatz für private Auktionen und Verkäufe.72
70 Vgl. Marsden (2010) Die Monetarisierung von Social Media, S. 12. 71 Vgl. Amazon (URL) Pressemitteilung 4. Oktober 1995. 72 Vgl. eBay (URL) eBay History.
31
Auch eBay implementierte schon frühzeitig Funktionen, die Bewertungen und
Interaktionen erlaubten, um Verkäufer und Käufer zu bewerten und somit seinen
Nutzern erste Social Navigation zu ermöglichen. Mit dem Voranschreiten der
technologischen Entwicklungen entstanden zunehmend grundlegend neue
Plattformen und Verkaufsmodelle, die den Kunden und seine Bedürfnisse in den
Vordergrund rückten. Ein oft zitiertes Beispiel aus dem deutschen Raum stellt
dabei das Merchandise Unternehmen Spreadshirt.de dar.73 Die von einem
sächsischen Unternehmen in Eigenregie entwickelte Plattform ging im Jahr 2002
online und ermöglicht es seinen Kunden erstmals die eindeutige Rolle des
Produzenten und Verkäufer anzunehmen. Jeder Interessent kann bei Spreadshirt
Shirts nach seinen Vorstellungen gestalten und einen eigenen, kostenfreien T-
Shirt Shop erstellen. Dieser lässt sich unkompliziert in die eigene Website
integrieren und erlaubt es, die erstellten Shirts zu verkaufen. Dabei übernimmt
Spreadshirt die komplette Lagerung, Herstellung und Versendung der Artikel und
bietet dem Shopbetreiber eine Umsatzbeteiligung – „Micro-Merchandising“ nennt
Spreadshirt diese neue Art der E-Commerce-Dienstleistung.
Der Begriff des Social Commerce entstand erst einige Jahre später, durch die
voranschreitende Entwicklung und Verbreitung das Web 2.0 Gedanken und
schließlich der praktischen Umsetzung in die heutigen Social Media. Eine breite
Aufmerksamkeit erfuhr der Begriff Ende 2005 durch den Start des Yahoo!-
Shoppingportals „Shoposphere“ und dessen Ankündigung im offiziellen Yahoo!-
Searchblog durch David Beach und Vivke Gupta.74 Das neue Portal bot einen Ort,
um neue Produkte zu entdecken, zu bewerten und zu empfehlen. Außerdem
bekamen die Nutzer die Möglichkeit, Listen ihrer Lieblingsprodukte anzulegen
und diese ebenfalls zu teilen und zu bewerten. Ab diesem Zeitpunkt gewann das
Thema Social Commerce immer mehr Interesse in der breiten Öffentlichkeit75,
und auch die Wissenschaft begann die voranschreitenden Entwicklungen zu
untersuchen und zu strukturieren. Eine tiefere, wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit diesem Thema stellt die in Kapitel 3.1. beschriebene
Untersuchung von Richter, Koch und Krisch dar. Die beschriebenen
73 Vgl. Spreadshirt.de (URL) Pressemitteilung 6. Mai 2002. 74 Vgl. Beach, Gupta (2005) Social Commerce via the Shoposphere & Pick Lists. 75 Vgl. beispielsweis (2005) 2006 Trends to Watch Part II: Social Commerce.
32
Forschungsfelder und Akteure strukturieren die Entwicklungen bis 2007 und
zeigen Modelle und Konzepte auf, wie der Wandel der Internet-Technologie neue
Formen der Forschung, Entwicklung, Produktion und des Vertriebs ermöglicht.
Bei diesen Modellen handelt es sich überwiegend um strukturelle Veränderungen
in Unternehmensprozessen, die zwischenmenschliche Beziehungen und
Interaktionen mit den Konsumenten in den Vordergrund stellen. Kurze Zeit später
setzte der große Social Media Boom ein, der bis heute eine nahezu
unüberschaubare Anzahl an Social Media Diensten, Anwendungen und
Plattformen hervorbrachte. Die von Marsden beschriebenen Probleme der
Monetarisierung von Social Media führten nun dazu, dass nicht nur eine tiefere,
strukturelle „Sozialisierung“ der Unternehmensprozesse (wie durch Richter, Koch
und Krisch beschrieben) einsetzte, sondern ebenfalls nach Möglichkeiten gesucht
wurde, die nun vorhanden Social Media Technologien gewinnbringend im
bestehenden E-Commerce einzusetzen. Dass diese aktuelle Entwicklung nicht nur
auf Befürworter trifft, zeigt eine aktuelle Diskussion zwischen Jochen Krisch und
Paul Marsden sowie ihren jeweiligen Anhängern. Dabei kritisiert Krisch, dass die
von Marsden propagierte Definition von Social Commerce nicht weit genug geht,
da sie primär Marketing und Vertrieb fokussiert und somit nicht zwingend einen
strukturellen Wandel in Unternehmensprozessen voraussetzt.76 Diese Ansicht ist
nachvollziehbar, denn in diesem Diskurs stehen sich Informatiker und Marketer
gegenüber, deren Blickrichtungen sich naturgemäß unterscheiden. Da sich diese
Arbeit auf die Vorstellung und Analyse praktischer und grundsätzlich einfach zu
implementierender Technologien der Social Media in den Teilbereich E-
Commerce konzentriert, wird dieser Diskussion in soweit Rechnung getragen,
dass beide Definitionen anerkannt werden, jedoch eine die andere nicht
ausschließt. Es handelt sich vielmehr um eine tiefere, systemorientierte Definition
und eine einfachere, anwendbare Definition. Wie beispielsweise in der in Kapitel
1.3 genannten Studie77 zu erkennen ist, haben deutsche Unternehmen die
Relevanz von Social Media in Unternehmensprozessen durchaus erkannt, stehen
aber nun vor dem Problem, diese Erkenntnis in Strategien umzusetzen und zu
budgetieren. Aus diesem Grund werden beide Definitionen und
76 Vgl. Social Commerce Today Blog (URL) und Exciting Commerce Blog (URL). 77 Vgl. Petersen (2010) „Social Media in Unternehmen: Wichtig ja, Strategie nein, Budget
Fehlanzeige“.
33
Herangehensweisen benötigt, denn neue E-Commerce Modelle können sich nicht
entwickeln, wenn sie keine attraktiven Umsetzungen für Händler und Marken
bieten. Ebenso führen auf lange Sicht die praktischen Umsetzungen nicht weiter,
wenn keine fundierten Modelle, die Prozesse und Entwicklungen strukturieren,
existieren.
Um im Folgenden die in Abbildung 4 aufgezeigte Überschneidung zum Social
Commerce zu erreichen sind demnach Anpassungen auf beiden Seiten nötig, denn
auch ohne tiefgreifende, strukturelle Änderung in Unternehmensprozessen, sind
Grundsätze aus der Arbeit von Richter, Koch und Krisch zu beachten. Im weiteren
Verlauf soll daher eine Kombination der vorgestellten Social Commerce
Definitionen die bestmögliche Grundlage zum Verständnis der folgenden, E-
Commerce tauglichen Social Media Technologien und Anwendungen bieten.
„Der Social Commerce stellt die zwischenmenschlichen Beziehungen,
Interaktionen und Userbeteiligungen in den Vordergrund, die vor, während und
nach geschäftlichen Tranksaktionen eine Rolle spielen, und schafft so eine neue,
ergänzende Ebene der Kommunikation und Kooperation im Electronic
Commerce, die durch den Einsatz von Social Media Technologien und/oder
strukturelle Veränderungen in Unternehmensprozessen ermöglicht wird.“
4 Tools und Möglichkeiten für Shop-Betreiber und
Unternehmen
Im Folgenden werden praktische Technologien, Anwendungen und Dienste der
Social Media vorgestellt und bewertet, die dazu beitragen, den Kunden durch
Mehrwerte eines persönlichen und kooperativen Einkaufserlebnisses zu
loyalisieren und den Kaufentscheidungsprozess positiv beeinflussen. Dabei
werden Tools fokussiert, die nicht primär strukturelle Veränderung im
Unternehmensprozess verlangen, sondern möglichst einfach Interaktion und
Userbeteiligung, durch Kommunikation und Kooperation der Nutzer, ermöglichen
und fördern. Dazu wird zunächst das Funktionsprinzip der einzelnen Hilfsmittel
erläutert und durch „Best Practice“ Beispiele veranschaulicht. Anschließend folgt
eine Bewertung der entstandenen Vorteile für Unternehmen und Verbraucher.
34
Dabei steht die Fragestellung im Vordergrund, ob die aufgezeigten
Möglichkeiten, den zu Anfang dieses Kapitels beschriebenen Eigenschaften,
genügen, also Kaufentscheidungsprozesse positiv beeinflussen und Mehrwerte
schaffen. Ergänzend wird ein Blick auf die Zielgruppen auf Produzenten- und
Konsumentenseite geworfen und Aufwand und Nutzen gegenübergestellt. Die
Grundlage dieser Kategorisierung wird von Paul Marsden übernommen, da sie
sehr aktuell und umfassend recherchiert wurde.
4.1 Bewertungen
Meinungen, Produkt- sowie Shop- und Händlerbewertungen von Kunden in
Onlineshops und Plattformen stellen, neben Produktempfehlungen an Freunde
und Bekannte, eines der ältesten Social Commerce Tools dar. Für Online-
Auktions-Plattformen wie beispielsweise eBay stellen sie gar die Basis für
vertrauensvolles Einkaufen von fremden Anbietern auf diesen Plattformen dar.
Diese frühe Form der Adaption von Social Media Technologien in den E-
Commerce nutzt auf einfachstem Wege die Kräfte des User-generated-Content, in
dem es den Shopbesuchern ermöglicht wird, ihre Erfahrungen mit einzelnen
Shops und Produkten mit anderen zu teilen. Dazu implementieren die
Shopbetreiber Bewertungsskalen für eine einfache und schnelle Bewertung ihres
Shops oder eines Produktes und ermöglichen außerdem häufig eine längere und
ausführlichere Bewertung in Fließtext-Form. Wie bereits in den vorherigen
Kapiteln erläutert, sind Nutzer des Social Web meist überdurchschnittlich aktive
Nutzer von Onlineangeboten und teilen gerne ihre Meinungen und Erfahrungen
mit anderen. Diesen Umstand machen sich Bewertungssysteme zunutze und
ermöglichen es, die lokalen Barrieren des Erfahrungsaustausches zu überwinden
und Meinungen und Bewertungen für jeden einsehbar und zentral zu speichern.
So kann ein Käufer in Hamburg, ohne Aufwand oder zeitliche Verzögerung,
durch seine Bewertung einen Käufer in Frankfurt oder München bei seiner
Kaufentscheidung unterstützen. Die Meinung anderer hat die Menschen schon
immer beeinflusst und wird gerade durch die heutige, unüberschaubare Fülle an
Produkten bei Kaufentscheidungen immer häufiger gesucht. So zeigt eine aktuelle
Nielsen Studie, dass bereits heute etwa ein Drittel der deutschen Online-Shopper
keine elektronischen Geräte mehr kaufen ohne vorher Bewertungen anderer
35
Nutzer gelesen zu haben. Dies unterstreicht ein weiteres Ergebnis der Studie,
demnach Online-Produktbewertungen generell bereits an dritter Stelle nach
Freunden und Familie kommen, wenn es um vertrauensvolle Quellen zur
Kaufentscheidungsunterstützung geht.78 Auch weltweit gesehen sind
Onlinebewertungen neben Empfehlungen von Freunden die vertrauenswürdigste
Informationsquelle. So ergab bereits 2009 die Nielsen Global Online Consumer
Survey, dass 70% der 25.000 befragten Onliner Online-Kundenbewertungen
vertrauen.79 Damit sind Bewertungen ein sehr einfaches aber zugleich mächtiges
Instrument zur Unterstützung der Produktfindung und Kaufentscheidung und sind
heute in jedem guten Onlineshop zu finden. Dabei treten Bewertungen primär in
der klassischen Form der Kundenbewertungen auf, können aber auch
beispielsweise durch Experten oder Redakteure geliefert werden. Des Weiteren
bieten heute zahlreiche Dienstleister wie eKomi80 oder Onlinehaendler81
Bewertungssysteme und -siegel an, die es Betreibern von Onlineshops
ermöglichen, Kundenbewertungen des eigenen Shops einzublenden, um so
Vertrauen gegenüber neuen Besuchern zu schaffen.
78 Vgl. Nielsen (2010) Global Online Survey 2010 79 Vgl. Nielsenwire (URL2) Consumers Trust Real Friends and Virtual Strangers the Most. 80 http://www.ekomi.de (13.07.2010) 81 http://www.onlineaendler.org (13.07.2010)
36
Beispiel
Onlinebewertungen sind heute weitverbreitet und gehören zu den
Standardfunktionen eines Onlineshops. Typische Ausprägungen zeigt folgendes
Beispiel:
Abbildung 5: Amazon
Quelle: http://www.amazon.de (13.07.2010)
Das Kundenbewertungssystem von Amazon zeigt in großem Detailreichtum und
mit vielen Zusatzfunktionen, was in diesem Bereich möglich ist. Für eine einfache
Bewertung und den ersten Überblick bei der Produktsuche wird ein System von 5
Sternen angeboten, das schnell einen ersten Eindruck über die Qualität und
Leistung eines Produktes liefert. Dabei wird sowohl die durchschnittliche
Bewertung als auch die Menge an verschiedenen Einzelbewertungen angezeigt.
So kann kein verfälschtes Bild entstehen, wenn beispielsweise einige wenige
hervorragende Bewertungen den Durchschnitt vieler sehr schlechter Bewertungen
anheben. Geht der Nutzer weiter, werden anschließend ausführlichere
Rezensionen in Fließtextform angezeigt. Diese können nun ebenfalls bewertet
werden um festzustellen, welche Rezension von den Nutzern schließlich am
hilfreichsten empfunden wurde. Daraus errechnet Amazon automatisch die
hilfreichste positive sowie kritischste Rezension und stellt diese prominent und
37
übersichtlich zu Beginn der Seite gegenüber. Abgerundet wird dieses mächtige
Bewertungssystem durch eine Such- und Sortierfunktion, so dass auch
Produktseiten mit vielen Rezensionen übersichtlich bleiben.
Fazit
Kundenbewertungssysteme haben sich in den letzten Jahren im Onlineshopping
fest etabliert. Nach den Vorreitern Amazon und eBay gehören nutzergenerierte
Produkt- und Shopbewertungen heute in jeden gut geführten Onlineshop. Dabei
bieten diese Bewertungen Vorteile für alle Beteiligten. Hersteller erhalten ohne
eigenen Aufwand Feedback zu ihren Produkten, und Händler bekommen einen
Einblick in die Akzeptanz ihrer geführten Angebotspalette und ihres Onlineshops
selbst. Auf der anderen Seite schätzen die Kunden und Nutzer die entstandenen
Mehrwerte. Zum einen werden sie durch andere Kunden bei ihrer Produktsuche
und Kaufentscheidung unterstützt, und zum anderen bekommen sie mehr
Sicherheit beim Onlineeinkauf bei unbekannten Händlern durch
Shopbewertungen von Nutzern, die bereits Erfahrungen mit dem entsprechenden
Shop machen konnten. Dies ist ein klarer Vorteil der Onlineshops gegenüber
klassischen Landengeschäften, die zwar immer ein Plus durch die physische
Verfügbarkeit der Produkte haben, aber bei der Kaufentscheidung im Weiteren
nur über Verkäufer und Berater unterstützen können, die selbstverständlich nicht
alle Produkte selbst testen können und stellenweise durch das unseriöse Verfolgen
eigener (Verkaufs-)Absichten in Verruf geraten.
Onlineshopping wird durch Kundenbewertungen also letztlich „menschlicher“
und kann negative Aspekte wie die generelle Anonymität beim Onlineeinkauf und
die Unsicherheiten bei unbekannten Shops und Produkten minimieren.
4.2 Empfehlungen
Empfehlungen von Produkten und Dienstleistungen über Partner und Kunden an
Dritte sind im Prinzip so alt wie das Marketing selbst. „Word of Mouth-
Marketing“, oder im Deutschen die Gewinnung von Kunden über Mund-zu-
Mund-Propaganda anderer Kunden oder Partner, ist in Formen wie Performance-
38
oder Affiliate-Marketing seit langem eine feste Säule des Online-Marketings.
Diese klassische Form der Vergütung von erfolgreichen Empfehlungen wurde
auch in den Social Commerce adaptiert und ist in Formen wie „Freunde werben
Freunde“ oder „Weiterempfehlen und Gutschrift erhalten“ in vielen Social
Shopping Portalen, Clubs oder Communities (siehe Kapitel 3.4) zum Standard
geworden. Dass bereits diese einfache Form der Kundenempfehlung Erfolg
verspricht, zeigt eine Nielsen Studie aus dem vergangenen Jahr, nach der 90% der
befragten Internetnutzer Empfehlungen ihrer Freunde und Bekannten vertrauen.82
Doch dank der technologischen Entwicklungen der Social Media und der immer
weiter voranschreitenden Verknüpfung mit E-Commerce-Plattformen haben sich,
speziell im Social Commerce, zwei neue Varianten von persönlichen Empfehlung
entwickelt. Dabei stehen - ganz im Sinne der Social Media - die individuellen
Vorlieben der Nutzer und das Bedürfnis nach Teilen und Entdecken im
Vordergrund.
4.2.1 Social Bookmarking
Social Bookmarking leitet sich, wie in Kapitel 1 beschrieben, vom Abspeichern
von Online-Lesezeichen ab, und wird im Sinne der Social Media dazu genutzt,
um Websites von Interesse online, und damit meist öffentlich zugänglich,
abzuspeichern. Gleichzeitig werden gespeicherte Websites mit Tags versehen und
helfen so, die Informationsfülle des Webs zu sortieren und katalogisieren. In der
Erweiterung zum Social Commerce kann dieser Mechanismus ebenfalls auf
Onlineshops und Shoppingportale übertragen werde. In diesem Fall werden
jedoch nicht einzelne Websites, Einträge oder Bilder gespeichert, sondern
Produkte eines oder mehrerer Onlineshops. In sogenannten Pick-Lists,
Wunschlisten oder virtuellen Kleiderschränken, können die Nutzer von Social
Bookmarking im Social Commerce ihre empfehlenswerten Produkte,
Geschenkewünsche oder Lieblingsoutfits online abspeichern, jederzeit erneut
aufrufen, mit anderen Nutzern teilen und sich im Kaufentscheidungsprozess
beraten lassen. Gleichzeitig können sich andere Nutzer durch bestehende Listen
und Empfehlungen inspirieren lassen, Kollektionen vergleichen oder sich 82 Vgl. Nielsenwire (URL2) Consumers Trust Real Friends and Virtual Strangers the Most.
39
ebenfalls ihre Kaufentscheidung vereinfachen lassen. So entstehen
Nutzerempfehlungen in einer neuen Art neben den klassischen Empfehlungs-
programmen auf Provisionsbasis. Nachdem bereits Anfang 2000 große Portale
wie Yahoo und Amazon Pick- und Wish-Lists in ihre Systeme aufnahmen,
entwickeln sich heute vor allem im Modebereich immer mehr virtuelle
Kleiderschränke oder andere Formen der Zusammenstellung eigener Outfits und
Kollektionen.
Beispiel
Da zur Zeit vor allem in der Modebranche Empfehlungen via Social Bookmarking
in Form von eigenen Outfits und Kollektionen große Aufmerksamkeit erlangen,
bezieht sich das Best Practice Beispiel auf ein deutsches Mode-Shopping-Portal.
Abbildung 6: StyleFruits
40
Quelle: http://www.stylefruits.de (14.07.2010)
Das Social Shopping Portal (siehe Kapitel 3.4.5) Stylefruits ist ein typischer
Vertreter der neuen Mode-Shopping-Sites, die Social Bookmarking zum
Kernelement ihres Portals machen. Jeder angemeldete User kann mit wenig
Aufwand aus einem großen Produktangebot, aus einem oder mehreren Shops,
seine favorisierten Kleidungsstücke auswählen und zu eigenen, individuellen
Outfits zusammenführen. Dabei reicht das Angebot von Schuhen, Hosen, Röcken,
Kleidern über T-Shirts, Pullover bis zu Accessoires, Parfums und Kosmetik.
Dadurch sind der individuellen Gestaltung wenig Grenzen gesetzt. Ist die eigene
Kollektion erstellt, können andere Nutzer einzelne Bestandteile oder das gesamte
Outfit bewerten, mit anderen Stilen und Kollektionen vergleichen und die
Zusammenstellung oder einzelne Elemente weiterempfehlen. Je nach Aufbau des
Portals können die Nutzer die einzelnen Artikel direkt bestellen oder werden zu
den entsprechenden externen Shops weitergeleitet.
4.2.2 Social Recommendations
Die zweite Form der neueren Empfehlungen im Social Commerce beschreibt auf
den jeweiligen Nutzer zugeschnittene Empfehlungen und Vorschläge eines Shops
oder Shoppingportals, die auf den Gewohnheiten und Vorlieben des Nutzers
basieren. Dazu vergleicht ein Algorithmus das Kaufverhalten, Wunschlisten und
andere persönliche Eigenschaften und Elemente des Users mit Profilen anderer
41
Mitglieder mit ähnlichen Vorlieben, um Produktvorschläge zu generieren, die
ebenfalls den Geschmack des einzelnen Nutzer treffen könnten. Über diesen
Mechanismus können Shop- oder Portalbetreiber gezielt Kaufanreize setzten oder
die Kaufentscheidungen beeinflussen.
Beispiel
Social Recommendations sind eher selten eigenständige oder primäre Funktionen
von Onlineshops und -portalen. Sie erscheinen meist als integrierte Social
Commerce-Zusatzfunktionen und schaffen so zusätzliche Mehrwerte für die
Besucher und Kunden. Einige prominente Vertreter stellen die folgenden zwei
Formen dar.
Abbildung 7: Apple iTunes - Genius
Quelle: iTunes (14.07.2010)
42
Abbildung 8: StyleFeeder
Quelle: http://www.stylefeeder.com (14.07.2010)
Apple und StyleFeeder zeigen, dass Social Recommendations nicht an
Produktkategorien oder Shopformen gebunden sind. Beide Dienste „erlernen“
während der Nutzung den Stil und Musikgeschmack des Anwenders durch das
Kauf- und Nutzungsverhalten. Anschließend durchsuchen Data-Mining-
Algorithmen die jeweiligen Produktangebote der Plattform und gleichen sie mit
den gesammelten Daten anderer Nutzer ab. So werden Gemeinsamkeiten,
ähnliche Produkte, Songs und Videoinhalte festgestellt und dem Nutzer als
Empfehlungen präsentiert. Werden sie gekauft, via Social Bookmarking
gespeichert oder bewertet, fließen auch diese Informationen in die Datenbanken
ein und optimieren damit kontinuierlich den Erkennungs- und
Empfehlungsprozess.
Fazit
Durch die neuen Entwicklungen des Social Commerce bekommen die klassischen
Empfehlungen ein neues Gesicht und neue Verwendungsmöglichkeiten. Wie die
Nielsen Global Online Consumer Survey 2009 zeigte, stehen klassische
Empfehlungen von Freunden nach wie vor an erster Stelle des Vertrauens der
Nutzer.83 Allerdings lassen sich auch die neuen Formen, Social Bookmarking und
Recommendations, ebenfalls durch diese Studie ihre Zukunftsfähigkeit
bescheinigen, denn auch die Meinungen und Empfehlungen Unbekannter
genießen im Social Web einen hohen Stellenwert. Social Bookmarks in Form von
83 Vgl. Nielsenwire (URL2) Consumers Trust Real Friends and Virtual Strangers the Most.
43
virtuellen Kleiderschränken, Wunschlisten und Auswahllisten machen nicht nur
Spaß, sondern können durch Inspiration und konkrete Vorschläge die
Kaufentscheidung aktiv beeinflussen und erleichtern. Dabei steht dieses Tool erst
am Anfang seiner Entwicklung. Ebenso wie virtuelle Kleiderschränke sind
virtuelle Wohn- oder Schlafzimmer, HiFi-Zimmer, Gärten oder viele andere Orte
und Gelegenheiten denkbar. Dabei könnte in komplexeren Gebieten wie
Heimwerken oder Elektronik die Expertise einzelner User eine große Rolle
spielen. So muss nicht nur ein guter Modegeschmack ein Kriterium sein, sondern
erfahrene HiFi-Profis können beispielsweise unerfahrene Interessenten mit ihren
Zusammenstellungen beeinflussen. Heimwerker können mit ihren Kreationen
Baumarkt-Neulinge motivieren und inspirieren.
Ähnlich, aber leichter in der Implementierung, verhält es sich mit Social
Recommendations. Auch diese Form der Empfehlungen und Produktvorschläge
eignet sich um neue Kaufimpulse zu setzten oder die Kaufentscheidung zu
beeinflussen. Zwar werden hier nicht direkt Empfehlungen andere User
abgegeben, dennoch beziehen sich die Algorithmen auf das Kaufverhalten und die
Präferenzen „echter“ Nutzer, so dass individuelle aber gleichermaßen
authentische Vorschläge generiert werden können. Wo vor einigen Jahren dem
Käufer einer Musik-CD noch suggeriert wurde, dass andere CD-Käufer auch
einen Fernseher für mehrer tausend Euro bestellten, sind heutige Angebote und
Vorschläge wesentlich relevanter, individueller und glaubwürdiger. So haben
Social Recommendations heute in den meisten großen Online-Shops und –
Portalen einen festen Platz eingenommen und ihre Algorithmen und Inputquellen
werden stetig angepasst und verbessert.
4.3 Foren und Communities
4.3.1 Question & Answer Commuities
Foren und Communities gehören zu den ältesten Formen von Social Media-
Plattformen, stellen aber gleichzeitig immer noch das Kernstück vieler neuer
Entwicklungen dar. Das Potential der Online-Gemeinschaft zu nutzen und nach
Möglichkeit zu monetarisieren steht im Mittelpunkt vieler Social Commerce-
Entwicklungen. So finden sich beispielsweise zahlreiche Ansätze der Schaffung
44
und Integration von Foren und Communities in vielen Konzepten des Social
Shoppings wieder, welche in Kapitel 3.5 näher erläutert werden. In Bezug auf den
Fokus dieser Arbeit, die Vorstellung praktischer Verknüpfungen von Social
Media Elementen mit Onlineshops zur Beeinflussung und Unterstützung des
direkten Kaufentscheidungsprozesses, ist nach heutigem Stand primär die
Nutzung von Frage und Antwort (Question & Answer) Communities von
Bedeutung. Diese Plattformen bieten Konsumenten und Kunden die Möglichkeit,
sich untereinander bei der Kaufentscheidung zu unterstützen. Das einfache Frage-
Antwort-System ermöglicht es Nutzern, die bereits Erfahrungen mit Produkten
oder Dienstleistungen gesammelt haben, weniger erfahrenen Nutzern Tipps und
Ratschläge zu anstehenden Kaufentscheidungen zu geben. Dabei kann die
Plattform unabhängig und produktübergreifend bestehen84 oder direkt in E-
Commerce-Seiten eingebunden werden. Da erstere Variante komplett
nutzergetrieben ist und neben Consumer-Insights wenig Ansatzpunkte für E-
Commerce Betreiber liefert, beschränken sich die Best Practice Beispiele auf
Q&A-Lösungen, die an Shop oder Unternehmenswebseiten gekoppelt sind.
84 z.B. http://shopsocial.ly (20.07.2010)
45
Beispiel
Abbildung 9: AOL Shopping
Quelle: http://beta.shopping.aol.com/advice (20.07.2010)
Das Shopping Portal von AOL bietet seinen Nutzern die klassische Form eines
Q&A Forums in einer ersten Beta-Version an. Interessenten von Produkten des
Shoppingportals können hier ihre Fragen zu Produkten an die Community richten
und erhalten Antworten von Kunden, die bereits Erfahrung mit diesen Produkten
oder dem AOL-Portal gesammelt haben. Somit entsteht ein direkter Mehrwert für
den Einkäufer durch die Unterstützung bei seiner Kaufentscheidung auf diesem
Portal.
46
Abbildung 10: Simyo Paten - Kunden helfen Kunden
Quelle: http://www.simyo.de/tarif/warum-simyo/simyo-pate.html (20.07.2010)
Der deutsche Mobilfunk-Prepaid-Anbieter nutzt das Potential seiner erfahrenen
und zufriedenen Kunden auf eine kreative Art und Weise. Dazu wurde das
„Simyo-Paten“-Programm entwickelt, welches in etwa einer Mischung aus
Kunden-Testimonials und Q&A-Plattform entspricht. Zufriedene Kunden können
sich dazu bei Simyo bewerben und werden nach Aufnahme mit einem
persönlichen Statement zu Simyo, einem Foto und einer kurzen Beschreibung
ihres Telefonieverhaltens in die Liste der sog. Simyo Paten aufgenommen.
Potentielle Neukunden haben dann die Möglichkeit, ihre Fragen zu Tarifen,
Erfahrungen mit Simyo oder Mobiltelefonen aus dem Simyo-Shop per Suchmaske
an die Simyo-Paten zu richten. Das System ermittelt anschließend einen, nach
dem Telefonie- und Nutzungsverhalten passenden, Paten und ermöglicht dem
Interessenten mit ihm/ihr in Kontakt zu treten, um eine Antwort auf seine Frage
zu erhalten.
Fazit
Q&A Communities stellen eine einfach zu implementierende Plattform zur
Nutzung der Kräfte der Online-Gemeinde dar. Ob in klassischer Form wie bei
AOL oder in einer Mischform wie sie Simyo praktiziert - Q&A Plattformen
47
bieten den Nutzern in minimalistischer Form einen klaren Mehrwert während des
Kaufentscheidungsprozesses. Eine beratende Antwort zu einem Dienst oder
Produkt wird generell geschätzt und häufig der eines bezahlten Kundenberaters
vorgezogen. Allerdings birgt gerade die klassische Variante die typische Gefahr
der Negativ-Kommentare und kann damit zum Verlust des Interesses an einem
Produkt beitragen. Zudem bewirkt ein Ausfiltern solcher Kommentare einen
großen Verlust an Glaubwürdigkeit der Plattform. Unternehmen, die sich für den
Einsatz eines solchen Elementes entscheiden, müssen sich im Vorfeld darüber im
Klaren sein, dass diese Negativ-Beeinflussung möglich ist, und bereit sein auf
solche Kommentare zu reagieren und Learnings für ihre Produkte und
Dienstleistungen daraus zu ziehen. Unter Einhaltung dieser Vorraussetzung ist
jedoch eine gewinnbringende Nutzung für alle Beteiligten eindeutig gegeben.
4.4 Social Shopping
4.4.1 Portable (Online) Social Graph
Der Online Social Graph beschreibt online verfügbare Information über einen
Nutzer und seine sozialen Verknüpfungen von Freunden, Familie und Kollegen.
Er zeigt die Aktivitäten des Nutzers, wer ihn beeinflusst und wo seine Interessen
liegen. Social Networks machen es möglich, diese Informationen gezielt zu
sammeln und gebündelt zur Verfügung zu stellen. Durch die soziale und
persönliche Ebene dieser Informationen geht der Social Graph weit über die rein
technologische Ebene hinaus und eröffnet Unternehmen und Konsumenten neue,
persönliche und vernetzte Interaktions- und Informationsmöglichkeiten. 85 In den
Anfängen der Social Netwoks ließ sich der Social Graph zunächst nur innerhalb
des jeweiligen Netzwerkes abbilden, da die Informationen primär dort entstanden
oder hinzugefügt bzw. gespeichert wurden. Dazu kommt, dass die Netzwerke (wie
im ersten Kapitel beschrieben) meist nach außen hin geschlossen und nur per
Registrierung zugänglich sind. Daher waren sie für Unternehmen zwar
grundsätzlich sehr interessant, ihre Informationen jedoch nur schwer nutzbar.
85 Vgl. Shih (2009) The Facebook Era, S.3 u. S.43.
48
Es war weder möglich, Informationen der User aus dem Netzwerk hinaus zu
portieren, noch das Unternehmen über Schnittstellen mit dem Social Graph zu
verbinden.
Mit dem aufkommenden Gedanken des Social Commerce und der
Kommerzialisierung der Social Networks wurden in der Folge Schnittstellen
entwickelt, um diese Zugangsbarrieren aufzulösen. So stellte bereits Ende 2007
der Suchmaschinenriese Google das offene Protokoll „Open Social“86 mit dem
Dienst „GoogleFriendConnect“87 vor, welche es ermöglichten, persönliche
Informationen des Social Graphs mit externen Websites zu verbinden. Zunächst
überwiegend von Google Diensten wie iGoogle, Google Profiles oder Picasa
unterstützt, schlossen sich im Laufe der Entwicklung weitere prominente Dienste
und Netzwerke wie XING, Yahoo! und LinkedIn dem offenen Standard an. Somit
wurde der Social Graph „portabel“ und konnte nun mit anderen Websites
verbunden werden. Die Initialzündung für die massenhafte Verbreitung des
Portabel Social Graph und die Verknüpfung mit Social Commerce stellte Anfang
2010 schließlich die Veröffentlichung des von Facebook entwickelten „Open
Graph Protokoll“88 und Diensten wie „Facebook Connect“89 dar. Durch diese
Schnittstelle des größten Social Networks weltweit ist es nun möglich, über 400
Millionen Nutzer und ihren persönlichen Social Graph zu erreichen. 90 Dazu stellt
Facebook zahlreiche Tools und Dienste über die sog. „Graph API“91 und „Social
plugins“92 zur Verfügung.
Grundsätzlich ermöglicht der Portable Social Graph dem Nutzer zwei
Kernfunktionen im Social Web. Zum einen fungiert er als eine Art „Web-
Visitenkarte“, die es erlaubt, sich ohne zusätzliche Registrierung auf Websites wie
Shops, Blogs oder Foren anzumelden. Dazu können die benötigten Angaben zur
Person, Fotos und andere Informationen aus dem entsprechenden Social Network 86 http://www.opensocial.org (14.06.2010) 87 http://www.google.com/friendconnect (14.06.2010) 88 Facebook Developers (URL1) Open Graph. 89 Facebook Developers (URL2) Connetc. 90 Nielsen Wire (URL3) Global Audience. 91 Facebook Developers (URL3) API. 92 Facebook Developers (URL4) Brands.
49
abgerufen und dem Websitebetreiber zur Verfügung gestellt werden. Die zweite
Funktion
stellt die eigentliche Interaktion mit dem Social Graph dar. Dabei kann der Nutzer
externe Inhalte mit seinem Netzwerk teilen, Freunde um Rat fragen oder sehen,
welche Seiten, Produkte oder Aktivitäten anderen gefallen und von ihnen gekauft
oder empfohlen werden.
Beispiel
In der praktischen Anwendung kann die Nutzung des Portable Social Graph wie
folgt aussehen:
Abbildung 11: Levi's Friends Store
Quelle: http://store.levi.com (12.06.2010)
Der Jeanshersteller Levi’s bietet einen sogenannten „Friends Store“ und nutzt
dazu die Facebook Social Plugins „Connect“ und „Like Button“. In diesem Teil
des Onlineshops kann der Nutzer seinem Social Graph zeigen, welche Jeans ihm
gefallen, und sich gleichzeitig Empfehlungen seiner Freunde anzeigen lassen, die
ebenfalls den Levi’s Friends Store besucht haben.
50
Somit entsteht ein personalisierter Shop, der Lieblingsprodukte des Users und
seiner Freunde abbildet. „Like-minded shopping“ nennt Levi’s diese neue
Einkaufserfahrung, und schaffte es damit in die offiziellen „Facebook Platform
Showcases“93
Abbildung 12: Volkswagen Bluemotion - Blue your Friends
Quelle: http://www.blueyourfriends.com (12.06.2010)
93 Vgl. Facebook Developers (URL5) Brands.
51
Das Beispiel Blueyourfriends.com von Volkswagen zeigt eine kommerzielle
Verwendung des Portable Social Graph und seiner Daten in einem Webspecial der
VW BlueMotion Technologie. Über Facebook Connect liest die Webseite
Informationen wie Anzahl der Freunde, Fotos und Pinnwandinformationen aus
und erläutert dem Nutzer so auf persönliche und unterhaltende Art und Weise, mit
welchem CO2 Ausstoß seine Social Web Aktivitäten verbunden sind und
empfiehlt zur Kompensierung den Kauf eines VW BlueMotion Fahrzeugmodells.
Fazit
Der Portabel Social Graph ist ein ideales Instrument für die Verbindung von
Social Media und bestehendem E-Commerce zu Social Commerce in eigenen
Onlineshops oder Marken- und Unternehmenswebsites. Den Konsumenten wird
über vertraute Elemente ihres Social Networks ermöglicht, mit ihrem Social
Graph in Verbindung zu treten, um ihre Einkaufserlebnisse zu teilen und sich Rat
und Empfehlungen zu Produkten und Dienstleistungen einzuholen, die ihre
Kaufentscheidung beeinflussen. Darüber hinaus entfallen die Hürden eines
weiteren Registrierungsprozesses. Somit wird ein neues, kooperatives und
kommunikatives Shopping-Erlebnis generiert, das klare Mehrwerte schafft. Auch
auf Seiten der Unternehmen und Shopbetreiber entstehen Vorteile, die den Einsatz
des Portable Social Graph attraktiv machen. So erlangt der Betreiber auf einfache
Art und Weise tiefere Einblicke in die Bedürfnisse, Präferenzen und sozialen
Verbindungen seiner Besucher und kann personalisierte Angebote bereitstellen
oder die bestehende Angebotspalette an die Zielgruppe anpassen. Außerdem
bleibt, im Gegensatz zu einem Auftritt innerhalb eines Social Networks, der
eigene Shop oder die Marken- und Unternehmenswebsite der Ort der Interaktion.
Dabei ist die Nutzung der Social Plugins und Connect-Elemente komplett
kostenfrei und leicht in bestehende Websites implementierbar. Letztlich ist
allerdings zu beachten, dass es sich bei den genannten Informationen um sehr
persönliche und stellenweise weitreichende Details handelt, die mit Respekt vor
der Privatsphäre des Nutzers behandelt werden müssen. Facebook trägt diesem
Umstand in soweit Rechnung, dass der User im Laufe des Verknüpfungsprozesses
die einzelnen Informationsfreigaben aktiv bestätigen muss.
52
Daher ist es ratsam den Besuchern offen zu legen, welche Informationen zu
welchen Zwecken genutzt werden, um Irritationen oder Anmeldeabbrüchen
vorzubeugen.
4.4.2 Co-Browsing / Co-Shopping
Co-Shopping ermöglicht es, die Erfahrung des gemeinsamen Einkaufens im
realen Leben auf das Onlineshopping zu übertragen. Dabei wird ebenfalls von
einem bestehenden Onlineshop als Basisplattform ausgegangen. Dieser kann nun
um Social Media Technologien wie Chatfenster, Empfehlungen oder Co-
Browsing (das Freigeben des eigenen Bildschirminhaltes) ergänzt werden, um
neue Kooperations- und Kommunikationselemente bereit zu stellen. Über
bekannte Social Web Dienste wie Twitter, MySpace oder Instant-Messaging kann
der Shopbesucher nun Freunde und Bekannte einladen, mit ihm gemeinsam das
Angebot zu erkunden. Dies ermöglicht es den Konsumenten, sich während des
Online-Einkaufes über Produkte auszutauschen und Empfehlungen abzugeben
oder zu erhalten. Ob auf der Suche nach einem gemeinsamen Geschenk oder zur
Erleichterung der persönlichen Kaufentscheidung – Co-Shopping Elemente
ermöglichen es, das Einkaufserlebnis (wie im klassischen Ladengeschäft) mit
Freunden zu gestalten und aufzuwerten.
53
Beispiel
In der praktischen Anwendung kann die Nutzung von Co-Shoppingelementen wie
folgt aussehen:
Abbildung 13: Mattel Online-Shop USA
Quelle: http://shop.mattel.com (14.06.2010)
Der Spielwarenhersteller Mattel implementierte bereits im Jahre 2009 ebenso wie
die Mode-Einzelhandelskette Charlotte Russe94 die vom Technologieunternehmen
DecisionStep95 entwickelte Technologie „ShopTogether“. Sie ermöglicht
Shopbetreibern die Implementierung einer so genannten „Co-Shopping-Toolbar“,
die am unteren Rand der Website angezeigt wird. Sie stellt dem Besucher eine
Vielzahl an Kooperations- und Kommunikationselementen bereit. Im Beispiel
Mattel befindet sich links die Möglichkeit Freunde zum Einkauf einzuladen,
rechts ein Chatfenster zur Echtzeitkommunikation sowie eine Abbildung der
Produkte, die aktuell von den einzelnen Teilnehmern betrachtet werden. Per Klick
können die weiteren Teilnehmer ebenfalls zu diesem Produkt gelangen und sich
gemeinsam informieren und austauschen.
94 http://www.charlotterusse.com (05.07.2010) 95 http://www.decisionstep.com (05.07.2010)
54
Abbildung 14: Hautbalance Online-Shop Deutschland
Quelle: http://www.hautbalance.de (14.06.2010)
Auch der deutsche Naturkosmetik-Shop Hautbalance stellte kurze Zeit später
seine Umsetzung der ShopTogether Technologie vor. Dabei wurde die im
Beispiel Mattel beschriebene „Co-Shopping-Toolbar“ um weitere Elemente
ergänzt und dem Corporate Design des Online-Shops angepasst. Neben der
Möglichkeit, Freunde und Bekannte zum gemeinsamen Einkaufen einzuladen,
können Besucher Produkte an ihren Social Graph empfehlen und Kosmetik-Tipps
aus den Social Web-Präsenzen von Hautbalance abrufen. Zusätzlich kann der
Interessent sich die fünf beliebtesten Produkte der aktuellen Einkäufe anzeigen,
und sich so zusätzliche Anregungen und Empfehlungen geben lassen.
Fazit
Co-Shoppingelemente bieten unabhängig von der Art der Produkte die
Möglichkeit, die gewohnte und geschätzte Erfahrung des gemeinsamen Einkaufs
auf Onlineshops zu übertragen. Darüber hinaus zeigt sich gerade bei Produkten,
die Frauen fokussieren, dass das gemeinsame Einkaufen eher einem „Happening“
gleichkommt und die Dauer des Einkaufes sowie die Intensität des Erlebnisses um
ein Vielfaches erhöht.96 Auch Onlineshops mit Produkten, die ein höheres Maß an
Beratung und Information fordern, können von den Möglichkeiten des Co-
96 Vgl. beispielsweise WDR (URL) Männer & Einkaufen.
55
Shoppings besonders profitieren. Zum einen kann diese Beratungsleistung von
Freunden übernommen werden, und zum anderen können Servicemitarbeiter
ebenfalls zielgerichtet und in Echtzeit zusätzliche Informationen liefern, ohne
zunächst über eine Kundenhotline kontaktiert werden zu müssen. Diesen Vorteil
sieht auch die Inhaberin und Geschäftsführerin Elke Hockauf von Hautbalance als
zentrales Argument für die Nutzung von Co-Shoppingelementen und erklärt so in
einem Pressebericht: „Für Kosmetikkunden ist es sehr wichtig, sich ausführlich
mit Freunden, Verwandten und Fachkräften zu beraten. ShopTogether Friends ist
dafür perfekt geeignet.“97 Schließlich ist laut Pressebericht auch ein klarer Return
on Investment in diesem Social Commerce Model zu erkennen, denn seit dem
Zeitpunkt der Implementierung verzeichnet der Onlineshop einen Zuwachs an
Bestellungen von 15% und eine Erhöhung des durchschnittlichen Bestellwerts um
50%. So zeigt auch dieses Social Commerce Instrument, dass durch die Schaffung
neuer Kooperations- und Kommunikationselemente in bestehenden Onlineshops
ein klarer, loyalisierender Mehrwert auf Konsumenten- und Unternehmensseite
geschaffen werden kann.
4.4.3 Social Media Stores
Social Networks, Blogs und Communities sind beliebte Aufenthalts- und
Interaktionspunkte im Social Web mit Millionen von Nutzern weltweit. Wie auch
eine aktuelle Studie von nielsenwire zeigt, verbringen die Social Web-Nutzer
immer mehr Zeit auf diesen Plattformen.98 Social Media Stores stellen eine
logische Konsequenz dieser Entwicklung für E-Commerce Betreiber dar. Große
Social Networks (primär Facebook) bieten seit einiger Zeit die Möglichkeit,
Onlineshops innerhalb dieser Netzwerke zu integrieren. Damit wird den Nutzern
ermöglicht, dort einzukaufen, wo sie sich primär aufhalten, austauschen und
beteiligen. Gleichzeitig stehen ihnen die gewohnten Funktionen wie Bewertungen
und Empfehlungen sowie das Teilen und Chatten mit Freunden zur Verfügung.
Darüber hinaus ist, dank der Entwicklung neuer Technologien und Schnittstellen,
97 Vgl. DecisionStep (URL) Pressemitteilung Hautbalance. 98 Vgl. Nielsenwire (URL1) Facebook and Twitter Post Large Year over Year Gains in Unique
Useres.
56
auch die Integration von bestehenden Online-Shops in private Blogs oder
Websites möglich. Dadurch können Nutzer von der Expertise eines Blogs oder
einer Community profitieren und gleichzeitig relevante Produkte oder
Dienstleistungen über Dritte beziehen.
Prinzipiell lassen sich drei Arten von Social Media Stores beobachten:
1. Statische Shop-Elemente auf Social Media-Auftritten von Unternehmen, die
lediglich auf den eigentlichen, externen Onlineshop verlinken.99
2. Ein funktionsfähiger Shop auf Social Media-Auftritten von Unternehmen, der
Teile oder die Gesamtheit eines externen Onlineshops bereitstellt, dabei jedoch
meist keine Bezahlmöglichkeit im Store bietet.100 Onlineshops mit Schnittstellen
zur Integration in Blogs oder Communities basieren meist auf diesem Verfahren,
und leiten den Käufer im letzten Schritt (Bezahlung) auf den eigentlichen,
externen Shop weiter.101
3. Ein autarker Shop auf Social Media-Auftritten von Unternehmen, der den
Einkaufsprozess komplett im Social Network ermöglicht und dabei ohne externen
Shop oder externe Zahlungsabwicklung auskommt. Natürlich kann weiterhin ein
primärer, externer Shop des Händlers parallel bestehen.102
99 Vgl. beispielsweise Shopbetreiber Blog (URL) Welche shops nutzen Facebook schon heute. 100 z.B. http://www.facebook.com/bestbuy (16.06.2010) 101 https://partnernet.amazon.de/gp/associates/astore/ (16.06.2010) 102 z.B. http://www.facebook.com/1800flowers (14.06.2010)
57
Beispiel
In der praktischen Anwendung kann die Nutzung von Social Media Stores wie
folgt aussehen:
Abbildung 15: 1-800-Flowers.com Facebook Store
Quelle: http://www.facebook.com/1800flowers (14.06.2010)
1-800-Flowers eröffnete bereits im Juli 2009 einen Social Media Store auf ihrer
Facebookpräsenz und gewährte allen Nutzern einen Rabatt von 10% auf jede
Bestellung. Die Shopintegration erfolgte nahtlos per Tab auf der Facebookseite
des Unternehmens und ermöglicht es den Konsumenten ohne weitere
Einschränkungen den Produktkatalog zu erkunden, Wunschlisten zu erstellen und
schließlich Produkte auszuwählen und direkt zu bezahlen. Dazu muss der Kunde
sich weder gesondert registrieren, noch sein Social Network verlassen.
Abbildung 16: Amazon aStore (Anwendungsbeispiel)
58
Quelle: http://www.socialmedia-blog.de/buecher/ (14.06.2010)
Der Online-Versand Amazon liefert durch sein Partnerprogramm „aStore“103 eine
Schnittstelle, die es ermöglicht, einen eigenen Online-Shop mit selbst
ausgewählten Produkten aus dem Amazon-Sortiment in einen Blog, eine
Community oder sonstige Website einzubinden und an den verkauften Produkten
mitzuverdienen. So entsteht ein Mehrwert für alle drei beteiligten Akteure.
Amazon erhält einen weiteren Verkaufskanal, der Websitebetreiber generiert
zusätzliche Einnahmen über Affiliate-Programme und der Käufer profitiert von
der relevanten Produktzusammenstellung des Websitebetreibers. In diesem
Beispiel handelt es sich um einen deutschen Blog zum Thema Social Media und
Marketing, der seinen Lesern über die aStore-Integration weiterführende Literatur
zum Thema bereitstellt. Der Einkaufsprozess läuft dabei bis zum Bezahlschritt auf
der Seite des Partners ab. Um zusätzliche Sicherheit bei der Zahlung zu bieten,
wird der Käufer nur in diesem letzten Schritt auf eine Amazonseite weitergeleitet.
Fazit
Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Social Commerce Tools, verlagern die
Social Media-Stores den Ort der Interaktion von der eigenen Shoppingsite auf
Social Websites wie Social Networks, Blogs oder Communities. Trotz dieses
vermeintlichen Nachteils für den eigentlichen Onlineshop, entstehen zahlreiche
103 https://partnernet.amazon.de/gp/associates/astore/main.html (14.06.2010)
59
Vorteile für Unternehmen und Konsumenten. Social Networks werden immer
beliebter, laut einer Studie von Universal McCann waren bereits 2009 zwei Drittel
aller aktiven Internetnutzer in einem solchen Netzwerk registriert.104 So können
Shopbetreiber ihre Produkte nun zusätzlich Millionen von Nutzern offerieren und
profitieren dabei ohne Mehraufwand von den Kooperations- und
Kommunikationseigenschaften der Social Networks oder der Expertise von Blogs
und Communities, die Kaufentscheidungen positiv beeinflussen können.
Technologiedienstleister wie Beeshopy105, alvenda106 oder Payvment107 stellen
dazu bereits vollfunktionsfähige und leicht anpassbare Systeme zur Verfügung,
die eine Social Media-Store-Integation ohne größeren Aufwand zulassen. Auf der
anderen Seite ermöglichen die Social Media-Stores den Konsumenten dort
einzukaufen, wo sie sich bevorzugt aufhalten, sich mit Freunden austauschen und
über Produkte und Erfahrungen berichten. Sie können sich im gewohnten Umfeld
und über gewohnte Funktionen von ihrem Social Graph beraten lassen, Produkte
teilen oder gemeinsam einkaufen. In diesem Fall wird also Social Media mit E-
Commerce-Elementen verbunden, um ein neues Shoppingerlebnis des Social
Commerce zu generieren.
4.4.4 Groupbuying
Zusammen geht es einfacher – diese Devise ist nicht neu, und hat sich seit jeher
bewährt. Auch im Geschäftsbereich hat diese Erkenntnis zum Beispiel durch
Mengenrabatte und Sammelbestellungen seine Gültigkeit. Im Jahr 1998 startete
ein bekanntes Internet Start-Up-Unternehmen unter dem Namen LetsBuyIt.com
einen ersten, weitreichenden Versuch dieses Konzept via Internet auf die breite
Online-Shopping-Gemeinde anzuwenden. LetsBuyIt ermöglichte es seinen
Nutzern, sich zu Käufergruppen zusammen zu schließen und Mengenrabatte auf
eine Fülle von Produkte aller Art zu erhalten. Jedoch scheiterte das Unternehmen
104 Vgl. Universal McCann (2009) Social Media Tracker Wave 4, Folie 14. 105 http://www.beeshopy.com (16.07.2010) 106 http://www.alvenda.com (16.07.2010) 107 http://www.payvment.com (16.07.2010)
60
bereits im Jahre 2001 aufgrund verschiedener Faktoren.108 Seit Ende 2009 ist das
Portal unter neuer Führung zurück, bietet aber nun kein Groupbuying mehr an.
In den letzten zwei bis drei Jahren entwickelte sich jedoch eine neue Form des
Groupbuying, welche zwar wieder auf das „Zusammen mehr erreichen“-Prinzip
baut, jedoch ein anderes Geschäftsmodell verfolgt. Anstelle einer breiten
Produktpalette werden den Interessenten einzelne Angebote offeriert, die nur eine
begrenzte Gültigkeit besitzen (meist 24 Stunden) und erst ab einer bestimmten
Anzahl an Käufern in Anspruch genommen werden können. Somit profitieren
diese Angebote von mehreren Vorteilen: zum einen wird der
Gemeinschaftsgedanke der Social Media genutzt, und zum anderen entsteht eine
gewisse Exklusivität. Eine nahtlose Integration von Empfehlungen an Freunde
über Social Media Kanäle, nutzt zudem den Word-of-Mouth-Effekt voll aus, und
belohnt den empfehlenden Kunden. Group-Buying Plattformen sind meist auf das
Anbieten von rabattierten Dienstleistungen spezialisiert, und bieten diese, lokal
differenziert, über städtespezifische Versionen ihrer Portale an. Somit entsteht
einerseits ein Markt für Angebote wie Wellness oder Freizeitaktivitäten, die zuvor
meist nicht online Verfügbar waren, und andererseits können lokal zugeschnittene
Angebote neue Präferenzen bei den Nutzern schaffen. Die „Live-Shopping“-
Komponente beeinflusst schließlich durch die zeitliche Limitierung der Angebote
ebenfalls die Kaufentscheidung der Interessenten.
108 Vgl. Wikipedia (URL7) Letsbuyit.com (16.07.2010)
61
Beispiel
Der Marktführer im Groupbuying-Bereich veranschaulicht die Funktion des
Systems sehr umfassend, aber dennoch klar und simpel:
Abbildung 17: Groupon Deutschland (ehem. CityDeal)
Quelle: http://www.groupon.de (16.07.2010)
Einer der bekanntesten Group-Buying Dienste ist Groupon. Das Projekt entstand
Ende 2008 in den USA aus der Kooperations- und Kollaborations-Plattform
ThePoint109 und beschäftigt heute bereits über 300 Mitarbeiter in der
Firmenzentrale in Chicago und über 600 weitere in Europa. Im Laufe des ersten
Halbjahres 2010 übernahm Groupon schließlich auch die deutsche Group-Buying
Variante „City Deal“, und eröffnet sich damit nicht nur einen neuen Markt,
sondern ist nun nach eigenen Angaben der größte Group-Buying-Dienst weltweit.
Groupon ist nun in über 140 Städten in 18 Ländern vertreten.110 Der Name
„Groupon“ setzt sich aus den englischen Wörtern Group und Coupon zusammen
und beschreibt sehr treffend das Angebot des Portals: Als Gruppe vergünstigte
109 http://www.thepoint.com (17.07.2010) 110 Vgl. beispielsweise Schmidt (2010) Groupon.com übernimmt Citydeal.de.
62
Angebote (Coupons) erhalten. Dabei hält sich Groupon wie viele ähnliche Dienste
zum einen an Dienstleistungen statt an einzelne Produkte und zum anderen auf
eine lokale Ausrichtung über Subseiten für einzelne Städte. Im oben gezeigten
Beispiel ist das Angebot auf Frankfurt am Main zugeschnitten und bietet 50%
Rabatt auf ein Sport- und Freizeitangebot in der Region. Unter dem
„Jetzt kaufen!“-Button befindet sich ein Countdown, der die verbleibende Zeit des
Angebots anzeigt. Bei Groupon ist ein Angebot jeweils 24 Stunden nach dem
Start gültig. Unter dieser Live-Shopping-Komponente befindet sich nun das
eigentliche Gruppen-Element – ein Balken der angibt, wie viele Personen das
Angebot bereits wahrgenommen haben. Damit es für alle Interessenten und
Käufer gültig wird, muss eine gewisse Anzahl an Verkäufen generiert werden,
sonst verfällt das Angebot, und die bereits abgeschlossenen Bestellungen werden
storniert. Als letzten Punkt findet man schließlich das Feld für Empfehlungen an
Freunde. Diese Empfehlungen zahlen sich gleich in zweifacher Hinsicht für den
Nutzer aus; zum einen kann er so die nötigen Verkäufe ankurbeln, damit sein
favorisiertes Angebot zustande kommt, und zum anderen wird jede Empfehlung,
die zu einem weiteren Kauf führt, mit 6 Euro Guthaben belohnt, welches der
Empfehlende bei seinen nächsten Groupon-Käufen verrechnen kann.
Fazit
Group-Buying Dienste bieten durch ihre Ausrichtung auf Dienstleitung und
regionale Differenzierung eine Art „Versöhnung von Online-Shopping und
Lokalen-Dienstleistern“. Regionale klein- und mittelständische Unternehmen
finden in Group-Buying-Portalen ebenso wie große, national agierende
Unternehmen einen optimalen Partner für gezielte Verkaufsförderung und einen
neuen Zugang zu tausenden potentiellen Käufern. Dabei profitieren die
Unternehmen in vielerlei Hinsicht vom Group-Buying-System. Beispielsweise
können spezielle Angebote erstellt werden, um ungenutzte Kapazitäten zielgenau
auszuschöpfen, oder neue Dienstleistungen bzw. neue Unternehmen können einer
breiten Masse vorgestellt werden und durch Kennenlernangebote ins Gespräch
kommen. Dabei wirken diese Angebote gleich in zweifacher Weise; zum einen
erzeugen sie Werbekontakte, denn die Nutzer werden per Mail und die Portal-
Homepage über den Dienstleister und sein Portfolio informiert, und andererseits
63
werden direkt Verkäufe generiert, die Interessenten direkt zu (zahlenden) Kunden
machen. Gleichzeitig besteht eine gewisse Sicherheit durch Planbarkeit für die
anbietenden Unternehmen, da Mindest- und Höchstmengen angegeben werden
können, vor deren Erreichung das Angebot nicht gültig wird bzw. nach deren
Überschreitung das Angebot deaktiviert wird. Zudem wirkt auch die Live-
Shopping-Komponente auf die Kaufentscheidung der Konsumenten, denn die
zeitlich limitierten Angebote fördern die, im Online-Shopping eher seltenen,
klassischen Impulskäufe, da tagelange Produktrecherche, ausgiebige Preis-, Shop-
und Produkt-Vergleiche in diesem System entfallen. Neben dem System der
Portale selbst, kann letztlich auch der Betreiber den interessierten Unternehmen
wertvolle Informationen liefern. Es können beispielsweise lokale und regionale
Präferenzen identifiziert werden, generelle Tendenzen erkannt und der Mix der
geschalteten Angebote ohne größere Aufwende optimiert werden.
Group-Buying stellt demnach einen neuen und effizienten Kanal für zielgerichtete
Promotion, planbare Abverkäufe und Erhöhung der Bekanntheit lokaler und
regionaler Dienstleister dar, der ohne nennenswerte Aufwände für
Implementierung oder Pflege von Shops und Dienstleistern genutzt werden kann.
4.4.5 Shopping-Clubs
Auch (Private) Shopping-Clubs setzen auf den „Gemeinsam mehr erreichen“-
Gedanken, allerdings in einer anderen Art und Weise als Group-Buying-Portale.
Darüber hinaus ist das System der Shopping-Clubs wesentlich älter111, und
überwiegend auf (Marken-) Produkte statt Dienstleistungen fokussiert. Shopping-
Clubs setzen auf drei wesentliche Eigenschaften: Exklusivität, zeitlich und in ihrer
Menge begrenzte Angebote und hohe Preisnachlässe auf original Markenware.
Dazu treten sie als geschlossene Communities auf, die nur von Mitgliedern per
Log-In genutzt werden können. Um Mitglied zu werden, müssen sich
Interessenten häufig bei der Community bewerben oder von einem bereits
eingetretenen Freund eingeladen werden. Allerdings lockern derzeit viele
Anbieter diese Restriktionen oder setzten von Beginn an auf eine offene 111 Seit 2001 primär durch Vente Privee in Frankreich - http://www. vente-privee.com
(18.07.2010).
64
Registrierung. Ähnlich den Group-Buying-Portalen offerieren Shopping-Clubs die
Angebote ihren Nutzern ebenfalls zeitlich und in ihrer Menge begrenzt. Jedoch
handelt es sich hier meist um Markenprodukte in einer Verkaufsaktion mit
größerer Auswahl, im Vergleich zu einem einzelnen Angebot im Group-Buying.
Um die Attraktivität und Exklusivität zu steigern, gestalten Shopping-Clubs eine
eigene Markenwelt zu den einzelnen Aktionen, die mit ansprechenden E-Mail-
Newslettern, Flash-Filmen und thematisch angepassten Shop-Seiten dem Nutzer
die Produkte der (Marken) Aktion entdecken lassen. Dabei haben
Markenhersteller die Möglichkeit, neben aktueller Ware beispielsweise auch
Restposten, Testprodukte oder Auslaufmodelle anzubieten. Auch hier genießen
die anbietenden Hersteller Planungssicherheit, da eine Begrenzung der
Stückzahlen wiederum in die Exklusivität einzahlt und in Shopping-Clubs üblich
ist. Auch der Club-Betreiber selbst ist abgesichert, da die Bestellungen beim
Hersteller meist erst nach Ablauf der Aktion und mit den exakten Stückzahlen
erfolgt. Die Menge und Art der bestellten Artikel ermöglicht schließlich die hohen
Rabatte, die bis zu 70% eines Originalpreises erreichen können. Letztlich wird das
System Shopping-Club ebenfalls von einem Kunde-wirbt-Kunde Programm über
den Social Graph abgerundet, das dem Nutzer eine Gutschrift auf den nächsten
Einkauf sichert und die Bekanntheit und Reichweite des Clubs weiter steigert.
Dieses Konzept geht auf, wie eine Studie von Anfang 2010 belegt; so kennen
knapp 70% der deutschen Onliner bereits Shopping-Clubs und sind zu über 30%
bereits Mitglied in einem davon.112 Auch die Umsätze 2009, beispielsweise des
internationalen Markführers Vente Privée aus mit 680-700 Mio. Euro oder dem
deutschen Marktführer Brands4Friends mit 80 Mio., unterstreichen den
zunehmenden Erfolg.113
112 Vgl. Fittkau & Maaß (2010) Shopping Clubs im Internet. 113 Vgl. Krisch (2010) Brands4 Friends und BuyVIP mit Rekordumsätzen für 2009.
65
Beispiel
Abbildung 18: Brands 4 Friends
Quelle: http://www.brands4friends.de (16.07.2010)
Der im Jahre 2008 verhältnismäßig spät gestartete deutsche Shopping-Club
„Bands4Friends“ stellt einen typischen Vertreter dieser Portale dar. Die
ansprechend, aber wenig informativ gestaltete Startseite verdeutlicht die exklusive
Ausrichtung und die Vorraussetzung eines eigenen Accounts um Zugang zu
erhalten. Ist der Nutzer angemeldet, erhält er eine Übersicht über die laufenden
Aktionen und kann die Angebote in Augenschein nehmen. Die einzelnen Aktions-
seiten (in diesem Beispiel der Marke ellis) bieten dann eine direkte
Bestellmöglichkeit und zeigen einen Counter, der die verbleibende Zeit bis zum
66
Ende der Aktion anzeigt. Über einen weiteren Button kann der Nutzer auch in
diesem Shopmodell Freunde anwerben und einen Bonus für zukünftige
Bestellungen erhalten.
Fazit
Auch das System der Shopping-Clubs ist einfach aufgebaut und für Unternehmen
leicht einsetzbar, da die Implementierung und Abwicklung von den
Clubbetreibern übernommen wird. Hersteller genießen dabei eine Vielzahl an
Vorteilen. Zunächst ermöglichen der exklusive Rahmen der Clubs und das
Aussperren von (Preis-) Suchmaschinen, das Image von Premium-Marken, trotz
hohen Preisnachlässen, zu schützen und die Positionierung in hochpreisigen
Segmenten beizubehalten. Des weiteren können durch die meist großen
Reichweiten der Clubs hohe Absatzzahlen generiert, aber zugleich auch
Respostenbestände oder Überproduktionen planbar und „markenschonend“ über
Mengenbegrenzungen abgebaut werden. Ein weiterer Vorteil liegt in der
Vermarktung der Aktionen und Angebote, denn diese wird von den Clubs, in
Form von markengerechte Aktionswelten, selbst übernommen.
Neben den vielen klaren Vorteilen existiert jedoch eine grundlegende Gefahr im
System der Marken-Clubs: Der Verlust der Exklusivität durch eine zu große
Anzahl verschiedener Clubs mit ähnlichem Angebot und gleicher Zielgruppe.
Dies würde zum einen dazu führen, dass der Schutz der Marke nicht mehr
gewährleistet werden kann, da sich die verbilligten Preise überall finden lassen,
und zum anderen werden Probleme bei der Erreichung der nötigen Reichweiten
auftreten. Doch dieser Problematik kann entgegengewirkt werden. Einen Ansatz
zur Lösung hat beispielsweise der Versandriese Otto bereits umgesetzt und
fokussiert mit seinem übernommenen Shopping-Club limango114 Frauen und
Familien und damit eine wesentlich spitzere Zielgruppe als breit aufgestellte
Clubs wie Brands4Friends oder Vente Privée.
114 http://www.limango.de (19.07.2020)
67
4.4.6 Social Shopping Portale
Shopping-Malls und -Portale im Internet sind nicht grundlegend neu, sie basieren
auf der Verknüpfung mehrer Online-Shops, um eine größere Produktvielfalt über
ein einzelnes Portal zu ermöglichen. Allerdings wurden sie im Laufe der Zeit
immer weiter ausgebaut und mit neuen Funktionen ausgestattet, um das
Einkaufserlebnis weiter zu verbessern. Durch den Siegeszug der Social Media
haben nun eine Vielzahl der hier vorgestellten Social Commerce-tauglichen
Funktionen ihren Weg in diese Portale gefunden und begründen die
Weiterentwicklung der herkömmlichen Shop-Portale zu Social Shopping-
Portalen. Dabei stellen Preisvergleiche, Bewertungen, Social Bookmarking und
Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Social Graph die Basisfunktionen dar. In
der Praxis finden sich zusätzlich viele weitere, portalspezifische Dienste und
Funktionen aus dem Social Commerce Toolset wie:
- Erstellen eigener Mode-Outfits115
- Style- und Shopping-Berater (Experten, Redakteure oder Power-User)116
- Trend- und Themen-Blogs117
- Wunsch- und Pick-Listen118
- Communities und Foren119
Social Shopping-Portale setzten sich also durch verschiedene Einzelkomponenten
aus dem Social Commerce-Repertoire zusammen und erzeugen dadurch
Mehrwerte und Zusatznutzen, die eine höhere Bindung an das Portal erzeugen als
herkömmliche, meist leicht austauschbare Shopping Portale der ersten Generation.
Außerdem rückt durch die Verwendung der genannten Funktionen vor allem das
Entdecken neuer Produkte und die Erleichterung der Kaufentscheidung durch die
Hilfe der Community in den Vordergrund.
115 z.B. http://www.polyvore.com/cgi/explore (19.07.2010) 116 z.B. http://www.thisnext.com/community/#experts (19.07.2010) 117 z.B. http://blog.stylr.de (19.07.2010) 118 z.B. http://www.amazon.de/wishlist (19.07.2010) 119 z.B. http://www.pikaba.com/Community.aspx (19.07.2010)
68
Beispiel
Abbildung 19: edelight
Quelle: http://www.edelight.de (16.07.2010)
Das im Jahre 2006 gegründete Stuttgarter Unternehmen ist ein Paradebeispiel für
die neue Generation der Shopping-Portale und vereint nahezu alle zuvor
genannten Tools und Eigenschaften. Basierend auf persönlichen
Produktempfehlungen der Nutzer hat edelight im Laufe der Jahre das Portal
immer weiter ausgebaut und mit Social Media-Elementen wie Themen-Blogs,
Bewertungen, benutzergenerierten Kollektionen, Wunschlisten und
professionellen Geschenk- und Produkt-Beratern aufgewertet. Damit wurde das
eigene Motto „zu 100% von Menschen für Menschen“ konsequent verfolgt und
69
weiterentwickelt. So bietet das Portal heute über 500.000 Userempfehlungen aus
mehr als 8.400 internationalen Quellen und bindet eine große
Nutzergemeinschaft, die über die Vielzahl an Funktionen und Diensten bei ihren
Kaufentscheidungen unterstützt und beraten wird. Dabei wird eine Produkt- und
Interessenvielfalt abgedeckt, die zur Zeit nur von wenigen vergleichbaren
Diensten im deutschsprachigen Raum erreicht wird.
Abbildung 20: edelight - Angebotsspektrum
Quelle: http://www.edelight.de (16.07.2010)
Fazit
Das Potential der neuen Social Shopping Portale ist groß. Liegt der Fokus heute
noch tendenziell im Mode-, Lifestyle- und Beautybereich, so ist leicht erkennbar,
dass in Zukunft viele weitere Produktbereiche ihren Weg in Social Shopping-
Portale finden werden. Nahezu alle Produktgruppen mit einer
gemeinschaftsfähigen Relevanz lassen sich mit den neuen Portalen verbinden. Ob
Heimwerker, Autoliebhaber, passionierte Sportler oder sonstige aktive
Interessengruppen – sie alle verbindet eine Leidenschaft oder zumindest ein
gemeinsames Interesse an Produkten und Erfahrungen, das in Social Shopping-
Portalen aufgegriffen und monetarisiert werden kann. Dabei entstehen neben den
klaren Mehrwerten für die Nutzer wiederum nennenswerte Vorteile für
Shopbetreiber und Hersteller. So werden zum einen die eingebundenen Produkte
und Dienstleistungen „erlebbarer“, und zum anderen werden, ähnlich der zuvor
genannten Shopping-Formen, neue und weitreichende Kunden- und
Nutzergruppen erschlossen. Gleichzeitig sorgt diese Masse an aktiven Benutzern
70
für einen stetig wachsenden Informationsfluss an Verbraucher-Insights,
Produktfeedbacks, Trends und Meinungen, die Unternehmen dabei helfen, ihre
Produkte weiter zu verbessern und in ihrer Bekanntheit zu steigern. Dabei liegt
der überwiegende Aufwand zur Ausschöpfung dieser Potentiale wiederum bei den
Nutzern und Portalbetreibern, die stetig darum bemüht sind, ihren Nutzern die
bestmöglichen Produkte mit der bestmöglichen Beratung und Unterstützung zu
offerieren. Somit bestätigt sich auch in diesem Fall das beispielsweise von Eric
Qualman gezogene Fazit aus der „Social Revolution“: „Die heutigen Gewinner
sind großartige Produkte und Dienste – was letztlich bedeutet, dass die Menschen
gewinnen“.120
5 Ausblick und Schlusswort
Die praktische Umsetzung von Social Commerce, durch die Verknüpfung von
Social Media-Anwendungen und -Diensten mit E-Commerce-Plattformen, erhält
seit den letzten 12 Monaten einen spürbaren Zuwachs an Aufmerksamkeit. Nach
dem eindrucksvollen Siegeszug der meist kostenfreien Social Media-Plattformen
und -Dienste in den letzten Jahren rückte, wie auch von Dr. Paul Marsden
beschrieben, die Frage nach der Monetarisierung der Social Media immer weiter
in den Vordergrund. Diese Arbeit bestätigt, dass die Verknüpfung geeigneter
Social Media-Anwendungen und -Dienste mit E-Commerce-Plattformen eine
erfolgversprechende Antwort auf diese Frage liefern kann. Auch die rasante
Entwicklung auf diesem Gebiet lässt sich durch die Breite der hier vorgestellten,
und meist noch recht jungen, Lösungen erkennen. Dabei ist ebenfalls zu
beobachten, dass Umfang und Komplexität der Umsetzungen zunehmen und
neben einzelnen Zusatzfunktionen wie Bewertungen oder Co-Shopping, heute vor
allem umfassendere Social Commerce-Dienste und -Plattformen im Fokus der
Entwicklung stehen. Diesem Trend folgen nun, durch die zunehmenden Berichte
von erfolgreichen Umsetzungen, immer mehr Unternehmen, Dienstleiter und E-
Commerce-Größen. Bereits heute, zu Beginn des zweiten Halbjahres 2010,
unterstreichen zahlreiche Pressemeldungen diese Annahme. So wurde jüngst die
Verknüpfung des E-Commerce-Riesen Amazon mit dem weltweit größten Social
120 Vgl. Qualman (2010) Socialnomics , S.11.
71
Network Facebook bekannt gegeben.121 Dies stellt nicht nur einen großen Schritt
für beide Unternehmen dar, sondern zeigt in Anbetracht der hohen Kunden- bzw.
Mitgliederzahlen beider Plattformen, dass Social Commerce eine ernst zu
nehmende Entwicklungsstufe erreicht hat.
Amazon bietet nun Kunden, die ihr Amazon- und Facebook-Konto verknüpfen,
die Möglichkeit, Geschenktipps aus den Wunschlisten ihrer Freunde und Social
Recommendations anhand der in Facebook hinterlegten Interessen zu Filmen,
Musik und Büchern, zu erhalten. Gleichzeitig erfassen beide Dienste weitere,
wertvolle Informationen über das Kaufverhalten und die Einflüsse ihrer Nutzer.
Doch Amazon geht noch einen Schritt weiter, und implementiert zusammen mit
Facebook für Procter & Gamble einen Facebook-Store für die Make-up Marke
Max Factor.122 Dem User wird so ermöglicht über das Shopping- und Payment-
system von Amazon innerhalb von Facebook einzukaufen. Lagerung, Bezahlung
und Lieferung werden dabei von Amazon übernommen, wodurch diese
Kombination sehr interessant für weiter (Marken-) Hersteller werden wird, denn
im Gegensatz zu bisherigen Facebook-Shop-Lösungen ist es nun nicht mehr
notwendig, ein eigenes Shop- und Logistiksystem zu unterhalten. So lassen sich
Commerce-Funktionen ohne erhöhten Aufwand in bestehende Marken- und
Unternehmens-Facebookseiten integrieren. Auch Facebook wird durch die
Verbindung mit diesem prominenten E-Commerce-Pionier gestärkt da, ohne
längere Etablierungsphase eines eigenen Paymentsystems (über den Spiele- und
Geschenkbereich123 hinaus), eine seriöse und unkomplizierte Social Commerce-
Ebene im Facebook-System entsteht. Letztlich untersteichen beide Plattformen
damit ihren Führungsanspruch im Social Commerce. Auf der einen Seite stellt
Amazon seinen Privat- und Geschäftskunden nun eines der umfassendsten Social
Commerce-Toolkits bereit und auf der anderen Seite zeigt Facebook, dass die
Plattform nun endgültig bereit ist, eine zuverlässige Basis für ernst zu nehmenden
E-Commerce (im Fall Facebook auch oft als F-Commerce bezeichnet) zu liefern.
121 http://www.facebook.com/Amazon (02.08.2010) 122 http://www.facebook.com/MAXFactor (02.08.2010) 123 http://www.facebook.com/credits (02.08.2010)
72
Neben der Weiterentwicklung und Etablierung bestehender Social Commerce-
Ansätze ist schließlich auch ein neuer und noch sehr junger Ansatz in diesem
Bereich zu nennen – das sogenannte Social Payment. Der Dienst „Pay with a
Tweet“124 bietet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, digitale Güter wie
Musik, Software, Videos oder Ebooks mit einem Tweet oder einer Facebook-
Pinnwand-Nachricht zu „bezahlen“. Dazu verbindet sich der Nutzer mit seinem
Twitter oder Facebook-Account und sendet Link und Beschreibung der Aktion an
seinen Social Graph. Der Wert für den Publisher besteht darin, dass die
angebotenen Werke weitreichend promotet werden und virale Effekte generieren
und effizient ausschöpfen. So werden, wie im klassischen Sinne, Produkt-, Lese-
oder Hörproben verteilt, jedoch nicht nur darauf gehofft, dass der Tester vielleicht
seinem Social Graph davon berichtet. Diese Idee ist simpel und bietet gleichzeitig
viel Potential für Weiterentwicklungen, denn der Mechanismus, der die Kräfte des
Social Web in diesem Fall nutzt, lässt sich leicht auf andere Communities,
Netzwerke und Social Sites übertragen. Darüber hinaus ist dieses Konzept auch
für physische Produkte, Coupons oder Events denkbar, denn die „Währung“
Reichweite, Promotion und Bekanntheit ist generell nicht produktspezifisch. Es
wird also spannend zu beobachten sein, wie sich das neue Teilgebiet Social
Payment weiterentwickelt und in das große Geflecht des Social Commerce
eingliedern wird.
Abschließend kann zusammengefasst werden, dass Social Commerce zwar eine
junge aber dennoch ernst zu nehmende Disziplin im Online Marketing darstellt
und bereits heute eine große Bandbreite an praktischen Umsetzungen bietet.
Dabei spielen vor allem Social Media-Anwendungen und -Dienste eine Rolle, die
dem klassischen E-Commerce eine neue Ebene der Kommunikation und
Kooperation verleihen und den Konsumenten damit klare Mehrwerte und
Unterstützung bei Kaufentscheidungen liefern. Gleichzeitig eignet sich das
gesamte Forschungsthema Social Commerce dazu, eine Antwort auf die Frage zu
finden, wie auch weiter reichende unternehmerische Prozesse durch den Einsatz
neuer Technologien der Social Media optimiert und weiterentwickelt werden
können.
124 http://www.paywithatweet.com (02.08.2010)
73
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