schwerwiegende folgen der revision der arbeitslosenversicherung

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Mediendienst 2 6. Februar 2014 Schwerwiegende Folgen der Revision der Arbeitslosenversicherung Was nach dem Ende des Arbeitslosengeldes droht Jean-Noël Maillard Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung. Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.

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Schwerwiegende Folgen der Revision der Arbeitslosenversicherung Was nach dem Ende des Arbeitslosengeldes droht (Jean-Noël Maillard)

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Mediendienst 2 6. Februar 2014

Schwerwiegende Folgen der Revision der Arbeitslosenversicherung

Was nach dem Ende des Arbeitslosengeldes droht Jean-Noël Maillard

Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung.

Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.

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Caritas Schweiz, Mediendienst 2, 6. Februar 2014

Schwerwiegende Folgen der Revision der Arbeitslosenversicherung

Was nach dem Ende des Arbeitslosengeldes droht

Seit der Revision des Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung hat sich die Zahl der Ausge-

steuerten massiv erhöht und damit auch die Zahl jener Menschen, die in der Folge auf Sozialhil-

fe angewiesen sind. Caritas Jura setzt sich für die Schaffung von Sozialfirmen ein, die den

schwer vermittelbaren Arbeitskräften eine dauerhafte Anstellung bietet.

Von einem Ende des Anspruchs auf Arbeitslosengeld sind immer mehr Menschen irgendwann in ih-

rem Lebenslauf betroffen, und das immer früher. Die letzte Revision des Gesetzes über die Arbeitslo-

senversicherung (AVIG) ist seit April 2011 in Kraft, und ihr erklärtes Ziel ist eine Kostensenkung bei

gleichzeitig höheren Einnahmen. Offiziell will das Gesetz eine angemessene Entschädigung bei Ar-

beitslosigkeit, Kurzarbeit, Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sowie als Schlechtwetterentschädi-

gung gewährleisten. Das Ersatzeinkommen beträgt 70 oder 80 Prozent des versicherten Lohns, je nach

der persönlichen Situation des Versicherten.

Derzeit ist eine Person am Ende der Bezugsdauer, wenn sie 400 Taggelder ausgeschöpft hat. Die Be-

zugszeit kann zwischen 200 und 520 Taggeldern schwanken, je nach Alter und Familienstand, aber

auch auf der Basis der Beitragszeit. Bis 2011 schuf die Teilnahme an einem von den Kantonen einge-

richteten Beschäftigungsprogramm ein neues Recht auf Arbeitslosengeld, das heisst über Beitragszah-

lungen während 12 Monaten an die Arbeitslosenversicherung in einer neuen Rahmenfrist.

Diese Möglichkeit wurde von der letzten Revision des AVIG abgeschafft. Solche von der öffentlichen

Hand „subventionierten“ Beschäftigungen berechtigen neu nicht mehr zu neuen Leistungen. Jetzt wer-

den nur noch Löhne angerechnet, die im Rahmen einer Tätigkeit auf dem primären Arbeitsmarkt er-

wirtschaftet werden. Eine Folge davon ist, dass viele Arbeitslose, am Ende der Bezugszeit angekom-

men, auf Sozialhilfe angewiesen sind. Für diese Menschen liegt die Lösung in nachhaltigen Arbeits-

plätzen, die nicht durch Wiedereingliederungsprogramme, sondern mittels Sozialfirmen geschaffen

werden und mit denjenigen des primären Arbeitsmarktes vergleichbar sind.

Veränderungen nach dem April 2011

In der ganzen Schweiz und auch im Kanton Jura hat sich die Anzahl der Menschen, die auf Sozialhilfe

angewiesen sind, seit Einführung der Revision des AVIG stark erhöht. Im Kanton Jura liegt der An-

stieg bei über 40 Prozent.

Unter diesem Gesichtspunkt zeigt sich ganz klar eine Verschiebung der Kosten der Arbeitslosenversi-

cherung zulasten der Sozialhilfe. Grundsätzlich wird angesichts der zunehmenden Gesuche um Sozi-

alhilfe nicht wirklich nachgedacht, wo das eigentliche Problem liegt. Demgegenüber steht ein Frontal-

angriff mit dem Ziel einer Herabsetzung der Bemessung der Sozialhilfeleistungen. Damit werden ein-

deutig die SKOS-Richtlinien (Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe) in Frage gestellt.

Die Abteilung für Wiedereingliederung der Caritas Jura betreut jeden Tag mit sozioprofessioneller

Unterstützung ungefähr 150 Personen, von denen rund fünfzig einer nachhaltigen angemessenen Be-

schäftigung nachgehen. Propul’s bietet eine umfassende Eingliederung, deren Aspekte wie Beobach-

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tung, Umschulung, Einführung in die Arbeit und Begleitung im Sinne eines Gesamtprojekts verstan-

den werden. Die Aufgabenbereiche tangieren ganz verschiedene Sektoren, vom Outsourcing in der

Gartenpflege bis zur Abfallentsorgung. Die Tätigkeiten sind in rund fünfzehn „Berufsgruppen“ unter-

teilt und beschrieben, die den Berufsberatungsstandards entsprechen.

Aufgrund unserer Erfahrung seit über 25 Jahren bei der Betreuung arbeitsloser Menschen stellen wir

fest, dass die Wiedereingliederungsprogramme keine adäquaten Antworten mehr liefern für bestimmte

Gruppen von Arbeitssuchenden, selbst wenn wir die Angebotspalette zu optimieren versuchen. Es

müssten vielmehr nachhaltige Arbeitsplätze für Menschen geschaffen werden, deren Beschäftigungs-

fähigkeit zu gering ist, um den Bedürfnissen des primären Arbeitsmarktes zu entsprechen, aber zu

gross, um eine Invalidenrente zugesprochen zu bekommen.

Die Caritas Jura ist überzeugt, dass diese spezifische Beschäftigungsfähigkeit vermehrt genutzt wer-

den sollte, statt die Menschen in den Wartezimmern der Sozialhilfe zu parken. Die Caritas fordert

daher sogenannte solidarische Arbeitsplätze, neue Beziehungen mit den Unternehmen oder andere

innovative Lösungen, die nachhaltige Arbeitsplätze ermöglichen und den Menschen ein Einkommen

sichern, das diesen Namen verdient.

Es besteht dringender Handlungsbedarf

In der gegenwärtigen Situation drückt das neue Gesetz die Menschen nur nach unten. Es verurteilt die

Arbeitslosen dazu, alle ihre Ressourcen aufzubrauchen, bevor sie einen Antrag auf Sozialhilfe stellen.

Sie müssen sich einer eigentlichen Abspeckung unterziehen, bevor sie an die schmale Tür anklopfen

dürfen, die ein Recht auf Sozialhilfe gewährt. Zwischen dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes AVIG

und der laufenden Zunahme von Sozialhilfeempfängern liegen zwei Phänomene: Die neuen Arbeitslo-

sen treffen am Ende des bezogenen Arbeitslosengelds auf ehemalige Arbeitslose, die erneut dastehen,

nachdem sie mit behelfsmässigen Mitteln mehr schlecht als recht über die Runden gekommen sind.

Die Caritas Jura begegnet in ihrem Alltag Menschen, die Stufe um Stufe und manchmal sehr rasch die

gesellschaftliche Leiter hinuntergerutscht sind: von der Kaderposition zur Arbeitslosigkeit über die

Ausschöpfung des Arbeitslosengelds bis zum Ende der Bezugszeit, danach folgt der Rückgriff auf das

individuelle Netzwerk bis zur Erschöpfung der persönlichen finanziellen Ressourcen und derjenigen

des Netzwerks, und schliesslich die schwere Entscheidung für einen Antrag auf Sozialhilfe. Wenn die

Person an diesem Punkt angekommen ist, hat sie völlig den Anschluss verloren. Die Situation ver-

schlimmert sich zusätzlich durch drohende sinkende Sozialleistungen, was einer erneuten Bestrafung

gleichkommt. Die Bereitstellung von Sozialunternehmen ist dringend notwendig.

Jean-Noël Maillard, Direktor Caritas Jura

Für Auskünfte in deutscher Sprache zu diesem Beitrag steht Benjamin Diggelmann, Caritas Schweiz,

E-Mail [email protected], Tel. 041 419 22 81 zur Verfügung