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- 1 - 1 Einleitung „If we believe that organizational life can usefully be seen as loops of causal relations involving accumulations, delays and non-linearities then we intervene in those systems at our peril. We do not have the cognitive capacity to implement mental simulation and yet we purport to do it all the time. Decision makers are already model builders – just very bad ones.“ [Dr. David C. Lane] 1.1 Forschungsfrage Das Umfeld unternehmerischer Entscheidungen hat in den letzten Jahren eine dramatische Zunahme an Komplexität erfahren. Eine klare Ursache für die Zunahme der Komplexität unserer sozialen Systeme ist die zunehmende Vernetztheit. Der sprunghafte Anstieg der Mobilität von Informationen macht eine Verbreitung von Ideen schneller und billiger als jemals zuvor. Jeder Anstieg in der Vernetzung unserer Systeme in der Vergangenheit – von der Schifffahrt über die Eisenbahn, Telegraphen, das Internet bis zur Mobiltelefonie – hat die Welt in Raum, Zeit und Aufwand der Interaktionen von Menschen, Unternehmen und Ideen schrumpfen lassen. Vernetzung zwischen Ideen schafft die nächste Produktinnovation, Vernetzung zwischen Unternehmungen die nächste Fusion. Vernetzung zwischen Käufern, Verkäufern und Supply Chains verkürzt die Produktlebenszyklen. Stark verflochtene soziale Systeme beginnen nicht-linear zu werden, kleine Ursachen können disproportional große Auswirkungen haben. Gerade die Nichtlinearität in den Verbindungen der Systemelemente und die damit einhergehende dynamische Komplexität des Gesamtsystems bereiten erhebliche Probleme bei der Prognose des Systemverhaltens nach Eingriffen. Zahlreiche Studien belegen, dass wir schon bei Interventionen in die einfachsten Systeme an unsere kognitiven Grenzen stoßen. Das menschliche Gehirn verfügt nicht über die notwendige Kapazität, die erforderlich wäre das Systemverhalten nach Eingriffen mental zu simulieren. Gerade darin, nämlich die gestaltende Intervention in soziale Systeme besteht jedoch die Aufgabe von Entscheidungsträgern in Organisationen. Die Systemdynamik nach J. W. Forrester gibt uns Werkzeuge an die Hand, die es uns ermöglichen, die Komplexität sozialer Systeme sichtbar und handhabbar zu machen. Als Methode der quantitativen Simulation stellt sie Akkumulationsprozesse und

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1 Einleitung

„If we believe that organizational life can usefully be seen as loops of causal relations involving accumulations, delays and non-linearities then we intervene in those systems at our peril. We do not have the cognitive capacity to implement mental simulation and yet we purport to do it all the time. Decision makers are already model builders – just very bad ones.“

[Dr. David C. Lane]

1.1 Forschungsfrage

Das Umfeld unternehmerischer Entscheidungen hat in den letzten Jahren eine dramatische Zunahme an Komplexität erfahren. Eine klare Ursache für die Zunahme der Komplexität unserer sozialen Systeme ist die zunehmende Vernetztheit. Der sprunghafte Anstieg der Mobilität von Informationen macht eine Verbreitung von Ideen schneller und billiger als jemals zuvor. Jeder Anstieg in der Vernetzung unserer Systeme in der Vergangenheit – von der Schifffahrt über die Eisenbahn, Telegraphen, das Internet bis zur Mobiltelefonie – hat die Welt in Raum, Zeit und Aufwand der Interaktionen von Menschen, Unternehmen und Ideen schrumpfen lassen. Vernetzung zwischen Ideen schafft die nächste Produktinnovation, Vernetzung zwischen Unternehmungen die nächste Fusion. Vernetzung zwischen Käufern, Verkäufern und Supply Chains verkürzt die Produktlebenszyklen.

Stark verflochtene soziale Systeme beginnen nicht-linear zu werden, kleine Ursachen können disproportional große Auswirkungen haben. Gerade die Nichtlinearität in den Verbindungen der Systemelemente und die damit einhergehende dynamische Komplexität des Gesamtsystems bereiten erhebliche Probleme bei der Prognose des Systemverhaltens nach Eingriffen. Zahlreiche Studien belegen, dass wir schon bei Interventionen in die einfachsten Systeme an unsere kognitiven Grenzen stoßen. Das menschliche Gehirn verfügt nicht über die notwendige Kapazität, die erforderlich wäre das Systemverhalten nach Eingriffen mental zu simulieren. Gerade darin, nämlich die gestaltende Intervention in soziale Systeme besteht jedoch die Aufgabe von Entscheidungsträgern in Organisationen.

Die Systemdynamik nach J. W. Forrester gibt uns Werkzeuge an die Hand, die es uns ermöglichen, die Komplexität sozialer Systeme sichtbar und handhabbar zu machen. Als Methode der quantitativen Simulation stellt sie Akkumulationsprozesse und

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Informationsfeedback in den Mittelpunkt der Betrachtung sozialer Systeme. Obwohl es diese Möglichkeiten schon seit mehr als 40 Jahren gibt, konnten die Ziele, die sich das Feld in seinen Kindertagen gesetzt hat bisher bei weitem nicht erreicht werden. In seinem Klassiker „Industrial Dynamics“ beschreibt der Vater von System Dynamics Jay W. Forrester eine Situation, in der „proper men with the managerial viewpoint“ ein „understanding of the company’s problems and of system dynamics behavior“ entwickeln. Diese Männer sind „in demand to fill management positions in the company“ (Forrester 1961, Chp. 21). System Dynamics wurde also mit der Zielgruppe „Manager“ entwickelt. In einer Studie aus dem Jahr 2003 von Bain & Company ( Hwww.bain.comH), die alljährliche mehrere hundert Top-Manager bezüglich der verwendeten Werkzeuge befragt findet System Dynamics keinerlei Erwähnung.

Eine Reihe von „success stories“ in der Literatur belegen das enorme Potential der Methode für langfristigere Unternehmensentscheidungen. Trotzdem hat die Systemdynamik bisher keinen Einzug in die Fülle an Managementmethoden und Managementwerkzeugen halten können und ist nicht über den Zustand einer Randerscheinung hinweg gekommen. System Dynamics in der heutigen Form der Anwendung ist sehr stark wissenschafts- und expertenlastig. Die vorherrschende Form der Anwendung beschränkt sich zumeist auf den Einsatz als Methode in wissenschaftliche Untersuchungen oder auf hochspezialisiertes Unternehmensconsulting.

Die geschilderten Überlegungen als Basis führen zur zentralen Fragestellung dieser Arbeit:

Was sollen Manager als Nicht-Experten im Modellieren über System Dynamics wissen, um die Methode zum Vorteil für ihre Organisation einsetzen zu können?

1.2 Behandlung der Frage in der Literatur

Die Wurzeln von System Dynamics – damals noch Industrial Dynamics – liegen in der Erforschung des dynamischen Verhaltens sozialer Systeme und reichen bis in die frühen 50er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück. System Dynamics in heutiger Form findet Anwendung in zahlreichen Gebieten der Naturwissenschaften der technischen Wissenschaften und der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Entsprechend der Zielgruppe dieser Arbeit beschränkt sich die Literaturanalyse auf Veröffentlichungen, die in Zusammenhang mit Management stehen.

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Ein in den letzten Jahren wachsender Teil der Literatur steht in engerem Kontakt mit der Forschungsfrage. Diese wichtige Entwicklung könnte man mit den Schlagworten „Modellieren mit dem Management“ zusammenfassen. Kernpunkt dieser Entwicklung ist eine neue Definition des Zweckes von Modellen. Weg vom fertigen Simulationsmodell als Black-Box rückt der Prozess des Modellierens mit den Modellkonsumenten in den Mittelpunkt der Überlegungen. Der neue Modellzweck ist weniger Prognose als viel mehr Modellieren für Lernzwecke.

Ein Teil der angesprochenen Literatur behandelt dabei mehr die technischen Aspekte des Modellierens in Gruppen, z. B. Ford und Sterman 1998b, Richardson und Andersen 1995, Andersen et. al. 1997b, Vennix et. al. 1996b, Vennix 1999 oder Richmond 1997. Andere Veröffentlichungen beziehen sich auf die Frage wie das Modellieren in Gruppen, und Modelle als Management Flight Simulators Lernen bei den beteiligten Managern fördern können, z. B. Morecroft 1992 und 1992b, Senge und Sterman 1994, Bakken et. al. 1992, Isaacs und Senge 1994 oder Morecroft 1984.

Auffallend ist, dass die Thematik in der Literatur typischerweise vom Standpunkt des Experten-Modellierers aus betrachtet wird. Die Frage was Manager über System Dynamics wissen sollen stellt sich dabei nur am Rande weil praktisch immer Situationen beschrieben werden, in welchen ein Experte ein Modell für einen Kunden erstellt. Aus dieser Perspektive betrachtet sind Manager in erster Linie einerseits Informationsquellen im Prozess des Modellbaus, andererseits Lernende, welche die Lektionen aus dem Modell aufnehmen sollen.

Das durch Peter Senge (Senge 1990, Senge und Kleiner 1994b) Anfang der 90er Jahre populär gewordene Systems Thinking richtet sich hingegen direkt an Manager. Hier wird jedoch Wissen über quantitative Simulation komplett ausgeklammert. Senge beschränkt sich ausschließlich auf die Vermittlung von Wissen über qualitative Modelliertechniken.

Die wenigen Lehrbücher im Feld (Coyle 1977, Coyle 1996, Sterman 2000) sind sehr simulationszentriert und in erster Linie für angehende Experten im Modellieren geschrieben.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die konkrete Forschungsfrage in dieser Form in der Literatur bisher nicht gestellt wurde. Quantitative Simulation für Nicht-Experten ist ein Thema, zu dem sich die Veröffentlichungen im Feld nicht äußern.

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1.3 Ziele der Arbeit und Ablauf der Untersuchung

Die Arbeit an meiner Dissertation gestaltet sich als ein Prozess, in dem gewonnene Erkenntnisse die weitere Vorgehensweise bestimmen. Der Prozess wird dabei von drei wesentlichen Zielsetzungen geleitet:

1. Zielgruppe

Die Arbeit hat eine klare Zielgruppe: Manager als interessierte Neulinge in System Dynamics. Die Arbeit soll für diesen Personenkreis lesbar sein, das heißt ich werde versuchen, wo immer möglich, eine übertriebene Verwendung von Fachtermini zu vermeiden.

2. Klare Aussagen

Die Arbeit soll klare Aussagen darüber treffen,

• Welches Wissen über System Dynamics für Manager relevant ist.

• Warum es relevant ist.

• Wofür es verwendet werden soll, bzw. wie es eingesetzt werden kann.

3. Praktische Ergebnisse

Die Ergebnisse der Arbeit sollen praktische Bedeutung haben. Das heißt, sie sollen einerseits praktisch umsetzbar sein und andererseits eine vorherrschende Situation verbessern. Im Endeffekt müssen die Aussagen dieser Arbeit dazu führen, dass im Management „bessere“ Entscheidungen getroffen werden.

Im nächsten Kapitel werde ich die Ergebnisse einer explorativen Expertenbefragung vorstellen, die im Rahmen des ersten europäischen System Dynamics Work Shops in Mannheim im März 2003 durchgeführt wurde.

Das dritte Kapitel legt einen theoretischen Bezugsrahmen als Basis weiterer Überlegungen in der Arbeit. Gleichzeitig wird hier beantwortet, warum System Dynamics Wissen bei Managern vorteilhaft ist.

Das vierte Kapitel erhebt den Status Quo in der Anwendung von System Dynamics und bereitet den Weg für weitere Untersuchungen in den folgenden Kapiteln.

Kapitel fünf definiert das breite Spektrum an System Dynamics Wissen.

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Kapitel sechs untersucht die Möglichkeiten und Grenzen qualitativer Modelliertechniken.

Das siebente Kapitel stellt die grundsätzlichen Ergebnisse der Arbeit vor und bietet Anknüpfungspunkte für zukünftige Forschung.

Das achte und letzte Kapitel wird sich damit befassen, die Ergebnisse aus den vorhergehenden Abschnitten in konkrete und umsetzbare Empfehlungen umzusetzen.

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2 Experteninterviews

2.1 Ziel der Befragung

Ein erstes Herantasten an die Hauptforschungsfrage „Was sollen Manager über System Dynamics wissen?“ erfolgte über eine teils schriftliche, teils mündliche Befragung von namhaften Experten auf dem Gebiet. Die sehr offen formulierte Hauptforschungsfrage machte es zunächst erforderlich einige Arbeitshypothesen zu generieren, anhand derer die eigentliche Frage beantwortet werden konnte. Der Charakter der Befragung war daher ein explorativer, in dem Sinn, dass eine „fremde Wirklichkeit“ in all ihren verschiedenen Facetten und Ausprägungen erforscht werden sollte. Die Ziele der Befragung waren:

• Hilfe bei der Generierung von Arbeitshypothesen bzw. Konkretisierung der Hauptforschungsfrage.

• Aufdeckung eventueller Probleme oder Aspekte, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht bedacht worden sind.

• Erfassung der subjektiven Einschätzungen und Deutungsmuster der Problemstellung durch die Experten.

Zwei Kriterien waren für die Auswahl geeigneter Experten ausschlaggebend. Einerseits die Expertenleistung in Form von bereichsspezifischen Publikationen. Andererseits eine mehrjährige Erfahrung in einer wissenschaftlichen oder privatwirtschaftlichen Tätigkeit im Feld der System Dynamics. Die Expertenbefragung erfolgte schriftlich mittels E-mail.

Da die meisten Aktivitäten in System Dynamics in amerikanischen Universitäten und Beratungsunternehmen angesiedelt sind, ergab sich mit der ersten europäischen System Dynamics Konferenz in Mannheim im März 2003 eine günstige Gelegenheit einige europäische Experten auf dem Gebiet persönlich zu treffen. Ausgewählten Teilnehmern wurde angeboten, neben der schriftlichen Beantwortung des Fragebogens ein persönliches Gespräch in Mannheim zu führen.

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2.2 Aufbau des Fragebogens und Ablauf

Bei der Gestaltung des Fragebogens musste ein Kompromiss aus drei verschiedenen Anforderungen an das Unterfangen sowie die erwarteten Ergebnisse gefunden werden. Zum einen macht es das Wesen einer schriftlichen Befragung notwendig, dass die ausgewählten Fragen relativ detailliert formuliert werden. Da bei schriftlichen Befragungen keinerlei direkte Rückmeldungen des Interviewers möglich sind, müssen die Fragen so formuliert sein, dass sie so wenig Raum für Fehlinterpretationen seitens des Experten zulassen wie möglich.

Andererseits verfolgte der Fragebogen das Ziel einen möglichst großen Ausschnitt der Expertenmeinungen bezüglich der Forschungsfrage einzufangen. Der explorative Charakter des Fragebogens erforderte also allgemein formulierte Fragen, die die Kreativität des Experten anregen und die Antworten nicht im vorhinein in eine bestimmte Bahn lenken sollten.

Die dritte Anforderung ergab sich aus der Überlegung, ein möglichst breites Spektrum an Meinungen zu möglichst vielen Themen abzufragen. Die Fragen mussten so gewählt werden, dass ein möglichst großer Bereich an System Dynamics Wissen thematisiert wurde.

Der Kompromiss, der sich aus den formulierten Anforderungen ergab war ein Fragebogen, der sich an dem in System Dynamics allgemein anerkannten Prozess des Modellbaus (wie z. B. in Sterman 2000 formuliert) orientierte. Dem Aufbau des Fragebogens konnte damit eine klare, für einen Experten leicht verständliche und logische Struktur gegeben werden. Die Fragen waren allgemein formuliert, enthielten jedoch Schlüsselwörter, die die Interpretation in eine bestimmte Richtung lenken sollten. Mit der Orientierung am Modellbauprozess konnte die Anzahl der Fragen so gewählt werden, dass ein großes Spektrum an Wissen abgedeckt werden konnte (siehe Anhang 1).

Der in Anhang 1 dargestellte Fragebogen wurde einige Wochen vor dem ersten System Dynamics Work Shop in Mannheim am 20. März 2003 an einige teilnehmende Experten versendet. Den Experten wurde die Möglichkeit geboten, den Fragebogen schriftlich auszufüllen oder in Form eines 20 – 30 minütigen Interviews mit mir in Mannheim zu beantworten. Zusätzlich wurde der Fragebogen ohne die Option eines persönlichen Interviews an einige amerikanische Experten versendet.

Von den etwa 30 angesprochenen Personen antworteten folgende schriftlich:

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Yaman Barlas, Jack Homer, David Lane, Edoardo Mollona, John Morecroft, Erling Moxnes, John Sterman, Kim Warren, Markus Schwaninger, Graham Winch.

Mit zwei Personen, nämlich Jac Vennix und Peter Milling konnte ein persönliches Interview durchgeführt werden.

2.3 Ergebnisse

Grundsätzlich ist zu dem vorhandenen Datenmaterial zu bemerken, dass die Antworten eher allgemein gehalten sind. Das heißt es werden kaum konkrete Wissensthemen aufgelistet, die Manager wissen sollen, sondern in den meisten Fällen allgemeine Konzepte angegeben, die das Weltbild hinter System Dynamics wieder spiegeln.

Im Folgenden werde ich auf die ersten sechs Fragen näher eingehen. Frage für Frage wird untersucht, ob es einen Grundtenor in den Meinungen gibt, wenn ja welchen, bzw. wie stark die Meinungen zu einer bestimmten Frage streuen. Besonders interessante Antworten und abweichende Meinungen werden eine besondere Erwähnung erfahren.

1. Problem Identification

Die meisten Antworten auf diese Frage beziehen sich auf das Konzept der dynamischen Komplexität in sozialen Systemen. Das heißt Manager sollen wissen was dynamische Komplexität ist, und welche Probleme damit einher gehen. Eine typische Antwort stammt von Yaman Barlas: „A clear definition of a dynamic feedback problem. It’s distinction from a static decision problem“. Obwohl allgemeine Antworten in der Form wie sie Barlas gibt vorherrschen, konkretisiert ein Experte, der nicht genannt werden will: „So an appreciation of behaviour over time charts and the relationship between structure and behaviour is essential for problem identification.

2. Qualitative Modeling

Hier streuen die Antworten stark und reichen von Empfehlungen über Wissen bezüglich der klassische Modelliertechnik, dem Causal Loop Diagram bis hin zu der Extremposition von Kim Warren, der die Ansicht vertritt, dass überhaupt kein Wissen über qualitatives Modellieren für Manager angebracht ist. Warren begründet seine Antwort: „None – since managers need to know what to do, when and how much, to

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bring about what scale of performance improvement, and insurmountable theoretical problems prevent qualitative mapping achieving this purpose...“. Die Bedenken, die Warren in Bezug auf qualitative Modelliertechniken hegt sind ein weitres gemeinsames Merkmal der meisten Antworten. Die meisten Experten sind der Meinung, dass Causal Loop Diagrams eine sinnvolle Technik für Manager darstellt, warnen jedoch zumeist vor deren Beschränkungen. Ein Experte mit dem Code-Namen Bernard Dixon: „Managers should be encouraged to draw CLDs (or even word-and-arrow diagrams with few or no feedback loops) as an aid to understanding, but should NOT expect to draw firm conclusions about policy interventions.“.

3. Developing a fully specified quantitative model

Diese Frage behandelt den kontroversen Punkt, ob Manager Modelle in Gleichungsform bauen sollen oder nicht. Die Meinungen im Feld zu dieser Problematik sind sehr unterschiedlich. Dementsprechend vielfältig sind auch die Reaktionen auf diese Frage. Ein Experte, der anonym bleiben möchte meint: „I believe that inexpert attempts to model quantitatively with easy-to-use software [...] is potentially very dangerous.“. Im Gegensatz dazu Kim Warren: „They should have experienced the building and behaviour of simple models ...“. Die Antworten einiger Experten lassen sich dahingehend interpretieren, dass Manager Wissen besitzen sollten, das es ihnen ermöglicht, gute „Partner“ in einem Modellierprojekt mit einem Experten zu sein. Peter Milling schlägt darüber hinaus vor, dass Manager einen gesunden Modellskeptizismus an den Tag legen sollten: „Keine blinde Modellgläubigkeit. Mit Modellen kann irres Schindluder betrieben werden.“.

4. Purpose of Models

Die Antworten auf diese Frage sind relativ einheitlich und gehen alle in die Richtung, dass Manager wissen müssen, ob ein Modell das Problem, für welches es gebaut wurde anspricht und Lösungsvorschläge generiert. In diesem Zusammenhang wurden öfters die Schlagworte Modellskeptizismus und Modellvalidierung genannt. Manager sollten also wissen, ob das Modell eine brauchbare Abbildung des realen problemverursachenden Systems darstellt. Kim Warren beschreibt drei Modellzwecke mit unterschiedlichen Anforderungen an diese Überprüfung durch Manager. Erstens, Modelle, die klären sollen, warum bestimmte Probleme auftreten, wo die Hebelpunkte liegen könnten und welche Indikatoren man betrachten sollte. Für diese Modelle reicht es aus, wenn Manager in der Lage sind zu beurteilen, ob die Struktur des Modells eine ungefähre Abbildung der Realität darstellt. Das Modellverhalten sollte eine einigermaßen bekannte Karikatur des Problemverhaltens in der Realität darstellen. Zweitens Modelle, die quantitative Hilfe bei Entscheidungen geben sollen. Hier ist es erforderlich, dass Manager in der Lage sind zu beurteilen, ob das Modellverhalten mit Daten aus der Realität übereinstimmt. Drittens, detaillierte Prognose und Entscheidungsmodelle. Zu den Anforderungen an die Überprüfung der zweiten

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Modellart kommt hinzu, dass sich Manager vergewissern sollten, ob das Modell einer rigorosen Gültigkeitsprüfung unterzogen wurde, und welche Grenzen diese Testmethoden der Vertrauenswürdigkeit in das Modell setzen.

5. Implementation of Model outcomes

Die Meinungen bezüglich der Implementierung der Modellergebnisse können so zusammengefasst werden, dass System Dynamics Wissen bei Managern das Vertrauen in Modellergebnisse fördert. Dadurch wird die Umsetzung der Ergebnisse in einer Organisation günstig beeinflusst. Manager sollen die Modellergebnisse kritisch betrachten und als Basisempfehlungen sehen, die vor der Umsetzung noch auf mögliche, im Modell nicht berücksichtige Einflüsse geprüft werden sollen. Ein Experte, der nicht genannt werden will drückt den Sachverhalt folgendermaßen aus: „Implementation requires understanding by policy makers,...“. System Dynamics Wissen wird als Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung gesehen.

6. The role of SD in an organization

Bei den Meinungen der Experten bezüglich der Rolle von System Dynamics in einer Organisation lassen sich drei Hauptargumentationslinien ausmachen. Erstens herrscht Einigkeit darüber, dass System Dynamics Wissen bei Managern den Prozess des Modellbaus in einer Kunden – Experten Rolle positiv beeinflusst. Hier bewerten die Experten die Situation aus der Perspektive eines Beraters. Sowohl die Akzeptanz von System Dynamics Projekten als auch die Effektivität der Zusammenarbeit können gesteigert werden. Edoardo Mollona gibt eine typische Antwort: „[System Dynamics knowledge] create[s] commitment, facilitates the process of information collection and mental models elicitation.“.

Zweitens ermöglicht System Dynamics Wissen das Erkennen von dynamischen Problemen, sowie fördert das Verständnis und die Einsicht für deren Wichtigkeit in Managementfragen. Bernard Dixon: „It is helpful if the managers all learn to appreciate why the issue being modeled is dynamically complex and how a model can help them to avoid terrible mistakes that a „business as usual“ approach could produce.“.

Die dritte Argumentationslinie bezieht sich auf den Themenkreis „Manager als Modellbauer“. Hier gehen die Meinungen weit auseinander und reichen von „only a step on the road towards having all decision makers be their own SD model builders.“ von Dr. David C. Lane bis „But it should not be expected that more than a handful of managers will ever have a very direct hand in building models themselves.“ von Jack Homer.

In diesem Zusammenhang äußert sich Peter Milling über die relativ geringe Verbreitung von System Dynamics im Management: „Es ist eben kein Verfahren wie Tabellenkalkulation oder Balanced Scorecard, das relativ schnell eingeführt relativ schnell Ergebnisse präsentiert. Nein, es ist ein mühseliger Prozess diese Gedanken in

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einem Unternehmen zu verbreiten, es ist ein langwieriger Prozess, es ist ein Prozess, der von den entsprechenden Promotoren Standhaftigkeit und Engagement über lange Zeiträume verlangt, und eben nicht unmittelbar und kurzfristig zu Ergebnissen führt.“.

2.4 Umformulierung der Forschungsfrage

Mit dem vorliegenden Datenmaterial aus der Expertenbefragung können keinerlei detaillierte Aussagen darüber getroffen werden was Manager über System Dynamics wissen sollen. Die Streuung der Antworten und Meinungen ist sehr groß. Die Experten sind sich jedoch über gewissen allgemeine Themenbereiche, die für Manager Relevanz haben sollten einig:

• Langfristige Feedbackperspektive

• Stock und Flow Akkumulation

• Dynamische Komplexität als Konsequenz aus den ersten beiden Punkten

• Probleme, die mit dynamischer Komplexität und Entscheidungen einher gehen

• Kritische Beurteilung von Modellergebnissen und Klarheit über den Zweck von Modellen

• System Dynamics Grundwissen für eine gute Zusammenarbeit von Kunde und Experte

Trotz des Mangels an konkreten Ergebnissen konnten aus den Experteninterviews dennoch einige wichtige Erkenntnisse für den weiteren Verlauf der Untersuchung gewonnen werden.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurde ohne zu hinterfragen angenommen, dass relevantes System Dynamics Wissen für Manager in Bezug auf Prozesse und Methoden eine Teilmenge des Expertenwissens darstellen müsse. Auch die Interviewfragen wurden mit dieser Annahme im Hintergrund formuliert.

Die grundsätzliche Frage, die sich stellt ist:

„Gibt es andere Anwendungen von System Dynamics im Management als die durch Expertenanwendung charakterisierten Formen?“.

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Der Schlüssel in der Beantwortung der Frage „Was sollen Manager wissen?“, liegt in der Beantwortung der Fragen:

1) „Warum sollen Manager etwas über System Dynamics wissen?“ und

2) „Wozu soll dieses Wissen verwendet werden, wozu soll es befähigen?“.

Die weiteren Überlegungen in dieser Arbeit orientieren sich also am Zweck von Anwendungsformen von System Dynamics im Management. Im nächsten Kapitel soll mit der Darlegung eines theoretischen Bezugsrahmens die Basis für diese Arbeit geschaffen werden. Gleichzeitig wird damit die erste Frage „Warum sollen Manager etwas über System Dynamics wissen“ beantwortet. Anschließend wird aufgrund einer Literaturanalyse untersucht, was die vorherrschenden Formen der Anwendung sind.

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3 Theoretischer Bezugsrahmen

In diesem Kapitel möchte ich mit der Darlegung eines Theoretischen Rahmens die Basis für weitere Überlegungen in Bezug auf die Beantwortung der Hauptforschungsfragen legen. Der theoretische Bezugsrahmen wird durch vier Prämissen gebildet, welche den Ausgangspunkt für alle weiteren Argumentationen darstellen.

• Soziale Systeme sind komplex.

• Eingriffe in soziale Systeme durch den Menschen sind problematisch.

• Die wachsende Komplexität erfordert den Einsatz neuer Werkzeuge.

• System Dynamics ist ein Werkzeug für die Handhabbarmachung von Komplexität.

Die vier Prämissen geben gleichzeitig Antwort darauf "Warum Manager etwas über System Dynamics wissen sollen". Manager sind Personen, die in komplexe soziale Systeme zielgerichtet steuernd eingreifen müssen. Die zweite Prämisse wird darlegen, dass Menschen Probleme damit haben die Auswirkungen ihrer Eingriffe auf das globale Verhalten des komplexen Systems zu prognostizieren. System Dynamics ist eine Möglichkeit die wachsende Komplexität sozialer Systeme beherrschbarer zu machen. Insofern können die Methoden und Techniken eine wertvolle Ergänzung im Repertoir der Management-Werkzeuge darstellen.

3.1 Soziale Systeme und Komplexität

3.1.1 Eine Definition von komplexen Systemen

Komplexe Systeme können am besten beschrieben werden, indem man sie mit einfachen oder nicht-komplexen Systemen vergleicht.

Einfache Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass die Eigenschaften des Ganzen in den Eigenschaften der Komponenten des Systems verwurzelt sind. Solche Systeme sind additiv und entsprechend der Anzahl der Komponenten des Systems skalierbar. Ein Beispiel für ein einfaches System wäre ein Eimer voll Sand. Die Masse eines Eimer

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voll Sand ist die Summe der Massen der einzelnen Sandkörner. Es handelt sich um einen einfachen, linearen, additiven und vorhersagbaren Prozess.

Die wesentliche Eigenschaft, die komplexe von einfachen Systemen unterscheidet ist emergentes Verhalten. Die emergente Eigenschaft komplexer Systeme entsteht aufgrund der Interaktionen der Elemente eines Systems. Die emergente Eigenschaft eines komplexen Systems lässt sich nicht auf die Eigenschaften seiner Komponenten zurückführen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Die Interaktion der Komponenten erzeugt dynamische Komplexität. Davon zu unterscheiden ist die kombinatorische Komplexität. Diese entsteht in erster Linie durch das Vorhandensein einer sehr großen Anzahl von Komponenten und der Suche nach Kombinationen unter ihnen, welche bestimmte gewünschte Eigenschaften aufweisen. Das Problem den optimalen Flugplan einer Airline zu finden ist sehr komplex, aber die Komplexität besteht in der Berücksichtigung von extrem vielen möglichen Lösungen und der Suche nach der besten. Dynamische Komplexität hingegen kann bereits in Systemen mit sehr geringer kombinatorischer Komplexität auftreten.

Einige wichtige Eigenschaften komplexer Systeme, und Ursachen für dynamische Komplexität sind:

• Nichtlinearität – Der Effekt ist selten proportional zu seiner Ursache. Nichtlinearitäten in der Interaktion der Systemkomponenten ergibt sich häufig aus den physischen Gegebenheiten des Systems. Z.B. bewirkt ein zu geringer Lagerbestand, dass die Produktion angekurbelt wird, andererseits kann die Produktion niemals negativ werden, egal wie hoch der Lagerbestand ist.

• Abhängigkeit und Vernetztheit – eine einzelne Komponente des Systems beeinflusst andere Komponenten und wird von diesen beeinflusst. Oft bestimmt der Grad der Abhängigkeit zwischen den Systemkomponenten wie schnell sich ein Ereignis an einer Stelle des Systems zu anderen Teilen des Systems ausbreitet.

• Feedback – Feedback beschreibt die Tendenz eines Systems seinen eigenen Output als Input für Änderungen im System zu verwenden. Positives Feedback verstärkt den Systemoutput, negatives Feedback beschränkt das Wachstum des Outputs.

• Emergenz – Das Verhalten der einzelnen Komponenten des Systems und ihr Zusammenwirken erzeugt das globale Verhalten. Das Verhalten des gesamten Systems ist mehr als die Summe der Verhalten der Einzelkomponenten.

• Selbstorganisation – Wenn ein komplexes System offen gegenüber der Umwelt ist, kann es immer unorganisierter werden, d. h. sich immer weiter von einem Gleichgewicht entfernen. An einem gewissen Punkt reorganisiert sich das System

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selbst in eine neue Struktur. Die neue Struktur ergibt sich spontan aus dem emergenten Verhalten des Systems.

• Adaption – Die Fähigkeiten und Entscheidungsregeln der Agenten eines komplexen Systems können sich ändern. Evolution führt zur Selektion und Wachstum bestimmter Agenten, während andere aussterben. Adaptives Verhalten ergibt sich auch, wenn Agenten aus Erfahrung lernen ihre Ziele zu erreichen und Hindernisse zu umgehen.

• Butterfly Effects – Manche komplexe Systeme können extrem sensibel auf veränderte Anfangsbedingungen reagieren. Winzige Änderungen im Anfangszustand können sich über die Zeit zu enormen Änderungen im Systemverhalten aufschaukeln.

3.1.2 Komplexe soziale Systeme

Erste Prämisse:

Soziale Systeme sind komplexe Systeme im Sinne der obigen Definition. Soziale Systeme sind komplexe Systeme, welche die Komponente Mensch beinhalten.

Für meine Zwecke besonders wichtig ist das soziale System Organisation in Form einer Unternehmung. Die Komponenten dieses Systems sind physische Güter wie Rohmaterial, Produkte oder Produktionsanlagen, menschliche Akteure, die Entscheidungen treffen oder Probleme lösen um die eigenen sowie die Ziele der Organisation zu erreichen und Information über den Systemzustand, welche als Input für die Entscheidungen der Akteure dient. Das Zusammenwirken dieser Komponenten erzeugt dynamische Komplexität.

Obwohl sich soziale Systeme in Bezug auf die allgemeinen Eigenschaften von komplexen Systemen von physikalischen, chemischen oder biologischen Systemen nicht unterscheiden, gibt es dennoch einen wesentlichen Unterschied. Soziale Systeme sind bei weitem komplexer. Als Maß für die Komplexität möchte ich die Anzahl der Komponenten sowie den Grad ihrer Vernetztheit verwenden. Ein Maß, das sich aus diesen beiden Punkten ergibt, aber besonders für soziale Systeme hohe Relevanz besitzt ist der Grad der Folgelastigkeit von Entscheidungen. Wenn man unterstellt, dass soziale Systeme, wie z.B. Unternehmen Ziele verfolgen, deren Erreichung am globalen Verhalten des Systems gemessen werden, so könnte man dieses Komplexitätsmaß operationalisieren, indem man das Verhältnis der Anzahl der möglichen richtigen Entscheidungen zu der Anzahl der möglichen falschen

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Entscheidungen in Bezug auf das Systemziel angibt. Die vergleichsweise hohe Komplexität sozialer Systeme hat zwei wichtige Gründe:

• Die Akteure in sozialen Systemen haben ein Funktionsmodell der systeminternen und umweltbedingten Prozesse. Das heißt, sie nehmen bewusst wahr, dass sie sich in einem System bewegen, welches durch die Umwelt und das System selbst beeinflusst wird. Sie entwickeln darüber hinaus ein Geschichtsbewusstsein, indem sie Informationen aus der Vergangenheit für die Lösung gegenwärtiger Probleme nützen und zukünftige Folgen ihrer Entscheidungen abwägen. Ein soziales System hat damit die Möglichkeit sich selbst als Problem zu erkennen und seine internen Prozesse einer Selbststeuerung zu unterwerfen.

• Das bewusste Handeln der Akteure führt dazu, dass diese ständig die Systemstruktur ändern, indem neue Komponenten hinzukommen, andere verschwinden und sich die Verbindungen zwischen den Komponenten ständig ändern.

Globalisierung und zunehmende Technisierung der Gesellschaft sowie die explosionsartige Verbreitung von effektiven Kommunikationstechnologien führen zu immer mehr alternativen Möglichkeiten und zu einer immer dichteren Vernetzung der Komponenten sozialer Systeme. Die Folgen der rasch ansteigenden Komplexität für den Umgang von Menschen mit sozialen Systemen wird Thema des nächsten Unterpunktes sein.

3.2 Eingriffe in soziale Systeme

Zweite Prämisse:

Menschen haben erhebliche Schwierigkeiten das globale Verhalten von sozialen Systemen, insbesondere nach Eingriffen vorherzusehen.

Die dynamische Komplexität sozialer Systeme hat einige Konsequenzen für den Umgang von Menschen mit diesen Systemen. Vor allem steuernde Eingriffe mit dem Ziel ein gewünschtes globales Verhalten zu erreichen sind problematisch.

3.2.1 Counterintuitive Behavior

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Im Feld der System Dynamics spricht man häufig von einem "counterintuitive behavior" sozialer Systeme. Ganz allgemein ist damit eine Situation gemeint, in der ein System ein unerwartetes Verhalten als Reaktion auf einen Eingriff aufweist. Die Eingriffe in das System erfolgen aufgrund eines mentalen Modells über die Struktur und die Zusammenhänge des Systems. Das Konzept des "Mentalen Modells" geht auf Forrester (Forrester 1961) zurück. Die Idee, dass Menschen interne Modelle von Informationsfeedback Systemen erzeugen, speichern und manipulieren war für die Theorie der System Dynamics zentral. Die Natur und die Eigenschaften dieser mentalen Modelle sind die Voraussetzungen für die Überzeugung, dass systemdynamisches Modellieren und systemdynamische Simulation den Umgang von Menschen, die mit Komplexität sozialer Systeme konfrontiert sind verbessern kann. Es existieren einige Definitionen, die jedoch teils widersprüchlich sind, teils weiter und enger gefasst sind. Senge (Senge 1990, pp. 8) z.B. definiert:

"Mental models are deeply ingrained assumptions, generalizations, or even pictures or images that influence how we understand the world and how we take action. Very often, we are not consciously aware of our mental models or the effect they have on our behavior."

Sterman (Sterman 1994, pp. 294) meint:

"In system dynamics, the term mental model stresses the implicit causal maps of a system we hold, our beliefs about the network of causes and effects that describe how a system operates, the boundary of the model (the exogenous variables) and the time horizon we consider relevant – our framing or articulation of a problem."

Doyle und Ford (Doyle und Ford 1998) schlagen eine verbindliche Definition vor:

"...a mental model of a dynamic system is a relatively enduring and accessible, but limited, internal conceptual representation of an external system whose structure maintains the preceived structure of that system"

Obwohl man sich über die Definition des Konzepts "mental model" nicht ganz einig ist, so herrscht jedoch wenig Uneinigkeit darüber, dass mentale Modelle unzureichende Abbildungen der Realität darstellen. Z.B. Forrester (Forrester 1971, pp. 213):

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"The mental model is fuzzy. It is incomplete. It is imprecisely stated. Furthermore, within one individual, a mental model changes with time and even during the flow of a single conversation".

Der Eingriff in soziale Systeme aufgrund von unzureichenden mentalen Modellen führt zu "counter intuitive behavior" des Systems. Dies hat mehrere Gründe die im allgemeinen Verhalten von komplexen Systemen, sowie den mentalen Modellen der Menschen, die sich in diesen Systemen bewegen zu suchen sind (Forreste 1994):

1. Ursache und Wirkung sind zeitverzögert

In komplexen Systemen, die von zahlreichen Feedbackschleifen und Verzögerungen geprägt sind, kann sich ein Eingriff erst viel später auswirken. Menschen haben gelernt, die Ursache für Probleme mit welchen sie konfrontiert sind in der unmittelbaren zeitlichen Umgebung zu suchen.

2. Interventionspunkte

Aufgrund der großen Anzahl von balancierenden Feedbackschleifen in sozialen Systemen verpuffen die meisten Eingriffe wirkungslos. Andererseits werden die wenigen Interventionspunkte mit hoher Hebelwirkung auf das Verhalten des Systems häufig falsch eingesetzt relativ zu dem, was man erreichen will.

3. Systemendogene Verhaltensursachen

Das Verhalten eines sozialen Systems ist eine Konsequenz seiner Struktur und entsteht somit systemendogen. Der Mensch neigt jedoch dazu externe, von den Akteuren nicht beeinflussbare Faktoren für das Missverhalten des Systems verantwortlich zu machen.

4. Tendenz zu abfallenden Leistungen

Die Akteure in sozialen Systemen verfolgen Ziele. Kommt es über einen längeren Zeitraum nicht zu einem befriedigenden Verhalten des Systems, besteht sehr häufig die Tendenz dazu die Zielvorstellungen abzusenken. Einmal abgesenkte Zielvorstellungen werden nur sehr schwer wieder korrigiert. Dieses Verhalten der Akteure kann zu einer schweren Systemkrise führen, die, einmal aufgetreten kaum mehr bewältigt werden kann.

5. Trade-off zwischen kurz- und langfristigen Zielen

Die Verfolgung kurzfristiger Ziele verspricht unmittelbare Belohnung. Die langfristigen negativen Auswirkungen auf das System werden dabei häufig ignoriert. In einer immer schnelllebigeren Zeit besteht ein starker Anreiz dafür kurzfristige Ziele in den Mittelpunkt zu stellen. Vor allem die Kombination von abfallenden Zielvorstellungen mit der Verfolgung kurzfristiger Ziele kann zu verheerenden Konsequenzen für das System auf längere Frist führen. Die

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Tendenz westlicher Industrienationen systemische Strukturprobleme mit nicht nur neuen Schulden sondern auch mit immer höherer Neuverschuldung zu bekämpfen ist eines von unzähligen Beispielen.

Einige dieser typischen Verhaltensweisen von komplexen Systemen und die Probleme, welche Menschen im Umgang mit ihnen haben konnten in Experimenten nachgewiesen werden.

3.2.2 Unterscheidung von Bestands- und Flussgrößen

Das komplexe dynamische Verhalten von sozialen Systemen entsteht durch das Zusammenwirken von Stock+Flow-Akkumulation, Verzögerungen und Feedback. Diese drei Komponenten bilden die Bausteine, welche die Struktur des Systems bestimmen. "Counterintuitive Behavior" entsteht, wenn aufgrund eines falschen mentalen Modells über die Struktur eingegriffen wird. Für die Bildung eines korrekten mentalen Modells ist es somit erforderlich das Konzept der Stock+Flow-Akkumulation zu verstehen. Gerade bei dieser fundamentalen Anforderung zeigen sich jedoch erhebliche Schwächen.

In einer Studie haben Sweeney und Sterman (Sweeney und Sterman 2000) nachgewiesen, dass selbst technisch hochbegabte Studenten des M.I.T. erhebliche Probleme mit der Unterscheidung von Beständen und Flüssen haben. Die Versuchspersonen mussten in jeweils drei Aufgaben den Verlauf des Bestandes aus dem Verlauf des Nettoflusses in den Bestand ableiten. Der Nettofluss in Abhängigkeit von der Zeit war in grafisch funktionaler Form gegeben. Der Verlauf des Bestandes musste in ein Zeit-Mengen Diagramm eingezeichnet werden.

Die Versuchspersonen hatten insbesondere Probleme mit der Beziehung zwischen der Form des Nettozuflusses (positiv steigend, fallend oder negativ steigend, fallend) und dem entsprechenden zeitlichen Verlauf des Bestandes. Viele verstanden den Zusammenhang nicht, dass die Fläche, die von dem Nettofluss über ein Zeitintervall eingeschlossen wird die Veränderung des Bestandes in diesem Zeitintervall darstellt. Einige Versuchspersonen waren der Meinung, dass der Verlauf des Bestandes eine ähnliche Form aufweisen müsse wie der Verlauf des Nettoflusses.

Diese Ergebnisse konnten von Ossimitz (Ossimitz 2001) bestätigt werden. Ossimitz findet zusätzlich Hinweise darauf, dass es ein Basiskonzept in Bezug auf Stock-Flow-Thinking gibt, welches eine Grundvoraussetzung für das Verständnis von Akkumulationsprozessen bildet. Ist der Nettozufluss positiv, dann muss der Bestand steigen und vice versa. Versuchspersonen, die bereits mit diesem Grundkonzept

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Probleme hatten, schnitten besonders schlecht ab. Dass Menschen mit einem derartig einfachem Konzept sehr wohl Probleme haben zeigt Moxnes (Moxnes 2000). In einem Experiment war der Bestand an Weideflächen durch einen Zu- und einen Abfluss bestimmt. Der Zufluss, die Wachstumsrate der Grünflächen war vom Bestand selbst abhängig. Der Abfluss konnte mit der Herde, welche auf den Weiden graste reguliert werden. Ziel war es, die Größe der Herde zu maximieren. Das Experiment startete in einem Zustand mit übergraster Weideflächen, sodass es zunächst erforderlich war, die Herde durch Schlachtungen zu minimieren, um ein Erholen der Grünflächen zu gestatten. Selbst professionelle Züchter hatten Probleme damit den Zusammenhang zwischen der Differenz zwischen Zu- und Abfluss (nachwachsende Grünflächen und grasende Tiere) zu erkennen. Die meisten Versuchspersonen senkten die Anzahl der Tiere viel zu langsam, was sich in einem ständigen Übergrasen und damit abnehmender Grünflächen äußerte.

3.2.3 Komplexes Problemlösen

"Komplexes Problemlösen" ist die Bezeichnung eines relativ neuen Forschungsgebiets der Psychologie, das sich mit der Beschreibung und Erklärung von Phänomenen befasst, wie sie beim Umgang von Menschen mit komplexen Systemen auftreten. Bei diesen komplexen Systemen handelt es sich typischerweise um computersimulierte Szenarien, in welche der Akteur zielgerichtet handelnd eingreifen soll. Komplexes Problemlösen entstand Mitte der 70er Jahre aus der Erkenntnis heraus, dass empirische Ergebnisse und theoretische Überlegungen, die in einfachen Problemlösungssituationen im Labor entstanden sind nicht auf komplexere Probleme des realen Lebens übertragbar sind. Die Simulationsszenarien bestehen in der Regel aus mehreren Variablen, zwischen welchen wechselseitige Beziehungen existieren. Von "Problemlösen" spricht man, weil der Übergang von einem Ausgangszustand in einen Zielzustand, welche die Versuchsperson erreichen soll nicht in einem Schritt erfolgen kann, sondern das Überwinden von Barrieren zwischen Ist- und Sollwerten erfordert.

Es gibt einige typische Merkmale der Situation, welcher sich ein Akteur in einem Computerszenario ausgesetzt sieht (Dörner, Kreuzig, Reither und Stäudel 1983):

1. Die Komplexität der Situation

Diese bezieht sich primär auf die Menge der zu verarbeitenden Information, die die zur Verfügung stehende Kapazität bei weitem überschreitet und damit optimale Problemlösung verhindert. Dadurch entsteht die Notwendigkeit starker Informationsreduzierung.

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2. Die Intransparenz der Situation

Darunter wird eine Situation verstanden, in der nicht alle Informationen, die ein Akteur für seine Entscheidung benötigt unmittelbar verfügbar sind. Es besteht die Notwendigkeit der aktiven Informationsbeschaffung.

3. Die Abhängigkeiten zwischen den Variablen

Nicht nur die bloße Menge an Informationen ist zu bewältigen, sondern auch die Beziehungen der Variablen untereinander. Das System und die verfolgten Ziele machen es erforderlich, dass bei den Akteuren Vorstellungen über die wechselseitigen Abhängigkeiten der Variablen gebildet werden.

4. Die Eigendynamik der Situation

Das System entwickelt ohne Zutun der Akteure eine Eigendynamik. Akteure handeln unter Zeitdruck.

5. Die Polytelie der Situation

In komplexen Situationen ist es häufig erforderlich nicht nur ein Ziel zu verfolgen sondern in der Regel mehrere, häufig sogar widersprüchliche Ziele. Dies erzeugt die Notwendigkeit einer mehrdimensionalen Informationsbewertung und Regeln für die Gewichtung konfliktärer Ziele.

Ein Hauptanliegen der Forschung in diesem Bereich ist es, eine generelle Theorie für die Erklärung des Verhaltens von Menschen beim Lösen von komplexen Problemen zu finden. Die bisherige Forschung hat einige Faktoren, die menschliches Verhalten in komplexen Problemlösungssituationen beeinflussen identifiziert (Frensch und Funke 1995).

Interne Faktoren

Erfahrung. Komplexes Problemlösen variiert mit der Erfahrung, die ein Individuum in dem entsprechenden Aufgabengebiet hat. Erfahrung beeinflusst die Wahrscheinlichkeit erfolgreichen Problemlösens. Außerdem beeinflusst Erfahrung die Problemlösungsstrategie. Es konnte nachgewiesen werden, dass Experten ihre Hypothesen über die kausalen Zusammenhänge komplexer Systeme häufiger änderten als Neulinge. Durch die höhere Anzahl der in Betracht gezogenen Hypothesen über die Kausalstrukturen des Systems steigt die Wahrscheinlichkeit die richtige Struktur des Systems herauszufinden. Auf der anderen Seite unterliegen Experten in einem geringeren Ausmaß einem "confirmation bias". Das heißt, dass Experten widersprüchliche Informationen stärker gewichten und damit eine Strategie des Testens von Hypothesen stärker ausgeprägt ist als bei Neulingen (Krems 1995).

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Kognitive Variablen. Es gibt einige Hinweise darauf, dass kognitive Variablen wie Hintergrundwissen, Strategien der Informationssammlung und Informationsbewertung, sowie kognitive Stile komplexes Problemlösen beeinflussen. Zu dem Einfluss von Intelligenz auf die Leistung beim Lösen komplexer Probleme gibt es kontroverse Ergebnisse. In diesem Zusammenhang wurde häufig der klassische Intelligenztest, welcher Problemlösungsverhalten in statischen Situationen misst kritisiert. Ein Zusammenhang zwischen komplexem Problemlösen und Intelligenz tritt häufig dann auf, wenn das Szenario abstrakt ist, das heißt semantisch nicht in ein "reale Welt Szenario" eingebettet ist. Die Situation ähnelt dann eher einem klassischen Intelligenztest (Beckmann und Guthke 1995).

Nichtkognitive Variablen. Die Leistungen beim Lösen komplexer Probleme scheinen durch nichtkognitive Variablen wie Selbstvertrauen, Motivation und Arbeitsfreude begünstigt zu werden. Generell wird Komplexes Problemlösen von persönlichen und sozialen Faktoren beeinflusst.

Externe Faktoren

Die externen Faktoren beschreiben die Charakteristika der Aufgabe, welche die Versuchsperson lösen soll. Dazu zählen unter anderem die semantische Einbettung der Aufgabe. Also wie sehr die Aufgabenstellung einer Situation aus dem realen Leben ähnelt. Die Transparenz der Aufgabe beschreibt, in welchem Ausmaß kausale Zusammenhänge und Zustände des Systems der Versuchsperson bekannt gegeben werden. Die Komplexität bestimmt die Anzahl der Elemente und den Grad der Vernetztheit dieser Elemente. Zur Komplexität können auch Feedack und Verzögerungen gezählt werden.

Menschliches Problemlösen in komplexen Situationen wurde in einer Vielzahl von Experimenten untersucht. Dabei reicht das Spektrum an verwendeten Szenarien von relativ einfachen und transparenten Systemen mit wenigen Variablen bis zu Systemen mit extrem vielen Variablen mit hoher Vernetztheit, hoher Intransparenz und allgemein formulierten Zielen. Das Design der Experimente ist naturgemäß stark davon beeinflusst, welche der oben genannten Einflussfaktoren isoliert werden sollen. Funke (Funke 1992) untersucht z.B. anhand eines Systems mit drei endogenen Zustandsvariablen und drei exogenen Steuerungsvariablen inwieweit die Eigendynamik des Systems die Leistung der Versuchspersonen bei der Bewältigung der Aufgabe beeinflusst. Komplexes Problemlösen in sehr realitätsnahen Situationen wurde von Dietrich Dörner schon seit Mitte der 70er Jahre untersucht. Charakteristisch für die Studien von Dörner sind Situationen mit hoher Realitätsnähe, vielen vernetzten Variablen und unklaren Zielvorgaben. Ich möchte an dieser Stelle die Arbeiten von Dörner und die Ergebnisse seiner Studien näher betrachten.

Die Szenarien

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Dörner untersucht das Planungs- und Entscheidungsverhalten von Menschen in komplexen Systemen anhand von computersimulierten Szenarien, die stark an reale Systeme angelehnt sind. Mit diesen Experimenten sollen Merkmale der kognitiven Prozesse der Versuchspersonen wie Denken, Entscheiden, Planen und Hypothesenbildung untersucht werden. In der Studie "Lohhausen" (in Dörner 1989) nimmt die Versuchsperson die Rolle eines Bürgermeisters einer deutschen Kleinstadt mit 3700 Einwohnern ein. Die wirtschaftliche Situation von Lohnhausen ist durch die örtliche Uhrenfabrik bestimmt. Es gibt Einzelhandelsgeschäfte, Arztpraxen, Banken und Gasthäuser. Die Aufgabe der Versuchsperson besteht darin, die Geschicke dieser Kleinstadt über einen simulierten Zeitraum von 10 Jahren zu lenken. Die Versuchsperson ist mit weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten ausgestattet. Das zu verfolgende Ziel ist sehr allgemein als "Kümmern um das Wohlergehen der Bevölkerung" definiert.

In der Studie "Tanaland" (in Dörner 1989) mussten die Versuchspersonen Entwicklungshilfe für zwei halbnomadische Stämme in einem Gebiet der ostafrikanischen Steppe organisieren. Ein Stamm in diesem Gebiet lebt von Acker- und Gartenbau, der andere von Viehzucht und Jagd. Die Versuchspersonen hatten wiederum nur das vage definiertes Ziel für das Wohlergehen der beiden Stämme und des gesamten Gebietes zu sorgen. Die Versuchspersonen konnten hierfür z.B. Jagdmaßnahmen anordnen, die Düngung der Plantagen verbessern, Brunnen bauen und das Bewässerungssystem verbessern, Geburtenkontrollen einführen oder Traktoren kaufen. Mittels sechs Eingriffen zu welchen jeweils ein Paket von Maßnahmen möglich war wurde ein Zeitraum von 10 Jahren simuliert.

Die Schwierigkeiten der Aufgabe

Dörner nennt einige Probleme mit welchen die Versuchspersonen in diesen Szenarien konfrontiert sind (Dörner 1989). Aus diesen allgemeinen Merkmalen der Handlungssituationen ergeben sich Anforderungen an den Handelnden.

Komplexität

Komplexität ergibt sich, wenn viele Variablen, Systemzustände oder Merkmale vorhanden sind, und diese untereinander vernetzt sind. Eine hohe Komplexität stellt hohe Anforderungen an das Sammeln von Informationen als Grundlage von Entscheidungen. Die Vernetztheit bewirkt, dass sich Eingriffe selten nur lokal auswirken, sondern Neben- und Fernwirkungen haben.

Dynamik

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Die Eigendynamik der Situation verursacht Zeitdruck beim Treffen von Entscheidungen. Für eigendynamische Systeme ist die Kenntnis des aktuellen Zustandes nicht genug, es müssen Erwartungen über die Entwicklungstendenzen des Systemverhaltens gebildet werden.

Intransparenz

Viele Merkmale der Situation sind dem Entscheider gar nicht oder nicht unmittelbar zugänglich. Selbst wenn der Entscheider vollständige Kenntnis von der Systemstruktur hat, bleibt ihm die aktuelle Situation teilweise verborgen.

Hypothesen

Um Eingriffe und deren Auswirkungen planen zu können braucht man eine Vorstellung von der Struktur des zugrundeliegenden Systems. Die Akteure halten ein Modell der Realität, welches Annahmen über wechselseitige Beziehungen der Elemente im System beinhaltet. Dieses Modell kann explizit im Sinne von bewusst oder implizit sein. Handlungen aufgrund von impliziten Realitätsmodellen könnte man auch als intuitive Handlungen bezeichnen.

Einige empirische Ergebnisse

Folgend sollen einige empirische Ergebnisse vorgestellt werden, die Menschen beim Handeln in komplexen Situationen, wie sie oben beschrieben wurden haben.

Probleme mit Zielen

In komplexen Problemsituationen mit global definierten Zielen ist häufig ein Defizit bei der Bildung von Teilzielen des Globalziels festzustellen. Globalziele sind nicht klar definiert und geben keine unmittelbare Handlungsstrategie vor. Ein Fehlen der Bildung von Teilzielen führt meistens dazu, dass Versuchspersonen Missstände aufgreifen und beseitigen, die augenfällig sind, oder ihren Kompetenzen und Vorwissen entsprechen. Diese Ziele können die falschen in Bezug auf das Erreichen des Globalziels sein. Eine Konzentration auf die unmittelbaren Missstände schafft mit der Zeit Unsicherheit bei der Versuchsperson. Die Folge ist eine Sicherheit schaffende, starke Konzentration auf irrelevante, aber leicht lösbare Probleme.

Eine andere Art von Problemen mit der Zielformulierung ergibt sich, wenn sich Versuchspersonen nicht im Klaren darüber sind, dass sie konfliktäre Ziele verfolgen. In komplexen Systemen ist es normal, dass verschiedene Ziele nicht gleichzeitig erreicht werden können. Frustration bei den Versuchspersonen führt oft dazu, dass systemexogene Umstände für die Nichterreichung der Ziele verantwortlich gemacht werden.

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Informationssammlung und Hypothesenbildung

Für die Bildung von Hypothesen über die Zusammenhänge in dem zugrundeliegenden System kann man verschiedene Handlungstendenzen beobachten. Unsicherheit spielt hier wieder eine zentrale Rolle. Bei manchen Versuchspersonen kommt es, speziell bei Aufgaben, die unter Zeitdruck zu lösen sind zu einer Verweigerung von Informationsaufnahme und blindem Aktionismus. Andere Versuchspersonen wiederum neigen zu einer exzessiven Informationssammlung um die innere Unsicherheit über die gemutmaßten Zusammenhänge zu bekämpfen. Häufig treffen sie Entscheidungen nur zögerlich. Oftmals kommt es dazu, dass Individuen reduzierte Hypothesen über die Systemzusammenhänge bilden. Dabei werden in der Regel wichtige Rückkoppelungen vernachlässigt, und das gesamte System auf wenige zentrale Variablen reduziert. Diese reduzierten Hypothesen habe eine Reihe von Vorteilen. Sie sind leicht zu handhaben und zu erfassen. Sie geben klare Handlungsanleitungen und sind überdies, wenn Teile der Gesamthypothese isoliert betrachtet werden auch korrekt. Es ist nicht einfach eine reduzierte Hypothese zu widerlegen und das gibt Sicherheit. Pläne für Eingriffe in das System aufgrund reduzierter Hypothesen sind jedoch häufig falsch weil nur Aktionen berücksichtigt werden, die die zentrale Variable beeinflussen und die Effekte dieser Eingriffe auch nicht rückgekoppelt sind.

Prognosen des Systemverhaltens

Menschen haben erhebliche Probleme damit Zeitabläufe zu erfassen, vor allem dann, wenn diese nicht linear sind. Lineare Extrapolation ist eine geeignete Strategie für kurzfristige Prognosen, scheitert jedoch häufig, wenn die Prognosezeiträume länger werden. Prognosen sind vor allem dann schwierig, wenn das Verhalten des Systems nicht monoton ist, sondern plötzlichen und unerwarteten Änderungen unterliegt.

Planen und Entscheiden

Das Planen von Aktionen in komplexen Systemen ist besonders durch die Schwierigkeit gekennzeichnet, dass praktisch jeder Eingriffe Nebenwirkungen ausweist, die noch dazu in Zeit und Raum entfernt liegen können. Ein typisch menschliches Verhalten beim Planen von Aktionen in komplexen Systemen ist die Nichtbeachtung dieser Nebeneffekte. Eine Planung, die Nebeneffekte berücksichtigt kann leicht in ein Verhalten ausarten, welches oben als exzessive Informationssammlung charakterisiert wurde. Mehr Information über Nebeneffekte verkompliziert das Problem indem es die Komplexität der Situation in das Bewusstsein bringt, und führt zur Notwendigkeit noch mehr Informationen einzuholen. Dieses Verhalten kann plötzlich in einen wilden Aktionismus umschlagen, wenn das Individuum schlussendlich resigniert .

Typischerweise zerlegen "gute" Versuchspersonen ein Hauptziel in mehrere Zwischenziele. Diese Zwischenziele werden mit einem Bündel von Entscheidungen zu

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erreichen versucht. "Gute" Versuchspersonen ziehen die Vernetztheit von Zielen und Entscheidungen in ihr Planungskalkül mit ein. Bei "erfolglosen" Versuchspersonen bleiben Ziele und Entscheidungen relativ unabhängig von einander.

Typisch für erfolglose Versuchspersonen ist ein Verhalten bei welchem schnell von einem Problemlösungsthema zum nächsten gesprungen wird wenn Schwierigkeiten auftreten.

Es wurden einige Ursachen für diese ausgeprägten Defizite beim Problemlösen in komplexen Situationen genannt (Dörner 1995):

Beschränkte Kapazität des menschlichen Gehirns

Die beschränkten kognitiven Fähigkeiten des Gehirns zwingen die Menschen dazu mit der Ressource "bewusstes Denken" sparsam umzugehen. Dies verursacht eine Reihe von Fehlertendenzen wie die Bildung reduzierte Hypothesen oder die lineare Extrapolation von Zeitverläufen.

Kompetenz

Kompetenz äußert sich nach außen in der Fähigkeit effektiv handeln zu können. Innere Zweifel an der eigenen Kompetenz werden durch aktionistische Entscheidungen verdrängt.

Das aktuelle Motiv

Menschen versehen aktuelle und akute Probleme mit einem sehr starken Gewicht. Das kann dazu führen, dass relativ unbedeutende akute Probleme bekämpft werden und dabei eine viel schwerwiegendere langfristige Entwicklung aus den Augen verloren wird.

Vergessen

Einfaches vergessen ist dafür verantwortlich, dass Menschen keine klare Vorstellung von zeitlichen Entwicklungen haben. Besonders bei langsamen Entwicklungen ist dieses Defizit erkennbar. Es entsteht die Tendenz zur linearen Extrapolation von zeitlichen Verläufen.

Wie man sieht liegen die erklärenden Variablen für die Probleme der Menschen im Umgang mit komplexen Systemen hier überwiegend im Bereich der Persönlichkeit des Problemlösers selbst. Es existieren im Gegensatz dazu einige Studien, die die unabhängigen Variablen in externen Faktoren suchen. Hier wurde insbesondere der

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Einfluss wichtiger Eigenschaften von Informationsfeedback Systemen untersucht, nämlich Feedback und Verzögerungen.

Die verwendeten Computerszenarien sind ähnlich wie jene wie sie z.B. Dörner verwendet. Die simulierte Umwelt beinhaltet mehrere Akteure, Feedback, Nichtlinearitäten und Verzögerungen. Die Interaktion der individuellen Entscheidungen mit der Struktur des Systems verursacht komplexes dynamisches Verhalten. Verzögerungen können in verschiedenen Positionen einer Feedback-Schleife auftreten. Die Konsequenzen von Feedback und Verzögerungen sind immer, dass das System mit Feedbackinformation alleine nicht optimal gesteuert werden kann. Das heißt, dass optimale Kontrolle nicht einfach durch Korrektur des momentan beobachteten Systemzustandes erreicht werden kann. Der beobachtete Systemzustand hinkt dem tatsächlichen hinterher. Da der Akteur immer mit unaktuellen Informationen konfrontiert ist, muss er ein mentales Modell des Systems haben, welches ihm erlaubt die Informationen abzuleiten, welche er für seine Entscheidung benötigt. In einer Situation, in welcher die Entscheidungen einige Zeit benötigen um Wirkung zu entfalten muss der Akteur vorhersagen, welchen Zustand das System zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entscheidung haben wird. Auf der anderen Seite muss der Akteur den aktuellen Zustand des Systems ableiten, wenn er mit Verzögerungen konfrontiert ist, welche bei der Übertragung oder dem Bericht des aktuellen Zustandes auftreten. Die Informationen über den aktuellen Zustand des Systems sind dann immer veraltet und betreffen einen vergangenen aktuellen Zustand. Wenn der Akteur nicht in der Lage ist ein korrektes mentales Modell des Systems aus den vorhandenen Informationen abzuleiten, wird er immer damit beschäftigt sein vergangene Fehler zu korrigieren. Das System wird oszillieren.

In einem Computerszenario von Brehmer und Allard (Bremer und Allard 1991) nahmen die Versuchspersonen die Position eines Feuerwehrhauptmannes ein, der für die Löschung von Waldbränden zuständig war. Der Feuerwehrhauptmann kontrolliert einige Einsatzgruppen, die im Bedarfsfall zu dem Ort des Brandes kommandiert werden konnten um diesen zu bekämpfen. Um eine Stresskomponente hinzuzufügen läuft das Szenario in Echtzeit ab. Das Ziel des Akteurs war es einerseits das Feuerwehrhauptquartier vor dem Niederbrennen zu schützen, andererseits so viel Fläche Wald als möglich zu retten. In dieser und einigen Folgestudien (Brehmer 1995) konnten erhebliche Probleme beim Umgang mit dieser Aufgabe festgestellt werden.

Die Aufgabe wurde für die Versuchspersonen durch zwei Arten von Verzögerungen erschwert. Der Einsatz einer Löschmannschaft am Einsatzort erfolgte verzögert, das heißt die Entscheidung einen Brand zu löschen wirkte erst nach Verstreichen einer Zeitkonstante. Ebenso gab es eine Verzögerung bei der Meldung über das Ausbrechen und das erfolgreiche Löschen eines Brandes. Die Versuchspersonen waren über das mögliche Auftreten von Verzögerungen informiert. Die Bedienungsschnittstelle für das Szenario lieferte alle relevanten Informationen um die Existenz und die Dauer von Wirkungsverzögerungen und Verzögerung bei der Berichterstattung abzuleiten. Die

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Wirkungsverzögerung wurde in grafisch analoger Form mittels Symbolen dargestellt. Die Verzögerung bei der Berichterstattung konnte aus der Differenz der aktuellen Zeit und dem Zeitpunkt der Abgabe des Berichts, welche verfügbar war, abgeleitet werden. Die Versuchspersonen kompensierten die relativ leicht erkennbaren Wirkungsverzögerungen. Jedoch konnte keine einzige Versuchsperson eine Verzögerung in der Berichterstattung ausmachen. Die Akteure irrten sich bei der Einschätzung der Art und der Ursache der Verzögerung. In 58 % der Versuche brannte die Basis nieder. Im Durchschnitt verbrannten 70 – 80 % der Waldfläche.

Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch Sterman (Sterman 1989). In einem Experiment untersuchte Sterman das Verhalten von Versuchspersonen in einem Szenario, welches als "Beer Game" bekannt ist. Dabei wird die Produktions- und Lieferkette von Bier simuliert. Die Versuchspersonen nehmen die Positionen des Produzenten, Verteilers des Groß- oder des Einzelhändlers ein. Die Aufgabe für die einzelne Versuchsperson besteht darin, die Lagerhaltungskosten zu minimieren. Die Nachfrage am Ende der Kette (Einzelhändler) ist konstant, und steigt ab einem gewissen Zeitpunkt stufenförmig an, um anschießend auf diesem Niveau zu verharren. Die Nachfrage ist also nicht schwankend. Sterman fand Lagerhaltungskosten, die jene bei optimalen Entscheidungen um das zehnfache überschritten. Weiters entstanden drei Verhaltensmuster, die die typische Abweichung von der Optimallösung charakterisieren. Erstens schwankten die Lagerbestände in den einzelnen Stufen der Liefer- und Produktionskette sehr stark (Oszillation). Zweitens stiegen diese Schwankungen der Lagerbestände von Einzelhändler zu Produzent stark an (Amplifikation). Und drittens gab es eine Phasenverzögerung bei der Spitze der Bestelleingänge von Einzelhändler bis zum Produzenten. Dieses typische Verhalten weist darauf hin, dass die Versuchspersonen ähnliche Heuristiken für die Bestimmung ihrer Bestellungen verwenden. Eine Erklärung für das stark suboptimale Abschneiden besteht darin, dass die Versuchspersonen zu einem großen Teil die Bestellungen in der Pipeline ignorieren. Die Versuchspersonen konzentrieren sich auf den aktuellen Zustand des Systems – die Höhe des aktuellen Lagerbestandes – und richten danach ihr Verhalten aus. Ein optimales Verhalten muss die Bestellungen, die bereits aufgegeben wurden, aber noch nicht eingetroffen sind in das Entscheidungskalkül mit einbeziehen. Ein Ignorieren dieses Umstandes muss zwangsläufig zu Über- oder Unterbestellungen führen. Das System beginnt zu schwanken. Sterman fasst dieses Verhalten unter der "Misperception of Feedback"-Hypothese zusammen. Menschen verwenden mentale Modelle für ihre Entscheidungen, welche dynamisch fehlerhaft sind, verwenden ereignisorientierte Kausalketten als Erklärung von Phänomenen, ignorieren Feedback und Verzögerungen, haben Probleme mit der Unterscheidung von Beständen und Flüssen und können die Auswirkungen von nichtlinearen Beziehungen nicht einschätzen. Diese Probleme führen sehr häufig zu einem Missverhalten des Systems.

Diese "Misperception of Feedback"-Hypothese ist eine Erklärung für die Schwierigkeiten von Menschen im Umgang mit Informationsfeedback Systemen, die

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Verzögerungen aufweisen. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Menschen, selbst wenn sie über alle Verzögerungen in einem System informiert sind, diese in ihren Entscheidungen trotzdem nicht berücksichtigen. Brehmer (Brehmer 1995) wiederholt das Feuerbekämpfungsszenario unter veränderten Bedingungen. Diesmal sind die Versuchspersonen nicht nur über die mögliche Existenz von Verzögerungen aufgeklärt, sondern auch über die Art der Verzögerungen. Also insbesondere die Existenz von Verzögerungen in der Berichterstattung. Trotz dieser zusätzlichen Information schneiden die Versuchspersonen nicht besser ab. Das Ergebnis deutet darauf hin, dass die Akteure Probleme dabei haben ein mentales Modell zu entwickeln, auf dessen Basis Entscheidungen über Kompensation von Verzögerungen in der Berichterstattung gefällt werden könnten. Erklärungen für dieses Phänomen könnten unter Umständen in den kognitiven Merkmalen der Akteure liegen.

3.2.4 Lernen in komplexen Systemen

Die dynamische Komplexität vieler sozialer Systeme wirkt sich negativ auf die Fähigkeiten des Menschen aus in diesen Systemen zu lernen. Lernen ist ein Feedback-Prozess (Abbildung 3.1). Entscheidungen werden aufgrund bestehender Strategien oder Normen gefällt. Diese Normen und Strategien werden gebildet um bestimmte Ziele zu erreichen und sind ein Ergebnis unserer mentalen Modelle von der Realität. Eingriffe in die Realität verursachen Informationsfeedback. Dieses ist notwendig um die Auswirkungen unserer Eingriffe in das System beurteilen zu können. Informationsfeedback führt einerseits in Kombination mit der Strategie zu einer Anpassung der Entscheidung, andererseits werden die mentalen Modelle den neuen Gegebenheiten angepasst.

Zentrales Element in dieser Betrachtung von Lernen ist also Feedback. Gerade dieses Feedback auf unsere Eingriffe in die reale Welt ist jedoch in komplexen Systemen häufig verzerrt. Eingriffe wirken sich häufig erst mit Verzögerung aus. Nichtlinearitäten verursachen unterschiedlich starke Auswirkungen von Eingriffen, je nachdem in welcher Phase sich das System befindet.

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Reale Welt

Informations- Feedback

Mentales Modell der Realität

Strategien, Strukturund

Entscheidungsregeln

Entscheidungen

Abbildung 3.1 Lernen als Feedbackprozess

Zusätzlich wird Lernen durch menschliche Einflüsse und Faktoren erschwert wie z.B. die Neigung einem bestehenden mentalen Modell widersprüchliche Informationen zu ignorieren oder die beschränkte Kapazität des menschlichen Gehirns bei der Informationsverarbeitung.

Sterman (Sterman 1993) weist nach, dass Lernen in komplexen Systemen nur spärlich vorhanden ist. Insbesondere ein Verstehen der Struktur der Realität, welche das dynamische Verhalten sozialer Systeme verursacht ist schwach ausgeprägt. Das reale System wird als so kompliziert angesehen, dass Feedback auf getroffene Entscheidungen einfach ignoriert wird. Das entspräche einer Situation, in der die Verbindung von Informationsfeedback und mentalem Modell der Realität durchbrochen ist. Entscheidungen werden dann nach einem bestehenden mentalen Modell gebildet, welches nicht mehr angepasst wird.

3.3 Komplexitätsmanagement

Dritte Prämisse:

Die zunehmende Komplexität in Unternehmen und im Umfeld der Unternehmen macht einen Umdenkprozess im Management erforderlich. Für einen erfolgreichen Umgang

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mit dynamischer Komplexität ist ein Wandel der Perspektive sowie der Einsatz neuer Techniken und Methoden erforderlich.

3.3.1 Wachsende Komplexität

Einen wesentlichen Treiber für die zunehmende Komplexität im unternehmerischen Umfeld stellt der Trend einer immer stärkeren Globalisierung der Wertschöpfungsketten dar. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf eine Erhebung von Deloitte & Touche LLP. ( Hwww.deloitte.comH, Deloitte & Touche 2003) über die Herausforderungen der wachsenden Komplexität in den Wertschöpfungsketten internationaler Unternehmen. Die Ergebnisse der Befragung von mehr als 600 nordamerikanischen und europäischen Unternehmen aus verschiedenen Bereichen wie Automobil, Flugzeugbau, Konsumgüter, chemische Industrie, Telekommunikation und High-Tech zeichnen ein klares Bild der Problematik wachsender Komplexität und die damit verbundenen Herausforderungen.

Die meisten der 600 Produzenten sehen die gesamte Welt als ihren Markt und als Bühne für Verkauf, Einkauf, Produktion und Entwicklung ihrer Produkte. Mehr als 80 % betreiben Marketing- und Verkaufsabteilungen außerhalb des Mutterlandes, und die Mehrheit produziert in Niedriglohnländern wie China, Mexiko und Osteuropa. Erstaunlicherweise geben darüber hinaus fast die Hälfte der Unternehmen an, Teile der Produktentwicklung in andere Länder ausgelagert zu haben. Diese Ergebnisse sind sowohl für große als auch für kleinere Unternehmen zutreffend.

Drei wesentliche Ursachen sind für den Globalisierungsdruck, welchem sich Unternehmen ausgesetzt sehen, verantwortlich. Erstens, Kostendruck auf der Nachfrageseite. Die hohe Käufermacht im Wiederverkaufsbereich sowie die allgemeine Konkurrenzsituation unter den Produzenten führt zu einem starken Druck Kosten zu reduzieren um konkurrenzfähig zu bleiben. Zahlreiche Möglichkeiten für Kostenreduzierungen ergeben sich entlang der Wertschöpfungskette, insbesondere die Auslagerung von Produktion und Produktentwicklung in Niedriglohnländer.

Zweitens sehen sich die Unternehmen verstärktem Druck ausgesetzt, Umsätze zu steigern und neue Märkte zu erschließen. Um einen Markt wie China oder Indien zu beliefern müssen Einkauf, Produktion und Verkauf in diese Länder ausgelagert werden.

Ein dritter Grund ist in der Notwendigkeit zu suchen, neue und bessere Produkte immer schneller und effizienter zu entwickeln. Der Anteil am Umsatz, der durch neue Produkte erzielt wird ist ständig steigend. Gleichzeitig steigen die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung aufgrund des Kostendruckes nur leicht an. Der Widerspruch kann nur durch die schnellere Einführung neuer Produkte oder die

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Erhöhung der Trefferquote neuer Produkte gelöst werden. Die Produktentwicklungsdauern wurden in den letzten drei Jahren um durchschnittlich 12 % auf 16 Monate reduziert. Der Wert soll im Jahr 2006 bei 13 Monaten liegen. Die hohen Entwicklungskosten zwingen Unternehmen dazu neue Märkte zu erschließen und ihre internationale Präsenz auszuweiten.

Das Management dieser über den Globus verteilten Aktivitäten erfordert ein hohes Maß an Koordination, vor allem dann, wenn Fabriksmanager, Arbeiter, Ingenieure und Zulieferer von Halbfertigfabrikaten auf verschiedene Unternehmen verteilt sind. Die Konsequenzen einer geografisch stark verteilten Wertschöpfungskette ist Komplexität. Die wachsende Komplexität hat sehr reale Auswirkungen auf die finanzielle Situation von Unternehmen. 38 % der Teilnehmer geben an, schmale operative Profitmargen von weniger als 5 % zu haben oder überhaupt Geld zu verlieren. Ein gutes Drittel zeigt sich unzufrieden mit der Erreichung der Rentabilitätsziele. Komplexität kann die operative Leistungsfähigkeit von Unternehmen beeinträchtigen. Das wiederum führt zu finanziellen Einbußen.

Trotz dieser allgemein ernüchternden Ergebnisse konnten sich etwa 7 % der Teilnehmer in Bezug auf finanzielle und kundenorientierte Kennzahlen weit vor dem Rest des Feldes platzieren. Diese kleine Gruppe weist einige Gemeinsamkeiten auf, welche sie vom Rest des Feldes klar unterscheidet. Den wesentlichen Unterschied macht vor allem die Fähigkeit aus, Kunden-, Produkt- und Supply-Chain Prozesse über den Lebenszyklus der Produkte hinweg zu synchronisieren, insbesondere die integrative und grenzüberschreitende Behandlung der Aktivitäten in diesen Prozessen. Anstatt unabhängig zu operieren, arbeiten Manager aller drei Bereich bei Design, Produktion, Marketing und Verkauf sowie Kundenservice zusammen. Diese Unternehmen haben den Sprung von einer reduktionistischen Perspektive des Produkt-Lebenszyklus zu einer holistischen Perspektive eines Profit-Zyklus, einer Serie von koordinierten Aktivitäten rund um ein neues Produkt geschafft.

3.3.2 Paradigmenwandel und neue Techniken

Das Geschäftsumfeld vieler Unternehmen unterliegt beispiellos schnellen und radikalen Veränderungen. Die neue Wirtschaft, getrieben von Globalisierung und exponentiellem Wachstum von Telekommunikationstechnologien zwingt Firmen dazu, nicht nur ihre Strategien anzupassen, sondern eine vollkommen neue Perspektive einzunehmen. Um den Herausforderungen der ständig wachsenden Komplexität begegnen zu können ist ein Umdenkprozess bei den Entscheidungsträgern notwendig. An Stelle einmaliger Prognosen mit anschließender Steuerung tritt ein kontinuierlicher Prozess des Verstehens und Anpassens von Strategien.

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Der traditionelle wissenschaftliche Ansatz für natürliche Phänomene ist reduktionistisch. Ein System wird auseinander genommen und seine Komponenten in Isolation untersucht, das gesamte System aufgrund seiner Einzelteile verstanden. Dieser Ansatz hat unser Verständnis der Welt über die letzten 300 Jahre geprägt. Der reduktionistische Ansatz ist auch die klassische Herangehensweise um Probleme im unternehmerischen Bereich zu lösen. Firmen werden typischerweise als Ansammlungen von Teilen wie Abteilungen, Funktionen oder Hierarchien verstanden und geführt. Natürlich gibt es Umstände, in welchen es als vollkommen angebracht erscheint Teile zu studieren, aber mit zunehmender Komplexität gewinnt die globale Systemsicht an Bedeutung.

Für ein erfolgreiches Komplexitätsmanagement sind zwei Dinge erforderlich. Erstens, ein Einstellungswandel bei den Entscheidungsträgern und zweitens, neue Techniken und Methoden für die Komplexitätsbewältigung. Der Paradigmenwandel muss sich auf mehreren Ebenen vollziehen:

Linear – Nichtlinear

Die historisch bedingte Notwendigkeit Systeme zu linearisiren um sie analytischen Lösungsverfahren zugänglich zu machen ist mit dem Aufkommen leistungsfähiger und preiswerter Computer und den damit verbundenen numerischen Lösungsverfahren verschwunden. Linearität stellt nicht die Regel, sondern die Ausnahme dar.

Reduktionistisch – Holistisch

Die Analyse isolierter Einzelkomponenten eines Systems mit dem Ziel das gesamte System zu verstehen ist in den meisten Systemen zum Scheitern verurteilt. Eine lebende Kreatur in seine Einzelteile zu zerlegen und diese zu untersuchen wird relativ wenig Erkenntnisse über z.B. das natürliche Verhalten der Kreatur in seiner Umwelt eröffnen. Ähnlich entwickeln Organisationen Wertesysteme, Normen und eigene Kulturen, die auch dann weiter Bestand haben, wenn sich die Komponenten, wie z.B. Mitarbeiter der Organisation ändern.

statisch gleichgewichtig – dynamisch transient

Zu postulieren, dass sich Systeme stets im Gleichgewicht befinden, und bei Störungen unmittelbar in einen Gleichgewichtszustand zurückkehren mag die Analyse erleichtern, sagt jedoch überhaupt nichts über die Anpassungsprozesse zu diesen Gleichgewichten aus. Selbst wenn man akzeptiert, dass Systeme einem Gleichgewicht zustreben sind doch die Anpassungsprozesse und ihre Konsequenzen für die Menschen interessant und relevant.

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Mechanisch – Organisch evolutionär

Ein Weltbild, dem der Glaube an maschinenähnliche System, die einfachen Gesetzen gehorchen zugrunde liegt führt zu der Überzeugung, dass Systeme vorhersagbar und optimierbar sind. Im Gegensatz dazu akzeptiert eine evolutionäre Perspektive, dass die Komplexität der Systeme viel zu hoch ist, um sie in ihrer Gesamtheit erfassen zu können und begnügt sich damit robuste und anpassungsfähige Strategien zu entwickeln, die einem emergenten und dynamisch komplexen Verhalten der Systeme gerecht werden können. Dem mechanistischen Weltbild ist ebenso die weite Verbreitung von statistischen Black-Box Modellen zuzurechnen, die anstatt kausaler Erklärungen für Phänomene Zusammenhänge in Form von Korrelationen suchen.

Viele der zeitgenössischen Methoden und Instrumente im Management sind stark in der vorherrschenden Weltsicht verwurzelt. Eines von ihnen, das besonders weite Verbreitung gefunden hat und an dem sich Teile der Problematik sehr gut demonstrieren lassen sei hier exemplarisch vorgestellt.

Im Jahre 1980 veröffentlichte Michael E. Porter Competitive Strategy (Porter 1980). Porter erklärt, dass fünf Kräfte die Konkurrenzsituation innerhalb einer Industrie oder Branche bestimmen. Eine Unternehmung kann, um in dieser Konkurrenzsituation bestehen zu können entweder die Kostenführerschaft ansterben, oder ihre Produkte mit einer Prämie verkaufen, die durch andere Komponenten des Produktes gerechtfertigt werden kann, also ein differenziertes Produkt anbieten. Eine dritte Möglichkeit eröffnet sich mit der Konzentration auf ein bestimmtes Marktsegment, wobei wieder die zwei generischen Strategien Kostenführerschaft und Differenzierung anzuwenden sind. Porter ist der Ansicht, dass eine Unternehmung auf jeden Fall eine der beiden Strategien auswählen muss um überleben zu können. Im Jahre 1985 veröffentlichte Porter Competitive Advantage (Porter 1985). In diesem Buch beschreibt er wie eine Unternehmung Kostenführerschaft oder Differenzierung der Produkte erreichen kann. Als Analyseinstrument für diesen Zweck stellt er die Wertkette einer Unternehmung vor (Abbildung 3.2).

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Abbildung 3.2 Die Wertkette nach Porter 1985

Die Analyse der Wertkette beschreibt Aktivitäten in der Unternehmung sowie seiner Umwelt und setzt diese in Beziehung zur Wettbewerbsfähigkeit. Es wird versucht den einzelnen Aktivitäten Werte zuzuordnen, welche diese den Produkten beisteuern. Das Ziel besteht darin, die Aktivitäten so auszuwählen und zu organisieren, dass ein Produkt entsteht, dessen Wert für den Konsumenten größer ist, als die Kosten der Aktivitäten. Porter argumentiert, dass die Fähigkeit bestimmte Aktivitäten durchzuführen die Quelle für einen Wettbewerbsvorteil der Unternehmung ist.

Primäre Aktivitäten betreffen direkt die Erzeugung und Lieferung des Produktes. Unterstützende Aktivitäten ermöglichen und verbessern die primären Aktivitäten. Ein Wettbewerbsvorteil kann erreicht werden, wenn die Wertkette so konfiguriert wird, dass sich entweder ein Kostenvorteil oder ein differenziertes Produkt ergibt.

Kostenvorteile ergeben sich indem die Kostentreiber der Aktivitäten besser gesteuert werden. Porter nennt einige Kostentreiber: Economies of Scale, Lernen, Kapazitätsauslastung, vertikale Integration oder Verbindungen unter den Aktivitäten. Im wesentlichen handelt es sich dabei um ein Abwägen ob Einsatz und Kosten an einer Stelle erhöht werden sollen sodass an einer anderen Stelle Kosten eingespart werden können. Beispiele sind etwa Investitionen in den Produktionsprozess um Stückkosten zu senken oder Investitionen in Qualitätsmanagement um After-Sale-Service-Kosten zu senken.

Gelegenheiten für die Produktdifferenzierung ergeben sich überall in der Wertkette. Z.B. kann der alleinige Zugang zu bestimmten Inputfaktoren für das Produkt oder der Zugang zu bestimmten Vertriebswegen einen Differenzierungsvorteil bewirken.

Die Wertekettenanalyse ist ein Rahmen, der Unternehmen dabei hilft ihre Produktions- und Administrationsprozesse in Bezug auf die Erzeugung von Werten und die damit verbundenen Wettbewerbsvorteile zu untersuchen. Der Rahmen ist hervorragend dafür geeignet den herrschenden Zustand zu erfassen und abzubilden. Z. B. können Kosten segmentiert und analysiert, Einsicht über wertschaffenden Prozesse in der

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Unternehmung gefördert oder Stärken gegenüber Mitbewerbern abgeleitet werden. Dies ist jedoch nur die Voraussetzung für das eigentliche Ziel einer Wertkettenanalyse, die Prozesse und Aktivitäten so zu verändern, dass die Spanne steigt. Die Wertkettenanalyse dient somit als Instrument für Eingriffe in das komplexe System mit dem Ziel das globale Verhalten des Systems positiv zu beeinflussen. Hier müssen jedoch aufgrund der Beschaffenheit des Analyserahmens Schwierigkeiten auftreten.

Das Instrument ist reduktionistisch

Das Ziel, die Spanne zu erhöhen wird erreicht, indem die Unternehmung in Aktivitäten zerlegt wird, und diese in Isolation untersucht. Die Existenz komplizierter Vernetzungen unter den Aktivitäten wird vernachlässigt. Das globale Verhalten des Systems wird nicht durch das Zusammenwirken der Aktivitäten erklärt, sondern nur durch das Wort Spanne angedeutet.

Das Instrument ist gleichgewichtig und statisch

Der Analyserahmen ist absolut statisch. Die Untersuchung produziert in der Regel ein genaues Abbild der herrschenden Situation und beschreibt den Zustand, der erreicht werden soll. Darüber hinaus wird impliziert, dass der herrschende und der zukünftige Zustand ein Gleichgewicht darstellt, das keinen Veränderungen unterworfen ist. Typische Empfehlungen, die aus der Wertkettenanalyse abgeleitet werden sind etwa: "Unsere variablen Stückkosten betragen 25 €, wenn wir 500.000 € in Effizienzsteigerungen des Produktionsprozesses investieren können sie auf 19 € gesenkt werden". Obwohl diese Informationen durchaus nützlich sind, sagen sie absolut nichts über die notwendigen Maßnahmen im Zeitablauf, bzw. die Reaktion des Systems auf diese Maßnahmen aus. Über welchen Zeitraum sollen sich die Kostensenkungen vollziehen? Soll die Kostensenkung schrittweise erfolgen oder kontinuierlich? Wie lange wird es dauern, bis die Investitionen in effizientere Produktionstechnologien greifen und die Kosten zu sinken beginnen? Sind 19 € variable Stückkosten die maximale Grenze oder werden die Kosten weiter sinken?

Das Instrument ist mechanistisch

Die Wertkettenanalyse regt typischerweise zur isolierten Optimierung einzelner Funktionsbereiche wie Kostensenkungsprogrammen in Produktion oder Servicebereich an mit dem Ziel die Spanne zu erhöhen. Derartige Aktivitäten setzen ein inhärent lineares Weltbild voraus, in dem sich isolierte Einzelverbesserungen zu einer Gesamtverbesserung addieren, was häufig nur in linearen Systemen möglich ist. Multifunktionelle Probleme erfordern konzertierte Aktionen in allen Funktionsbereichen wie Produktentwicklung, Produktion, Marketing, Vertrieb, Verkauf, Personalwesen, Finanzen und allgemeines Management. Die Reduktion der Produktqualität mit dem Ziel Kosten im Kunden-Service zu senken kann bei stark steigenden Verkaufszahlen

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aufgrund der höheren Qualität dazu führen, dass Lieferzeiten ansteigen und zusätzliche Kapazität in der Service-Abteilung notwendig wird, was die ursprünglichen Kostenvorteile zunichte macht. Eines der wenigen dynamischen Konzepte im strategischen Management ist die Erfahrungskurve. Sie geht auf die Boston Consulting Group (Boston Consulting Group 1970) zurück, die erkannte, dass sich in vielen Industriebetrieben die Stückkosten der Produktion, bei jeder Verdoppelung des kumulativen Outputs um charakteristische 10-20 % verringern. Die Erfahrungskurve ist ein typisches Black-Box-Modell, welches anstatt Erklärungen zu liefern einen bloßen empirischen Zusammenhang beschreibt. Die Prozesse, die hinter dem Phänomen der sinkenden Stückkosten liegen bleiben dabei unerwähnt. Die Annahmen, die hinter den meisten Lernkurvenmodellen stehen sind, dass sich die wachsende Erfahrung im Produktionsprozess bei den Arbeitern in höherer Produktivität, besserer Qualität oder niedrigeren Kosten niederschlägt. Die meisten Modelle messen die kumulative Erfahrung anhand des kumulativen Outputs. Diese Variable kann jedoch niemals sinken, mit dem Effekt, dass sich die Stückkostenentwicklung niemals umkehren kann. Eine unplausible Annahme wenn man bedenkt, dass die erfahrensten Arbeiter jederzeit das Unternehmen verlassen können oder eine rasche Veränderung in der Produktionstechnologie die angesammelte Erfahrung wertlos machen kann. Das Grundproblem ist darin zu suchen, dass der statistische Zusammenhang die kausalen Ursachen vernachlässigt. Lernen ist ein Prozess, der im Humankapital des Unternehmens verankert ist und nicht im kumulativen Output.

Für die quantitative Analyse von Problemen im Umfeld des Management von Organisationen stehen heute eine Reihe von Techniken aus verschiedenen Bereichen wie Spieltheorie, Ökonometrie, statistische Entscheidungstheorie oder Operations Research zur Verfügung. Diese Werkzeuge sind rigoros und ausgeklügelt und haben ihre Stärken in der Anwendung auf eine große Anzahl von Problemen bewiesen. Es ist an der Zeit diesem Repertoir Werkzeuge hinzuzufügen, die bewusst auf die Problematiken komplexer Systeme eingehen, also dynamische Komplexität sichtbar und handhabbar machen. Diese Werkzeuge ziehen darüber hinaus qualitatives und verborgenes Wissen, welches in den Menschen gespeichert ist, und für das Verhalten von Systemen mindestens genauso wichtig ist, wie quantitative Daten in die Analyse mit ein. Außerdem tragen sie dem Umstand Rechnung, dass im Zuge von Analysen komplexer Systeme immer wieder neue Informationen zu Tage treten, die sich für die Untersuchung als relevant erweisen, und ermöglichen ein exploratives und iteratives Vorgehen. Die neuen Werkzeuge stellen nicht den Anspruch optimale quantitative Lösungen zu finden sonder zeigen vielmehr verschieden Lösungsansätze mit unterschiedlichen qualitativen Eigenschaften auf.

3.4 System Dynamics

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Vierte Prämisse:

System Dynamics bietet Techniken und Methoden an, um die dynamische Komplexität sozialer Systeme abzubilden und handhabbar zu machen. Der Einsatz von System Dynamics im Management kann einen wertvollen Beitrag für eine bessere Steuerung von Unternehmen im Lichte wachsender Komplexität liefern.

3.4.1 Simulationsmodelle komplexer Systeme und Management

Intuitiv ist das Konzept komplexer Systeme auf den strategischen Entscheidungsprozess in Unternehmen anwendbar. Wenn die Wirtschaft ein komplexes System ist (Anderson et al. 1987) so kann ein besseres Verständnis der Probleme, die damit einher gehen dazu beitragen, dass bessere Modelle als Entscheidungsgrundlage verwendet werden und damit im Endeffekt Unternehmen besser gesteuert werden können. Von einem modelliertechnischen Standpunkt aus gesehen handelt es sich um Systeme, die in der Natur dynamisch sind, und für die Modelle auf Grundlage von Gleichgewicht oder Stasis unangemessen erscheinen. Ein Resultat dieser Überlegung ist, dass sowohl Prognosemodelle, als auch Modelle, die optimale Lösungen suchen zugunsten von Modellen, die es ermöglichen das System zu verstehen in den Hintergrund treten. System Dynamics bietet sowohl qualitative Instrumente für ein besseres Systemverständnis, als auch rigorose quantitative Simulationstechniken an, die insbesondere für die strategische Entscheidungsfindung in Unternehmen geeignet erscheinen.

Bei der Anwendung solcher Techniken ist es erforderlich die Rolle von Systemmodellen in der Entscheidungsfindung, welche zu großen Teilen einen politischen und sozialen Prozess darstellt zu verstehen. Um ein so komplexes Problem, wie etwa die Auswirkungen einer großen Investition auf ein soziales System zu verstehen, muss der Entscheidungsträger dem Problem in der Regel Beschränkungen auferlegen, d. h. die Komplexität des Problems so weit verringern, dass es einer Lösung zugänglich wird. Solche Einschränkungen könnten die Wahl der Systemgrenzen, die Wahl der Darstellungsmöglichkeiten des Problems oder die Strukturierung des Problems innerhalb des gewählten Rahmens sein. Die Strukturierung von Problemen ist ein sozialer Prozess, der auf Diskussion, Verhandlungen und den Werten und Weltbildern der beteiligten Personen basiert. Die Wahl verschiedener Systemgrenzen oder Darstellungsformen resultiert aber in verschiedenen Modellen. Dies reflektiert eine generelle Charakteristik sozialer Systeme. Solche sind komplex, aber zum Unterschied von naturwissenschaftlichen Phänomenen existiert keine kohärente Theorie um sie zu beschreiben. Stattdessen

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koexistieren eine Reihe verschiedener und unabhängiger Theorien. Modelle von sozialen Systemen müssen eine bestimmte Sicht eines Problems repräsentieren. Verschiedene Modelle geben verschiedene Perspektiven eines Problems und spiegeln Entscheidungen wieder, die vor dem Modellbau getroffen wurden. Es gibt kein Modell, das alle Aspekte eines strategischen Problems berücksichtigen könnte.

Demzufolge vertrete ich in meiner Arbeit die Ansicht, dass Modelle, insbesondere Simulationsmodelle komplexer Systeme Techniken, die z.B. Prognosen oder Optimallösungen liefern nicht ersetzen, aber sehr wohl ergänzen können. Die Besonderheit bei diesen Modellen besteht darin, dass diese verborgene Annahmen explizit und damit einem Diskurs zugänglich machen, als auch verschiedene Optionen für Entscheidungen aufzeigen können. Instrumente, wie System Dynamics, die dynamische Komplexität bewusst behandeln müssen dem Entscheidungsinstrumentarium im Management hinzugefügt werden um eine neue Perspektive für Probleme zu ermöglichen.

3.4.2 Die Geschichte von System Dynamics

Die Geschichte von System Dynamics lässt sich bis in das Jahr 1956 zurückverfolgen, als Jay W. Forrester an die Massachusettes Institute of Technology (MIT) Sloan School of Management kam. Die Sloan School wurde 1952 von Alfred Sloan mit dem Ziel gegründet, Management zu einer Wissenschaft zu entwickeln. Forrester sah die Chance seine in den 40er und 50er Jahren gewonnene Erfahrungen im Engeneering, der digitalen Computertechnologie und im Management in einem neuen Gebiet zu verbinden (Forrester 1989).

Initialzündung für System Dynamics war ein Beratungsprojekt bei einem Zulieferbetrieb von General Electrics. In diesem Betrieb kam es zu unerklärlichen Schwankungen von Produktion und Beschäftigung. Forrester untersuchte dieses Phänomen von einem systemischen Blickwinkel aus. Grundannahmen waren, dass ein Betrieb ein System ist, in welchem Ströme von Information, Material, Mitarbeiter und Kapital fließen, die in mathematischer Form abgebildet und berechnet werden können. Forrester entwickelte daraufhin, noch mit Papier und Bleistift, das erste System Dynamics Modell. System Dynamics wurde von Forrester damals noch als Industrial Dynamics bezeichnet. Im Jahre 1958 veröffentlichte Forrester im "Harvard Business Review" seinen ersten Artikel betreffend System Dynamics, "Industrial Dynamics – A Major Breakthrough for Decision Makers". In der Zwischenzeit entwickelte der Programmierer Richard Bennett die Simulationsumgebung "SIMPLE" (Simulation of Industrial Management Problems with Lots of Equations), um die Erstellung und Berechnung von Simulations-Modellen zu erleichtern.

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In den Folgejahren erweiterte Forrester den Ansatz einen Betrieb als System zu betrachten, zu einer modellbasierten Theorie der Unternehmung. Diese Theorie veröffentlicht er in seinem "Gründungswerk der System Dynamics", "Industrial Dynamics" (1968). Industrial Dynamics ruht auf vier Säulen, nämlich der Theorie über Feedback-Systeme, dem Wissen über Entscheidungsprozesse, der experimentellen Modellierung komplexer Systeme und dem damals im kommen befindlichen Digitalcomputer als ermöglichendes Werkzeug von Simulation. Im Jahre 1986 veröffentlichte Forrester das erste Lehrbuch über System Dynamics, "Principles of Systems".

Im Jahre 1969 erschien das Buch "Urban Dynamics", welches in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Bürgermeister von Boston, John F. Collins, entstand. In diesem Buch beschäftigt sich Forrester mit dem Problem der Stadtentwicklung. Die Aussagen und Empfehlungen, die Forrester aufgrund des entwickelten System Dynamics Modell trifft wurden in der Folge heftig kritisiert. Im Jahre 1970 erstellte Forrester ein Modell für den Club of Rome (WORLD I) und konnte diesen für die Finanzierung eines Forschungsprojektes überzeugen. Im Zuge der Zusammenarbeit wurden Industrial Dynamics in System Dynamics umgetauft.

Ein Student von Forrester, Dennis Meadows, verbesserte das WORLD I Modell zum WORLD III Modell (Meadows et al. 1974). Das auf dem WORLD III basierende Buch des Club of Rome, "Die Grenzen des Wachstums" wurde zu einem millionenfachen Bestseller.

In den 70er Jahren begann Forrester mit der Arbeit an seinem National Model. Dieses Modell soll die makro- und mikroökonomische Entwicklung der USA auf der Grundlage von empirischen Daten abbilden. In den 80er Jahren engagierte sich Forrester für den Einsatz von System Dynamics in Erziehung und Ausbildung. Im Jahre 1989 emeritierte Forrester als Germeshausen Professor Emeritus und Senior Lecturer von der Sloan School. Er arbeitet seitdem am National Model Projekt und ist Direktor des 1990 gegründeten Projektes System Dynamics in Education (SDEP) am MIT.

3.4.3 Der System Dynamics Ansatz

Systemdynamisches Modellieren ist eine Methode um die Struktur und das Verhalten von sozialen, technischen, ökonomischen und ökologischen Systemen zu studieren und die Art der Interaktion der Komponenten in diesen Systemen zu verstehen. Wie

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der Name schon sagt, spielt die Zeit eine wesentliche Rolle im Studium von Systemen. Eine der Stärken von System Dynamics ist die Möglichkeit das Zusammenspiel der Komponenten eines Systems und das daraus resultierende Verhalten des gesamten Systems im Zeitablauf zu untersuchen.

Die Philosophie von System Dynamics basiert auf drei Grundpfeilern:

1. Stock und Flow Akkumulation

2. Feedback

3. Verzögerungen

Mit diesen drei Konzepten lässt sich die Struktur eines Systems beschreiben und abbilden. Eine wichtige Annahme ist, dass das Verhalten des Systems von seiner Struktur bestimmt wird, und nicht etwa durch Faktoren, die außerhalb des Systems liegen.

Der Bau eines Modells beginnt in der Regel mit der Identifikation eines sogenannten "Reference Mode Behavior". Es handelt sich dabei um das zeitabhängige Verhalten einiger wichtiger Systemvariablen, welches das Modell zu erklären versucht.

Im nächsten Schritt entwickelt der Modellierer eine Theorie über die Struktur des Systems, welche für das "Reference Mode Behavior" verantwortlich sein könnte. Häufig kommt es dabei zu einer Zusammenarbeit zwischen dem Modellierer und System-Experten, also Personen, die mit dem jeweiligen System in engem Kontakt stehen, oder besonderes Fachwissen aufweisen. Ein positiver Effekt dieser Phase der Modellierung ist, dass teilnehmende System-Experten ihre Vorstellungen über die Struktur des Systems offen legen müssen. Divergierende Vorstellungen können bereits in dieser Eingangsphase angeglichen werden, sodass ein gemeinsames "mentales Modell" des Systems entsteht. Die Struktur des Systems wird zunächst mit "Causal Loop Diagrams" abgebildet. Das sind einfache Wort und Pfeil Diagramme, die die wesentlichen kausalen Einflüsse der Variablen abbilden.

Wie eingangs erwähnt besteht die Struktur von Systemen aus Stocks und Flows, die wichtige Abläufe beschreiben. Die Abläufe in einer Industrieunternehmung sind beispielsweise zentriert um den Fluss von Aufträgen, den Fluss von Arbeit, den Fluss von Kapital in Form von Maschinen oder den Fluss von Geld. Wichtige Flüsse in einer Gesundheitseinrichtung könnten z.B. Flüsse von Patienten, Doktoren, medizinischen Geräten oder Krankenschwestern sein.

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Die Flüsse sind Entscheidungspunkte in Systemen. Mit der Kontrolle der Flüsse sollen günstige Akkumulationen erreicht werden. Der Produktionsmanager kontrolliert den Fluss Produktion um einen Lagerbestand zu erreichen, der geringe Lieferzeiten erlaubt. Ein Manager in der Materialbeschaffung kontrolliert den Fluss Materialbestellungen um ein Materiallager zu erreichen, welches eine flüssige Produktion bei minimalen Lagerkosten gewährleistet. Während also Flüsse die Bestände bestimmen, sind diese Flüsse, oder die Entscheidungen, die diese Flüsse beeinflussen von den Beständen selbst abhängig. Es entsteht Feedback. Dieses Konzept lässt sich mittels eines Causal Loop Diagrams darstellen (Abbildung 3.3).

Zustan des Systems

Aktion

Ziel

+/-

+/-

Abbildung 3.3 Informationsfeedback

Jeder Pfeil in diesem Diagramm repräsentiert eine Ursachen-Wirkungs Beziehung. Die Polarität der Pfeile (+/-) beschreibt die Richtung des Wirkungszusammenhanges. Ein Plus-Zeichen deutet an, dass sich bei einer Erhöhung/Verminderung der Ursache die beeinflusste Variable erhöht/vermindert. Ein Minus-Zeichen deutet entgegengesetzte Wirkungen an. Also bei einer Erhöhung/Verminderung der Ursache vermindert/erhöht sich die beeinflusste Variable. Die parallelen Doppelstriche symbolisieren Verzögerungen in der Feedback-Schleife. Aus diesem Diagramm ist leicht abzuleiten, dass eine Sequenz von Aktionen entstehen muss, welche von dem Zustand des Systems abhängen, und ihrerseits den Zustand des Systems verändern. Diese Sequenz von Entscheidungen (Aktionen) verursacht das dynamische Verhalten des Systems im Zeitablauf.

Je nachdem welche Polarität in einer Feedback-Schleife dominant ist kommt es zu drei generischen Verhaltensmustern des Systems. Jedes noch so komplizierte Verhalten von Systemen entsteht aus dem Zusammenwirken dieser drei Verhaltensmuster.

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Positive Rückkoppelung

Ist die Anzahl der positiven Polaritäten gerade, so kommt es zu einer positiven Rückkoppelung von Ursache und Wirkung (Abbildung 3.4). Ursache und Wirkung schaukeln sich gegenseitig auf. Das resultierende Verhalten ist exponentielles Wachstum.

Zustand des Systems Zuwachsrate R

+

+

Zustand des Systems

20

0 0 15 30 45 60 75 90

Zeit

Abbildung 3.4 Positive Rückkoppelung

Negative Rückkoppelung

In einer Feedback-Schleife mit ungerader Anzahl positiver Polaritäten kommt es zu einer negativen Rückkoppelung (Abbildung 3.5). Das System stabilisiert sich um einen Zielzustand. Kein System kann unendlich wachsen. Schlussendlich muss jedes exponentielle Wachstum, hervorgerufen durch eine positive Rückkoppelung durch negative Feedback-Schleifen zum Erliegen gebracht werden. Negative Rückkoppelungsschleifen verleihen Systemen Stabilität.

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Zustand des

Systems

Differenz

korrektiveMaßnahme

angestrebtes Niveau des Zustandes -

+

+ +

B

Zustand des Systems

100

0 0 15 30 45 60 75 90

Zeit

Abbildung 3.5 Negative Rückkoppelung

Negative Rückkoppelung mit Verzögerung

In Rückkoppelungssystemen mit mehr als einer Variable für den Systemzustand, zeigt das zielsuchende Systemverhalten aufgrund von Verzögerungen einen oszillierenden Verlauf. Das System beginnt um den Zielwert zu schwanken (Abbildung 3.6).

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Zustand desSystems

Differenz

korrektiveMaßnahme

angestrebtesNiveau desZustandes

-

+

+

+B

Zustand des System s1

0

-1 0 150 300 450 600 750 900

Zeit

Abbildung 3.6 Negative Rückkoppelung mit Verzögerungen

Das weitere Vorgehen bei der Erstellung von Modellen soll nun anhand eines Beispiels erläutert werden.

Eine Unternehmung agiert in einem Markt, der von Wachstum gekennzeichnet ist. Das Verkaufsteam ist für die Beschaffung von Aufträgen zuständig. Je mehr Aufträge und damit Umsatzerlöse generiert werden, desto größer wird das Budget für die Verkaufsabteilung. Dies führt zu einer verstärkten Aufnahme neuer Verkäufer. Diese positive Rückkoppelungsschleife führt zu einem stetigen Anwachsen des Verkaufsteams. Das stetige Anwachsen des Bestandes der ausstehenden Aufträge führt zu einer stärkeren Auslastung der Produktionskapazität, bis zu einem Punkt, an dem die Kapazitätsgrenzen erreicht sind und somit die Lieferzeiten ansteigen müssen. Ein Ansteigen der Lieferzeiten führt zu einem Absinken der Verkaufseffektivität. Verkäufer benötigen z.B. mehr Zeit um enttäuschte Kunden zurückzugewinnen. Die Auftragseingänge sinken. Die zweite, negativ rückgekoppelte Schleife limitiert das Wachstum der Unternehmung.

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In einem ersten Schritt könnte in Zusammenarbeit mit dem Management der Unternehmung folgendes Causal Loop Diagram erstellt werden (Abbildung 3.7):

Vekaufs Team

AuftragseingängeBudget für

Verkaufsabteilung

Verkaufs-Effektivität

Lieferzeit

AusstehendeAufträge

+

+

+

+

+

+

-

R B

Abbildung 3.7 Causal Loop Diagram

Von dieser Darstellung des Systems kann man intuitiv ableiten, dass der wachstumsbeschränkende Faktor die fehlende Produktionskapazität darstellt. Das Management der Unternehmung kann das volle potentielle Wachstum ausschöpfen indem es zeitgerecht Entscheidungen über eine Kapazitätsausweitung trifft. Mit Causal Loop Diagrams ermöglicht der Modellierer eine strukturelle Erklärung der Mechanismen und des Verhaltens des untersuchten Systems. Causal Loop Diagrams werden aufgrund von Hypothesen über die Ursachen und Wirkungen in einem System erstellt. Häufig reicht diese qualitative Untersuchung bereits aus, um genügend Erkenntnisse darüber zu gewinne, wo die vielversprechenden Eingriffspunkte in ein System liegen. Bei realistischen und damit komplizierteren Systemen mit mehreren Feedbackschleifen ist eine intuitive Beurteilung der Situation jedoch oftmals nicht möglich.

In einem nächsten Schritt wird ein Stock und Flow Modell der Situation oder des Systems erstellt. Das Stock und Flow Diagramm zeigt Stocks, Flows sowie Informationsflüsse und Entscheidungsstrukturen (Abbildung 3.8).

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VerkaufsTeam

AusstehendeAufträge

Einstellungen

Auftragserfüllung Auftragseingänge

Lieferzeit Verkaufseffektivität

Budget fürVerkaufsabteilung

Abbildung 3.8 Stock und Flow Diagram

Pfeile mit Ventilen repräsentieren Flüsse von Material. In diesem Fall handelt es sich um Flüsse von Personen und Aufträgen. Kleine Wolken stellen die Grenzen des Systems dar. Für diese Untersuchung ist es nicht relevant woher die Vertreter oder die Aufträge kommen bzw. was mit den erfüllten Aufträgen außerhalb des Systems geschieht. Die Wolken stehen für Quellen und Senken ohne Kapazitätsbeschränkungen. Rechtecke stellen Bestände dar, die die Materialflüsse akkumulieren. Die Stärke der Flüsse wird durch Regulierung der Ventile beeinflusst. So bestimmt z.B. das Ventil Einstellungen wie viele Verkäufer pro Zeiteinheit aufgenommen werden. Die aufgenommenen Verkäufer akkumulieren im Bestand Verkaufs-Team. Ventile sind die Entscheidungspunkte im System. Bestände liefern die Informationen um diese Entscheidungen zu treffen. Die gebogenen Pfeile repräsentieren die Informationsflüsse, welche zu den Entscheidungen führen.

Die oben gezeigte Stock und Flow Struktur des Systems ist eine grafische Darstellung der zugrundeliegenden mathematischen Repräsentation. Jeder Bestand ist eine Integration der Flüsse, die ihn beeinflussen. Für den Zweck der Simulation wird diese Tatsache in Form von Differenzgleichungen behandelt. Die Simulation der Bestände erfolgt in sehr kleinen Zeitschritten "dt". Die Veränderung des Bestandes im Intervall "dt" entspricht dem Produkt aus "dt" mit dem Nettofluss zu Beginn von "dt". Wird "dt" infinitesimal klein, liegen Differentialgleichungen vor. Jedoch existiert für praktisch alle einigermaßen realistische Modelle keine analytische Lösung dieser Differentialgleichungen. Numerische Integration wird erforderlich. Ein Fluss wird als Funktion einer oder mehrerer Bestände ausgedrückt. War es zu Beginn von System Dynamics noch erforderlich diese Gleichungen in einer Compilerumgebung in den

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Computer einzugeben, so stehen heute bereits Softwarepakete zur Verfügung, die es erlauben, Stock und Flow Diagramme mittels "drag and drop" zu zeichnen. Die Software übernimmt intern die Umwandlung des Diagramms in Gleichungsform und alle Berechnungen.

Die Simulation der Systemgleichungen im Zeitablauf generiert das dynamische Verhalten des gesamten Systems. An diesem Punkt erfolgen umfangreiche Modell-Tests. Diese sollen sicher stellen, dass das Modell eine geeignete Abbildung der Realität darstellt. In einem so validierten Modell werden verschiedene Arten von Analysen durchgeführt, die in der Regel das Ziel haben ein unerwünschtes Systemverhalten zu beseitigen. Dabei können z.B. die Entscheidungsstrukturen im Modell verändert werden, oder die Systemstruktur selbst.

3.4.4 Systemprinzipien in System Dynamics

Die in System Dynamics vorherrschende Art und Weise wie Systeme gesehen und beschrieben werden geht auf einige Systemprinzipien zurück, die Forrester definiert hat (Forrester 1972).

Eine Grundlage im Feld der System Dynamics ist die Annahme, dass soziale Systeme als komplexe dynamische Feedbacksysteme aufgefasst werden können. Von Beginn an stand dieses Paradigma im Zentrum der Forschungstätigkeiten auf diesem Gebiet. Forrester definiert in seinem Werk Industrial Dynamics (Forrester 1961, pp. 13): "Industrial dynamics is the investigation of the information-feedback character of industrial systems...", weiters "Decisions in management and economics take place in a framework that belongs to the general class known as information-feedback systems".

Das Wort System ist heute allgegenwärtig und mit unzähligen Bedeutungen behaftet. Für die meisten Menschen ist es selbstverständlich, dass technische Systeme, wie z.B. Flugzeuge oder Atomkraftwerke vor ihrem Einsatz ausführlich geplant und getestet werden. Um das reale Verhalten dieser Systeme zu planen werden fortschrittliche Computersimulationen eingesetzt. Auf der anderen Seite erfolgt die Planung und Konstruktion sozialer Systeme wie z.B. ökonomischer, politischer oder organisatorischer Systeme meistens auf Basis von Intuition und Diskussion und ohne objektivierte Grundlage. Wenn man bedenkt, welchen Fortschritt die Wissenschaft in den letzten hundert Jahren dabei gemacht hat technische Systeme zu verstehen, ist es verwunderlich, dass es uns bisher nicht gelungen ist Erklärungen für das Missverhalten vieler sozialer Systeme zu finden. Forrester sieht die Ursachen dafür in der Abneigung der Menschen zu akzeptieren, dass menschliche Systeme wie z.B. Familien, Unternehmen und Volkswirtschaften zur selben Klasse von dynamischen Strukturen

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zählen wie Atomkraftwerke und Flugzeuge. Ein Eingeständnis dieser Art würde bedeuten, dass der Mensch die volle Kontrolle über das Systemverhalten aufgibt. Es existieren in Informationsfeedback Systemen Quellen für das Verhalten des gesamten Systems, welche nicht von den einzelnen Akteuren beeinflusst werden können. Das Verhalten des Systems ist mehr als die Summe der Ziele und Absichten der einzelnen Akteure im System. Das Konzept eines sozialen Systems impliziert, dass die Agenten im System nicht mehr gänzlich frei in ihrem Verhalten sind, sondern dieses erheblich durch ihre Umwelt beeinflusst wird (Forrester 1991).

Nach Forrester ist System Dynamics eine Theorie über die Struktur und das Verhalten komplexer dynamischer Systeme. Eine wichtige Prämisse in System Dynamics ist, dass das Verhalten eines Systems von der Charakteristik des Ganzen und nicht von den Charakteristiken der einzelnen Teile bestimmt wird (Forrester 1972). Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Diese wichtige Eigenschaft komplexer Systeme ergibt sich aus der Struktur der Systeme, das heißt der Verbindung der Elemente im System und ihrer Interaktion. Die Struktur von Systemen besteht aus einer vierstufigen Hierarchie:

1. Die geschlossenen Systemgrenzen

2. Rückkoppelung

3. Zustands- und Flussgrößen

4. Ziele, beobachtete Zustände, Unterschiede zwischen Zielen und beobachteten Zuständen und Aktionen, die darauf folgen

Unter einem System versteht Forrester „eine Anzahl von miteinander in Beziehung stehenden Teilen, die zu einem gemeinsamen Zweck miteinander operieren“ (Forrester 1972, pp. 9). Das Verhalten des Systems wird sowohl von den Teilen selbst, als auch von deren Organisation und Beziehungen untereinander beeinflusst. Die Systemgrenze definiert das interessierende System. Forrester betont „Jedes spezifische Verhalten muss durch eine Kombination von interagierenden Komponenten verursacht werden. Diese Komponenten liegen innerhalb einer Systemgrenze, die das System definiert und umschließt“ (Forrester 1972).

Forrester (Forrester 1972) definiert einige Grundsätze über die Struktur von Systemen.

Prinzip 1: Geschlossene Systemgrenzen

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Ein System mit Rückkoppelung ist ein geschlossenes System. Sein Verhalten entsteht innerhalb seiner internen Struktur. Jede Interaktion, die für das untersuchte Verhalten wesentlich ist, muss in das System eingeschlossen werden.

Systeme können in offene und geschlossene, sogenannte Rückkoppelungssysteme eingeteilt werden (Forrester 1972).

Ein offenes System reagiert auf zeitlich vorangegangene Inputs und erzeugt darauf Outputs. Diese Outputs haben jedoch keinen Einfluss auf die Inputs. Das System reagiert nicht auf sein eigenes Verhalten, also seine Outputs. Die Resultate von vorangegangenen Aktionen im System bestimmen nicht die zukünftigen Aktionen. Ein Auto für sich alleine genommen ist ein offenes System. Es kann sich nicht selbst aufgrund von vergangenen Aktionen steuern.

Ein geschlossenes oder Rückkoppelungssystem wird aufgrund seines eigenen Verhaltens in der Vergangenheit gesteuert. In einem derartigen System werden die Informationen aus vorangegangenen Aktionen im System für die Steuerung des Systems in der Zukunft verwendet. Bei diesen Rückkoppelungssystemen lassen sich zwei Arten unterscheiden:

• das negative Rückkoppelungssystem ist zielsuchend und reagiert korrigierend auf Zielabweichungen

• das positive Rückkoppelungssystem erzeugt Wachstums- und Schrumpfungsprozesse indem Aktionen aus der Vergangenheit im System in der Zukunft noch verstärkt werden.

Das Unterscheidungsmerkmal zwischen einem offenen System und einem geschlossenen System ist eine Rückkoppelungsschleife bestehend aus Information, Entscheidung und Aktion. Ein Heizungssystem, das von einem Thermostat kontrolliert wird ist ein negatives Rückkoppelungssystem. Das System strebe einem Ziel, nämlich der festgelegten Raumtemperatur zu. Es reagiert auf Abweichungen zwischen der gewünschten Temperatur und der tatsächlich vorherrschenden. Die tatsächlich vorherrschende Temperatur ist das Resultat aus vorangegangenen Aktionen. Bei einem Wachstumsprozess von Bakterien handelt es sich um ein positives Rückkoppelungssystem. Bakterien vermehren sich und lassen mehr Bakterien entstehen, was wiederum die Wachstumsrate vergrößert in diesem positiven Rückkoppelungssystem hängt die Erzeugungsrate neuer Bakterien jeweils von der

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Anzahl der Bakterien ab, die aus der in der Vergangenheit stattgefundenen Vermehrung hervorgegangen ist.

Ob ein System als offenes oder geschlossenes System klassifiziert werden sollte ist keine Frage der Anordnung oder des Wesens der Systemelemente, sondern hängt einzig und alleine vom Standpunkt des Betrachters bei der Definition des Systemzweckes ab. So ist ein Rasenmäher in einem System mit dem Zweck des Grasschneidens ein offenes System. Der Rasenmäher kann sich nicht selbst steuern weil er nicht weiß, welches Gras schon geschnitten wurde. Der Rasenmäher in Verbindung mit einer Person ergibt ein geschlossenes System mit dem Zweck eine bestimmte Fläche Rasen zu schneiden.

Die Bestimmung des Zweckes eines Systems beeinflusst die Aggregation seiner Teile. Ein System kann aus Komponenten bestehen, die selbst wieder ein Rückkoppelungssystem in Bezug auf irgendeinen untergeordneten Zweck sein können. Die Bestimmung der Komponenten eines Systems hängt also davon ab, welche Detailgetreue notwendig ist, um dem Systemzweck zu genügen.

Die Systemgrenzen umschließen das interessierende System. Die verschiedenen Verhaltensmuster des Systems werden von der Interaktion seiner Komponenten verursacht. Bei der Wahl der Systemgrenze ist es wichtig zu wissen, welches Verhalten des Systems untersucht werden soll. Hat man das interessierende Verhalten eines Systems identifiziert, wählt man die kleinste Anzahl an Komponenten aus, die im Stande sind dieses Verhalten zu erzeugen.

Prinzip 2: Entscheidungen vollziehen sich in Rückkoppelungsschleifen

Jeder Entscheidungspunkt ist von einer Rückkoppelungsschleife umgeben. Die Entscheidung kontrolliert die Aktion, die den Systemzustand verändert, der seinerseits wieder die Entscheidung beeinflusst. Ein Entscheidungsprozeß kann Teil einer oder mehrerer Rückkoppelungsschleifen sein.

Ein Entscheidungsprozeß ist ein Vorgang, der jede Systemaktion kontrolliert. Jede Entscheidung muss auf im System verfügbaren Informationen beruhen. Die Zustände im System stellen diese Informationen dar. Jede Entscheidung beeinflusst den Systemzustand. Durch den veränderten Systemzustand entstehen neue Informationen, die den Entscheidungsstrom modifizieren. Die Tatsache, dass Entscheidungen in Informations-Rückkoppelungsschleifen eingebettet sind impliziert, dass eine geschlossene Systemstruktur gefunden werden muss, die garantiert, dass die

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Ergebnisse eines Entscheidungsprozesses wieder als Informationsinput in den Entscheidungsprozeß eingehen.

Prinzip 3: Die Rückkoppelungsschleife als Strukturelement aller Systeme

Die Rückkoppelungsschleife ist das grundlegende Strukturelement in Systemen. Dynamisches Verhalten wird durch Rückkoppelung erzeugt. Komplexe Systeme setzen sich aus interagierenden Rückkoppelungsschleifen zusammen.

Ein System kann aus einer einzelnen Rückkoppelungsschleife, oder aus mehreren, ineinander verzahnten bestehen. Jede Schleife enthält einen oder mehrere Entscheidungspunkte, die die Aktionen steuern und eine oder mehrere Zustandsgrößen des Systems, die sich aus den Aktionen ergeben.

Prinzip 4: Zustands- und Flussgrößen als Elemente der Schleifensubstruktur

Eine Rückkoppelungsschleife besteht aus zwei Arten von Variablen, den Beständen oder Zuständen des Systems und den Flüssen oder Aktionen im System. Abgesehen von den Konstanten sind diese beiden Elemente hinreichend und notwendig zur Beschreibung eines Systems.

Ein geschlossenes System besteht aus Rückkoppelungsschleifen. Auf einer niedrigeren Hierarchiestufe enthält jede dieser Schleifen eine Substruktur. Die Substruktur einer Rückkoppelungsschleife wird durch Bestands- und Flussvariablen hinreichend beschrieben. Die Bestandsvariablen beschreiben den Zustand oder die Bedingungen des Systems zu jedem Zeitpunkt. Bestände akkumulieren die Ergebnisse der Aktionen in einem System. Im Gegensatz dazu bestimmen Flüsse wie sich die Bestände im Zeitablauf verändern. Flüsse bestimmen nicht den gegenwärtigen Wert der Bestände, sondern vielmehr deren Wandel. Die Flüsse oder Aktionen in einem System werden ausschließlich von den Beständen (und den Konstanten) im System beeinflusst.

Prinzip 5: Zustandsgrößen sind Integrationen

Die Zustandsgrößen integrieren (oder akkumulieren) die Ergebnisse der Aktionen in einem System. Die Zustandsvariablen können sich nicht sprunghaft verändern. Sie sorgen für Systemkontinuität zwischen den Zeitpunkten.

Die Zustandsgrößen akkumulieren die Netto-Differenz zwischen ihren Zu- und Abflussraten.

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Prinzip 6: Zustandsgrößen werden nur durch Flussraten verändert

Der jetzige Wert einer Zustandsgröße ergibt sich aus der Summe des Anfangsbestandes der Zustandsvariablen und dem Netto-Zufluss.

Zustandsgrößen hängen ausschließlich von der Akkumulation früherer Zu- und Abflüsse ab. Gegenwärtige Flussraten bestimmen nicht die Höhe des Bestandes, sondern einzig und alleine die Geschwindigkeit mit der er sich ändert. Flussraten hingegen können werden ausschließlich durch Konstanten und Bestände bestimmt und können nicht von anderen Flussraten abhängen.

Prinzip 7: Zustandsgrößen und Flussraten können nicht an ihrer Dimension unterschieden werden.

Bei der Identifikation muss darauf geachtet werden, ob die Variable durch Integration entstanden ist oder ob sie eine Aktion des Systems ist.

Augenblickliche Flussraten in einem System sind nicht messbar. Da das Messen selbst Zeit benötigt wird stattdessen eine durchschnittliche Rate über die verstrichene Zeit während des Messvorganges gemessen. Durchschnittsraten sind jedoch Bestände im eigentlichen Sinn.

Prinzip 8: Flussgrößen sind nicht augenblicklich messbar

Eine Flussrate kann nur als Durchschnitt über eine Zeitperiode gemessen werden. Eine Flussgröße kann eine andere nicht kontrollieren, außer wenn eine Zustandsvariable zwischen ihnen liegt.

Da Flussraten die Aktionen in einem System beschreiben, hören diese auf, wenn man das System einfriert. Dann sind nur mehr die Bestände im System sichtbar.

Prinzip 9: Flussraten hängen nur von Zustandsgrößen und Konstanten ab

Der Wert einer Flussvariable hängt nur von Konstanten und von den gegenwärtigen Werten der Zustandsvariablen ab. Keine Ratenvariable ist direkt von irgendeiner anderen abhängig.

Prinzip 10: Zustands- und Ratenvariablen müssen alternieren

Zustandsvariablen führen Ratenvariablen Informationen zu. Ratenvariablen können ausschließlich Zustandsvariablen verändern. Daraus folgt, dass entlang eines jeden

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Weges durch die Systemstruktur Zustands- und Ratenvariablen miteinander abwechseln müssen.

Prinzip 11: Systeme werden hinreichend durch ihre Zustandsgrößen beschrieben. Nur die Werte der Zustandsvariablen sind notwendig, um die Bedingung eines Systems vollständig zu beschreiben. Ratenvariablen sind nicht notwendig, da sie aus den Zustandsgrößen errechnet werden können. Die Zustandsvariablen beinhalten alle bleibenden und gegenwärtigen Daten des Systems. Wenn die Zustandsgrößen bekannt sind, dann können auch die Raten beschrieben werden. Die Zustandsgrößen determinieren den Status eines Systems. Prinzip 12: Die Substruktur des Systems – Ziel, Zustand, Abweichung und Aktion Eine Rate enthält ein expliziertes Ziel an dem die Entscheidung ausgerichtet ist. Sie vergleicht das Ziel mit dem beobachteten Systemzustand, um eine mögliche Abweichung zu finden, und benutzt diese Abweichung um die Aktion zu steuern.

Die letzte Hierarchiestufe in einem geschlossenen Rückkoppelungssystem betrifft die Flussgrößen. Diese stellen die Aktionen im System, in der Form von Zu- und Abflüssen zu den Beständen des Systems dar. Flussgrößen oder Aktionen werden von Entscheidungen ausgelöst. Entscheidungen sind das Ergebnis von Entscheidungsregeln, die in das System mitaufgenommen werden müssen. Eine Entscheidungsregel beschreibt, wie die verfügbaren Informationen benützt werden, um eine Entscheidung zu treffen. Die verfügbaren Informationen werden von den Beständen des Systems bereitgestellt. Die Entscheidungsregel verarbeitet diese Information in eine Entscheidung, d. h. einen Zu- oder Abfluss zu/von einem Bestand. Eine Entscheidungsregel besteht immer aus vier Komponenten.

• ein Ziel

• ein beobachteter Zustand des Systems

• die Abweichung des beobachteten Systemzustandes vom Ziel

• eine Aussage darüber, wie die Aktion von der Abweichung abhängt

Das Ziel beschreibt einen gewünschten Zustand des Systems in Form von Werten der Systembestände. Eine Abweichung des beobachteten Systemzustandes von diesem Ziel löst eine Aktion aus. In einem negativen Rückkoppelungskreis garantiert die Entscheidungsregel, dass die relevanten Zu- und Abflussraten so gesteuert werden, dass sich das System zu dem gewünschten Systemzustand hinbewegt. In einem positiven Rückkoppelungskreis hat das Ziel die umgekehrte Bedeutung. Hier ist das Ziel der Wert, von dem das System bei seinem stetigen Wachstum ausgeht.

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Forrester nennt zwei Ursachen für dynamisches Verhalten von Systemen (Forrester 1972, pp. 23):

• Rückkoppelung

• Nichtlineare Schleifenverbindungen

Das Verhalten von negativen Rückkoppelungsschleifen kann von einer gleichmäßigen Annäherung an das Ziel bis zu einer starken Oszillation bei der Zielsuche reichen. Positive Rückkoppelungsschleifen verursachen sich beschleunigendes Wachstum oder Schrumpfung. Nichtlineare Schleifenverbindungen können eine Dominanzverschiebung von einer Schleife zur anderen im Zeitablauf verursachen. Nichtlineare Schleifenverbindungen liegen vor, wenn der Effekt nichtlinear von der Ursache abhängt. Nichtlinearität in Systemen kann sich schon aus der physischen Struktur des Systems ergeben. So kann z.B. bei unzureichenden Lagerbeständen die Produktion angekurbelt werden, jedoch niemals weniger als null produziert werden, egal wie hoch der Lagerüberschuss auch sein mag. Nichtlinearitäten treten besonders häufig bei den Entscheidungsregeln im System auf.

Systeme, wie sie in System Dynamics behandelt werden sind dynamisch komplex. Die Komplexität derartiger Systeme ergibt sich aus den oft unvorhersehbaren Verhaltensmustern im Zeitablauf, die aufgrund der Interaktionen der Systemkomponenten entstehen. Im Gegensatz zu dynamischer Komplexität beschreibt kombinatorische Komplexität eine Situation, in der aus einer sehr großen Anzahl von Lösungen eines Problems die beste gefunden werden soll. Dynamische Komplexität kann schon in Systemen auftreten, die eine sehr geringe kombinatorische Komplexität aufweisen.

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4 Anwendung von System Dynamics

4.1 Ziele dieses Kapitels

In Kapitel vier habe ich dargelegt, warum Manager etwas über System Dynamics wissen sollen. Der Rest dieser Arbeit wird sich mit der Frage befassen: "Wozu, oder für welchen Zweck sollen Manager etwas über System Dynamics wissen?".

Ausgangspunkt für meine Untersuchungen bezüglich dieser Fragestellung bildet eine Erhebung des Status Quo im Feld der System Dynamics in Bezug auf folgende Fragen:

• Wo wird System Dynamics eingesetzt?

• Von wem wird System Dynamics eingesetzt?

• Wie wird System Dynamics eingesetzt?

• Wozu, oder für welchen Zweck wird System Dynamics verwendet?

Im Rahmen dieses Kapitels werde ich diese Fragen vor allem unter Einbeziehung der Literatur beantworten. Die Erhebung des Status Quo in System Dynamics ist das notwendige Fundament, auf dem aufbauend in den weiteren Kapiteln Anwendungsmöglichkeiten und –zwecke von System Dynamics für Manager identifiziert werden sollen.

Mit dem Blick auf die System Dynamics Literatur erscheint es mir an dieser Stelle angebracht zu sein, etwas auszuschweifen und einige allgemeine Überlegungen bezüglich der Abgrenzung des Feldes der System Dynamics gegenüber anderen Feldern anzustellen.

Dieses Kapitel basiert, wie erwähnt, auf einer Analyse der System Dynamics Literatur. Diese Aussage impliziert, dass ein in sich geschlossenes und von anderen Feldern abgrenzbares Gebiet "System Dynamics" existiert. Man könnte argumentieren, dass aus der Sicht eines Physikers System Dynamics nicht anderes als eine numerische Methode für die Lösung eines Systems von Differentialgleichungen darstellt, ein Techniker könnte argumentieren, dass es sich bei System Dynamics um simulierte

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Regelkreissysteme handelt, ein Psychologe könnte System Dynamics als ein Werkzeug für die Visualisierung von Gruppendynamiken sehen usw. Weiters könnte man sagen, dass SD nur eine von vielen Möglichkeiten des dynamischen Modellierens und Simulierens ist, oder bloß eine Untergruppe der Methode Simulation an sich. Z.B. hält die "Scociety for Modeling & Simulation international", eine internationale Plattform für Simulation, die sich der Anwendung, Entwicklung und Forschung in Modellieren und Simulation verschrieben hat eine jährliche Konferenz zu dem Thema ab. Andere wiederum könnten System Dynamics als eine spezielle Form der generellen Systemtheorie sehen. Mit anderen Worten, die Perspektive spielt hier eine große Rolle, vor allem dann, wenn man SD nur als dynamische Computersimulation betrachtet. Tatsächlich ist es aber so, dass sich um diesen Kern "dynamische Simulation" unzählige Techniken, Methoden, Weltanschauungen und Wissen angesammelt haben, die ein eigenes Gebiet "System Dynamics" durchaus rechtfertigen können. Zu nennen wären an dieser Stelle insbesondere die Behandlung von Softvariablen, die SD recht klar von anderen Simulationsmethoden oder hartem Operations Research abgrenzt, sowie die eingehende Auseinandersetzung mit SD als Werkzeug für Lernen, die SD über ein Dasein als reine Problemlösungsmethode hinaushebt. Etwas greifbarere Indizien für die Existenz eines eigenen Feldes sind, dass es ein eigenes Journal, den "System Dynamics Review", eigene Konferenzen sowie eine eigene Mailing-Liste gibt.

Andererseits verursacht gerade der interdisziplinäre Charakter von System Dynamics, der meiner Ansicht nach eine Folge der starken Anwendungsorientiertheit der Methode ist, Schwierigkeiten in der Abgrenzung zu anderen Feldern. Ich werden auf diese Problematik näher in Kapitel sechs dieser Arbeit eingehen.

4.2 Die System Dynamics Community

Greg J. Scholl (Scholl 1995) untersuchte in einer Studie die Struktur der System Dynamics Community. Die Studie gibt Aufschluss darüber wo, von wem und wofür System Dynamics eingesetzt wird. Die Untersuchung wurde unter den Mitgliedern der "System Dynamics Society" (Hhttp://www.albany.edu/cpr/sds/H) durchgeführt. Dabei handelt es sich um eine internationale not-for-profit Organisation, welche sich die Förderung und Weiterentwicklung von System Dynamics zum Ziel gesetzt hat. Ihre Mitglieder setzen sich aus praktizierenden System Dynamikern aus über 35 Ländern zusammen. Die System Dynamics Society bietet ein Forum für die Entwicklung des Feldes und publiziert den "System Dynamics Review", welcher sich mit der Methode selbst und Anwendungen davon beschäftigt.

163 Mitglieder der System Dynamics Society oder über 35 % der 400 Mitglieder im Jahre 1993 nahmen an der Umfrage teil. Was die Generalisierbarkeit aufgrund dieser Stichprobe anbelangt erwähnt der Autor, dass die Untersuchung einen beträchtlichen Teil der aktiven System Dynamics Praktiker weltweit berücksichtigt (Scholl 1995, p.

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139). Die Ergebnisse sind sehr aufschlussreich, und einige sollen hier etwas näher betrachtet werden.

Die Mehrzahl der Teilnehmer ist männlich, zwischen 40 und 55 Jahren alt, hält einen Doktortitel und ist länger als zehn Jahre in System Dynamics involviert.

45 % aller Teilnehme sind Professoren, 18 % Management Berater und 11 % praktizieren System Dynamics in einer Organisation. 65 % der Befragten besitzen einen Doktortitel. 32 % der Doktorate stammen aus der Betriebswirtschaft, 15 % aus dem Ingenieurswesen.

Obwohl die Mehrzahl der Teilnehmern Akademiker sind, arbeiten fast die Hälfte auch im privaten Sektor. Die Meisten Teilnehmer wenden System Dynamics im Unternehmensumfeld an, eine große Gruppe wendet System Dynamics auch im öffentlichen Bereich an.

Fast 25 % der teilnehmenden Professoren wendet System Dynamics in Form von Beratung an den privaten Sektor an.

Mehr als 62 % der Teilnehmer wenden System Dynamics in verschiedenen Bereichen wie dem Unternehmensumfeld, dem öffentlichen Bereich, methodologische Forschung in System Dynamics selbst bzw. Lehre in System Dynamics oder Umwelt und Industriepolitik an.

Befragte, die sich selbst als stark involviert in System Dynamics bezeichnen sind nicht auf die Anwendung in bestimmten Bereichen und Umgebungen konzentriert.

Die Umfrage lässt einige interessante Schlüsse bezüglich der Struktur des Feldes und der Anwendung von System Dynamics zu. Im wesentlichen kann man zwei Grundmerkmale ableiten:

1. Personelle Struktur

Praktizierende Systemdynamiker sind zu einem großen Teil Wissenschaftler (45 % der Befragten sind Professoren) oder haben eine wissenschaftliche Ausbildung (65 % der Befragten besitzen einen Doktortitel). Fast ein Drittel der Doktorate stammt aus dem betriebswirtschaftlichen Bereich.

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Fast zwei Drittel der Befragten (62 %) geben an, System Dynamics in verschiedene Bereichen anzuwenden, was darauf hinweist, dass es sich bei der Mehrzahl der System Dynamics Praktiker weniger um Experten auf einem bestimmten Gebiet, als vielmehr um Experten in System Dynamics selbst handelt.

Ich möchte an dieser Stelle kurz auf den Begriff "System Dynamics Experte" eingehen. In dieser Arbeit wird der Begriff noch einige male auftauchen, und das auch in Zusammenhängen, die eine genauere Definition erforderlich machen, sprich eine Definition, die über den allgemeinen Sprachgebrauch des Begriffes hinaus geht. Neben den allgemeinen Anforderungen eines Experten, die ich in Spezialwissen, einer speziellen Ausbildung oder spezieller Fähigkeiten sehe, kommt in System Dynamics der langjährigen und erfolgreichen Anwendung dieses Wissens eine besondere Bedeutung zu. Dies deshalb, weil im Feld der System Dynamics häufig über einen Mangel an Experten und den Wildwuchs "schlechter" Modelle durch Nicht-Experten geklagt wird.

Ein Experte in System Dynamics ist eine Person, die einerseits das notwendige theoretische Wissen besitzt, andererseits System Dynamics seit vielen Jahren erfolgreich in Beratung, Wissenschaft oder Ausbildung einsetzt und sich darüber hinaus innerhalb und außerhalb des Feldes Ansehen und Respekt aufgrund ihrer Arbeit verschafft hat.

Diese Definition spiegelt drei Gedanken wieder. Erstens ist das Feld relativ klein und überschaubar. Zweitens ist eine große Anzahl von Experten im Bereich der Beratung auch wissenschaftlich tätig. Und drittens unterscheide ich System Dynamics klar von dem in den letzten Jahren, vor allem durch Peter Senge (Senge 1990) populär gewordenem Systems Thinking, und der fortschreitenden Vermischung der Begriffe um an dieser Popularität zu partizipieren. Anders ausgedrückt, Personen, die Causal Loop Diagramme, oder kleinere Simulationen erstellen können werden in dieser Arbeit nicht als Experten bezeichnet.

2. Art der Anwendung

Die Anwendung von System Dynamics scheint stark auf Beratung an den privaten und öffentlichen Sektor ausgerichtet zu sein. Die meisten Befragten wenden System Dynamics im Unternehmensumfeld an, ein großer Teil auch im öffentlichen und sozialen Bereich. 18 % geben an Berater zu sein. 25 % der Professoren beraten im privaten und öffentlichen Bereich. Nur 11 % der Befragten wenden System Dynamics in einer (einzigen) Organisation an.

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Die Frage, ob, und wenn ja wie und in welchem Umfang System Dynamics außerhalb des Expertenkreises der System Dynamics Society angewendet wird ist schwer zu beantworten. Für eine definitive Klärung dieser Frage wäre wohl eine Erhebung größeren Umfanges notwendig. Die Schwierigkeiten bei der Durchführung einer derartigen Untersuchung wären darin zu suchen, überhaupt Unternehmungen ausfindig zu machen, die System Dynamics Simulation einsetzen. System Dynamics ist trotz der zahlreichen in der Literatur dokumentierten Erfolge im Unternehmensbereich nach wie vor eine Randerscheinung im großen Spektrum der Managementmethoden und -tools. Darüber hinaus gibt es damals wie heute das Problem, dass "Inhouse System Dynamics Studien" aus wettbewerbspolitischen Überlegungen kaum veröffentlicht werden:

"Company secrecy and lack of orientation toward publication of in-house work have restricted the flow of information about numerous manufacturing applications of system dynamics" (Roberts 1978, pp. 92).

In diesem Kapitel werde ich anhand einer Literaturanalyse versuchen Anwendungsgebiete, sowie Charakteristiken des Einsatzes von System Dynamics herauszuarbeiten. Es wird sich zeigen, dass sich einerseits die oben angesprochenen Punkte zu der personellen Struktur des Feldes und der Art des Einsatzes sowie die Problematik der Anwendung von System Dynamics außerhalb des Expertenkreises der System Dynamics Community in der Literatur widerspiegeln.

Als Unterteilungskriterium für die Anwendungsbereiche von System Dynamics wurde die Zielgruppe von Modellen gewählt. Ich werde zwei Zielgruppen unterscheiden, erstens die Öffentlichkeit und zweitens den privaten Bereich, der dadurch gekennzeichnet ist, dass sich Simulationsstudien in der Regel an einen ausgewählten Personenkreis wie z. B. das Management einer Unternehmung richten.

4.3 System Dynamics im öffentlichen Umfeld

Die zwei wichtigsten Bereiche von System Dynamics im öffentlichen Umfeld sind die Forschung sowie die Ausbildung.

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4.3.1 System Dynamics in der Forschung

Die Zielgruppe von System Dynamics im akademischen Umfeld sind der Forscher selbst, wissenschaftliche Kollegen aus dem eigenen und anderen Feldern, sowie im Falle von Studien, welche den öffentlich-politischen Bereich betreffen die Allgemeinheit. Im Gegensatz dazu werden Ergebnisse der Anwendung von System Dynamics im privaten Bereich häufig aus wettbewerbspolitischen Überlegungen geheim gehalten, richten sich also nur an einen eingeschränkten Personenkreis.

System Dynamics, ursprünglich zur Lösung von Managementproblemen in der Industrie entworfen, hat sich zu einer generellen Methode entwickelt, die in zahlreichen Forschungsgebieten angewendet wurde und wird. Der Umstand, dass System Dynamics eine Theorie über die Struktur und das Verhalten komplexer Systeme ist, und komplexe Systeme praktisch in allen Lebensbereichen auftauchen, erklärt die große Variation an Anwendungsgebieten. So wurde System Dynamics in Gebieten wie Management und Volkswirtschaftslehre, Ökologie, Industriepolitik, öffentliche Politik, Biologie, Gesundheitsmanagement und Medizin, Ingenieurswesen, Soziologie, Chemie, im militärischen Bereich sowie in der Mathematik und Physik eingesetzt.

Eine Diskussion aller dieser Einsatzgebiete in Wissenschaft und Forschung geht über den Rahmen dieser Arbeit hinaus. Ich möchte mich daher auf die Veröffentlichungen im "System Dynamics Review" beschränken. Es kann angenommen werden, dass die Veröffentlichungen in diesem Journal die Hauptanwendungs- und Tätigkeitsgebiete von System Dynamics in einem wissenschaftlichen Kontext wieder spiegeln. Weitere wichtige Medien für die Veröffentlichung von System Dynamics Forschungsergebnissen sind Journals aus dem Bereich Management wie z.B. das "Strategic Management Journal", "Sloan Management Review", "Management Science" und "California Management Review" und Journals aus dem Bereich Operations Research wie "European Journal of Operations Research" oder "Journal of the Operational Research Society".

Eine Durchsicht des "System Dynamics Review" von Frühling 1996 bis Sommer 2003 ergab, dass sich die veröffentlichen wissenschaftlichen Artikel in etwa zu gleichen Teilen auf die Gebiete

• Weiterentwicklung der Methode System Dynamics

• Management und Volkswirtschftslehre

• Ökologie und öffentliches Management

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aufteilen.

Weiterentwicklung der Methode System Dynamics

Einer der Schwerpunkte in dieser Kategorie stellen Forschungsergebnisse über Gestaltung und Anwendung von "Group Model Building" dar (z. B. Special Issue des "System Dynamics Review", Volume 13, Issue 2, 1997). Group Model Building ist ein Ansatz des Modellierens, der die "Besitzer" der untersuchten Systeme in den Prozess mit einbezieht. Der Ansatz des Group Model Building verfolgt im wesentlichen zwei Ziele. Zum ersten geht man davon aus, dass die überwiegende Mehrheit an Informationen, die für den Bau eines Modells notwendig sind, nicht in Form von Zeitreihen oder anderen schriftlichen Aufzeichnungen vorliegen, sondern vielmehr die mentalen Modelle der Systembesitzer die reichste Quelle an Informationen darstellt. Zweitens hat man erkannt, dass Personen, welche am Bau des Modells beteiligt sind immer einem starken Lerneffekt unterliegen. Die bewusste Miteinbeziehung der Systembesitzer in den Modellierprozess soll diesen Effekt fördern. Bei Veröffentlichungen zu diesem Thema handelt es sich zumeist um Fallstudien, welche Erfahrungen und Erkenntnisse mit dem "Group Model Building"-Ansatz wiedergeben (Andersen und Richardson 1997, Andersen et al. 1997b, Richmond 1997).

Management und Volkswirtschaftslehre

Zu dieser Kategorie sind Artikel über Forschungsergebnisse, welche die Anwendung von System Dynamics auf betriebs- oder volkswirtschaftliche Problemstellungen beschreiben, zu zählen. Häufig handelt es sich dabei um Generalisierungen von spezifischen Problemen, welche in Beratungsprojekten behandelt wurden. Z. B. entwickeln Doman et al. (Doman et al. 1995) ein allgemeines Modell von Lebensversicherungsgesellschaften aufgrund von Interviews mit Versicherungsexperten und Consultants. Aus diesem Modell lassen sich allgemeingültige Grundsätze über das Management solcher Unternehmen ableiten. McCray und Clark (McCray und Clark 1999) entwickeln ein allgemeines Modell um die Vorteile von Informationstechnologie Outsourcing zu bewerten.

Die Betrachtung von bekannten Problemstellungen aus einer systemischen Perspektive bildet einen weiteren Schwerpunkt in dieser Kategorie. Dabei werden Erklärungen für bekannte Phänomene mittels dynamischer Feedbacksysteme gesucht. Die Stärken von System Dynamics, komplexe Systeme mittels Stock und Flow Akkumulationen und Informationsfeedback abzubilden und die globale Dynamik von Systemen zu simulieren führt zu holistischen und kausalen Erklärungen von Problemsituationen, welche traditionell nur aus einer analytischen oder statistischen

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Perspektive betrachtet wurden. Einige Beispiele sind Produktentwicklung aus einer dynamischen Perspektive (Ford und Sterman 1998), Forecasting mit kausalen Strukturmodellen (Lyneis 2000), Produkt- und Innovationsdiffusion aus dynamischer Perspektive (Maier 1998 oder Milling 1996), dynamische Investitionsbewertung (Zahn et al. 1998) oder dynamisches Projektmanagement (Repenning 2000 oder Rodrigues und Bowers 1996).

Ökologie und öffentliches Management

Die Anwendung von System Dynamics Simulation für Untersuchungen im Bereich Ökologie, sozio-ökologische Systeme und öffentliches Management hat lange Tradition. Die schon Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre entstandenen Arbeiten "Urban Dynamics" (Forrester 1969) und "World Dynamics" (Forrester 1973) sind diesem Bereich zuzuordnen. Das World I Modell aus "World Dynamics" diente als Grundlage für den internationalen Bestseller des "Club of Rome" "The Limits to Growth" (Meadows et al. 1972). Der hohe Anteil an Veröffentlichungen im "System Dynamics Review" spiegelt den Stellenwert dieser Einsatzbereiche wieder.

Wichtige Bereiche sind "Sustainable Development" (Special Issue, System Dynamcis Review, Volume 14, Issue 2-3, 1998, Saeed 1987, Mashayekhi 1990), "Health Care" (Special Issue, System Dynamics Review Vol. 15, Issue 3, 1999, Homer 1987, Wolstenholme 1993, Homer 1993), "Reformen sozialer Einrichtungen" (Richardson und Lamitie 1989, Richardson et al. 1990, Andersen 1990) oder "Energiepolitik" (Sterman und Richardson 1985, Ford und Bull 1989, Ford 1990, Naill 1992).

4.3.2 System Dynamics in der Ausbildung

Der Einsatz von System Dynamics in der universitären und schulischen Ausbildung besitzt absolut gesehen eine geringe Bedeutung. Ich widme diesem Bereich jedoch trotzdem einen eigenen Unterpunkt weil er mir aus mehreren Gründen als wichtig erscheint:

• Erstens kann ein Wachstum des Feldes nur über die entsprechende Ausbildung des Nachwuchses erfolgen.

• Zweitens erscheint mir vor allem die Integration von System Dynamics in den Schulunterricht eine effektive Möglichkeit zu sein bereits im Jugendalter eine systemische und holistische Weltsicht zu fördern.

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Forrester (Forrester 1961) erkennt bereits in "Industrial Dynamics" das Potential von System Dynmics in der Ausbildung von Managern und widmet diesem Themenkreis ein eigenes Kapitel.

"The study of systems can provide a framework to unite subjects in the separate management functions. It can introdue the time dimension into what has previously been too static a treatment of the management process" (Forrester 1961, pp. 344).

Forrester kritisiert, dass das Management-Studium typischerweise in funktionale Bereiche aufgegliedert ist. Marketing, Produktion, Unternehmensfinanzierung, Personalwesen und Strategisches Management sind auf verschiedene Institute verteilt und werden getrennt unterrichtet. Obwohl sich Forrester natürlich auf den herrschenden Zustand in den USA zu Beginn der 60er Jahre bezieht, scheint sich, zumindest in Österreich an dieser Situation wenig geändert zu haben.

System Dynamics kann als Verbindungsglied zwischen diesen Teilbereichen des Management fungieren und zusätzlich eine dynamische Sichtweise in die Managementausbildung einbringen. Dazu ist es notwendig mit dem Studium der System Dynamics bereits am Anfang des Studiums zu beginnen. Am Ende des Studiums sollten die Studenten ausreichende Fertigkeiten im Modellieren erworben haben, um System Dynamics für Theoriebildung und Hypothesentests in Diplom- und Doktorarbeiten zu verwenden.

Die System-Dynamics-geleitete Managementausbildung soll eine neue Art von Manager hervorbringen, den "enterprise designer". Dieser verfügt ähnlich wie der Ingenieur, welcher ein Flugzeug baut, über das notwendige Wissen und die notwendigen Methoden um stabile und fehlerfrei Unternehmungen und soziale Systeme zu konstruieren. "Enterprise designers" sind in der Lage die Fehler in der Struktur und den Entscheidungsregeln von Unternehmen zu reduzieren und damit robuste Unternehmen zu bauen. Diese Ziel soll durch die Lehre von allgemeingültigen und von System Dynamics Simulationen begleiteten Fallstudien typischer Managementsituationen erreicht werden (Forrester 1998).

Graham et al. (Graham et al. 1992) beschreiben ihre Erfahrungen mit dem Einsatz von modellgestützten Fallstudien in der Managementausbildung. Traditionell werden Fallstudien dafür verwendet um unternehmenspolitische und strategische Themen zu vermitteln. Fallstudien sollen zur Diskussion unter Studenten anregen und diesen helfen, gelerntes Wissen zu organisieren und anzuwenden. Allerdings treten dabei die typischen Probleme beim Umgang und Eingreifen in komplexe Systeme auf. Hypothesen über andere Strategien oder Entscheidungen, die den Verlauf des Falles günstig beeinflussen sollen können nicht überprüft werden, die Konsequenzen müssen mental simuliert werden. Simulierte Fallstudien können unmittelbar Ergebnisse und

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Konsequenzen anderer Entscheidungen deutlich machen. Die Fallstudie dient als virtuelle Lernumgebung. Als wichtigste Vorteile dieser Methode nennen die Autoren, dass es möglich wird zu experimentieren und unmittelbare Rückmeldung über Ursachen-Wirkungszusammenhänge, welche unter Umständen zeitlich weit auseinander liegen zu erhalten. Das Ziel von simulationsgestützten Fallstudien soll die Vermittlung allgemeiner Management-Grundsätze sein, welche auf spätere reale Probleme übertragbar sind.

System Dynamics Kurse werden derzeit in mehr als 130 Universitäten weltweit angeboten. Bedeutende Universitäten in Europa sind die "University of Bergen" unter Pal Davidsen mit einem Master-programm in System Dynamics (Hhttp://www.ifi.uib.no/ H), die "London Business School" unter John Morecroft und Kim Warren (Hhttp://www.london.edu/H) das "Industrieseminar Mannheim" unter Peter Milling (Hhttp://iswww.bwl.uni-mannheim.de/ H) und die "CUSA System Dynamics Group" in Palermo unter Carmine Bianchi ( Hhttp://www.unipa.it/H). Wichtige Universitäten in den USA sind das "Programm in Environmental Science and regional Planning" unter Andy Ford an der Washington State University ( Hhttp://www.wsu.edu/ H), das "Center for Policy Research" an der University at Albany unter George Richardson und David Anderson (Hhttp://www.albany.edu/cpr/ H), "Decision Analysis and System Dynamics Resources" an der Arizona State University unter Craig Kirkwood sowie die "MIT System Dynamics Group" an der Sloan School of Management des MIT.

Neben der universitären Ausbildung hat System Dynamics auch in die schulische Ausbildung Einzug gehalten. Die "Creative Learning Exchange" (Hhttp://www.clexchange.org/ H) ist eine Organisation von Lehrern, welche es sich zum Ziel gemacht hat System Dynamics in den Unterricht zu integrieren. Die Vision der Organisation ist eine neue Art der Ausbildung in den Schulstufen von Kindergarten bis dem 12th Grad (Matura). Dabei steht Entdecken als die Essenz eines Lernprozesses und "Learner-Centered Learning", also eine größere Konzentration auf den Lernenden im Mittelpunkt.

Richmond (Richmond 1993) sieht das Schulsystem als einen wichtigen und effektiven Ansatzpunkt für die Verbreitung einer systemischen und holistischen Weltsicht. "Learner-directed-learning" (learner-centered-learning) steht im krassen Gegensatz zu der Form des Unterrichts in den letzten 200 Jahren, dem "teacher-directed-learning". Bei dieser Art des Unterrichts überträgt der Lehrer sein Wissen auf den Schüler. Lernen ist damit ein Prozess der Angleichung von Schüler an Lehrer. Ziel des Unterrichts ist es, den Schüler mit Wissen "anzufüllen". Die Leistung der Schüler wird anhand der Fähigkeit gemessen, das Gelernte wiederzugeben. Im Gegensatz dazu ist "learner-directed-learning" ein Konstruktionsprozess im dem Sinne, dass Gelerntes interpretiert und verstanden werden muss. Da es zahlreiche Facetten von Verstehen und Interpretation gibt, kann Lernen nicht standardisiert werden. Schüler konstruieren auf unterschiedliche Arten, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Reihenfolgen.

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Die Aufgabe des Lehrers in diesem Umfeld ist es, eine Umgebung zu schaffen, die es den Schülern ermöglicht, Wissen aufzunehmen, und dieses zu interpretieren.

Die "Creative-Learning-Exchange" stellt Materialien für Lehrer zur Verfügung, die diesen Prozess ermöglichen sollen. Ein wichtiger Aspekt ist die Integration von einfachen System Dynamics Modellen als Experimentierumgebung für Schüler.

4.4 System Dynamics im Privaten Umfeld

System Dynamics hat ihren Ursprung im privaten Sektor. Unter der Projektleitung von Jay Forrester untersuchten er, und einige Forschungsassistenten Ende der 50er Jahre Schwankungen in Produktion und Beschäftigung bei der "Sprague Electric Company", einem Zulieferbetrieb von "General Electrics" (Roberts 1978, pp. 90). Aus dieser Forschungstätigkeit gingen einige wichtige und grundlegende Veröffentlichungen hervor. Einerseits der erste Artikel von Jay Forrester "Industrial Dynamics: A Major Breakthrough for Decision Makers" (Forrester 1958), andererseits sein bahnbrechendes Werk "Industrial Dynamics" (Forrester 1961). In den folgenden Jahren wurden zwei Artikel veröffentlicht, die die Erfahrungen von beteiligten Personen an der ersten System Dynamics Studie wiederspiegeln. Willard Fey (Fey 1962), einer der Forschungsassistenten hatte die Verantwortung in der Implementierungsphase des Projektes. Bruce Carlson (Carlson 1963) war einer der Kontaktpersonen in "Sprague Electric". Diese Artikel sind aus mehreren Gründen interessant:

1. Zweck von System Dynamics Studien

Die interessierende Produktlinie, für welche starke Produktions- und Beschäftigungsschwankungen zu verzeichnen war befand sich in der Reifephase des Produktlebenszyklus. Sie bestand aus mehreren tausend Katalogteilen, welche in militärischen und industriellen Systemen Verwendung fanden. Für 10 % der Teile wurden Lager geführt. Es gab eine große Anzahl von Kunden deren wöchentliche Auftragsmengen stark schwankten. Die geforderten Lieferzeiten waren ebenfalls stark schwankend. Die Unternehmung operierte in einem Konkurrenzmarkt.

Der erste Problemlösungsansatz bestand darin die Detailkomplexität der Situation in den Griff zu bekommen. Dieser Ansatz schlug fehl, eine enorme Menge an unorganisierten Daten, welche scheinbar unzusammenhängende Probleme repräsentierten wurden in einem statistischen Simulationsmodell verarbeitet.

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"The model was massive, difficult to understand, and oriented not at all toward the company's aggregate managerial decision of employment, inventory and delivery delay control and their interaction with the market. It attempted to represent every operation and tranaction that occurred in the company in the hope that the important problems and their solutions would become clear when the model was analyzed". (Fey 1962, pp. 118).

Bald wurde klar was bis heute die grundlegende Perspektive jedes System Dynamics Beratungsprojektes darstellt:

• Die Studie soll ein Gefühl für die Ziele der Unternehmung, die grundlegenden dynamischen Probleme und deren Ursache entwickeln anstatt eine Übung im Sammeln von Fakten und Daten darzustellen.

• Das System soll in seiner Gesamtheit betrachtet werden.

• Zu untersuchen sind die Beziehungen zwischen den aggregierten Entscheidungen, dem gesamten Systemverhalten und Einzelentscheidungen, welche in diesem Rahmen getroffen werden.

2. Die Ziele

"Its primary value, therefore, has been the insights derived from testing various hypotheses of why the system behaves as it does in the aggreagate." (Carlson 1963, pp140).

Das Ziel jeder System Dynamics Studie ist die Erlangung von tiefreichenden Einsichten über die Ursachen eines Problems. Damit eng verbunden sind Vorschläge für eine Beseitigung der Problemursachen, sowie eine Prognose über das Systemverhalten des strukturell veränderten Systems.

3. Der Ablauf eines Projektes

"The project proceeded through a series of steps which included: study of the physical system, definition of the company's objectives, selection of the major problems, development of hypotheses relating to the causes of the problems, model formulation, model analysis, development of better policies, introduction of the proposed policies into the operating system, and evaluation of the results". (Fey 1962, pp 118).

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Der beschriebene Verlauf des Projektes hat sich bis heute im wesentlichen nicht verändert. Vor allem der iterative Charakter des Modellierens und das Testen von Hypothesen mit und durch das Modell spielen eine wichtige Rolle. Beide sind tief in der Überzeugung verwurzelt, dass dynamische Probleme systemendogene Ursachen besitzen.

4. Probleme

Die beiden Autoren nennen einige Probleme mit System Dynamics, welche als Ausgangspunkt und Anstoß für einige Entwicklungen in der Methode und deren Anwendung betrachtet werden können.

"The three most important problems in industrial dynamics in light of the Sprague experience are (1) the scope of industrial dynamics models, (2) the level of aggregation of model variables, and (3) the validation of industrial dynamics models." (Carlson 1963, pp 142)

Diese drei Probleme betreffen im wesentlichen den technischen Teil des Modellbaus. Zahlreiche Methoden und Techniken wurden entwickelt, um die drei geschilderten Probleme zu lösen (z.B. Forrester und Senge 1980).

Das zweite wichtige Problem betrifft die Implementierungsphase der durch das Modell gewonnenen neuen Entscheidungsregeln. Diese war anfangs erfolgreich, aber schon im zweiten Jahr kam es zu einem Rückfall in alte Gewohnheiten. Die häufigen Probleme mit der Implementierung der Ergebnisse führte in den Folgejahren zu immer stärker werdender Einbindung der wichtigen Entscheidungsträger in der Unternehmung mit dem Ziel die Akzeptanz der Ergebnisse zu erhöhen. Das Implementierungsproblem kann aus dieser Perspektive als Ursprung des heute wichtigen Modellieren mit dem Management für Zwecke des Lernens gesehen werden.

4.4.1 System Dynamics und Beratung

Der Name "Industrial Dynamics", Vorgänger von System Dynamics gibt Aufschluss über die vorherrschenden Einsatzgebiete in den ersten Jahren. Die kurzen Zyklen von Produktion, Lager und Beschäftigung, sowie die längeren Phasen bei den Schwingungen von Kapitalinvestitionen, Kapazitätsauslastung, Preisen und Profitabilität bei Industrieunternehmen waren ein idealer Ansatzpunkt für Inustrial

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Dynamics Studien, z.B. Schlager (Schlager 1964), Roberts (Roberts 1978 pp. 227 ff., Roberts 1978 pp. 163 ff.) oder Manetsch (Manetsch 1967).

Aber auch in Anwendungsgebieten, die Forrester als "breiter" bezeichnet (Forrester 1961 pp. 311) und für welche zum Zeitpunkt des Erscheinens von "Industrial Dynamics" noch keine Forschungsergebnisse vorlagen, konnten alsbald Erfolge erzielt werden. Z. B. im Marketing (Wright 1971), Research & Development (Weil et al. 1973, Blackmann 1974), Top-Management Structures (McPherson 1965, Weil 1978) oder im Bereich Unternehmensfinanzierung (Lyneis 1975).

In den Anfangsphasen von System Dynamics war Beratung geprägt von Auftragsforschung durch die "System Dynamics Group" am M.I.T. unter der Leitung von Jay Forrester bzw. Beratung durch Abgänger dieser Gruppe. Reine System Dynamics Beratungsunternehmen scharen sich heute zumeist um eine der vier großen Softwareprodukte, Stella/Ithink, Powersim, Vensium und Dynamo.

4.4.2 Zwecke von Modellen in der Beratung

In den Frühpahsen von System Dynamics stand das Produkt "Simulationsmodell" im Mittelpunkt von Beratungsprojekten. Später rückte der Prozess des Modellbaus, und die damit verbundenen Lerneffekte stärker in den Mittelpunkt (siehe dazu weiter unten). Was die Größe und den Zweck von Modellen in der Beratung anlangt kann man zwischen zwei Strömungen unterscheiden. Einerseits gibt es eine starke Tradition des "insight modeling" andererseits gibt es Tendenzen, welche große und mit statistischen Daten kalibrierte Modelle in den Vordergrund stellen (Lyneis 1999).

4.4.2.1 Insight Modeling

Die ersten Inustrial Dynamics Modelle hatten das Ziel, Einsicht bezüglich der Ursachen von Produktions-, Lager- und Beschäftigungsschwankungen zu erzeugen.

"A dynamic system model should therefore be expected to represent and to predict the behavior characteristics (like profitability, stability of employment and prices, growth tendencies, and typical time-phasing relationships between changes in variables) of the actual system." (Forrester 1961, pp. 125)

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"The operational use of the models discussed in this book is to predict the result that will ensue from a change in organizational form or policy. We are most interested in the direction of the major changes in system performace that will result from altering a structural realtionship or a policy in the system. Second, we wish to know the approximate extent of the system improvements that will follow." (Forrester 1961, pp. 116).

Der Zweck von Modellen dieser Tradition basiert also darauf, dass das Modell die relevanten Verhaltensmuster ungefähr wiederspiegelt und die Auswirkungen einer verbesserten Struktur oder Entscheidungspolitik ungefähr prognostizieren kann. Im Endeffekt muss es möglich sein, mit dem Modell zu einem verbesserten Design von industriellen und ökonomischen Systemen zu gelangen (Forrester 1961, pp. 115).

"insight models" sollten nach Lyneis (Lyneis 1999) verschiedene Charakteristiken erfüllen, um ihrem Zweck, nämlich Einsicht zu stiften gerecht werden zu können:

• Sie sollten es dem Modellierer und dem Kunden ermöglichen, die Verbindung zwischen Systemstruktur und problematischem Systemverhalten zu erkunden. Damit sollen Fragen beantwortet werden wie: "Warum verlieren wir Marktanteile trotz der gesetzten Maßnahmen, welche diesen Trend eigentlich umkehren sollten?", "Warum benötigen unserer Projekte mehr Personal und dauern länger als geplant?".

• Sie sollten nur jene Strukturen enthalten (Feedback-Schleifen, Verzögerungen, Stocks und Flows), die dieses problematische Verhalten erklären können.

• Sie sollten hoch aggregiert sein, das heißt wenig Detail besitzen.

Um den Zweck der Einsichtstiftung erfüllen zu können sind Modelle mit mehreren Feedbackschleifen und mindestens 20-30 Gleichungen nötig (Lyneis 1999). Am oberen Ende findet man Modelle mit 100-200 Gleichungen (Morecroft 1985, pp. 16) oder 200-400 Gleichungen (Hines and Johnson 1994). Das erste System Dynamics Modell hatte weniger als 200 Gleichungen (Carlson 1964).

Ein typisches einsichtförderndes Modell stellt das klassische "Market Growth Model" von Jay Forrester (Forrester 1968) dar. Es hat drei Feedback-Schleifen und 27 Gleichungen. Es eröffnet Einsicht darüber, warum stark wachsende Unternehmen häufig starken Schwankungen unterliegen und zeigt die Kräfte auf, welche Wachstum und Stagnation verursachen. Darüber hinaus gibt es Einsicht in Entscheidungspolitik, dass Verkäufe nicht notwendigerweise die Nachfrage wiederspiegeln, dass eine Politik, die Kapazitätsausweitungsinvestitionen and die Verkäufe knüpft dazu führt, dass die Nachfrage die aktuelle Kapazität regelmäßig überschreitet und aufgrund der längeren

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Lieferzeiten Kunden zur Konkurrenz treibt und schlussendlich, dass schnell wachsende Unternehmen für ein stetiges Wachstum darauf achten müssen die Kapazitäten rechtzeitig aufzustocken.

Der bereits weiter oben angesprochenen Studie von Scholl (Scholl 1995) zufolge baut die überwiegende Mehrzahl der Sysetem Dynamics Praktiker diese "insight Models" im Bereich von weniger als 100 Variablen.

4.4.2.2 Decision oriented Modeling

"Insight models" werden typischerweise nicht dafür verwendet Manager von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass nachhaltige und große Änderungen in Geschäftsstrategie oder Investitionspolitik notwendig sind. Diese Modelle helfen Managern dabei das Problem zu verstehen und bessere Entscheidungen zu treffen, sind aber in der Regel nicht für kritische strategische Entscheidungen geeignet.

Das Problem mit "insight models" liegt darin, dass man mit ihnen kaum Fragen beantworten kann wie: "Wie viel Kapazität soll ich anschaffen?", "Wann soll ich das Produkt auf den Markt bringen?". Diese Modelle beantworten Fragen wie: "Warum kommt es zu Schwankungen in Produktion und Beschäftigung?". "Insight Models" können also keine genauen quantitativen Aussagen treffen.

"Decision oriented Models" sind große Modelle, die den Zweck verfolgen solche quantitative Aussagen zu ermöglichen. Sie wurden erstmals Anfang der 80er Jahre von PA-Consulting verwendet um dem Kunden genaue numerische Antworten auf kritische Strategieentscheidungen geben zu können. Der Bau solcher Modelle dauert einige Monate (Ariza and Graham 2002).

In Beratungsprojekten werden die "Insight Models" als Grundlage für den Bau von großen Modellen verwendet. In diesem Prozess wird den kleinen Modellen Detail hinzugefügt. Das kann auf verschiedenen Ebenen der Fall sein (Lyneis 1980, Lyneis 1999):

• Disaggreagation von Beständen wie z.B. Produkte, Personal oder Kunden. In einem kleinen Modell können verschiedene Kategorien von Produkten, Personal oder Kunden in einem Bestand zusammengefasst werden. Wenn diese Bestände dann in verschiedene Kategorien aufgesplittet werden, z.B. verschieden Produktgruppen oder verschiedene Kundengruppen entsteht mehr Detail. Das Modell wird größer.

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• Die Aufsplittung von Beständen in verschiedene Kategorien erfordert häufig die Hinzufügung von Feedback-Schleifen, die vorher keine Rolle gespielt haben.

• Hinzufügen von externen Variablen.

• Hinzufügen eines detaillierten Finanzsektors, der die Ergebnisse der Simulation in Form von Cash Flows oder Profitabilität anzeigt.

Anschließend wird das Modell kalibriert. Es handelt sich dabei um einen iterativen Prozess, in dem die Modellparameter angepasst und die Struktur des Modells verändert wird um eine bessere Übereinstimmung zwischen Modell-Output und historischen Daten zu erreichen. Im Gegensatz zu "Insight Models", die sich auf das grobes Wissen, gespeichert in den mentalen Modellen der Systembesitzer über Ursachen-Wirkung Beziehungen verlassen, versucht man hier das Modell an tatsächliche Zeitreihen anzupassen. Dazu zählen "harte" statistische Daten, aber auch Zeitverläufe von Softvariablen wie Moral oder Kundenzufriedenheit, die von Managern geschätzt werden müssen.

Die Kalibrierungsphase ist noch aus einem anderen Grund wichtig. Einige Autoren (z.B. Homer 1997) sind der Ansicht, dass erste durch die Kalibrierung eines Modells wichtige Strukturfehler entdeckt werden können. Da "Insight Models" größtenteils auf den mentalen Modellen der Manager oder Systembesitzer basieren, und diese häufig falsch sind, kann erst durch eine Anpassung an tatsächliche Zeitverläufe der wichtigen Variablen eine entgültige Aussage über die Gültigkeit des Modells getroffen werden.

4.4.3 Charakteristiken von System Dynamics Beratung

Ungeachtet der beiden Traditionen von Modellen findet man in der Literatur einige Hinweise auf die Charakteristiken von System Dynamics Beratungsprojekten.

1. Beratung konzentriert sich auf den Unternehmenssektor

"...the predominant focus of system dynamics practitioners has been on corporate dynamics of various sorts..." (Richardson 1999).

Beratung in System Dynamics findet vorwiegend im Unternehmenssektor statt, und hier besonders bei sehr großen Unternehmen. Diese Konzentration auf große Unternehmen war bereits in den Anfangsjahren von System Dynamics zu verzeichnen. Roberts (Roberts 1978, pp. 92) listet einige Unternehmungen auf, bei welchen System Dynamics angewendet wurde: Boeing, Eastman Kodak, FMC Corporation, General

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Electrics, General Radio, Honeywell, IBM, Lockheed Missiles and Space Company, Raytheon und Texas Instruments in den USA, sowie Hitachi in Japan und Geigy Chemicals in der Schweiz. Neuere Fallstudien bestätigen diese Vermutung. Cooper (Cooper 1980) beschreibt ein Beratungsprojekt bei "Ingalls Shipbuilding", einer der damals größten Werften der Welt, mit Umsätzen von 500 Mio. $ - 800 Mio. $ Mitte der 70er Jahre und 20.000 Beschäftigten. In diesem Projekt wurde ein Modell eingesetzt um einen Rechtsstreit zwischen "Ingalls" und dem amerikanischem Verteidigungsministerium zu schlichten. Nach einem Auftrag der US-Navy kam es zu dramatischen Kostenüberläufen aufgrund von ständigen Designänderungen durch den Auftraggeber. Der Streitwert belief sich auf existenzbedrohende 500 Mio. $, einen Jahresumsatz. Das Modell wurde vor Gericht verwendet um die von "Ingalls" behaupteten Ursachen für die Kostenüberläufe zu demonstrieren. Das Modell konnte die gegnerische Partei überzeugen und man einigte sich außergerichtlich auf einen Schadenersatz von 447 Mio. $. Sterman berichtet von einem Einsatz bei General Motors (Sterman 2000, pp. 42), DuPont (Sterman 2000, pp. 66), dem Chiphersteller Symbios (Sterman 2000, pp. 449) und einer Firma mit dem Pseudonym "Fast Growth Electronics", laut Sterman (Sterman 2000, pp. 743) einem der erfolgreichsten Unternehmen in der Computer- und Elektronikindustrie. Weitere dokumentierte Fälle sind der Einsatz von System Dynamics in Verbindung mit Szenario Planung bei Royal Dutch Shell (de Geus 1992), Goodyear (Morecroft 1999) und der BBC (Delauzun und Mollona 1999). Aufgrund der sensiblen Informationen, die durch eine Veröffentlichung einer Studie der Allgemeinheit zugänglich gemacht würden, kommt es in den meisten Fallstudien zur Verwendung von Synonymen, z.B. "a large integrated forest production company" (Risch et al. 1995).

In "Industrial Dynamics" sagt Forrester (Forrester 1961, pp.365), dass die Methode sowohl in kleineren als auch in großen Firmen zu Anwendung kommen kann:

"...aggressive, rapidly growing, medium- and small-size organisations may be the places where the methods discussed in this book will have their first important impact ... the smaller organisations may be more fluid … the costs of management systems research are low enough so that thez present no great difficulty…".

Die für Klein- und Mittelbetriebe prohibitiv hohen Kosten einer Beratung mittels System Dynamics durch akademische Experten oder große Consulting-Firmen dürfte die Ursache dafür sein, dass die Methode in diesen Bereichen bisher kaum Einsatz gefunden hat. Eine Forschungsgruppe, die CUSA – System Dynamics Group um Carmine Bianchi in Palermo beschäftigt sich mit den Anwendungsmöglichkeiten von System Dynamics im Bereich von Klein- und Mittelbetrieben (Hhttp://www.unipa.it/~bianchi/H). Darüber hinaus gibt es Ansätze System Dynamics für Klein- und Mittelbetriebe über vorgefertigte Modelle zugänglich zu machen. Diese

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"user-parameterised models" sind fertige Modelle, deren Parameter über ein User-Interface an die jeweilige Situation einer Firma angepasst werden können (Arthur und Winch 2002).

2. Sporadischer Einsatz bei krisenhaften Strategieproblemen

Aufgrund der in der Literatur beschriebenen Fallstudien, die den Einsatz von System Dynamics in Beratungsprojekten schildern, lassen sich Aussagen ableiten, die die Art des Einsatzes betreffen.

James Lyneis (Lyneis 1999) berichtet aus seiner 20jährigen Erfahrung mit über 50 System Dynamics Beratungsprojekten:

"Most corporate startegic analyses are episodic, often triggered by a crisis or the need to solve an urgent problem. The result of these strategic analyses is usually a decision to take a certain set of actions, for example, to build a new plant, to enter a new market (and/or abandon others), to introduce a new product (and/or drop others), to engage in a price war, and so on."

In einer Fußnote in diesem Artikel bemerkt Lyneis:

"The primary use of modeling for business strategy remains the episodic support of specific decisions and actions."

In Kontrast zu diesem "one-shot" Ansatz des strategischen Management schlagen Weil und Lyneis (Weil und Lyneis 1980) einen iterativen Prozess vor. In diesem Strategiemanagement Prozess gibt es drei Phasen: Analyse, Planung und Kontrolle. Die Analysephase wird üblicherweise durch eine dauerhafte oder signifikante Abeichung der tatsächlichen Performance von der erwarteten ausgelöst. In dieser Phase kommt es zu einer Untersuchung der Ursachen für die Performance-Lücke und mögliche Optionen für eine Beseitigung der selben. In der Planungsphase werden mögliche Optionen bewertet, ausgewählt und implementiert.

Traditionelle strategische Analyse besteht aus diesen beiden Phasen. Nach der Auswahl und der Implementierung einer geeignet scheinenden Strategie kommt der Prozess zum Erliegen bis die nächste Krise auftaucht.

Die dritte Phase der Kontrolle fehlt typischerweise. Hier kommt es zu einer systematischen Überwachung der Performance der implementierten Strategie und

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einem Feedback von Erfolgen, Problemen, Bedrohungen, Chancen und gemachten Erfahrungen zu Analyse und Planungsphase.

Das Modell stellt einen wesentlichen Bestandteil der Kontrollphase dar. Die erwartete Performance aus der Modellprognose kann mit der tatsächlichen auf einer regelmäßigen Basis verglichen werden. Abweichungen sind ein Signal für zusätzliche Analyse. Abweichungen können z.B. Aufschluss darüber geben, dass die Strategie nicht effektiv implementiert wurde, dass sich externe Bedingungen verändert haben oder die Struktur des modellierten Systems.

Lyneis (Lyneis 1999) nennt einige Gründe warum es häufig nicht zu einer Nutzung von Modellen in dieser Art kommt:

• Das Problem ist scheinbar gelöst.

• Interne Ressourcen, welche für das Beratungsprojekt zur Verfügung gestellt wurden werden abgezogen, weil andere, dringlichere Probleme anstehen.

• Die fortlaufenden Beratungskosten, die notwendig sind um das Modell am Leben zu erhalten werden als nicht notwendig erachtet

• Die Initiatoren von System Dynamics Studien wechseln in andere Bereiche oder andere Unternehmen.

Viele, in Beratungsprojekten aufwendig errichtete Modelle, ereilt ein Schicksal des Verstaubens in Schubladen. Ist das Problem einmal gelöst, gibt es keine unmittelbare Notwendigkeit das Modell weiterhin zu pflegen und zu aktualisieren. Eine nachhaltige Nutzung von Modellen für dauerhafte Strategieunterstützung würde eine System Dynamics Kompetenz in der Unternehmung selbst erforderlich machen. Einer der Vorteile von System Dynamics Wissen in einer Unternehmung wäre die Möglichkeit, die Arbeit von Beratungsprojekten mit unternehmenseigenen Ressourcen fortzuführen.

Gerade darin liegt aber das Problem wie Canovi et al. (Canovi et al. 2002) beschreiben. Die Autoren schildern die zahlreichen Widerstände und Hürden, die bei der Etbalierung einer System Dynamics Kompetenz in einer Unternehmung entstehen können. Stabstellenartige organisierte Gruppen, welche mittels System Dynamics strategische Ratschläge erteilen, können diese Kompetenz wahr nehmen. Um Modelle in dieser Art einsetzen zu können benötigt man:

• Die technischen Fähigkeiten um das Modell einzusetzen, d. h. das Modellverhalten zu untersuchen und zu beurteilen.

• Die Fähigkeit kritische strategische Probleme zu identifizieren und aufgrund des Modells Empfehlungen abzugeben.

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• Ideal, aber nicht notwendig wären die Fähigkeiten Modelle kalibrieren zu können, einem bestehenden Modell neue Struktur hinzuzufügen und schlussendlich eigene Modelle entwickeln zu können.

Externe Experten sind erforderlich, um den Aufbau einer unternehmensinternen System Dynamics Kompetenz ins Laufen zu bringen. Diese sollen zu Beginn Basiskonzepte vermitteln und dabei helfen die notwendige Infrastruktur aufzubauen.

Der Bau einer unternehmensinternen System Dynamics Kompetenz gestaltet sich aus mehreren Gründen schwierig:

• Die System Dynamics Gruppe konkurriert häufig mit Strategieanalysten aus anderen Abteilungen oder Geschäftseinheiten

• Der Wert von System Dynamics Analysen wird aufgrund von Unkenntnis der Methode nicht wahrgenommen.

• Es dauert relativ lange, bis die Gruppe so weit ist, gute Analysen abliefern zu können.

• Verantwortliche Manager, welche Budget für die Gruppe zur Verfügung stellen wechseln in einen anderen Bereich oder in ein anderes Unternehmen

• Die Gruppe erscheint entbehrlich und ist ständig von Kostensenkungsmaßnahmen bedroht.

• Externe Experten sind auch in Zukunft notwendig, was Kosten verursacht.

4.4.4 Phasen eines Beratungsprojekts

"Models are not brought by storks" (Rbinson 1976).

Modelle entstehen nicht in Isolation. Modelle werden durch menschliche Interaktion und die Umgebung geformt, sie benötigen Zeit, Geld und Geduld um in etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu münden. Obwohl der Kern und das Endprodukt jeder System Dynamics Studie ein Simulationsmodell ist, gibt es seit jeher eine starke Betonung des Prozesses, der zu einem Modell führt.

Der prozessuale Charakter von System Dynamics lässt sich auf zwei Hauptursache zurückführen: Erstens, mit System Dynamics versucht man Probleme zu lösen, welche in sozialen Systemen auftreten. Zweitens, auf einer Metaebene erfolgt der Prozess des

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Modellbaus in sozialen Systemen. Die wichtige Rolle, welche soziale Systeme in System Dynamics spielen, hat bereits früh dazu geführt, dass die Zielgruppe der Studien, die Systembesitzer oder Kunden in den Prozess des Modellierens mit einbezogen wurden. Dies erfolgt aus mindestens vier Gründen:

1. Soziale Systeme und die Systemgrenze

"Das Problem" hat in System Dynamics eine besondere Bedeutung. In der Regel ist es nicht möglich und zielführend ein System in seiner Gesamtheit zu modellieren. Geschlossene Rückkoppelungssysteme stehen selten alleine im "luftleeren" Raum, sondern sind in eine Hierarchie von Systemen eingebettet. Dabei hängt der Zweck eines Systems alleine vom Standpunkt des Betrachters ab, und nicht etwa von der Existenz oder Anordnung der Systemelemente. Ein Motor ohne Geschwindigkeitsregler ist ein offenes System in Bezug auf die Regulierung der Geschwindigkeit. Der Einbau eines Geschwindigkeitsreglers mit konstanter Vorgabe ist ein geschlossenes System mit konstanter Geschwindigkeitsvorgabe. Es entsteht ein geschlossenes System mit dem Zweck "Laufen mit konstanter Drehzahl".

Ist der Motor teil eines übergeordneten Systems, etwa eines Rasenmähers, so ist das resultierende System in Bezug auf den Systemzweck Grasschneiden ein offenes System. Nimmt man eine Person hinzu, welche das Gras schneiden soll, so ergibt sich ein geschlossenes System. Der Bedienende und der Mäher bilden ein zielsuchendes Rückkoppelungssystem. Die Person mit dem Rasenmäher ist ein offenes System, wenn sie Teil eines Gartenbauunternehmens ist in Bezug auf die Abfolge von Graspflegeeinsätzen, welche die Kundenwünsche erfüllen sollen. Nimmt man das Management der Unternehmung hinzu, so entsteht ein geschlossenes System mit dem Zweck der Befriedigung der Graspflegebedürfnisse der Kunden (Forreste 1972). Das einzelne Unternehmen ist Teil der Gartenbaubranche, diese Teil des Servicesektors und dieser Teil einer Volkswirtschaft usw.

Man sieht also, dass es bei der Modellierung eines gesamten Systems zu erheblichen Schwierigkeiten in der Setzung der Systemgrenzen kommen kann. Der Umstand resultiert aus dem Fehlen eines Bezugspunktes, welcher das interessierende System definiert.

"A model should be designed to answer specific questions. A systems study must be for a purpose if it is to be produtive. The questions must be meaningful and tangible and specific if thez are to serve to guide a program. Determining the problems and the goals is the most critical part of almost any undertaking." (Forrester 1961, pp. 449).

Um das interessierende System eingrenzen zu können benötigt man eine klare Definition des Problems und des Ziels der Studie.

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"But given a purpose, one should then define the boundary which encloses the smallest permissible number of components." (Forrester 1968)

Die Definition von Problem und Ziel ist eine wichtige Voraussetzung jedes System Dynamic Projekts. In einem Beratungsprojekt wird dies notwendigerweise mit den Systembesitzern geschehen, welche das Problem am besten kennen. Die Systembesitzer sind von Beginn an in den Prozess des Modellbaus miteinbezogen.

2. Datenquellen

Simulationsmodelle bestehen aus Beständen, welche die materiellen oder physischen Flüsse im System akkumulieren. Diese Struktur spiegelt Annahmen über die physische oder institutionelle Umgebung wieder. Die Akkumulationen werden durch Entscheidungsregeln bestimmt, welche auf einem Netz von Informationsflüssen über die aktuellen Bestände basieren. Die Abbildung der physischen Struktur eines Systems, d. h. die Abbildung der Materialflüsse ist relativ einfach. In einem Produktions-Distributions-System ist es relativ problemlos den Lauf der Materialflüsse von Einkauf des Rohmaterials über Produktion, Lager bis Versand an den Kunden zu verfolgen. Viel komplizierter ist es, die Entscheidungsstrukturen, welche diese Flüsse bestimmen offen zu legen. Um aus einem Modell hilfreiche Ergebnisse ableiten zu können ist es darüber hinaus zwingend erforderlich, nicht etwa die offiziellen, sondern die informellen und tatsächlichen Entscheidungsstrukturen zu modellieren. Die Struktur, welche die Entscheidungen in einem System beschreibt repräsentiert die Aktionen der Akteure. Dabei ist eine Entscheidungsregel eine Informationsverarbeitung, welche einen Strom an Entscheidungen hervorbringt. Im Gegensatz zu technischen Systemen, in welchen die Entscheidungspunkte häufig Parameter sind, die von außerhalb des Systems gesteuert werden, müssen die Entscheidungsregeln von sozialen Systemen in das Modell aufgenommen werden um vernünftige Aussagen ableiten zu können. Die Entscheidungen der Akteure sind Bestandteil des Systems.

Neben den für das Systemverhalten wichtigen Entscheidungsregeln der Akteure gibt es noch eine zweite Kategorie an Systemelementen, welche nicht einfach identifiziert werden können. Es handelt sich dabei um sogenannte "Softvariablen". Diese stellen Konzepte dar, welche häufig schlecht oder überhaupt nicht messbar sind, jedoch für das Systemverhalten große Bedeutung aufweisen. Typische Beispiele von Softvariablen sind Mitarbeitermotivation, Kundenzufriedenheit mit dem Produkt oder Zufriedenheit der Investoren.

Für den Bau von Modellen gibt es drei wichtige Arten von Datenquellen (Abbildung 4.1): Mentale Modelle, schriftliche Aufzeichnungen und numerische Aufzeichnungen.

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Abbildung 4.1 Datenquellen in für Modelle

Bewegt man sich von oben nach unten in dem Diagramm, so nimmt der Umfang an Information in der jeweiligen Kategorie stark ab. Die wichtigste Kategorie an Informationsquellen für den Bau von Modellen sind die mentalen Modelle der Systembesitzer. Die in den Köpfen der Menschen gespeicherte Information über Struktur und Entscheidungsregeln ist bei weitem die umfangreichste. Effektiver Modellbau ist ohne diese Information nicht möglich.

Alphanumerische oder geschriebene Information besteht einerseits aus gefilterter Information aus mentalen Modellen oder Interpretationen anderer Informationsquellen. Alphanumerische Information ist ebenfalls eine wichtige Quelle für den Modellbau. Allerdings bestehen in dieser Kategorie zwei wesentliche Nachteile gegenüber Information in mentalen Modellen. Erstens kann geschriebene Information im Zuge der Suche nach Übereinstimmung von Struktur und Verhalten von Systemen nicht befragt werden. Zweitens wurde die geschriebene Information bereits einem Filterprozess unterzogen, welcher der Wahrnehmung und dem Zweck des Urhebers der Schrift gerecht wurde.

Numerische Daten sind aus zwei Gründen wichtig für den Modellbau. Erstens enthalten numerische Aufzeichnungen oft Werte für Parameter oder Konstanten eines Modells, wie z. B. durchschnittliche Lieferzeiten, Lagersicherheitsbestände, Dauer für Neubesetzung von offenen Stellen, Abschreibungsdauer von Kapitalinvestitionen usw. Zweitens liegen häufig Zeitreihen vor wie z. B. Umsatzentwicklung, Personalstand, Lager und Produktionsentwicklung usw. Diese Zeitreihen ermöglichen die Anpassung des Modells an die Realität. Wesentlicher Nachteil von numerischen Daten ist die Tatsache, dass sie keinerlei Information bezüglich verursachender Struktur oder Entscheidungsregeln beinhalten. Numerische Daten geben keine Auskunft über die Ursache der sie erzeugenden Prozesse (Forrester 1992).

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Die Einbeziehung der Systembesitzer in den Modellbau als Datenquelle ist also aus diesem Blickwinkel unausweichlich. Insbesondere die Bedeutung tatsächlicher Informationsflüsse und Entscheidungsregeln in System Dynamics Modellen macht dies erforderlich.

3. Lernen

In den Anfangsjahren von System Dynamics stand die Rolle des Systembesitzers als Datenquelle für Problemdefinition und strukturelle Informationen des Systems im Vordergrund. Im Laufe der Jahre hat man erkannt, dass mit dem Bau eines Modells ein erheblicher Lerneffekt einher geht. In den letzten Jahren hat sich die Methode System Dynamics stark in die Richtung "Modellieren mit dem Management" oder "Modellieren für Lernen" entwickelt. Das Produkt Simulationsmodell ist etwas zugunsten des Prozesses des Modellierens und des damit verbundenen Lerneffektes in den Hintergrund getreten. Ich werde auf diese Entwicklung ausführlich in Punkt xxxx eingehen.

Nachdem ich dargelegt habe, warum die Systembesitzer sehr häufig stark in den Prozess des Modellierens einbezogen sind, möchte ich nun auf die Phasen eines Beratungsprojektes näher eingehen. Im Folgenden werden die Begriffe "Phasen des Modellbaus" und "Phasen eines Beratungsprojektes" synonym verwendet. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Begriffen liegt darin, dass etwa beim Bau eines theoretischen Modells in der Regel die Implementierungsphase der gewonnenen Erkenntnisse fehlt. In System Dynamics hatte das Ziel des Problemlösens in Form von "besseren" Entscheidungsregeln oder einer "besseren" Systemstruktur immer eine große Bedeutung. System Dynamics war und ist eine sehr angewandte Wissenschaft. Wahrscheinlich aufgrund ihrer historischen Wurzeln, "Lösen von Problemen, welche in industriellen Systemen auftreten" war die Implementierungsphase immer ein wichtiger Bestandteil des Modellierungsprozesses.

Die erste Beschreibung der Phasen eines Modellierungsprozesses findet man in Industrial Dynamics (Forrester 1961, pp. 13).

• Identifikation eines Problem.

• Isolierung der Faktoren deren Zusammenwirken scheinbar das beobachtete Symptom verursachen.

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• Verfolgung der Ursachen-Wirkungs Rückkoppelungsschleifen, welche Entscheidungen mit Aktionen verbinden und über resultierende neue Informationen zu neuen Entscheidungen

• Formulierung von Entscheidungsregeln, die beschreiben, wie Entscheidungen aus einem Strom von verfügbaren Informationen entstehen.

• Konstruktion eines mathematischen Modells der Entscheidungsregeln, Informationsquellen und Interaktion der Systemelementen.

• Generierung des Verhaltens über die Zeit.

• Vergleich des Modelloutputs mit allen vorhandenen Informationen über das System.

• Bearbeitung des Modells bis es das reale Verhalten des Systems in akzeptabler Form wiederspiegelt.

• Implementierung der Modell-Empfehlungen im realen System.

Diese eher technisch und modellzentrierte Anleitung des Modellbaus von Forrester wurde in der Folge von einigen Autoren weiterentwickelt. Einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung von System Dynamics leistete Jorgen Randers (Randers 1980).

Randers kritisiert in diesem Artikel, dass:

"In spite of the exixtence of innumerable social system models, there is not much available literature, and probably not much existing knowledge about the process by which such models are constructed."

Der Prozess des Modellbaus kann demnach in vier Hauptphasen unterteilt werden: Konzeptionierung, Formulierung, Testen und Implementierung. Diese vier Phasen werden nicht sequentiell durchlaufen, sondern es besteht ein ständiger Wechsel von einer Phase zur nächsten und wieder zurück, basierend auf den Informationen, die in den einzelnen Phasen gewonnen werden.

Die Konzeptionierungsphase etabliert den Fokus der Studie, die generelle Perspektive und den Zeithorizont. In dieser Phase macht sich der der Modellierer mit dem Problem vertraut. Die Fragen "Was verursacht ein bestimmtes Phänomen" bzw. "Welche wahrscheinlichen Auswirkungen hat eine bestimmte Strategie auf das System" müssen beantwortet werden. In dieser frühen Phase eines Projektes ist es erforderlich, sich auf einen "sozialen Prozess" statt auf ein "Modell eines sozialen Systems" zu konzentrieren. Der "soziale Prozess" wird als "Reference Mode" bezeichnet. Der "Reference Mode" ist das Verhalten des Systems im Zeitablauf und wird durch die

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"Basic Mechanisms", also dem "Modell eines sozialen Systems" hervorgerufen. Die Konzentration auf den "Reference Mode" in der Anfangsphase erleichtert die Eingrenzung des interessierenden Systems auf die minimale Anzahl der Ursachen-Wirkungs-Beziehungen, welche im Stande sind, den "Reference Mode" zu erzeugen. Der "Reference Mode" kann eine tatsächlich bestehende Zeitreihe sein oder ein gemutmaßtes Verhalten einer Variable über die Zeit (Randers 1980). Nachdem das Problem in Form des "Reference Mode" in Bezug auf Art und Zeithorizont klar definiert wurde, entwickelt der Modellierer Erklärungen für seine Ursachen. Diese Erklärungen entsprechen einer Theorie, oder einer dynamischen Hypothese. Die dynamische Hypothese erklärt wie das Problemverhalten endogen aus der Zusammenwirkung von Elementen und Akteuren des Systems entsteht.

In der Formulierungsphase wird ein quantitatives Simulationsmodell erstellt. Sowohl die genaue Struktur, als auch die Entscheidungsregeln der Akteure werden in das Modell aufgenommen. Parameter müssen geschätzt und die Anfangsbedingungen der Systemelemente müssen festgelegt werden. Wichtig ist außerdem die Auseinandersetzung mit etwaigen nichtlinearen Beziehungen zwischen den Systemelementen. In der Formulierungsphase wird ein quantitatives Modell gebaut, welches als Abbild der Realität und Experimentierumgebung dient.

In der Testphase wird die dynamische Hypothese mittels des erstellen Abbildes der Realität überprüft. Zahlreiche Testverfahren stellen sicher, dass das Modell eine genügend genaue und verlässliche Abbildung der Realität darstellt. Dabei ist der Zweck des Modells das Kriterium anhand dessen seine Validität gemessen wird (Forrester 1980). Die Testphase hat häufig großen Einfluss auf die Ergebnisse aus Konzeptionierungs- und Formulierungsphase. Oft muss nach eingehenden Tests und den daraus resultierenden Erkenntnissen über das System die dynamische Hypothese verändert oder die Modellstruktur angepasst werden. Die Iterationen zwischen Konzeptionierung, Formulierung und Testen enden, wenn ein Modell erstellt wurde, dem sowohl Modellierer als auch Kunde ausrechendes Vertrauen entgegenbringen.

In der Implementierungsphase werden neue Strategien entwickelt, und die Modellempfehlungen im realen System umgesetzt. Die Entwicklung neuer Strategien ist in der Regel nicht ein bloßes optimieren des vorhandenen Parameterraums, sondern umfasst häufig die Änderung der Systemstruktur oder der Entscheidungsregeln.

Die Einteilung des Modellbau-Prozesses in Konzeptionierung, Formulierung, Testen und Implementierung hat sich mit mehr oder minder großen Abweichungen in den Unterteilungen der einzelnen Phasen als Standard in System Dynamics

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herausgebildet. Richardson und Pugh (Richardson und Pugh 1981, pp. 16) unterteilen den Prozess in: "Problem identification and definition", "System conceptualization", "Model formulation", "Analysis of Model behavior", "Policy analysis" und "Model use or implementation". Sterman (Sterman 2000, pp. 87) unterscheidet fünf Phasen: "Problem articulation (boundary selection)", "Dynamic Hypothesis", "Formulation", "Testing", "Policy formulation and evaluation" und "Decisions".

4.4.5 Neuere Entwicklungen in System Dynamics

Die Einbeziehung der Systembesitzer in den Modellierungsprozess war von Beginn an ein wichtiges Kriterium für den Erfolg von System Dynamics Studien. Wie bereits im vorigen Abschnitt erwähnt, erfolgte dies in erster Linie für Zwecke der Datenbeschaffung für den Modellbau über Struktur, Entscheidungsregeln, Softvariablen und Parameter.

"A client typically served as a source of information inputs and as an audience for presentation of our work" (Weil 1976).

In der Anfangsphase von System Dynamics stand das Produkt Simulationsmodell und die daraus gewonnenen Erkenntnisse für die Lösung eines Problems im Vordergrund.

"The prupose of industiral dynamics models is to aid in the design of improved industrial and economic systems" (Forrester 1961).

Das Problem, welches mit einer modellzentrierten Herangehensweise in Beratungsprojekten entsteht beschreibt Roberts (Roberts 1977):

"The prime asset of model-building is the breadth of ist practice; the prime liability is the narrowness of ist implementation".

Von den üblichen Aktivitäten im Modellbau wie sie im vorigen Abschnitt beschrieben wurden, kommt es selten zu einer Umsetzung der letzten und wichtigsten Phase: Implementierung. Der Hauptgrund für dieses Implementierungsversagen liegt in der mangelnden Akzeptanz der Modellergebnisse durch den Kunden. Eine erfolgreiche Implementierung erfordert, dass der Auftraggeber die Ergebnisse akzeptiert weil er sie versteht und Vertrauen in sie hat. Roberts nennt einige Aspekte, welche die Umsetzung der Implementierungsphase erleichtern sollen. Ein besonders wichtiger

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Punkt, welcher später von zahlreichen Forschern aufgegriffen wurde und sowohl System Dynamics als auch Beratung mit System Dynamics radikal verändert hat ist:

"Clearly the client should be involved as much as possible,..." (Roberts 1977).

Die Chancen für eine erfolgreiche Implementierung der Modellergebnisse steigen nach Roberts, wenn der Kunde von Beginn an in den Prozess des Modellieren mit einbezogen ist. Roberts spricht in diesem Zusammenhang vor allem die Wünsche des Kunden in Bezug auf die Detailliertheit des Modells an, sowie die Ausrichtung der Testphase auf den Kunden. Die wesentliche Erkenntnis ist, dass die Erzeugung von Einsicht bei den Systembesitzern, welche im Zuge des Modellierens entsteht eine erfolgreiche Implementierung erleichtert (Roberts 1977, Weil 1976, Robinson 1976).

Einsicht bei den Systembesitzern ist nicht nur von einem Standpunkt der besseren Implementierbarkeit aus wichtig, sondern als Ergebnis eines Projektes an sich. Die Ermöglichung von Lernprozessen ist, neben der historischen Problemlösung heute ein zentrales Element von System Dynamics Beratung. Das Produkt "Simulationsmodell" ist zugunsten des "Prozesses des Modellierens" und den damit verbundenen Lerneffekten in den Hintergrund getreten.

4.4.5.1 Das Versagen des Expert-Consulting Ansatzes

Ein typisches Beratungsprojekt kann charakterisiert werden durch die Rollen, die ratsuchende Kunden und ratgebende Experten einnehmen. Ein Managementteam, welches mit der Lösung eines Problems betraut wurde, gelangt zu der Ansicht, dass externer Expertenrat notwendig ist. Das Managementteam akzeptiert, dass der Berater ein Experte in einer Methode ist, welche geeignet erscheint das Problem zu analysieren und zu lösen. Der Berater seinerseits wendet die Techniken, mit welchen er vertraut ist auf das Problem an, und liefert die Lösung zurück an das Team. Dabei ist die Natur des gelieferten Produktes ausschlaggebend. Das Produkt könnte ein Modell, die Ergebnisse eines Modells oder die Interpretation der Ergebnisse sein. In der Regel wird das Produkt aber als eine "richtige Antwort" auf ein Problem präsentiert werden.

Lane (Lane 1994) nennt drei Hauptgründe für das Scheitern des Expertenansatzes:

1. Mangel an Akzeptanz der Ergebnisse

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Der Berater arbeitet getrennt vom Management Team an der Lösung des Problems. Er bewegt sich lange Zeit in der abstrakten Welt, die von den verwendeten Werkzeugen vorgegeben werden, um das Problem zu verstehen. Die Resultate, welche in diesem Prozess entstehen, werden oftmals von den Kunden nicht verstanden, weil diese die verwendeten Werkzeuge nicht verstehen. Die Kunden haben das Gefühl, dass sich die Lösung zu weit von der Realität entfernt hat.

2. Zurückweisen der Expertenrolle

Das zweite Problem entsteht aus der Rollenverteilung zwischen Kunde und Experte. Der Experte wird als Lehrer angesehen, seinem höheren Wissen muss vertraut werden obwohl es nicht voll verstanden wird. Der Kunde ist der Schüler, der dieses Wissen bereitwillig aufnimmt. Der Kunde akzeptiert diese Rollenverteilungen jedoch häufig nicht, da er nicht bereit ist den Berater als Fachmann in seinem geschäftlichen Bereich anzuerkennen.

3. Isolierte Problemlösung

Jedes Problem ist in ein Netzwerk von politischen und kulturellen Machtverhältnissen eingebettet. Eine Problemlösung, die das Schicksal der Betroffenen ignoriert, riskiert abgelehnt zu werden. Insbesondere analytische Lösungsverfahren laufen Gefahr, Teilprobleme aufzugreifen, welche mit dem Instrument attackiert werden können, oder Probleme übergebühr zu abstrahieren. Das Ergebnis ist eine Problemlösung, welche aus dem sozialen Kontext gerissen ist und wenig Akzeptanz findet.

Die genannten Probleme können überwunden werden wenn man an statt des Produktes "Modell" oder "Resultat" das Produkt "Prozess" fokusiert. Dabei ist neben der Lösung eines Problems das "Lernen" ein zentrales Element des Beratungsprojektes. Lane (Lane 1994, pp. 95) beschreibt den neuen Ansatz wie folgt:

"'Modeling as Learning' is a consultancy methodology for decision support that involves the use of analytical tools in close association with the clients. The consultants act as facilitators of the group process. They provide an interactive framework for capturing clients' ideas and assumptions in a form that is both straightforward to understand and amenable to the application of suitable analytical tools. The resulting models give the clients the ability to check the cohreence of their ideas by considering consistency and consequence. They also provide a representation of a business system on whcik

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experiments with strategy can be performed. The goal of the process is to enhance the clients' understanding of the appropriate business issues, to focus discussion, and to generate new options and ideas which therefore improve decision making."

Lane's Ansatz für Expertenberatung deckt sich mit dem was im Feld der System Dynamics als "Modeling with Management" (Richardson 1996, Vol. II, Part 2), "Group Model Building" (Vennix 1996) oder "Modeling for Learning Organizations" (Morecroft und Sterman1996) bezeichnet wird.

Im Zentrum dieser neuen Strömung, welche in den letzten 15-20 Jahren enorm an Bedeutung gewonnen hat, steht das Modellieren zu Zwecken des Lernens. Zahlreiche Theorien, Methoden und Prozesse wurden entworfen um dieses Ziel zu erreichen. Bevor ich näher auf diese verschiedenen Aspekte eingehe ist es jedoch erforderlich zu definieren was man unter "Lernen" versteht.

4.4.5.2 Eine Definition von Lernen

"Lernen" ist im Feld der System Dynamics relativ klar definiert und umschießt in der Regel das Konzept des "mentalen Modells". Lernen erfolgt, wenn sich die oft vagen und falschen mentalen Modelle der Menschen über die Realität dieser Realität näher kommen.

Man kann zwei Arten von Lernen unterscheiden (Argyris und Schön1978):

Single-Loop-Learning (Abbildung 4.2)

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Reale Welt

Informations- Feedback

Mentales Modell der Realität

Strategien, Strukturund

Entscheidungsregeln

Entscheidungen

Abbildung 4.2 Single Loop Learning

Die mentalen Modelle der Menschen inkludieren ihre Vorstellungen über das Netzwerk von Ursache-Wirkung Verhältnissen der realen Welt, wie ein System funktioniert, welche Variablen als wichtig erachtet werden bzw. welcher Zeithorizont als relevant betrachtet wird. Mentale Modelle sind die Grundlage aller Handlungen. Die Ergebnisse dieser Handlungen in Form von Feedback aus der Realität werden beim "Single-Loop-Learning" im Lichte der bestehenden mentalen Modelle Interpretiert. Folgende Situation charakterisiert "Single-Loop-Learning": In einem bisher stark wachsenden Unternehmen kommt es zu einem Abflauen des Umsatzwachstums. Eine Analyse der Situation ergibt, dass die Rate der zur Konkurrenz abwandernden Kunden zugenommen hat. Die Manager, überzeugt von der schwierigen Marktlage und der scharfen Konkurrenzsituation beschließen den Preis zu senken und ordnen Überstunden in der Verkaufsabteilung an.

Double-Loop-Learning (Abbildung 4.3)

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Reale Welt

Informations- Feedback

Mentales Modell der Realität

Strategien, Strukturund

Entscheidungsregeln

Entscheidungen

Abbildung 4.3 Double Loop Learning

Im Gegensatz dazu kommt es beim "Double-Loop-Learning" angesichts unerwünschter Konsequenzen von Aktionen in der realen Welt zu einer In-Frage-Stellung der bestehenden mentalen Modelle. In der oben beschriebenen Situation würden die Manager die scharfe Konkurrenzsituation als Ursache für das unerwünschte Verhalten in Frage stellen. Vielleicht waren Produktions- und Supportabteilung überlastet? Vielleicht haben sich die Anforderungen der Kunden in Bezug auf Funktionalität des Produktes geändert?

Die Art des angestrebten Lernprozesses in System Dynamics ist das "Double-Loop-Learning". Zahlreiche Eigenschaften in dem Rückkoppelungssystem welches "Double-Loop-Learning" beschreibt behindern den Lernprozess (Sterman 2000, pp. 19 ff).

• Dynamische Komplexität und Verzögerungen verlangsamen den Lernprozess indem sie die Anzahl der Durchläufe in der Rückkoppelungsschleife reduzieren. Damit wird die Möglichkeit Erfahrungen aufgrund von Experimenten zu sammeln beschränkt. Dynamische Komplexität ist auch verantwortlich dafür, dass Experimentieren an sich problematisch ist. Ceteris Paribus Analysen sind in der Realität unmöglich.

• Verzerrte Information aufgrund von Schätzungen, welche auf gemittelten und verzögerten Stichproben beruhen. Die Messung dieser Daten verursacht darüber hinaus Fehler in den Daten.

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• Mehrdeutigkeit entsteht, weil sich Veränderungen im Zustand des Systems nicht alleine auf die Eingriffe beziehen sondern ebenso durch eine Unzahl anderer Variablen beeinflusst werden.

• Die beschränkte Informationsverarbeitungs-Kapazität des Menschlichen Gehirns führt zu falschen Interpretationen von Feedback.

• Die Tendenz Informationen zu suchen, welche Hypothesen bestätigen behindert die Sammlung von Erfahrungen.

• Die Verweigerung von Lernen aufgrund von sozialen oder machtpolitischen Zwängen.

Sowohl Single- als auch Double-Loop-Learning können bei einem einzelnen Individuum oder bei einer Gruppe von Individuen auftreten. Das kollektive Lernen in Organisationen (fußnote was sind ogionen) bezeichnen Argyris und Schön als "Organisationales Lernen":

"Organizational Learning occurs when members of the organization act as learning agents for the organization, responding to changes in the internal and external environments of the organization by detecting and correcting errors in organizational theory-in-use, and embedding the results of their inquiry in private images and shared maps of organization." (Argyris und Schön 1978, pp. 29).

Argyris und Schön unterscheiden zwischen Single- und Double-Loop-Learning der Organisation. Für organisationales Single-Loop-Learning ist das Kriterium des Erfolgs die Effektivität der Strategien und Entscheidungsregeln, die sich aufgrund der bestehenden Normen (fußnote normen nach agryris) herausgebildet haben. Organisationales Double-Loop-Learning ist durch eine gemeinsame In-Frage-Stellung der Normen der Organisation gekennzeichnet. Individuelles Double-Loop-Learning ist notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für organisationales Double-Loop-Learning. Dafür müssen sich die Normen im Bewusstsein der Organisation ändern. Die Unterscheidung zwischen organisationalem Single- und Double-Loop-Learning ist insofern bedeutsam, als dass in System Dynamics praktisch nur die zweite Form des Lernens in Organisationen von Interesse ist. Die "Normen" einer Organisation entsprechen dabei den "shared mental models der manager" (Senge und Sterman 1994) in System Dynamics. Da immer wieder die Forderung erhoben wird, dass für eine erfolgreiche Implementierung von Studien die entscheidungsbefugten Manager, als jene Personen, die in der Lage sind organisationale Normen zu ändern involviert sein müssen, kann man davon ausgehen, dass sich man unter "Lernen" in System Dynamics vor allem "organisationales Double-Loop-Learning" meint.

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4.4.5.3 Modeling for Learning

Lernen als Selbstzweck an sich kann kein Ziel sein, das Gelernte muss sinnvoll eingesetzt werden können. "Modeling for Learning" verfolgt im wesentlichen zwei Lernzwecke (Senge und Sterman 1994):

1. Verbesserung der gemeinsamen mentalen Modelle

Der Lernprozess zielt darauf ab, die gemeinsamen mentalen Modelle der Manager einer Organisation zu verbessern. "Verbessern" heißt in diesem Zusammenhang einerseits "Angleichen" und andererseits "systemisch und dynamisch machen". Ein Angleichen der mentalen Modelle hat den Effekt, dass Manager das selbe Problem betrachten. Systemische und Dynamische mentale Modelle ermöglichen eine Perspektive, welche es erlaubt, die Ursachen eines Problems in dem zugrundeliegenden System zu suchen. Der Endzweck des Lernprozesses ist in diesem Fall die Erlangung einer besseren Entscheidung oder Strategie, die dauerhaft umgesetzt wird.

2. Fähigkeit neue Situationen dynamisch und systemisch zu betrachten

Dieser Lernzweck ist auf einer höheren Ebene angesiedelt. Die Erlangung der Fähigkeit systemisch und dynamisch zu denken erfordert die bewusste Aufgabe der bisherigen Denkmuster, etwa einer ereignisorientierten Weltsicht. Eine Reflektierung des eigenen Lernprozesses ist notwendig, oder man "lernt zu lernen". Argyris und Schön (Argyris und Schön 1978, pp. 26) bezeichnen diese Art des Lernens als "Deutero-Learning". Eine Organisation übt sich im Deutero-Learning, wenn ihre Mitglieder aus früheren Lernkontexten lernen, also darüber reflektieren, warum sie gelernt haben, oder auch nicht bzw. welche Faktoren für das Lernen hinderlich oder förderlich waren. Als organisationales Deutero-Learning können Maßnahmen betrachtet werden, welche die Organisation setzt, um organisationales Double-Loop-Learning zu fördern. Der Endzweck dieses Lernprozesses ist nicht die Erlangung einer besseren Entscheidung (z. B. in dem Kontext des Problems, welches mittels einer Expertenberatung zu lösen versucht wird), sondern vieler besseren Entscheidungen in der Zukunft.

Der zweite Lernzweck zielt also auf eine dauerhafte Änderung der mentalen Modelle der Manager in einer Organisation ab. Dieses Lernziel ist viel weiter gefasst und viel anspruchsvoller als die bloße Änderung der mentalen Modelle für die Dauer eines

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Beratungsprojektes etwa um eine erfolgreiche Implementierung der Ergebnisse zu gewährleisten.

Nachdem der Begriff "Lernen" und die Ziele, die mit diesem Lernen verfolgt werden definiert wurde, möchte ich nun darauf eingehen, wie dieser Lernprozess erreicht werden soll.

Manager haben selten die Gelegenheit zu üben. In der Realität werden Experimente mit alternativen Entscheidungen ständig durch unkontrollierbare Schocks der externen Umgebung durch politische Machtverhältnisse, Zeitdruck oder Komplexität der Umwelt behindert. Es ist also in so einer Umgebung sehr schwer Hypothesen zu formulieren und zu testen. Es ist ebenso schwierig die Vorteile verschiedener Ansichten und Meinungen zu testen. Von Managern wird erwartet, dass sie ausschließlich durch erreichte Leistungen lernen, und das in Situationen in welchen die Einsätze und Risken groß sind, die Zeitverzögerungen lang und Feedback auf die Entscheidung verzerrt und undeutlich.

Die Besonderheiten des "Modeling for Learning"-Ansatzes in der Beratung lassen sich sehr gut mit dem Begriff "Learning Laboratory" umschreiben:

"To fulfill their promise of accelerated learning, games and simulations must be embedded in a structured learing environement – a learning laboratory – in which game play, elicitation and mapping of mental models, simulation, policy design, experimentation and discussion all take place." (Paich und Sterman 1993).

Der gesamte Beratungsprozess wird als Lernumgebung verstanden:

"Learing laboratories help managers see through superficial symptoms to the underlying causes, reorganize perceptions into a clearer, more coherent picture of business dynamics that can be effectively communicated, and create tools that can accelerate the learning of others." (Senge und Sterman 1996).

Der Lernprozess wird mittels dreier Aktivitäten angeregt.

• Offenlegen mentaler Modelle

• In Frage Stellen der mentalen Modelle

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• Verbesserung der mentalen Modelle

Die drei Aktivitäten gehen fließend ineinander über und bilden eine Einheit. Eine klare Unterteilung des Beratungsprozesses in Konzeptionierung, Formulierung des Modells, Testen des Modells und Implementierung der Ergebnisse ist nicht mehr so einfach möglich, da z.B. das Simulationsmodell in allen drei Aktivitäten des "Modeling for Learning" eine wichtige Rolle spielt.

Learning Laboratories sind in der Regel so gestaltet, dass ein oder mehrere Berater mit einer Gruppe von Managern arbeiten. Eine wichtige Frage ist, wer in die Gruppe der Manager aufgenommen werden soll. Wenn das Projekt darauf abzielt eine bestimmte Entscheidung zu erreichen, welche in der Organisation umgesetzt werden soll, ist es wichtig die Entscheidungsträger der Organisation zu involvieren. Ein Ausschluss wichtiger Entscheidungsträger kann das Projekt von vorne herein zum Scheitern verurteilen. Andererseits tendieren große Gruppen dazu von wenigen Diskutanten dominiert zu werden. Obwohl also große Gruppen sinnvoll sind um eine stabile Basis für Veränderung und Akzeptanz der Ergebnisse zu schaffen, können sie gleichzeitig den Grad der Teilnahmen und die Zufriedenheit der Teilnehmer negativ beeinflussen. Ein zweiter wichtiger Punkt, der die Zusammensetzung der Gruppe betrifft ist die Involvierung möglichst verschiedener Perspektiven auf das Problem. Je größer die Diversität der Standpunkte und Perspektiven der involvierten Gruppenmitglieder ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines brauchbaren Modells. Die Gefahr, die Systemgrenzen zu eng zu ziehen oder wichtige Feedback-Schleifen nicht in das Modell aufzunehmen wird dadurch reduziert. Auf der anderen Seite kann es durch eine Vielzahl verschiedener und oft auch gegenläufiger Standpunkte zu Spannungen zwischen den Gruppenmitgliedern kommen, welche den Gruppenlernprozess behindern. Anders ausgedrückt, mit kleinen Gruppen kann effektiver und effizienter gearbeitet werden, was aber auf die Kosten von Modellqualität und Akzeptanz der Resultate gehen kann (Vennix 1996, pp. 113).

3. Offenlegen mentaler Modelle

Das Offenlegen der mentalen Modelle der Beteiligten in einem Projekt ist aus mehreren Gründen wichtig.

Erstens, das stillschweigende und verborgene Wissen der Systembesitzer über das System beinhaltet wichtige Informationen für die Konzeptionierungsphase des Modellbaus. Die Informationen der Systembesitzer werden z. B. für die Definition des Problems, die Systemgrenze oder den interessierenden Zeithorizont verwendet.

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Zweitens, erfolgreiches Lernen erfordert es, dass die Entscheidungsträger ihre Annahmen bezüglich Struktur, Kausalitäten und Funktionieren des Systems zugänglich machen. Dies ist Grundvoraussetzung für eine Änderung der häufig falschen mentalen Modelle.

Drittens, kann es vorkommen, dass die mentalen Modelle der Manager in Bezug auf das Vorhandensein und die Natur des Problems an sich auseinander klaffen, sodass zuerst das Problem definiert werden muss.

Die dritte Situation bezeichnet Vennix (Vennix 1996) als "messy problems". Die Charakteristiken dieser Situation sind dadurch gegeben, dass (a) die Manager verschiedene Auffassungen vertreten ob überhaupt ein Problem existiert, und wenn ja, (b) was das Problem eigentlich ist. Die Ursache für die Entstehung von "messy problems" ist, dass Menschen die Realität nicht als passives Abbild der objektiven Realität erkennen, sondern Informationen, die aus dieser Realität kommen selektiv aufnehmen, filtern und interpretieren, also ihr eigenes Modell konstruieren. Diese mentalen Modelle sind sowohl Grundlage für Handlungen als auch Grundlage für weitere Interpretationen der Realität. Probleme sind damit ebenfalls subjektive Konstruktionen, die bei den angehörigen einer Organisation sehr verschieden sein können. Verschiedene Ansichten sind das Resultat von persönlichen Faktoren, Erfahrungen, Ausbildungen und Rollen in einer Organisation. Ein hoher Lagerbestand ist aus der Sicht eines Produktionsleiters zu begrüßen, weil er das Risiko von Kundenverlusten aufgrund langer Lieferzeiten reduziert. Der selbe hohe Lagerbestand ist aus der Sicht des Finanzmanagers schlecht, weil er hohe Kapitalbindungskosten verursacht. Ein erster Schritt zum erfolgreichen Lernen ist also die Errichtung einer gemeinsamen Realität in Bezug auf Existenz und Wesen des Problems.

Ein hilfreiches Instrument für diese Aufgabe ist die Entwicklung eines "Reference Mode" in Zusammenarbeit mit der Gruppe. Der "Reference Mode" zeigt den Verlauf der problematischen Schlüsselvariablen im Zeitablauf und kann so die Aufmerksamkeit der Gruppe auf das gemeinsame Problem richten. Diskussionen über Unterschiede im Verlauf der Problemvariablen bei den Teilnehmern können Aufschluss über das zugrundeliegende Problem geben (Andersen und Richardson 1997).

In einem nächsten Schritt erarbeitet die Gruppe ein qualitatives Modell, welches das System ungefähr wieder gibt. Dafür kommen in der Regel qualitative Modellierungstechniken, wie Causal-Loop-Diagrams oder Stock-und-Flow Diagrams zur Anwendung. Das rudimentäre qualitative Modell des Systems wird in Folge sukzessive mit Details wie zusätzlicher Struktur, Entscheidungspolitiken oder Feedback-Schleifen angereichert (Vennix 1994, Vennix 1996, Vennix et al. 1996b, Richardson und Andersen 1995, Morecroft und van der Heijden 1992). Das qualitative Modell regt die Diskussion unter den Teilnehmern an und sensibilisiert sie für Feedbackprozesse.

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Das Hauptziel in dieser Phase des Projektes ist es die mentalen Modelle der Teilnehmer offen zu legen und anzugleichen.

4. In Frage Stellen der mentalen Modelle

Wenn die Gruppemitglieder mit ihren mentalen Modellen an die Öffentlichkeit gegangen sind kann man damit beginnen interne Widersprüche mit Daten oder dem Wissen anderer zu suchen. Die mentalen Modelle werden herausgefordert indem sie auf interne und externe Gültigkeit getestet werden. Erfahrene Manager haben oft eine genaue Vorstellung von der kausalen Struktur und den Entscheidungsprozessen in einem System. Die Konsequenzen der Interaktion dieser Systemelemente sind jedoch schwierig vorherzusehen. Quantitative Simulation ermöglicht die exakte Ableitung dieser Konsequenzen und kann somit als Instrument für die Überprüfung der eigenen mentalen Modelle dienen. Die Simulationsmodelle in dieser Phase sollten einfach gehalten sein. Die in der Offenlegungsphase erstellten qualitativen Modelle der mentalen Modelle der Gruppenteilnehmer dienen als Bauplan für das quantitative Modell. Senge und Sterman (Senge und Sterman 1994) beschreiben diesen Prozess in einer Fallstudie eines Projektes für eine Versicherungsgesellschaft folgendermaßen:

"STELLA was used to map assumptions of the current strategy. Simple reality check models quickly showed a mismatch between the anticipated growth in underwriting volume and the resources allocated for claims settlement. The team was soon developing and testing their own models."

Man könnte diese Aktivität als "Simulationsbau mit dem Management" bezeichnen. Die Gruppe ist dabei in den technischen Teil des Modellbaus sowie das Testen des Modells involviert. Das Wissen der Manager wird verwendet um Parameter und nichtlineare Beziehungen zwischen den Elementen zu schätzen (Ford und Sterman 1998b). Eine wichtige Quelle für Einsicht ist in diesem Zusammenhang unerwartetes Systemverhalten (Mass 1991). Das Auftreten von überraschendem Systemverhalten kann zwei mögliche Gründe haben. Erstens, das Verhalten ist unplausibel, das Modell ist falsch, im Sinne einer falschen dynamischen Hypothese und muss überarbeitet werden. Zweitens, das Verhalten ist plausibel und enthüllt zuvor ignorierte Aspekte eines Systems. Zahlreiche derartige Iterationen führen nicht nur zu einem brauchbaren Simulationsmodell, sondern bewirken zusätzlich einen starken Lerneffekt des Teams.

Das Ende des Konstruktionsprozesses ist ein fertiges Simulationsmodell, das sich aufgrund der starken Beteiligung der Gruppe durch hohe Akzeptanz auszeichnet.

5. Verbesserung der mentalen Modelle

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Diese Phase kann nicht getrennt von der zweiten Phase betrachtet werden, da das Offenlegen und das verbessern der mentalen Modelle Hand in Hand gehen. Im Laufe des Modellbildungsprozesses kommt es immer wieder zur Umgestaltung des Modells aufgrund auftauchender Widersprüche in mentalen Modellen und dem Simulationsmodell. Annahmen über exogene Faktoren werden in Frage gestellt. Faktoren, die in den ursprünglichen Modellen nicht enthalten waren werden in das Modell aufgenommen. Verbindungen zu anderen Teilen der Organisation oder zu anderen Organisationen in der Umwelt müssen berücksichtigt werden usw. Der Schlüssel zum Lernen liegt in den Werkzeugen und dem Umgang mit ihnen. Einerseits bringt die Auseinandersetzung mit qualitativen Techniken wie CLD ein Verständnis für Systemdenken, andererseits zwingt das Simulationsmodell die Teilnehmer dazu, ihre Annahmen explizit zu machen und zu quantifizieren. Die Konsequenzen dieser Annahmen können anschließend in der Simulation exakt abgeleitet werden. Morecorft bezeichnet diesen Prozess als einen "Dialog mit dem Modell" und verwendet ihn für die Strategiegestaltung mit den Führungskräften eines Unternehmens (Morecroft 1984). Richmond bezeichnet ihn als "strategisches Forum" in dem ein Simulationsmodell verwendet wird um die Durchführbarkeit von ausgearbeiteten Strategien zu überprüfen (Richmond 1997).

Neben dem Begriffen "Learning Laboratory" (Paich und Sterman 1993, Senge und Sterman 1996) als Bezeichnung für den gesamten oben beschriebenen Prozess des Lernens findet man in der Literatur auch die Begriffe "Interactive Learing Environment" oder "Computer-based Learning Environment" (z.B. Isaacs und Senge 1996).

Davon zu unterscheiden sind fertige Computersimulationen, welche in der Literatur mit verschiedenen Bezeichnungen versehen werden. Z. B. "Management Simulator" (Milling 1995), "Management Flight Simulator" (Sterman 1992) oder "Microworld" (Diel 1994). Management Flight Simulators sind systemdynamische Comptuersimulationsmodelle, welche mit einer Benutzeroberfläche versehen werden um die Interaktion mit der Simulation zu erleichtern. Die gängigen Softwarepakete für systemdynamische Simulation wie z.B. Ithink, Vensim oder Powersim unterstützen diese Funktionen standardmäßig. Die Simulation kann mit einer grafischen Benutzeroberfläche bestehend aus Buttons, Schiebereglern und Textfeldern bedient werden (Davidsen 1994). Der wesentliche Unterschied zu den Learning Laboratories besteht darin, dass es sich um fertige Modelle handelt, deren Struktur nicht mehr verändert werden kann. Management Flight Simulators sind häufig das Endprodukt von Learning Laboratories. Sie können innerhalb der Organisation für Managementtraining und –ausbildung eingesetzt werden. Kim (Kim 1989) und Senge (Senge 1989) beschreiben die Entwicklung und die Verwendung eines Flight Simulators in der Versicherungsbranche. Das Modell wurde ursprünglich in Zusammenarbeit mit Managern einer großen amerikanischen Versicherungsgesellschaft entwickelt und anschließend in einen Simulator einer Abteilung für die Regulierung von Schadensfällen übertragen. Manager der

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Schadenfall-Abteilung wurden in dreitägigen Workshops mit Hilfe des Simulators ausgebildet. Der auf die speziellen Verhältnisse der Versicherungswirtschaft ausgelegte Simulator wurde in Folge zu einem generischen "Service-Management" Flight-Simulator ausgebaut, der in verschiedenen Bereichen wie der Kreditabteilung einer Bank oder unternehmensinterner Mitarbeiterausbildung eingesetzt werden kann (Bakken et al. 1992).

4.5 Der Status Quo in der Anwendung von System Dynamics

4.5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse

Diese Kapitel hat sich zum Ziel gesetzt den Status Quo in der Anwendung von System Dynamics augrund einer Analyse der System Dynamics Literatur zu erheben. Die Analyse hat einige wichtige Ergebnisse gebracht, die an dieser Stelle zusammengefasst, und die wichtigsten von Ihnen noch einmal klar angesprochen werden sollen.

1. Wo wird System Dynamics eingesetzt?

Die Haupteinsatzgebiete von System Dynamics sind:

• Forschung

• die öffentliche Verwaltung

• der Unternehmenssektor

Der Einsatz im akademischen Umfeld konzentriert sich einerseits auf die Weiterentwicklung der Methode selbst. Neben Fragen, die rein technische Gesichtspunkte ansprechen, wie z.B. Methoden für die Validierung von Modellen, stellen Fragen, die das Modellieren mit Gruppen für Lernzwecke betreffen im Zentrum dieser Forschungstätigkeiten.

Andererseits werden System Dynamics Modelle für die Überprüfung und Entwicklung von Theorien eingesetzt. Häufig handelt es sich dabei um Theorien, welche die Komplexität und die Dynamik verschiedener Phänomene ausdrücklich miteinbeziehen.

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Ein drittes Einsatzgebiet im akademischen Umfeld stellt die universitäre und schulische Ausbildung dar. Vor allem in der Integration systemischer Perspektiven in den Schulunterricht sehen viele Vertreter große Zukunftschancen.

Der Einsatz in der öffentlichen Verwaltung dient in erster Linie der Untersuchung und Lösung gesellschaftlicher sowie umwelt- und entwicklungspolitischer Probleme. System Dynamics ist hier besonders geeignet, weil die Methode eine Synthese unzähliger Detailprobleme ermöglicht und so eine holistische Perspektive schafft, die ein Verständnis der Problemursachen fördert.

Der überwiegende Teil der gesamten Literatur lässt auf den privaten Unternehmenssektor als Einsatzbereich schließen. Dabei ist System Dynamics praktisch in allen Funktionsbereichen einer Unternehmung wie Beschaffung, Produktion, Vertrieb, Marketing und Verkauf, Unternehmensfinanzierung, Personalwesen, allgemeines Management sowie Forschung und Entwicklung zu Anwendung gelangt. Die Literatur lässt außerdem den Schluss zu, dass sich der Einsatz vor allem auf sehr große Unternehmungen konzentriert.

2. Wie und von wem wird System Dynamics eingesetzt?

Außerhalb des akademischen Umfeldes erfolgt der Einsatz von System Dynamics praktisch ausschließlich in Form von Beratung durch Experten.

Wenn im privaten Unternehmensbereich nennenswerte Anwendungsformen von System Dynamics existieren, die nicht in eine Kunden – Berater Kategorie eingeordnet werden können, so sind diese bislang unerwähnt geblieben. Um die Sache etwas deutlicher zu machen: Die Literatur in System Dynamics lässt nur einen Schluss zu, System Dynamics im privaten Unternehmensbereich ist Beratung. Einige Faktoren könnten diesen Umstand erklären:

• System Dynamics ist mit rund 40 Jahren eine vergleichsweise junge Wissenschaft.

• Eine spärliche Anzahl von Universitäten bietet einen Abschluss in System Dynamics an, eine größere, aber trotzdem verschwindend geringe Anzahl bietet einführende Kurse in System Dynamics an. System Dynamics ist Managern praktisch unbekannt.

• System Dynamics ist keine Modeerscheinung im Management. Die Erlernung der Methode und die Aneignung systemischer Perspektiven erfordert beträchtlichen Aufwand.

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• System Dynamics ist kein Werkzeug, das man auf die Schnelle auf irgendein dringliches Problem anwenden könnte.

• Die Ergebnisse aus System Dynamics Studien sind oft schmerzhaft in dem Sinne, dass sie ein "worse-before-better" Verhalten vorschlagen und keine schnellen Lösungen für Symptome, die häufig besser verkauft werden können.

Die obigen Ausführungen beziehen sich auf die "harte" quantitative Seite von System Dynamics, sprich Simulation. Die qualitative Seite hat unter der Bezeichnung "Systems Thinking" seit der Veröffentlichung des Buches "The Fifth Discipline" von Peter Senge (Senge 1990) enormen Aufschwung erfahren. "Systems Thinking" hat sich zu einer eigenen Sparte entwickelt, mit einem eigenen Journal, dem "Systems Thinker" und eigenen jährlichen Konferenzen. Auf "Systems Thinking", deren Methoden und Werkzeuge werde ich in einem anderen Kapitel näher eingehen.

Aus der Literatur lassen sich einige Charakteristika von System Dynamics Beratungsprojekten ableiten.

• Beratung ist sporadisch. Sie wird häufig durch krisenhafte Probleme mit langer Geschichte ausgelöst. Probleme und Lösungen sind strategischer, d. h. langfristiger Natur. Eher selten kommt es in der Literatur zu einer Beschreibung der Implementierung und/oder einer Evaluierung der Ergebnisse.

• Beratung konzentriert sich auf große Unternehmen.

• Beratung ist teuer. Obwohl die Kostenfrage nicht direkt mit der Literatur beantwortet werden kann, gibt es einige Indizien für sehr teure Beratungsprojekte. Meadows (Meadows 1989, pp. 638) merkt an: "A game which has been extensively tested and for which a very detailed and typically expensive data acquisition effort has been carried out can also approach reality close enough that it becomes useful for testing the probable consequences of specific decisions. Be aware, however, that creating a game at this level of deatil can often involve developments costs of $ 100.000 or more." . Richardson und Andersen (Richardson und Andersen 1995, pp. 129) identifizieren nicht weniger als fünf Rollen und Funktionen, die für die erfolgreiche Durchführung eines "Group-Model-Building"-Projektes notwendig sind. Von diesen fünf Rollen müssen mindestens zwei mit Experten im Modellieren besetzt sein: "Even for more traditional modeling projects in which models are built in the weeks between client group meetings, the more powerful minimum is not one person enlightened by perceiving several essential roles but at least two people in a group modeling team, one focusing on group facilitation, knowledge elicitation, and inital drafts of structure, and the other focusing on the problem, the system being conceptualized, real-time refinements of structure, and emerging insights." Man kann annehmen, dass die hohen Kosten eine Ursache dafür sind, dass

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System Dynamics vorwiegend bei sehr großen Unternehmungen zur Anwendung kommt.

3. Der Zweck von System Dynamics Modellen

Der Zweck aller System Dynamics Modelle liegt darin, Erklärungen für dynamische Phänomene zu finden. Das Modell stellt eine Theorie über die Ursachen von Problemen dar, welche in sozialen Systemen auftreten. Die Vorgehensweise beim Bau von Modellen kann als wissenschaftlich bezeichnet werden. Der Modellierer grenzt ein Problem ein indem er den Verlauf wichtiger Variablen über die Zeit bestimmt. Er entwickelt eine dynamische Hypothese über die Struktur des Systems, seine Elemente und Entscheidungsregeln, welche zu dem Verlauf der Variablen geführt haben. Eine mathematische Repräsentation – ein Computermodell - der dynamischen Hypothese wird erstellt. Zahlreiche Tests stehen zur Verfügung, um die Gültigkeit des Modells zu gewährleisten. Ein objektives Kriterium für die Gültigkeit eines System Dynamics Modells muss die Fähigkeit darstellen, den realen Verlauf der Variablen wiederzugeben. Nur wenn sich das Modell aufgrund seiner Struktur ähnlich verhält wie das reale System kann es als brauchbare Abbildung der Realität gelten. Das Modell dient im selben Maße sowohl der Entwicklung als auch der Überprüfung von Hypothesen.

Eine etwas praktischer orientierte Sicht führt zu zwei wesentlichen Modellzwecken, vor allem in der Beratung mit System Dynamics:

• System Dynamics Modelle für Zwecke des Lösens von Problemen, die in komplexen dynamischen Systemen auftreten.

• System Dynamics Modelle für Zwecke des Lernens in und über komplexe dynamische Systeme.

Den Bau eines Modells für Problemlösungszwecke kann man in zwei grundlegende Phasen unterteilen: Erstens die Schaffung einer virtuellen Realität. Und zweitens die Durchführung von Experimenten in dieser virtuellen Realität. Das Modell, als virtuelle Realität muss das tatsächliche System dem Modellzweck entsprechend hinreichend genau abbilden können. Der Tradition des "Insight Modeling" folgend liegt der Modellzweck vor allem in der Erzeugung von Einsicht, d. h. im Verstehen der durch die Struktur des Systems verursachten Problems. Hier reicht es aus, dass das Modell den dynamischen Systemverlauf in seiner Charakteristik wiederzugeben vermag. "Decision Models" hingegen versuchen zusätzlich genaue quantitative Antworten bezüglich Mengen, Werten oder Zeitpunkten zu geben. Um diesem Zweck gerecht werden zu

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können müssen die Modelle empirische Systemverläufe z. B. in Form von Zeitreihen exakt wiedergeben können. Beiden Modellarten ist gemein, dass sie in einer zweiten Phase das Systemverhalten nach Eingriffen prognostizieren müssen. In der Experimentierphase müssen also die eigentlichen Problemlösungen gefunden werden. Das Modell dient dabei als Werkzeug, welches Zeit und Raum verdichtet und ein gefahrloses Experimentieren erlaubt.

Mit dem Lösen eines Problems in enger Verbindung steht der Lernzweck. Lernen spielt sowohl in der ersten Phase des Modellbaus als auch in der zweiten Phase des Experimentierens eine wichtige Rolle. In der Beratungspraxis ist der Kunde heute in beide Phasen aktiv eingebunden. Der Bau eines Modells erfordert ein tiefes Verständnis der kausalen Zusammenhänge und Abläufe in dem problemverursachenden System. Diese sehr wertvollen Einsichten macht man dem Kunden zugänglich indem man ihn in den Prozess des Modellierens integriert. Fertige Modelle dienen häufig in Form von "Management Flight Simulators" der Ausbildung und Schulung von Mitarbeitern.

4.5.2 Ausblick

Die zwei zentralen Ergebnisse dieses Kapitels, welche auch zentral für diese Arbeit sein werden sind:

• System Dynamics im Unternehmensbereich ist sehr stark von Experten-Consulting dominiert.

• Es scheinen keine nennenswerten Anwendungsgebiete von System Dynamics zu existieren, die außerhalb der für das Feld typischen Kunden – Berater Rolle liegen.

Ohne die Ergebnisse folgender Kapitel vorweg nehmen zu wollen, möchte ich jedoch bereits an dieser Stelle die Frage aufwerfen, ob systemdynamische quantitative Simulation ausschließlich einem Expertenkreis vorbehalten bleiben darf oder soll, oder ob es nicht auch andere Möglichkeiten des Einsatzes von System Dynamics geben kann. Der Rest der Arbeit wird sich im wesentlichen mit dieser Frage der alternativen Anwendungsgebiete quantitativer systemdynamischer Simulation befassen.

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5 System Dynamics Wissen

Da sich diese Arbeit mit Wissen in System Dynamics befasst, muss der Begriff "System Dynamics Wissen" ausführlich definiert werden. In diesem Kapitel erfolgt diese Definition über ein Zuordnungsschema dessen Kategorien verschiedene Wissensthemen aus verschiedenen Bereichen enthalten. Ich werde nicht versuchen sämtliches Wissen in System Dynamics zu erfassen, sondern vielmehr ein Gerüst für die Einordnung verschiedener Wissensthemen entwickeln und mit beispielhaften Zuordnungen verdeutlichen.

Das Schema für die Einteilung und Systematisierung von System Dynamics Wissen hat vor allem den Zweck, einerseits eine gewisse Ordnung in ein breites Spektrum an Wissensthemen zu bringen, andererseits soll es in späteren Kapiteln dafür verwendet werden relevantes Wissen für Manager aus diesem breiten Spektrum abzuleiten.

5.1 Probleme bei der Definition von System Dynamics Wissen

Die Definition und Abgrenzung von System Dynamics Wissen stößt auf mindestens drei Schwierigkeiten.

• Es existiert bis auf wenige Ausnahmen keine Ausbildung zum Systemdynamiker.

• System Dynamics Wissen ist weit mehr als das relativ "sichtbare" Wissen über die technischen Seiten des Modellbaus.

• System Dynamics ist sehr stark interdisziplinär. Wissen in System Dynamics ist am effektivsten, wenn es mit Wissen aus anderen Bereichen kombiniert wird.

5.1.1 Ausbildung zum Systemdynamiker

System Dynamics startete in den 60er und 70er Jahren mit der Konzentration auf drei wichtige Problemfelder. Erstens, Instabilitäten und Wachstum industrieller Unternehmen (Forrester 1962), Wachstum und Niedergang von Städten (Forrester 1969) und Wachstum in einer Welt mit beschränkten Ressourcen (Forrester 1973, Meadows et al. 1972). Die Einsichten und Ergebnisse dieser Studien wurden zum Mittelpunkt intensiver öffentlicher Diskussionen. Die hohe Qualität der Arbeiten erzeugte starkes Interesse an System Dynamics, was wiederum zu einer ersten

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Wachstumswelle des Feldes führte. Allerdings gab es weder genügend Institutionen, welche System Dynamics lehrten noch gab es genügend kompetente Systemdynamiker um der wachsenden Nachfrage nach Ausbildung und System Dynamics Beratung gerecht werden zu können. Das Wachstum des Feldes verlangsamte sich. Die in dieser Zeit ausgebildeten Systemdynamiker waren für eine zweite Welle des Wachstums in den 80er und frühen 90er Jahren verantwortlich als neue Softwareprodukte wie Stella, Vensim oder Powersim entwickelt wurden und Peter Senge (Senge 1990) den Bestseller "The Fifth Discipline" veröffentlichte.

Ein Zitat des Präsidenten der System Dynamics Society, welches aus einer Rede auf der System Dynamics Conference 2001 in Atlanta stammt, fasst einige Problem die das Feld heute plagen sehr gut zusammen:

"In spite of all these achievements [applications to a wide variety of areas], we are far from the real potentail of our field. Today not many institutions in the world teach system dynamics, not many decsion makers are aware of system dynamics or adopt system thinking to manage their organizations. There are not enough competent system dynamicists. In fact, due to the second growth wave, demand for system dynamics modeling has exceeded far beyond the existing competent capacities leading to a lower average work quality." (Mashayekhi 2001, p. 2).

Man kann aus dieser Aussage mindestens vier Problemkreise ableiten:

• Das geringe Wachstum des Feldes, welches dem Potential der Methode hinterher hinkt.

• Geringe Anzahl von Ausbildungsstätten.

• Geringe Anzahl kompetenter Systemdynamiker.

• Bedrohung des Feldes durch schlechte Modelle.

Die vier Problemfelder sind eng miteinander verbunden, können jedoch meiner Ansicht nach auf das Ausbildungsproblem zurückgeführt werden. So wurden auch Maßnahmen vorgeschlagen die in erster Linie bei der Ausbildung ansetzen und in systemdynamischer Tradition mit dynamischen Theorien untermauert.

Wachstum des Feldes (Abbildung 5.1):

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Professionals inSD

CollegeStudents

SystemThinkers

ProfessionalTraining

K-12 Students

+ +

+

+

+

Abbildung 5.1 Ausbildung in System Dynamics

Das System produziert professionelle Systemdynamiker und Systemdenker, welche mit System Dynamics vertraut sind. Systemdenker sind in der Überzahl und rekrutieren sich aus Studenten aus anderen Bereichen, Praktikern und Managern. Schüler fließen entweder in den Bestand an Systemdenkern oder in Ausbildungsprogramme zu professionelle Systemdynamikern an Universitäten. Für die Ingangsetzung positiver Rückkoppelungen und damit das Wachstum des Feldes sind zwei Dinge notwendig: Erstens, eine verstärkte Integration von System Dynamics in die Schulausbildung um mehr Systemdenker zu schaffen, zweitens eine Konzentration auf professionelles Training von beispielsweise Managern für den selben Zweck. Die Systemdenker schaffen die Nachfrageseite für universitäre Ausbildungsprogramme in System Dynamics. Die Angebotsseite wird durch die Schaffung von professionellen Systemdynamikern gewährleistet.

Entwicklung von Universitäts-Curricula (Abbildung 5.2):

Gute Lehrpläne verbessern die Qualität und Effizienz von Ausbildungsprogrammen. Die Entwicklung von Lehrplänen in System Dynamics von der Schulausbildung bis zu Doktorandenprogrammen steckt noch in den Kinderschuhen. Wie Abbildung 2 zeigt,

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könnten Lehrpläne dazu beitragen, dass mehr Leute eine Ausbildung in System Dynamics anstreben.

Professionals inSD

CollegeStudents

SystemThinkers

ProfessionalTraining

K-12 Students

Curriculum

Abbildung 5.2 Auswirkungen von Lehrplänen auf die Flüsse von Studenten

Die Entwicklung von Lehrplänen hängt von dem akkumulierten Wissen in System Dynamics sowie den aktiven professionellen Systemdynamikern ab. Die Entwicklung von Lehrplänen sollte zur Generierung von positiven Rückkoppelungen führen (siehe Abbildung 5.3).

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Professionals inSD

CollegeStudents

SystemThinkers

ProfessionalTraining

K-12 Students

Curriculum

Knowledge inApplication

Knowledge inMethodology

curriculumdevelopment

++

+

+

Abbildung 5.3 Die Entwicklung von Lehrplänen

Entwicklung von Lehrmaterialien (Abbildung 5.4):

Gute Lehrmaterialien erhöhen den Zustrom zu den Beständen an Systemdenkern, System Dynamics Studenten und professionellen Systemdynamikern (siehe Abbildung 5.4). Hochqualitatives Lehrmaterial zieht Leute an, die sich für das Gebiet interessieren und entlastet bzw. unterstützt die Lehrenden.

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Professionals inSD

CollegeStudents

SystemThinkers

ProfessionalTraining

K-12 Students

TeachingMaterials

Abbildung 5.4 Auswirkungen von Lehrmaterialien

Die Entwicklung von Lehrmaterialien wirkt sich positiv auf das Wachstum des Feldes aus (Abbildung 5.5).

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Professionals inSD

CollegeStudents

SystemThinkers

ProfessionalTraining

K-12 Students

Curriculum

Knowledge inApplication

Knowledge inMethodology

curriculumdevelopment

+

+

++

+

TeachingMaterials

+

++

Abbildung 5.5: Entwicklung von Lehrmaterialien erzeugt Wachstum des Feldes

Konzentration auf Forschung und Akkumulation von Wissen (Abbildung 5.6):

Die Entwicklung von Lehrmaterialien hängt von der Erzeugung von Forschungsergebnissen ab. Wissen in der Methode und deren Anwendung erzeugt positive Rückkoppelungen für die Schaffung von Lehrmaterialien.

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Professionals inSD

CollegeStudents

SystemThinkers

ProfessionalTraining

K-12 Students

Curriculum

Knowledge inApplication

Knowledge inMethodology

curriculumdevelopment

TeachingMaterials

+

+

Abbildung 5.6 Die Akkumulation von Wissen im Feld

Die Qualität von Modellen (Abbildung 5.7):

Die Qualität von System Dynamics Modellen kann das Wachstum des Feldes beeinträchtigen. Wenn der Bestand an Systemdenkern steigt, dann steigt auch die Nachfrage nach Modellen. Modelle mit zufriedenstellender Qualität können nur von professionellen Systemdynamikern erstellt werden, deren Ausbildungszeit weit größer ist als die der Systemdenker. Der Arbeitsdruck für die professionellen Systemdynamiker steigt und die Qualität der Arbeit sinkt. Die geringe Qualität der Modelle wird sich mit Verzögerung auf das Wachstum des Feldes auswirken (Abbildung 7).

Eine weitere Bedrohung des Feldes, die in der Abbildung nicht gezeigt ist ergibt sich aus dem Umstand, dass aufgrund der großen Nachfrage nach Modellen

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Systemdenker, die dafür nicht qualifiziert sind, beginnen, Modelle mit niedriger Qualität zu erstellen.

Professionals inSD

CollegeStudents

SystemThinkers

ProfessionalTraining

K-12 Students

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Knowledge inMethodology

SD work load

Demand for SDmodeling

SD work quality

perceived SDwork quality

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+

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+

+

+

+-

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Abbildung 5.7: Negative Auswirkungen auf das Wachstum des Feldes

Maßnahmen und Initiativen (Abbildung 5.8):

Der Hebelpunkt für ein Wachstum des Feldes System Dynamics liegt in der verstärkten Entwicklung von professionellen Systemdynamikern, also in der Entwicklung der Angebotsseite. Die Sensitivität des Systems auf die Variable "Professionals in SD"

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zeigen zwei Simulationsläufe eines Modells der "Future of the Field Project"-Gruppe in Abbildung 5.8 (Andersen et al. 2001).

Abbildung 5.8 Maßnahmen und Initiativen

Das Ausgangsszenario (gekennzeichnet durch die Ziffer 1) beschreibt die tatsächliche Entwicklung des Feldes von 1956 bis 1997. Dieser Simulationslauf zeigt eine Entwicklung der Anzahl der professionellen Systemdynamiker auf 550 bis zum Jahre 1997. Das Feld weist eine jährliche Wachstumsrate von 15 % auf, außer in den Anfangsjahren und den Jahren Mitte der 70er Jahre bis Anfang der 80er Jahre. Die durchschnittliche Qualität von System Dynamics Projekten ist in den 60er und 70er Jahren hoch, beginnt jedoch in den 80er und 90er Jahren zu fallen. Die Zahl der veröffentlichten Studien erreicht um die 5000 Ende der 90er Jahre.

Das zweite Szenario (gekennzeichnet durch die Ziffer 2) beschreibt eine hypothetische Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Anteil der professionellen Systemdynamiker, die ihr Wissen in Form von Lehre weitergeben, von 12 % im Ausgangsszenario auf 14 % ansteigt. Es wird deutlich, dass ein kleiner Anteil an zusätzlichen Experten, die neue Modellierer ausbilden einen stark positiven Einfluss auf das Wachstum des Feldes ausüben. Aufgrund der langen Verzögerungen bewirkt die Flut an Amateur-Modellierern Anfang der 90er Jahre jedoch nach wie vor eine sinkende Qualität von System Dynamics Modellen.

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Zahlreiche Initiativen der System Dynamics Society setzen bei dem Hebelpunkt der Entwicklung professioneller Systemdynamiker an:

Schulausbildung:

Mit der Creative Learning Exchange (Hhttp://www.clexchange.org/H) wurde eine Internet-Plattform geschaffen, über die Lehrmaterialen für eine Integration systemdynamischer Ideen in den Schulunterricht zur Verfügung gestellt werden. Das Angebot reicht von Prozessen für die Einführung von System Dynamics in den Schulunterricht, Modelle und Lektionen für verschiedene Erfahrungsstufen und einen Newsletter mit neuesten Entwicklungen.

Road Maps (A Guide to Learning System Dynamics):

Bei den Road Maps handelt es sich um einen Selbstlernkurs für System Dynamics (Hhttp://web.mit.edu/sdg/www/roadmaps.html H). In neun Kapiteln wird man von den Grundlagen bis zu fortgeschrittenen Modellierübungen geführt. Die Road Maps verstehen sich als Kurs, der sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene ansprechen soll. Das Projekt wird vom " System Dynamics in Education Project (SDEP)", einer Gruppe von Studenten am MIT unter der Leitung von Jay Forrester betreut.

Curriculum Committee:

Beim Curriculum Committee handelt es sich um eine Gruppe namhafter System Dynamics Experten, die von der System Dynamics Society eingesetzt wurden um die Möglichkeiten der Entwicklung von Lehrplänen auszuloten. System Dynamics ist heute zumeist als Ergänzung zu bestehenden Programmen in Lehrplänen enthalten. Die Gestaltung von "reinen" System Dynamics Lehrplänen gestaltet sich schwierig. Dies liegt einerseits daran, dass verschiedenen Ausbildungszwecke, studentische Zielgruppen und Dauern eines Studiums berücksichtigt werden müssen. In einem Bericht des Curriculum Committee (Davidsen 2001) beschreibt Jay Forrester acht verschiedene Zwecke und Niveaus einer Ausbildung. Diese reichen von einer Integration von System Dynamics in den Schulunterricht ab der ersten Stufe, über ein Programm als Teil einer universitären Managementausbildung bis zu einem vierjährigen Doktoratsstudium. Je nachdem welches Vorwissen und welche Vorbildung besteht, müssen die Studienpläne darauf ausgerichtet werden.

Ein zweites Problem ergibt sich aus der Frage wie ein Lehrplan gestaltet werden soll. Es scheint in diesem Punkt zwei gegenläufige Auffassungen zu geben (Davidsen 2002):

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• Die eine Auffassung fokusiert den Inhalt eines Curriculums. Hier wird besonderer Wert auf die Definition eines Basiswissens in System Dynamics in Form von Theorie und Fähigkeiten gelegt, welche ein Systemdynamiker auf verschiedenen Fertigkeitsebenen erlangen muss. Dieses Basiswissen ist zentraler Bestandteil jedes Lehrplanes und kann ohne weiteres von den Bespielen und Anwendungsfällen, auf welche es angewendet wird getrennt werden.

• Die zweite Gruppe ist der Ansicht, dass das Feld noch nicht reif genug für die Definition eines Basiswissens ist. Das Curriculum sollte sich aus der Lehrpraxis herausbilden. Ein Curriculum soll also über den Umweg guter Lehrpraktiken in verschiedenen Bereichen entstehen. Lehre sollte auf die Felder der Anwendung von System Dynamics zugeschnitten sein.

Ein Beispiel für ein reines System Dynamics Curriculum findet man am "Worcester Polytechnic Institute" unter J. O'Conner und K. Saeed (Hhttp://www.wpi.edu/Academics/Depts/SSPS/Ugrad/sd.html H). Die Ausbildung zielt auf die Vermittlung des Handwerkszeuges ab um multidisziplinäre Probleme, welche aus dem Zusammenwirken von Gesellschaft und Technik entstehen mit Hilfe von systemdynamischen Computersimulationsmodellen zu lösen. Das Angebot an reinen System Dynamics Kursen beinhaltet reine Modellierkurse, die Psychologie von Entscheidungen und Problemlösen und Group Model Building Kurse. Davon getrennt werden die Anwendungsgebiete Volkswirtschaftslehre, Projektmanagement, Ingenieurswesen, öffentliches Management, Umweltmanagement, Feuerschutz, Computerwissenschaften, Gesellschafts- und Technologiepolitik, Transportplanung, Modellanalyse und Elektrizitätswirtschaft behandelt.

Zertifizierung und Akkreditierung:

Eine Maßnahme, die eine Sicherung der Qualität von Modellen gewährleisten soll, und eher kurzfristig orientiert ist, stellt die Zertifizierung von System Dynamics Praktikern und die Akkreditierung von Ausbildungseinrichtungen dar. Während es leichter erscheint Ausbildungsinstitutionen zu akkreditieren, haben jedoch die meisten System Dynamics-Praktiker kaum jemals einen Kurs besucht. Die Zertifizierung von Individuen hätte damit direktere und weitreichendere Auswirkungen. Die Vorteile einer Zertifizierung demonstriert Kubanek (Kubanek 2002) am Beispiel des "Project Management Institute" (Hwww.pmi.orgH). Diese Organisation hat eine offizielle, auch für Laien verständliche Definition von "Projekt Management" entwickelt, und einen abgrenzbaren, relevanten Wissenskörper definiert.

"Due to its [PMI] highly visible successes many organizations [the Canadian Federal Goverment] mandate that any Consultant hired to implement a Project MUST be PMI certified. Certification has made all the differences in this field." (Kubanek 2002, p 3).

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Für die Ziele dieses Kapitels, die Definition von System Dynamics Wissen und die Definition eines Experten über dieses Wissen seien die Aussagen dieses Abschnittes zusammengefasst:

• Das Feld steckt, was die Ausbildung professioneller Modellierer anbelangt noch in den Kinderschuhen. Es existieren bis auf wenige Ausnahmen kaum "reine" Studiengänge mit Abschlüssen in der Methode System Dynamics.

• Es existiert kein offizieller Wissenskörper, der etwa die Akkreditierung von Ausbildungsinstitutionen oder die Zertifizierung von System Dyanamics Praktikern zuließe.

• Die Ableitung von System Dynamics Wissen aus den Lehrplänen bestehender Universitäten gestaltet sich insofern als schwierig, als dass System Dynamics in diesen Programmen zumeist als angewandte Methode in bestimmten Bereichen eingesetzt wird.

• Es existieren im Vergleich zu anderen Gebieten relativ wenige (aktuelle) Lehrbücher in System Dynamics. Eine wesentliche Ausnahme hierzu stellt "Business Dynamics" von John Sterman dar (Sterman 2000).

5.1.2 Die Rolle stillen Wissens und Erfahrung

Eine Schwierigkeit, die bei der Definition von System Dynamics Wissen auftritt besteht darin, dass Wissen über den Modellbau zwar einen wichtigen, aber bei weitem nicht den einzigen Bestandteil von System Dynamics Wissen ausmacht. Stilles Wissen und Erfahrung spielen eine zentrale Rolle bei der erfolgreichen Durchführung und Umsetzung von Projekten. Die Bedeutung von Erfahrung ist klar und braucht nicht näher erläutert zu werden. Mit stillem Wissen bezeichne ich all jene Fertigkeiten, die im zwischenmenschlichen Bereich angesiedelt sind. Wie bereits an einigen Stellen in dieser Arbeit erwähnt, hat der Kunde, insbesondere in System Dynamics Beratungsprojekten eine wichtige Funktion. Erstens ist er Informationsquelle, da der überwiegende Anteil an Daten, die für den Modellbau erforderlich sind in den mentalen Modellen der Systembesitzer gespeichert ist. Zweites bestimmt der Kunde den Modellzweck, welcher ausschlaggebend für den Verlauf des Projektes ist. Drittens ist der Kunde treibende Kraft für die Umsetzung von Modellergebnissen. Die sich in der Literatur wiederspiegelnde verstärkte Einbindung des Kunden in den Modellierungsprozess hat der zwischenmenschlichen Komponente ohne Zweifel stärkere Bedeutung zukommen lassen als das früher der Fall war. Die zwischenmenschlichen Fähigkeiten eines Modellierers können als soziale und kommunikative Fertigkeiten aufgefasst werden.

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Ein erster Versuch System Dynamics Wissen zu definieren könnte erfolgen, indem man das Wissen drei Kategorien zuordnet:

Theoretisches Wissen

Theoretisches Wissen ist sicherlich eine wesentliche Basis und Voraussetzung für die Durchführung von Projekten. Einige Punkte, die dem theoretischen Wissen zugeordnet werden können und nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben sind:

• Rein technische Fragen des Modellierens. "Was sind Stocks und Flows?", "Was sind Hilfsvariablen, und wann verwende ich sie?", "Was sind Konstanten?", "Was sind Material- und Informationsflüsse?", "Wie müssen die Elemente verbunden werden um logisch korrekte Modelle zu bauen?", "Wie wähle ich korrekte Integrationsintervalle?" usw. Zu diesem Punkt wären auch Kenntnisse über qualitative Modelliertechniken wie Causal Loop Diagrams oder Archetypen zu zählen.

• Fragen der Modellkonzeptionierung. "Welcher Zeithorizont soll gewählt werden?", "Welche Systemgrenze soll gewählt werden?", "Welche Elemente sind für das Verhalten des Systems wesentlich?" usw.

• Fragen der Gültigkeit von Modellen. Kenntnis der zahlreichen Tests auf Validität des Modells.

• Der Prozess des Modellierens von Konzeptionierung über Formulierung, Testen und Implementierung.

• Kenntnisse von Simulationssoftware.

Theoretisches Wissen, dass nicht direkt den Modellbau betrifft wären z.B. folgende Punkte:

• Kenntnisse der Klassiker von Forrester wie Industrial Dynamics, World Dynamics oder Urban Dynamics.

• Kenntnisse der Geschichte von System Dynamics.

• Modelle aus verschiedenen Einsatzgebieten.

• Stärken und Schwächen von System Dynamics.

Erfahrung

Fundiertes Theoriewissen ist notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für gute Modelle. Diese Erkenntnis ist wenig spektakulär, trifft sich doch auf fast alle

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Lebensbereiche mehr oder weniger zu. Ich möchte hier jedoch den Standpunkt vertreten, dass Erfahrung bei der Erstellung von Modellen guter Qualität in System Dynamics einen besonderen Stellenwert einnimmt. Die Definition von Qualität kann über zwei Kriterien erfolgen: Erstens, Qualität im Sinne einer gültigen Abbildung der Realität, als Validität von Modellen. Zweitens, Qualität im Sinne von Erfüllung des Modellzweckes also der Erzeugung von kausalen Einsichten oder der Entwicklung von alternativen Entscheidungsstrategien. Das erste Kriterium ist notwendige Bedingung für das zweite und so könnte man die Validität als wichtigstes Kriterium für die Qualität von Modellen ansehen. Die Frage der Erfahrung beim Modellieren lässt sich also darauf reduzieren warum der Bau gültiger Modelle einen guten Teil Erfahrung benötigt. Die Antwort die ich drauf geben möchte ist folgende: Soziale Systeme sind mit Abstand die kompliziertesten Systeme überhaupt.

Das wiederum liegt meiner Ansicht nach, neben der dynamischen Komplexität die aus den nichtlinearen Beziehungen der Systemelemente untereinander erwächst, vor allem daran, dass ein soziales System zu großen Teilen aus unsichtbaren Elementen besteht, wie z.B. Informationsflüssen, Softvariablen und Entscheidungsregeln. Das Aufspüren und Modellieren dieser Elemente erfordert Erfahrung. Daneben besteht in sozialen Systemen praktisch immer das Problem der Systemgrenze. Diese dem Modellzeck anzupassen erfordert ebenfalls Erfahrung. Nun könnte man einwenden, dass keineswegs gesichert ist, dass Erfahrung zu gültigen Modellen führt. Dieser Einwand ist aber eher darauf gerichtet, zu bezweifeln, dass überhaupt gültige Modelle gebaut werden können. Wenn man diesem Einwand damit begegnet, dass der Modellzweck die Gültigkeit von Modellen bestimmt, etwa indem der Modellbau einen Lernprozess verursacht, so befindet man sich, akzeptiert man die beiden Kriterien für die Qualität von Modellen, in einem unendlichen Regress, da der Modellzweck nur mit gültigen Modellen erreicht werden kann. Forrester (Forrester 1961, p. 70-71) schreibt zu diesem Problem folgendes:

"Any 'objective' model-validation procedure rests eventually at some lower level on a judgment or faith that either the procedure or ist’s goals are acceptable without objective proof."

Und ich möchte behaupten, dass dieses Urteil oder dieser Glaube mit Erfahrung sicherer wird.

Soziale und kommunikative Fähigkeiten

Wie ich bereits an anderen Stellen in dieser Arbeit erwähnt habe, ist die Einbeziehung des Kunden aus mehreren Gründen wichtig für die erfolgreiche Durchführung eines System Dynamics Projektes. Der Kunde ist dabei in der Regel keine Einzelperson, sondern eine Gruppe von Personen. Man könnte also durchaus sagen, dass das

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Modellieren sozialer Systeme ein Prozess ist, der in soziale Systemen eingebettet ist. Daraus folgt, dass der Prozess wesentlich durch die Interaktion von Menschen beeinflusst wird. Wenn man dieses Argument akzeptiert, ist klar, dass zwischenmenschliche Fertigkeiten des Modellierers, wie soziale oder kommunikative Fähigkeiten die Qualität eines Projektes beeinflussen können. Dabei beziehen sich diese Fähigkeiten nicht so sehr auf die Frage "Was ist das Problem, das mit dem Projekt gelöst werden soll?", sondern vielmehr auf die Fragen "Wie soll das Problem gelöst werden?" bzw. "Wie sollen die Interaktionen innerhalb der Gruppe und der Gruppe mit dem Modellierer gestaltet sein um ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen?".

Der Ablauf eines Projektes umfasst eine große Anzahl von Aktivitäten deren Ergebnis von der Interaktion zwischen Modellierer und Kunden abhängen. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang vor allem die Generierung von Systemvariablen, die in das Modell aufgenommen werden müssen, die Identifikation von Feedbackschleifen, die Setzung der Systemgrenzen oder die Evaluierung von Modellergebnissen. Auch die Akzeptanz der Ergebnisse wird durch die Interaktion von Modellierer und Kunde im Laufe des Projektes beeinflusst sein.

Einige notwendige kommunikative und soziale Fertigkeiten für System Dynamics Modellierer könnten sein:

• Eine Einstellung des Modellierers die zum Ziel hat dem Kunden zu helfen sich selbst zu helfen. Die Konsequenz daraus ist, dass sich der Berater damit selbst überflüssig macht, andererseits kann Lernen beim Kunden nur so stattfinden.

• Neutralität gegenüber der Problemsituation und seiner möglichen Lösungen. Der Modellierer sollte dem Kunden nicht seine Meinung aufzwingen.

• Die Fähigkeit eine Gruppe zu einer Lösung zu führen. Die Schaffung von Vertrauen in der Gruppe, die Schaffung eines offenen Diskussionsklimas, Motivation der Gruppenteilnehmer, Interventionen in den Gruppenprozess usw.

• Kommunikative Fertigkeiten wie z.B. aufmerksames Zuhören, klares Zusammenfassen von Meinungen, klare Ausdrucksweise usw.

Trotz der starken Zunahme des Modellierens in und mit Gruppen sind die oben angestellten Überlegungen in der System Dynamics Literatur bisher kaum in Erscheinung getreten.

Zusammenfassend kann man zu diesem Abschnitt sagen:

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Theoretisches System Dynamics Wissen ist die Basis für gute Qualität bei Modellen. Misst man die Qualität von Modellen anhand des Kriteriums der Güte der Abbildung der Realität, also der Validität des Modells, dann spielt Erfahrung eine große Rolle als Bestandteil des Wissens in System Dynamics. Darüber hinaus werden aufgrund der starken Einbindung des Kunden in Projekte soziale und kommunikative Fertigkeiten des Modellierers immer wichtiger.

5.1.3 System Dynamics und andere Felder

Eine dritte Schwierigkeit bei der Definition von System Dynamics Wissen ergibt sich aus der starken Interdisziplinarität des Feldes. Eine "General Theory" komplexer dynamischer Feedbacksysteme, wie sie System Dynamics darstellt wird mit der Anwendung auf Probleme automatisch interdisziplinär. Dieser Gedankengang kann anhand einer Theoriepyramide veranschaulicht werden (Abbildung 5.9).

Abbildung 5.9 Theoriepyramide

Die Spitze der Pyramide bildet eine relativ abstrakte und von anderen Disziplinen unabhängige Theorie über komplexe dynamische Feedbacksysteme. Je weiter man sich von der Spitze in Richtung Basis der Pyramide bewegt, desto anwendungsorientierter und disziplinübergreifender wird diese Theorie. Die theoretischen Grundpfeiler von System Dynamics könnte man mit folgenden Prämissen zusammenfassen:

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• Die einzige Konstante im Universum ist Veränderung.

• Veränderung entsteht in Systemen.

• Systeme bestehen aus Elementen.

• Veränderung in Systemen entsteht durch die Interaktion dieser Elemente.

• Die Interaktion der Elemente ist durch Feedback charakterisiert.

• Feedbackschleifen bestehen aus Akkumulationen der Zuflüsse zu den Beständen, und Informationsflüssen, welche die Bestände mit den Flüssen verbinden.

Die Konsequenz aus Feedback und Akkumulation in Beständen ist, dass Systeme mittels Differentialgleichungen mathematisch formuliert und mit Computern simuliert werden können.

Die Prämissen, welche die allgemeinen Eigenschaften komplexer dynamischer Feedbacksysteme beschreiben, bilden die Grundlage für die zweite Theorieebene. Hier kommt es zu einer Beschreibung des Verhaltens der Akteure in den Systemen. Diese verarbeiten den momentanen Systemzustand zu Entscheidungen, welche das System in Zukunft beeinflussen. Die Akteure in den Systemen, die für den Zweck dieser Arbeit interessant sind, sind menschlich, d. h. es interessieren soziale Systeme. Ebenso gut könnten die Akteure des Systems Planeten, Moleküle oder Maschinen sein. Der Unterschied ist von einem modelliertechnischen Standpunkt aus betrachtet nicht allzu groß. Tatsächlich ist es eine Frage der Perspektive in wieweit sich etwa ein vollkommen rationaler, perfekt informierter und nutzenmaximierender Homo Ökonomikus von einem Planeten unterscheidet, der physikalischen Grundgesetzen gehorcht. In System Dynamics trifft man realistischere Annahmen in Bezug auf das Verhalten von Menschen in Systemen. Menschliches Entscheidungsverhalten in System Dynamics Modellen ist begrenzt rational. Begrenzte Rationalität entsteht durch die Grenzen unseres Wissens, unserer geistigen Fähigkeiten und durch zeitliche Einflüsse auf die Entscheidungen. Unsere Wahrnehmung ist selektiv, unser Wissen über die reale Welt lückenhaft, unsere mentalen Modelle vereinfacht und unsere Möglichkeiten der mentalen Simulation begrenzt. Die Theorie der "begrenzten Rationalität" geht auf Simon (Simon 1957) zurück und stammt aus dem Bereich der Volkswirtschaftslehre.

Wichtige Erkenntnisse, die Eingang in die Theorie von System Dynamics gefunden haben betreffen die Untersuchungen der kognitiven Psychologen über den Umgang von Menschen mit komplexen Systemen (z. B. Dörner 1989, Funke 1992, Frensch und Funke 1995). Die Notwendigkeit der Simulation, wie sie von vielen Vertretern des Feldes gefordert wird (z. B. Sterman 2000, p. 37) konnte mit Ergebnissen aus zahlreichen Experimenten aus dem Bereich der Psychologie bestätigt werden.

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Die nächsten Theorieebenen betreffen direkt die Anwendungen der Theorie komplexer dynamischer Feedbacksysteme auf Probleme in verschiedenen Feldern. Hier baut System Dynamics auf dem bekannten Wissen der einzelnen Disziplinen auf, und versucht systemendogene dynamische Erklärungen für bekannte oder unbekannte Phänomene zu liefern. Die Probleme, die dabei für die Definition von System Dynamics Wissen entstehen, könnte man mit folgenden Fragen zusammenfassen: "Inwieweit muss ein Systemdynamiker über konkurrierende Erklärungen aus anderen Feldern für das Phänomen, welches untersucht wird bescheid wissen?". "In welchem Umfang soll er Forschungsinstrumente aus anderen Bereichen beherrschen, wie z. B. ökonometrische und statistische Methoden, Laborexperimente oder andere Simulationsmethoden?".

5.1.4 Probleme bei der Definition von Wissen

Für die erfolgreiche Definition von Expertenwissen oder System Dynamics Wissen allgemein ergeben sich also zwei Probleme, deren Lösung mich den Rest dieses Kapitels beschäftigen wird.

Die Identifikation von System Dynamics Wissen

Es ist, wie ich gezeigt habe aus mehreren Gründen problematisch einen klar definierten und abgegrenzten Wissenskörper in System Dynamics zu identifizieren. Dies liegt einerseits daran, dass es kaum reine System Dynamics Ausbildungen gibt. Die Ausbildung zum Systemdynamiker steckt in den Kinderschuhen. Im Feld selbst herrscht Uneinigkeit darüber, wie gute Lehrpläne auszusehen haben. Die einen befürworten eine reine Ausbildung zum Systemdynamiker mit klarer Abgrenzung von den Anwendungsgebieten, die anderen vertreten die Position, dass System Dynamics in die Ausbildung bestehender Gebiete integriert werden sollte und fokusieren damit anwendungszentrierte Lehrpläne. Die relativ geringe Anzahl an Lehrbüchern verstärkt diese Problematik zusätzlich.

System Dynamics umfasst neben der Theorie des Modellierens im weiteren Sinne auch Wissen, welches man als still bezeichnen könnte und in Form von Erfahrungen, Fähigkeiten und Einstellungen in den Köpfen der Systemdynamiker gespeichert ist. Vielleicht mehr als in anderen Disziplinen ist dieses stille Wissen ausschlaggebend für die erfolgreiche Umsetzung von Projekten und erfordert deshalb eine besondere Betrachtung.

Schlussendlich ist die Generalisiertheit einer Theorie über komplexe dynamische Feedbacksysteme nicht nur wesentlicher Grund für den Erfolg von System Dynamics, sondern auch Ursache für die Interdisziplinarität ihrer Anwendung und damit Hürde für die Definition eines kohärenten Wissenskörpers in System Dynamics. Anders gesagt,

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System Dynamics ist nicht von den Problemen trennbar auf welche die Theorie angewendet wird.

Die Einteilung von System Dynamics Wissen

Die systematische Erfassung von System Dynamics Wissen setzt ein effektives Zuordnungsschema voraus. Die Definition eines derartigen Schemas ist das zweite Problem welches in diesem Kapitel gelöst werden muss. Ich werde im nächsten Kapitel einige Möglichkeiten diskutieren und ein Schema vorschlagen, welches die simultane Erfassung und Zuordnung von Wissen ermöglichen soll.

5.2 Vier Kategorien für die Einteilung von Wissen

Nachdem ich nun auf die Schwierigkeiten bei der Identifikation und der Zuordnung von System Dynamics Wissen eingegangen bin, soll in diesem Abschnitt ein Klassifizierungs- und Zuordnungsschema für System Dynamics Wissen vorgestellt, und gleichzeitig relevante Wissensthemen zugeordnet werden. Dieses Schema wird als Grundlage für die Identifikation und Klassifizierung von relevantem Wissen für Manager dienen.

Bei einem systematischen Versuch Wissen zu erfassen und zu klassifizieren ist zunächst die Frage zu stellen welche Art von Schema für dieses Unterfangen geeignet erscheint. Das Schema sollte wenn mögliche sowohl die Erfassung als auch die Einteilung von Wissensthemen anhand von bestimmten Attributen ermöglichen. Es erscheint mir für diesen Zweck als sinnvoll, Kategorien zu definieren, zu welchen Wissensthemen anhand gemeinsamer Eigenschaften zugeordnet werden können. Idealtypische Kategorien würden die folgenden Eigenschaften besitzen:

• Vollständigkeit

• Eindeutigkeit

• gegenseitiger Ausschluss

Vollständige Kategorien decken das gesamte Wissen in System Dynamics ab, d. h. das gesamte Wissen ist den Kategorien zuordbar. Eine Kategorie ist eindeutig, wenn ihr ein Wissensthema eindeutig zugeordnet werden kann. Die Kategorien schließen sich gegenseitig aus, wenn sich die ihnen zugeordneten Themen nicht überschneiden.

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Es ist klar, dass diese Anforderungen ideal sind und bei einem so komplexen Gebiet kaum erreichbar sein können. Ziel muss es sein, Kategorien zu finden, die einerseits nicht zu detailliert sind, andererseits aber auch nicht zu grob. Vor allem die Anforderung an die gegenseitige Ausschließbarkeit kann nur in abgemilderter Form erfüllt werden. Das Schema soll ein Werkzeug sein um Ordnung in ungeordnete Gedanken zu bringen.

Ein Schema, dass die obigen Anforderungen erfüllt, ist die Eineilung des System Dynamics Wissen in vier unterschiedliche Kategorien:

• systemisches Wissen

• Modellierwissen

• Soziale- und kommunikative Fertigkeiten und Einstellungen

• Interdisziplinäres Wissen

Die einzelnen Wissensthemen möchte ich als Tätigkeiten in den Phasen eines System Dynamics Projektes auffassen. Die Zuordnung erfolgt anhand der Ziele, die mit diesen Tätigkeiten verfolgt werden, oder anhand des Beitrages, den sie zur erfolgreichen Umsetzung eines Projektes leisten.

5.2.1 Systemisches Wissen

Definition:

Systemisches Wissen in System Dynamics umfasst alle Techniken, Methoden, Fertigkeiten und Einstellungen, die notwendig sind, um

• Probleme zu erkennen, deren Lösung mit System Dynamics geeignet erscheinen (systemische Probleme).

• ein erkanntes Problem zu definieren.

• Hypothesen über die Struktur des Systems und damit die Ursachen des Problems aufzustellen.

Diese Definition beinhaltet vor allem Wissen, dass in der Konzeptionierungsphase eines System Dynamics Projektes zur Anwendung gelangt.

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Es soll den Anwender in die Lage versetzen eine systemendogene Theorie über die Ursachen eines Phänomens zu entwickeln.

Notwendiges Wissen für das Testen dieser Theorie soll im nächsten Abschnitt besprochen werden. Die wichtigsten Wissensthemen, die dem systemischen Wissen zugeordnet werden können sind:

1. Feedbackdenken

Das Denken in Feedbackschleifen unterscheidet sich fundamental von dem meist vorherrschenden Denken in Ursachen-Wirkungs-Ketten. Akzeptiert man den Gedanken an Feedbackschleifen, so muss man auch akzeptieren, dass ein Phänomen nicht unbedingt nur eine einzige Ursache haben muss. Vielmehr ist das Zusammenwirken mehrerer Elemente in verschiedenen Feedbackschleifen die Ursache eines Phänomens. Oder anders ausgedrückt, die Ursachen liegen in den Feedbackschleifen selbst oder der Struktur des Systems. Das Phänomen ist Teil der Feedbackschleifen und damit Teil seine eigenen Ursache.

2. Dynamisches Denken

Im dynamischen Denken spielt, wie der Name bereits sagt, die Zeit, und zwar nicht in Form eines Zeitpunktes, sondern in Form einer Zeitspanne eine wesentliche Rolle. Dynamisches Denken bedeutet Denken in Zeitabläufen statt Denken in Zeitpunkten.

3. Stock & Flow Denken

Stock & Flow Denken steht in engem Zusammenhang mit dynamischem Denken. Untersuchungen haben bewiesen, dass Menschen erhebliche Probleme in mit der Unterscheidung von Bestands- und Flussgrößen haben (Sweeney und Sterman 2000, Ossimitz 2001). Betrachtet man Veränderungen von Beständen als Akkumulationen von Zu- und Abflüssen über eine Zeitspanne, dann ist die Unterscheidung von Bestands- und Flussgrößen fundamental für dynamisches Denken. In der öffentlichen Diskussion trifft man häufig auf die Defizite im Stock & Flow Denken, etwa wenn eine Reduktion des Treibhausgasausstoßes pro Jahr mit einer Reduktion von Treibhausgasen in der Atmosphäre gleichgesetzt, oder die Reduktion der Neuverschuldung eines Landes mit der Reduktion des Schuldenbestandes gleichgesetzt wird. Stock & Flow Denken ist vor allem in Bezug auf dynamisches Denken wichtig, das in die Zukunft gerichtet ist, sowie bei Veränderungen, die nur langsam vor sich gehen.

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4. Bewusstsein für dynamische Komplexität von Systemen

Ein Bewusstsein für Systeme zu besitzen bedeutet, die Welt als interagierende Hierarchie von Systemen zu sehen. Die Konsequenz aus dieser Perspektive ist einerseits, dass man sich bewusst als Teil eines Systems sieht, welches man beeinflusst, und von welchem man beeinflusst wird, andererseits, und dies vor allem in Verbindung mit Feedbackdenken, dass man die Gefahren von isolierten Problemlösungen erkennt. Die Interaktion der Systeme kann äußert komplexe Verhaltensmuster erzeugen, deren Ursachen nicht offensichtlich sind.

5. Bewusstsein für die Beschränkungen des menschlichen Geistes

Dies beinhaltet vor allem die Akzeptanz der Fehlbarkeit des menschlichen Gehirns in Bezug auf den Umgang mit dynamischer Komplexität von Systemen. In diesem Zusammenhang seinen besonders erwähnt die beschränkte Informationsverarbeitungskapazität des Gehirns und die Problematik der mentalen Simulation komplexer Systeme. Die Konsequenz aus diesem Bewusstsein ist die gezielte und bewusste Informationssammlung und –filterung, sowie die Erkennung des Nutzens von Modellen als Hilfsmittel für die Abbildung einer undurchdringlichen Komplexität der realen Welt.

6. Wissenschaftliches Denken

Wissenschaftliches Denken ist besonders in Kombination mit dem Bewusstsein über die Fehlbarkeit des Geistes wichtig. Es bedeutet die aktive Suche und das Akzeptieren von widersprüchlichen Informationen und Indizien und damit die Fähigkeit seine mentalen Modelle zu ändern.

Neben diesen eher auf Einstellungen abzielenden Wissensgebieten sind für systemisches Wissen auch einige theoretische und methodische Wissensthemen relevant:

7. Allgemeine theoretische Grundlagen

Dazu zählen allgemeine Grundlagen wie negative und positive Rückkoppelung, generische Verhaltensmuster wie exponentielles Wachstum, zielsuchendes Verhalten, Oszillation usw., Ursachen für "counter-intutive-behavior" von Systemen oder das Konzept der oft nicht offensichtlichen Hebelwirkung in Systemen.

8. Methodische Kenntnisse

Dies betrifft vor allem qualitative Darstellungstechniken aus dem Bereich der System Dynamics wie Archetypen, Causal Loop diagrams oder Stock & Flow Diagrams.

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5.2.2 Modellierwissen

Definition:

Modellierwissen ermöglicht die Erstellung logisch richtiger und gültiger Simulationsmodelle mit welchen die dynamischen Hypothesen getestet werden können.

Zu dieser Kategorie ist rein technisches Modellierwissen über den Bau quantitativer Simulationsmodelle zu zählen. Diese Wissenskategorie bildet das Herzstück von System Dynamics in jedem Projekt mit quantitativer Simulation und ist dementsprechend sehr umfangreich. Logisch richtige und gültige Modelle sind notwendige Voraussetzungen um die dynamischen Hypothesen aus der Konzeptionierungsphase eines Projektes zu testen.

Im wesentlichen kann man Modellierwissen in drei große Blöcke einteilen:

1. Theoretisches Grundlagenwissen

Theoretisches Grundlagenwissen über Simulation ermöglicht den Bau von logisch richtigen Modellen. Die Formulierung von System Dynamics Modellen in Form von Gleichungen, etwa wie sie die Simulationsumgebung Dynamo zur Verfügung stellt, ist heute zugunsten von Software mit grafischer Benutzeroberfläche in den Hintergrund getreten. Dementsprechend besteht der Bau von Simulationen in der richtigen Verwendung der Symbole, welche die Software zur Verfügung stellt. Die Art der Symbole, deren Bedeutung und Bezeichnung ist mehr oder weniger standardisiert. Man unterscheidet im wesentlichen Bestandsvariablen, Flüsse, Hilfsvariablen und Konstanten. Unter logisch richtig ist zu verstehen, dass grundsätzliche Modellier-Konventionen eingehalten werden. Bestände und Flüsse müssen sich abwechseln, Bestände können ausschließlich durch Flüsse verändert werden, Flussvariablen können in der Regel nicht als Input für Entscheidungen verwendet werden, da die momentane Stärke des Flusses unbekannt ist, der Grundsatz der Materialerhaltung, also, dass physische Flüsse außer in einer Senke nicht versiegen können oder die Stimmigkeit und Kompatibilität von Dimensionen von Variablen im Modell.

Auf diesen Grundlagen aufbauend zählt zu den theoretischen Grundlagen die Kenntnis verschiedener wichtiger Konzepte wie z.B. das Wesen von Verzögerungen als eine Kette von Beständen, die Modellierung von Bestandsattributen in Form von Coflows,

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Wissen über die Formulierung nichtlinearer Zusammenhänge oder die Modellierung von Entscheidungen und menschlichen Verhaltens.

2. Validität von Modellen

Theoretisches Grundlagenwissen ermöglicht den Bau logisch richtiger Modelle, die mehr oder weniger der Realität entsprechen. Obwohl die Gültigkeit von Modellen stark vom Modellzweck determiniert wird, und jedes Urteil darüber schlussendlich auf einer subjektiven Entscheidung beruht wurden einige formale Instrumente entwickelt (z.B. Forrester und Senge 1980, Sterman 2000 p. 843 ff.). Neben Methoden, die vor allem die logische Korrektheit des Modells überprüfen, etwa Tests für die Wahl der Systemgrenzen, der dimensionalen Stimmigkeit, Stresstests oder Tests für die richtige Wahl der Integrationsmethode gibt es zahlreiche Verfahren für die Überprüfung der Übereinstimmung von Modelloutput und vorhandenen empirischen Daten über das reale System. Da Modelle sozialer Systeme immer die Perspektive des Modellierers mit einbezieht und damit die Intersubjektivität verloren geht, kommt der Sensititvitätsanalyse besondere Bedeutung zu. Dabei wird überprüft, ob sich die Ergebnisse aus der Modellstudie in Bezug auf den Modellzweck ändern wenn die zugrundeliegenden Annahmen über den plausiblen Unsicherheitsbereich verändert werden.

3. Simulationssoftware

Die drei wichtigsten Simulationspakete Vensim, Powersim und Ithink sind zu mächtigen Werkzeugen herangewachsen, die zahlreiche Funktionen zur Verfügung stellen. Die Einarbeitung in eines oder mehrerer dieser Pakete nimmt lange Zeit in Anspruch und die Verwendung der Software über die Grundfunktionen hinaus ist nicht trivial. Neben den Standardfunktionen bieten heute alle Simulationsumgebungen die Möglichkeit das Simulationsmodell mit einer grafischen Benutzeroberfläche zu versehen um Management-Flight Simulatoren zu bauen, Daten aus anderen Programmen zu importieren, oder ein Modell um Funktionen zu erweitern, die extern, etwa in Form eines C-Programmes vorliegen.

5.2.3 Soziale und kommunikative Fertigkeiten und Einstellungen

Definition:

Soziale und kommunikative Fertigkeiten und Einstellungen beeinflussen die Qualität der Ergebnisse von Projekten, die mit Gruppen durchgeführt werden. Dieser Kategorie ist insbesondes in Beratungsprojekten in Form von Gruppen-Modellierung bedeutend.

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Weite Teile der System Dynamics Literatur nehmen stillschweigend an, dass ein guter Modellierer auch entsprechende Fähigkeiten im Umgang mit Gruppen besitzt. Systemisches Wissen und technisches Modellierwissen beziehen sich in erster Linie auf den Inhalt oder das Problem einer Studie, soziale und kommunikative Fähigkeiten beziehen sich im Gegensatz dazu auf den Prozess des Modellbaus. Wissen aus dieser Kategorie ist demnach in allen Phasen eines Projektes, von Problemdefinition bis Implementierung der Modellergebnisse relevant.

Mit der zunehmenden Integration der Systembesitzer in den Prozess des Modellbaus für Lernzwecke nimmt auch die Bedeutung des Interaktionsprozesses zwischen Modellierer und Gruppe zu. Gute soziale und kommunikative Fähigkeiten können die Qualität des Ergebnisses einer Studie ebenso beeinflussen wie ein logisch richtiges und gültiges Simulationsmodell. Der Modellierer muss sich bewusst sein, dass er nicht nur sein Fachwissen in den Prozess einbringt sondern auch seine Person und sein Verhalten.

Vennix (Vennix 1996, pp. 141 ff.) nennt einige Einstellungen und Fähigkeiten, die für einen effektiven Umgang mit Gruppen notwendig sind. Einstellungen beeinflussen die Art und Weise wie der Modellierer auf bestimmte Situationen reagieren und können somit den Gruppenprozess und seine Effektivität bestimmen.

• Eine Helfende Einstellung besteht darin, demjenigen, der mit einem Problem konfrontiert ist zu helfen sich selbst zu helfen. Das Gegenteil davon ist eine Einstellung, die von einem höherstehenden Wissen des Modellierers ausgeht und versucht dem Gegenüber seine Meinung aufzuzwängen. Die Voraussetzung für eine helfende Einstellung des Modellierers ist, dass dieser das Problem in seiner Gesamtheit erkennt und versteht.

• Authentizität und Integrität des Modellierers können ein offenes Klima in einer Gruppe erzeugen und so die Akzeptanz für die Ergebnisse der Studie fördern.

• Eine neutrale und offene Einstellung des Modellierers hilft dabei wertfreie Fragen zu stellen, die keine Antworten implizieren. Fragen sollten nicht von den Werten des Modellierers geleitet sein, sondern neutral und problemorientiert.

Die richtigen Einstellungen sind Voraussetzung für die Entwicklung der entsprechenden Fähigkeiten im Umgang mit Gruppen. Die Beherrschung systemdynamischer Modelliertechniken ist notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Gestaltung eines Projektes. Je stärker der Zweck der Studie auf Lernen bei den Systembesitzern abzielt, desto wichtiger werden jedoch Fähigkeiten, welche die Bildung von Gruppen und der Steuerung von Gruppenprozessen betreffen.

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• Strukturierung der Gruppenprozesse. Frei interagierende Gruppen agieren oft unter ihrem Potential (Steiner 1972 in Vennix 1996 p. 151). Gründe dafür sind die ungleiche Beteiligung der Gruppenteilnehmer, die gleichzeitige Generierung von Alternativen und deren Bewertung oder die Tendenz der Gruppenteilnehmer mehr an Machtkämpfen interessiert zu sein als an Lösungen. Der Modellierer kann die Gruppenprozesse positiv beeinflussen indem er beispielsweise die Aufgaben in Problemidentifikation, Generierung von Alternativen und Bewertung der Alternativen unterteilt. Die große Gruppe kann in kleinere Untergruppen unterteilt werden, die für bestimmte Aspekte des Problems zuständig sind, und miteinander interagieren.

• Konfliktbewältigung. Ein gesundes Maß an Konflikt in Gruppen kann die Qualität der Lösung positiv beeinflussen. Verschiedene aufeinanderprallende Perspektiven und Meinungen erweitern den Raum für mögliche Lösungen. Der Modellierer muss die Konflikte so steuern, dass sie die Qualität der Lösung nicht beeinträchtigen. Gruppenkonflikte können so stark werden, dass sie die konstruktive Interaktion der Gruppenmitglieder beeinträchtigen, oder andererseits zu verfrühtem Konsens führen, um dem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Beides wirkt sich negativ auf die Effektivität der Gruppe aus.

• Kommunikation ist das Mittel, mit welchem Gruppenmitglieder ihre Sichtweisen über das Problem austauschen und zu einem gemeinsamen Verständnis gelangen. Kommunikation wird wichtiger je komplexer das Problem ist, weil die Perspektiven dann unterschiedlicher werden. Die Ermöglichung einer offenen Kommunikation innerhalb der Gruppe ist eine wichtige Aufgabe des Modellierers. Die Schaffung einer sicheren Umgebung, in welcher die Gruppenmitglieder das Gefühl haben ihre Meinung kundtun zu können ohne dafür angegriffen zu werden wird diese dazu anregen an der Diskussion teilzunehmen. Die Einbindung aller Gruppenmitglieder in den Diskussions- und Lösungsprozess führt dazu, dass ein breiter Konsens mit hoher Akzeptanz gefunden werden kann.

Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass der Einwand, soziale und kommunikative Fähigkeiten wären in allen Lebensbereichen von Bedeutung sicherlich zutrifft. Die gesonderte Behandlung und explizite Nennung als wichtiges Wissen in System Dynamics trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die Methoden in System Dynamics, vielleicht im Gegensatz zu anderen Modellierschulen ganz bewusst in die Richtung Group-Model-Building bewegt haben, sich also als Mittel für Lernen in und über komplexe dynamische Systeme definieren.

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5.2.4 Interdisziplinäres Wissen

Definition:

Interdisziplinäres Wissen ist Wissen aus den Anwendungsgebieten von System Dynamics.

System Dynamics ermöglicht die Analyse von Problemen, die verschiedene Bereiche wie Umwelt, Wirtschaft oder Gesellschaft betreffen in einer integrierten Theorie. Erklärungsansätze anderer Felder können in die Sprache von System Dynamics übersetzt werden, wo nicht nur Material und Energie, sondern auch Kapital, Menschen und Information als Stocks und Flows betrachtet werden und Teile eines Netzwerkes aus Feedback in einem komplexen System sind. Die Anwendung von System Dynamics auf bestimmte Bereiche involviert in der Regel die Auseinandersetzung mit verschiedenen Teilsystemen, die Einfluss auf das Problem haben.

Beispielsweise wird die Untersuchung der Auswirkungen der Erdölproduktion eines Landes verschiedene Faktoren berücksichtigen, wie technologischer Fortschritt bei den Produktionsmittel (technisches Teilsystem), Ölpreisentwicklung (weltwirtschaftliches Teilsystem), Ölreserven und Umweltverschmutzung (umweltpolitisches Teilsystem), gesellschaftliche Auswirkungen oder Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt (sozialpolitisches Teilsystem) sowie Probleme innerhalb der ölproduzierenden Unternehmen wie Reinvestitionspolitik oder Kostenstrukturen (wirtschaftspolitisches Teilsystem).

Ein zweites Beispiel, welches eher die mikroökonomische Ebene betrifft ist die Untersuchung der Auswirkung verschiedener Investitionsmöglichkeiten auf den Verlauf des Lebenszyklus eines neuen Produktes. Ein zentrales Element dieses Systems wird die Kaufentscheidung des Konsumenten sein. Man benötigt als ein Modell über das Käuferverhalten bezüglich der Faktoren, welche die Kaufentscheidung beeinflussen. Man könnte dazu entweder eigene Marktforschung betreiben oder auf die verhaltenswissenschaftlichen Modelle aus der Marketingtheorie zurückgreifen.

Wissen aus anderen Bereichen ist erforderlich für die Setzung der Systemgrenzen in Bezug auf den Modellzweck. Eine Untersuchung über die mittelfristigen Auswirkungen der Ölproduktion auf den Arbeitsmarkt wird die Entwicklung des Ölpreises unter Umständen als endogenen Faktor in das Modell aufnehmen, wohingegen die Entwicklung der Ölreserven vernachlässigt werden kann. Andererseits können bereichsfremde Theorien Erklärungen liefern, die direkt in das Modell eingehen, wie z.B. Modelle für Käuferverhalten oder andere Entscheidungsmodelle.

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6 Qualitatives Modellieren

Im Unterschied zu rigoroser quantitativer Simulation beschränken sich qualitative Modelle auf die Abbildung bestimmter Aspekte der Systemstruktur. Dies hat den wesentlichen Vorteil einerseits viel einfacher und damit mühelos erlernbar zu sein, andererseits schnelle Ergebnisse zu liefern. Geopfert wird dafür die Möglichkeit die Konsequenzen aus den Annahmen über die Systemstruktur abzuleiten. Überlegungen bezüglich der Auswirkungen von Eingriffen in das System müssen bis auf die trivialsten Systeme Mutmaßungen bleiben. Qualitative Modelle sind die Werkzeuge des „Systems Thinking“ nach Peter Senge (Senge 1990).

6.1 Systems Thinking

Der Begriff „Systems Thinking“ hat seine Wurzeln in System Dynamics und beschreibt je nach Definition entweder ein großes Ganzes mit einer Teilmenge „System Dynamics“ oder den umgekehrten Fall, „Systems Thinking“ als Teilmenge von „System Dynamics“. Mit „System Dynamics“ verbindet man in der Literatur, wie auch in dieser Arbeit strenge quantitative Computersimulation.

Barry Richmond definiert: „Systems Thinking is the art and science of making reliable inferences about behavior by developing an increasingly deep understanding of underlying structure.“ (Richmond 1994).

Sieben wesentliche „thinking skills“ beschreiben die Kunst des Systems Thinking. „Dynamic Thinking“, „Closed-Loop-Thinking“, „Generic Thinking“, „Structural Thinking“, „Continuum Thinking“, „Scientific Thinking“ und „Operational Thinking” (Richmond 1993, Richmond 1994). In einem anderen Artikel wird „Systems Thinking“ über die verwendeten Werkzeuge und Methoden definiert und dabei wird auch klar ersichtlich, dass „System Dynamics“ (Equations/Simulation) eine Teilmenge von Systems Thinking ist (Richmond 1991).

Ossimitz (Ossimitz 1997) definiert Systems Thinking über vier Dimensionen:

• Thinking in Models bedeutet einerseits das Bewusstsein darüber, dass wir in Modellen von der Wirklichkeit denken und andererseits, dass wir die Fähigkeit erlangen abstrakte Modelle von dieser Wirklichkeit zu bauen. Die Wahl der

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geeigneten Techniken für den Modellbau ist ein wichtiger Aspekt beim „Systems Thinking“.

• Interrelated Thinking. Bezeichnet das Denken in Kausalschleifen anstatt in Kausalketten.

• Dynamic Thinking. Bezeichnet die bewusste Miteinbeziehung einer Zeitdimension. Simulation ist häufig hilfreich oder sogar notwendig um die zeitlichen Entwicklungen verdeutlichen zu können.

• Steering a System. Im Endeffekt sind alle „Systems Thinking“-Überlegungen darauf gerichtet mit dem Ziel eine Verbesserung herbeizuführen in das System einzugreifen und es zu steuern.

Aus Punkt eins der Definition kann man ableiten, dass diese Definition von „Systems Thinking“ quantitative Simulationsmodelle als eine Teilmenge mit einschließt.

Ganz im Gegensatz dazu bezeichnet Jay Forrester das durch Peter Senge’s Buch „The Fifth Discipline“ (Senge 1990) geprägte „Systems Thinking“ „... to mean little more than thinking about systems, talking about systems, and acknowledging that systems are important. In other words, systems thinking implies a rather general and superficial awareness of systems.“ Systems Thinking kann nach Forrester vor allem dazu dienen ein Türöffner für ernsthafte Bemühungen bezüglich des Verständnisses von Systemen mittels System Dynamics zu sein.

Peter Senge definiert Systems Thinking über gewisse Fähigkeiten, die vor allem Führungskräfte besitzen müssen (Senge 1990c):

• „Seeing Interrelationships“ bezeichnet die Fähigkeit für vernetztes, dynamisches und nichtlineares Denken.

• „Moving beyond Blame“ trägt dem aus System Dynamics bekannten Phänomen Rechnung, dass Probleme durch die Systemstruktur verursacht werden.

• „Distinguishing Detail Complexity from Dynamic Complexity“ ist wichtig um die Hebelpunkte im System aufspüren zu können.

• „Focusing on Areas of High Leverage“ beschreibt das Phänomen hoher Hebelwirkungen in dynamischen Systemen.

• „Avoiding Symptomatic Solutions“ beschreibt die Tendenz im Management zu symptomatischen und schnellen Problemlösungen.

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Das durch Peter Senge populär gewordene „Systems Thinking“ ist für mich und diese Arbeit aus zwei Gründen interessant.

Erstens hat „Systems Thinking“ in Form der Bücher „The Fifth Discipline“ und „The Fifth Discipline Fieldbook“ (Senge 1990, Senge 1994b) eine bei weitem größere Verbreitung in Managementkreisen gefunden als der (große) Bruder „System Dynamics“. Die beiden Bücher zählen heute schon fast zur Standardlektüre in betriebswirtschaftlichen Kursen zu organisationstheoretischen Fragen.

Zweitens beschränken sich die Werkzeuge und Darstellungsformen im Sengeschen „Systems Thinking“ ausschließlich auf qualitative Methoden und Techniken. Obwohl die Wichtigkeit und die Vorteile quantitativer Computersimulation in einigen Passagen der beiden Bücher kurz angerissen werden, versinkt diese dennoch in unverständlicher Bedeutungslosigkeit bedenkt man den Ursprung von „Systems Thinking“.

Dieses Kapitel wird sich damit beschäftigen die Stärken und Schwächen der qualitativen Modellierungsmethoden in System Dynamics und Systems Thinking aufzuzeigen. Ich werde mich dabei auf die drei wichtigsten Techniken aus Systems Thinking und System Dynamics konzentrieren: Archetypen nach Peter Senge, Causal Loop Diagrams (Wirkungsdiagramme) und Stock und Flow Diagrams (Flussdiagramme).

6.2 Archetypen

Es gibt unendlich viele soziale Systeme und unendlich viele Probleme, die in diesen Systemen auftreten. Geht man davon aus, dass jedes soziale System mittels der Stock und Flow Sprache von System Dynamics modelliert werden kann, so gibt es für jedes mindestens ein Modell, welches zur Lösung beitragen kann. Die Frage, die das Feld der System Dynamics von Beginn an beschäftigt hat ist, ob Erkenntnisse, die bei der Lösung eines Problems gewonnen wurden auf andere Problemsituationen übertragbar sind, und wenn ja, wie? Ist es also notwendig jedes Mal das Rad neu zu erfinden, oder gibt es gewisse Gesetzmäßigkeiten oder allgemeine Lektionen die aus den zahlreichen Fallstudien destilliert werden können? Die Antwort auf diese Fragen wurde in Form von generischen Strukturen gegeben.

Generische Strukturen sind Generalisierungen und Vereinfachungen von Fallstudien. Sie sollen eine gewisse Klasse von Problemen beschreiben, die in vielen Systemen in unterschiedlichen Formen auftreten, sind also Modelle und damit Theorien allgemeiner

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dynamischer Strukturen und Verhaltens. Generische Strukturen sollen "gelernte Lektionen" auf andere Fälle übertragbar machen.

Es wurden verschiedene generische Strukturen vorgeschlagen, die sich im wesentlichen durch die Stärke des Bezuges zu den jeweiligen Anwendungsgebieten unterscheiden. Strukturen, die sehr stark in ihren Anwendungsgebieten verwurzelt sind wären z.B. die Modelle von Forrester zu den Themen Marktwachstum (Forrester 1968), Stadtentwicklung (Forrester 1969) oder nachhaltiges Weltwirtschaftswachstum (Forrester 1973). Diese Modelle sind so allgemein gehalten, dass sie die Instanzen der jeweiligen Modellklasse vertreten können. Die genannten Modelle haben gemein, dass sie sich auf die Ursachen und die Interaktionen der Feedbackschleifen des Systems, sowie die Art des dynamischen Verhaltens konzentrieren, anstatt auf die Details eines lauffähigen Modells, also nur die notwendigen Strukturen für die Erzeugung typischer Verhaltensmuster des Systems aufweisen. Die generellen Modelle stellen die dynamischen Lehren, welche aus einer bestimmten Klasse von Problemen gezogen werden können in den Vordergrund. Um sich eine Vorstellung davon machen zu können, wie viele solcher generischer Problemklassen es geben könnte, möchte ich die Gedanken von Jay Forrester wiedergeben, der mutmaßt, dass wahrscheinlich 20 grundlegende Strukturen 90 % der Managementproblemsituationen abdecken können (Forrester 1993).

Eine andere Form von generischen Strukturen, die praktisch keinen Bezug mehr zu den Anwendungsgebieten hat, sind kleine Modelle aus wenigen Feedbackschleifen, die ein bestimmtes generisches Verhalten repräsentieren. Diese kleinen Modelle können Teile größerer generische Strukturen sein oder die vom Anwendungsgebiet abstrahierte Quintessenz einer größeren generischen Struktur. Beispiele hierfür wären einfache positive und negative Rückkoppelungsschleifen mit Verzögerungen, S-förmige Wachstumsverläufe, Überschießen und Oszillieren eines Wachstumsverlaufes, überschießendes und zusammenbrechendes Wachstum oder verschiedene Oszillationsformen (z. B. Sterman 2000). Diese elementaren Strukturen sind die Bausteine aller Modelle und somit auch Bestandteil größerer generischer Strukturen.

Eine dritte Form von generischen Strukturen verlässt den rigoros quantitativen Rahmen der Simulation und beschränkt sich darauf "dynamische Lektionen" in qualitativer Form zu vermitteln. Diese qualitativen System-Archetypen waren das Ergebnis eines langen Prozesses, in dessen Verlauf die Entwickler formaler Computermodelle feststellten, dass bestimmte Strukturen und die damit verbundenen Dynamiken in ganz unterschiedlichen Systemen auftauchten. System-Archetypen sind eine verdichtete und leicht verdauliche Repräsentation dieser dynamischen Lektionen, in der Regel in Form von Causal Loop Diagrams. Archetypen sollen typische Missverhalten von

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komplexen Systemen charakterisieren und durch ein Verständnis der dynamischen Strukturen Gegenmittel empfehlen.

In einer wichtigen Arbeit stellt Meadows einige Archetypen vor und charakterisiert sie als "computer-free systems insights that any adult can carry in his or her head to deal with the persistent, system-dependent malfunctions of a complicated society" (Meadows 1982, p. 98). Die wichtigste und populärste Liste an Archetypen stellt heute der zweite Anhang von Peter Senge's "Die fünfte Disziplin" (Senge 1990b) dar.

6.2.1 Einige wichtige Archetypen

In "Die fünfte Disziplin" (Senge 1990b) sowie einem Nachfolgewerk, "The Fifth Discipline Fieldbook" (Senge und Kleiner 1994b) sind insgesamt an die zwölf verschiedene Archetypen beschrieben. Einige wichtige davon sind:

Balancing Process with Delay (Abbildung 6.1)

AktuelleBedingungen

Korrektive Aktion

Abbildung 6.1 Balancing Process with Delay

Entscheidungsträger ignorieren die Verzögerung im System bei dem Versuch mit Aktionen ein Ziel anzusteuern. Das Ergebnis ist eine Überintervention, die sich in einem Überschießen des Ziels äußert. Ein typisches Beispiel für diesen Archetyp ist die Tendenz die "Supply Line" zu ignorieren, also z. B. im Bau befindliche Bürogebäude bei der Einschätzung der zukünftigen Nachfrage nach Büroraum oder bereits bestellte und in Lieferung befindliche Waren bei der momentanen Bestellung, wie das Bierspiel eindrucksvoll beweist.

Limits to Success (Abbildung 6.2)

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WachsendeAktion Zustand Verlangsamung

der Aktion

BegrenzendeBedingung

Abbildung 6.2 Limits to Success

Ein sich beschleunigender Wachstumskreis kommt plötzlich zum Erliegen und kann sich sogar in das Gegenteil verkehren wenn Wachstumsgrenzen erreicht werden. Wachstumsgrenzen können das Ausschöpfen einer für das Wachstum notwendigen Ressource sein oder allgemeine interne und externe beschränkende Faktoren. Typisches Beispiel: Produktlebenszyklen, die zum Erliegen kommen, weil aufgrund der fehlende Produktionskapazitäten ein schlechter Lieferservice geboten wird oder ganz allgemein die Qualität leidet.

Shifting the Burden (Abbildung 6.3)

SymptomatischeLösung

Problem-Symptom

GrundsätzlicheLösung

Nebenwirkung

Abbildung 6.3 Shifting the Burden

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Eine kurzfristige Lösung mit scheinbar guten und unmittelbaren Resultaten wird angewendet. Die wiederholte Verwendung der kurzfristigen Symptombekämpfung wirkt sich negativ auf die Bereinigung des ursächlichen Problems aus. Mit der Zeit verkümmert die Fähigkeit zur Anwendung der grundsätzlichen Lösung oder sie verliert an Wirksamkeit, was die Abhängigkeit von der symptomatischen Lösung noch weiter verstärkt. Typisches Beispiel: Auslagerung von Managementproblemen an Consulting-Firmen.

Eroding Goals (Abbildung 6.4)

ZielZielanpassungs

-zwänge

Lücke

Zustand Aktionen umBedingungen zu

verbessern

Abbildung 6.4 Eroding Goals

Dieser Archetyp ist "shifting the burden" sehr ähnlich und unterscheidet sich dadurch, dass die kurzfristige Lösung ein Absenken der Ziele beinhaltet. Typisches Beispiel: Eine Firma antwortet auf Lieferverzögerungen indem die den Kunden gegenüber angegebenen Lieferzeiten kontinuierlich länger werden.

Escalation (Abbildung 6.5)

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A's Ergebnisse

RelativeErgebnisse von A

zu B

Aktivität von A

B's Ergebnisse

Aktivität von B

Abbildung 6.5 Escalation

Zwei Personen oder zwei Organisationen, die ihr Wohlergehen jeweils über das Wohlergehen des anderen definieren, reagieren ständig auf die Vorteile, die das Gegenüber zu haben scheint. Immer wenn eine Seite einen Vorteil erlangt, fühlt sich die andere Partei bedroht und erhöht ihrerseits die Anstrengungen um einen Vorteil zu erlangen. Typische Beispiele: Wettrüsten, Bandenkriege oder Preisschlachten.

Tragedy of the Commons (Abbildung 6.6)

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Netto Gewinnefür A

A's Einzelaktivität

Gesamtaktivität

B's EinezlaktivitätNettogewinne

für B

Gewinn pereinzelner Aktivität

Ressourcen-Beschränkung

Abbildung 6.6 Tragedy of the Commons

Individuen intensivieren die Nutzung einer gemeinsamen aber limitierten Ressource bis alle eine starke Abnahme der Erträge feststellen. Typisches Beispiel: Konkurrenz unter Abteilungen einer Unternehmung um die Aufmerksamkeit einer internen Service Abteilung bis diese an ihre Grenzen gerät und alle darunter leiden.

Growth and Underinvestment (Abbildung 6.7)

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WachsendeAktion

Nachfrage

Leistung

WahrgenommenesInvestitionserfordernis

Investition inKapaziät

Kapazität

Leistungsstandard

Abbildung 6.7 Growth and Underinvestment

Schnelles Wachstum erreicht eine Grenze, welche durch aggressive Investitionen in Kapazitäten entweder eliminiert werden oder in die Zukunft verschoben werden könnte. Erodierende Ziele oder Standards verursachen zu zögerliche Investitionen, Kunden werden zusehends unzufrieden, was sich negativ auf das Wachstum auswirkt und die ursprünglichen zögerlichen Investitionen scheinbar rechtfertigt.

6.2.2 Anwendung von Archetypen

Die Kenntnis und Anwendung von Archetypen ist laut Peter Senge (Senge 1990b) der Schlüssel zum Systemdenken. „Nur wenn Manager in Systemarchetypen denken, kann das Systemdenken zu einem wirksamen, selbstveständlichen Mittel werden, das kontinuierlich enthüllt, wie wir unsere Realität gestalten“ (Senge 1990b, p. 120).

Menschen und deren Handlungen werden von unbewußten Systemstrukturen gefangen gehalten. Die Anwendung der Archetypen ermöglicht einerseits das Erkennen dieser fesselnden Strukturen und andererseits das Aufspüren von vielversprechenden Interventionspunkten für die Veränderung von Systemstrukturen.

Die Anwendung von Systemarchetypen zielt also auf zwei wesentliche Punkte ab:

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• Die Veränderung der Wahrnehmung um die Wirkungsweise von Systemen besser verstehen zu können.

• Ein schnelles Erkennen von potentiellen Eingriffspunkten mit hoher Hebelwirkung um Verbesserungen im Systemverhalten zu ermöglichen.

Die Zuordnung eines passenden Archetypen zu einer bestimmten Situation führt dabei automatisch zum Erkennen geeigneter Interventionspunkte. „Wenn ein Systemarchetyp einmal erkannt ist, wird auch zugleich deutlich, in welchen Bereichen Veränderungen mit hoher und niedriger Hebelwirkung möglich sind.“ (Senge 1990b, p. 120).

Senge beschreibt Symptome, über welche die Zuordnung eines Archetypen zu einer bestimmten Situation erfolgen soll. Ein für jeden Archetypen formuliertes Managementprinzip zeigt anschließend auf, was getan werden muss, bzw. wo der Hebelpunkt für die Intervention liegt. Zahlreiche falltypische „Unternehmensgeschichten“ beleben die Archetypen und demonstrieren ihre Funktionsweise in verschiedenen Situationen (siehe Senge 1990b, Anhang 2).

Im Endeffekt sind Archetypen nach Senge einfache Heuristiken für den Umgang mit komplexen dynamischen Systemen. Sie sollen sowohl das schnelle Erkennen von systemischen Problemen ermöglichen, als auch einfache Rezepte für Systemeingriffe, Veränderungen der Systemstruktur und Beseitigung von Mißverhalten zur Verfügung stellen.

6.2.3 Kritik an Archetypen

Senge’s Archetypen suggerieren eine fast schon triviale Einfachheit im Umgang mit komplexen dynamischen Systemen. Der Leser kann leicht zu dem falschen Eindruck gelangen, dass einerseits die Zuordnung von realen Problemsituationen zu den Archetypen an sich sowie andererseits die Ableitung des dynamischen Problemverhaltens aus dem zugeordneten Archetyp keine größeren Schwierigkeiten verursachen würden. Eine Passage in „Die Fünfte Disziplin“ macht diese Problematik klar:

„Die Systemarchetypen machen deutlich, daß der Komplexität von Managementproblemen eine elegante Einfachheit zugrunde liegt. Je mehr dieser Archetypen man erkennt, desto besser kann man angesichts schwieriger Herausforderungen potentielle Hebelwirkungen wahrnehmen und anderen diese Möglichkeiten erklären.“ (Senge 1990b, p. 119).

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Mein Kritik an Senge’s Archetypen vollzieht sich entlang zweier Hauptstränge:

• Die Zuordnung von Situationen aus dem realen Leben zu den zwölf Archetypen ist nicht immer einfach und eindeutig.

• Die Ableitung der Dynamik aus einem Archetypen ist problematisch.

6.2.3.1 Die Zuordnung realer Situationen zu Archetypen

Die Allgemeingültigkeit der Archetypen ist einerseits eine Stärke, andererseits eine Gefahr für deren Anwendung auf reale Situtationen. Die Problematik ist darin zu suchen, dass Archetypen als Schablonen missverstanden werden. Problemsituationen werden in eine bestimmte Schablone gezwängt, anschließend wird das entsprechende dynamische Verhalten abgeleitet und bei dem empfohlenen Hebelpunkt im System interveniert. Bei dieser Form der Anwendung kann es nicht zu einer eingehenden Untersuchung des Systems und seiner Struktur kommen. Die Aufmerksamkeit wird auf eine schnelle und einfache Lösung mittels Archetypen gelenkt.

Das Problem wird zusätzlich durch die grafische Darstellung einiger Archetypen verstärkt. Mit einer einzigen Ausnahme, nämlich „Shifting the Burden“ beinhaltet die Darstellung der Archetypen nicht die Lösung der Problemsituation in Form einer geschlossenen Rückkoppelungsschleife. Anders ausgedrückt, obwohl bei jedem Archetypen zwischen Problemsymptomen und Lösungsprinzipien unterschieden wird, schlägt sich diese Unterscheidung nicht in der grafischen Darstellung nieder. Bis auf „Shifting the Burden“ beschreiben alle Archetypen nur das Problemszenario und vernachlässigen die Lösung. Von einem didaktischen Standpunkt aus betrachetet und in Hinblick auf die Gefahr des Schablonendenkes ist eine Trennung zwischen einem Problemarchetypen und einem zugehörigen Lösungsarchetypen sinnvoll. Diese Trennung könnte die Aufmerksamkeit des Betrachters zuerst auf die Erkennung des Problems richten und anschließend auf die Suche nach Lösungen. Eine Vermischung dieser beiden Prozesse führt zu Schablonendenken, weil die Lösung automatisch aus der Erkennung des richtigen Archetypen folgen muss.

Der Archetyp, den Senge (Senge 1990b, p. 456) für „Limits to Success“ präsentiert ist ein Problemarchetyp, d. h. er beschränkt sich auf die Darstellung des Problemszenarios (Abbildung 6.8).

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WachsendeAktion Zustand Verlangsamung

der Aktion

BegrenzendeBedingung

+

+

+

+

-

Abbildung 6.8 Causal Loop Diagram von Limits to Success

Ein sich selbst verstärkender Prozess kommt zum Erliegen, weil er an eine das Wachstum begrenzende Bedingung stößt.

Das entsprechende Managementprinzip besagt, dass nicht die wachsende Aktion forciert werden, sondern statt dessen die beschränkende Bedingung beseitigt werden soll. Diese Lösung ist in dem Problemarchetyp nicht ersichtlich und sollte in einem getrennten Lösungsarchetypen dargestellt werden (Abbildung 6.9).

WachsendeAktion Zustand Verlangsamung

der Aktion

BegrenzendeBedingung

+

+

+

+

-

-

Abbildung 6.9 Lösungsarchetyp zu Limits to Success

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Die wachsende Aktion führt gleichzeitig zu einer Verringerung der begrenzenden Bedingung, dies führt zu einer abgeschwächten oder gänzlich verschwindenden Verlangsamung der Aktion und damit zu einem höheren Zustand bzw. einer wachsenden Aktion - ein selbstverstärkender Rückkoppelungskreis.

Mit der Trennung der Archetypen in Problemarchetyp und zugehörigen Lösungsarchetyp werden die Lösungen deutlich herausgestrichen. Der Einzelfall „Shifting the Burden“ stellt das genaue Gegenteil dar, hier wurden Problem- und Lösungsarchetyp verschmolzen (Abbildung 6.10). Eine Trennung führt auch hier zu Klarheit worin die Lösung besteht und warum sie eine Hebelwirkung verursacht.

symptomatischeLösung

Problemsymptom

GrundsätzlicheLösung

Nebenwirkung

-

+

-

+

-

Abbildung 6.10 Causal Loop Diagram von Shifting the Burden

Der Problemarchetyp beschreibt eine Situation in der ein Problemsymptom mittels symptomatischer Lösungen bekämpft wird. Dies verursacht Nebenwirkungen, welche sich negativ auf eine grundsätzliche Lösung auswirken, was wiederum zu verstärkten Problemsymptomen führt.

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symptomatischeLösung

Problemsymptom

GrundsätzlicheLösung

Nebenwirkung

-

+

-

+

-

+

Abbildung 6.11 Lösungsarchetyp zu Shifting the Burden

Das Hinzufügen der Lösungsverbindung macht deutlich, dass neben der kurzfristig symptomatischen Lösung auch eine längerfristige grundsätzliche Lösung angestrebt werden muss (Abbildung 6.11).

Die Identifikation und Zuordnung eines passenden Archetypen über das dynamische Problemverhalten einer Variable kann problematisch sein. Im „Fifth Discipline Fieldbook“ (Senge und Kleiner 1994, p. 141) wird eine Checkliste für das Verhalten von Archetypen vorgestellt. Anahand dieser Checkliste sollen Archetypen ausgewählt werden, deren Dynamik auf das Verhalten der Problemsituation zutrifft. Diese Verhaltensmuster sind Generalisierungen, die sich aufgrund vieler verschiedener quantitativer Modelle herauskristallisiert haben. Die Generalisierung betrifft im eigentlichen Sinn die Bedingungen, welche zu dem jeweiligen Verhaltensmuster führen. Die starke Reduzierung und Vereinfachung der Situation sowie der Bedingungen, die zu einem bestimmten Archetypverhalten führen hat Vorteile in Bezug auf das grobe Verstehen von Problemsituationen, wird jedoch mit dem Verlust der Möglicheit des individuellen Eingehens auf bestimmte Situationen teuer erkauft. Anders ausgedrückt, Archetypen sind eine Art idealisierter Problemsituationen.

Bereits ein einfacher Archetyp wie „Limits to Success“ nimmt an Komplexität erheblich zu sobald er in eine quantitative Form gebracht und auf ein reales Problem umgemünzt wird. Abbildung 6.12 zeigt ein einfaches Bevölkerungsentwicklungsmodell mit zwei Bestandsvariablen sowie fünf Feedback-Schleifen. In diesem generischen Modell für Bevölkerungsentwicklung steckt der Archetyp „Limits to Success“.

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Population

Birth Rate DeathRate

PopulationRelative toCarryingCapacity

B 1

B 3B 2

R 1

FractionalBirth Rate

Fractional DeathRate

+

++

+

+

+

+

InitialPopulation

CarryingCapacityRegeneration

of CarryingCapacity

Degradationof CarryingCapacity

Initial CarryingCapacity

+

ResourceConsumption

per Capita

+

-

MaximumDegradation of

CarryingCapacity

MinimumDegradation

Time

-

++

ConstantRegeneration

Rate +

B 4

Degradation

MaximumFractional Birth

Rate

+

MinimumFractional Death

Rate

+

Switch forMaturation

Delay

MaturationDelay

Abbildung 6.12 Stock und Flow Modell von Limits zu Success

Eine Bevölkerung wird durch Geburten erhöht und durch Todesfälle vermindert. Die Geburten sind proportional zur Bevölkerung. Ist der „Switch for Maturation Delay“ null, so gehen sämtliche Geburtenfälle sofort in den Bestand der Bevölkerung ein und können sich somit sofort vermehren, sterben und die „Carrying Capacity“ verbrauchen. Ist der switch eins, so gehen diese Geburtenfälle mit einer um die „Maturation Delay“ verteilten Verzögerung in die Bevölkerung ein. Sowohl „Fractional Birth Rate“ als auch „Fractional Death Rate“ werden davon beeinflusst, wie viel Prozent der „Carrying Capacity“ durch die derzeitige Bevölkerung verbraucht ist. Die „Fractional Birth Rate“ ist eine abnehmende Funktion der Relation von „Population“ zu „Carrying Capacity“, die „Fractional Death Rate“ ist eine zunehmende Funktion der Relation von „Population“ zu „Carrying Capacity“. Die „Carrying Capacity“ bestimmt die maximale Bevölkerung aufgrund der Umweltzustände. Sie unterliegt dem Konsum und der Degradierung durch die Bevölkerung und regeneriert sich von selbst mit einer fixen Rate. Eine selbstverstärkende Wachstumsschleife (R 1) wird durch vier balancierende Schleifen (B 1 - B 4) gestoppt. B 1 ist eine balacierende Schleife über die Todesfälle in der Bevölkerung. B 2 vermindert die Geburtenrate bei zunehmendem Verbrauch der „Carrying Capacity“. B 4 erhöht die Todesrate bei zunehmendem Verbrauch der „Carrying Capacity“ und B 5 reduziert über das Bevölkerungswachstum die „Carrying Capacity“ selbst.

In diesem generischen quantitativen Modell des Archetypen „Limits to Success“ steckt erhebliche dynamische Komplexität. Nur alleine durch verschiedene

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- 146 -

Parameterkonstellationen und Anfangsbedingungen der Variablen sind fünf verschiedene Verhaltensmuster möglich.

1. S-förmiges Wachstum

Das Ausgangsszenario verursacht das klassische s-förmige Wachstum, welches auch für den Archetypen „Limits to Success“ als typisches Verhatlen angegeben wird (Abbildung 6.13). Dabei dominiert zuerst die selbstverstärkende Rückkoppelungschleife über die Geburten. Mit Zunahme der Bevölkerung treten die balancierenden Schleifen immer stärker in den Vordergrund und behindern das reine exponentielle Wachstum, bis es vollkommen zum Erliegen kommt.

Population and Carrying Capacity2 M

1.5 M

1 M

500,000

00 60 120 180 240 300 360 420 480 540 600

Time (Year)

Population : Current PeopleCarrying Capacity : Current People

Abbildung 6.13 S-förmiges Wachstum der Bevölkerung

2. Reines exponentielles Wachstum

Wird die „Initial Carrying Capacity“ auf einen Wert gesetzt, der einer unendlich großen Verfügbarkeit der Ressource gleich kommt, so ist das resultierende Verhalten ungebremstes exponentielles Wachstum (Abbildung 6.14).

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- 147 -

Population and Carrying Capacity2 M

1.5 M

1 M

500,000

00 60 120 180 240 300 360 420 480 540 600

Time (Year)

Population : Current People

Abbildung 6.14 Exponentielles Wachstum der Bevölkerung

3. Reine exponentielle Schrumpfung

In einer Situation von unbeschränkten Ressourcen aber einer ursprünglichen Geburtenrate, die kleiner als die Todesrate ist, muss das System ein zielsuchendes Verhalten aufweisen mit null als implizitem Bevölkerungsziel (Abbildung 6.15).

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- 148 -

Population and Carrying Capacity1,000

750

500

250

00 60 120 180 240 300 360 420 480 540 600

Time (Year)

Population : Current People

Abbildung 6.15 Zusammenbrechen der Bevölkerung

4. Überschießen und Oszillieren

Gelangen Geburten mit einer Verzögerung von 20 Jahren in den Bestand der Bevölkerung, so kommt es zu einem überschießenden und oszillierenden Verhalten (Abbildung 6.16).

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- 149 -

Population and Carrying Capacity2 M

1.5 M

1 M

500,000

00 60 120 180 240 300 360 420 480 540 600

Time (Year)

Population : Current PeopleCarrying Capacity : Current People

Abbildung 6.16 Überschießen und oszillieren der Bevölkerung

5. Überschießen und Zusammenbruch

Wird die Ressource von der Bevölkerung konsumiert, d. h. ist der Parameter „Resource Consumption per Capita“ größer als null, so ergibt sich ein überschießendes und anschließendes zusammenbrechendes Verhalten der Bevölkerung (Abbildung 6.17).

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Population and Carrying Capacity1 M

750,000

500,000

250,000

00 60 120 180 240 300 360 420 480 540 600

Time (Year)

Population : Current PeopleCarrying Capacity : Current People

Abbildung 6.17 Überschießen und Zusammenbruch der Bevölkerung

Die Präsentation von Archetypen als einfache Managementprinzipien in komplexen dynamischen Systemen verhindert eine eingehende Auseinandersetzung mit Struktur und Ursachen des resultierenden Verhaltens. Bereits relativ einfache Strukturen weisen sehr hohe dynamische Komplexität in Form von vielen unterschiedlichen Verhaltensmustern auf. Dies erschwert die eindeutige Zuordnung von Problemsituationen zu Archetypen. Bei der Zuordnung eines Archetypen zu einer realen Problemsituation besteht nur ein sehr schwacher Zusammenhang zwischen der Struktur des realen Systems und der des Archetypen. Die Struktur des realen Systems ist durch die Struktur des Archetypen festgelegt, eine eingehende Auseinandersetzung mit dem realen System wird dadurch verhindert.

6.2.3.2 Die Ableitung des dynamischen Verhaltens

Die Grundvorstellung beim Einsatz von Systemarchetypen scheint zu sein, dass bereits die richtige Auswahl eines passenden Archetypen die erfolgreiche Formulierung von Gegenmaßnahmen bedeutet. Archetypen führen den Benutzer von einer Idee eines problematischen Verhaltens in einem realen System über eine oberflächliche Diagnose der Ursachen des Problemverhaltens direkt zu einem überraschenden Managementprinzip, welches Wege aufzeigt, das Problem zu beseitigen. Systemarchetypen machen starke Annahmen bezüglich bestimmter Verhaltensmuster

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und den zugrunde liegenden Strukturen. Dies trifft sowohl auf das ungewünschte Verhalten eines realen Systems zu, welches zur Auswahl eines geeigneten Archetypen führt, als auch auf das bessere Verhalten des Systems nach Anwendung des entsprechenden Managementprinzips.

In dem blitzartigen Übergang von Problemdefinition zu Systemeinsicht wird der gesamte Prozess des formalen Modellbaus übersprungen. Ein Systemarchetyp stellt jedoch nur eine Hypothese über den Zusammenhang von Struktur und Verhalten eines Systems dar. Diese Hypothese kann nur mittels eines formalen Modells überprüft werden. Hinzu kommt, dass aufgrund der Vagheit und Allgemeingültigkeit der Archetypen der gemutmaßte Zusammenhang zwischen Struktur und Verhalten bis auf wenige Zufallstreffer eher schwach sein dürfte, sodass eine Überprüfung der Hypothese erst recht erforderlich wird.

Alles in allem stehen Archetypen eher in einem losen und analogen Zusammenhang mit Problemen aus dem realen Leben. Aufgrund der Allgemeingültigkeit und Vagheit ist es kaum möglich die Angemessenheit von Archetypen in bestimmten Situationen zu überprüfen. Ähnlich ist es kaum möglich klare Aussagen darüber zu machen, in welcher Situation ein bestimmter Archetyp angewendet werden soll. Eine Überprüfung der Gültigkeit von Archetypen im wissenschaftlichen Sinn ist praktisch unmöglich, weil die Bedingungen, die den Einsatz eines bestimmten Archetypen erforderlich machen nicht spezifiziert sind und damit letztlich jede Situation mittels eines Archetypen wiedergegeben werden kann. Indem sie leicht verständliche Daumenregeln liefern, mit welchen wir unerwünschtes Systemverhalten verstehen und einordnen können, sind Archetypen hilfreiche Werkzeuge und stellen darüber hinaus keine weiteren Ansprüche. Archetypen sind der Einstieg in das Systems Thinking. Sie können Mensche, die bisher nicht mit Feedbackdenken und kompelxem Verhalten in Kontakt gekommen sind für diese Sichtweisen sensiblisieren. Darüber hinaus können sie schnell grobe Hypothesen über Ursachen für unerwünschtes Systemverhalten liefern, bzw. die weitere Stossrichtung in der Untersuchung angeben. Alles was darüber hinaus geht, insbesondere die Verknüpfung von Archetypen mit Systemverhalten, scheint mir besonders problematisch zu sein.

6.3 Causal Loop Diagrams

Eine Weiterentwicklung von Archetypen, die das Problem der Schablonenauswahl überwindet stellen Causal Loop Diagrams (CLDs) dar. Sie ermöglichen im Gegensatz zu Archetypen eine eingehende Beschäftigung mit der Situation und ihren Besonderheiten. In dem Causal Loop Diagram in Abbildung 6.18 ist die Situation einer Bankpanik dargestellt.

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WahrgenommeneSolvenz der Bank

Angst vorBankzusammenbruch

Tendenz persönlicheErsparnisseabzuheben

verfügbareBankreserven

Solvenz der Bank-

Unsicherewirtschaftliche

Lage

-

+

-

+

-

+

+

++

Abbildung 6.18 Causal Loop Diagram einer Bankenpanik

Pfeile zeigen die Kausalitätsflüsse, Plus- und Minuszeichen beschreiben die Polarität der Verbindungen. Die Polarität wird im allgemeinen so interpretiert, dass sich im Falle einer positiven Polarität die Variablen in die selbe Richtung bewegen, im Fall einer negativen Polarität in entgegengesetzte Richtungen.

Die Einfachheit von CLDs und deren rasche Erlernbarkeit haben zu einer weiten Verbreitung geführt, in der Konzeptionierungsphase eines Modellprojektes, in Einführungskursen zu Systems Thinking und System Dynamics sowie in Präsentationen von Ergebnissen systemdynamischer Studien (Richardson 1986). Bei der Verwendung von CLDs wird immer wieder der Vorteil des Bildens eines „gemeinsamen mentalen Modells“ einer Situation herausgestrichen. Eine Gruppe kann CLDs verwenden, um sich von den Ursachen eines Problems ein gemeinsames Bild zu verschaffen. CLDs haben jedoch zwei fundamentale Schwachpunkte, die sich diesem Ziel entgegen stellen.

6.3.1 Kritik an Causal Loop Diagrams

Die beiden Probleme bei CLDs gehen auf einen Mangel der Technik selbst zurück:

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CLDs unterstellen implizit, dass Informationsfeedback die einzige Ursache für komplexes Verhalten darstellt. In den Standarddarstellungsformen von CLDs gibt es keine Konvention, die es ermöglicht, Stock und Flow Akkumulationen abzubilden.

CLDs enthalten also in der Regel keine Bestands- und Flussstruktur des modellierten Systems. Diese ist jedoch von entscheidender Bedeutung für die zeitliche Dynamik des Systems.

Darüber hinaus muss streng genommen jede Informationsfeedbackschleife mindestens einen Bestand mit mindestens einem Fluss besitzen. Dies ist leicht einzusehen, wenn man sich vor Augen hält, dass Informationsfeedback entsteht, wenn Information über einen aktuellen Systemzustand (Bestand) in einer Entscheidung verarbeitet wird, die den Zu- oder Abfluss zu diesem Bestand regelt.

6.3.1.1 Keine Unterscheidung zwischen Informations- und Materialflüssen

CLDs machen keinen Unterschied zwischen Informationsflüssen und Materialflüssen („conserved flows“). Diese Vereinfachung wird häufig als ein großer Vorteil von CLDs angesehen, kann aber zu erheblichen Interpretationsschwierigkeiten führen. In dem Fall, dass eine Feedbackschleife eine Verbindung zwischen einer Rate und einem Bestand enthält, sind die standardmäßigen Bezeichnungen der Verbindungspolaritäten für diese Verbindung falsch (Richardson 1986, Richardson 1997).

Die Verbindung von Zuwanderung und Bevölkerung in Abbildung 6.19 entspricht einem Materialfluss. Die Definition behauptet, dass eine Veränderung in der Zuwanderung eine Veränderung der Bevölkerung in der selben Richtung hervorruft. Aber, eine Verringerung der Zuwanderung kann keine Verringerung der Bevölkerung verursachen, außer die Zuwanderung wird negativ. Darüber hinaus ist nicht einmal gewährleistet, dass eine Zunahme der Zuwanderung eine Zunahme der Bevölkerung bewirkt. Denn eine Zunahme der Zuwanderung im negativen Bereich, also eine Veränderung der Zuwanderung hin zu weniger negativ bewirkt weiterhin eine Abnahme der Bevölkerung.

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Bevölkerung

Anzahl derStellen pro Kopf

Attraktivität derGemeinde

Zuwanderung

Stellen

-

+

+

+

+

Abbildung 6.19 Verbindungen in Causal Loop Diagrams als Materialflüsse

Die traditionellen Charakterisierungen von Linkpolaritäten treffen nur auf Links zu, die Informationsflüsse repräsentieren. Für einen Materialfluss ist die Variable am Schwanz des Pfeils die Ableitung oder Veränderung der Variable am Kopf des Pfeils. Die abnehmende oder zunehmende Form der ersten Ableitung bestimmt nur die Krümmung der Bestandsvariablen, und nicht, ob diese zu- oder abnimmt.

Für die Behebung dieses Problems bei CLDs wurden einige Vorschläge gemacht, die allesamt darauf hinaus laufen, den Unterschied zwischen Informationsfluss und Materialfluss deutlich zu machen. Z.B. können Informationsflüsse mit gestrichelten Linien, Materialflüsse mit durchgezogenen dargestellt werden. Diese Unterscheidung soll die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Diagramme korrekt gelesen werden (Richardson 1986).

Unglücklicherweise hat die Unterscheidung von Informations- und Materialflüssen in CLDs Konsequenzen für die Polarität von ganzen Feedbackschleifen. Die explizite Darstellung von Materialflüssen macht einige der traditionellen Konventionen für das Verhalten ganzer Feedbackschleifen ungültig.

Eine positive Feedbackschleife wird dadurch charakterisiert, dass eine ursprüngliche Änderung irgendeiner beteiligten Variablen eine noch stärkere Veränderung der Variable in die selbe Richtung bewirkt. Eine negative Feedbackschleife beantwortet Störungen oder Abweichungen mit entgegen gesetzten Bewegungen und findet so in ihr Gleichgewicht zurück. Diese Definitionen führen zu einer Daumenregel, negative Feedbackschleifen haben eine ungerade, positive Feedbackschleifen eine gerade Anzahl von negativen Polaritäten. Diese Regel kann aber nur dann mit Sicherheit angewendet werden, wenn die Schleife keine Raten-Bestands-Verbindungen enthält. In Abbildung 6.20 ist ein einfaches CLD für eine Bevölkerungsentwicklung dargestellt. Die Auswirkungen einer ursprünglichen leichten Bevölkerungserhöhung bewirken mehr

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Geburten pro Jahr und somit eine Veränderung der variablen Bevölkerung in die selbe Richtung. Die Schleife ist eine positive Rückkoppelungsschleife nach der herkömmlichen Konvention. Wenn die ursprüngliche Veränderung jedoch leicht negativ war, also ein leichter Rückgang der Bevölkerung zu verzeichnen war, bewirkt dies einen Rückgang der Geburten pro Jahr. Aber Geburten müssen die Bevölkerung erhöhen, weil die Verbindung von Geburten zu Bevölkerung ein Materialfluss ist. Man kann also nicht sagen, dass es sich um eine positive Rückkoppelungsschleife im Sinne der Definition, dass eine ursprüngliche Änderung weitere Änderungen in die selbe Richtung bewirkt, handelt.

Geburten proJahr

Bevölkerung+

+

+

Abbildung 6.20 Probleme bei positiven Feedbackschleifen

Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich in negativen Rückkoppelungsschleifen mit Materialflüssen. In Abbildung 6.21 führt eine Verringerung der Bevölkerung zu einer Verringerung der Todesfälle pro Jahr, und damit nicht zu einer Erhöhung, sondern einer weiteren Verminderung der Bevölkerung.

Todesfälle proJahr

Bevölkerung-

+

-

Abbildung 6.21 Probleme bei negativen Feedbackschleifen

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Die gebräuchlichen Definitionen von Polaritäten von Feedbackschleifen basieren darauf, dass alle Verbindungen in der Schleife Informationsflüsse sind, und keine Materialflüsse vorkommen.

Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang ergibt sich mit der Darstellung von Nettoflüssen in CLDs. Weil ein Nettofluss die Summe mehrerer Flüsse darstellt, kann nicht gesagt werden ob die Verbindung von Fluss zu Bestand im CLD eine positive oder negative Polarität aufweist. Eine Nettorate in einem CLD stellt eine Verbindung dar, deren Polarität von Parametern abhängt oder von Variablen, die in dem CLD nicht dargestellt werden.

VerkäuferNetto

Personalaufnahme

Aufträgeinsgesamt

Aufträge proVerkäufer

Umsatz proAuftrag

Gehalt proVerkäufer

Gewünschte Anzahlan Verkäufern

Anpassungszeit fürPersonalbestand

Budget

++

+

+

++

-

Abbildung 6.22 Stock und Flow Diagram eines Systems mit Nettofluss

In Abbildung 6.22 generieren Verkäufer Aufträge, die über ein höheres Budget für noch mehr Verkäufer und damit Aufträge sorgen. Abbildung 6.23 zeigt eine Übersetzung dieses Systems in CLD-form.

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Verkäufer

Aufträgeinsgesamt

Budget

gewünschte Anzahlan Verkäufern

+

+

+

+

+

Abbildung 6.23 Causal Loop Diagram eines Systems mit Nettofluss

Die Polarität der Verbindung zwischen der gewünschten Anzahl an Verkäufern und den Verkäufern ist nicht feststellbar. Ist die gewünschte Anzahl an Verkäufern kleiner als der Bestand an Verkäufern, was von den Parametern und den Anfangsbedingungen abhängt, so ist die Verbindung entgegengesetzt und die gesamte Schleife eine balancierende Rückkoppelung.

6.3.1.2 Flüsse ohne Feedback

Durch die Vernachlässigung von Stock und Flow Akkumulationen in CLDs ergeben sich zusätzliche Probleme, die bisher kaum Erwähnung gefunden haben. Stock und Flow Akkumulationen sind neben Feedback eine mindestens ebenso wichtige Quelle für komplexe Dynamik in Systemen. Die vollkommene Ausklammerung dieses Aspektes in CLDs kann zu groben Missinterpretationen des dynamischen Verhaltens von Systemen führen, und das schon bei sehr einfachen CLDs.

Abbildung 6.24 zeigt ein einfaches System mit einem selbst verstärkenden Rückkoppelungskreis. Der Prozess der Informationsdiffusion durch Mundpropaganda ist vereinfacht durch den Parameter „Mundpropaganda Wachstumsrate“ dargestellt. Zusätzlich wirken auf den Bestand sowohl ein unabhängiger linearer Zufluss sowie ein unabhängiger linearer Abfluss. Z. B. könnten die Verkäufer der Konkurrenz Kunden mit einer konstanten Rate abwerben oder es werden Kunden aufgrund konstanter Werbebudgets mit einer konstanten Rate gewonnen.

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KundenNeue Kunden

Neue Kunden durchMundpropaganda

MundpropagandaWachstumsrate

+

+

+

+

Linearer Zufluss

Linearer Abfluss

Abbildung 6.24 Stock und Flow Diagram eines positiv rückgekoppelten Systems mit unabhängigen Flüssen

Das Problem liegt nun darin, dass man zwar die beiden Flüsse in das CLD mit einbeziehen, jedoch absolut keine Aussagen darüber machen kann, wie sich die Flüsse auf die Dynamik des Systems auswirken. Abbildung 6.25 zeigt eine Darstellung des Systems in CLD-form.

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Kunden

Neue Kunden durchMundpropaganda

MundpropagandaWachstumsrate

+

+

+

+

Linearer Zufluss linearer Abfluss

+ -

Abbildung 6.25 Causal Loop Diagram eines positiv rückgekoppelten Systems mit unabhängigen Flüssen

Durch das Hinzufügen linearer Flüsse zu einer selbstverstärkenden Rückkoppelungsschleife entstehen Verhaltensmuster, die stark vom erwarteten Verhalten abweichen können. Dem CLD aus Abbildung 6.25 würde man auf den ersten Blick ein exponentiell wachsendes Verhalten bescheinigen. Tatsächlich sind jedoch, wie aus Abbildung 6.26 hervorgeht, alle Verläufe der Variable zwischen exponentiellem Wachstum über Stagnation des Kundenbestandes bis hin zum völligen Verlust aller Kunden möglich.

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Entwicklung Kunden mit linearen Flüssen 200,000

150,000

100,000

50,000

00 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30

Time (Month)

Kunden : Keine Zu- und Abflüsse PeopleKunden : Nettozufluss PeopleKunden : Nettoabfluss People

Abbildung 6.26 Verhaltensmuster eines positiv rückgekoppelten Systems mit unabhängigen Flüssen

Ähnlich verhält es sich mit negativen Rückkoppelungsschleifen. In Abbildung 6.27 ist ein einfaches Lagersystem dargestellt. Die Abweichungen vom gewünschten Lagerbestand werden über vermehrte Produktion und über den Parameter, der die Geschwindigkeit der Anpassung bestimmt („Lager-Anpassungszeit“) ausgeglichen. Zusätzlich wirken zwei unabhängige lineare Flüsse.

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LagerProduktion

GewünschtesLager

Lücke-

+

LagerAnpassungszeit

+-

Linearer Zufluss

Linearer Abfluss

-

Abbildung 6.27 Stock und Flow Diagram eines negativ rückgekoppelten Systems mit unabhängigen Flüssen

Abbildung 6.28 zeigt das einfache System mit einer balancierenden Rückkoppelung in CLD-Form.

Lager

LückeProdktion

-

+

+

GewünschterLagerbestand

+

-

Linearer Zufluss Linearer Abfluss

+ -

Abbildung 6.28 Causal Loop Diagram eines negativ rückgekoppelten Systems mit unabhängigen Flüssen

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Wieder entsteht durch das Auftreten von linearen Flüssen eine Verhalten, dass man einer balancierenden Feedbackschleife nicht ohne weiteres zurechnen würde (Abbildung 6.29).

Entwicklung Lager mit linearen Flüssen20,000

15,000

10,000

5,000

00 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30

Time (Month)

Keine Zu- und Abflüsse UnitNettozufluss UnitNettoabfluss Unit

Abbildung 6.29 Verhalten eines negativ rückgekoppelten Systems mit unabhängigen Flüssen

6.3.2 Schlussfolgerung

Die Interaktion von linearen Flüssen alleine reicht aus um komplexes dynamisches Verhalten zu erzeugen. Abbildung 6.30 zeigt beispielsweise die Entwicklung eines Bestandes bei verschiedenen Kombinationen eines linearen Zuflusses mit verschiedenen konstanten Abflüssen.

Feedback ist wichtig für dynamisches Verhalten, kann jedoch nicht, wie das bei CLDs der Fall ist, alleine dafür verantwortlich gemacht werden. Vielmehr ist es so, dass streng genommen komplexes dynamisches Verhalten von Systemen ohne Stock und Flow Akkumulation nicht zustande kommen kann, weil jede Feedbackschleife, die ein vollständiges Teilsystem beschreibt eine Bestands- und Flussgröße enthalten muss.

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600

450

300

150

00 1 2 3 4 5

Time (Month)

Abbildung 6.30 Verlauf eines Bestandes bei verschiedenen Kombinationen linearer Zu- und Abflüsse

Die Schlussfolgerungen aus den Überlegungen bezüglich der Probleme bei CLDs müssen daher sein, dass

• Feedback alleine weder notwendige noch hinreichende Bedingung für komplexes dynamisches Verhalten von Bestandsgrößen ist,

• wir weder mit Sicherheit das CLD angeben können, das zu einem bestimmten Verhalten führt,

• noch ein Verhalten aus einem bestimmten CLD ableiten können.

Im Ergebnis bedeutet dies, dass CLDs als Instrument für die Schaffung „gemeinsamer mentaler Modelle“ mit Vorsicht zu genießen sind. CLDs sind aufgrund der Probleme bei der Darstellung von Stock und Flow Akkumulationen ungenau in der Abbildung mentaler Modelle. Selbst wenn ein System durch ein CLD korrekt abgebildet werden könnte, ist es doch ausgesprochen schwierig, das korrekte Verhalten aus dem CLD abzuleiten. Einerseits, weil man dafür in größeren CLDs eine hochkomplizierte nichtlineare Differentialgleichung im Kopf ausrechnen müsste, andererseits, weil wie oben beschrieben zahlreiche, der Methode selbst anhaftende Mängel dies verhindern.

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CLDs wurden entwickelt, um dem Benutzer, meist Anfängern, die „lästigen“ Überlegungen bezüglich Stocks und Flows zu ersparen. Unglücklicherweise sind Stocks und Flows wesentlicher Bestandteil von komplexen Systemen im Sinne von System Dynamics und absolut unverzichtbar für die entstehende zeitliche Dynamik dieser Systeme. Das Konzept der Stock und Flow Akkumulation kann nicht vernachlässigt werden, will man systemische Probleme mittels System Dynamics erfolgreich diagnostizieren, den Ursachen dieser Probleme auf die Spur kommen und schlussendlich Rezepte für deren Beseitigung entwickeln.

Trotz der vielen Kritikpunkte darf nicht übersehen werden, dass CLDs einen wichtigen und wertvollen Beitrag für die Handhabung komplexer dynamischer Feedbacksysteme leisten können. Vor allem dann, wenn es weniger um die Ableitung von Konsequenzen aus einer bestimmten Systemstruktur bzw. die Entwicklung von Gegenmaßnahmen als vielmehr um das Schaffen und Kommunizieren eines allgemeinen Systemverständnisses geht, ist ein CLD ein geeignetes Instrument. Die wesentlichen Vorteile von CLDs würde ich folgendermaßen zusammenfassen:

• CLDs können Probleme „parallel“ darstellen. Anders ausgedrückt, mit einem CLD kann ein komplexes Problem, dessen „erzählerische“ Beschreibung mehrere Seiten umfassen würde auf einer Seite kompakt dargestellt werden. Geschriebenes muss aufgrund seiner Struktur sequentiell verarbeitet werden, die Aufnahme der Ereignisse in zeitlicher Abfolge führt dazu, dass vorschnell Schlüsse über Ursache und Wirkung gezogen werden. Mit CLDs kann man Geschichten und Sachverhalte „gleichzeitig“ darstellen.

• CLDs sind auf einer hohen Abstraktionsebene angesiedelt und sehr einfach zu entwickeln. Sie können eine Übersicht über das System verschaffen.

• CLDs sind „unscharf“. Das heißt, dass gewisse Konzepte, die noch nicht ganz klar sind dennoch als Thematik in das CLD aufgenommen werden können.

• CLDs sind „billig“ im Vergleich zu Simulationsmodellen. Es kann schnell ein Gefühl für das Problemgebiet entstehen und erste Einsichten können relativ rasch erzielt werden.

• Ein CLD kann als Referenzpunkt in einer Diskussion dienen und mit Bezug auf den ersten Punkt eine in der Regel serielle Tagesordnung parallel darstellen, bzw. die Verbindungen der zu diskutierenden Themen verdeutlichen.

• CLDs können zum Nachdenken über mögliche Verhaltensmuster des Systems anregen.

• CLDs können als Grundlage für quantitative Modelle dienen.

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6.4 Stock and Flow Diagrams

Stock and Flow Diagrams (SFDs) berücksichtigen neben Informationsfeedback auch die Stock und Flow Struktur des untersuchten Systems. Bei der Entwicklung von SFDs identifiziert man die wichtigsten Bestände samt deren Flüsse und fügt anschießend wichtige Informationsfeedbackbeziehungen hinzu. Ein SFD repräsentiert sowohl die Stock und Flow Struktur als auch die Informationsfeedbackstruktur eines Systems und ist insofern rigoroser und genauer als ein CLD.

SFDs sind nicht mehr eindeutig zu den rein qualitativen Methoden nach Peter Senge’s „The Fifth Discipline“ zu zählen, da sie einerseits in diesem Buch nicht erwähnt werden, andererseits eine gewisse „geistige“ Vor-Quantifizierung voraussetzen indem sie die Stock und Flow Struktur des Systems offen legen. Ich möchte sie trotzdem zu den qualitativen Techniken zählen weil der Schritt zu der rein quantitativen Methode „Gleichungen“ noch immer sehr groß ist.

Sämtliche Softwarepakete für systemdynamische Simulation verfügen über eine grafische Benutzeroberfläche, die den Bau von quantitativen Modellen mittels SFDs ermöglichen. Die Formulierung von Gleichungen aus dem SFD übernimmt dabei teilweise die Software. Abbildung 6.31 zeigt ein SFD des Wartungssystems einer industriellen Produktion.

Maschinen-DefekteDefekt-Eliminierung

durch geplanteWartung

Defekt-Eliminierungdurch reaktive

Wartung

Erzeugung vonDefekten

Beanspruchungder Maschinen Maschinen-

Qualität

Qualität derErsatzteile

+ --

Stillstand aufgrundgeplanter Wartung

Stillstand aufgrundvon Defekten

+ +

Anstrengungen fürdie geplante

Wartung+

+

Qualität dergeplantenWartung

Anstrengungen fürdie reaktive Wartung+

+

Qualität derreaktiven Wartung+

Werkslaufzeiten

- -

-

-

+

- -

Abbildung 6.31 Stock und Flow Diagram eines Wartungssystems

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Maschinen versagen wenn sich eine genügend hohe Anzahl von latenten Defekten in ihnen ansammelt. Latente Defekte sind alle Probleme, die schlussendlich zu einem Maschinenversagen führen können, z.B. leckende Ventile in Pumpen, Schmutz, der Reibungsabnutzung erzeugt usw. Eine Pumpe mit schadhaftem Ventil kann funktionieren, wird aber irgendwann versagen wenn es nicht ersetzt wird. Die Summe aller latenten Defekte ist der Stock „Maschinen-Defekte“. Diese werden durch die normale Operation der Maschinen (normale Abnutzung), die Qualität der Maschinenteile bzw. die Qualität der Ersatzteile aus vorangegangenen Wartungen erzeugt. Der Bestand an latenten Defekten wird durch zwei Wartungsaktivitäten vermindert. Reaktive Wartung repariert defekte und stillstehende Maschinen, geplante Wartung legt Maschinen still um sie proaktiv zu warten. Geplante Wartung zielt auf eine langfristige und nachhaltige Senkung des Bestandes an latenten Defekten ab, erfordert dafür jedoch eine Stilllegung noch funktionierender Maschinen. Die Konzentration auf reaktive Wartung hingegen stellt eher eine Politik der Bekämpfung der Symptome dar.

Anhand dieses Diagramms können die Vorteile von SFDs gegenüber CLDs sehr gut erläutert werden:

• Die Materialflüsse1 („conserved flows“) sind klar von den Informationsflüssen getrennt.

• Die Einflüsse auf die Stärken der Materialflüsse sind klar ersichtlich.

• Die Hebelpunkte bzw. die Bereiche, in welchen Hebelpunkte zu erwarten sind werden sofort deutlich, denn diese müssen in jedem System bei den Flüssen liegen.

• Das Diagramm ist im Gegensatz zu CLDs technisch korrekt. Es ergeben sich keine Probleme mit der Unterscheidung zwischen Informations- und Materialflüssen sowie Flüssen ohne Einbindung in Informationsfeedback.

• Das Diagramm eröffnet durch die klare Unterscheidung der Stock und Flow Struktur von der Informationsfeedbackstruktur Einsichten über die Funktionsweise des Systems. Vorstellungen bezüglich der Verhaltensmuster können leichter gebildet werden, da man sich das Hilfsmittel der grafischen Integration bzw. Differenzierung zunutze machen kann.

1 „latente Defekte“ sind Materialflüsse in dem Sinne, dass sie entweder vorhanden oder beseitigt sind und damit hohe Ähnlichkeit mit Material aufweisen, das nur, im Gegensatz zu Information an einer Stelle im System auftreten kann.

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• Das Diagramm trennt klar zwischen den physischen Materialflüssen und den für die Entscheidungen relevanten Informationsflüssen.

Trotz der zahlreichen Vorteile von SFDs gegenüber CLDs ist es dennoch praktisch unmöglich mehr als qualitative Mutmaßungen über das Verhalten des Systems anzustellen. Auch hier kommt man für genaue Analysen des Systems nicht um das Formulieren der Zusammenhänge in Gleichungsform herum. So ist es beispielsweise unmöglich aus dem Diagramm xxx abzuleiten, welche Wartungspolitik bzw. welcher Mix an pro- und reaktiver Wartung zu einer günstigen Werkslaufzeit führt.

6.5 Probleme der Quantifizierung

Jeder von uns verwendet ständig Modelle. Mentale Modelle, unsere Vorstellungen über die Realität – und nicht die Realität selbst – bilden die Basis für unsere Entscheidungen und Aktionen. Mentale Modelle haben einige Vorteile:

• Ein mentales Modell ist sehr flexibel. Es kann ein größeres Spektrum an Informationen verarbeiten als nur numerische Daten.

• Mentale Modelle können schnell an neue Gegebenheiten der Umwelt angepasst werden. Neue Informationen und Gegebenheiten können schnell verarbeitet werden.

• Mentale Modelle sind Filter durch die wir unsere Erfahrungen interpretieren, Pläne bewerten und aus alternativen Möglichkeiten auswählen.

Mentale Modelle haben jedoch auch Nachteile:

• Sie sind von anderen nicht einsehbar und damit schwer verständlich.

• Interpretationen mentaler Modelle sind verschieden.

• Die Annahmen, auf welchen mentale Modelle beruhen sind häufig unbewusst.

• Unklarheiten und Widersprüche in mentalen Modellen bleiben in der Regel verborgen.

Die genannten Nachteile können theoretisch durch Formalisierung und Quantifizierung der mentalen Modelle in Form von Computermodellen überwunden werden. Computermodelle sind explizit. Ihre Annahmen sind öffentlich und kritisierbar.

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Computer sind besonders gut darin, unfehlbar die Konsequenzen aus den Annahmen abzuleiten. Computermodelle sind umfassend und können mehrere Faktoren praktisch gleichzeitig miteinander in Beziehung bringen.

Obwohl also mit der Quantifizierung zahlreiche Vorteile verbunden sind, geht doch ein wesentlicher Vorteil qualitativer mentaler Modelle verloren. Die Unschärfe mentaler Modelle muss nicht immer ein Nachteil sein. Dies trifft vor allem auf den Problemkreis der Softvariablen zu. Softvariablen sind Konzepte, denen nicht unmittelbar numerische Werte zugeordnet werden könne. Die Problematik kann am besten anhand eines Beispiels demonstriert werden2.

Ist man mit einem Konzept wie „körperlicher und geistiger Aktivität“ konfrontiert, dass eine wichtige Variable in einem System darstellt, ergibt sich automatisch das Problem der Operationalisierung. Da Computer nur mit numerischen Werten rechnen können, müssen die verschiedenen Niveaus an Aktivität in Zahlen umgewandelt werden. In einem mentalen Modell werden die verschiedenen Niveaus in ausreichend feinen Unterteilungen automatisch vorhanden sein, und problemlos mit anderen, auch nicht qualitativen Variablen in Beziehung gesetzt werden können. Bei der Quantifizierung von „körperlicher und geistiger Aktivität“ in niedrig z.B. Koma, mittel Kaffepause und hoch Tennismatch hat man das Problem, dass ungeachtet der gewählten Auflösung, also der Unterteilung des Konzeptes in verschiedene Stufen, immer eine infenitesimal kleine Änderung des zugeordneten Wertes eine enorme qualitative Änderung mit sich bringt. Bei der Zuordnung der Werte [0-0.33> für Koma, [0.33-0.66> für Kaffeepause und [0.66-1> für Tennismatch sorgt beispielsweise eine winzige Änderung des Wertes für einen Unterschied zwischen Kaffeepause und Koma. Das Problem würde sich nur lösen lassen, indem man unendlich viele Aktivitätsniveaus definiert und ihnen Werte zuordnet.

Ein zweites Problem, das eng in Zusammenhang mit der Quantifizierung qualitativer Konzepte entsteht ist die nichtlineare Verknüpfung mit numerischen Konzepten. In System Dynamics wird dies typischerweise über einen Basiswert modelliert, der durch eine Softvariable, deren Werte zwischen null und eins liegen beeinflusst wird:

Neue_Rate_an_Auftragseingängen=Normale_Rate_an_Auftragseingängen * Kundenzufriedenheitsfaktor

2 Dieses Beispiel wurde dem Sinn gemäß aus einem Vortrag von Prof. Dr. Günther Ossimitz auf

einem Seminar in Mannheim im März 2003 übernommen.

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Die Unsicherheit in dem Parameter Kundenzufriedenheitsfaktor können beträchtlich sein, dementsprechend groß ist die Unsicherheit des numerischen Konzeptes. Das Problem wird verschärft, wenn mehrere qualitative Konzepte multiplikativ verknüpft sind:

Neue_Rate_an_Auftragseingängen=Normale_Rate_an_Auftragseingängen * Kundenzufriedenheitsfaktor * Qualitätsfaktor * Preisfaktor *,...

Die Anzahl der Unsicherheiten in den Kombinationen der Beziehungen sind jetzt sehr hoch und es existiert eine starke Annahme, dass die Variablen unabhängig voneinander sind und tatsächlich multiplikativ. Der Nettoeffekt aus drei Parametern mit dem Wert 0.5 beträgt jetzt nur mehr 0.125. Wenn die Beziehung tatsächlich so gestaltet ist, dass der kleinste Wert die anderen dominiert, sollte der Effekt 0.5 sein oder viermal so hoch.

Wenn sich die Unsicherheiten in dieser Art multiplizieren, ist es schwer sich vorzustellen, dass die Dynamik des Modells und die daraus abgeleiteten Empfehlungen zuverlässiger sind als die eines qualitativen mentalen Modells. Oder anders gesagt, in einem System, das durch qualitative Faktoren bestimmt wird, können die Unsicherheiten bei der Quantifizierung so hoch werden, dass Ergebnisses aus Simulationsmodellen fragwürdig erscheinen (Coyle 2000).

6.6 Schlussfolgerungen

Peter Senge hat in den neunziger Jahren den Begriff „Systems Thinking“ geprägt und ihn vor allem in Managementkreisen populär gemacht. Systems Thinking beschränkt sich auf die Darstellung von Systemen mittels der qualitativen Methoden Archetypen und Causal Loop Diagrams (Wirkungsdiagramme). Stock and Flow Diagrams (Flussdiagramme), obwohl von Senge nicht erwähnt, sind ebenfalls eine weit verbreitete qualitative Modelliertechnik. Trotz der starken Wurzeln des Systems Thinking in Computersimulation verwundert die komplette Abwesenheit quantitativer Methoden und Techniken für Manager.

Alle drei Techniken bieten zahlreiche Möglichkeiten sich mit der Struktur von Systemen eingehend zu beschäftigen. CLDs sind dabei rein von der technischen Seite her flexibler als Archetypen, SFDs wiederum flexibler als CLDs. Besonders mit CLDs und SFDs ist es möglich auf die individuelle Situation einzugehen, und eine gute Vorstellung der dem Problem zugrunde liegenden kausalen Ursachen zu bekommen.

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Der Hauptnachteil qualitativer Techniken liegt darin, das es praktisch unmöglich ist aus einem Archetypen, CLD oder SFD die zeitliche Dynamik des Systems abzuleiten. Dafür ist, geht man davon aus, dass Menschen keine komplizierten Differentialgleichungen im Kopf lösen können, Simulation erforderlich.

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7 Lücke

7.1 Ein Schema systemdynamischer Anwendungen

Das Kapitel fünf über den Status Quo in der Anwendung von System Dynamics sowie das Kapitel sieben über qualitative Darstellungstechniken zeigen eine grundsätzliche Problematik des Einsatzes von System Dynamics im Management auf. Einerseits existiert die bisher vorherrschende Anwendung rigoroser quantitativer Simulation in Form von Expertenmodellen in einer Kunden-Experten-Berater Rolle. Andererseits sind qualitative Methoden dank Peter Senge mittlerweile im Management weit vertreten. Zwischen diesen beiden Extrempositionen herrscht ein weitgehender Mangel an Anwendungsformen vor. Diese Lücke in den Anwendungsgebieten bzw. den Darstellungsmethoden und Techniken der System Dynamics verdeutlicht Abbildung 7.1.

In einem Koordinatensystem repräsentiert die Abszisse den Grad der Quantifizierung bzw. die Strenge der Formalisierung des verwendeten Rahmens. Die Ordinate beschreibt den Grad der Situationsbezogenheit. In das Koordinatensystem sind einige Techniken und Methoden aus der System Dynamics eingeordnet.

Senge’s Archetypen z. B. sind wenig quantitativ und wenig situationsbezogen. Im Gegensatz dazu sind beispielsweise CLDs zwar wenig quantitativ, ermöglichen jedoch ein Eingehen auf die jeweilig vorherrschende Situation. Ähnlich verhält es sich mit SFDs. Die Darstellung systemischer Situationen mittels Text ist ein Mittelding zwischen CLDs, SFDs und Archetypen.

Das andere Ende der Methoden in Bezug auf ihre Quantifizierung stellen alle Anwendungen und Techniken dar, die in Zusammenhang mit rigoroser Computersimulation stehen. Hier insbesondere zu erwähnen wären die zwei Formen der Expertenmodelle, Insight-Models und Decision-Models (siehe dazu Kapitel 4), sowie Flugsimulatoren, die mehr oder weniger generalisierte Expertenmodelle darstellen. Generische Modelle sind Simulationsmodelle, die für eine Klasse von Systemen stehen, etwa Forrester’s Market Growth Model oder World Dynamics und Urban Dynamics.

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Abbildung 7.1 Ein Schema systemdynamischer Anwendungen

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Für Anwendungen aus dem Bereich eins, also dem Bereich niedriger Quantifizierung oder Anwendungen aus dem Systems Thinking für Manager nach Peter Senge ist systemisches Wissen erforderlich. Dieses wurde in Kapitel fünf dieser Arbeit definiert (Siehe Kapitel 5.2.1).

Techniken und Methoden aus dem hoch quantifizierten Bereich drei umfassen vor allem Expertensimulation, und erfordern deshalb Expertenwissen besonders aus den Bereichen Modellierwissen und soziale und kommunikative Fertigkeiten für den Bau von Modellen mit Gruppen (siehe Kapitel 5.2.2 und 5.2.3).

Der zweite Bereich ist bisher in der Literatur praktisch vollkommen vernachlässigt worden. Die System Dynamics Literatur wird von der Annahme dominiert, dass es vor allem Anwendungen aus dem dritten Bereich sind, die das Feld bestimmen und definieren. Zweifellos ist für Anwendungen aus dem dritten Bereich umfassendes Expertenwissen erforderlich. Trotzdem ist nicht einzusehen, warum System Dynamics ausschließlich in diesem Bereich eingesetzt werden soll. Anwendungen im zweiten Bereich sind durchaus denkbar.

7.2 Hypothesen über Anwendungen im zweiten Bereich

• Es existieren Einsatzbereiche und Anwendungsformen von System Dynamics die dem zweiten Bereich zuordenbar sind und einen Mittelweg zwischen rein qualitativen Modellen und rigoros quantitativen darstellen. Das volle Spektrum an Expertenwissen ist für diese Anwendungsformen nicht erforderlich.

• Modelle in diesen Anwendungsformen können sehr wohl auch von Managern erstellt werden. Die bisher praktisch ausschließliche Form der Anwendung in Form einer Kunden – Experten – Berater Rolle ist nicht erforderlich.

• Die Basis für diese Anwendungsformen bildet systemisches Wissen wie es in Kapitel sechs definiert wurde.

• Die Stock und Flow Akkumulation aus System Dynamics ist eine wesentliche Eigenschaft komplexer dynamischer Feedbacksysteme und muss dem Repertoir an rein qualitativen Methoden aus dem Systems Thinking hinzugefügt werden. Stock und Flow Akkumulation ist die Basis für Quantifizierung.

System Dynamics wurde von Peter Senge in Form von Systems Thinking populär gemacht. Die Anwendung von System Dynamics beschränkt sich hier eher auf das Erkennen von wiederkehrenden Problemstrukturen anhand einiger weniger

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Archetypen. Obwohl die Kenntnis dieser Archetypen die Diagnose systemischer Probleme erleichtert, lassen sich doch kaum Empfehlungen für die Bekämpfung der Probleme ableiten. Einen Fortschritt stellen hier CLDs und SFDs dar. Diese ermöglichen die Abbildung der kausalen Struktur eines Systems. Wieder sind jedoch keinerlei Aussagen darüber möglich, wo der Hebel für die Lösung systemischer Probleme anzusetzen ist. Die sich aus der Systemstruktur ableitende Dynamik ist mittels qualitativer Methoden – Archetypen, Text, CLDs und SFDs – nur eingeschränkt möglich.

Das andere Ende auf der Skala der bisherigen Anwendungsformen stellen große Projekte in einer Kunden – Experten – Berater Rolle dar. Rigorose quantitative Simulation steht im Mittelpunkt dieser Anwendungsform.

Manager müssen eine Vorstellung davon haben, wie sich Eingriffe in Systeme auswirken könnten. Die bloße Kenntnis der Struktur eines Systems in Form eines CLD oder eines Archetypen lässt keinerlei Schluss diesbezüglich zu.

Unter den Voraussetzungen, die dieser Arbeit zugrunde liegen, nämlich:

• dass Manager in komplexen dynamischen Systemen handeln und in diese steuernd eingreifen sowie

• eine mentale Simulation der Konsequenzen von Eingriffen unmöglich ist,

ist die Anwendung von Simulationsmethoden als Grundlage von Eingriffen unausweichlich. Manager sind bereits Modellbauer, aber sehr schlechte, weil sie Systeme im Kopf simulieren und der Mensch dazu rein von den kognitiven Fähigkeiten her nicht in der Lage ist.

Argumente der Art:

• Simulation ist zu kompliziert für Manager

• Simulation ist zu mathematisch für Manager

• Manager haben keine Zeit um Simulationen zu erstellen

• Manager wollen keine Simulationen sondern Consulting – Lösungen für Probleme

• Nur Experten können gültige Modelle bauen

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können nur dann als Einwand gegen Simulationsmethoden im Management gelten, wenn man bereit ist „schlechte“ Entscheidungen zu akzeptieren bzw. für jede größere Entscheidung Experten zu Rat gezogen werden sollen. Unter den genannten Voraussetzungen gibt es zwei Optionen:

• Entscheidungen ohne quantitative Simulation und damit Entscheidungen deren Auswirkungen auf komplexe Systeme unbekannt bleiben.

• Entscheidungen, welchen Simulationsexperimente zugrunde liegen und welche zumindest eine Chance haben besser zu sein.

Systemdynamische Simulation ist also bisher in diesem zweiten, „halb-quantifizierten“ Bereich nicht in Erscheinung getreten. Wenn man behauptet, dass es hier sinnvolle Einsatzmöglichkeiten gibt, muss man die Fragen nach dem „Wozu“ beantworten. Damit ist der Kreis zur Forschungsfrage dieser Arbeit geschlossen (siehe Kapitel xxx). Die Antworten, die auf die Frage „Wozu können Anwendungen im zweiten Bereich eingesetzt werden?“ bestimmt das notwendige Wissen für Manager über System Dynamics.

7.3 Verschiedene Zwecke von Anwendungen

Qualitative Methoden im Bereich eins sowie rigoros quantitative Simulationsmodelle in Bereich drei verfolgen verschiedene Anwendungszwecke.

Ein grundsätzliches Ziel aller System Dynamics Anwendungen ist die Abbildung und Beherrschbarmachung dynamischer Komplexität. Die Techniken und Methoden verschaffen dem Anwender Einsichten über die dynamische Komplexität der interessierenden Systeme. Die Einsichten, die dabei gewonnen werden hängen sehr stark davon ab, welche Technik für die Analyse verwendet wird. Ein rigoroses Simulationsmodell verschafft ein anderes Systemverständnis als ein Archetyp. Anwendungen in den drei Bereichen verschaffen verschiedene Arten von Einsichten.

Über die Bestimmung der Einsichten, welche Techniken aus Bereichen eins und drei verschaffen, kann der zweite Bereich definiert werden und mögliche Anwendungsgebiete zugeordnet werden.

7.3.1 Einsichten in Bereich eins Anwendungen

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Der Zweck von Anwendungen aus dem ersten Bereich liegt darin die Diagnose systemischer Probleme zu ermöglichen und zu erleichtern. Mittels qualitativer Darstellungsmethoden wird die Darstellung und Strukturierung vorhandenen Wissens erleichtert.

Die Rahmen von CLDs und SFDs ermöglichen sowohl die Sammlung als auch die Darstellung von Wissen über ein System. Jede Feedbackschleife bzw. jede Stock und Flow Akkumulation stellt dabei eine Hypothese über die Ursachen des beobachteten Systemverhaltens dar. Insofern helfen qualitativen Methoden bei der Formulierung von Hypothesen über das Problemverhalten von Systemen.

Die Einsichten aus Bereich eins Anwendungen müssen jedoch statischer Natur bleiben, denn, wie bereits mehrfach erwähnt sind mentale Simulationen solcher qualitativen Modelle mit größter Vorsicht zu genießen und bleiben Spekulationen.

Welches Wissen ist nur erforderlich um mittels qualitativer Methoden aus dem Bereich eins zu Einsichten zu gelangen? Im wesentlichen handelt es sich dabei um Wissen das dem in Kapitel sechs definierten systemischen Wissen entspricht. Also Wissen, das dazu befähigen soll, 1) systemischen Probleme zu erkennen, 2) zu definieren und 3) Hypothesen über die Problemursachen mittels Analyse der Systemstruktur aufzustellen. Notwendig für diese Tätigkeiten sind a) Feedbackdenken, b) Dynamisches Denken, c) Stock und Flow Denken d) Bewusstsein für dynamische Komplexität, e) Bewusstsein für die Beschränktheit der kognitiven Fähigkeiten und schlussendlich f) wissenschaftliches Denken.

Bereich eins Wissen ermöglicht also Bereich eins Einsichten, und zwar indem mittels qualitativer Methoden vorhandenes Wissen organisiert und strukturiert wird. Für die Erlangung dieser Einsichten ist systemisches Wissen (wie in Kapitel sechs definiert) erforderlich.

Einsichten des Typs Bereich eins haben ihre Grenzen wo es um die Ableitung dynamischen Verhaltens geht. Hat eine Gruppe von Managern beispielsweise ein CLDs mit 15 Feedbackschleifen entworfen, und so ein sehr klares und übereinstimmendes Bild des betrachteten Systems, stellt sich sofort die Frage, welche der 15 Schleifen wann das Systemverhalten dominiert. Fragen dieser Art können ausschließlich durch Simulation beantwortet werden.

7.3.2 Einsichten in Bereich drei Anwendungen

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Der Zweck von Anwendungen im dritten Bereich ist die Analyse des realen Systems anhand eines fertigen Computermodells. Ein Modell ist fertig, wenn es die Realität, d.h. im wesentlichen den Reference-Mode oder das Behavior over Time (BOT), hinreichend genau wiederzugeben vermag. Die Politikanalyse gibt Antworten auf die Fragen a) wo soll eingegriffen werden, b) wie und wann soll eingegriffen werden sowie c) wie stark soll eingegriffen werden.

Obwohl natürlich auch im Prozess des Modellbaus Systemverständnis entsteht, liegt das Hauptaugenmerk der Expertensimulation darin, dass Antworten gegeben werden, also konkrete Lösungsvorschläge für Problemsituationen entwickelt werden.

Notwendiges Wissen für Bereich drei Anwendungen umfasst sämtliche in Kapitel sechs definierten Wissenskategorien systemisches Wissen, Modellierwissen, soziale- und kommunikative Fertigkeiten für den Bau von Modellen in Gruppen sowie fachübergreifende Kenntnisse.

7.4 Anwendungen im zweiten Bereich

Große Expertenmodelle des dritten Bereiches versuchen mittels rigoroser Simulation quantitative Antworten auf Fragen wie wo, wann und wie stark soll eingegriffen werden zu geben. Die genaue Beantwortung dieser Fragen ist im Rahmen von Managemententscheidungen weder immer möglich noch immer notwendig. Die Erstellung derartiger Modelle erfordert immer einen relativ langen Zeitraum (mehrere Wochen – mehrere Monate). Für Entscheidungen von nicht existenzbedrohendem Ausmaß ist es nicht sinnvoll Experten zu Rate zu ziehen. In der Literatur ist der Einsatz von System Dynamics auf Probleme, bei welchen sehr viel auf dem Spiel steht beschränkt.

Im Lichte der wachsenden Literatur, die sich auf die Probleme von Menschen im Umgang mit komplexen dynamischen Systemen bezieht (siehe Kapitel vier) ist der Umstand von Missmanagement keine große Überraschung mehr. Was allerdings überraschend ist, ist die Tatsache, dass die Strukturen, die zu Missverhalten führen oft sehr einfach sind (z. B. das Kühlhausexperiment in Dörner 1989 pp. 201 ff.). Dies führt mich zu der Annahme, dass es durchaus lohnend sein kann, sich auf den Kern des Problems zu konzentrieren, z. B. sehr vereinfachte und kleine Modelle. Wenn nämlich schon die Beziehung zwischen Struktur und Verhalten in sehr einfachen Situationen nicht verstanden wird, ist es schwer sich vorzustellen, dass Entscheidungsträger in komplizierteren Situationen besser abschneiden.

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Das Feld der System Dynamics scheint in einer Dichotomie festgefahren zu sein. Auf der einen Seite besteht die Besorgnis möglichst gültige und genaue Verhaltenserklärungen von Systemen mittels Simulation durch Experten zu erlangen, auf der anderen Seite verfällt man , wo dies nicht möglich ist, in Resignation und lamentiert die Grenzen qualitativer Methoden.

Es gibt ein sehr großes Spektrum an Möglichkeiten zwischen diesen beiden Extrempunkten. Viele, wenn nicht sogar die meisten, Problemsituationen im täglichen Management von Organisationen können sehr gut mit abgeschwächter Simulation bedient werden. Die Welt eines Managers ist nicht universell und ununterbrochen von einem undurchdringbaren Netz an Feedbackbeziehungen verhüllt. Ein Großteil der Herausforderungen besteht aus relativ einfachen Strukturen bei welchen Fragen über mögliche Ergebnisse bei möglichen groben Veränderungsraten vorherrschen.

Eine Möglichkeit der Anwendung von System Dynamics im zweiten Bereich, die bisher in der Literatur nicht in Erscheinung getreten ist, ist die der kleinen einsichtfördernden Simulationsmodelle. Diese Form der Anwendung stellt einen Kompromiss zwischen rein qualitativen Modellen und quantitativen Expertenmodellen dar.

Kleine einsichtfördernde Simulationsmodelle beschränken sich auf die absolut wesentlichen Elemente einer Simulation und klammern Details bewusst aus. Mit ein bis zwei Beständen, den notwendige Zu- und Abflüssen sowie maximal ein bis zwei Feedbackschleifen kann die wesentliche Problematik einer Vielzahl von täglichen Managementsituationen ausreichend verdeutlicht werden. Die Konzentration liegt dabei auf der Stock-und-Flow-Struktur des Systems. Hier wiederum liegt das Hauptaugenmerk auf der Darstellung der tatsächlichen und greifbaren Materialflüsse. Mit der Vernachlässigung der Modellierung von Akteuren und deren Entscheidungsregeln kann der Modellbau objektiviert werden, weil die Materialflüsse und deren Akkumulationen in der Regel eindeutig identifizierbar und messbar sind. Damit einher geht eine Vernachlässigung der häufig recht unklaren Feedbackbeziehungen in einem System. Die Stock-und-Flow-Struktur, d. h. Materialflüsse und Akkumulationen sind die Grundlage für die Dynamik des Systems. Sind die für eine Situation charakteristischen Stock-und-Flow-Beziehungen und deren unmittelbaren Einflussfaktoren identifiziert, können in weiterer Folge für das Systemverhalten wichtige Informationsfeedbackbeziehungen, z. B. Verzögerungen, die zu Oszillationen führen hinzugefügt werden. Ähnlich einem Skelett als Grundstruktur des Körpers, kann man eine aussagekräftige Stock-und-Flow-Struktur als Fundament und Ausgangspunkt eines überzeugenden Abbildes einer Systemstruktur verstehen.

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7.4.1 Kleine Simulationsmodelle und deren Anwendung

Bei kleinen Modellen stehen Fragen im Vordergrund wie:

• Welche Art von Dynamik kann in einem System entstehen?

• Wie ändert sich die Art der Dynamik bei Parameteränderungen?

• Wo könnten die Hebelpunkte im System liegen?

Das zentrale Wesensmerkmal kleiner einsichtfördernder Modelle ist, dass diese nicht unbedingt Antworten liefern, sondern im Gegenteil bisher verborgenen Fragen aufwerfen sollen. Der Anwendungszweck besteht darin eine Vorstellung davon zu bekommen, beispielsweise, welche Verhaltensmuster das System aufweisen kann, ob es oszillieren oder wachsen und zusammenbrechen kann, ob man es stabilisieren kann usw. Modelle in dieser Form können eine quantitative Erweiterung zu qualitativen Methoden darstellen. Selbst wenn das Behavior over Time nicht in seiner qualitativen Form wiedergegeben werden kann, bleibt die Erkenntnis, dass für das vorliegende Verhalten Faktoren ausschlaggebend sein müssen, die bisher im Verborgenen geblieben sind.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Nutzens kleiner Simulationsmodelle besteht in der Möglichkeit, dass Manager die Konsequenzen ihrer mentalen Modelle testen können. Versuche haben gezeigt (siehe Kapitel xxx), dass die mentalen Modelle von Versuchspersonen in Experimenten zum komplexen Problemlösen selten aus mehr als ein bis zwei Bestandsgrößen mit nur wenigen Feedbackbeziehungen bestehen. Das Problem der mentalen Simulation kann mit kleinen Modellen leicht und vor allem schnell überwunden werden. Kleine Modelle können jederzeit erweitert werden, indem man z.B. Parameter in die Feedbackstruktur mit einbezieht und so zu Variablen des Systems macht.

Kleine Modelle mit aussagekräftigen Stock-und-Flow-Strukturen können wesentlich zu einem besseren Systemverständnis beitragen.

Kleine Simulationsmodelle sollen vordergründig nicht unbedingt Antworten liefern, sondern Optionen aufzeigen. Die besten Modelle sind jene, die die nützlichsten Fragen aufwerfen. Dabei sollen die Modelle komplex genug sein um unerwartete Ergebnisse zu liefern, gleichzeitig aber auch einfach genug um zu gewährleisten, dass die Beteiligten verstehen, wie die Ergebnisse entstanden sind. Kleine Modelle stellen winzige virtuelle Realitäten dar, in welchen „Trade-Offs“ untersucht werden können.

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Die Untersuchung von „Trade-Offs“ erfolgt am effektivsten in der Gruppe. Mit Simulationsmodellen kann die Dynamik, die aus den Annahmen über die Struktur und Parameter getroffen wurden eindeutig abgeleitet werden. Was häufig als Vorteil von qualitativen Modellen angeführt wird, nämlich das Vorhandensein gemeinsamer mentaler Modelle ist bei quantitativen Modellen als Basis von Entscheidungen und Diskussion ebenfalls gegeben.

Im Laufe dieser Arbeit habe ich mehrmals auf die Notwendigkeit einer holistischen Weltsicht im Management hingewiesen. Die meisten westlichen Sprachen sind linear. Die grundlegende Struktur von Sätzen, Substantiv – Verb – Substantiv fördert eine lineare Weltsicht in der y von x verursacht wird. Diese Linearität verleitet dazu, sich auf Kausalitätsketten anstatt auf zirkuläre Kausalitäten, wo y von x beeinflusst wird und y im Gegenzug x beeinflusst zu beschränken. Unglücklicherweise sind die meisten Probleme im Management heute mit dieser Weltsicht nicht mehr lösbar. Um unser Verständnis und die Kommunikation solcher Probleme zu verbessern benötigt man eine gemeinsame Sprache, die für diese Aufgabe geeignet ist.

System Dynamics für Manager war bisher, dank Peter Senge’s Archetypen und CLDs zumeist auf den Feedbackaspekt konzentriert. Eine Unternehmung kann als Netz von Feedbackbeziehungen charakterisiert werden. Ebenso einleuchtend und überzeugend ist die Betrachtung einer Unternehmung als ein Netz aus Flüssen und Akkumulationen von Geld, Kapital, Arbeit und Aufträgen.

Die Betrachtung der Unternehmung als Netz aus Stocks und Flows fördert systemisches Denken. Kleine SFDs und deren Simulation kann als gemeinsame Sprache für Manager dienen. SFDs sind damit Kommunikationsmittel für die Sichtbar- und Bewältigbarmachung dynamischer Komplexität. Folgende Qualitäten machen diese Sprache nützlich für die Diskussion komplexer Angelegenheiten im Management:

• Fokus auf dynamische Entwicklungen. Die Sprache von Flüssen und Akkumulationen richtet die Aufmerksamkeit auf dynamische Entwicklungen im Gegensatz zu statischen Momentaufnahmen. Der mentale Sprung von Annahmen eines mentalen Modells zu den Konsequenzen dieser Annahmen kann eindeutig bestimmt werden und ist nicht mehr länger ein Spielball von Argumentation.

• Visualisierung mentaler Modelle. Kleine Simulationsmodelle helfen komplexe Situationen klar zu machen indem sie die wesentlichen Bestände und deren Veränderungen sichtbar machen.

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• Lernen. Kleine Simulationsmodelle verwandeln komplexe Probleme in ein Format, das leicht verständlich und einprägsam ist, dennoch reich an Aussagen und Einsichten.

• Genauigkeit. Die Präzision der klar festgelegten „syntaktischen“ reduzieren Unklarheiten und Missverständnisse bei der Kommunikation komplexer Probleme.

• Eindeutigkeit mentaler Modelle. Die Sprache hilft dabei implizite Annahmen und Perspektiven eines Problems offen zu legen und damit einem Diskurs zugänglich zu machen.

• Erlaubt eingehende Untersuchung. Kleine Modelle können das gemeinsame Verständnis eines Problems fördern und richten die Aufmerksamkeit auf eine klare Aussage, deren Annahmen untersucht werden können.

7.5 Allgemeines Wissen um Modelle

Bevor ich im nächsten Kapitel ganz konkret auf notwendiges Wissen für eine bestimmte Anwendung in der Lücke eingehen werde, möchte ich an dieser Stelle noch einige allgemeine Überlegungen bezüglich des Umfeldes von Modellen bzw. der Tätigkeit des Modellierens eingehen. Die Themen, die ich hier anspreche können den Erfolg eines Modells, unabhängig von dessen Qualität stark beeinflussen und sollten im Hinterkopf ständig vorhanden sein.

7.5.1 Modell-Skeptizismus

7.5.1.1 Manager als Modellbauer

Die angesprochene Dichotomie in System Dynamics hat sich in erster Linie dadurch geäußert, dass systemdynamische Simulation bisher einem elitären Kreis von Experten vorbehalten geblieben ist. Aufgrund des relativ geringen Alters des Feldes und aufgrund des Mangels an Ausbildungseinrichtungen wurde Wissen in System Dynamics in erster Linie in Form einer Art „Lehrlingsbeziehung“ weitergegeben. Der typische Experte war Dissertant bei einem erfahrenen Systemdynamiker und hat unter dessen Schirmherrschaft das „Fach“ in jahrelanger Übung erlernt. Die häufig auf individuellen Beziehungen beruhende Weitergabe von System Dynamics Wissen ist vielleicht eine Erklärung dafür, warum sich sehr viele Vertreter des Feldes gegen eine Anwendung von systemdynamischer Simulation durch Nicht-Experten sträuben. In erster Linie wird dabei das Argument der mangelnden Gültigkeit von Modellen durch

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unerfahrene Systemdynamiker ins Feld gebracht, und der potentielle Schaden, welcher dadurch für das gesamte Feld entstehen könnte.

Grundsätzlich möchte ich die Frage: „Kann System Dynamics in einem Tagesseminar erlernt werden?“ mit einem klaren NEIN beantworten. Es ist vielleicht möglich, jemandem, der mit den mathematischen Grundlagen vertraut ist die technischen Aspekte von System Dynamics zu erklären. Um auf das Niveau eines Experten zu kommen ist jedoch mühevolles Selbststudium sowie Übung notwendig. Die Frage, die sich stellt ist jedoch eine andere. „Wie können Konzepte und Methoden aus System Dynamics außerhalb eines Expertenkreises durch Manager sinnvoll angewendet werden?“. Eine Analogie der Problematik ergibt sich dabei zu Techniken, die aus der Statistik und der Ökonometrie stammen und seit Jahrzehnten einen festen Platz im Repertoir von Managementmethoden einnehmen. Bei der Durchführung einer Regressionsanalyse durch einen Manager in Microsoft Excel oder SPSS, etwa um Zusammenhänge zwischen Werbeaufwendungen und Umsatz zu ergründen werden sich die wenigsten über Probleme schwach stationärer Zeitreihen oder Multikollinearität in den erklärenden Variablen Gedanken machen. Trotzdem ist die Regressionsanalyse ein wichtiges und nicht mehr wegzudenkendes Werkzeug im Management geworden.

Managern, die beginnen systemdynamische Simulationsmodelle zu bauen muss auf jeden Fall kommuniziert werden, dass die Aussagen, die aufgrund kleiner Modelle getroffen werden können, und hier vor allem quantitative Aussagen wie das „wann“, „wie“, „wie viel“ usw. beschränkt sind. Diese Modelle verfolgen einen anderen Modellzweck. Sie sollen Fragen aufwerfen und das Experimentieren ermöglichen, sowie eine Möglichkeit bieten einfache dynamische Einsichten zu erlangen. Die Validität kann kein Einwand gegen kleine Modelle sein, wenn der Modellzweck klar ist. Kleine Modelle können eine Ergänzung zu CLDs und mentaler Simulation sein. Ebenso muss die Erwartungshaltung der Modellbauer an den Modellzweck angepasst werden. Unter diesen Umständen sehe ich kein Problem, dass kleine Modelle dem Feld der System Dynamics schädlich werden können, bwz. Schaden durch Entscheidungen von Managern aufgrund ungültiger Modelle anrichten.

7.5.1.2 Manager als Modellkonsumenten

Obwohl Computersimulationsmodelle sozialer Systeme erst wenige Jahrzehnte alt sind, haben sie mittlerweile aufgrund immer schnellerer und günstiger werdender Maschinen weite Verbreitung gefunden. Obwohl nicht alle Manager Modellbauer sind, kommen sie doch zunehmend in Kontakt mit Computersimulationen, ob bewusst oder unbewusst. Die Fähigkeit Modelle zu verstehen und zu bewerten wird zunehmen zu einer wichtigen Fähigkeit für Entscheidungsträger.

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Für Manager als Konsumenten von Computermodellen, insbesondere von Expertenmodellen ist ein allgemeines Verständnis unausweichlich. Dies soll vor allem dem Missbrauch von Computermodellen als Black-Box vorbeugen. Manager müssen in der Lage sein, die Relevanz eines Computermodells für ein bestimmtes Problem, sowie dessen Validität zu bewerten.

Ein ideales Computermodell hat zahlreiche Vorteile gegenüber mentaler Modelle:

• Computermodelle sind explizit in ihren Annahmen.

• Computermodelle errechnen die Konsequenzen aus den Annahmen eindeutig.

• Computermodelle sind ausführlicher als mentale Modelle und können viele Faktoren gleichzeitig berücksichtigen.

Die tatsächliche Situation sieht jedoch häufig anders aus:

• Computermodelle sind häufig Black-Boxes, schlecht dokumentiert und so komplex, dass niemand ihre Annahmen überprüfen kann.

• Die Konsistenz und Korrektheit der Annahmen sind verborgen.

• Soft-Variablen werden mangels Quantifizierungsmöglichkeit und Datenmaterial ausgeklammert.

• Der Fokus eines Modells liegt auf der Abbildung des gesamten Systems, anstatt auf dem System, das für ein Problem relevant ist.

• Modelle kappen wichtige Feedbackbeziehungen indem wichtige modellendogene Faktoren als modellexogen behandelt werden.

• Modelle mit zu geringem oder zu weitem Zeithorizont in Bezug auf das Problem.

• Fragwürdige Annahmen über das Verhalten der Akteure im System. Häufig werden Akteure als perfekt rational mit perfekter Information über die Zukunft modelliert.

• Ausklammerung von Zeitverzögerungen.

Aufgrund der zahlreichen Mängel müssen Computermodelle, die als Basis für Entscheidungen dienen einer eingehenden Untersuchung unterzogen werden. Der Wert von Computermodellen leitet sich aus dem Unterschied zwischen ihnen und den mentalen Modellen der Entscheidungsträger bwz. Modellkonsumenten ab. Computermodelle fordern mentale Modelle heraus. Der Unterschied zwischen

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Ergebnissen aus dem Computermodell und mentalem Modell muss analysiert, und dessen Ursachen aufgeklärt werden. Computermodelle dürfen nicht als Black-Box-Technologie verstanden werden, die Antworten liefert, sondern als Teil eines Lernprozesses, sowohl auf Seiten des Modellkonsumenten, als auch auf Seiten des Modellierers.

Der folgende Leitfaden für Konsumenten von Modellen, vor allem Modellen von Experten, soll dabei helfen die oben angesprochene Differenz und deren Ursachen zwischen mentalem Modell und Empfehlungen aus dem Computermodell zu ergründen. Die Fragen aus den sechs Teilbereichen sind eine Art Basiswissen für Modellkonsumenten.

1. Problembezogenheit und Zweck eines Modells

• „Was ist der Zweck des Modells?“.

Der Zweck eines Modells liegt darin ein bestimmtes Problem zu lösen. Um diesem Zweck gerecht werden zu können muss das Modell vereinfachen und nicht versuchen ein gesamtes System in all seiner Komplexität wieder zu geben.

Dieses Problem ist weniger stark gegeben bei Optimierungsproblemen, wo das Ziel des Modells darin liegt eine Zielfunktion unter Nebenbedingungen zu optimieren, als vielmehr bei Simulationsmodellen sozialer Systeme. Hier liegt der Modellzweck darin das Verhalten des realen Systems abzubilden so dass es studiert und analysiert werden kann. Im Gegensatz zu präskriptiven Optimierungsmodellen, sind Simulationen sozialer Systeme deskriptiv. Diese Modelle sagen nicht was in einer bestimmten Situation getan werden sollte, sondern was unter bestimmten Voraussetzungen passieren würde. Der Zweck einer Simulation ist demnach entweder Voraussicht (was würde in Zukunft unter bestimmten Umständen passieren) oder Politikanalyse (Design neuer Entscheidungsregeln oder Systemstrukturen und Vorhersage wie sich das Systemverhalten ändern würde.

2. Modellgrenzen

• „Welche Variablen sind modellendogen erklärt, welche als modellexogen angenommen?“.

• „Welche Argumente gibt es für die Behandlung von Variablen als modellexogen?“.

• „Wie verändert sich die Struktur des Systems (Feedback) wenn modellexogene Variablen in das Modell aufgenommen werden?“.

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• „Wie werden Softvariablen behandelt?“.

• „Ist die Systemgrenze dem Modellzweck angepasst?“.

Eine endogene Theorie beschreibt, wie die Dynamik eines Systems durch die Interaktionen der Elemente im System entsteht. Im Gegensatz dazu beschreibt eine Theorie, die auf exogenen Faktoren beruht, wie sich interessierende Variablen im System aufgrund exogener Variablen, deren Verhalten angenommen wird verändern. Exogene Erklärungen verlagern das Problem nur auf eine höhere Ebene, nämlich zu bestimmen, welche Ursachen die Veränderungen der exogenen Variablen haben. Exogene Variablen in einem Erklärungsmodell sollten also rar sein. Für jede exogene Variable sollte eine einleuchtende Erklärung vorhanden sein, warum sie nicht als endogen in das Modell aufgenommen wird. Eine endogene Variable als exogen anzunehmen bedeute, dass sämtliche Feedbackbeziehungen zu den endogenen Variablen im Modell unterbrochen werden. Ein häufiges Problem in Modellen stellen Softvariablen dar. Die überwiegende Mehrheit an Wissen über die Welt ist deskriptiv, qualitativ mehrdeutig, sehr schwer zu quantifizieren und wurde niemals gespeichert. Dieses Wissen ist jedoch entscheidend für Modelle komplexer sozialer Systeme. In vielen Modellen wird das Problem der Quantifizierung von Softvariablen dadurch gelöst, dass sie ignoriert werden. Ungeachtet der Probleme der Quantifizierung (siehe Kapitel xxx), ist die Entscheidung, diesen Faktoren einen Wert von null beizumessen, mit Sicherheit falsch.

3. Zeithorizont

• „Was ist der relevante Zeithorizont relativ zu dem vorliegenden Problem?“.

• „Welche Variablen müssen als endogen aufgenommen werden oder können als exogen betrachtet werden, wenn sich der Zeithorizont verändert?“.

Der Zeithorizont eines Problems beeinflusst stark die Systemgrenze. So ist beispielsweise der Bestand an fossilen Brennstoffen eine modellendogene Variable in einem Modell über die Energiepolitik einer erdölproduzierenden Nation, andererseits können die Ölbestände in einem Konjunkturprognosemodell als exogen betrachtet werden.

4. Akteure

• „Wie sind die Entscheidungen der Akteure im Modell repräsentiert?“.

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• „Wie verändern sich die Modellergebnisse bei abweichenden Annahmen bezüglich der Akteure?“.

Modelle müssen, um gültige Aussagen treffen zu können, die Entscheidungsregeln der Akteure genau wiedergeben, auch wenn diese nicht optimal sind.

5. Sensitivität der Ergebnisse

• „Wie reagieren die Ergebnisse aus dem Modell auf Veränderungen von Parametern und Systemstruktur?“.

Alle Beziehungen und Parameter in einem Modell sind zu einem gewissen Grad unpräzise und unsicher. Es werden typischerweise unterschiedliche Meinungen bezüglich der Wichtigkeit bestimmter Parameter und Beziehungen vorliegen. Umso mehr ist es die Pflicht jedes Modellbauers die Sensitivität der Modellergebnisse auf diese Faktoren zu testen und anzugeben.

6. Dokumentation und Replizierbarkeit

• „Ist das Modell dokumentiert?“.

• „Ist die Dokumentation des Modells öffentlich?“.

• „Kann das Modell von anderen betrieben werden?“.

• „Können die Modellergebnisse reproduziert werden?“.

Dokumentation ist ein integraler Bestandteil des Modellierens. Dokumentation ist erforderlich um zu gewährleisten, dass die Ergebnisse verstanden, kritisiert, erweitert und reproduziert werden können.

7.5.2 Modellieren als sozialer Prozess

Modellieren ist in den seltensten Fällen eine isolierte Tätigkeit sondern in der Regel in ein soziales Umfeld eingebettet. Besonders für Manager als Modelliere ist es wichtig diese Tatsache zu erkennen und zu berücksichtigen. Erweitert man die Systemgrenzen und betrachtet man das Modell als ein Teilsystem eines größeren sozialen Systems

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ergeben sich Feedbackbeziehungen zwischen dem Modell und seinem Umfeld. Diese Beziehungen können den Erfolg eines Projektes wesentlich beeinflussen, unabhängig von der Qualität des Modells selbst. Ein Modell ist mehr das Produkt einer Unternehmenskultur denn eines Modellierprozesses.

7.5.2.1 Modellieren in Organisationen

Manager sollten sich vor und während eines Modellprojektes verschiedene Fragen bezüglich der Einbettung des Modells in die Organisation stellen.

„Was darf nicht modelliert werden?“

Die interessanteste Frage ist nicht „Was soll modelliert werden?“, sondern „Was darf nicht modelliert werden?“. Diese Frage sollte interessante Einsichten darüber eröffnen, was die Kernannahmen einer Organisation darstellen, die nicht herausgefordert werden dürfen. Was sind die Annahmen, deren Widerlegung in einem Modell für das Bild das die Organisation von sich selbst hat bedrohlich sein können? Die Herausforderung unausgesprochener „heiliger“ Prämissen einer Organisation kann starke Auswirkungen auf den Modellerfolg, unabhängig von dessen Qualität mit sich bringen.

„Wie geht die Organisation mit überraschenden Modellergebnissen um?“

Ein häufiger Modellzweck liegt darin Ideen zu Testen. Im Gegensatz dazu können Modelle auch neue Ideen generieren. Simulationen laufen ständig Gefahr so gestaltet zu sein, dass sie die zugrunde liegenden Annahmen bestätigen anstatt zu widerlegen. Wenn Widersprüche in Modell und Annahmen entstehen, werden diese überraschenden Ergebnisse von der Organisation akzeptiert oder ignoriert? Modelle, deren Ergebnisse lediglich Erwartungen bestätigen sind nutzlos. Das Umfeld des Modells muss auf Überraschungen eingestellt sein.

„Wer profitiert?“

Die entscheidende Frage vor einem Modellprojekt ist nicht „Wofür ist das Modell?“, sondern „Wer profitiert von welchen Modellergebnissen?“, „Wer profitiert von dessen Verwendung?“ oder „Wenn das Modell genau das tut, wofür es gebaut wurde, wer gewinnt an Einfluss und wer verliert?“. Der Bau und Betrieb eines Modells sind

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politische Tätigkeiten, die mit Machtausübung verbunden sind. Gute Modelle mit überraschenden Ergebnissen erzeugen Gewinner und Verlierer.

7.5.2.2 Modell Risken

Viele Menschen haben zu großes Vertrauen in Ergebnisse, die von einem Computer errechnet wurden. Das Risiko eines falschen Modells muss aktiv berücksichtigt werden. Eines der größten Risiken von Modellen besteht darin, dass sie zu „Ersatz-Realitäten“ werden. Dieser Gefahr kann am besten mit einem kontinuierlichen Lernprozess entgegnet werden, in dem Ergebnisse aus der virtuellen Realität ständig mit der Realität verglichen werden.

7.5.2.3 Kosten-Nutzen von Modellen

Jedes Modellprojekt in einer Organisation verursacht Kosten und Nutzen, sowohl monetär als auch nichtmonetär, etwa Koordinationskosten des Modellprojektes oder Opportunitätskosten. Eine wichtige Frage, die vor jedem Modellprojekt stehen sollte ist ob das Modell mehr Nutzen in Form von gelösten Problemen erzeugt als Kosten in Form von neuen Problemen.

Das Modell muss darüber hinaus daran gemessen werden, welche Auswirkungen es auf Prozesse und Strategien in der Realität haben wird. Modelle als reine Denksportaufgaben sind zwar nützlich, können jedoch leicht in Konflikt mit Kosten-Nutzen-Überlegungen geraten.

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8 Ein System Dynamics Seminar für Manager

In diesem Kapitel möchte ich als ein konkretes und praktisch umsetzbares Ergebnis meiner Arbeit ein eintägiges Seminar für Manager vorstellen. Der Zeitrahmen einer solchen Vorgabe von sechs bis sieben Stunden beschränkt natürlich das Volumen an Wissen, das innerhalb dieser relativ kurzen Zeitspanne vermittelt werden kann. Es ist daher notwendig sich auf einen der vielen Aspekte von System Dynamics zu konzentrieren. Dieser Fokus liegt hier auf dem wichtigen Themenkreis der Stock und Flow Akkumulation sowie dynamischer Komplexität sozialer Systeme als einer Konsequenz daraus. Das Hauptaugenmerk liegt bewusst nicht auf dem sehr wichtigen Feedbackkonzept in System Dynamics. Drei wichtige Gründe haben mich zu dieser Entscheidung bewogen:

1. Innovation

Der Erstkontakt mit System Dynamics führt typischerweise über das Konzept des Feedback in Form von CLDs, Archetypen und Systemverhalten, das qualitativen Modellen mehr oder weniger ohne Begründung zugeordnet wird. Ich will in diesem Seminarvorschlag einen neuen Weg bestreiten und direkt in das Konzept von Beständen und Flüssen, sowie der Dynamik aus einfachen Strukturen eintauchen. Ein solches Vorgehen macht den Lernenden schneller mit der wesentlichen Dynamik von Systemen vertraut. Da das Verhalten eines Systems in System Dynamics niemals ohne Stocks und Flows entstehen kann, erscheint mir eine schon sehr frühzeitige Einführung des Konzeptes als angebracht.

2. Stock und Flow Perspektive für Manager

Es kann für Manager außerordentlich nützlich sein, ein Problem oder ein System aus einer Stock und Flow Perspektive zu betrachten. Die Methoden des Systems Thinking, CLDs und Archetypen klammern Bestände und Flüsse bewusst aus, um dem Neuling nicht zu viel auf einmal zuzumuten und konzentrieren sich auf den Feedbackcharakter von Systemen. Dementsprechend ist es für einen Manager aus dem Systems Thinking kommend unmöglich eine Stock und Flow Perspektive einzunehmen, schlicht weil er sie nicht kennt. Der Feedbackcharakter von Systemen ist zudem häufig sehr verschwommen und mit zahlreichen Unsicherheiten bezüglich Stärke und Richtung der Wirkungen belegt. Die physikalischen Flüsse und Akkumulationen in Unternehmungen wie Kapital, Aufträge, Arbeiter oder Geld in der Regel jedoch leicht zu erkennen.

3. Dynamik

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Die qualitative Antwort der Konzentration auf Stocks und Flows sind SFDs. Von SFDs ist es nur mehr ein kleiner Schritt zu Computermodellen, die das Verhalten des SFDs eindeutig errechnen. Aussagekräftige Stock und Flow Strukturen der grundlegenden Materialflüsse ermöglichen ein schnelles Erkennen der wichtigen Eingriffspunkte im System, nämlich den Entscheidungen, die die Flüsse beeinflussen. SFDs als Startpunkt für eine Analyse ermöglichen zudem die Konzentration auf das wesentliche System, helfen also die Systemgrenze besser setzen zu können. Die für bestimmte Entscheidungen wichtigen Feedbackbeziehungen können im nachhinein leicht hinzugefügt werden, sodass man von dieser Warte aus betrachtet den Feedbackgedanken nicht aufgeben muss.

Das Seminar richtet sich vorwiegend an Entscheidungsträger von Organisationen die neuen Denkansätzen offen gegenüberstehen. Das Stock und Flow Paradigma und die daraus folgenden zeitlichen Dynamiken sind eine radikale Abkehr von der bisher vorherrschenden, vorwiegend statisch und gleichgewichtig orientierten Weltsicht im Management.

Das Seminar ist so angelegt, dass keinerlei Vorwissen der Teilnehmer in Bezug auf systemisches Denken und System Dynamics erforderlich ist. Aufgrund des engen Zeitrahmens und der starken praktischen Orientierung des Seminarvorschlages können einige wichtige Themenkreise nur gestreift werden. Ein Vorwissen, etwa im Umfang wie es „Die fünfte Disziplin“ vermittelt ist deshalb nützlich aber nicht notwendig.

Nach Abwägung der Vor- und Nachteile habe ich mich dazu entschieden reine System Dynamics Software für den Bau der Demonstrationsmodelle zu verwenden. Die Nachteile dieser Entscheidung liegen darin, dass es ohne Zweifel einen gewissen Aufwand erfordert, sich bzw. die Teilnehmer mit einer neuen Softwareumgebung vertraut zu machen. Andererseits erfordert die Einfachheit der vorgestellten Modelle keinerlei fortgeschrittene Features der jeweiligen Softwarepakete. Eine 10 bis 15-minütige Einführung sollte ausreichend sein. Dies kann im Rahmen der ersten Demonstrationsmodelle erfolgen. Vom Einsatz weit verbreiteter Tabellenkalkulationsprogramme wurde abgesehen. Diese Software Umgebungen sind so gestaltet, dass sich das Modellieren von Feedback sehr schwierig gestaltet. Tabellenkalkulationsprogramme, etwa Microsoft Excel produzieren statische Modelle. Feedback wird eliminiert um zirkuläre Referenzen zu vermeiden, die Modelle können damit nur für kurze Perioden sinnvoll eingesetzt werden (bevor die Feedbackmechanismen Zeit haben die Resultate signifikant zu beeinflussen). Es ist zwar möglich das Feedbackkonzept in ein Excel Modell aufzunehmen, etwa indem man die Zeilen als Zeitpunkte definiert und dann die Struktur der Variable zeilenweise

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mit Bezug auf die vorangegangene Zeile wiederholt, dies resultiert allerdings in sehr unübersichtlichen Modellen.

8.1 Ziele des Seminars

Das Hauptaugenmerk des Seminars liegt auf der Vermittlung einer dynamischen Perspektive mittels einer Stock und Flow Sprache für Manager. Wie bereits angedeutet, soll im Unterschied zu der üblichen Vorgehensweise der Einstieg nicht über Archetypen oder CLDs erfolgen, sondern direkt über das Konzept der Stock und Flow Akkumulation. Nach Abschluss des Seminars sollten die Teilnehmer über folgende Kenntnisse verfügen:

1. Dynamisches Denken

Manager sollen gelernt haben bewusst in Zeitabläufen zu denken. Dies sollte eine wertvolle Ergänzung zur vorherrschenden zeitpunktbezogenen Weltsicht darstellen.

2. Stock und Flow Denken

als eine Grundvoraussetzung für dynamisches Denken umfasst vor allem die Unterscheidung von Bestands und Flussgrößen. Manager sollen ihre Organisation und deren Umfeld als Netz aus Stocks und Flows betrachten können.

3. Dynamische Komplexität

Manager sollen ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie aus Stock und Flow Akkumulation dynamische Komplexität entsteht, und was die wesentlichen Unterschiede zu Detailkomplexität sind.

4. Systemische Lektionen

anhand eines Beispieles sollen wichtige systemische Lektionen wie „counterintuitive behavior“ sozialer Systeme oder Politikwiderstand vermittelt werden.

5. Qualitatives Modellieren

die Teilnehmer sollen in der Lage sein die wichtigen Bestände in einer Situation zu erkennen und ihre mentalen Modelle in SFDs zu fassen.

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6. Quantitatives Modellieren

die Teilnehmer sollen sehr einfache Simulationsmodelle selber bauen und simulieren können. Dieser Punkt ist insofern wichtig, als dass nur eine eingehende Beschäftigung mit Simulation und dem Experimentieren mit kleinen Modellen das Verständnis für dynamische Komplexität formen kann.

Mit dem vorgestellten Wissen sollen Manager beispielsweise dazu befähigt werden in Sitzungen eine neue Perspektive eines Problems ins Spiel zu bringen, die Situation mittels eines SFDs darzustellen und die Konsequenzen aus einfachen Stock und Flow Strukturen mittels Simulation abzuleiten.

8.2 Teil eins: Lektionen aus dem Beer Game

Im ersten Teil des Seminars sollen anhand des MIT Beer Game einige grundsätzliche Konzepte aus System Dynamics vermittelt werden.

8.2.1 Systeme und Modelle von Systemen

Das Beer Game ist eine Rollenspielsimulation, die von Prof. John D. Sterman am MIT entwickelt wurde um Prinzipien im Management von Supply Chains zu lehren. Es wird auf einem Spielbrett gespielt (Abbildung 8.1) das die Produktion und Verteilung von Bier darstellt. Jedes Team besteht auf vier Sektoren: Einzelhändler, Großhändler, Verteiler und die produzierende Bierfabrik, die in einer linearen Verteilerkette arrangiert sind. Ein Sektor wird von einer oder mehreren Personen geführt. Münzen stehen für Bierkisten, ein Stapel Karten repräsentiert die Nachfrage der Endkunden. Jede Woche kaufen Endkunden vom Einzelhändler, der das Bier aus seinem Lager liefert. Der Einzelhändler bestellt vom Großhändler, der die Bestellung wiederum aus seinem Lager erfüllt und beim Verteiler bestellt. Dieser ordert Bier von der Fabrik wo das Bier gebraut wird. In jeder Stufe kommt es zu Verzögerungen bei der Lieferung der Bestellung, als auch zu Verzögerungen bei der Verarbeitung der Aufträge. Das Ziel der Spieler auf jeder Stufe besteht darin die Kosten zu minimieren. Lagerkosten schlagen mit € 50/Kiste/Woche zu Buche. Die Kosten für nicht befriedigte Nachfrage aufgrund eines leeren Lagers belaufen sich auf € 1/Kiste/Woche und stellen eine Strafe für entgangenen Umsätze und enttäuschte Kunden dar.

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Abbildung 8.1 Spielplan des Beer Game

Das Spiel wird in einem Gleichgewicht gestartet, in dem jedes Lager zwölf Kisten Bier hält und der Durchsatz vier Kisten pro Woche beträgt. Die Spieler haben ausschließlich lokale Informationen zur Verfügung. Die Endkundennachfrage ist allen Teams bis auf den Einzelhändler unbekannt. Kommunikation unter den Teams ist bis auf die Platzierung von Aufträgen verboten. Diese Regeln verhindern eine Absprache der Teams untereinander. Das globale Optimierungsproblem ist damit in lokale Optimierungsprobleme aufgeteilt.

Anhand der Beschreibung des Beer Game sollen allgemeine Überlegungen zu dem Konzept eines Systems und Modellen von Systemen vorgestellt werden. Abbildung 8.2 beschreibt allgemein das Wesen von Systemen.

Bezogen auf das Beer Game können die Bestandteile folgendermaßen zugeordnet werden:

1. System

Bei dem dargestellten System handelt es sich um eine Supply Chain in der Bierindustrie.

2. Grenze

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Die Grenze gibt dem System eine Identität indem sie definiert welche Elemente dem System zugehören. Die Systemgrenze ist notwendig um das System von seiner Umwelt unterscheiden zu können. Im Beer Game ist die Systemgrenze so gezogen, dass wir nur eine einzige Supply Chain betrachten, Rückwirkungen der Entscheidungen aus der Bierbranche auf andere Wirtschaftszweige sowie auf das Verhalten der Endkunden vernachlässigen und uns auf die betriebswirtschaftlich motivierten Entscheidungsprozesse in den einzelnen Sektoren beschränken.

Abbildung 8.2 Konzept eines Systems

3. Systemelemente

Das System „Beer Game“ besteht aus vier Systemelementen. Einzelhändler, Großhändler, Verteiler und Fabrik. Diese Elemente stehen miteinander über den Austausch von Informationen in Form von Bestellungen und über Materialflüsse in Form von Bier in Beziehung.

4. Umwelt

Die Systemgrenze definiert eine klar abgrenzbare Umwelt. Das System „Beer Game“ steht mit seiner Umwelt über Input- und Outputbeziehungen in Kontakt. Die Rohstoffe

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für die Fabrik kommen aus der Umwelt. Der Nachschub an Rohstoffen ist systemexogen und wird als unerschöpflich betrachtet. Ebenso systemexogen ist die Endkundennachfrage.

5. Ziel, Funktion

Das Ziel des Systems „Beer Game“ besteht in der Bereitstellung von Bier an den Endkunden.

6. Attribute des Systems

Das wichtigste Attribut des Systems besteht in seiner komplexen zeitlichen Dynamik (siehe dazu weiter unten).

Das Beer Game ist nicht das System „Supply Chain in der Bierindustrie“ selbst sondern lediglich ein Modell davon. Modelle sind wichtige Hilfsmittel um mit der Komplexität realer Systeme umgehen zu können. Obwohl Modelle sehr unterschiedlich sein können, kann man einige Eigenschaften definieren, die auf alle Modelle zutreffen:

• Ein Modell ist eine Struktur, welche die Wirklichkeit in idealisierter Form nachbildet.

• Ein Modell ist stets ein Ausschnitt der Wirklichkeit und kann nur für diesen Ausschnitt vernünftige Aussagen machen.

• Modelle sind Vereinfachungen der Wirklichkeit. Der Modellzweck bestimmt den Grad der Vereinfachung, also die Aspekte der Wirklichkeit, die bewusst vernachlässigt werden.

Die Wirklichkeit wird im Beer Game in Form eines Rollenspiels nachgebildet. Dies ist eine Möglichkeit der Abbildung des Systems neben z. B. mathematischen Modellen, textlichen Beschreibungen oder Kausaldiagrammen. Das Beer Game stellt darüber hinaus einen stark vereinfachten Ausschnitt der Realität dar. Der Zweck des Modells „Beer Game“ liegt darin zu demonstrieren, wie das globale Systemverhalten aus den Entscheidungskalkülen der einzelnen Mitspieler entsteht.

8.2.2 Struktur und Verhalten

Obwohl das Modell „Beer Game“ im Vergleich zur Realität sehr einfach ist, sind die Resultate erstaunlich. Das globale Verhalten der Supply Chain ist fast immer drei charakteristischen Mustern ähnlich. Abbildung 8.3 zeigt die Ergebnisse von vier

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typischen Teams. Die oberen vier Grafiken zeigen die platzierten Aufträge der jeweiligen Teams von Einzelhändler (ganz unten) bis Fabrik (ganz oben). Die unteren vier Grafiken stellen die Lager der Spieler (negative Werte sind Auftragsrückstände), in der selben Reihenfolge dar.

Abbildung 8.3 Ergebnisse aus dem Beer Game

Die typischerweise erkennbaren Muster sind:

• Oszillation. Aufträge und Lager sind dominiert von starken Schwankungen.

• Verstärkung. Die Amplitude und die Varianz in den Bestellungen erhöht sich vom Kunden über den Einzelhändler bis zur Fabrik. Der höchste Auftragseingang bei der Fabrik ist im Durchschnitt doppelt so hoch wie die Spitzenbestellung des Einzelhändlers.

• Phasenverschiebung. Vom Einzelhändler zur Fabrik tendieren die Bestellspitzen dazu ihren Höchstwert immer später zu erreichen.

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Lagerziel 400 Bestellpolitik: Gewünschtes Lager - Lager zu Beginn + Erwartete Nachfrage Lieferzeit 3 Lageranpassungszeit 1 Erwartete Nachfrage 100 Woche Lager zu Beginn Lieferungen Nachfrage Lager zu t+1 Nachschub zu Beginn Bestellung Lieferung Nachschub zu t+1

0 400 100 100 400 300 100 100 300 1 400 100 100 400 300 100 100 300 2 400 100 100 400 300 100 100 300 3 400 100 200 300 300 100 100 300 4 300 100 100 300 300 200 100 400 5 300 100 100 300 400 200 100 500 6 300 100 100 300 500 200 100 600 7 300 200 100 400 600 200 200 600 8 400 200 100 500 600 100 200 500 9 500 200 100 600 500 0 200 300

10 600 200 100 700 300 0 200 100 11 700 100 100 700 100 0 100 0 12 700 0 100 600 0 0 0 0 13 600 0 100 500 0 0 0 0 14 500 0 100 400 0 0 0 0 15 400 0 100 300 0 100 0 100 16 300 0 100 200 100 200 0 300 17 200 0 100 100 300 300 0 600 18 100 100 100 100 600 400 100 900 19 100 200 100 200 900 400 200 1100 20 200 300 100 400 1100 300 300 1100 21 400 400 100 700 1100 100 400 800 22 700 400 100 1000 800 0 400 400 23 1000 300 100 1200 400 0 300 100 24 1200 100 100 1200 100 0 100 0

Abbildung 8.4 Diskrete Simulation des Einzelhändlers aus dem Beer Game

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Anhand eines einfachen Modells des Einzelhändlers soll im Anschluss mittels mentaler Simulation demonstriert werden, warum es in diesem System zu dem charakteristischen Verhalten kommt (Abbildung 8.4). Anhand dieser Übung kann verdeutlicht werden, dass die Struktur des Systems sein Verhalten bestimmt.

Das Modell wird in diskreten Zeitschritten von einer Woche simuliert. Das Lagerziel des Einzelhändlers beträgt 400 Einheiten. Die Lieferzeit beträgt drei Wochen. Die erwartete Nachfrage ist konstant und beträgt 100 Einheiten/Woche. In den ersten drei Wochen ist die Nachfrage konstant bei 100 Einheiten/Woche. Das Lager wird jede Woche an den gewünschten Lagerbestand angeglichen (Lageranpassungszeit beträgt eine Woche). Der Lagermanager ignoriert bei der Bestellung die in Nachschub befindlichen Bestellungen.

Das System ist in den ersten drei Wochen stabil mit einem Durchsatz von 100 Einheiten/Woche. Die Lieferungen aus dem Lager werden durch die ankommenden Bestellungen ausgeglichen. In Woche drei erhöht sich die Nachfrage unerwartet auf 200 Einheiten. Da nur 100 Einheiten geliefert werden beträgt das Lager zu Beginn der nächsten Woche vier nur 300 Einheiten statt den gewünschten 400. Um den Lagerverlust auszugleichen werden in Woche vier 200 Einheiten bestellt. Zu Beginn der nächsten Woche fünf beträgt das Lager aufgrund der Lieferverzögerungen immer noch 300 Einheiten. Es befinden sich jedoch schon 400 Bestellungen im Nachschub. Der Manager ignoriert diese und bestellt wieder 200 Einheiten. Dies wiederholt sich bis Woche sieben zu deren Beginn bereits 600 Bestellungen im Nachschub sind. In Woche acht entspricht das Lager dem gewünschten Bestand und es werden 100 Einheiten bestellt. In Woche neun schwillt das Lager aufgrund der im Nachschub befindlichen Bestellungen weiter an. Der Manager reagiert darauf indem er nichts bestellt. In Woche 15 ist das Lager wieder ausgeglichen, jedoch befinden sich nur überhaupt keine Bestellungen im Nachschub, worauf der Manager mit einer erhöhten Bestellrate reagiert.

Das Zusammenwirken von Lieferverzögerungen und dem kurzsichtigen, den Nachschub ignorierenden Verhaltens des Managers produziert das typisch schwingende Verhalten des Systems (Abbildung 8.5). Es ist leicht einzusehen, wie stark sich die Schwingungen beim Produzenten aufschaukeln müssen, wenn schon eine einmalige Verdoppelung der Nachfrage beim Einzelhändler derart gravierende Oszillationen hervor rufen.

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Lager und Nachschub

0200400600800

100012001400

1 4 7 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43

Wochen

Ein

heite

n

Lager zu BeginnNachschub zu Beginn

Bestellungen und Lieferungen

0

100

200

300

400

500

1 4 7 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43

Wochen

Ein

heite

n/W

oche

LieferungenBestellung

Abbildung 8.5 Verhalten des Systems „Einzelhändler“

8.2.3 Dynamische und Detailkomplexität

Das vorgestellte Modell im vorigen Abschnitt beschreibt das soziale System „Supply Chain des Einzelhändlers“ (Abbildung 8.6). Soziale Systeme unterscheiden sich von anderen Systemen, etwa technischen oder biologischen dadurch, dass die Entscheidungsstrukturen der Menschen in die Systemstruktur eingebettet sind.

Das Verhalten, welches sich aufgrund der Struktur des Systems ergibt ist dynamisch komplex. Die dynamische Komplexität erwächst weniger aus der Komplexität der einzelnen Elemente als vielmehr aus dem Zusammenwirken der selben. Bereits Systeme mit sehr wenigen Elementen können hohe dynamische Komplexität

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aufweisen. Im Gegensatz dazu beschreibt kombinatorische Komplexität Probleme, bei welchen eine gute oder optimale Lösung aus einer Vielzahl von Möglichkeiten gefunden werden soll.

Abbildung 8.6 Das System „Einzelhändler“

Ein bekanntes Beispiel für ein Problem mit hoher Detailkomplexität stellt das „Traveling Salesman Problem“ dar, bei welchem die kürzeste Verbindung zwischen allen Städten gefunden werden soll, welche ein Vertreter aufsuchen muss. Um die optimale Lösung zu finden müsste man alle Kombinationen ausprobieren. Bereits bei überschaubaren Problemen mit 13 Städten sind das mehr als sechs Mrd. Möglichkeiten.

Bereits kleine Änderungen in der Interaktion der Elemente eines Systems können zu großen Veränderungen des Systemverhaltens führen. Ändert man beispielsweise die Lieferverzögerung aus dem Beispiel von drei auf eine Woche ergibt sich ein wesentlich besseres Systemverhalten in Hinsicht auf kostenverursachende Lagerschwankungen (Abbildung 8.7).

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Lager und Nachschub

0

100

200

300

400

500

600

1 5 9 13 17 21 25 29 33 37 41

Wochen

Ein

heite

nLager zu BeginnNachschub zu Beginn

Bestellungen und Lieferungen

0

50

100

150

200

250

1 4 7 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43

Wochen

Einh

eite

n/W

oche

LieferungenBestellung

Abbildung 8.7 Systemverhalten bei Parameteränderungen

8.2.4 Hebel in sozialen Systemen

Die Hebelpunkte für eine Veränderung des Systemverhaltens liegen zumeist in der Struktur des Systems.

Der Lagermanager aus dem Beispiel verfolgt eine Bestellpolitik die man folgendermaßen beschreiben kann:

Überprüfe zu Beginn der Woche den Lagerbestand und bestelle die Differenz auf das gewünschte Lager von 400 plus der erwarteten Nachfrage von 100 in dieser Woche.

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Dieses Lagerbestellverhalten bewirkt in Zusammenwirken mit der dreiwöchigen Lieferverzögerung das typische Verhalten im Beer Game.

Die Situation verbessert sich drastisch, wenn der Lagermanager nicht ausschließlich lokal optimiert, sondern die Geschäftsprozesse des Großhändlers, sprich die Verzögerung bei den Lieferungen in sein Entscheidungskalkül mit einbezieht. Dies kann er verwirklichen, indem er das Lager oder die Produktion des Upstream-Lieferanten als sein erweitertes Lager betrachtet. Das gewünschte Lager beträgt dann 400 plus dem Nachschub bei einem gewünschten Durchsatz von 100 (erwartete Nachfrage) und einer dreiwöchigen Lieferverzögerung, also 700. Er bestellt zu Beginn der Woche die erwartete Nachfrage von 100 plus der Differenz aus erweitertem gewünschten Lager von 700 auf das aktuelle Lager und den aktuellen Nachschub (Abbildung 8.8).

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Lagerziel 400 Bestellpolitik: Erweitertes gewünschtes Lager - Lager zu Beginn - Nachschub Lieferzeit 3 zu Beginn + erwartete Nachfrage Lageranpassungszeit 1 Erwartete Nachfrage 100 Woche Lager zu Beginn Lieferungen Nachfrage Lager zu t+1 Nachschub zu Beginn Bestellung Lieferung Nachschub zu t+1

0 400 100 100 400 300 100 100 300 1 400 100 100 400 300 100 100 300 2 400 100 100 400 300 100 100 300 3 400 100 200 300 300 100 100 300 4 300 100 100 300 300 200 100 400 5 300 100 100 300 400 100 100 400 6 300 100 100 300 400 100 100 400 7 300 200 100 400 400 100 200 300 8 400 100 100 400 300 100 100 300 9 400 100 100 400 300 100 100 300

10 400 100 100 400 300 100 100 300 11 400 100 100 400 300 100 100 300 12 400 100 100 400 300 100 100 300 13 400 100 100 400 300 100 100 300 14 400 100 100 400 300 100 100 300 15 400 100 100 400 300 100 100 300 16 400 100 100 400 300 100 100 300 17 400 100 100 400 300 100 100 300 18 400 100 100 400 300 100 100 300 19 400 100 100 400 300 100 100 300

Abbildung 8.8 Diskrete Simulation des Einzelhändlers bei verändertem Entscheidungskalkül

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- 204 -

Das Systemverhalten aufgrund dieser Strukturänderung zeigt Abbildung 8.9.

Lager und Nachschub

0

100

200

300

400

500

1 5 9 13 17 21 25 29 33 37 41

Wochen

Einh

eite

n

Lager zu BeginnNachschub zu Beginn

Bestellungen und Lieferungen

0

50

100

150

200

250

1 4 7 10 13 16 19 22 25 28 31 34 37 40 43

Wochen

Einh

eite

n/W

oche

LieferungenBestellung

Abbildung 8.9 Verhalten des Systems „Einzelhändler“ bei verändertem Entscheidungskalkül

8.3 Zweiter Teil: Eine Stock und Flow Sprache für Manager

In diesem Teil des Seminars sollen die Teilnehmer mit den Grundzügen einer einfachen Stock und Flow Sprache für Manager vertraut gemacht werden. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit dem Vokabular der Sprache, dem Konzept von Flüssen und Beständen. Der zweite Abschnitt behandelt die Grammatik der Sprache, also wie

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- 205 -

Flüsse und Bestände miteinander verbunden werden müssen um einfache Sätze bilden zu können.

8.3.1 Erster Abschnitt: Vokabular

Bestände sind Akkumulationen. Sie charakterisieren die Zustände eines Systems und generieren die Informationen auf welchen Entscheidungen und Aktionen basieren. Bestände können als die Substantive, Flüsse als die Verben einer Stock und Flow Sprache betrachtet werden. Die Unterscheidung von Beständen und Flüssen ist wesentliche Grundvoraussetzung und muss in diesem Abschnitt klar herausgearbeitet werden.

Bestände werde durch Rechtecke dargestellt. Flüsse durch doppelte Pfeile mit einem Ventil. Das Ventil repräsentiert die stärke des Flusses. Kleine Wolken sind die Quellen und Senken der Flüsse, Bestände die außerhalb des Systems liegen und unerschöpfliche Kapazitäten aufweisen (Abbildung 8.10).

BestandZufluss Abfluss

BankkontoEinzahlungen Auszahlungen

Abbildung 8.10 Grafische Konventionen einer Stock und Flow Sprache

Das Konzept der Unterscheidung von Bestands und Flussgrößen kann anhand eines einfachen Beispiels eines Bankkontos erläutert werden (Abbildungen 8.11 und 8.12). Grundsätzlich werden Flüsse immer in Einheiten / Zeit gemessen und Bestände in Einheiten. Daraus folgt, dass Flüsse, hält man die Zeit im Gedanken an, nicht mehr messbar sind. Dieser „Snapshot-Test“ kann die Identifikation von Flüssen und Beständen erleichtern.

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- 206 -

t Eingänge Ausgänge Nettofluss Bestand t(0)=1000 1 20 18 2 1002 2 23 19 4 1004 3 24 20 4 1004 4 27 22 5 1005 5 31 20 11 1011 6 32 22 10 1010 7 37 24 13 1013 8 29 26 3 1003 9 30 32 -2 998

10 27 34 -7 993 11 29 38 -9 991 12 25 35 -10 990 13 24 33 -9 991 14 21 30 -9 991 15 19 26 -7 993

Abbildung 8.11 Diskrete Flüsse und Akkumulation

Flüsse

-20

-10

0

10

20

30

40

50

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

Tage

€/Ta

g

EingängeAusgängeNettofluss

Bestand t(0)=1000

975980985990995

1000100510101015

1 3 5 7 9 11 13 15

Tage

€ Bestand t(0)=1000

Abbildung 8.12 Grafische Darstellung von Flüssen und Beständen

Page 207: Sd für manager

- 207 -

Trotz der Trivialität dieses Demonstrationsbeispiels scheint es mir doch geeignet die Unterscheidung von Beständen und Flüssen aufzuzeigen. Wie Untersuchungen von Sweeney und Ossimitz (Sweeney und Sterman 2000, Ossimitz 2001) zeigen eine Grundvoraussetzung beim Umgang mit Beständen und Flüssen, welche selbst hoch gebildeten Studenten nicht klar zu sein scheint.

Eine wesentliche Stärke der Repräsentation von Systemen durch Stocks und Flows ist die Unterscheidung der physischen Flüsse durch das Netz aus Beständen und Flüssen von den Informationen auf welchen die Aktionen beruhen. Der Inhalt von Beständen wird konserviert indem Inhalt, der in einen Bestand fließt, auf jeden Fall entweder aus einer Senke stammen muss, oder aus einem anderen Bestand im System. In diesem Fall verliert der ursprüngliche genauso viel wie der andere gewinnt. Der Inhalt kann den Bestand nur über einen Fluss verlassen. Daraus folgt, das Zu- und Abflüsse eines Bestandes die selben Einheiten aufweisen müssen.

Um die Unterscheidung von Bestands- und Flussgrößen weiter zu verdeutlichen sowie die Dynamik von Beständen zu demonstrieren sollen einige Beispiele zur grafischen Integration besprochen werden. Grafische Integration von Flüssen und grafische Differenzierung von Beständen stellen eine Art mentales Hilfsmittel dar um schnell die zeitliche Dynamik aus grafischen Darstellungen von Flüssen bzw. Beständen ableiten zu können.

1. Nettofluss von null (Abbildungen 8.13a, 8.13b und 8.13c)

KundenNettofluss

Abbildung 8.13a Darstellung als Stock und Flow Diagram

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- 208 -

Nettofluss50

25

0

-25

-50

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Nettofluss : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.13b Nettofluss von null

Kunden2,000

1,500

1,000

500

0

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.13c Kundenbestand unverändert im Zeitablauf

2. Nettofluss positiv konstant (Abbildungen 8.14a, 8.14b und 8.14c)

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- 209 -

KundenNettofluss

Abbildung 8.14a Darstellung als Stock und Flow Diagram

Nettofluss50

25

0

-25

-50

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Nettofluss : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.14b Nettofluss positiv konstant

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- 210 -

Kunden2,000

1,500

1,000

500

0

11

11

11

11

11

11

1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.14c Kundenbestand steigt linear im Zeitablauf

3. Nettofluss negativ konstant (Abbildungen 8.15a, 8.15b und 8.15c)

KundenNettofluss

Abbildung 8.15a Darstellung als Stock und Flow Diagram

Page 211: Sd für manager

- 211 -

Nettofluss50

25

0

-25

-50

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Nettofluss : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.15b Nettofluss negativ konstant

Kunden2,000

1,500

1,000

500

0

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.15c Kundenbestand sinkt linear im Zeitablauf

Page 212: Sd für manager

- 212 -

4. Nettofluss positiv steigend (Abbildungen 8.16a, 8.16b und 8.16c)

KundenNettofluss

Abbildung 8.16a Darstellung als Stock und Flow Diagram

Nettofluss50

25

0

-25

-50

11

11

1

11

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Nettofluss : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.16b Nettofluss positiv und steigend

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- 213 -

Kunden2,000

1,500

1,000

500

0

1 1 1 11

11

1

1

1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.16c Bestand wächst exponentiell im Zeitablauf

5. Nettofluss positiv fallend (Abbildungen 8.17a, 8.17b und 8.17c)

KundenNettofluss

Abbildung 8.17a Darstellung als Stock und Flow Diagram

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- 214 -

Nettofluss50

25

0

-25

-50

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Nettofluss : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.17b Nettofluss positiv fallend

Kunden2,000

1,500

1,000

500

0

11

11

11

11

11 1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.17c Bestand wächst mit abnehmenden Zuwächsen

Page 215: Sd für manager

- 215 -

6. Nettofluss negativ steigend (Abbildungen 8.18a, 8.18b und 8.18c)

KundenNettofluss

Abbildung 8.18a Darstellung als Stock und Flow Diagram

Nettofluss50

25

0

-25

-501 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Nettofluss : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.18b Nettofluss negativ und steigend

Page 216: Sd für manager

- 216 -

Kunden2,000

1,500

1,000

500

0

11

11

11

1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.18c Kundenbestand sinkt mit abnehmenden Zuwächsen

7. Nettofluss negativ fallend (Abbildungen 8.19a, 8.19b und 8.19c)

KundenNettofluss

Abbildung 8.19a Darstellung als Stock und Flow Diagram

Page 217: Sd für manager

- 217 -

Nettofluss50

25

0

-25

-50

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Nettofluss : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.19b Nettofluss negativ und fallend

Kunden2,000

1,500

1,000

500

0

1 1 1 1 1 1 1 11

11

11

11

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.19c Bestand sinkt mit zunehmenden Zuwächsen

Page 218: Sd für manager

- 218 -

8. Nettofluss von positiv nach negativ (Abbildungen 8.20a, 8.20b und 8.20c)

KundenNettofluss

Abbildung 8.20a Darstellung als Stock und Flow Diagram

Nettofluss50

25

0

-25

-50

11

11

11

11

11

11

11

10 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40

Time (Month)

Nettofluss : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.20b Nettofluss wird negativ

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- 219 -

Kunden2,000

1,500

1,000

500

0

11 1 1 1 1 1 1 1 1

11

11

1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.20c Bestand steigt vorerst mit abnehmenden Zuwächsen um anschließend mit zunehmenden Zuwächsen zu fallen

9. Nettofluss von negativ nach positiv (Abbildungen 8.21a, 8.21b und 8.21c)

KundenNettofluss

Abbildung 8.21a Darstellung als Stock und Flow Diagram

Page 220: Sd für manager

- 220 -

Nettofluss50

25

0

-25

-50

11

11

11

11

11

11

11

1

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Nettofluss : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.21b Nettofluss wird positiv

Kunden2,000

1,500

1,000

500

0

1 1 1 1 1 1 1 1 1 11

11

11

0 4 8 12 16 20 24 28 32 36 40Time (Month)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.21c Bestand sinkt zuerst mit abnehmenden Zuwächsen um anschließend exponentiell zu wachsen

Page 221: Sd für manager

- 221 -

Nach Durcharbeitung der Beispiele sollten die Teilnehmer eine solide Basis bezüglich der Unterscheidung von Bestands und Flussgrößen als auch der mentalen Simulation von Akkumulationsprozessen besitzen. Im nächsten Abschnitt soll das gelernte Wissen auf eine Unternehmung übertragen werden. Die Teilnehmer des Seminars sollen eine Liste von Beständen und Flüssen in einer Organisation entwickeln. Um die wichtigen Eigenschaften von Beständen und Flüssen noch einmal zu verdeutlichen sollte die Liste folgende Punkte aufweisen:

• Die Bezeichnung des Bestandes

• Die Einheiten in welchen der Bestand gemessen wird

• Zu- und Abflüsse zu dem Bestand

• Die Einheiten in welchen die Flüsse gemessen werden

• Typische Faktoren, die die Stärke der Flüsse beeinflussen

Die mögliche Liste kann sowohl materielle als auch immaterielle Flüsse und Bestände umfassen (Abbildung 8.22).

Bestand Einheit Flüsse Einheit Treiber materielle Personal Leute +Aufnahme Leute/Monat Entlohnung -Entlassungen Arbeitsknappheit -Kündigungen Überstunden Missleistungen Kunden Firmen Gewinnung neuer Kunden Firmen/Monat Anzahl d. Verkäufer Verlust von Kunden Preis Produktqualität Kapazität Einheiten/Woche Kauf neuer Maschinen Einheiten/Woche/Quartal Investitionen Verschrottung schlechte Auslastung Verkauf Liquide Mittel Euro Einzahlungen Euro/Woche Verkäufe Auszahlungen Gehälter Investitionen immaterielle

Produktqualität Rückgabeanteil Verminderungen von Reklamationen Reklamationen/Monat Verbesserung Qualität

Erhöhun von Reklamationen Verbesserung Service

Moral dimensionsloser Erhöhung, Verminderung Moral Erhöhung, Verminderung Höhere Gehälter

Index des Index Überstunden Mitarbeiterbeteiligung

Abbildung 8.22 Flüsse und Bestände in einer Unternehmung

Page 222: Sd für manager

- 222 -

Im Anschluss daran können als eine Einführung in eine Simulationssoftware mit einfachen Beispielen experimentiert werden.

Am Ende des ersten Abschnittes im zweiten Teil des Seminars sollten die Teilnehmer folgende Kenntnisse besitzen:

• Konzept von Beständen und Flüssen

• Unterscheidung von Bestands und Flussgrößen

• Mentale Simulation einfacher Akkumulationen

• Erkennen von Beständen und Flüssen in der Unternehmung

• Bau und Simulation von winzigen Modellen mit ein bis zwei Beständen und ohne Feedback in einer Softwareumgebung.

8.3.2 Zweiter Abschnitt: Grammatik

Informationsfeedback kann als die Grammatik der Stock und Flow Sprache angesehen werden. Mit Feedback ist es möglich, einzelne Worte zu einem Satz zu verbinden. Also einzelne Bestände und Flüsse zu einem Netz zu verbinden, welches sozusagen die Geschichte eines mentalen Modells erzählt.

Analog der bisherigen Vorgehensweise, welche die Stock und Flow Akkumulation in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt, soll hier die Existenz von Feedback etwas anders als üblich hergeleitet werden. Es kann argumentiert werden, dass sich Feedback als notwendige Konsequenz aus einer Perspektive ableitet, welche die Akkumulation von Beständen in den Mittelpunkt des Interesses stellt.

• Der Zustand der Welt (oder der Organisation) ist zu allen Zeitpunkten eine Funktion der momentanen Bestände im System.

• Die Bestände verändern sich im Zeitablauf und zwar ausschließlich über Akkumulationen und Entleerungen.

• Die Geschwindigkeit und die Art der Akkumulationen oder Entleerungen werden von den Flüssen und deren Stärke gesteuert.

• Diese Flüsse hängen von den momentanen Beständen ab.

Page 223: Sd für manager

- 223 -

In dieser Form ist die Existenz von Feedback nicht gott-gegeben, sondern aus der Stock und Flow Perspektive ableitbar. Als einfaches Demonstrationsbeispiel kann der Prozess angeführt werden, der sich bei der Einhaltung einer bestimmten Geschwindigkeit eines Autos ergibt. Die aktuelle Geschwindigkeit ist ein Bestand. Eine Durchschnittsgeschwindigkeit über einen bestimmten Zeitraum, welche vom Tachometer gemessen wird. Die Entscheidung, zu beschleunigen oder zu verlangsamen um eine bestimmte Geschwindigkeit zu erreichen und einzuhalten hängt von diesem Bestand ab. Dafür muss die aktuelle Geschwindigkeit, ein Fluss, der unmittelbar nicht messbar ist, gedrosselt oder erhöht werden.

Die Flüsse stellen die Entscheidungspunkte der Akteure in einem System dar, die Auswirkungen der Entscheidungen werden in den Beständen Akkumuliert.

8.3.2.1 Positives Feedback – Wachstum

In einem System mit einer Feedbackschleife, das wächst, beeinflusst der Bestand den Zufluss des Bestandes in einer positiven Richtung, je höher der Bestand ist, desto höher ist der Zufluss zu dem Bestand. Wobei der Zufluss auch negativ sein kann, was sich in einem raschen Zusammenbrechen des Systems äußert. Als einfaches Beispiel kann ein Bankkonto angeführt werden (sieh Abbildung 8.23).

BankkontoSoll- und

Habenzinsen

Zinssatz

Abbildung 8.23 Beispiel für System mit positivem Feedback

8.3.2.2 Negatives Feedback – Grenzen des Wachstums

Jedes Wachstum muss schlussendlich durch einsetzendes negatives Feedback zum Erliegen kommen und in ein dynamisches Gleichgewicht übergehen. Dafür ausschlaggebend können entweder implizite Entscheidungen sein, die in der Struktur des Systems verankert sind, oder explizite Entscheidungen der Akteure.

Page 224: Sd für manager

- 224 -

Implizite Entscheidungen ergeben sich aus physikalischen oder logischen Beschränkungen der Bestände im System. So kann etwa der Bestand an Material im Lager oder der Bestand an Ölreserven nicht negativ werden (Abbildung 8.24).

MateriallagerVerbrauch

Verbrauchsrate

Abbildung 8.24 Beispiel für System mit negativem Feedback und implizitem Ziel

Explizite Entscheidungen beschreiben ein bestimmtes Ziel, den ein Bestand erreichen soll (Abbildung 8.25).

LagerProduktion Nachfrage

gewünschtes Lager

LückeLageranpass

ungszeit

Abbildung 8.25 Beispiel für System mit negativem Feedback und explizitem Ziel

8.3.2.3 Verzögerungen

Als einfaches Beispiel für implizite und explizite Entscheidungen, sowie Verzögerungen kann ein Modell des Einzelhändlers aus dem Beer Game vorgestellt werden (Abbildung 8.26).

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- 225 -

Nachschub LagerBestellungen Lieferungen Nachfrage

gewünschtes Lager

Lücke

LageranpassungLageranpassungszeitgewünschte

Bestellrate

Lieferverzögerungen

Erwartete Nachfrage

Abbildung 8.26 Systemdynamisches Modell des Einzelhändlers aus dem Beer Game

Das Modell ist anfangs im Gleichgewicht. Die Nachfrage beträgt 100 Einheiten/Woche, das Lager 400 Einheiten, der gewünschte Lagerbestand beträgt 400 Einheiten. Das Lager wird innerhalb einer Woche angepasst (Lageranpassungszeit ist eine Woche). Die Lieferverzögerung beträgt drei Wochen, der Nachschub damit 300 Einheiten. Bestellt werden die erwartet Nachfrage von konstant 100 Einheiten/Woche sowie die Differenz des Lagers auf das gewünscht Lager. In Woche zehn tritt eine einmalige Nachfragespitze von 200 Einheiten auf. Das Modell produziert das typische schwankende Verhalten des Einzelhändlers (Abbildung 8.27).

Page 226: Sd für manager

- 226 -

Lager und Nachschub 600600

400400

200200

2 2 2

2

2

2

2 22 2 2 2 2 2

1 1 1

1

1 11 1 1 1 1 1 1 1 1

0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50Time (Week)

Lager : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1Nachschub : Current 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2

Abbildung 8.27 Verhalten des Systems „Einzelhändler“ bei kontinuierlicher Simulation

8.4 Dritter Teil: Drei kleine Modelle

Anhand dreier zusammenhängender Übungsbeispiele soll das bisher erworbene Wissen umgesetzt und vertieft werden. Die Beispiele wurden bewusst sehr einfach gehalten und sollen einen Blick auf das Wesentliche ermöglichen. Folgende Ziele sollen dabei verfolgt werden:

• Demonstration typischer Einsichten, die von Managern aus kleinen Simulationsmodellen gewonnen werden können.

• Demonstration der erstaunlichen Dynamik bereits sehr einfacher Modelle.

• Demonstration von Ergebnissen, die intuitiv und unmittelbar nicht einfach ableitbar sind, sowie Aufzeigen der Möglichkeiten der genauen Quantifizierung unerwarteter Modellergebnisse.

• Demonstration wie eine Stock und Flow Perspektive einer Organisation praktisch in quantitative Simulationsmodelle umsetzbar ist.

• Mentale Simulation und Verständnis der Modellergebnisse.

• Übung im Modellieren

Der Aufbau der Modelle kann Schritt für Schritt erfolgen. Aus Vereinfachungszwecken werden Sie hier jedoch im Ganzen abgebildet. Die Gleichungen der Modelle finden

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- 227 -

sich in Anhang zwei. Annahmen, Aufbau und Logik der Modelle werden jeweils zuerst präsentiert. Im Anschluss erfolgt die Präsentation einiger Experimente und die Beschreibung überraschender Modellergebnisse.

8.4.1 Marktdynamik

Das Modell demonstriert die Dynamik, die sich durch die Gewinnung und den Verlust von Kunden in einem Markt ergibt (Abbildung 8.28).

PotentielleKunden Kunden

KundengewinnungMarktwachstum

<PotentielleKunden> <Kunden>

MarktWachstumsrate

Gewinnung durchMarketing

Marketing Effektivität

Gewinnung durchMundpropaganda

Kontaktrate

Annahmewahrscheinlichkeit

<PotentielleKunden>

Kundenverlustrate

Preis pro EinheitDurchschnittlicher

Umsatz pro Kunde proMonat

Umsatz durchNeukunden

Umsatz durchbestehende

KundenUmsatz Neukundenpro Monat

Umsatz bestehendeKunden pro Monat

Kunden anKonkurrenz

verlorenKundenverlust

<Kunden anKonkurrenzverloren>

Abbildung 8.28 Modell für Marktdynamik

• Das Modell stellt eine Unternehmung dar, die mit einem neuen Produkt in einen neuen Markt eintritt.

• Die Konkurrenzsituation wird vereinfacht so modelliert, dass Konkurrenten nur Kunden von der Unternehmung abwerben können, also nicht direkt am Markt gewinnen können.

• Die Unternehmung verkauft extrem langlebige Güter, damit kann der Verschleiß der Güter und der Wiederkauf vernachlässigt werden.

• Die gewonnenen Kunden sind an das Unternehmen und weitere Leistungen in Zusammenhang mit dem Erstkauf des Produktes gebunden. Der Kundenstock generiert also laufend Umsätze. Man stelle sich einen Mobiltelefon- oder

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- 228 -

Internetprovider vor oder den verkauf langlebiger Investitionsgüter, die Service- und Wartungsleistungen erfordern.

• Der Markt wächst.

• Die Kundengewinnung erfolgt über Marketingaktivitäten und Mundpropaganda. Vereinfachend wird angenommen, dass andere Effekte, die die Kaufentscheidung beeinflussen wie z. B. Preis, Produktqualität, Lieferzeiten oder Service in den Parametern Marketingeffektivität und Wahrscheinlichkeit der Annahme zusammengefasst sind.

• Durch Marketing wird ein bestimmter Prozentsatz an Potentiellen Kunden pro Monat gewonnen.

• Die Kundengewinnung durch Mundpropaganda erfolgt indem Kontakte zwischen Potentiellen Kunden und Kunden mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zur Annahme führen.

• Die Rate der Annahme ergibt sich aus der Summe von Annahme durch Marketing und Annahme durch Mundpropaganda.

Zu Beginn beträgt der potentielle Markt 10.000 Kunden, der Kundestock beträgt null. Das Produkt wird um 300 GE pro Stück verkauft. Jeder Kunde kauft ein Stück. Bestehende Kunden generieren durchschnittliche Umsätze von 10 GE pro Monat. Die Marketingeffektivität beträgt 1 %, die Kontaktrate acht Personen pro Person pro Monat, die Wahrscheinlichkeit der Annahme beträgt 2.5 %.

8.4.1.1 Experiment eins: Modell ohne Marktwachstum und Kundenverlust

Nur in den ersten drei bis vier Monaten dominiert die Kundengewinnung durch Marketing das Wachstum des Kundenbestandes. Sehr bald sind genug Kunden gewonnen um ein Einsetzen des selbstverstärkenden Prozesses der Mundpropaganda zu starten. Die Mundpropaganda dominiert bereits nach drei bis vier Monaten die Kundengewinnung, wächst stark an um dann ebenso wie die Gewinnung durch Marketing abzuflauen. Die Basis an potentiellen Kunden erschöpft sich in diesem Prozess sodass auch die Kundengewinnungsraten abflauen müssen. Nach etwa 40 Monaten erreicht die Kundengewinnung durch Mundpropaganda ihr Minimum von null, und damit der Kundenstock sein Maximum von 10.000 (Abbildung 8.29).

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- 229 -

Raten der Kundengewinnung durch Marketing und Mundpropaganda600600

300300

00

3

33

3

33 3 3 3 3 3 3 3 3 3

2

2

2

2

22 2 2 2 2 2 2 2 2 2

1 11

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 10 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Time (Month)

Gewinnung durch Marketing : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1Gewinnung durch Mundpropaganda : Current 2 2 2 2 2 2Kundengewinnung : Current 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3

Abbildung 8.29 Kundengewinnung durch Marketing und Mundpropaganda

Die Entwicklung des Kundenbestandes ist S-förmig, entsprechend der anfangs steigenden und dann fallenden Kundengewinnung (Abbildung 8.30).

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- 230 -

Potentielle Kunden und Kunden10,000

7,500

5,000

2,500

0

2

2

2

2

2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 21

1

1

1

11 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100Time (Month)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1Potentielle Kunden : Current 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2

Abbildung 8.30 Entwicklung der Kundenbestände

8.4.1.2 Experiment zwei: Marktwachstum von 10 % pro Jahr

Die Kundengewinnungsrate spiegelt nach dem anfänglichen „Abschöpfen“ des potentiellen Marktes die Gewinnung von Kunden aufgrund des wachsenden Marktes wieder, sie geht also nicht auf null zurück. Dabei ist zu bemerken, dass Marketing für die Gewinnung von „nachwachsenden“ Kunden praktisch keine Rolle spielt. Das Produkt ist bereits so bekannt, dass die Gewinnung durch Mundpropaganda bei weitem dominiert (Abbildung 8.31).

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- 231 -

Raten der Kundengewinnung durch Marketing und Mundpropaganda800

600

400

200

0

3

33

3

33 3 3 3 3 3 3 3 3 3

2

2

2

2

22 2 2 2 2 2 2 2 2 2

1 1 11 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100Time (Month)

Gewinnung durch Marketing : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1Gewinnung durch Mundpropaganda : Current 2 2 2 2 2 2Kundengewinnung : Current 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3

Abbildung 8.31 Kundengewinnung bei Wachstum

Der Kundenstock wächst nach anfänglich starkem Wachstum mit der Marktwachstumsrate (Abbildung 8.32).

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- 232 -

Potentielle Kunden und Kunden40,000

30,000

20,000

10,000

0

2 22

2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 21 11

11 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100Time (Month)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1Potentielle Kunden : Current 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2

Abbildung 8.32 Entwicklung der Bestände bei Wachstum

8.4.1.3 Experiment drei: Vergleich der Umsätze

Bereits nach ca. zwei Jahren wird der Umsatz durch bestehende Kunden zur wichtigsten Einnahmequelle des Unternehmens (Abbildung 8.33).

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- 233 -

Umsatz pro Monat400,000

300,000

200,000

100,000

0 22

2

22 2 2 2 2 2 2 2 2 2

1

1

1

1

11 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100Time (Month)

Umsatz Neukunden pro Monat : Current 1 1 1 1 1 1 1 1Umsatz bestehende Kunden pro Monat : Current 2 2 2 2 2 2

Abbildung 8.33 Umsätze pro Monat

Nach ca. vier Jahren übersteigt der Gesamtumsatz durch bestehende Kunden den anfänglich dominierenden Umsatz durch Neuverkäufe (Abbildung 8.34)

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- 234 -

Gesamtumsatz20 M

15 M

10 M

5 M

0 2 22

2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2

1 1 1 1 11

11

11

11

11

1

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100Time (Month)

Umsatz durch bestehende Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1Umsatz durch Neukunden : Current 2 2 2 2 2 2 2 2

Abbildung 8.34 Gesamtumsätze

8.4.1.4 Experiment vier: Konkurrent wirbt Kunden ab

Dieses Experiment demonstriert wie wichtig es ist, auf den Abfluss von Beständen zu achten. Zwei Szenarien werden anhand des Umsatzes pro Monat bei bestehenden Kunden (Abbildung 8.35) sowie des Gesamtumsatzes durch bestehende Kunden (Abbildung 8.36) bei einem Kundenverlust von 0.5 % pro Monat und 1 % pro Monat verglichen.

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Umsatz bestehende Kunden pro Monat bei Kundenverlust 200,000200,000

100,000100,000

00 2

2

2

22 2 2 2 2 2 2 2 2 2

11

1

1

11 1 1 1 1 1 1 1 1

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100Time (Month)

Umsatz bestehende Kunden pro Monat : KV_0,5_% 1 1 1 1 1 1Umsatz bestehende Kunden pro Monat : KV_1_% 2 2 2 2 2

Abbildung 8.35 Umsätze pro Monat bei Kundenverlust

Umsatz bestehende gesamt bei Kundenverlust 20 M

15 M

10 M

5 M

02 2 2 2 2 2

22

22

22

22

2

1 1 1 1 1 11 1 1

1 11

11 1

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100Time (Month)

Umsatz durch bestehende Kunden : KV_1_% 1 1 1 1 1 1 1Umsatz durch bestehende Kunden : KV_0,5_% 2 2 2 2 2 2

Abbildung 8.36 Gesamtumsätze bei Kundenverlust

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8.4.2 Servicequalität

Das Modell beschreibt eine Unternehmung, die an der Kapazitätsgrenze operierend eine plötzlichen starken Zustrom von Neukunden erfährt (Abbildung 8.37).

KundenKundengewinnung Kundenverlust

Noch zuerledigende

AufträgeNeue Aufträgepro Woche

Erledigte Aufträgepro Woche

RateKundengewinnung

Aufträge pro Kundepro Woche

Stunden pro AuftragEffektive

Arbeitsstunden proWoche

Rückstand inWochen

Effekt Rückstand aufKundenverlust

NormalerKundenverlust

<Time>

Abbildung 8.37 Modell für Servicequalität

• Aufträge werden von einem Kundenstock generiert.

• Die neuen Aufträge pro Woche akkumulieren im Bestand noch zu erledigende Aufträge.

• Der Auftragsrückstand wird von einer konstanten Anzahl von Mitarbeitern gemessen in effektiven Arbeitsstunden pro Woche abgebaut.

• Die Höhe des Auftragsrückstandes wirkt sich auf die Kundenverlustrate aus.

• Der Effekt des Rückstandes auf die Kundenverlustrate wird vereinfachend als linear mit Steigung eins angenommen.

• Bei einem Rückstand von einer Woche beträgt der Effekt auf die Kundenverlustrate eins. Diese entspricht somit der normalen Kundenverlustrate.

Das Modell befindet sich anfangs im Gleichgewicht. 25 Kunden pro Woche fließen zu, der Bestand an Kunden beträgt 10.000. Diese generieren 500 Aufträge pro Woche.

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Der Auftragsrückstand wird mit 500 initialisiert. 500 Aufträge können pro Woche abgearbeitet werden (500 Effektive Arbeitsstunden, eine Stunde pro Auftrag). Der Rückstand beträgt somit eine Woche, der Effekt auf die Kundenverlustrate eins. Der Kundenverlust entspricht damit dem normalen Kundenverlust von 25 Kunden pro Woche.

In Woche zehn beginnt die Rate der Kundengewinnung bis auf 50 Kunden pro Woche in Woche 20 zu steigen. Innerhalb der nächsten zehn Wochen fällt sie auf die ursprünglichen 25 Kunden pro Woche zurück.

Der Kundenstock beginnt sofort anzuschwellen. Da die Kapazität an der Grenze und konstant ist, beginnt sich der Auftragsrückstand aufzubauen. Die wirkt sich auf den Auftragsrückstand aus, die Kundenverlustrate beginnt zu steigen, liegt jedoch noch weit unter der Kundengewinnungsrate.

In der 28. Woche erreicht die Kundenverlustrate die Kundengewinnungsrate, der Kundenstock ein Maximum bei 10.225 Kunden und damit auch der Zufluss an neuen Aufträgen ein Maximum.

In Woche 52 hat der Kundenbestand sein ursprüngliches Niveau von 10.000 erreicht. Der Auftragsbestand hat sich bis dahin auf 754 Aufträge aufgebaut. Um diesen Rückstand von 1.5 Wochen abzubauen, muss der Kundenstock weiter sinken.

Dieser Vorgang ist um die Woche 83 abgeschlossen. Der Auftragsrückstand erreicht erstmals wieder 500, der Kundenbestand erreicht sein Minimum bei 9.735 Kunden. Von diesem Zeitpunkt an fällt der Rückstand in Wochen unter eins, die Kundenverlustrate sinkt unter ihren normalen Wert von 25 Kunden pro Woche, der Kundenstock beginnt sich somit langsam wieder aufzubauen (Abbildung 8.38).

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Kundenbestand, Kundengewinnung, Kundenverlust11,000

60

10,00030

9,0000

3 33

33 3

3

3 3 3 3 3 3 32

22

2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 21 1

1 11

11 1 1 1 1 1 1 1 1

0 20 40 60 80 100 120 140Time (Week)

Kunden : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1Kundengewinnung : Current 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2Kundenverlust : Current 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3

Abbildung 8.38 Kundenbestand sinkt unter den Ausgangswert

Ein an sich positives Ereignis, die verstärkte Gewinnung von Neukunden bewirkt nach Ablaufen der Anpassungsprozesse, die sich aufgrund der geringen Kapazitätsreserven ergeben, dass die Unternehmung schlussendlich mit weniger Kunden als zu Beginn und Überkapazitäten da steht. In einem realistischeren Modell müsste sich die schlechtere Servicequalität über Mundpropaganda auch auf die Gewinnung von Neukunden auswirken. Darüber hinaus könnte die Unternehmung eine gewisse Zeit Überstunden fahren. Schlussendlich besteht die Möglichkeit, die Kapazität über Neuaufnahmen zu erhöhen. Die Dynamik, welche sich bei Neueinstellungen in Verbindung mit dem potentiellen Output der Unternehmung ergibt, ist Thema des nächsten Beispiels.

8.4.3 Mitarbeiterdynamik

Das Modell beschreibt die Dynamik des potentiellen Outputs einer Dienstleistungsunternehmung. Das Modell besteht aus einem Personalsektor (Abbildungen 8.39a), der in groben Zügen die Entwicklung von unerfahrenen Mitarbeitern zu erfahrenen simuliert. Der zweite Teil des Modells beschreibt die Entwicklung des potentiellen Outputs im Zuge dieser Entwicklung (Abbildung 8.39b)

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Unerfahrene ErfahreneNeuaufnahmen Angleichung Abgang Erfahrene

VerzögerungAngleichung Durchschnittliche

FirmenzugehörigkeitErfahrene

Abgang Unerfahrene

DurchschnittlicheFirmenzugehörigkeit

Unerfahrene

Gesamter Abgang

<Unerfahrene><Erfahrene>Belegschafts

wachstum

Abbildung 8.39a Personalsektor des Modells für Mitarbeiterdynamik

Anteil der Zeit vonErfahrenen für

Training<Unerfahrene>

Zeit umUnerfahreneanzulernen

<Erfahrene>

Effektive Erfahrene

<Unerfahrene>

Arbeitszeit proPerson pro Woche

UnerfahreneProduktivität

ErfahreneProduktivität

EffektiveArbeitsstunden pro

Woche

Relativer AnteilUnerfahrene

Abbildung 8.39b Effektive Arbeitsstunden pro Woche des Modells für Mitarbeiterdynamik

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• Der Bestand an Personal wird in Unerfahrene und Erfahrene unterteilt.

• Die Entwicklung der Unerfahrenen zu Erfahrenen erfolgt mit einer Verzögerung, repräsentiert durch die „Verzögerung Angleichung“.

• Unerfahrene und Erfahrene können das Unternehmen verlassen das Unternehmen entsprechend der durchschnittlichen Firmenzugehörigkeit.

• Neuaufnahmen ersetzen die Abgänge, darüber hinaus wächst die Belegschaft mit einer Belegschaftswachstumsrate.

• Die Produktivität von Unerfahrenen beträgt ¼ der Erfahrenenproduktivität.

• Erfahrene müssen 50 % ihrer Arbeitszeit für die Einweisung von Unerfahrenen aufwenden.

• Die Bruttoarbeitszeit beträgt 40 Stunden pro Person pro Woche.

Das Modell wird mit 100 Unerfahrenen und 1000 Erfahrenen initialisiert. Die Firmenzugehörigkeit für Unerfahrene und Erfahrene beträgt zwei bzw. fünf Jahre. Die Angleichungsverzögerung beträgt zwei Jahre.

8.4.3.1 Experiment eins: Kein Wachstum

Der Bestand an Erfahrenen sinkt durch den Abgang und die Verzögerung bei der Angleichung neuer Mitarbeiter ab, der Bestand an Unerfahrenen steigt an. Der relative Anteil der Unerfahrenen an der Gesamtbelegschaft steigt von 10 % auf 27 % (Abbildung 8.40).

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Unerfahrene_Erfahrene_Anteil1,000

0.4

5000.2

00

33

33

3 3 3 3 3 3 3 3 3 3

2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200Time (Week)

Erfahrene : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1Unerfahrene : Current 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2Relativer Anteil Unerfahrene : Current 3 3 3 3 3 3 3 3

Abbildung 8.40 Anteil an Unerfahrenen an der Gesamtbelegschaft

Die effektiven Arbeitsstunden pro Woche sinken in 200 Wochen auf rund 74 % des Ausgangswertes von 39.000 Stunden, weil sich die geringere Produktivität und die Anlernzeiten bei den Erfahrenen auswirken (Abbildung 8.41).

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Effektive Arbeitsstunden pro Woche40,000

35,000

30,000

25,000

20,000

1

11

11

11 1 1 1 1 1 1 1 1

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200Time (Week)

Effektive Arbeitsstunden pro Woche : Current 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.41 Absinken der effektiven Arbeitsstunden

8.4.3.2 Experiment zwei: Belegschaftswachstum von 30 % im Jahr

Der Bestand an Erfahrenen sinkt vorerst ab, erreicht jedoch um Woche 80 sein ursprüngliches Niveau. Der Bestand an Unerfahrenen wächst stetig an, der relative Anteil von Unerfahrenen an der Gesamtbelegschaft erreicht aufgrund des Belegschaftswachstums rund 47 % in Woche 200 (Abbildung 8.42).

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Unerfahrene_Erfahrene_Anteil2,000

0.6

1,0000.3

00

3

33

33

3 3 3 3 3 3 3 3 3

22

22

2 22 2 2

22

22

2

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 11 1

11

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200Time (Week)

Erfahrene : Current 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1Unerfahrene : Current 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2Relativer Anteil Unerfahrene : Current 3 3 3 3 3 3 3 3

Abbildung 8.42 Anteil an Unerfahrenen an der Gesamtbelegschaft bei Belegschaftswachstum

Die effektiven Arbeitsstunden sinken vorerst bis auf ein Minimum von 33.250 oder 85 % des Ausgangswertes ab, um dann stetig anzuwachsen. Trotz des starken Belegschaftswachstums schlagen sich die Neuaufnahmen erst nach rund 2.75 Jahren in einem höheren potentiellen Output nieder (Abbildung 8.43).

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Effektive Arbeitsstunden pro Woche60,000

50,000

40,000

30,000

20,000

11

1 1 1 1 1 1 11

11

11

1

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200Time (Week)

Effektive Arbeitsstunden pro Woche : Current 1 1 1 1 1 1 1

Abbildung 8.43 Effektive Arbeitsstunden pro Woche bei Belegschaftswachstum

8.4.3.3 Experiment drei: Gestaltung einer Systemintervention

Da die Unternehmung so rasch als möglich zusätzliche Kapazitäten benötigt wird der Effekt einer Maßnahme untersucht. Die Angleichungszeit von Unerfahrenen an Erfahrene soll um 20 % von 104 Wochen auf 83.2 Wochen reduziert werden. Gleichzeitig soll durch Maßnahmen die Firmenzugehörigkeitsdauer von Erfahrenen um 50 % von 260 auf 390 Wochen verlängert werden.

Der Effekt dieser Intervention wirkt sich unmittelbar auf den Anteil der Unerfahrenen an der Gesamtbelegschaft aus. Dieser erreicht nur mehr 38 % statt den ursprünglichen 47 % (Abbildung 8.44).

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Unerfahrene_Erfahrene_Anteil2,000

0.4

1,0000.2

00

3

3

33

33 3 3 3 3 3 3 3 3

22 2

2 2 2 2 2 2 2 2 2 221 1 1 1 1 1 1 1 1

1 11

11

1

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200Time (Week)

Erfahrene : politik1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1Unerfahrene : politik1 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2Relativer Anteil Unerfahrene : politik1 3 3 3 3 3 3 3 3

Abbildung 8.44 Anteil an Unerfahrenen an der Gesamtbelegschaft bei einer Systemintervention

Bereits in der 80. Woche wirken sich die Neuaufnahmen positiv auf die effektive Gesamtstundenzahl aus. Die Zeit des Wirksamwerdens der zusätzlichen Personalaufnahmen konnte mit der Politik um 44 % verkürzt werden. Darüber hinaus liegen die Effektiven Arbeitsstunden nach 200 Wochen um rund 27 % über dem Niveau des Ausgangsszenarios (Abbildung 8.45).

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Effektive Arbeitsstunden pro Woche80,000

65,000

50,000

35,000

20,000

2 2 2 2 2 2 2 2 2 22

22

22

11 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

11

1

0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200Time (Week)

Effektive Arbeitsstunden pro Woche : Current 1 1 1 1 1 1 1Effektive Arbeitsstunden pro Woche : politik1 2 2 2 2 2 2

Abbildung 8.45 Effektive Arbeitsstunden pro Woche bei einer Systemintervention