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Sad al suud

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Über dem Messen ging das Wissen um Maß und Zahl verloren. Dafür bescherte der Kalkül dem Geschöpf Mensch ein neues Vermögen und er wurde damit selbst zu einem schöpferischen Wesen. Nichts mehr scheint unmöglich, und doch werden uns immer deutlicher Grenzen aufgezeigt. Das meiste ist zwar richtig, aber nur das Wenigste ist wahr. Solange wir nur Wissen haben ohne Weisheit, bleibt unsere Lage aber prekär. "Die Zahl ist der trefflichste Pfad, welcher zur Weisheit emporführt." und "Sie ist die eigentliche Signatur des Geistigen.“ Wir wollen erkunden was die alten und neuen Zahlen wirklich sind, was sie mit Freiheit, Information und Maß zu tun haben.

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Sad al suud

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ABAH AIEE

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© ABAH AIEE

2008 Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-940190-88-8

Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier. Printed in Germany Herstellung: xlibri.de Welden 18 86925 Fuchstal Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheber-rechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der en-gen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zu-stimmung des Verfassers unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen (Kopien), Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei-cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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I nha l t

Das Glück des Glückes 7 Über das Gute 9 Einstimmung 10 Suche nach dem Glück 16 Nicht daß ich viel weiß 20 Der Mensch ist ein symbolisches Wesen 22 Das Bewußtsein entwickelt sich in Stufen 23 Jeder Stufe entspricht eine symbolische Form 24 An den Übergängen kommt es zu Überlagerungen 25 Der Weg geht vom Primitiven zum Einfachen 26 alogoi – Unaussprechliche Zahlen 28 Der Mensch ist aller Dinge Maß 31 Erste Impulse einer neuen Stufe 33 Vom Geschöpf zum Schöpfer 36 Dezimalbruch und Koordinatensystem 38 Natur wird mathematisiert 43 Die Naturwissenschaften werden mathematisch 46 Konkrete Phantasie – ein neues symbolisches Vermögen 49 Rösselsprung – Symmetriebruch der Neuzeit 51 Verschränkung der Dimensionen - Vom Maß zur Matrix - 52 Maßstab der Maßstäbe 58 I Metamorphosen 61 II Eichmaß 63 III Spiritus rector 64

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Aufgeklärtes Bewußtsein der Beliebigkeit 68 Der WEG zum integralen Bewußtsein 71 I Harmonikale Verhältnisse 74 II Rhythmische Verhältnisse 79 III Maßgebende Verhältnisse 84 Transluzenz des Kristalls - Spuren der Befreiung - 89 I Das Projekt der Gotik 91 II wahrnehmen 93 III erkennen 96 IV gestalten 97 V Physik des Werdens 100 Yanlorum und Gizdelspil - Freiheit und Form - 104 „Alle göttlichen Gesandten müssen Mathematiker seyn.“ 111 Jenseits der Zeit - Auf der Spitze des Bewußtseins - 120 Die Masche - Mitte und Rand - 123 I Verantwortung - freie Energie - 124 II Autonomie - regionale Vernetzung - 125 III Vernunft - ästhetische Erziehung - 126 Des Fadens Faden - unsichtbare Mitte – 129 Literatur 132

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Das Glück des Glückes „Sadalsuud“ ist die Transkription des arabischen Wortes für den scheinbar hellsten Stern im Sternbild des Wassermanns in lateinische Buchstaben. „Glück des Glückes“ – so die deutsche Übersetzung – bringt das Anliegen dieser Schrift aufs schönste zum Ausdruck, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen haben wir den Bezug zum Wassermann als der bestimmenden Qualität des - immerhin schon über vierzig Jahre währenden - neuen Zeital-ters. Der Erkenntnisweg dieser neuen über 2000 Jahre währenden kosmi-schen Periode ist die Zahl. Es geht um den Übergang vom Wissen zur Weisheit. Weisheit aber ist kein Denkstil im Sinn von Ver-stehen sondern es ist das Ver-nehmen der heiligen Zahl. Es geht in diesem Zeitalter also um die Erweiterung des Verstandes hin zur Vernunft. Zum anderen ist der Ausdruck „Glück des Glückes“ ein wunderbares Bei-spiel für das schon immer als eigenartig empfundene Verhältnis vom Teil zum Ganzen, zur Einheit. Das ausgehende 20. Jahrhundert hat dafür den Begriff des Fraktals geprägt. Die vollkommene Einheit – mathematisch ausgedrückt in der Zahl Eins – ist aber auch ein Synonym für das Gute und dieses wird nicht selten mit dem Glück in eins gesetzt. So schließt sich der Kreis.

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Über das Gute Platons Abschiedsvorlesung (vor über 2300 Jahren) widmete sich dem Thema „Über das Gute“. Dabei ging es keinesfalls um irgendwelche speku-lativen ethischen Normen oder moralische Fragen. Vielmehr erörterte Pla-ton Fragen zur Zahl, insbesondere das Phänomen von Einheit und Vielfalt, also eine Variation des Themas „Der Teil und das Ganze“. Wie kommt es, daß sich ein Philosoph vom Kaliber eines Platon mit einem solchen Thema verabschiedet – erst recht aber: daß sich die gesamte Philosophie (die nach Whitehead nur Fußnoten zu Platon darstellt) nur am Rand mit diesem The-ma beschäftigt? Sind wir deshalb so weit von unserem Glück entfernt? Vor 300 Jahren, im Jahr 1707 wurde in Basel ein Mann geboren, der we-sentlich dazu beitrug, den Übergang in das Wassermannzeitalter vorzuberei-ten. Sein Name: Leonard Euler. Die griechische Vorsilbe „eu“ steht für gut, schön, auch: wohl, glücklich. Wenn es stimmt, daß Nomen Omen ist, war ja von ihm etwas zu erwarten - und Euler hat uns nicht enttäuscht. Leonard Euler war nicht nur als Mensch ein Großer, er war auch einer der größten Mathematiker aller Zeiten. Aber wie meistens hat die Gesellschaft nur das vordergründig Nützliche in Anspruch genommen und das Wesentliche übergangen oder aber bis heute nicht verstanden.

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Einstimmung „Wie der Lebenskreis, ist auch das Weltenjahr ein astronomisch-musikalisches Maß, der weiteste Rahmen aller Geschichtsvorstellungen, der immer nur im Übergang von einem Äon zum anderen auftritt, wie heute im Zeichen des Wassermanns. 1962 trat der Frühlingspunkt bei einer absolu-ten Sonnenfinsternis über Neuguinea – geographisch die Grenze Krebs-Löwe, mit allen sichtbaren Planeten um 15 Grad Wassermann – in diese Konstellation über; ein Zeitpunkt, der schon seit den Griechen berechnet worden war und mit dem Beginn der humanistischen Psychologie überein-stimmt. Indien erkannte es als die Konstellation der Schlacht von Kuruks-hetra in der Bhagavad-Gita. Viele erwarteten den Weltuntergang, nur weni-ge begingen bewußt das Fest des Übergangs – so wir in Kalkutta um 4 Uhr morgens, in einer menschenleeren Stadt, wo die Brahmanen trommelten, um mögliches Unheil abzuwenden.“ „Mit der Wassermannzeit ist nun die Menschheit im kosmischen Rahmen selbst zur Gemeinschaft geworden. Alle kleineren Verbände entsprechen nicht mehr der sozialen Wirklichkeit und gehen zugrunde. Der Gottesbegriff ist in den Löwen gewandert, in das Paradies vor der neolithischen Revoluti-on. Daher ist nicht mehr das Buch, sondern der unmittelbare Zusammen-hang mit dem All, mit den Geistern und den Wesen, wie er in der Altstein-zeit geherrscht hat, im Vordergrund. Die Frucht des Lebensbaums tritt zu jener des Baums der Erkenntnis für die Menschen, die den Mut zur inneren Wandlung besitzen.“ Diese beiden Zitate stammen von Arnold Keyserling. Er war neben seinen Vortags- und Seminarreisen Professor für Religionsphilosophie an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien. Seine Lehre ist zusammenge-faßt im „Rad“, als einem Urbild ganzheitlichen analogen Denkens und als numerologischer Schlüssel zur Weltweisheit. Keyserling verstarb 2005 in Matrei in Tirol. 1962, das Jahr des Übergangs in das Wassermannzeitalter, war auch das Todesjahr von Hermann Hesse. Nicht ganz zwanzig Jahre zuvor erschien 1943 in der Schweiz sein Roman „Das Glasperlenspiel“, dessen Einlei-tungstext folgende Passage enthält: „Nichts entzieht sich der Darstellung durch Worte so sehr und nichts ist doch notwendiger, den Menschen vor Augen zu stellen, als gewisse Dinge, deren Existenz weder beweisbar noch wahrscheinlich ist, welche aber eben dadurch, daß fromme und gewissenhafte Menschen sie gewissermaßen als

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seiende Dinge behandeln, dem Sein und der Möglichkeit des Geboren-werdens um einen Schritt näher geführt werden.“ Dieser Aufgabe hat sich Hesse meisterlich gestellt und erhielt dafür ein Jahr nach dem (offiziellen) Ende des 2. Weltkriegs 1946 den Literaturnobelpreis. Gehen wir weitere einhundertfünfzig Jahre zurück:

„Jetzo mit der Kraft des Stranges Wiegt die Glock mir aus der Gruft, Daß sie in das Reich des Klanges Steige, in die Himmelsluft. Ziehet, ziehet, hebt! Sie bewegt sich, schwebt. Freude dieser Stadt bedeute, Friede sei ihr erst Geläute.“

Dies sind die hoffnungsvollen letzten Zeilen aus Friedrich Schillers Gedicht „Das Lied von der Glocke“, das er im Jahr 1800 im Musenalmanach veröf-fentlichte.

Und noch dreihundert Jahre früher:

„Man weiß keinen Teil, wenn man nicht das Ganze weiß. Das Ganze gibt das Maß für den Teil ab. Darum wird es nötig sein, daß für das Wissen von einem Einzelnen vorher das Wissen vom Ganzen und seinen Teilen vorhan-den ist.“

„Da nun das Urbild aller Dinge im Geiste wie die Wirklichkeit im Abbild widerstrahlt, so hat der Geist in sich etwas, auf das er hinschaut und nach dem er ein Urteil über die Außendinge fällt.“

Diese Sätze aus der Erkenntnislehre des Nikolaus von Kues (Cusanus) wur-den an der Epochenschwelle zur Neuzeit, im 15. Jahrhundert niederge-schrieben.

Ihr mühtet euch, das war mir leid, Umsonst in ganz vergebnem Streit. Dass wer den Gral sich möcht erstreiten, War unerhöhrt zu allen Zeiten.

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Also nicht durch Streit und argumentieren gelangen wir zum heiligen Gral, sondern durch weisheitsvolle Einsicht. Diese Lehre erhält Parzival (steht für die alogische Vernunft) von Trevrizent nach der Heilung des Anfortas (er repräsentiert den logischen Verstand). In der Parzival-Dichtung des Wolf-ram von Eschenbach, entstanden Anfang des 13. Jahrhunderts, wird das Thema angeschlagen, das bereits seit dem 9. Jahrhundert als Vision lebte und heute zur Vollendung ansteht: nämlich daß wir den Verstand wieder zur Vernunft bringen. Seit mehr als zweitausend Jahren leben die abendländischen Menschen nun schon in ihrem Gefängnis des bloßen Verstandes. Platon hat die Situation in seinem berühmten Höhlengleichnis im 4. Jahrhundert v.Chr. thematisiert:

Gefesselt, mit dem Rücken zum Höhleneingang, durch den Licht fällt, erblickt der Mensch nur die Schatten der Dinge, die er für die alleinige Wirklichkeit hält. Führt man ihn in die lichte Welt der wirklichen Dinge, würden ihn die Augen schmerzen, er würde sei-ne Schattenwelt für wahr, die wahre Welt für unwirklich halten. Nur allmählich würde er sich an die Wahrheit gewöhnen. Kehrte er in die Höhle zurück, um die anderen von ihrem Wahn zu erlösen, würden sie ihm nicht glauben, ihm zürnen, ja, ihn vielleicht sogar töten.

Soviel zur Gesamtsituation, der sich der Mensch seit etwa fünftausend Jah-ren gegenübersieht. Unüberhörbar spricht aus all diesen Texten auch eine Sehnsucht nach Befreiung, nach einem, wie auch immer vorgestellten, friedlichen Paradies. Immer stärker spüren wir das Abgetrenntsein vom Geist und entsprechend verstärkt sich der Wunsch, in die eigentliche Hei-mat des Menschen, in das Reich des Geistigen zurückzukehren. Das Zeitalter der Aufklärung versprach das ersehnte Licht, man wähnte sich im Besitz der Vernunft. Die vorausgegangene Renaissance war jedoch „nur“ die Wiedergeburt der griechischen Wissenschaften und entsprechend tut sich der Geist bis heute schwer, sich aus den Fesseln der griechischen Philosophie befreien. Wir wissen nicht mehr, was Vernunft überhaupt sein soll. Statt der erhofften Erleuchtung erleben wir heute allenfalls das Dämmer-licht der Glühbirne und der rechnende Verstand spielt sich noch immer als Herr über die Vernunft auf. Die Aufklärung ist selbst längst als Mythos entlarvt. Der Verstand hat die Untaten nur erbarmungsloser gemacht. Und so kommt es, daß Ernst Bloch auch noch zweihundert Jahre nach der Auf-klärung völlig zutreffend schreiben muß: „Unsere bisherige Technik steht in

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der Natur wie eine Besatzungsarmee in Feindesland, und vom Landesinnern weiß sie nichts.“ Der Kontrast zwischen dem technischen Vermögen zur Beherrschung der Materie einerseits und die Unfähigkeit mit diesem Vermögen verantwortlich umzugehen andererseits, im Sinn der Erhaltung und Förderung des Lebens, ist eines der wesentlichen und zugleich bedrohlichen Kennzeichen unserer Zeit. Auf dem Konzil von Konstantinopel (heute Istanbul) im Jahre 869 wurde der christlich-katholische Mensch endgültig von seinen geistigen Wurzeln getrennt, nicht länger mehr war er als ein geistiges Wesen angesehen. Mit der Einführung der Null im 13. Jahrhundert wurde das Tor zur Beliebigkeit entriegelt. Aufgestoßen wurde es dann dreihundert Jahre später mit der Dezimalrechnung. Weitere 300 Jahre später wurde die Lehre zur Lösung von Gleichungen, die Algebra, auf eine neue Stufe gehoben, die den Men-schen endgültig in den Stand des selbstherrlichen Schöpfers erhob. Die theoretische Physik wurde möglich und damit all das, was Segen und Fluch des 20. Jahrhunderts ausgemacht hat. Die Mathematik ist zu einem Werkzeug in der Hand von Banausen ver-kommen. Ist da irgendetwas falsch gelaufen, gibt es möglicherweise einen Weg zum Besseren? – einen Weg zum Glücklichsein, vielleicht sogar den Weg zum Weltenglück, zum Sadalsuud? Wir alle wissen (oder könnten es wissen), daß es mit einer Ethik, welcher Art auch immer, nicht getan ist. Alle Appelle und frommen Wünsche sind allenfalls dazu angetan, die Gutgläubigen zu entrechten und weiter im guten Glauben, will sagen: im glauben an das Gute, weiterschlummern zu lassen, während diejenigen, die diese Gebote und Gesetze zwecks Besserung auf-stellen und im Namen der aufklärerischen Ideale „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ verkünden, bis auf weiteres ein materiell sorgenfreies Le-ben auf Kosten ihrer Schäfchen bzw. Sklaven führen. Solange fehlerhafte Entwicklungen lediglich zu lokalen und vorüber-gehenden Katastrophen geführt haben und man sich damit trösten konnte, daß die Zeit alle Wunden heilen werde, solange mochte man mit der Zweiteilung – hier technische Entwicklung zur Beherrschung der Erde, da ethisch-psychologische Raffinesse zur Beherrschung der Menschen – mehr oder weniger gut leben können. Immerhin hatte der Einzelne noch eine reale Möglichkeit zur Flucht.

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Auf einem Globus allerdings, der vollständig vom Netz der elektronischen Datenspinne überzogen ist und wo jeder weitere Großkonflikt ohne weiteres zur Auslöschung allen höheren Lebens führen kann, gibt es kein Entkom-men mehr, und Wunden, verstanden als begrenzte Verletzungen, gibt es auch keine mehr zu heilen. Nicht zu vergessen, daß sich diese Entwicklung keineswegs in Jahrhunderten vollzieht, sondern in immer kürzeren Zyklen, mittlerweile im Takt von Jahrzehnten. Wenn also weder Ethik noch Flucht noch Eselsgeduld künftig reale Aus-sichten auf ein erträgliches, vielleicht sogar friedliches Leben bieten, ist es doch an der Zeit zu fragen, ob möglicherweise in den zugrunde liegenden Strukturen, im tiefsten Fundament etwas nicht stimmt. Technik ist dasjenige, worum sich die gesamte Neuzeit dreht. Ihr Kern, der sie ermöglicht, ist die Physik. Der harte Kern der Physik aber ist die Ma-thematik. Sie ist das Fundament der Neuzeit. Der vordergründige materielle Erfolg spricht für die Stabilität dieses Fundaments und niemand wagt es, schon gar nicht als Unberufener, diesen Gral der Wahrhaftigkeit zu hinter-fragen. Diese unselige Tradition wollen wir hier beenden. Was waren die Marksteine auf dem Weg zur neuzeitlichen Mathematik seit ihren Anfängen im 13. Jahrhundert? Wurden diese Ecksteine möglicherwei-se falsch in das Gebäude eingebaut? Mathematik hat sich keineswegs unab-hängig von den jeweils vorherrschenden Philosophierichtungen und Denk-stilen entwickelt. So werden wir also auf der Suche nach möglichen Fehlern im Fundament auch diese streifen. Am Ende werden wir einerseits auf den altehrwürdigen Logos der vormeta-physischen Zeit stoßen und andererseits feststellen, daß uns der Umweg über die Philosophie mit Logik, Metaphysik und Ethik ein neues Vermögen beschert hat, das wir jedoch erst noch wahrhaft ins Bewußtsein heben müs-sen. Es geht um eine neue Stufe symbolischen Vermögens und dabei stellen wir fest, daß das Neue zugleich ein Altes berührt. Genau an diesem Punkt finden wir uns in einem gefährlichen Dilemma: wir müssen konstatieren, daß uns Heutigen im Großen und Ganzen jeglicher Sinn für das Wesen symbolischer Formen abhanden gekommen ist. So verstehen wir einerseits das Alte nicht mehr und das Neue noch nicht und wir drohen davon über-wältigt zu werden. Erich Neumann formuliert es optimistisch so: „Die Menschheit nimmt langsam aber fortschreitend die seelischen Projektionen zurück, mit denen sie in Hierarchien von Göttern und Geistern, Himmeln und Höllen die Leere der Welt ausgestattet hatte, und erfährt staunend die schöpferische Fülle des eigenen seelischen Urgrundes.“ Das trifft sich mit dem von Keyserling genannten „unmittelbaren Zusammenhang mit dem

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All, mit den Geistern und den Wesen, wie er in der Altseinzeit geherrscht hat“. Es kann nun natürlich keine Rede davon sein, daß die Menschheit die Errungenschaften der Neuzeit zugunsten einer primitiven Idolatrie wieder aufgibt – eine Gefahr, die angesichts der Star- und Führerkulte durchaus real ist – sondern es geht darum, die archetypische Qualität der Zahl ihrer Substanz nach wieder zu erkennen und in ihren unterschiedlichen Funktio-nen klar auseinander zu halten. Nur so kann es gelingen, das Gebäude der Mathematik und damit auch die Physik und die Technik zu erden, zu fun-dieren. Während die vom Geist getrennte reduktionistische Naturwissenschaft in kurzer Zeit einen ungeheuren Wissensstoff ansammelte, verlor sie sowohl das eigentliche Menschenwesen als auch die Welt und kettete sich an die Materie. Dieses Verschlungenwerden durch die Erde ist nun aber etwas völlig anderes als Erdung im Sinn einer Verbindung mit der Erde. Was wir brauchen ist demnach nicht eine irgendwie geartete neue Ethik, vielmehr wird alles darauf ankommen, daß wir wieder ein Verständnis vom Zusam-menhang des Schöpferischen mit der zeitlosen symbolischen Wirklichkeit gewinnen. Die lebendige Verbindung von klarem Verstandesbewußtsein mit den schöpferischen Mächten des Unbewußten wird uns eine Weiterentwik-klung auch des Bewußtseins ermöglichen, die uns schlußendlich zum Glück gereichen kann. Machen wir doch endlich von unserer Intelligenz Gebrauch: Intelligenz kommt von intus legere, was so viel bedeutet wie „lesen der göttlichen Schriftzeichen in der Natur“. Goethe hat seinem Sekretär gegenüber schon treffend geäußert, was uns als Menschheit bevorsteht: „Hinter uns liegt die Revolution des Bürgers. Nun-mehr erleben wir den Anfang der Revolution durch die Maschine. Aber kommen wird die große Revolution, die da aufräumt mit den Albernheiten unserer Kreatur – die Revolution des Bewußtseins schlechthin.“ Eine der großartigsten und womöglich wichtigsten Aufgabe besteht auch zukünftig darin, unseren Nachkommen das Zusammenspiel von Freiheit und Form so zu vermitteln, daß ihre Phantasie nicht länger von vornherein beschlagnahmt wird. Grundlage einer Bildung von Persönlichkeiten ist die Vermittlung mathematischer und ästhetischer Prinzipien, durch die der junge Mensch in die ursprüngliche Kraft des schöpferischen Entwurfs ge-langen kann. Identifikation mit dem Schöpferischen bringt Erdung und Maß mit sich, woraus eine Ehrfurcht vor dem Leben erwachsen kann, so daß die Menschheit ihr schöpferisches Vermögen nicht länger zur barbarischen Zerstörung mißbraucht.

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Das Wassermannzeitalter ist das Zeitalter der Zahl, wo das Leben nicht länger Arbeit ist, sondern spielend und schöpferisch verläuft. Ein veränder-tes Verständnis für Zahlen und Formen öffnet Tore in die Amension und führt uns wieder auf den Weg zum Glück – vielleicht sogar in das Welten-glück, in das Glück des Glücks: Sadalsuud, den scheinbar hellsten Stern im Sternbild des Wassermanns.

Bevor wir uns auf den Weg ins Glück machen, wollen wir uns kurz orientie-ren, was denn Glück eigentlich ist – oder wenigstens sein könnte. „Auf harmonische Art und Weise handeln, das heißt Glück.“ So übersetzt Richard Wilhelm das 16. Zeichen im I Ging, dem chinesischen Buch der Wandlung. „Alle, die unglücklich sind, sind es, weil sie nur ihr eigenes Lebensglück verfolgen. Alle, die glücklich sind, sind es, weil ihnen das Glück der ande-ren am Herzen liegt.“ Shantideva Friedrich Nietzsche beobachtet: „Aller grosse Lärm macht, dass wir das Glück in die Stille und Ferne setzen.“ Aber nicht nur der Lärm, auch die Unrast der Zeit hindert uns am Glück-lichsein. Hermann Hesse schreibt: „Zum erleben des Glückes bedarf es vor allem der Unabhängigkeit von der Zeit und damit von der Furcht sowohl wie von der Hoffnung. Der Sinn des Daseins ist es, jene Einheit des Vielfäl-tigen, oder doch jene Fähigkeit des Geistes, den Wirrwarr der Welt als Ein-heit und Harmonie zu ahnen.“ Wie ganz anders hört sich das bei völlig entgeisterten Autoren im 20. Jahr-hundert an: "Glück, das ist einfach eine gute Gesundheit und ein schlechtes Gedächtnis." so Ernest Hemingway. Um einiges zynischer meint Gottfried Benn: „Dumm sein und Arbeit haben, das ist Glück!“ Peter Sloterdijk zitiert den Satz als Jahrhundertformulierung des Zynismus schlechthin. Eine sol-

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che Glücksauffassung steht am Ende einer Entwicklung, in der sich der Mensch selbst setzt und damit auch das Maß für sein Leben. „Der moderne Zyniker ist ein integrierter Asozialer; der es an unterschwelliger Illusionslo-sigkeit mit jedem Hippie aufnimmt.“ und „Handeln wider besseres Wissen ist das globale Überbauverhältnis heute.“ diagnostiziert Sloterdijk im Jahr 1983. Wie konnten wir in eine solch nihilistisch-zynische, existentialistisch-trostlose, elendigliche Befindlichkeit geraten? An der grundsätzlichen Situa-tion der Menschheit hat sich auch nach der Jahrtausendwende nichts geän-dert. Die Menschheit steht nach wie vor als Ganzes auf der Kippe – heute möglicherweise die gesamte belebte Natur. Die Symptome sind für jeden spürbar, die Diagnosen klar und lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Auch an zutreffenden Analysen ist kein Mangel. Allerdings stoßen sie in den meisten Fällen nicht zum Kern vor und dennoch ist man angesichts der offenbaren akuten Bedrohungen geneigt, die nächst beste Aktion zu unternehmen - um dann festzustellen, daß man sich in einer noch schlimmeren Situation befindet als zuvor. Die schnellste und am wenigsten schmerzhafte Art zu reagieren liegt darin, daß wir unsere Methoden verändern, d.h. unser praktisches Handeln in der Begegnung mit unserer Umgebung. Methoden sind verhältnismäßig leicht zu ändern und es verschafft schnell ein Gefühl der Entlastung. Auf dieser Ebene bewegen sich praktisch alle politischen Magazine, Nachrichten, Blogs und Gesprächsrunden. Zu jedem Thema gibt es pro und contra und es läßt sich trefflich streiten. Solange die Strukturen nicht angetastet werden, ist jeder Kompromiß gleich gut oder schlecht. Hauptsache man hat etwas getan, wenn auch unter dem Strich nicht unbedingt mit dem gewünschten Erfolg. Wesentlich schwerer tun wir uns als Gemeinschaft bzw. Gesellschaft (und erst recht als Weltgesellschaft), wenn es darum geht, organisatorische Strukturen zu verändern. Auf den ersten Blick scheint das den Tatsachen vollständig zu widersprechen. Denn tatsächlich finden derzeit ja gewaltige Umwälzungen im globalen Maßstab statt und wir lassen diese mehr oder weniger klaglos über uns ergehen. Diese Umstrukturierungen (unter dem Vorwand der Sicherheit – aber wessen Sicherheit?) dienen jedoch allesamt und ausschließlich dazu, die herrschenden Strukturen, die in der Tat äußerst zäh und widerstandsfähig sind, den bisherigen status quo auf der nationalen Ebene in einen globalen Maßstab zu transformieren. Die mittlerweile jahr-

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tausende alten und immer noch bestehenden, im Grunde überlebten Muster, werden global projiziert und können ihre Vormachtstellung und ihren Einfluß einzig deswegen nach wie vor behaupten, weil sie von den Völkern weiterhin, wenn auch widerwillig, gestützt werden. Wir angeblich Aufge-klärten ignorieren unsere persönliche Verantwortung und sind zu bequem, um den Sumpf auszutrocknen, dem Apparat die Energie zu entziehen. Un-beirrt und gutgläubig gehen wir zur Wahlurne, zahlen wir Steuern, schicken wir die Kinder zur Schule, vertrauen wir unsere Gesundheit Krankenhäu-sern an und konsumieren wir die Massenmedien. Mit dieser primitiv-egoistischen Haltung haben machtbesessene Despoten leichtes Spiel. Genau genommen kommt es darauf an, daß wir uns als Volk überhaupt erstmalig von unten vernetzen, eigenständig organisieren, Verantwortung für uns selbst übernehmen und menschengemäße Strukturen zur Selbstverwaltung entwickeln. Das schließt globale Zusammenarbeit, wo nötig, nicht aus. Dasjenige aber, was sich als das Beständigste erweist, das sind Weltbilder, die in Form von Religionen und Philosophien so tief in den Seelen der Völ-ker verankert sind, daß ihre Veränderung geradezu als Weltuntergang be-trachtet wird. Genau das ist die Situation, der wir uns heute gegenüber se-hen. Auf dieser hochgradig immateriellen, nicht-sinnlichen Ebene ist Spenglers „Untergang des Abendlandes“ oder Nietzsches „Zarathustra“ mit dem Übermenschen angesiedelt. Angesichts der Tiefe, respektive Höhe, auf der diese und auch andere Autoren reflektierten, werden sie von den meis-ten Menschen, die es gewohnt sind auf der Methodenebene, allenfalls aber auf der Strukturebene zu denken, entweder gar nicht oder aber völlig miß-verstanden. Was diese Philosophen verhandeln, das erscheint vielen Zeitgenossen als weltfremd, abstrakt und theoretisch. Tatsächlich unternehmen sie das, was geboten ist: es geht heute darum, den Boden, auf dem wir uns, teils bewußt, größtenteils aber unbewußt bewegen und über den wir uns gewöhnlich keine Gedanken machen, bei laufendem Betrieb auszutauschen! – und das ausgerechnet in einer Situation, wo wir nichts dringender bräuchten als ein festes Fundament. Aber das haben fundamentale Veränderungen so an sich: wir anerkennen ihre Notwendigkeit erst dann, wenn sie nur noch mit äus-serster Anstrengung überhaupt gelingen können. In diesem epochalen Di-lemma liegt die Furcht vor der wirklichen Freiheit und damit auch die Furcht vor dem Glück. Wir können und werden es aber nur erreichen, wenn wir uns endlich selbst diesen, nur scheinbar stabilen, Boden unter den Füs-sen wegziehen und lernen, in einem neuen, ungewohnten Bewußtsein zu leben.

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Die äußerlichen Vorboten des Wandels sehen wir in den mutigen Sprüngen der Drachenflieger über Felskanten, den waghalsigen Kapriolen von Snow-boardern oder den atemberaubenden Aktionen von Freeclimbern. Was diese im Bereich körperlicher Grenzerfahrungen ausloten, steht auch und vor allem im Bereich des Geistigen auf der Tagesordnung. Das geistige Aben-teuer aber scheint den Allermeisten offenbar viel gefährlicher, als wenn sie im Sport oder im Rausch von Drogen ihr physisches Leben aufs Spiel set-zen. Im Bild gesprochen bewegen sich die aktionistischen Methodiker auf der Ebene des Modeschöpfers, oder mehr bodenständig ausgedrückt: auf der Ebene des Schneiders. Dieser braucht aber für seine Ideen Stoffe. Diese werden eine Ebene tiefer in den Webstuben hergestellt. Die dort tätigen Weber entsprechen den organisierenden Strukturalisten, die buchstäblich die Fäden ziehen. Damit ist aber zugleich das Stichwort gegeben für dieje-nigen, deren Arbeitsplatz noch eine Ebene tiefer angesiedelt ist: die Spinn-stuben liegen tiefer als die Webstuben. Hier bei den Spinnern werden die Fäden selbst gezwirnt, hier hinunter müssen wir heute steigen, wenn wir noch den Hauch einer Chance haben wollen, die Welt für uns und das künf-tige Leben auf diesem Planeten zu retten. Der Faden selbst muß neu ge-sponnen werden.

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Nicht daß ich viel weiß, aber das was viele nicht wissen. (Pico de Mirandola)

Hast Du auch einen Lieblingsplatz? Einen Ort, den außer dir niemand kennt, wo du hingehst wenn du mit dir oder einem geliebten Menschen allein sein willst? Diesen Platz würdest du natürlich niemals jemandem verraten. Bald schon würde er zum Geheimtipp und nach noch kürzerer Zeit zum Abfallplatz. Ganz sicher aber kein Ort mehr um sich wohl zu fühlen. An genau einen solchen Ort lade ich aber nun alle ein. Auch du bist einge-laden zu einem Spaziergang im Garten einer Königin. Ich möchte dir mei-nen Lieblingsplatz zeigen. Ob es tatsächlich unser neues Paradies ist – wer weiß. Jedenfalls kann es nicht von irgendjemandem in Beschlag genommen werden. Jeder kann sich dahin begeben und man muß keineswegs befürch-ten sich gegenseitig auf den Füssen zu stehen. Der Garten, in den ich dich einlade, ist für heutige Verhältnisse auf den ersten Blick vergleichsweise wenig attraktiv, weil die Effekte nicht ohne weiteres offensichtlich sind. Dafür sind sie umso nachhaltiger, wenn man sie einmal erfaßt hat. Um jedoch das, was wir in dem Garten zu sehen bekommen, gebührend würdigen zu können, werden wir zuerst noch ein Stück Weg gehen. Wir werden uns also nicht mit Überlichtgeschwindigkeit in den Garten versetzen lassen, sondern den dem heutigen Menschen immer noch angemessenen (gedanklichen) Fußweg einschlagen. Wenn wir nämlich unvermittelt in eine Attraktion geraten, macht das zwar im Moment viel Effekt, ist aber im Allgemeinen ohne bleibende Wirkung und wir finden uns schon bald auf der Suche nach einem stärkeren Effekt. Im Wiederholungsfall führt das bekanntlich zur Sucht mit allen unange-nehmen Folgen, die ein extremes, maßloses Auf und Ab mit sich bringt. Die Effekthascherei wird zum Selbstzweck und endet schließlich unweigerlich in der Selbstzerstörung ohne daß wir auch nur annähernd den Zipfel vom Glück erfaßt haben, geschweige denn das Glück des Glücks genossen hät-ten.

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Bunte Fenster

Sahst du schon am Dom die Scheiben, Wirr in graues Blei gefaßt, Wie sie überm Menschentreiben Trübe stehn im Sonnenglast? Doch sie glüh’n in bunten Farben, Trittst du ein zu stiller Schau – Sieh, es schmücken Strahlengarben Eines Meisters Wunderbau!

Karl Berner Wir, die wir die Nacht zum Tag gemacht haben, immer wieder den Verlo-ckungen der grellen Lichtreklamen nachgeben, sind wir nicht im gleichen Maß inwendig grau geworden? Äußerlich kann es uns dafür gar nicht bunt genug sein. Auf dem ersten Stück unseres Weges werden wir die äußeren Farben viel-leicht vermissen. Dem einen oder anderen mag der Weg zunächst, wie die Scheiben am Dom von außen, grau und trüb erscheinen. Das soll der Weg sein zu einem bunten Paradiesgarten? Nun - es ist wie auf dem Weg in den Bergen: die Anstrengungen werden durch einen wunderbaren Ausblick belohnt werden. Da es sich um fundamentale Fragen des menschlichen Daseins handelt (wie gesagt: der Faden selbst muß neu gesponnen werden), kommen wir nicht umhin, bei Adam und Eva anzufangen. Aber wir werden sehr rasch voran schreiten. Damit dies gelingt, sind die rückblickenden Bezüge thesenartig zusammengefaßt. Wir können und wollen hier nicht die ganze Geistesge-schichte der Menschheit aufrollen, sondern nur einige wenige der für uns relevanten Gesichtspunkte hervorheben. Bist du bereit? – dann kann es losgehen!

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Der Mensch ist ein symbolisches Wesen Alles was ist, ist nur, weil es sich in der Konkurrenz mit anderem zu be-haupten vermag. Die Beständigkeit eines Minerals ist garantiert durch seine kristalline Gestalt. Im Fall der Pflanzen und Tiere beruht die Fähigkeit zum Überleben auf verschiedensten spezialisierten Funktionen. Bei ersteren sind es vielleicht ausgeklügelte chemische Umsetzungsprozesse, raffinierte Blattstellungen oder -formen zur maximalen Lichtausbeute, betörende Lockstoffe für Insekten usw. Bei einem Tier ist es vielleicht die schiere Kraft, sind es besonders feine Sinnesorgane, hochspezialisierte Fangtechni-ken oder auch Täuschungsmanöver. Hier spielt bereits die Zeit in Form von Gedächtnisleistungen mit hinein. Der Mensch ist mit keiner dieser Fähigkeiten oder Funktionen besonders ausgestattet. Seine Stärke ist die über alle Maßen ausgeprägte Fähigkeit zum Erkennen. Zusätzlich zum Gedächtnis hat er Eingebungen und unmit-telbare Einsichten, die Fähigkeit zum ordnen und kombinieren und: er kann zukünftige Ereignisse gedanklich vorwegnehmen. Er weiß um seine Fähig-keiten zur Wahrnehmung, zur Erkenntnis und zur Gestaltung. Das ist sein WEG und wir nennen das bewußt-Sein. Der siamesische Zwilling zum Bewußtsein ist seine Fähigkeit zur zeichen-haften Kommunikation, d.h. zur Entwicklung von Symbolen zwecks Dar-stellung des sinnlich nicht Wahrnehmbaren. Diese anfänglich so unschein-bare Fähigkeit zum Ordnen durch Unterscheidung von Ereignissen und Objekten, und insbesondere die symbolische Repräsentation durch Zeichen, haben ihn zu dem gemacht, was er heute ist: die größte Macht und damit auch Gefahr für diesen Planeten. Wir können davon ausgehen, daß die Ordnungszahlen zu den allerersten Zeichen des Menschen überhaupt gehören. Die Tiefenpsychologie betrach-tet sie als vorbewußte, d.h. archetypische Strukturdispositionen. Shiv Cha-rang Singh sagt: Zahlen sind die primäre Intelligenz. In archaischen Kultu-ren genießt der Numerator, derjenige der mit Zahlen umgehen kann, von jeher höchstes Ansehen. Er ist der Magier, der das Göttliche verehrt. Den Heiden in aller Welt waren innere Ordnung in den Dingen, Rhythmus und Harmonie selbstverständlich.

Ordinalzahlen

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Das Bewußtsein entwickelt sich in Stufen Zum Umgang mit Zahlen gehörte, so können wir annehmen, recht bald auch die Fähigkeit, die Größe einer Gruppe oder Menge zu bestimmen. Das heißt man entdeckt in der Zahl ihre Abzählfunktion, man lernt zu zählen, mit der Zahl zu operieren. Bis zu diesem Punkt mochten die Zahlen mit dem jeweils zu ordnenden oder zu zählenden Objekt, d.h. der jeweiligen Gruppe bzw. Menge fest verbunden sein. Dann aber kam irgendwann die Einsicht, daß man von einer Gruppe auch abzählbare Anzahlen wegnehmen kann. Nicht nur das – man konnte je nach Größe diese Anzahl sogar mehrmals wegnehmen und: das gleiche funktionierte auch bei anderen Mengen. Es spielt demnach keine Rolle, ob ich beispielsweise von eine Gruppe Menschen mehrmals vier wegnehme oder aus einer Herde Tiere. Das ist eine gewaltige Abstraktionsleistung. Die Zahlen werden vom ge-zählten Objekt unabhängig und zudem verschieblich. Das, was wir heute Differenz nennen, ist selbst eine Zahl. Die heute so genannten Kardinal-zahlen sind geboren: ich kann eine Anzahl hinzufügen oder wegnehmen. Die Differenz als Vielfache der Einheit verändert sich nicht. Während eine solche Einsicht für jeden Einzelnen einen abrupten Schritt bedeutet, wenn nämlich der berühmte Groschen fällt, so zieht sich doch ein solcher Stufenwechsel für eine Gruppe von Menschen, oder gar die Menschheit als Ganzem, über lange Zeit hin. Es bedarf gewissermaßen einer gewissen Inkubationszeit, bis die Erkenntnis in voller Breite zum Durchbruch kommt. Sobald eine solche Einsicht aber einmal als gesicherte Erkenntnis in der Welt ist, läßt sie sich nicht rückgängig machen. Der Übergang ist unum-kehrbar, modern gesprochen handelt es sich dabei um einen Symmetrie-bruch. Symmetriebrechung bedeutet sowohl einen Zuwachs an Ordnung als auch an Komplexität. Das bedeutet einerseits mehr Gestaltungsmöglichkei-ten, erfordert gleichzeitig eine höhere Präzision in der Ausführung. Je mehr Elemente aufeinander bezogen sind, desto genauer muß das Zusammenspiel funktionieren. Die zusätzliche Gestaltungsfreiheit setzt damit ein vertieftes Verständnis der naturgegebenen Gesetze voraus.

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Jeder Bewußtseinsschicht entspricht eine symbolische Form Mit der Einsicht in das Wesen der Differenz war die Einheit von Zahl und Objekt aufgehoben. Die Unabhängigkeit der Zahl vom Objekt erforderte zugleich eine andere Abstraktion: das Gezählte mußte unabhängig von der Zahl bezeichnet werden. Das zahlenfreie Symbol entstand, das Zeichen das auf etwas Konkretes verweist, also z.B. den Menschen oder das Schaf. Daß das Symbol dabei selbst eine Entwicklung vom plastischen, dreidimensio-nalen zum bildhaften, zweidimensionalen Stadium durchläuft, um schließ-lich im völlig abstrahierten Zeichen zu münden, sei nur am Rande vermerkt. Mit der Entwicklung der Kardinalzahlen und den Symbolen ist zweifellos eine neue Stufe im Bewußtsein der Menschen bezeichnet. Beide, sowohl die Kardinalzahlen wie die Symbole, haben die Eigenschaft, vom tatsächlichen, konkreten Objekt unabhängig zu sein. Das bedeutet: ich kann etwas gegen-ständlich und gegenwärtig nicht Vorhandenes, also ein nur in den Gedanken Gegebenes, kommunizieren, dem anderen mitteilen. Die Art und Weise der Kommunikation, ihre Form, ändert sich mit jeder neuen Bewußtseinsstufe. Die bisherigen symbolischen Formen werden um eine neue Form bereichert. Damit ändert sich auch die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen und uns in ihr und zu ihr verhalten. Ein sich im-mer weiter differenzierendes Sprachvermögen ist das Spiegelbild dieser sich stufenweise erweiternden symbolischen Formen.

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An den Übergängen zwischen den Schichten kommt es zu kritischen Überlagerungen

Wenn sich ein neues Wissen ausbreitet, wird es zunächst wo möglich vom herkömmlichen Bewußtsein, das übermächtig ist, vereinnahmt. Das bedeu-tet, das Neue wird vor dem Hintergrund des bisherigen Wissens interpretiert und erfährt damit im Allgemeinen eine Deformation. Im Ergebnis wird das (falschverstandene) Neue damit bis zu einem gewissen Grad in Mißkredit gebracht. Andererseits erfährt das bisherige Bewußtsein umgekehrt Beein-trächtigungen, die es im Rückblick als eine defiziente Form erscheinen lassen. Übergänge sind damit Phasen der Ungewissheit. So ist die erlebnisgesättigte Magie im Übergang von der magischen zur mythischen Bewußtseinsstufe zum faulen Zauber und geistzersetzenden Aberglauben verkommen. Aus den vielschichtigen und tiefgründigen My-then wurden im Übergang zum mentalen Zeitalter verklärende Märchen und überspannte Heldensagen. Die tatsächlichen Gehalte der Riten, Mythen und Weisheiten gingen und gehen auf diese Weise gerade durch diejenigen Kräfte, die sie eigentlich bewahren wollten und wollen, weitgehend verlo-ren. Das geschieht dadurch, daß diese sich mit aller Macht an das Über-kommene klammern und das Neue nur durch ihre alte Brille sehen können. Ein solcher Übergang ist immer ein Übergang auf Biegen und Brechen. Das neuerworbene symbolische Vermögen wird dazu eingesetzt, um die vorlau-fenden Bewußtseinsstufen auf neue Art und Weise zu reproduzieren – und zwar mit dem größtmöglichen Energiedurchsatz und bis zur totalen Er-schöpfung. Alte Macht und neue Mittel ergeben damit eine hochbrisante Mischung, die jede Gesellschaft an den Rand ihrer Existenz bringt. Damit sich das Neue endgültig durchsetzt, bedarf es aller verfügbaren geis-tigen Ressourcen. Diese dürfen nun keineswegs zur Bekämpfung des Her-kömmlichen eingesetzt werden. Das wäre gleichbedeutend mit seiner Un-terstützung indem wir Energien zuführen. Vielmehr kann und soll sich das Neue durchsetzen kraft seines Vorrangs vor dem Überkommenen. Dieser Vorrang kommt allerdings nur zur Geltung mit der aktiven und konsequen-ten Durchdringung der neuen Formen in ihrem Wesen durch fortwährende kritische Beschäftigung und Einübung.

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Der Weg geht vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen

oder: den Verstand zur Vernunft bringen In eben einem solchen Übergang befinden wir uns seit dem Beginn der Neuzeit, also etwa seit Anfang des 15. Jahrhunderts. Aller Fortschritt, und als dessen Träger insbesondere die Technik, ist bis heute vorwiegend durch das metaphysische Denken bestimmt. Das innerste Wesen dessen, was mo-derne Technik möglich gemacht hat, ist nach wie vor unbewußt. Kern der Technik ist die Physik, der harte Kern der Physik aber ist die Ma-thematik – heute mehr denn je. Gerade in ihr aber kommt das neue symboli-sche Vermögen zum Ausdruck. Das ist gleichbedeutend mit dem Kommu-nikations- und Organisationsvermögen einer Gesellschaft und dieses be-stimmt letztlich deren Entwicklungshorizont. Mit der Verfügbarkeit der Mittel allein ist es also nicht getan. Es ist nicht die Mathematik, die unsere Technik und unsere Gesellschaften so kompliziert macht. Es ist unsere man-gelnde Einsicht in deren Wesen. Wir haben gelernt, Strukturen und ihre Veränderung zu beschreiben. Gleichzeitig bewegt sich unser Bewußtsein noch in den starren Formen eines auf Begriffe fixierten Verstandes. Die Erlangung eines Bewußtseins, das dem neuen Vermögen angemessenen ist, bedeutet, das begrifflich er-starrte Denken in Fluß bringen. Genau dafür hat Max Born, einer der Väter der Quantenphysik, mit großer Verspätung im Jahr 1954 den Nobelpreis erhalten. Wir sind auf dem Weg. Erst wenn der Verstand wieder die Rolle hat, die ihm zukommt, nämlich der Vernunft, die auf den Fluß des Lebens hört, zu dienen, werden wir der Einfachheit desselben wieder gewahr wer-den. Die Kohle oder das ebenso schwarze Rohöl sind die äußeren Signaturen einer unmenschlichen und naturwidrigen Technik. Wir sind derzeit Zeugen eines kritischen Punkts im Übergang, bei dem die schwarze, amorphe Kohle durch immensen Druck in den Zustand des klaren, durchsichtigen Diamants verwandelt wird – oder aber zu Staub pulverisiert. Eine neu entdeckte Mo-difikation des Kohlenstoffs, die Fullerane, umgangssprachlich auch Fuß-ballkohlenstoffe genannt, mögen ein Hinweis sein auf den im Gang befind-lichen Wechsel des Aggregatzustands unserer Bewußtseine. Vier große Werke der Geistesgeschichte fallen mir ein, die in überragender Weise diese Entwicklung vorhergesehen, begleitet und auch mitbestimmt

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haben. Ganz am Anfang die „Parzival“-Dichtung des Wolfram von Eschen-bach aus dem Jahr 1200. Dreihundert Jahre später, zu Anfang des 16. Jahr-hunderts, schuf Albrecht Dürer einen der wohl am meisten reproduzierten Kupferstiche: „Die Melancholie“. „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ von Johann Wolfgang von Goethe entstanden weitere 300 Jahre später und schließlich erschien 1943 der bereits zitierte Roman „Das Glasperlenspiel“ von Hermann Hesse. Es ist die präzise und zugleich spielerische Einfachheit der Welt, die unserer einseitig komplizierten Logik bisher nicht einzuleuchten vermag. Vielleicht sind die wissenschaftlichen Entwicklungen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geeignet, uns hierbei auf die Sprünge zu helfen.

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alogoi - Unaussprechliche Zahlen oder: von der Meßkunst

„Logisch“ und „rational“ haben im allgemeinen Sprachgebrauch die nahezu gleiche Bedeutung. Während sich ersteres mehr auf das begriffliche und folgerichtige Denken bezieht, hebt das zweite auf Berechenbarkeit ab. Diese verstandeszentrierte Erkenntnisweise bestimmt heute größtenteils unser Weltbild. Alles, was sich nicht in diese Weltanschauung einordnen läßt, gilt als irrational und kann aus dieser Sicht nicht wirklich ernst genommen wer-den. Grundlage für eine ungestörte Ausbildung dieser Denkart war die Verban-nung der unberechenbaren Energien oder Götter zunächst in den Bannkreis der Magier, dann in das Templum der Priester. Bezogen auf unser oben begonnenes Schema der Bewußtseinsstufen nennen wir diese Stufe, in An-lehnung an Jean Gebser, das mentale Bewußtsein. Für das Zahlverständnis ist der Schritt auf diese Stufe gleichbedeutend mit der Erkenntnis, daß, wenn Kardinalzahlen untereinander verglichen, d.h. zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, ein charakteristischer neuer Wert entsteht, der von den Ausgangsgrößen unabhängig ist. So ist etwa das Ver-hältnis von 15:5 das gleiche wie das Verhältnis von 6:2 oder von 9:3. Das wird unmittelbar anschaulich in den uns geläufigen abstrakten geometri-schen Figuren, wo gleiche Verhältnisse ähnliche, d.h. winkel-gleiche Figu-ren bedeuten. Die Erkenntnis von den Zahlverhältnissen, wir nennen sie Proportionen oder Verhältnisgleichungen, mochte sich zu Zeiten des Übergangs von Jägern und Sammlern zu Bauern und Viehzüchtern entwickelt haben, also während der neolithischen Revolution etwa im 4. Jahrtausend v.C. im Zwei-stromland, in den Kulturen der Sumerer und Babylonier. Die Babylonier verfügten bereits über ein leistungsfähiges mathematisches Instrumentarium. Sie benutzten einfache trigonometrische Methoden für astronomische Berechnungen und auch Figuren zur Erdvermessung, eben der Geo-metrie. Spätestens seit den nachfolgenden Kulturen in Ägypten ist der sogenannte „pythagoräische Lehrsatz“ bekannt und damit auch das Phänomen der inkommensurablen Strecken, von uns „irrationale Zahlen“ genannt. Sowohl der Durchmesser des Kreises, als auch die Diagonalen regelmäßiger Kreisteilungsfiguren, also etwa Dreieck oder Quadrat, lassen sich nicht als „glatte“ Verhältnisse zum Umfang bzw. zu den Seitenab-schnitten darstellen.

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Diese allgegenwärtigen unaussprechlichen Zahlen, für die ein ausgeprägtes Bewußtsein vorhanden war, wurden mit göttlichen Attributen belegt, ebenso wie das Phänomen der Zeitzyklen, das untrennbar mit dem Lauf der Sterne verbunden war. Nach Albert von Thimus spricht einiges dafür, daß das ägyptische Ankh-Zeichen die gleiche Bedeutung hatte, wie heute das Qua-dratwurzelzeichen. Von besonderer Bedeutung für die Ägypter war die Einheit, symbolisiert durch die Zahl 1, die ja als Ordinalzahl auch das erste und höchste bedeutet. Alle Maße wurden von ihnen als Stammbrüche bzw. Summen von Zahlen und Stammbrüchen angeschrieben (mit Ausnahme von 2/3). Zwangsläufig stößt man bei dem Versuch, das Inkommensurable für praktische Zwecke durch Brüche methodisch anzunähern, auf das Unendlichkleine. Bis auf den heutigen Tag ist das ungelöste Problem des Unendlichen eine der treibenden Kräfte in der Mathematik. Von dem Griechen Protagoras stammt der Satz: „Aller Dinge Maß ist der Mensch.“. Das ist der berühmte „homo-mensura“- Satz. Zu seiner Zeit, nach Pythagoras und vor Platon, war die Eins als Maß noch in Geltung und man gestand den Dingen noch das ihnen je eigene Maß zu. Man war sich darüber im Klaren, daß sich der Raum mit den verfügbaren Mitteln des Verstandes für praktische Zwecke zwar näherungsweise präzise, methodisch jedoch nicht vollkommen exakt ausmessen läßt. Protagoras sprach in diesem Satz also nicht über die Vollmacht des Menschen über die Dinge, indem jener diese seinem willkürlichen Maß unterwirft, sondern über die Grenzen des menschlichen Erkennens. Im Allgemeinen wird die Geburt der abendländischen Wissenschaften den Griechen zugeschrieben. Sie nimmt ihren Ausgangspunkt wesentlich von der Geometrie, d.h. der Raumwissenschaft, wie sie von den Babyloniern und Ägyptern vorbereitet war. Platon schreibt dann aber, es sei lächerlich zu glauben, daß Geometrie etwas mit Erdmessung zu tun habe. Vielmehr ist Meßkunst die Kenntnis des Immerseienden. Hier haben wir erneut einen einschneidenden Abstraktionsvorgang: so wie sich seinerzeit die Kardinal-zahl als Differenz vom gezählten Objekt gelöst hat, so löst sich jetzt das Maß als Verhältnis von der Figur. Waren für den in ägyptischer Tradition geschulten Pythagoras Zahlen und Verhältnisse durchweg noch dem Kos-mos immanente göttliche Urprinzipien, so waren diese für Platon jenseitige Ideen eines abstrakten, von den Dingen abgezogenen kosmischen Ord-nungsprinzips, mit denen formal mathematisch operiert werden kann.

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Für den an der praktischen Erfahrung orientierten Aristoteles, und in seinem Gefolge für die griechische Wissenschaft, waren nur die (natürlichen) Zah-len und deren Verhältnisse von Interesse. Sie waren der gewöhnlichen Be-rechnung zugänglich und entsprachen der von Aristoteles entwickelten eindeutigen Begriffslogik. Die inkommensurablen Verhältnisse aber, die Irrationalen, blieben, ebenso wie die Zeit, in den Himmel der Götter ver-bannt. Dieser Bereich, die Metaphysik, der letztlich für alle Energien maß-gebend war und ist, die Erkenntnis des Immerseienden, überließ man den platonischen Philosophen und der traditionellen Priesterschaft. Schließlich wurde der Himmel von den großen Buchreligionen übernommen. So kommt es nicht von ungefähr, daß in allen heiligen Büchern an verschiedenen Stel-len spezifische Zahlen und verklausulierte Rechenexempel auftauchen.

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Der Mensch ist aller Dinge Maß oder: Der Verlust des Maßes

An der Schwelle zur Neuzeit waren Wissenschaft und Kunst aufs engste verflochten, oft in einer Person. Die Renaissance brachte schöpferische Typen hervor. Die Mathematik war im Wesentlichen noch in die überliefer-ten Zahlvorstellungen eingebunden und die Geometrie an der äußeren Form der Dinge ausgerichtet. Der himmlische Schöpfergott war eine feste Größe, wenngleich die katholische Kirche in dem Maß ihre zentrale Stellung ver-lor, wie die Erde in den Köpfen der Menschen ihrer Mittelpunktsstellung im Weltall beraubt wurde. Dieser Umschwung im Denken der Menschen ver-dankt sich dem wohl einzigartigen Impuls dieser Zeit: der Individuation des Menschen. Der Verstandmensch setzt sich ins Zentrum der Person. Der Mensch der Renaissance verstand sich durchaus noch als Teil eines größeren Ganzen, das in Gott aufgehoben war. Aber er machte eben auch seinen Wert als Teil in diesem größeren Ganzen geltend. Das ist der Sinn des Namens „Parzival“, der der Dichtung des Wolfram von Eschenbach aus dem 13. Jahrhundert seinen Titel gab. In diese Zeit fallen neben dem Bau der hochaufstrebenden Kathedralen auch sehr viele Stadtgründungen, die eine Trennung von Stadt- und Landbevölkerung mit sich brachte, ebenso wie eine ausgeprägte Arbeitsteilung innerhalb der Gesellschaft. Mehr als bisher war der einzelne damit durch seinen spezifischen Beruf herausgeho-ben, dem er dann auch seinen Namen verdankt. Mit der Erfindung der Uhr um 1300 n.C. wird die kreisende, zyklische Zeit allmählich von der Bewegung des Himmels losgelöst und geht über in den linearen Takt des Uhrwerks. Die kontinuierliche Zeit, bis dahin Inbegriff des Irrationalen, des Himmlischen, Göttlichen, wird durch die Ankerhem-mung in Sekundenpartikel zerlegt und so dem teilenden Prinzip des Zählens unterworfen. Die Zeit des Aufbruchs bringt auch den Buchdruck mit be-weglichen Lettern, Fortschritte in der Navigation und mit dem protestanti-schen Geist Luthers den unmittelbaren Zugang zu Gott. Man hat nun nicht nur den Raum, sondern prinzipiell die Zeit verfügbar gemacht. Mit diesem Selbstbewußtsein geht der Renaissancemensch daran, das Problem der Inkommensurablen und damit auch das der Unendlichkeit zu beherrschen. Es gelingt ihm, indem er den Sinn des homo-mensura- Satzes in sein Gegenteil verkehrt. Der faustische Mensch glaubt allen Erns-tes, den Dingen sein eigenes Maß überstülpen zu können und gewinnt damit zunächst auch eine ungeheure Macht über die ihn umgebende Natur. Nicht, daß sich die Grenzen seines Erkenntnisvermögens grundsätzlich geändert

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hätten. Er reduzierte vielmehr die Natur auf ihre rein äußerlichen messbaren Größen, d.h. auf ihre quantitativen Aspekte, indem er sie dem Koordinaten-system und den analytischen Operationen unterwarf. Über dem Messen blieb jedoch das Wissen um Maß und Zahl auf der Strek-ke. Bedürfnisse wurden wach, die mehr und mehr in maßlose Begehrlich-keiten umschlugen und wir erkennen heute, daß die Mißachtung naturgege-bener Maßverhältnisse unweigerlich in die Selbstzerstörung führt. Unser Problem besteht darin, daß wir Maß und Zahl als solche überhaupt nicht mehr kennen. Maß ist, was selbst nicht gemessen werden kann. Es steht außerhalb des verstandesmäßigen Denkens, ebenso wie die Zahl. Damit ist der abendländische Mensch im Grunde hinter das ägyptische Bewußtsein zurückgefallen. Die großartige Errungenschaft der vorgängigen Bewußseinsstufe – das Wissen um Maß und Zahl – ging verloren, ein we-sentlicher Teil unseres Unterscheidungs- und damit Erkenntnisvermögens ist damit egalisiert. In Dürers Denkbild „Melancholia“ kommt das deutlich zum Ausdruck. Dürer, selbst noch ein Meister der Meßkunst, sowohl der alten wie auch der seinerzeit neuentdeckten Perspektive, platzierte den Zirkel als Symbol des Maßes und die Sanduhr als Symbol der kontinuierlichen Himmelszeit auf die Mittelachse des Bildes. Die Melancholie mag bedenken, ob es wohl gelingt, das verlorene Maß in neuer Form wieder zu gewinnen. Das Phänomen der Renaissance, der Wiedergeburt der Antike, war nicht von heute auf morgen da, sondern es hat sich entwickelt. Es wurde durch einige vorlaufende Initialschritte eingeleitet. Wir wollen uns diese im Fol-genden kurz anschauen, bevor wir uns dann der wirklich revolutionären Entdeckung der Dezimalzahlen zuwenden.

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Erste Impulse einer neuen Stufe des Bewußtseins Stellen wir uns vor, daß wir auf unserem Weg zum versprochenen Garten am Ufer des Meeres entlanggehen. Das Alte, Feste wird überspült vom Unbeständigen, Flüssigen. Einerseits dringt das Wasser in das Feste ein – aus anderer Sicht saugt das Feste das Flüssige auf, am Sandstrand unauffäl-liger als an den Klippen der felsigen Steilküste. So können wir auch die Wechselbeziehung der Überlagerung im Übergang zur neuen Bewußt-seinsstufe sehen. Eine erste Welle war die Arabisierung Spaniens, getragen durch die islami-sche Expansion. Hier kam altes griechisches, und damit heidnisches Wissen über den Umweg von Gondischapur in das südliche Abendland. In einem zweiten Impuls läutete die alles beherrschende katholische Kirche ihren eigenen Niedergang ein, indem sie auf dem Konzil von Kontantinopel im Jahr 869 dem Menschen die Geistigkeit absprach, dieser war demnach nur-mehr noch ein körperlich-seelisches Wesen. Das war das Signal für den Verstand, im Menschen die Herrschaft zu übernehmen. Während Aristoteles trotz allem logischen Denken in Bezug auf die Ma-thematik noch der sinnlichen Anschauung verbunden war, war der abend-ländische Mensch nun bereit, auch in der praktischen Mathematik den rein formalen Überlegungen zu folgen. Dem formal Richtigen wurde der Vor-rang vor dem offensichtlich Wahren eingeräumt. Damit war der Boden bereitet für eine erfolgreiche Einführung der arabi-schen Ziffern durch Leonardo von Pisa, genannt Fibonacci, zu Anfang des 13. Jahrhunderts. Insbesondere wurde damit auch die Null als Zahl einge-führt. Zunächst noch nach der 9 geschrieben, eroberte sie sich innerhalb von etwa 200 Jahren den Platz vor der 1. Die Null war seit den Babyloniern bekannt – aber eben nicht als Zahl wie die anderen Zahlen, sondern als Platzhalter zur Bezeichnung von Leerstel-len in der Darstellung größerer Zahlen. In diesem Sinn kannten auch die Griechen die Null, die sie in ihren Kalendertafeln als kleines Omikron ange-schrieben haben. Zu Zeiten der Renaissance war die Null endgültig als Zahl anerkannt. Die indischen Mathematiker, denen die sogenannten arabischen Ziffern zu ver-danken sind, hatten die Null, ebenso wie die Chinesen, etwa im 7. Jahrhun-dert n.C. als Rechengröße eingeführt. Ihnen war aufgrund ihres Glaubens weniger an den diesseitigen Dingen gelegen, die für sie nur Schein sind, und der Umgang mit Zahlen war ihnen ein rein intellektuelles Vergnügen. Daher

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verdanken wir ihnen in erster Linie die Algebra, das Rechnen mit Formeln ohne Bindung an irgendeine sinnliche Vorstellung. Sie hatten kein Problem damit, beispielsweise von vier sieben abzuziehen. Damit gelangten sie ei-nerseits zum Konzept des beidseitig ins Unendliche auslaufenden Zahlen-strahls; andererseits ergaben sich daraus auch die negativen Zahlen und die Null, die ihren Platz zwischen eins und minus eins hatte. Damit ist ein zweiter entscheidender Baustein für die neue Mathematik genannt: die negativen Zahlen. Man behauptet aufgrund der formalen Rich-tigkeit nicht nur die Existenz der Null, sondern darüberhinaus die Existenz negativer Zahlen in der Reihe der Zahlen. Wenn Zahlen Repräsentanten der wirklichen Dinge der Welt sind, so ist das ein völliger Widersinn und es hat daher auch mehrer Jahrhunderte gedauert, bis den negativen Zahlen in der Mathematik volles Bürgerrecht gewährt wurde. Für die handelstüchtigen Kaufleute in Indien wie im Kaiserreich der Staufer war der Sinn auf Anhieb verständlich (und so wurden die negativen Zahlen auch eingeführt): negative Zahlen sind Schulden. Damit wurde etwas, das eigentlich und ursprünglich dem sogenannten geistigen Bereich angehört, in den Bereich der Materie versetzt und damit das gesamte Weltgefüge auf den Kopf gestellt. Alles weitere ist die bekannte Geschichte des Kapitals, das mit dem calvinistisch geprägten Protestantismus auch eine „geistige“ Fun-dierung erhielt. Fibonacci hat aber nicht nur die arabischen Ziffern ins Abendland gebracht. Er war es auch, der die althergebrachte Proportionsgleichung, die immer vierteilig angeschrieben wurde, in eine dreiteilige Gleichung aufgelöst hat. Fibonacci schärfte den Verstand für etwas, was viele vor ihm wohl gesehen, aber nie ernsthaft als Operation in Betracht gezogen haben, was ihnen als Blasphemie erscheinen mußte: daß nämlich die Eins im Nenner auch weg-gelassen werden konnte! Die Eins versank buchstäblich im Fundament der Mathematik, die sich mehr und mehr zur rein formalen Rechnerei entwik-kelte. Der Schritt von der vierteiligen Proportion zur dreiteiligen Gleichung war die Vorbereitung des Übergangs vom konkreten rationalen Verhältnis zur stetigen Funktion. Die rechte Seite der Gleichung ist mithin nicht länger ein bestimmtes Verhältnis oder Maß, sondern repräsentiert als digital fixier-ter Wert die ganze Reihe denkbarer Entsprechungen (Analoga) des einen spezifischen Verhältnisses links vom Gleichheitszeichen. Als abstrakter Repräsentant ist die einzelne Zahl völlig unabhängig von irgendeiner tat-sächlich existierenden materiellen oder bildlich vorgestellten Entsprechung.

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Mit diesem Schritt tritt der Verlust des Maßbewußtseins in voller Klarheit zutage: Die Harmonie der Welt beruht auf der Unversehrtheit der einzelnen Teile, die ihrem Wesen nach formbestimmt sind. Die Form resultiert aus dem Verhältnis einer Sache bzw. eines einzelnen Wesens als Teil zum grös-seren Ganzen, zur Einheit, der es zugehörig ist und die Proportion doku-mentiert diesen Formaspekt der Dinge, ihre Skalennatur. In einem als ganz-zahligen Bruch dargestellten Verhältnis kommt immer auch, und jeweils beispielhaft, die universelle Harmonie alles Gewordenen zum Ausdruck. Dieser Zusammenhang, der Sinn für das Ganze, Unversehrte, der Sinn für Ordnung, die In-form-ation geht mit der Reduktion auf die dreiteilige Glei-chung verloren. Nachdem bereits das Konzil 869 dem abendländischen Christenmenschen die universale geistige Heimat offiziell abgesprochen hat, hat sich der selbstbewußte Mensch mit der Profanierung der Eins, die damit zu einer gleich-gültigen Zahl geworden ist, auch persönlich von sei-nem Maß, seinem Rhythmusgeber, seinem individuellen Lebensimpuls, seinem Generator abgekoppelt. Das ist das faustische Thema, wo der ins Unendliche strebende Mensch dem Mephisto seine Seele verkauft. Der Mensch wird zwar kreativ, vermag aber nichts Schöpferisches ohne das entsprechende Maßbewußtsein. Er bleibt in maßlosen Konstruktionen be-fangen. Übrigens wird auch dieser Aspekt der Eins als Referenz, als Nicht-Zahl, in Dürers „Melancholie“ dargestellt, und zwar bereits im richtigen Titel „Me-lencolia I“. Peter-Klaus Schuster hat gezeigt, wie die „I“ im Titel des Blat-tes vollumfänglich der griechischen Lesart der Eins entspricht, nämlich als Symbol für das Maß aller Zahlen und damit das mathematische Prinzip im ursprünglichen Sinn schlechthin.

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Vom Geschöpf zum Schöpfer - Einschlag der Vernunft -

Während Platon noch ein fundiertes Bewußtsein vom Maß hatte, das in mehr oder weniger abgeschatteter Form bis zur Renaissance hin überdauer-te, legte er mit seiner Ideenlehre, d.h. der Trennung von Idee und Exemplar, indirekt auch den Grund für eine Denkweise, die schließlich im sogenann-ten Nominalismus gipfelte. Bereits in der Schule von Chartres, also ab etwa 1000 n.C., begannen Bemühungen, Gott vernunftmäßig zu begründen. War die Gewißheit eines jeden Seienden bisher durch seine göttliche Substanz, seine Verbindung mit der Idee verbürgt, so mochte man das nicht länger als gegeben hinnehmen. Die Dinge wurden nicht mehr als beseelt angesehen und damit war der Rückbezug zum Symbol abgeschnitten. Was bleibt, ist die nominalistische Gewißheit des eigenen Denkens, das von Rene Des-cartes in dem Satz „cogito ergo sum“ formuliert wurde. Demnach sind alle unsere Begriffe für die Dinge der Welt, ihre Namen, unsere eigenen Geistprodukte und das sogenannte Wesen, als vorlaufende Idee und eigentliche Realität, ein Hirngespinst. Das soll auch für die Zahlen gelten. Der Begriff ist damit nicht länger etwas den Dingen nachfolgendes, vielmehr wird er von den Dingen unabhängig und vermag diesen sogar vorauszugehen. Der prometheische Mensch, der Vorausdenkende, wird zum Vorgreifenden. Das aber bedeutet: der bisher lediglich planende Mensch wird schöpferisch, wird ein Poet, ein Hervorbringender. In der Konsequenz führt das zum Primat der Sprache bzw. dem Sprachzei-chen vor dem Zahlzeichen. Der Vorrang der Sprache vor der Zahl wurde bereits von Platon angeprangert und wird dann im spätmittelalterlichen Bildungskanon der freien Künste festgeschrieben. Im weiteren Verlauf führt der Nominalismus zur Trennung von Syntax und Semantik: Das Zeichen bzw. das Wort, der Begriff, wird gegenüber seiner Bedeutung verschieblich, operabel. Das mathematische Gegenstück dazu ist die Buchstabenrechnung, die im 16. Jahrhundert von dem Franzosen Vieta eingeführt wurde. Hierin ist die zahlengebundene Form bis zum allerletzten Rest zur reinen Formel aufgelöst. In Umkehrung des aristotelischen Grundgedankens wird auf einer einmal freigelegten Struktur eine völlig neue dingliche, sinnlich faßbare Konstruk-tion aufgebaut, ein Artefakt wird gezielt kon-struiert und materiell oder virtuell hervorgebracht. Gott hat zwar die Welt als Ganzes geschaffen, aber innerhalb dieses Systems ist alles von allem gesetzmäßig abhängig. Die „Methode“ von Rene Descartes ist dann nicht mehr und nicht weniger als

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die Wissenschaft, deren Aufgabe es ist, die Gesamtheit all der Einzelzu-sammenhänge aufzudecken und mathematisch zu explizieren. Die ursprüng-lich individuell-göttlichen Verbindungen der Dinge werden durch einen einzigen großartigen systematischen Zusammenhang ersetzt, die Weltma-schine, dargestellt durch eine Unzahl von Funktionen. Wenn wir diese durchschauen, können wir auch unsere eigenen Werke hinzufügen. „Teil und Ganzes“ hat unter diesen Umständen im herkömmlichen Sinn keine Bedeutung mehr – es gibt nur noch Teile und Konstrukte, die wiederum Teil eines größeren Konstrukts sind. Der Mensch wird zum Schöpfer und Namensgeber – ohne jedoch vom Maß eine Ahnung zu haben. Die platonische Idee wird auf den konstruktiven Begriff reduziert. Das gilt auch für die Zahlen und ganz besonders für die Eins. Wenn die Dinge ihrer Substanz oder ihres Wesens entledigt sind, dann werden auch ihre Repräsentanten bedeutungslos und degenerieren zu bloßen Rechengrößen. Im Fall der Eins haben wir bereits gesehen, wie sie von der maß-gebenden Einheit zur gleich-gültigen frei verfügbaren Größe absinkt. Die neuen Elemente der Mathematik, wie die Null, das Minuszeichen oder das Wurzelzeichen, werden nicht in ihrer wahren Bedeutung erfaßt, sondern als bloße Operatoren bzw. Zahlen der rein formalen Verstandeslogik unter-geordnet. Innerhalb des Horizonts des mentalen Bewußtseins ist auch nichts anderes zu erwarten. Die Mathesis wird zum Rechenknecht degradiert. Die nominalistische Auffassung vom „Begriff“ wird zum Ausgangspunkt für völlig neue, bisher nicht da gewesene Dinge. Im Verbund mit der linear gewordenen Zeit, die, wie der Raum, ebenfalls vom Menschen in den Griff genommen worden ist, werden Neuzeit und Fortschritt zu Synonymen. Darin wird Freiheit als Selbstgesetzlichkeit mißverstanden und Form ledig-lich als zu überwindende Begrenzung wahrgenommen. Schillers Mahnung an die Künstler ist daher nicht von ungefähr: "Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben." Wenn Friedrich Nietzsche bang fragt: „Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen?“, so können wir antworten: Der Nomina-lismus ist es, der den Horizont aufreißt, aus dem ein neues symbolisches Vermögen und damit letztendlich auch ein neues Bewußtsein hervorgeht. Es liegt an uns, den neuen Horizont zu bestimmen (sofern der Begriff Horizont überhaupt noch Sinn macht!).

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Dezimalbruch und Koordinatensystem - zwei geniale Überlagerungen -

I Rationalisierung des Irrationalen Mit der Dezimalbruchdarstellung scheint der alte Traum von der Meiste-rung des Irrationalen, die Vergleichung des Unvergleichlichen endlich er-füllt.

13.072 13072 .13072 Ich unterstelle jetzt einfach, daß Du den Unterschied dieser Zeichenfolgen auf Anhieb benennen kannst. Wenn Du jemandem erklären müßtest, wie du darauf gekommen bist, wirst du wahrscheinlich anfangen, etwas von Einern, Zehnern und Hundertern usw. zu erzählen, weil sich in einem Stellenwert-system der Wert der einzelnen Ziffer nach ihrer Stelle in der Folge richtet. Das reine Darstellungsprinzip war übrigens schon den Mayas, Chinesen und Babyloniern vor Christus bekannt. Daher waren die Babylonier auch ge-zwungen, einen Platzhalter zu erfinden. Es war die Null. So weit so gut. Was würdest du erzählen, wenn da stünde

13.0728 130728 .130728 Nun, langer Rede kurzer Sinn: ich möchte darauf aufmerksam machen, daß hinter den Dezimalbrüchen (zur Basis 10) mehr steckt, als wir gewöhnlich meinen. Vor allem aber haben wir sie so verinnerlicht, daß nicht wenige (auch akademisch Gebildete) glauben, daß dieses System gewissermaßen naturgegeben sei. So steht etwa im Mathematikband eines Abiturienten-lexikons von 1968: „Das Rechnen mit Zehnerlogarithmen ist besonders vorteilhaft, weil die Zehnerlogarithmen der Zehnerpotenzen mit ganzen Hochzahlen ganzzahlig sind.“ Wenn wir an jeder Stelle, wo hier das Wort „zehn“ steht, irgendein anderes Zahlwort einsetzen ist der Satz ebenso rich-tig. Zumindest aus zahlentheoretischer Sicht gibt es nichts, was die Zahl „zehn“ vor den anderen Zahlen in Bezug auf die Darstellung auszeichnet. Überhaupt – wer sagt uns denn, daß es sich bei diesen Zifferngruppen um drei Zahlen handelt? Zur Zahl wird jeder dieser Ausdrücke schließlich erst dann, wenn ihm eine logarithmische Basis zugeordnet wird. Es wird also einiges vorausgesetzt, wenn an der Preistafel „Benzin 152.9“ steht und ich etwas damit anfangen soll.

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Das Rechnen mit Dezimalbrüchen, wie wir sie kennen, setzt alle bisher als Impuls genannten Elemente voraus: die Null, die negativen Zahlen, die dreigliedrige Gleichung; dazu kommen die Rechenregeln für Potenzen. Das geniale gerade dieses Zahlensystems beruht wesentlich darauf, daß wir (im Allgemeinen) zehn Finger haben und das System damit einem intuitiven Zahlensystem, in dem Einheiten und übergeordnete Gruppen von Einheiten zusammengezählt werden (etwa bei den römischen Zahlen) zum Verwech-seln ähnlich ist. D.h. der ganze notwendige mathematische Hintergrund wird elegant überspielt und somit ein Zusammenhang mit der wirklichen Welt nahegelegt. Tatsächlich jedoch erfüllt auch die Dezimalbruchdarstellung in hohem Mas-se das, was der nominalistische Begriff mit sich bringt: puren Formalismus, völlige Abstraktion von der wirklichen Welt und damit vollkommene Unan-schaulichkeit. Das Wesen der gemeinten Zahl, nämlich ihre Teilbarkeits-struktur, die das komplexe Verhältnis eines gegebenen Sachverhalts veran-schaulicht und damit einen Zusammenhang mit der realen Welt wiedergibt, wird durch ein Stellenwertsystem geradezu unkenntlich gemacht. Mit dem Dezimalsystem haben wir ein äußerst mächtiges Instrument in der Hand, ohne daß wir uns über tatsächliche Zahlen Gedanken machen müs-sen. Die verselbständigten Zeichen erlauben Konstruktionen nach Formeln ohne eigentliche Form und so manipulieren wir das uns Unzugängliche im großen Stil, ohne wirklich zu wissen, was wir tun. „... denn sie wissen nicht was sie tun!“ Mit einem Dezimalbruch läßt sich jede Zahl auf beliebig viele Stellen nach dem Komma genau darstellen. Das Problem des Unendlichen scheint damit endgültig erledigt zu sein. Bezeichnenderweise wurde diese Darstellung dann auch in trigonometrischen und logarithmischen Tafelwerken erstmals konsequent genutzt, waren es doch ursprünglich die trigonometrischen Rechnungen der Astronomen in Babylon (und damit Aufgaben der Zeit-rechnung), die das Problem heraufbeschworen haben. Zum Instrument der Raumberechnung wurden trigonometrische Erkenntnisse erst bei den Grie-chen, nachdem Euklid den göttlichen rechten Winkel gewissermaßen vom Himmel geholt hatte. So ist es auch zu erklären, daß die Winkel der Geo-metrie bis heute in Minuten und Sekunden unterteilt werden. Tatsächlich ist „beliebig viele Stellen“ eine rein theoretische Aussage. So-bald wir die Folge an irgendeiner Stelle abbrechen, ist es vorbei mit der exakten Unendlichkeit. Der Widerspruch von abstraktem Erkenntnisvermö-

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gen und unmittelbarer Anschauung läßt sich auch mit den Dezimalbrüchen nicht aus der Welt schaffen. Exaktheit ist eine Fiktion und es bleibt in der praktischen Rechnung bei der präzisen Näherung und rationalen Größen. Der faustische Mensch möchte sich mit allen Mitteln der Sachverhalte in den Strukturen des Lebenden wie des Toten bemächtigen und vergißt im Rausch des Formalismus die faktische Unschärfe. Das bei aller Perfektion immer wieder und überall auftretende Chaos zeugt davon, daß das ver-meintlich gebändigte Irrationale letztlich das Konstruktive der mensch-lichen Kreationen überwuchert. Letztlich sind all die Unbestimmtheiten und Unsicherheiten unserem numerischen Analphabetentum geschuldet. Wenn auch praktisch Jeder und Jede mit allen möglichen Zahlen mehr oder weni-ger erfolgreich jonglieren kann, haben die allermeisten letztlich doch keinen Schimmer mehr davon, was Zahlen eigentlich sind bzw. bedeuten. Die Unwissenheit wird mit den Dezimalzahlen überaus erfolgreich ka-schiert. Wir können alles berechnen, bleiben aber im rein Quantitativen. So ist es nicht verwunderlich, daß die Mathematik gemeinhin als die Wissen-schaft von den Größen betrachtet wird. II Fasconti - fascinosum continuum Eine geometrische und damit anschauliche Interpretation der Meisterung des Irrationalen liefert Rene Descartes mit der Einführung des (später rechtwinkligen) Koordinatensystems. Dabei ist die Darstellung von Zu-sammenhängen in einem rechteckigen Schema nicht neu. Neu war zunächst die Verstetigung des Zahlenstrahls. Die Anordnung der Zahlen auf einer Geraden war schon um 1560 geleistet worden. Descartes aber erkühnte sich etwa siebzig Jahre später, diese Linie, die bis dahin eigentlich nur eine lückenlose Anordnung diskreter Punkt ist, mithilfe der irrationalen Dezimalzahlen zum kontinuierlichen Zahlenstrahl zu erklären. Er unterlegt dem Strahl der diskreten Zahlen und Verhältnisse mit den Dezimalen ein stetiges Kontinuum. Damit ist der Unterschied zwi-schen Maß und Größe auch in der Anschauung egalisiert und zugleich ein wesentliches Erkenntnismittel abgeblendet. Auf dem kontinuierlichen Strahl der reellen Zahlen wird jeder physikali-schen Größe eine reelle Zahl zugeordnet. Indem die Achse als reine Zahl-größe, d.h. als Vielfache einer willkürlichen Längeneinheit erfaßt wird, ist die mathematische Behandlung oder Operation von jeglicher Anschauung getrennt.

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Das gilt jetzt auch für die Zeit, denn seitdem die Zeit mithilfe der Uhr in völlig gleichmäßigen Stunden-, Minuten- und Sekundeabschnitten erfaßt und damit gemessen werden kann, hat sie auf dem bildhaften Zahlenstrahl als gerichtete Zeit ebenso ihren Platz, wie die räumliche Ausdehnung. Zeit ist damit nicht nur anschaulich sondern auch operationalisierbar geworden. Der zweite Schritt war dann folgerichtig, über die Linie hinaus zunächst die Ebene und dann den gesamten euklidischen Raum dem Kontinuum der Zahlen zu entwerfen. Darin wird jeder Raumpunkt durch eine reelle Zahl repräsentiert. Damit ist jeder beliebige Punkt, jede Figur, jede Kurve, jeder Körper im Raum unabhängig von jeglicher Anschauung der Berechnung zugänglich. Der absolute Raum und die absolute Zeit werden als homogene Indifferenz betrachtet. Das euklidische Ideal vom Raumkontinuum wird um das Konti-nuum einer absolut gedachten Zeit erweitert. Grundlage ist die Fiktion der exakten Erfaßbarkeit des Unendlichen, in diesem Fall eines unendlich Klei-nen, das als Punkt gedacht wird, mit dem als Größe mathematisch operiert werden kann. Das gedankliche Korsett eines absoluten Raums, in dem wir uns seit Euklid bewegen, wird mit Descartes auf die Ebene der Zahlen ausgeweitet. Modell bzw. Ideal und Wirklichkeit wurden mit Euklid erfolgreich in eins gesetzt, die Verwechslung beider ist perfekt und wird jetzt mit Descartes auf der Ebene der Zahlen fortgeführt. Die Geometrie wird den Regeln der Arithme-tik und der Algebra zugänglich und kann damit vollständig in Formeln aufgelöst werden. Mit Descartes’ Idee wird einerseits dem anschaulichen bzw. gefühlten Kon-tinuum das Teilungsprinzip eingewoben und umgekehrt beinhaltet das Prin-zip der Teilung auf diese Weise das Kontinuum. Sämtliche physikalische Größen, einschließlich Raum und Zeit, können damit dimensioniert, d.h. in mathematische Ausdrücke umgewandelt werden, und umgekehrt können mathematische Werte als anschauliche Größen interpretiert werden. Sinn und Verstand bleiben damit weiterhin auf eine fruchtbare (oder furchtbare?) Weise verschmolzen. Die Überlagerung des Neuen durch das Alte wird hier perfekt vorgeführt. In der Wahl der Basis des Zahlsystems ist man noch dem dinglich-begrifflichen Bewußtsein verpflichtet, nämlich den zehn Fingern. In der Wahl der Mittel werden aber alle verfügbaren Möglichkeiten des sich neu anbahnenden Bewußtseins genutzt. Ergebnis: scheinbar völlige schöpferi-

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sche Freiheit ohne Rücksicht auf die Form. Diese wird lediglich als Begren-zung aufgefaßt. Mit dem mathematischen Raum des Koordinatensystems wird andererseits das Gefängnis der Fiktion von einem absoluten Raum aufrechterhalten und damit der Übergang bzw. Durchgang in den immanen-ten Bereich der Information (Gegenraum, Amension) verhindert. So wird das Althergebrachte um den zeitlichen Aspekt erweitert und mit neuen Mit-teln frisch verpackt. Zwar hat schon Leibniz das Koordinatensystem, mit dem willkürlich ge-wählten Ursprung, als wesensfremden Gesichtspunkt der analytischen Ge-ometrie kritisiert, hat Desargues, ein Freund Descartes’, diesem seine Ideen zur projektiven Geometrie nahegebracht – allein: gefruchtet hat das alles nicht. Die analytische Geometrie mit allen ihren Erweiterungen und Verfei-nerungen bestimmt bis heute maßgeblich unsere Vorstellung von Raum und Zeit. Dedekind konstruierte (und rechtfertigte damit) die irrationalen Zahlen mit Hilfe der Null – soweit ich das erkennen kann ein klassischer Zir-kelschluß. Das Wesen der Zahlen und der Verhältnisse wird bis heute durch das faktische Monopol des Dezimalbruchs in der Zahldarstellung verschlei-ert, macht es geradezu unsichtbar. Die Darstellung von Verhältnissen in Form von Dezimalzahlen hat den Sinn für Ordnung verkümmern lassen. Die Zahlen sind zu nichtssagenden Zif-fernfolgen degeneriert. Das Zeitalter des Rationalismus, des Verstandes, ist vollständig auf Irrationalen aufgebaut, die wir beliebig verwenden. Wie gesehen, handelt es sich zwar praktisch doch um Rationale, allerdings ist die Wissenschaft, und damit wir alle, in dem (irrationalen) Glauben befan-gen, es handele sich tatsächlich um das Unendliche. Diese Selbsttäuschung ist zwar mit der Entwicklung der Physik von der Elektrodynamik über die Thermodynamik zur Quantenphysik schwer erschüttert worden. Tatsächlich überwunden ist sie bis heute nicht. Jedoch: die Reduktion des ursprünglich Göttlichen auf das sinnlich Faßbare und unmittelbar Meßbare ohne Rück-sicht auf das wahre Wesen der Zahl selbst erweist sich zunehmend als selbstzerstörerisch.

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Natur wird mathematisiert - Von der Proportion zur Funktion -

Ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht die Überlagerung mit dem Begriff der Funktion. Die Funktion ist das neue Ideal des wissenschaftlichen Begriffs und steht im Gegensatz zur formalen Logik der aristotelischen Begriffs-schemata. Die Formel als mathematischer Begriff steht dem ontologischen Begriff, in Gestalt des Wortes, gegenüber. Die Funktion ist die zeitgemäße Adaption eines Gedankens, den der deut-sche Kardinal Nikolaus von Kues rund zweihundert Jahre zuvor formuliert hat. In seinem Buch über den „Zusammenfall der Gegensätze“ geht er da-von aus, daß sich das Eine und das Viele, oder das Unendlich und das End-liche, wechselweise bedingen. Jedes Einzelne ist als Teil des großen Ganzen immer schon auf ein anderes angelegt. Die Welt ist der Funktionszusam-menhang, der sowohl zwischen den Teilen und dem Ganzen, als auch die Teile untereinander nach bestimmten Regeln vermittelt. In diesem Zusam-menhang gibt es nach Cusanus keine statischen Dinge mehr sondern nur noch Zustände, Momentaufnahmen von Knotenpunkten in einem fortwäh-rend bewegten und sich verändernden Beziehungsgeflecht. Dieser weitreichende Gedanke wird zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Horizont des Verstandesbewußtseins unter Aufbietung aller verfügbaren neuen Errungenschaften umgesetzt. Dazu gehören neben der auf Dauer reduzierten Zeit, den Dezimalzahlen, und dem Koordinatensystem mit all seinen Voraussetzungen, auch das Rechnen mit Buchstaben. Eine Funktion beschreibt in Gestalt einer mathematischen Formel einen gesetzmäßigen Relationszusammenhang, in dem an Stelle bestimmter Einzelmerkmale Variablen als Platzhalter für variierende Größen erscheinen. Indem die Variablen eine stetige Reihe von Größen durchlaufen, sind unter dem All-gemeinbegriff der Formel zugleich alle denkbaren und somit auch spezielle Fälle erfaßt. Unter einem Relationszusammenhang verstehen wir die Ver-änderung einer Größe im Verhältnis zu einer unabhängigen Umgebungs-größe. Während in der formalen Logik die dinglichen Eigenschaften mit den Mo-menten der Beziehung unterschiedslos verquickt sind, sind es gerade die gesetzmäßig sich verändernden Beziehungen, für die mit der Funktion eine erzeugende Regel herauspräpariert wird. Also nicht ein allgemeines Bild der Vorstellung, eine Idee, sondern ein Reihengesetz, das beschreibt wie ein

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Zustand aus dem anderen hervorgeht, ist das charakteristische Moment, das dem Funktionsbegriff sein Gepräge gibt. Veränderung wurde seinerzeit in eins gedacht mit „Bewegung im Raum“. Das aber war gleichbedeutend mit einem Zeitverlauf, einer Zeitdauer. Die Vereinnahmung der erst kürzlich gemeisterten Zeit durch das mentale Be-wußtsein erreichte mit der klassischen Experimentalphysik ihren vorläufi-gen Höhepunkt. Mit der veränderlichen Zahl auf dem Zahlenstrahl haben die ersten neuzeitlichen Physiker, kongeniale Forscher wie Galilei, Bacon oder Kepler, das entscheidende Instrument zur Analyse physikalischer Vor-gänge in die Hand bekommen. Mathematisierung der Natur war gleichbedeutend mit messen. D.h. physika-lische Größen werden in Zahlen übersetzt, mit denen dann mathematisch operiert werden kann. Gemessen wird dabei nicht das Objekt selbst, sondern sein Verhältnis zur Umgebung. Damit aber Meßresultate verglichen werden können, muß ein homogener Bedingungszusammenhang gewährleistet sein. Das führt bei komplexen Untersuchungen zwangsläufig zu willkürlichen, abstrakten Eichmaßen bzw. Vergleichseinheiten. Die bekannten Experimen-te der klassischen Mechanik zeigen, wie die Bewegung eines in sich als unveränderlich gedachten Objekts im Raum (z.B. eine Kugel) relativ zu seiner fixierten Umgebung gemessen wird (z.B. schiefe Kugelbahn). Das Koordinatensystem ist nun das perfekte mathematische Gegenstück zur Laborumgebung der Forscher. Eine Bewegung bzw. Veränderung im realen Raum ist als idealer Vorgang sowohl im System der fixierten Koordinaten mit Hilfe eines Funktionsgraphen, als auch mit einer Funktionsformel ma-thematisch beschreibbar. Indem sich der Zahlbegriff mit dem Funktionsbe-griff durchdringt, wird jede mögliche Form der gesetzmäßigen Abhängig-keit von Größen darstellbar. Insbesondere können durch die Erweiterung der Funktionsidee zur Analysis (oder zum Calculus, wie diese seinerzeit genannt wurde) einzelne Momente fest-gestellt werden. Ein solcher diskreter Punkt innerhalb der kontinuierlich gedachten Bewe-gung wird Grenzwert genannt. Tatsächlich ist ein mathematischer Punkt unvorstellbar. „Punkt“ meint immer eine, wenn auch klitzekleine, sinnliche Ausdehnung. Wieder sind wir beim Problem der Irrationalen. Mit der Fixie-rung eines Grenzwerts halten wir gedanklich immer noch krampfhaft am dinglichen Objekt fest. Damit heben wir die Errungenschaft des Funktions-gedankens auf. Sein Objekt ist die Regel, die eine Relation bestimmt. Durch unser Denken in starren, statischen Begriffen beschränken wir uns selbst.

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Indem wir den Funktionswert als Größe fixieren, schlägt Mathematik in Magie um, wird zum maß-losen Formalismus. Hier hat auch das Spengler-sche Wort von der Funktion als faustischer Zahl seine Berechtigung. Der seßhafte Mensch ist auf Besitz programmiert. Übernimmt der Verstand mit der formalen Logik die Herrschaft, wird daraus Kontrollsucht und letzt-lich ein unbedingter Machtanspruch. Der Verstand denkt nicht daran, sich auf die Dinge einzulassen wie sie sind. Er verfügt über sie und maßt sich an, sie in sein Maß zu zwingen. In diesen unterschiedlichen Haltungen der Natur gegenüber liegt auch der Kern der bekannten Kontroverse um das Farberkennen zwischen Goethe und Newton. Der Funktionsgedanke des Cusanus wird bei Descartes durch ein bewun-dernswert ausgeklügeltes mathematisches Instrumentarium realisiert. Dieses ist jedoch durch einen rein dinglich orientierten Verstand geprägt. Neben dieser massiven Überlagerung ist eine zweite Überlagerung festzu-stellen: die Überlagerung durch die Sprache. Es fehlen uns einfach die Wor-te, das angemessene Ausdrucksvermögen. Unsere Sprachen zentrieren sich um Haupt- oder Dingwörter, sie sind statisch ausgerichtet. Wir verfügen nicht über entsprechende Sprachkonstrukte, um den allgegenwärtigen Be-wegungsvorgängen den ihrer Dynamik angemessenen Ausdruck zu verlei-hen. Max Bense drückt es so aus: „Wenn die Sprache unzulänglich wird, so offenbart sich, daß die Dinge, die sie ausdrücken soll, auf einer neuen ande-ren ontologischen Stufe liegen als diejenigen Dinge, an denen sich die Spra-che selbst gebildet hat.“ Hier nun ist ein neues symbolisches Vermögen vonnöten.

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Die Naturwissenschaften werden mathematisch - Vom Begriff zur Formel -

„Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt. Wer geboren wer-den will, muß eine Welt zerstören. Der Vogel fliegt zu Gott. Der Gott heißt Abraxas.“ Mit diesen Worten beginnt im Entwicklungsroman „Demian“ von Hermann Hesse der Weg der Hauptfigur zu sich selbst. Auf unserem Weg zum Garten ist es jetzt auch nur noch ein kleines Stück. Wir beobach-ten zunächst, wie der Schmetterling aus seiner Puppe schlüpft. Das entscheidende Moment der Überlagerung liegt in der Verdinglichung, der scheinbaren Fixierung des Irrationalen als einer handhabbaren Größe. Mit dieser gedanklichen Materialisierung wird der Kern des Funktionsge-dankens aber praktisch gelähmt. Wohl hat Descartes in seinem Konzept der Dimensionslehre äußerst fein-sinnige Überlegungen angestellt, wenn es darum geht, in einem System die Dinge und deren Schnittstellen oder Übergänge, und somit deren Grenzen, korrekt zu beschreiben. Schlußendlich ist es ihm aber angesichts des inqui-sitorischen Urteils gegen Galilei noch nicht gelungen, das an den sinnlich-konkreten Dingen orientierte Denken dahingehend zu überwinden, daß er die Beziehung eines Objekts zu dessen Umgebung vollständig ohne Raum denken konnte. So bewegt sich Descartes in der dinglich-euklidischen Welt, die er vollständig als funktionales System abzubilden vermag. Die ausschlaggebende Wende zur Erfassung des reinen Relationen-zusammenhangs kam durch einen Generationswechsel. Als Rene Descartes im Jahr 1650 das Zeitliche segnete, war Gottfried Wilhelm Leibniz gerade mal vier Jahre alt. Blaise Pascal, der eine wichtige Brücke zwischen beiden darstellt, wurde 1623 geboren und starb nicht ganz vierzigjährig, als Leibniz im Alter von sechzehn Jahren gerade sein erstes Jahr als Jurastudent absol-viert hatte. Für Pascal stellt jede Dimension (er nennt diese „Ordnung“) einer Sache einen eigenen Gesichtspunkt auf eben diese Sache dar. Verschiedene Di-mensionen repräsentieren dasselbe Ding unabhängig auf unterschiedliche Arten und Weisen. Obwohl sich die Ordnungen gewissermaßen gegenseitig durchdringen, bleibt doch jede einzelne für die andere unsichtbar. Pascal entdeckt in diesem Zusammen unterschiedlicher Ordnungen das, was seit dem Philosophen Kant transzendentale Differenz genannt wird. Das Ord-nungsmodell Pascals beinhaltete durchaus auch hierarchische Gliederungen, wobei das Übergeordnete das Nachgeordnete „sieht“, insbesondere aber

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sind sämtliche Ordnungen ihrerseits den Gesetzmäßigkeiten einer allem übergeordneten Ordnung unterworfen. Die formale Meisterung des Problems gelingt dann Leibniz, indem er die raumgebundene „mathesis universalis“ des Rene Descartes zur „scientia generalis“ aufweitet. Er betrachtet reine Relationen, die zwar keine sinnlich wahrnehmbare Substanzen sind, aber nichtsdestotrotz als konkrete Phäno-mene wirken, als eigenständige, wie Objekte zu behandelnde, Elemente, die untereinander, ebenso wie ihre dinglichen Vettern, durch ihre gegenseitige Stelle in einer umfassenden Ordnung bestimmt sind. Das Urbild einer solch umfassenden Stellenordnung sieht Leibniz im Reich der natürlichen Zahlen. Damit wird ein jeglicher konkrete Zusammenhang von klar definierten Relationen auf eine Zahlordnung und somit auch auf Zahlen abbildbar. Solchermaßen formalisiert ist jeder Zusammenhang dem mathematischen Kalkül zugänglich. Leibniz, mit dem Blick für das Wesen des Mathematischen und dem klaren Bewußtsein von symbolischer Mathematik, führt seine eignen Einsichten und die mathematischen Elemente seiner unmittelbaren Vorgänger, wie Fermat, Pascal oder Descartes, zur „ars combinatoria“ zusammen. Er selbst sieht darin schon geradezu ein neues geistiges Organ, das der Mensch damit gewonnen hat. Er war sich sicher, daß dieses „die Leistungsfähigkeit des Geistes weit mehr erhöhen wird als die optischen Instrumente die Sehtüch-tigkeit der Augen erhöht.“ Aus der Kombination der Elementarbegriffe lassen sich alle möglichen Erkenntnisse gewinnen. Sein Gedankenalphabet, die „characteristica universalis“, wird durch die Kombinatorik zur regel-rechten Entdeckungskunst, eröffnet ein Meer an Möglichkeiten von Ver-knüpfungen. Von dieser Warte aus gesehen ist die „mathesis uninversalis“ des Descartes die Wissenschaft einer durchgängigen Ordnung, eines spezifischen Sys-tems. Die „scientia gegeneralis“ von Leibniz ist hingegen eine Ordnung von Ordnungen, d.h. sie beschreibt eine Struktur. Hier wird nicht der Zusam-menhang von Objekten formal beschrieben, sondern der gesetzmäßige Zu-sammenhang von Beziehungen wird mathematisch formuliert. Die darin auftretenden Grenzen im Sinn von Tranformations- oder Übergangsphasen sind dabei keine fixierbaren Größen, können allerdings im Kalkül wie Grö-ßen eingesetzt und behandelt werden. Bei Leibniz stehen bzw. bewegen sich Dinge nicht mehr in Zusammenhän-gen, vielmehr gehen sie überhaupt erst aus dem Zusammenhang einer

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durchgehenden Einheit hervor. Diese durchgängige Einheit alles Seienden – sowohl als einzelnes Ganzes in sich und als Teil des großen Ganzen – fußt letztlich auf dem Unendlichkeits- oder Infinitesimalprinzip. Dieses besagt, daß eine Größe einer Ordnung in einer qualitativ anderen Ordnung als Grenzwert auftreten kann, wo sie zwar unter dem Gesetz der anderen Ord-nung steht, jedoch in ihrer Eigenschaft als Grenzwert innerhalb dieser ande-ren Ordnung nicht als Größe fixiert ist. Schon bei Descartes findet sich als Beispiel für diesen Zusammenhang die geometrische Tatsache der Strecke, die als bestimmter Teil einer Geraden der ersten Dimension angehört, als Diagonale aber auch Teil einer ebenen Fläche, also der zweiten Dimension, sein kann. Der auf dieser Grundlage abgeleitete Kalkül, die „ars combinatoria“, ist zum einen Grundlage der mathematischen Logik. Daraus resultiert unter anderem die Mathematisierung der Naturwissenschaften selbst (die cartesi-sche Funktion brachte die Mathematisierung der Natur). Zum anderen sind es aber diese Einsichten, die die Entwicklung der verzweigten Algebra und damit auch die gesamte symbolische Mathematik möglich gemacht haben. Während sich das gesamte Zeitalter der industriellen Revolution bis zur Atombombe, d.h. im wesentlichen die Entwicklung von Energiemaschinen, so gut wie vollständig im mathematischen Barock vollzieht, also im Hori-zont des ursprünglich durch Descartes bestimmten Funktionsbegriffs, kom-men die Einsichten und Ideen von Pascal und Leibniz erst mit der Compu-terrevolution des 20. Jahrhunderts in vollem Umfang zum Tragen. Nicht mehr der Ersatz der Muskelkraft, sondern die Ablösung formalisierbarer Verstandesleistungen durch Maschinen steht im Vordergrund. Diese Ent-wicklung verdankt sich letztlich der grundstürzenden Einsicht von Gottfried Wilhelm Leibniz: „Das Fundament der Wahrheit liegt in der Verknüpfung.“ Der Leibnizsche Kalkül begründet die Strukturwissenschaften. Durch diese werden eine Reihe philosophischer Probleme auf ein mathematisches Ni-veau gehoben und wird zugleich die Provinz des Menschen neu abgesteckt. Der geschlüpfte Schmetterling ist aber so lange flugunfähig, wie ihm sein Verstand immer noch einredet, er sei eine Raupe und müsse auf der Blatt-oberfläche herumkriechen. Intellektuelle Gschaftlhuberei ist eben noch kein neues Bewußtsein.

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K o n k r e t e P h a n t a s i e - eine neues symbolisches Vermögen -

Der Leibniz’sche Kalkül macht aus dem Denken in Begriffen ein Rechnen mit bedeutungsfreien, von den Dingen abgelösten Zeichen. Für Leibniz-sprachen ist die formale Strenge ausschlaggebend. Der kombinatorische Formalismus wurde unter anderen vorbereitet durch Diophant, Raimundus Lullus, Francois Viete und Blaise Pascal. Das im sogenannten Pascalschen Dreieck versammelte Ordnungspotential ist übrigens uraltes Wissen und wurde von Pascal lediglich wiederentdeckt. Bedeutungsfrei sind die Zeichen des Kalküls allerdings nur aus der Sicht eines metaphysisch geprägten, dinglich orientierten Verstandes. Demnach handelte es sich um einen vollkommen verselbständigten Regelapparat. Tatsächlich wird mit dem Kalkül, sowohl in Gestalt der Matrix, wie auch in den Formeln der Differential- und Integralrechnung (die für Leibniz ledig-lich die Anwendung seiner ars combinatoria auf die analytische Geometrie von Descartes sind), die vormals unfaßbare Vielfalt möglicher Weisen der Verknüpfung eines Systems dargestellt. Der gesetzmäßige innere Zusam-menhang ist gegeben durch das Infinitesimalprinzip. In ihm entfaltet sich der unendlich gebrochene innere Horizont eines Beziehungsgeflechts, wur-zelt die Struktur (morphé) eines Ganzen. Der Mechanikergott, der bei Descartes noch dem metaphysischen Dualis-mus von Himmel und Erde, Geist und Materie verpflichtet war, hat ausge-dient. Da aber auch Leibniz noch nicht ganz auf diesen numinosen Hinter-grund verzichten kann, verwandelt sich bei ihm der Uhrmachergott in einen Gärtnergott. Aus dem kausalen System der Fakten des Descartes wird bei Leibniz eine synchrotopische Struktur der Möglichkeiten. Aus einem auf kleinstem Raum in einem Augenblick zusammengefaßten Keim, einem Etwas, einem punctum saliens, dem springenden Punkt, entfal-tet sich aus einer Unzahl theoretischer Möglichkeiten eine wohlgeordnete, vielfach sich wandelnde Gestalt. Ihren dennoch unvergleichlichen Charakter verdankt sie der unsichtbaren und unveränderlichen Form, die sich im Au-genblick der In-form-ation, der Auswahl aus der Fülle der Möglichkeiten, konstituiert hat. Die „scientia generalis“ sieht nicht länger das eine große Weltsystem. Mit dem Übergang zur formalen Symbolik treten an Stelle von partikularen Lösungen, und seien sie noch so komplex, universelle Lösungsmethoden.

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Diese sind für das große Ganze ebenso anwendbar, wie für das kleinste Ganze. Unabhängig von seiner Größe wird jedes einzelne Ganze zu einem eigenständigen Kosmion, das, entsprechend seiner Eigenzeit und seiner strukturellen Anlagen, seine individuellen Metamorphosen durchlebt. Nach Leibniz fordert alles Mögliche, was überhaupt verwirklicht werden kann, weil es keinen Widerspruch einschließt, seine Verwirklichung. Den-noch gibt es außer dem denkbaren Widerspruch offenbar noch ein Aus-wahlprinzip, das aus der Fülle des Möglichen das Wirkliche herauspräpa-riert. Leibniz formuliert dies in seiner Theodizee philosophisch bzw. theo-logisch als die beste der möglichen Welten, mathematisch als Extremalprin-zip und physikalisch als Prinzip der kleinsten Wirkung. Damit begründet er die theoretische Physik. Das neue symbolische Vermögen zeichnet sich dadurch aus, daß wir durch den Kalkül in die Lage versetzt sind, sowohl bestehende Ordnungen zu analysieren, als auch – und insbesondere – solche unsichtbaren Ordnungen planmäßig zu neuen Ordnungsgefügen zu verschränken. Mit Hilfe mathe-matischer Strukturen können wir diese formal beschreiben und somit auch kalkulieren. Dieser schöpferische Akt vollzieht sich grundsätzlich in der Sphäre der Verhältnisse. Den Prozeß, mit dem eine neue Struktur in die sinnliche Welt projiziert und damit verwirklicht wird, nennen wir Informa-tion. Mit diesem Vermögen ist das bisherige Geschöpf Mensch, bisher ein pla-nendes, endgültig zum schöpferischen Wesen geworden. Der Gestaltung geht jedoch wahrnehmen und erkennen voraus. Die angemessene Wahr-nehmung von Ordnungen, mathematisch erfaßt als Systeme und Strukturen, bedarf der konkreten Phantasie. Das (bisher so genannte) Geistige wohnt unsichtbar, ist aber dem anschauenden Denken zugänglich. In Bezug auf dieses Wahrnehmungsvermögen, das seinem Wesen nach alt ist, aber neu in der heutigen Form, befinden wir uns größtenteils noch im Embryonalstadium. In dieser Tatsache gründet die Forderung nach Ausbil-dung eines angemessenen Wahrnehmungsvermögens. Dieses ist Vorausset-zung für ein entsprechendes Ausdrucks- und Gestaltungsvermögen. Wo dieses in einer so hochgradig vom Kalkül bestimmten technischen Welt nicht gegeben ist, ist die Entladung durch Gewalt vorprogrammiert.

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Der Rösselsprung - Symmetriebruch der Neuzeit -

Das Pferd oder der Springer ist im Schachspiel das Symbol für den Erwach-ten. Nichts zeigt besser unsere Situation: wir haben, als Menschheit, eine neue Figur dazubekommen: den Springer. Er wechselt systematisch zwi-schen weißen und schwarzen Feldern, zwischen Herz und Verstand. Die Verschränkung, der Übergang zwischen Raum und Form, hinüber und her-über ist gesetzmäßig!

Wir machen aber nach wie vor Züge mit ihm, die wir von den anderen Figu-ren gewohnt sind: geradeaus oder diagonal. Wir haben mit dem Springer zwar das schöpferische Potential hinzubekommen, spielen aber nach selbst aufgestellten Regeln bzw. nach dem herkömmlichen Schema. Der Umgang mit dem Springer erfordert eine strukturelle Veränderung unserer Wahrnehmung, unseres Denkens und Handelns – nur Umdenken wäre unzureichend: damit bleiben wir im System. Nein: unsere eigene Struktur hat sich verändert! Die Bedingungen unseres Daseins haben sich verändert. Im Moment glauben wir, der König sei Schach matt, weil wir ihn, nach unserem (Un)verständnis, mit dem Springer bedrohen. Was auf unteren Ebenen gemischt, undurchsichtig und kompliziert er-scheint, folgt in Wirklichkeit einfachen Gesetzen auf höheren Ebenen. Auf einem Spielbrett als Möbiusfläche werden auch die Springerzüge einfach. Aber wir spielen nun mal in unserer Welt der drei Dimensionen. „Die kö-nigliche Kunst besteht darin, die Welt in Übereinstimmung mit den ihr eigenen Gesetzen zu beherrschen. Diese Kunst erfordert die Weisheit, wel-che in der Erkenntnis der Möglichkeiten besteht.“ (Titus Burckhardt) Der Kalkül eröffnet uns die Möglichkeiten, es bedarf aber eines neuen Bewußt-seins, um die Bestmöglichen zu verwirklichen.

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Verschränkung der Dimensionen - Vom Maß zur Matrix -

Ich habe eine gute Nachricht für Dich: wir sind am Garten angekommen. Allerdings können wir da nicht so ohne weiteres hineinspazieren. Wie alles kostbare, ist auch dieser Garten nur über Treppen, Brücken und Tore zu-gänglich. Nun stehen wir also vor dem Tor und dieses ist doppelt gesichert. Wir brauchen deshalb noch zwei Schlüssel. Den ersten benötigen wir, um zunächst die Verschränkungen selbst zu entschlüsseln.

Wir haben ja auf dem letzten Stück des Weges schon von Ordnungen und deren Verschränkungen gehört. Was hat es mit der Verschränkung auf sich? Das Wort kommt von der Schranke, genauer der Gerichtsschranke. In den Bischofskirchen gibt es die Chorschranken und in der Handarbeit gibt es verschränkte Maschen. Wenn ein Sägeblatt geschränkt wird, dann werden die Zähne schräg gestellt. Die Gerichtsschranken sahen ursprünglich unge-fähr so aus, wie unser Gartentor mit den sich schräg überkreuzenden Stä-ben, vielleicht nicht so hoch. Was hat das mit dem Schlüssel für das Tor zum Garten der Mathematik zu tun? Nun - Mathematik ist ordnen, hat mit erkennen zu tun. Erkennen heißt, daß wir ein Etwas von einem anderen Etwas unterscheiden. Wir haben das bei der stufenweisen Entwicklung des Bewußtseins schon gesehen. Dort haben wir die Kardinalzahlen als gewissermaßen verselbständigte „Diffe-renzen“, d.h. aber „Unterschiede“, kennengelernt. Es ist vollkommen ein-sichtig, daß man von einer endlichen Menge nur endlich oft eine Differenz wegnehmen, abziehen kann. Nach jeder einzelnen Operation bleibt eine bestimmte Größe übrig, oder aber schließlich nichts mehr.

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Auf der Suche nach den ersten Impulsen für den aktuellen Bewußtseins-übergang sind uns dann die Null und die negativen Zahlen begegnet. Diese wurden bekanntlich erst nach langem Zögern als solche akzeptiert. Wir haben also entgegen jeglicher Vernunft hingenommen, daß wir von einer Menge mehr wegnehmen können als überhaupt vorhanden ist. Und wenn wir von der resultierenden negativen Zahl, von der niemand ahnt, was sie bedeutet, noch einmal etwas wegnehmen, gibt es noch mehr von diesem Unbekannten. Das „Weniger“ summiert sich also. Auf der Zahlengeraden können wir wegnehmen als Fortschreiten in Richtung „Weniger“ interpre-tieren. Beim Rechnen müssen wir aufpassen, ob wir das Minuszeichen als Operator verwenden oder als Vorzeichen einer Zahl. Spätestens jetzt müßten wir uns fragen, ob da vielleicht buchstäblich etwas nicht mit rechten Dingen zugeht – sondern mit linken (nämlich dem un-sichtbaren „Weniger“). Tatsächlich treten wir bereits mit dem Minus-Zeichen in das Reich der Verhältnisse ein. Hier verhält sich etwas zu einem anderen – allerdings innerhalb derselben Ordnung. Im allereinfachsten Fall sprechen wir, wie gesehen, noch von Unterschied, im Allgemeinen aber drücken wir ein Verhältnis heute in einem Bruch aus. Dabei unterscheiden wir unechte Brüche (das ausgerechnete Ergebnis ist größer als Eins) von den echten Brüchen (wo das Ergebnis kleiner als Eins ist). Was hat das nun mit negativen Zahlen zu tun? Die einfachsten echten Brüche sind die Stammbrüche: Eine Einheit, z.B. eine Torte, wird (gerecht) in so viele Teile geteilt, wie hungrige Mäuler da sind. Wenn vier Kinder um den Tisch sitzen bekommt jedes 1/4 von der Torte. Dezimal schreiben wir das als 0.25. Eine ganz unübliche Schreibwei-se wäre 4 -1. Hoppala! Hier taucht also eine negative Zahl auf – aber als Hochzahl, oder in der Sprache der Mathematiker: als Exponent. Exponenten tauchen doch sonst nur bei Potenzen auf. Was bedeuten sie dort? Eine Hochzahl ist eine Rechenvorschrift, mithin ein Operator wie +, -, x oder /. Im Unterschied zu diesen handelt es sich aber um einen wertbehafteten Operator, wir geben neben der hochgestellten Position zugleich eine Häu-figkeit an, nämlich wie oft die sogenannte Basis mit sich selbst multipliziert werden soll. Eine hochgestellte negative Zahl hat etwas mit Teilung, mit dividieren zu tun. Auf dem Zahlenstrahl bedeutet das zwar auch ein weniger, aber jetzt nicht mehr jenseits der Null, sondern zwischen Eins und Null. Das Ergebnis ist eine praktisch verwertbare Größe, auch wenn sie noch so klein, d.h. noch so nahe bei der Null sein sollte. Potenzieren mit negativen Exponenten ist

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also fortgesetztes Dividieren mit dem immergleichen Teiler oder Divisor. Potenzieren mit positiven Exponenten kann immer auf die Operation des Multiplizierens und diese wiederum auf das Addieren zurückgeführt wer-den. Ist der Exponent negativ steckt dahinter eine Division, die umgekehrte Multiplikation. Halten wir fest, daß der Exponent, ob positiv oder negativ, ein werthaltiger Operator ist. Im Fall, daß der Exponent 2 ist, sprechen wir vom quadrieren. Dabei fällt dem einen oder anderen vielleicht die „Quadratwurzel“ ein, die er als Um-kehrung der Potenzierung kennen gelernt hat. Diese Umkehrung bedeutet nichts anderes, als daß der Operator selbst eine gebrochene Zahl ist .Hier geraten wir jetzt ganz offensichtlich in den Bereich der Verschränkung von Ordnungen. Betrachten wir uns das zunächst am geometrisch-anschaulichen Fall der Dimensionsverschränkung. Schon seit den Babyloniern hat man aus Potenzen die Quadratwurzel gezo-gen – sofern die Potenz (formal: der Radikand) eine Quadratzahl war bzw. das Quadrat einer rationalen Zahl, also eines einfachen Verhältnisses. Wir erinnern uns: bei der Meßkunst ging es um die Aufteilung von Flächen. Im Gegensatz zur Division, wo eine lineare Größe in gleiche Teile geteilt wer-den soll, brauchen wir hier einen (linearen) Maßstab, ein Maßverhältnis, um nicht-rechteckige Flächen rechnerisch in gleichgroße Teile zu zerlegen. Hier verschränkt sich also die erste Dimension einer Strecke, oder allge-mein: eine lineare Größe, mit der zweidimensionalen Fläche. Nehmen wir den einfachen Fall der Quadratwurzel aus 16. Wir können den Ausdruck so schreiben:

216

oder aber so:

16

1

2 ..... und das ist gleichbedeutend mit 16

21

Nun sind wir also glücklichst dort angelangt, wo der Exponent – wir erin-nern uns: ein Operator – selbst noch einmal potenziert wird, und zwar mit einem negativen Exponenten. Während der Bruch eine Verschränkung innerhalb desselben Ordnungszusammenhangs beschreibt, erkennbar am einfachen negativen Exponenten, ist die Wurzel der formale Ausdruck einer interdimensionalen Verschränkung. Diese Verschränkung zwischen unter-

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schiedlichen Ordnungen zeichnet sich dadurch aus, daß ein Exponent selbst mit einem negativen Exponenten potenziert wird. Als sich die Menschen während der neolithischen Revolution der Meßkunst bemächtigt haben, gab es natürlich nicht nur das Ideal quadratzahliger Ra-dikanden. Damals löste man das Problem des Wurzelziehens durch raffi-nierte Näherungsformeln. Es kam schon zur Sprache, daß das göttliche Ankh-Symbol der Ägypter möglicherweise unserem Wurzelsymbol ent-sprach. Das zeigt, welche Bedeutung man diesem Können beimaß. Bei dieser Gelegenheit sind wir auch den Alogoi, den unaussprechlichen Zahlen, begegnet. Diese irrrationalen Ergebnisse verweisen klar auf eine andere Zahlqualität. Hier geht es nicht mehr einfach nur darum, eine Mehr-fachmultiplikation rückgängig zu machen. Denn: wie wollen wir eine einfa-che Quadratwurzel ziehen, wenn wir nicht das kleine 1x1 und ein paar Quadrate von Brüchen im Kopf haben? Es ist ja nicht jeder ein Leonard Euler. Wir können feststellen, daß bei der Verschränkung zwischen unter-schiedlichen Ordnungen grundsätzlich irrationale Werte erscheinen. Einfach und anschaulich sehen wir das in der Geometrie: Im Quadrat ist das Ver-hältnis von Grundseite und Diagonale irrational. Die Diagonale ist eine charakteristische Strecke im Quadrat und als solche ein eindimensionales Element innerhalb der zweidimensionalen Fläche. Nach dem, was wir schon wissen, stellt sie damit einen Grenzwert dar, jedoch keine Größe. Die Grundseite ist zwar eine Begrenzung des Quadrats, aber auch als Randele-ment derselben ist sie eine Größe innerhalb der Fläche.

Aus diesen Überlegungen zur Verschränkung von Ordnungen ist bei Herrn Leibniz letztlich auch die Integralrechnung entsprungen. So liefert bei-spielsweise im Fall des Kreises das Integral der Umfangsformel unmittelbar die Kreisflächenfunktion.

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Im Zusammenhang mit Flächenberechnungen stoßen wir unweigerlich auch auf den rechten Winkel, den Satz des Pythagoras und die Winkelfunktionen. Nun sind Winkelfunktionen per se schon als Verhältnisse definiert und stehen somit in engstem Zusammenhang mit der Verschränkung von Ord-nungen. Dies erklärt auch das Auftreten von typischen Quadratwurzel-werten in einer Reihe von ausgezeichneten Winkeln. Für den rechten Winkel gilt bekanntlich ein Kosinuswert von 0. Das bedeu-tet, daß sich Ordnungen, die, geometrisch gesprochen, senkrecht oder or-thogonal aufeinander stehen, genau wie Wellen, ungestört durchdringen. Die unterschiedlichen Ordnungen nehmen gewissermaßen keine Notiz von-einander, es kommt zu keinerlei irgendwie gearteten Manifestation. Das gilt natürlich auch für uns selbst als physische Wesen: Wenn wir etwas nicht sehen, dann rührt das daher, daß dieses Etwas einer Ordnung angehört, die senkrecht zu allen unseren anderen Dimensionen steht, mit denen wir auf die eine oder andere Art verschränkt sind und von denen wir deshalb eine Wahrnehmung haben. Verschränkung ist Voraussetzung für wahrnehmen, unterscheiden und erkennen. Sind Schwingungen die Voraussetzung dafür, daß Verschränkung überhaupt stattfinden kann? Nehmen wir wahr, weil wir Schwingungsmuster, kreisen-de, wirbelnde Wesen sind, so wie alles um uns herum? Seit der geometri-schen Interpretation der sogenannten imaginären Zahlen durch Argand und Gauß (als Zahlenachse senkrecht zum allgemein bekannten Zahlenstrahl), werden diese auf der Grundlage der berühmten Eulerschen Formel zur ma-thematischen Behandlung von physikalischen Schwingungsprozessen he-rangezogen. Die imaginäre Einheit „i“ steht für den bis dahin nicht erklärten

Wert der Quadratwurzel aus – 1: 2 1

Führen wir die oben angestellten Überlegungen zur Wurzeldarstellung fort, erhalten wir

12

1

Was kann das bedeuten? Anschaulich gesprochen, wird hier aus der Um-kehrung, dem Spiegelbild des Originals, die Wurzel gezogen – und die ist imaginär. Die beiden Zahlenachsen spannen die Ebene der komplexen Zah-len auf und damit hat sich unser Spielfeld, zumindest rechnerisch, um eine Dimension erweitert. Rowan Hamilton waren zwei Dimensionen aber nicht genug und so hat er aus der zweidimensionalen Ebene einen vierdimensio-

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nalen Zahlenraum gemacht. Schließlich wurde auch dieser noch zum acht-dimensionalen erweitert. Das Rechnen mit komplexen Zahlen, Quaternio-nen und Oktonionen ist aber nichts anderes, als die Verschränkung mit Ordnungszusammenhängen, die uns nur mittelbar zugänglich sind. Eine ungefähre Vorstellung bekommen wir, wenn wir in den Spiegel schauen und uns danach in einer Konstruktion betrachten, die zunächst um einen, dann um zwei Spiegel erweitert ist, wobei diese jeweils rechtwinklig zu den anderen stehen. Die Bedeutung von -1 als Basis ist damit natürlich keines-wegs erklärt. Vielleicht enthält der zweite Schlüssel eine Antwort. Das Ausziehen von Wurzeln wird, wie das Potenzieren, als sogenannte algebraische Operation betrachtet. Die anderen algebraischen Operationen sind die uns bekannten Grundrechenarten. Der entscheidende Gesichtspunkt für die Algebraizität einer Operation besteht darin, daß die beteiligten Ope-randen, auf denen operiert wird, in einem unvermittelten Verhältnis stehen. Im Fall des Wurzelziehens bedeutet das, daß der Wurzelwert direkt durch Anwendung des Wurzelexponenten auf die Ausgangspotenz bzw. den Ra-dikanden ermittelt wird. Dies wurde, wie schon erwähnt, durch Näherungs-verfahren erreicht, und geschieht heute über den Umweg des Logarithmie-rens. Auf diese Weise erscheinen nun alle Werte (mit Ausnahme der Exponenten) als Größen. Solange wir uns im numerischen Bereich bewegen, liefern diese Rechnungen auch durchaus brauchbare Werte – einfach deshalb, weil jede formal irrationale Zahl faktisch auf eine rationale reduziert wird. Dieses Denken in Größen wird in Bezug auf irrationale Zahlen allerdings proble-matisch, weil dadurch und mit der rein formalen Betrachtungsweise das tatsächliche Geschehen auf der Ebene der Ordnungen und Beziehungen, nach Leibniz ja das Fundament der Wahrheit, vollständig verdeckt wird. Damit ist auch der Zusammenhang der Arithmetik und Analysis mit dem ursprünglichen Funktionsgedanken in entscheidender Hinsicht verschleiert. Es bleibt festzuhalten, daß negative Exponenten immer etwas mit Ordnung bzw. ordnungsstiftenden Relationen, und d.h.: mit Verschränkungen, zu tun haben. Handelt es sich um interdimensionale Verschränkungen, erkennbar als Wurzelausdrücke oder auch Winkelfunktionen, sind die resultierenden Maßzahlen im Allgemeinen irrationale Grenzwerte und damit keine fest-stellbaren Größen.

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Maßstab der Maßstäbe - Vom Maß zum Logarithmus -

Wir haben gesehen, wie sehr die Dimensionierung physischer Größen im Zug des Überlagerungsprozesses den Aufschwung der experimentellen Physik beflügelt hat. Vor diesem praktisch-dinglich ausgerichteten Hinter-grund, auch im Hinblick auf die überseeischen Eroberungsbestrebungen und die damit verbundenen Navigationsaufgaben, kam den trigonometrischen und logarithmischen Tafeln als nützlichen Rechenhilfen eine überragende Bedeutung zu. Ganz sicher schon zu Zeiten der Griechen, wahrscheinlich aber schon den Ägyptern, war bekannt, daß die Exponenten einer geometrischen Folge eine arithmetische Folge bilden. geometrische Folge: 2 4 8 16 32 die entsprechenden Exponenten zur Basis 2: 1 2 3 4 5 Während also die „Basisglieder“ durch Multiplikation auseinanderhervor-gehen, gelangen wir zu den entsprechenden Potenzausdrücken, indem wir den Exponenten jeweils um eins erhöhen. Ein ähnlicher Zusammenhang war den Ägyptern auch für Winkelfunktionen in Form der, von den Grie-chen so genannten, prostaphäretischen Regeln bekannt. Für die Rechenpra-xis bedeutet das, daß wenn wir uns bei numerischen Berechnungen auf eine gleichbleibende Basis festlegen, alle Zahlen auch durch deren entsprechen-de Exponenten repräsentiert werden können. Damit werden aus aufwendi-gen Multiplikations- und Divisionsaufgaben einfacher zu bewältigende Additions- und Subtraktionsaufgaben. Solange als Exponenten nur die ganzen Zahlen zugelassen sind, ist der Vor-teil aber offensichtlich gering. Für den umfassenden und alltäglichen Gebrauch muß demzufolge der zulässige Bereich für Exponenten auf das Zahlenkontinuum ausgedehnt werden. Genau das war die entscheidende Idee von Napier und Bürgi, die beide unabhängig voneinander das erfunden haben, was wir heute den „Logarithmus“ nennen. Indem wir also, ausge-hend von der bekannten Potenzrechnung, einerseits für die Exponenten das ganze Zahlenkontinuum zulassen, und uns zum andern auf eine definierte Basis festlegen, werden aus Exponenten Logarithmen, verstanden als Re-präsentanten beliebiger Zahlen, verbunden mit den oben genannten Re-chenvorteilen.

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Aufgrund des identischen formalen Operationszusammenhangs wird das Logarithmieren bis heute als die zweite Umkehrung des Potenzierens be-zeichnet (neben dem Wurzelziehen bzw. Radizieren als erste Umkehrung). Was bedeutet aber logarithmieren? Im Gegensatz zum Potenzieren, ebenso wie zum Radizieren, wo der Expo-nent feststeht und entweder von der Basis auf die Potenz oder von der Po-tenz auf die Basis geschlossen wird, ist es beim Logarithmieren gerade der Exponent selbst, der Operator, zu dem wir den Wert suchen. Was drückt aber der zum Operator gehörende Wert aus? Es ist das Verhältnis zwischen der Basis und der Potenz. Also ist der Exponent eine Verhältniszahl – und exakt das ist die Bedeutung des Wortes „Logarithmus“. Warum nun einmal Exponent und einmal Logarithmus? Wir wissen bereits, daß potenzieren und radizieren algebraische Operationen sind. Der Expo-nent gibt dann den Grad dieser spezifischen Verschränkung an. Sowohl die Basis als auch die Potenz sind unmittelbar aufeinanderbezogen - und zwar ganzzahlig. Und: die Operation ist völlig unabhängig von irgendwelchen anderen Verschränkungen derselben Objekte oder innerhalb des gleichen Ordnungszusammenhangs. Das ändert sich grundlegend, wenn wir logarithmieren. Hier haben wir den gesamten Zusammenhang im Blick und wollen Relationen bzw. Verhältnis-se oder Verschränkungen untereinander vergleichen, das bedeutet aber: das Verhältnis von Verhältnissen bestimmen. Und genau aus diesem Grund ist es primär sinnvoll, eine Basis zu fixieren. Damit werden sämtliche Zahlen, insbesondere auch die Irrationalen selbst, die ja in den Logarithmen auch zugelassen sind, untereinander vergleichbar. Erinnern wir uns noch einmal des ursprünglichen Funktionsgedankens von Nikolaus von Kues. Unter Absehung von den Dingen geht es ihm darum, das Gesetz der sich gesetzmäßig verändernden Beziehungen zu formulieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Beziehungen zwischen Objekten im Sinn von Dingen handelt (vgl. klassische Experimentalphysik und Ana-lysis) oder ob die Objekte selbst schon Beziehungen sind (ars combinato-ria). Hier haben wir also mit den Logarithmen die genaue arithmetische Entsprechung zur Ordnung der Ordnungen, die algebraisch formal mit dem Kalkül beschreibbar wird. Das ist der Grund, weshalb Leonard Euler die Logarithmusfunktion mit Recht zu den transzendenten Funktionen rechnet, auch wenn seine Begründung eine andere war.

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Damit es dahin kommen konnte, waren, ausgehend von den Logarithmenta-feln, einige fundamentale Einsichten nötig. Wir sagten schon, daß die Loga-rithmen anfangs als effiziente Rechenhilfen und die Werte als Größen be-trachtet wurden. Im Zug der Quadrierung der Hyperbel, d.h. der Ermittlung der Fläche unter dem Graphen der Funktion f(x) = 1/x, wurden die Mathe-matiker darauf aufmerksam, daß es sich beim Logarithmus überhaupt um eine Funktion handelt. D.h.: er bildet einen gesetzmäßigen Entwicklungszu-sammenhang ab und stellt somit ein Maß dar. Allerdings war damals noch nicht klar, welches die korrekte Basis sei. Sicher war nur, daß es nicht die seinerzeit (um 1630) übliche Basis 10 (!) sein konnte. Nach und nach stellte sich heraus, daß es sich um einen Wert handelt, der heute der ganzen (wis-senschaftlichen) Welt unter der Bezeichnung „e“ geläufig ist. Es gibt so gut wie keine natürliche Entwicklung, wo dieser Wert nicht in der einen oder anderen Weise in Erscheinung tritt – also auch bei der Flächenberechnung der Hyperbel. Die dazugehörigen Logarithmen wurden seinerzeit von Isaac Newton denn auch hyperbolische Logarithmen genannt. Leonard Euler, geboren 1707, gewissermaßen der Mozart der Mathematik, hat die Zahl „e“ zwar nicht entdeckt, aber er hat ihren wesentlichen Gehalt erschlossen und ihr den Namen gegeben. Gefunden hat die Zahl Jakob Ber-noulli bereits 1690 im Rahmen der Suche nach einer Formel für Zinseszin-sen. Jakob Bernoulli war es auch, der leidenschaftlich die bereits ebenfalls um 1630 von Descartes und Torricelli gefundene logarithmische Spirale studierte. Dabei stellte er unter anderem fest, daß diese Spirale unabhängig vom Maßstab, d.h. von der Entfernung zum Zentrum, immer die gleiche Gestalt hat. Sie ist in jeder Windung selbstähnlich und Bernoulli nannte sie daher „spira mirabilis“. Analytisch betrachtet ist die Ableitungsfunktion mit der Ausgangsfunktion identisch, und das hat sie mit der Exponentialfunkti-on (zur Basis e) gemeinsam. Nachdem klar geworden war, daß diese Funk-tion die Umkehrfunktion der Logarithmusfunktion zur Basis „e“ ist, heißen die Logarithmen zur Basis „e“ wegen der Universalität der Zahl „e“ heute „natürliche Logarithmen“. Die Transzendenz der Logarithmusfunktion begründet Euler einfach damit, daß sie nicht algebraisch ist, d.h. sie ist weder Potenz- noch Wurzelfunktion und erst recht nicht beinhaltet sie eine der Grundrechenarten. Nun ist das aber eine derart grundlegende Differenz, daß es nicht sein kann, daß es sich beim Logarithmieren um eine zweite Umkehrung des Potenzierens handelt. Ein weiteres Argument gegen diesen Un-fug ist die Symmetrieregel: jede Operation hat genau ein Gegenstück. Warum sollte das Potenzieren da eine Ausnahme machen?

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Noch einmal: Der Logarithmus ist aufgrund der fixierten Basis, unabhängig von der jeweils konkreten Aufgabenstellung, die genaue arithmetische Ent-sprechung zur numerischen Behandlung der Ordnung der Ordnungen. Dem entspricht dann algebraisch-formal natürlich die Logarithmusfunktion. So wie mit den algebraischen Funktionen die einzelnen Relationen innerhalb und zwischen Ordnungen in einem System erfaßt werden, d.h. die einzelnen Verschränkungen, so kann mit der transzendenten Logarithmusfunktion, die Gesamtstruktur, die Ordnung der Ordnungen mathematisch erfasst werden. Es ist diese Ordnung der Ordnungen, die ursprüngliche synchrotopische Struktur der Möglichkeiten, aus der an einem spezifischen Ort in einem bestimmten Augenblick eine spezifische, unwiederholbare Form entspringt: der Ur-sprung einer Gestalt, der diese sich wandelnde Gestalt durch ihren gesamten Lebenszyklus begleitet und mit seiner Unveränderlichkeit den Bestand und Charakter dieser Gestalt ge-währ-leistet. I Metamorphosen In der unerschöpflichen Vielfalt natürlicher Gestalten von Mineralien, Pflanzen und Tieren können wir diesen Prozess tagtäglich um uns herum, aber auch an uns selbst, beobachten. In der daraus abstrahierten Welt der Geometrie war es wohl erstmals Johannes Kepler, der mit seinen morpholo-gischen Betrachtungen des Kreises den inneren Zusammenhang der soge-nannten Kegelschnitte durchsichtig gemacht hat.

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Rene Descartes hat diese Verwandtschaft dann algebraisch als Gleichungen zweiten Grades identifiziert, die im Koordinatensystem die entsprechenden Funktionsgraphen liefern. Es ist auch hier die Hochzahl, der Exponent 2, der das einigende Band, die Verschränkung der Kegelschnittkurven bildet. Johann Wolfgang von Goethe, der sich Kepler zu seinem Hausheiligen erkoren hatte, hat das Phänomen des fortwährenden Gestaltwandels später eingehend studiert und in der Einleitung zu einer geplanten Gesamtdarstel-lung, der von ihm so genannten Morphologie, schon treffend dargestellt. Zentraler Begriff seiner Lehre ist die „Metamorphose“, in dem dieses Phä-nomen immerwährender Wandlung zusammengezogen ist. In völlig anderer Form begegnet uns das gleiche Prinzip in der Musik. Die gesamte „Kunst der Fuge“ von Johann Sebastian Bach ist eine Reihe von Variationen, in denen ein einzelnes Motiv eine fortwährende Verwandlung erfährt, um am Ende in sich selbst zurückzukehren. Auch hier ist das be-herrschende Thema der innere funktionale Zusammenhang einer Vielfalt von Gestalten. Was hat Johannes Kepler gemacht? Er beobachtete die Schattenbilder einer Kreisscheibe, die durch einen wandernden Lichtkegel erzeugt werden, ge-nauer: er beobachtete die fortlaufenden Übergänge von einem charakteristi-schen Schattenbild zum nächsten, während das schattenwerfende Objekt doch immer das gleiche bleibt. In freier Form beschrieb er dann den Über-gang vom Kreis über die Ellipse und Parabel zur Hyperbel. Nebenbei führte er bei dieser Gelegenheit auch den Begriff des Brennpunkts ein. Mit seinen Kreismetamorphosen legte Kepler den Grundstein zu einer Ge-ometrie, die dann 200 Jahre später die metaphysisch überlagerte Perspektive der frühen Renaissance überwand. Die synthetische Geometrie (im Gegen-satz zu Descartes’ „analytischer Geoemtrie“) macht konsequent Gebrauch von der konkreten Phantasie, unserem neuen symbolischen Vermögen. Die neue, auch projektiv genannte, Geometrie führt uns somit zu einer bewegli-chen Wahrnehmung der Dinge aus ihrer Mitte. Als geometrische Entspre-chung zum Leibnizschen Kalkül ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Metrik dieser Geometrie logarithmischer Natur ist: die hyperbolische Maß-bestimmung bestimmt das Verhältnis aufeinanderfolgender Schritte im Bewegungsablauf des Gestaltwandels als Logarithmus – und zwar in Bezug auf ein unabhängiges, im allgemeinen ideelles und damit nicht offensichtli-ches, Projektionszentrum, das aber eben durch das symbolische Vermögen offenbar wird.

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II Eichmaß Es ist dieses nicht offensichtliche, aber offenbare Projektionszentrum der zweite Schlüssel zu unserem Garten. Theologisch gewendet handelt es sich dabei um das Zentrum aller Religionen, um Gott. Im Fall der Keplerschen Schattenbilder ist es die Spitze des Lichtkegels, im Fall der Logarithmen ist es die fixierte Basis, die alle möglichen und noch so verschiedenen Erschei-nungsweisen oder Gestalten der einen Form zusammenhält. Grundsätzlich kann jede Zahl als Basis eines Logarithmensystems dienen. In den Briggschen Logarithmen und in unserem Dezimalsystem ist es die Zahl zehn, in der Informatik dominieren die Basen zwei und sechzehn. Nun haben wir aber schon gesehen, daß es eine Zahl gibt, deren Universalität alles in den Schatten stellt. Es ist die Eulersche Zahl e, dezimal mit den ersten Nachkommastellen: 2, 71828182845904523536028747135 ......... Euler, der algebraische und transzendente Funktionen unterschied, kannte noch nicht den Begriff der transzendenten Zahl. Diese Klassifizierung war eine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts. In Anbetracht der besonderen Bedeutung von „e“, ist es nun nicht überraschend, daß nicht nur die Expo-nentialfunktionen allgemein transzendent sind, sondern auch die Zahl „e“, die Basis der natürlichen Logarithmen. In ihrer Eigenschaft als Projektions-zentrum (geometrisch gesprochen) ist sie die maßgebende Größe aller Ord-nungszusammenhänge, der Ordner der Ordnungen. Für eine maß-geben-de Größe haben wir aber den Begriff „Eichmaß“. Als geprüftes und bewährtes Maß steht es außerhalb jeglicher Relativität und ist dasjenige Maß, aus dem systemspezifische Maßstäbe, also Eichmaße für eigenständige Ordnungszu-sammenhänge, wie beispielsweise das Maßwerk eines Tempels, letztlich ihre Legitimation beziehen. Nun muß man natürlich fragen, woher „e“ selbst seine Autorität bezieht. Gefunden wurde der Wert, wie schon gesagt, im Zusammenhang mit der Zinseszinsrechnung, also einer äußerst weltlichen Angelegenheit. Nicht viel besser steht es mit der Begründung, die sich auf physikalische Experimente bezieht, würde damit doch nur das bestätigt, was schon vorausgesetzt ist. Kurz: wir bewegen uns bisher im objekthaften, von metaphysischen Vor-stellungen geprägten Denkschema, sitzen sozusagen in der Falle der Über-lagerung. „e“ ist uns so selbstverständlich, daß seine Rolle in der Ausbil-dung des neuen Bewußtseins gar nicht erst auf dem Monitor unserer Ge-danken erscheint.

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Seine unbestreitbare Autorität als unumstößliches Prinzip im Aufbau jegli-cher Ordnung erhält „e“ aus seiner Sonderstellung innerhalb der unendlich vielen Logarithmensysteme. Die Steigungen der (dazu spiegelbildlichen) Exponentialkurven entsprechen jeweils dem natürlichen Logarithmus der zugrundeliegenden Basis des Systems multipliziert mit dem aktuellen Funk-tionswert: die Ableitung von ax = ax * ln(a). In der Analysis hat das zwei charakteristische Konsequenzen: Für das Logarithmensystem mit der Basis e ergibt sich daraus, daß die zugehörige Exponentialkurve mit ihrer eige-nen Ableitung identisch ist und: alle denkbaren Exponentialkurven haben an der Stelle x = 0 im Punkt y = 1 die Steigung ln(a). „e“ ist der Ordner der Ordnungen, das Eichmaß aller Logarithmensysteme, die ihrerseits für „ihr“ jeweiliges Ordnungsgefüge maß-gebend sind. Ist also „e“ das unerkannte wiedergefundene Maß? Aufgrund der Tatsache, daß im wissenschaftlichen Bereich fast ausschließlich mit den natürlichen Loga-rithmen gerechnet wird, sozusagen mit dem Original, dem Metalogarith-mus, wird seine wahre Bedeutung als Projektionszentrum jeglicher Ordnung völlig übersehen. So wie seinerzeit, beim Übergang von der vierteiligen Proportion zur dreiteiligen Gleichung, die Eins im Fundament der Mathe-matik verschwunden ist, so ist heute „e“ so tief im Fundament vergraben, daß wir es in seiner wahren Eigenschaft gar nicht zur Kenntnis nehmen. Novalis hat sehr zurecht darauf aufmerksam gemacht: „Was ihr [der Ma-thematik] die Logarythmen sind, ist sie den anderen Wissenschaften.“ III spiritus rector Was fasziniert uns an einem Kristall? Was macht regelmäßig gegliederte Figuren so anziehend – allen voran der Kreis? Was macht ein Rad nützlich? Warum wird eine Tonfolge melodisch? Es ist ihre mehr oder weniger of-fenbare Ordnung. Diese Ordnung aber bezieht jegliche Gestalt immer aus einem mehr oder weniger erkennbaren Bezugspunkt. Ob Symmetriezen-trum, Mittelpunkt, Radnabe oder Grundton – immer gibt es einen Ordner, einen „spiritus rector“, der ein Ganzes harmonisch zusammenhält. Im Fall der Logarithmen ist es die gemeinsame Basis. Wenn der ZEN-Meister mit seinem Pinsel einen perfekten Kreis auf das Papier bringt, dann hinterläßt er keinen Einstichpunkt mit dem Zirkel – es gelingt ihm, weil er selbst in sei-ner Mitte ist. Das ist auch das Thema von Heinrich von Kleists „Marionet-tentheater“.

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Was hindert uns bisher daran, diese geheimnisvolle Mitte, die alle Teile in einer „prästabilierten Harmonie“ aufeinander hin ordnet, zu erkennen? Die Entwicklung des ersten Schlüssels hat uns bereits gezeigt, daß Wurzeln im Allgemeinen zu irrationalen Zahlen führen. Sie sind keine Größen son-dern Verhältniszahlen. Während Wurzeln die Verschränkung zwischen zwei abzählbaren, dinglichen Objekten in voneinander verschiedenen Ordnungen bestimmen, sind Logarithmen Ausdruck der Relation zwischen Ordnungs-gefügen. Auch sie sind im allgemeinen irrational. Außerdem finden wir gültige Wurzelwerte in den allermeisten Fällen nur über das Logarithmie-ren. Im Fall der Physik sind wir dahinter gekommen, daß die Funktion um so reiner in Erscheinung tritt, je besser es gelingt, das Objekt und seine Bezie-hungen auseinanderzuhalten. In der Mathematik bringen wir die Unter-scheidungen dann durch eine entsprechende symbolische Schreibweise zum Ausdruck. Die verschiedenen Zahlenarten betrachten wir bisher rein men-gentheoretisch und erklären diese fortschreitend als Obermengen der vor-hergehenden, ohne Rücksicht auf den Unterschied von Zählzahl und Ver-hältniszahl.

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Diesen Unterschied kannten aber bereits die Griechen, als sie die logoi von den arithmoi begrifflich getrennt haben. Wir ignorieren diesen Unterschied bis heute und verorten sämtliche Zahlen auf der einen Geraden, dem von Descartes eingeführten Zahlenkontinuum.

Zweifellos ist die geometrische Interpretation der Zahlordnung ein äußerst hilfreiches Instrument. Als Symbol soll es einen an sich unsichtbaren, aber nichtsdestoweniger realen Zusammenhang vermitteln. Wenn ein Symbol aber nicht stimmig ist, trägt es mit seiner suggestiven Wirkung mehr zur Verwirrung als zur Klärung des tatsächlichen Sachverhalts bei. Im Fall der Zahlengeraden ist es aufgrund der bisherigen Ausführungen nur konse-quent, wenn wir den einen Zahlenstrahl in Geraden auflösen, auf denen die Zahlen entsprechend ihrer Funktion getrennt aufgetragen werden: 1. als ausschließlich positive rationale Zählzahlen und Größen, 2. als arationale Verhältniszahlen und 3. als Ordner von Verhältnissen.

Damit hat auch die Redeweise von den irrationalen Zahlen ein Ende. Schon Kepler hat zurecht darauf verwiesen, daß die als „irrational“ übersetzten „alogoi“ (wir erinnern uns: die Unaussprechlichen) „durch die besten Grün-

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de (rationes) in ihrem Bestand gesichert werden.“ Irrational sind also nicht die Zahlen. Irrational ist vielmehr der Vorgang, wenn Rene Descartes, der Verstandesmensch, im Zug des geschilderten Überlagerungsprozesses und im Hochgefühl der Überwältigung des Unendlichen, die Zählzahlen mit den Verhältniszahlen willkürlich zum Zahlenkontinuum erweitert. Es ist von besonderer Wichtigkeit zu erkennen, daß es sich bei den ganz-zahligen und gebrochenen Verhältniswerten nicht um eindeutig feststell-bare, diskrete Größen handelt, sondern, ebenso wie bei den unendlichen Wurzelwerten, um Grenzwerte im Sinn der Verschränkung von Ordnungen. Das bedeutet, daß auch diese Werte einen Prozess repräsentieren, etwas in Bewegung befindliches, eine Oszillation. Beispielsweise erfassen die Werte 3,9999... und 4,0...01 den Grenzwert 4, d.h. das arationale Verhältnis 4/1, aber nicht die Zahl 4. Anders gewendet: Die Quadratwurzel aus 16 ist nicht identisch mit der Zählzahl 4. Hinter jeder Operation zur Bildung von Verhältnissen, angefangen mit der Differenz, über den Bruch und weiter zur Wurzel, steht ein Umkehrprozeß. Wir haben im ersten Schlüssel gesehen, daß dieser Prozeß durch das Sym-bol -1 repräsentiert wird. Bei der Quadrierung der Hyperbel ( f(x) = x -1 ) war es exakt dieser Wert, der zur Erkenntnis geführt hat, daß es sich beim Logarithmus um eine Funktion handelt. In der schon angesprochenen pro-jektiven Geometrie ist die Inversion am Kreis, ebenfalls eine Umkehrung (Spiegelung), eine fundamentale Transformation, bei der der Mittelpunkt zum unendlich fernen Punkt wird. In diesem Sinn bedeutet jede Verhältnis-bildung, jede Kehre einen Durchgang durch das Unendliche. In der komple-xen Zahlenebene ist dieser Schritt ein gleitender Übergang. So gelangen wir bei der Bildung des Verhältnisses von logarithmischen Basen in letzter Konsequenz zum Eigentlichen, zur Zahl „e“. Erst wenn wir die Hierarchie der Ordnungen und deren Ordner klar vor Augen haben, können wir der letztendlich formbildenden, in-form-ierenden Mitte gewahr werden. Das aber erfordert die Unterscheidung der „logoi“ von den „arithmoi“. Interessanterweise ist „Information“, also derjenige Prozeß, dem unser Zeit-abschnitt seinen Namen verdankt, durch einen negativen Logarithmus defi-niert, und der Mathematiker und Physiker Hartmut Müller definiert „e“ als Eichmaß für Information. Schließlich können wir noch festhalten, daß be-reits in vorchristlicher Zeit in Mittel- und Nordeuropa „ ê “ soviel bedeutete wie Religion, und zwar im Sinn von „ewige Ordnung“ oder „ewig geltendes Gesetz“.

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Aufgeklärtes Bewußtsein der Beliebigkeit oder: Vom Faktischen zum Möglichen

Nun haben wir also das Tor zu unserem Garten entriegelt. Wir stehen auf der Schwelle und bevor wir in den Garten eintreten, wollen wir doch einen kurzen Blick zurück werfen. Was wir im Übergang zu der neuen Bewußtseinsstufe vor allem anderen sehen können, ist eine erneute Differenzierung des Zahlbegriffs: Logarith-men beschreiben Verhältnisse von Beziehungen untereinander. Zu dem statischen Begriff kommt der Fluß der Information. Durch die verweltlichte Zeit hat unser Dasein eine neue Dynamik gewonnen, die wir rechnerisch durch die Funktion erfassen. Die „ars combinatoria“ hat eine völlig neue Welt an Möglichkeiten eröffnet, deren bedenkenlose Anwendung allerdings zunehmend außer Kontrolle gerät.

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Das Motto scheint zu sein: machen was machbar ist. Alfred Anders sagt mit Recht, daß wir mehr herstellen, als wir uns vorstellen können. Wir verfügen über ein gewaltiges Wissen, mit dem wir einiges anstellen. Es fehlt an der nötigen Weisheit. Wenn kleine Kinder etwas anstellen, können wir das meistens wieder ohne Folgeschäden in Ordnung bringen. Wenn heute die großen Kinder etwas anstellen, sind die Folgen nicht mehr absehbar. Die Fiktion absoluter Genauigkeit, die exakte Berechenbarkeit von allem und jedem beflügelt uns in dem Wahn, alles unter Kontrolle zu haben, bestärkt uns in dem Glauben an einen ungebremsten Fortschritt. Mit der Trennung von Teil und Maß, entsprechend der Trennung von Ding und Beziehung, haben wir den Weg zur Klärung der tatsächlichen Ord-nungsverhältnisse beschritten. Es zeigt sich, daß es sich bei allen neuen Zahlenarten seit Fibonacci (0, Negative, reelle Dezimalbrüche) durchweg um Verhältnisse handelt. Und diese sind nicht fixierbar! Ein Grund, warum trotz unseres arroganten Draufloskonstruierens, unseres Verschwendungsdrangs in der Manier von Halbstarken, noch nicht alles zerstört ist, nicht alles völlig schief läuft, ist neben der hohen Toleranz-schwelle der Natur die Tatsache, daß wir in die meisten Rechnungen die Zahl „e“ miteinbeziehen. Allerdings geschieht das nicht aus dem o.g. Grund, sondern weil es sich in der Praxis bewährt hat. Hier wirkt das zu-künftige neue Bewußtsein in die Gegenwart hinein. Das derzeit vorherrschende, sogenannte aufgeklärte, Bewußtsein ist ein Bewußtsein der Beliebigkeit. Als solches stellt es den Gipfel der Überlage-rung dar. Weder nach dem ersten noch nach dem zweiten Schritt in der Bewußtseins-entwicklung, war für uns ein Mittelpunkt erkennbar. Und dennoch haben wir die Gewißheit nie verloren, daß ein solcher existiert. In Ermangelung eines offensichtlichen Punktes, haben wir „Gott“ an seine Stelle gesetzt.

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Heute, nach dem dritten Schritt stellen wir mit Nietzsche fest: „Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Gott ist tot. Gott bleibt tot!“ Wir brauchen „ihn“ nicht mehr. Mit der Proportion haben wir einen sichtbaren Mittelpunkt gewonnen. Was uns allerdings fehlt, ist ein entsprechendes Formbewußtsein. Mit der dreigliedrigen Gleichung haben wir die Einheit, das wesentliche der Proportion, begraben. Mit den irrationa-len Lösungen, in Form des Dezimalbruchs als der Weisheit letzter Schluß, haben wir kurz danach dem Verstand die Herrschaft in unserem fragwürdig gewordenen Bewußtsein überlassen.

Mit diesem einen Gesichtspunkt im Zentrum sind wir perspektivisch auf Fortschritt fixiert. In unserem primitiv-linearen Zeitverständnis hegen wir insgeheim immer noch die Fiktion der exakten Feststellung, die Hoffnung, das Unendliche schließlich doch noch dingfest machen zu können. Was not tut, ist die Anerkennung der Eigenzeit einer jeden Form. Das kleine kann das größere nicht steuern. Wir können unseren Rhythmus mit den Rhythmen des Anderen in eine gewisse Resonanz bringen. Schwingung ist Bewegung, braucht Raum. Daher muß der Punkt zur Fläche erweitert wer-den. Dies gelingt, wenn wir diese Figur, die pythagoräische Tetraktys (=Vierzahl) zur „Fünfzahl“ oder der Pentaktys erweitern.

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Integrales Bewußtsein - gequantelte Formen -

Unser Garten ist klein und unscheinbar. Geradeso wie das Tor. Das soll der Garten einer Königin sein? Die Königin ist die Mathesis und sie ist unsterb-lich. Sie regiert seit Urzeiten und wird weiter regieren, wenn es uns, die wir über sie nachdenken, längst nicht mehr gibt. Sie regiert mit dem intensiven Licht der Weisheit, nicht mit dem oberflächlichen Glanz einer Wissensfülle, einem Wissen, das immer ein Wissen über etwas ist. Glanz setzt einen Trä-ger voraus wie z.B. Gold. Wir sind heute gewöhnt an die Fülle, die große Zahl. Je mehr und größer, desto besser. Quantität ist der einzige Gesichtspunkt unter dem wir Zahlen noch zu sehen vermögen. Dieser Garten ist überschaubar, und ich habe dich hierher geführt, damit du ein Gefühl dafür bekommst, was Zahlen auch noch sein können. Wenn wir in ein Gewächshaus kommen oder auf eine Golfanlage, sind wir überwältigt von der schieren Menge, der Farbintensität, der Monotonie. Es gibt hier nicht viel Neues: wenn wir eine Tulpe gesehen haben, haben wir alle gesehen, wenn wir einen Grashalm gesehen haben, kennen wir den ganzen Platz. Mathematik ist die Sprache der Natur. Obwohl diese ungeheuer vielfältig ist, hat sie doch nur eine Fakultät. Wir haben seit Leibniz eifrig die Gram-matik dieser Sprache studiert, aber der Wortschatz ist doch ziemlich dürftig. Die Wörter der Mathematik sind die Zahlen. Nun könnte man meinen, daß der Wortschatz doch ungeheuer groß ist, ja ins Unendliche geht. Aber hier bemißt sich der Wortschatz nach der Fülle der Gesichtspunkte, die wir auf eine Zahl haben. Von einer Fülle an Gesichtspunkten kann aber heute keine Rede sein. Der Gesichtpunkt ist einer und der beschränkt sich eben auf die Quantität, angezeigt in Form der Dezimalzahl. Mit der Algebra haben wir eine Menge über die Grammatik dieser Sprache gelernt, ohne einen Gedanken an die Wörter zu verlieren. Die Zeichen der „characteristica universalis“ haben sich verselbständigt. Wir kennen alle Möglichkeiten der Verknüpfung von angeblich beliebigen Elementen. Und weil wir die Grammatik so gut erforscht haben, können wir jetzt nicht mehr nur im Buch der Natur lesen, sondern auch selbst in das Buch hineinschrei-ben. Die Wahrscheinlichkeit aber, daß wir eine Reihe sinnvoller Verknüp-fungen bilden, sprich: einen vernünftigen Satz zustande bringen, sinkt mit der Fülle der Möglichkeiten. Denn die Wahrscheinlichkeit eines Treffers verhält sich umgekehrt proportional zu den Möglichkeiten. Das kennt jeder

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von der Lotterie. Mehr Zahlen bedeuten mehr Kombinationsmöglichkeiten, und mehr mögliche Kombinationen bedeuten eine geringere Gewinnchance. Und da die Zeichen, sprich Zahlen und auch Begriffe, nicht mehr an ir-gendwelche Dinge gebunden sind, sind sie verschieblich geworden. Jeder gibt einem Wort die Bedeutung, die ihm gerade paßt. Rilke setzte diesen Umstand perfekt ins Bild, als er sagte: „Die Bedeutung hängt von den Wör-tern herab.“ Im Sprachbereich nennt man das Ideologie. Wer die Sprache (und die Kommunikationskanäle, sprich: die Medien) beherrscht, beherrscht die Menschen. Angesichts der Herrschaft der Beliebigkeit ist die Furcht vor dem Chaos zweifellos berechtigt. Doch die Tatsachen der Natur sprechen dagegen. In ihr gibt es keine Beliebigkeit. Sie nutzt alle Freiheiten und ist zugleich vol-ler Ordnung und Harmonie. Leibniz spricht von der besten der möglichen Welten, dank einer prästabilierten Harmonie. Nicht alles, was grammatika-lisch bzw. formal-rechnerisch möglich ist, wird realisiert. Auch wenn sich Leibniz bei der erstaunlichen Auswahlsicherheit der Natur auf das Extre-malprinzip bzw. das Infinitesimalprinzip beruft, so vermochte er damit doch nicht zu erklären, warum uns immer und überall ganz bestimmte Verhält-nisse bzw. Verschränkungen bevorzugt begegnen. Gottfried Wilhelm Leibniz hat die „ars combinatoria“ entwickelt, den Zei-chen Autonomie gegeben, und er hat mit seiner Monadenlehre Gott ins Innere verlegt. Leonard Euler war gerade neun Jahre alt, als Leibniz 1716 siebzigjährig starb. Euler war ein glühender Protestant und konnte mit dem Gärtnergott des aufgeklärten Leibniz nichts anfangen. So kam es, daß die Leibnizsche Gedankenwelt, die zu Zeiten Eulers von Christian Wolff vertre-ten wurde, von Euler vehement bekämpft wurde. Der Gegensatz spiegelte sich auch im Reich der Mathematik wieder. Euler war ein Zahlenmagier. Man sagt von ihm, daß er gerechnet habe, wie andere atmen. Euler brauchte keinen Taschenrechner, er war ein Taschenrechner – und zwar ein wissen-schaftlicher. Während sich also der eine bevorzugt der Grammatik der Na-tursprache gewidmet hat, ist der andere vollkommen im Wortschatz dieser Sprache aufgegangen. Was, nicht zuletzt durch die theologisch-philosophi-sche Gegnerschaft, nicht zustande kam, war die Verbindung von Arithmetik und Algebra. Dieser Zusammenhang wurde erst eine Generation später von Carl Friedrich Gauß, dieser war sechs Jahre alt, als Euler 1783 mit sieben-undsiebzig Jahren starb, systematisch in Angriff genommen. Dabei konnte er auf die reichhaltigen analytischen Untersuchungen Eulers zurückgreifen. Seine Theorie der Kreisteilung, 1801 in seinen „Disquisitiones aritmeticae“ veröffentlicht, war wegweisend.

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Die sich später daraus entwickelnde Theorie der Gruppen hat dann aller-dings den numerischen Aspekt wieder aus den Augen verloren. Sie führt die Zahlen als gewissermaßen willkürliche, aber doch besonders geeignete Beispiele von Gruppen an, weil darin alle Verknüpfungen so wunderschön funktionieren. Man gewinnt den Eindruck, daß die algebraischen Strukturen unabhängig von den Zahlen existieren, d.h. als autonomes Zeichenuniver-sum. Es gibt die Tendenz zur Flucht in bloß formale Gedankensysteme, in eine inhaltlich leere, wenn auch geistreiche mathematische Symbolik ohne jeglichen Bezug zur physikalischen Realität. Werden allerdings dann andere Objekte als die Zahlen herangezogen, so kommt man im Zug der Gruppen-operationen schließlich doch wieder auf die Ordnung der Zahlen zurück. Damit erweist sich, daß nicht nur die Arithmetik a priori ist (Kurt Gödel), sondern auch die Zahlen. Für einen Albrecht Dürer oder Agrippa von Nettesheim war die Zahl im 16. Jahrhundert noch bedeutungsvoll. Wer heute über die Qualitäten von Zahlen redet, wird tendenziell eher abschätzig als Numerologe (ab)qualifiziert. Tatsächlich können wir feststellen, daß die mit der „ars combinatoria“ ex-plizit gewordene Struktur im inneren Zusammenhang der natürlichen Zah-len gründet. Das ist die Antwort auf die paradox anmutende Aussage des gläubigen Albert Einstein: „Das ewig Unbegreifliche an der Welt ist ihre Begreiflichkeit.“ Wie sieht aber dieser innere Zusammenhang aus? Ein Zusammenhang ist eine Beziehung, wird hergestellt durch eine Relati-on, ein Verhältnis. Wir haben uns ja im Vorfeld bereits mit den verschiede-nen Arten der Verhältnisbildung befaßt und die Differenz als allereinfachste identifiziert. Es ist offensichtlich, daß wir mit einem rein additiven bzw. subtraktiven Zusammenhang den Naturerscheinungen nicht gerecht werden. Wir müssen uns also, gruppentheoretisch gesprochen, mit multiplikativen Verknüpfungen befassen. Das haben unsere Vorfahren auch schon ohne Gruppentheorie begriffen. Von jeher herausragende Verhältnisse waren die Verhältnisse zur Einheit. Hier sei an die Stammbrüche der Ägypter erinnert, aber auch an die Auflösung der vierteiligen Proportion in einen nichtssa-genden Dezimalbruch.

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I Harmonikale Verhältnisse Von besonderem Interesse ist hier, neben der Welt der Dinge, die Welt der Musik. Die für das Gehör gleichmäßig-additive, lineare Tonleiter entpuppt sich auf der messbaren physikalischen Ebene als ein multiplikativer Zu-sammenhang. Damit sind wir aber mitten in dem Problem, wo Ordnungen zueinander ins Verhältnis gesetzt werden müssen. Mit anderen Worten: in der Welt der Logarithmen. Wer auf der Tastatur eines Klaviers drei oder mehr Oktavtöne hintereinander spielt, der logarithmiert. Die Oktave be-zeichnet einen Tonschritt, ein sogenanntes Intervall, mit höchstmöglicher Resonanz. Physikalisch entspricht dem das denkbar einfachste Verhältnis: die Verdoppelung bzw. Halbierung der Saitenlänge oder der Luftsäule in einem Blasinstrument. In Zahlen ausgedrückt: 1/2 – der einfachste der Stammbrüche. Während sich die Reihe der Stammbrüche aus der Reihe der natürlichen Zahlen entwickelt und damit als Funktion die Hyperbel darstellt, entwickeln sich die harmonikalen Intervalle, wie wir sie aus der Musik als Tonleiter kennen, aus der jeweiligen Ergänzung zur Einheit (einmal als Bruch und einmal als Potenz geschrieben):

1 / 2 1 / 3 1 / 4 1 / 5 1 / 6 2-1 3-1 4-1 5-1 6-1 1 / 2 2 / 3 3 / 4 4 / 5 5 / 6 1x 2-1 2 x 3-1 3 x 4-1 4 x 5-1 5 x 6-1

Das ist es, was Pythagoras seinerzeit entdeckt hat, und was als Geburt der Wissenschaft gilt: er abstrahierte den in Zahlen faßbaren Zusammenhang zwischen Tonhöhe und der Länge einer schwingenden Saite. Das war sozu-sagen der Weg von der Qualität (des Hörens) zur Quantität (des messenden Experiments). Ernst Rasmussen meint, daß es doch auch einen Weg zurück geben müsse, von der Quantität zur Qualität. Aber hinter den Symmetrie-bruch der Neuzeit gibt es kein zurück, wir können uns nur das alte Wissen mit den neuen Mitteln auf unsere Art neu erobern. Dabei sind wir mit der nicht-lokalen Quantenphysik durchaus auf einem guten Weg. „Die Bedeu-tung der abstrakten Idee der Periodizität stand also am allerersten Anfang sowohl der Mathematik wie der europäischen Philosophie. ... Und nun, im zwanzigsten Jahrhundert, finden wir die Physiker weithin beschäftigt, die Periodizitäten der Atome zu analysieren.“ schreibt Alfred North Whitehead.

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Die Idee von der Schwingung als Schöpfungsimpuls reicht im Gedankengut der Menschheit weit zurück. Aus den Untersuchungen von Pythagoras ging nicht nur die Tetraktys hervor, sondern auch ein Schema, das er Chi nannte und das aus zwei Multiplikationstabellen gebildet wird: das Gamma mit den natürlichen Zahlen und das Lambdoma mit den rationalen Verhältnissen.

„Harmonik“ war im antiken Bildungskanon einer der vier Wege im Vier-weg, dem Quadrivium. Die antiken Mathematiker bezeugen dabei ein sehr

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tiefes Verständnis in Bezug auf Verhältnisse, also genau das, was uns heute zu fehlen scheint. Sie unterschieden bereits die drei auch uns bekannten Mittelwerte, nämlich das arithmetische, das geometrische und das harmoni-sche Mittel. So wußten sie, daß jeder Stammbruch das sogenannte „harmo-nische Mittel“ zwischen seinen beiden Nachbarn ist. Mit Hilfe der entspre-chenden Proportionsgleichungen (die einfachste und zugleich perfekteste im Hinblick auf die Harmonik, ist in der schon erwähnten pythagoräischen Tetraktys verschlüsselt) gelang es bereits den Babyloniern, recht gute Nähe-rungen für Quadratwurzeln zu ermitteln. Obwohl Pythagoras aufgrund der Reihung der musikalischen Intervalle mit dem Problem der Skalierung konfrontiert war und das Tongesetz kannte, ist er nicht bis zum Logarithmus vorgestoßen. Das hat zum einen damit zu tun, daß die Tonhöhe direkt von der Saitenlänge bzw. Höhe der Luftsäule, d.h. aber: einem linearen, eindimensionalen Medium abhängig ist und so den logarithmischen Effekt verdeckt. Zum anderen spielt der Quanteneffekt eine Rolle, d.h. daß in der Physik überhaupt nur rationale Teilungen als Töne hörbar sind und keineswegs an jedem x-beliebigen Punkt einer, als kontinu-ierlich gedachten, Strecke der Saite oder Luftsäule. 1619 hat Johannes Kepler mit seinem Buch über die „Weltharmonik“ das Wissen um die harmonikalen Verhältnisse kraftvoll erneuert. Diese Art der Weltbetrachtung führte ihn direkt zu den nach ihm benannten Planetenge-setzen. Genau 72 Jahre später, das entspricht einem Tag im Weltenjahr, wurde mithilfe analytischer Methoden das Geheimnis der Kettenlinie gelüf-tet. In moderner Schreibweise erkennen wir in der Formel eine Art Mittel-wert zweier Exponentialfunktionen zur Basis „e“. Horst von Hasselbach hat dann zum Ende 20. Jahrhunderts den „Pythagoras“ mit Hilfe der Kettenli-nienformel auf ein neues Niveau gehoben. Mit dem von ihm eingeführten Mittelwert der relativen Biharmonik zeigt er den direkten Zusammenhang zwischen pythagoräischem Dreieck und der Kettenlinie. Bereits in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhundert hat Hans Kayser, ausge-hend vom pythagoräischen Chi, seine Teiltonkoordinaten entwickelt, die im Einklang mit modernsten Forschungen die Harmonik als universales Gestal-tungsprinzip eindrucksvoll bestätigen. Kayser hat die einzelnen Werte auf die Null bezogen, wie oben dargestellt, und die entsprechenden logarithmi-schen Werte ermittelt. Die Tafel der Teiltonkoordinaten war dann für Arnold Keyserling die Vorlage für das Rad als numerologischem Schlüssel des analogen Denkens zur Weltweisheit.

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Die Verwendung des Wortes „harmonisch“ scheint mir in der Mathematik nicht besonders glücklich, ist Harmonie doch ein umgangssprachlicher und damit dehnbarer Begriff. Hans Kayser würde vielleicht sagen, er paßt zum temperierten Schlendrian. In Anlehnung an Kayser verwende ich im ma-thematisch-exakten Zusammenhang lieber das Wort „harmonikal“ und reserviere „harmonisch“ für den ungefähren-gefühlten Bereich. Dazu gehört zweifelsohne auch die Musik als ein elementares sinnliches Phänomen. Nicht selten wird Musik mit Harmonie in eins gesetzt, etwa so, wie man bei Räumen gleich an Architektur denkt. Aufgrund des archetypischen Charak-ters der Zahlen halten wir aber fest, daß Harmonik kein musikalisches Phä-nomen ist, vielmehr gilt umgekehrt: Musik ist ein harmonikales Phänomen. Bleiben wir noch einen Moment bei den sinnlichen Eindrücken: Während sich Schwingungszahlen oder Frequenzen vervielfachen und Wellenlängen entsprechend in Bruchteile zerlegt werden, hört unser Ohr eine gleichmäßig ansteigende Tonreihe. Es ist aber nicht nur unser Ohr, es sind alle unsere Sinne logarithmisch organisiert. D.h. unser Gehirn, genauer unsere Sinne, rechnen die physikalischen Eindrücke unserer Empfangsorgane, den Golfen unserer Sinne, automatisch in Verhältnisse um. Das sind aber, mathematisch gesehen, nichts anderes als Logarithmen. Die Logarithmische Gerade ist der Vermittler zwischen der ordnenden, verhältnisbildenden Instanz und den quantitativen, physikalisch messbaren Erscheinungen. Es geht immer weniger darum, wie im Anfang der Experimentalphysik, ein Ganzes in Bezug auf seine Umgebung zu messen. Vielmehr befassen sich die Wissenschaften heute zunehmend mit den Verhältnissen innerhalb eines Ganzen, insbesondere lebendiger Ganzheiten. Was wir als Gestalt wahr-nehmen, verdankt sich immer einem Informationsprozess, der, einmal initi-iert, fortlaufend die Form, die unveränderliche Seele einer äußerlich sich kontinuierlich wandelnden Gestalt generiert. Der Informationsprozess stellt den Bezug zum Ordner her. Dies gelingt aber nur, wenn das Ganze im Be-ginn seiner Existenz auf der physikalischen Geraden verortet, geeicht wird. D.h. der Nullpunkt der logarithmischen Geraden wird auf die Einheit, die Eins der Größengeraden eingestellt (e0 = 1). Der Nullpunkt der logarithmi-schen Geraden stellt für mich als Mensch, aber jeweils auch für jede andere Gestalt, die Identität dar, diejenige Mitte, aus der sich diese Gestalt bewährt. Der entsprechende Punkt auf der Zahlgeraden der Größen, der physikali-schen Meßwerte, die Eins, das ist die von anderen wahrgenommene Gestalt in ihrer Einheit. In dieser Unterscheidung von Identität und Einheit haben wir also die tatsächliche Bedeutung der Null, die zu Beginn des 13. Jahr-hunderts nach Europa kam: sie macht den ordnenden Hintergrund, auf dem

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Dinge überhaupt nur existieren können, zunächst durchsichtig und, je mehr wir in dieser Weisheit zuhause sind, auch für jeden Einzelnen erfahrbar. Im Zentrum eines jeglichen Ordnungszusammenhangs steht „e“. „e“ ist der Ordner letzter Instanz. Was hat aber nun diese Zahl „e“, dieses dezimale Ungetüm 2,718281828459...... mit dem inneren Zusammenhang der natür-lichen Zahlen zu tun? Eine Zahl, die kein Ende hat, nicht periodisch ist und außerdem noch transzendent. Wie die Kreiszahl „π“ erscheint auch „e“ den meisten Menschen, und insbesondere den Wissenschaftlern, ohne innere Regelhaftigkeit. Chaotische Irrationalität scheint sogar ein unverzichtbares Merkmal der Transzendenz zu sein. Wir haben bereits früher erfahren, daß das Wesen der Zahlen, und das ist vor allem ihre Teilbarkeitsstruktur, in der dezimalen Darstellung aufgrund ihres Basisbezugs deformiert und völlig verschleiert wird. Das gilt natürlich auch für die Zahl „e“. Hier kommt nun erneut Leonard Euler ins Spiel, der große Mathematiker, der dieser fundamentalen Zahl ihren Namen gab. Bereits im 16. Jahrhundert, also während sich die Dezimalrechnung entwik-kelte, haben einige Mathematiker daneben noch eine andere Form der Zahl-darstellung verwendet, den sogenannten Kettenbruch. Leonard Euler hat dann, mit seinem Gespür für Zahlen und ihre Strukturen, die dafür gültigen Rechenregeln systematisch entwickelt. Doch nicht nur das: er hat auch gleich für einige irrationale Zahlen deren Kettenbrüche angegeben. Im Zug der praktischen Verwendung spielten die Kettenbrüche dann allerdings bis ins 20. Jahrhundert hinein so gut wie keine Rolle.

Für die Darstellung von Zahlen in Form von Kettenbrüchen sind folgende Merkmale von Belang:

• sämtliche Werte des Zahlenkontinuums sind als Kettenbrüche darstellbar

• alle Elemente eines Kettenbruchs sind ausnahmslos natürliche Zahlen

• alle natürlichen Zahlen sind aus Primzahlen konstruierbar

• die Kettenbruchdarstellung einer Zahl ist, im Gegensatz zur Dezimaldarstellung, nicht an eine "Basis" gebunden

• rationale Zahlen liefern endliche Kettenbrüche – arationale Zah-len liefern unendliche Kettenbrüche

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• die Kettenbruchentwicklung quadratischer Arationalzahlen ist periodisch

• sind alle Teilnenner eines regelmäßigen Kettebruchs identisch, handelt es sich um einen reinperiodischen Kettenbruch

• die interne Struktur eines Kettenbruchs ist fraktal

• Kettenbrüche sind die kürzesten Zahldarstellungen bei bestmög-licher Näherung

Der geniale Euler hat für „e“ gleich mehrere verschiedene Kettenbrüche angegeben. Einer dieser Kettenbrüche entfaltet die ganze Erhabenheit dieses Ordners aller Ordner und zeigt zugleich glasklar den Rang der Harmonik im Weltenbau. Gleich am Anfang begegnen wir also der spektakulärsten Blu-me in unserem Garten, der Zahl „e“ in Kettenbruchdarstellung.

Kannst du die gestufte Reihe der harmonikalen Intervalle erkennen, die sich wie eine Kaskade an die 2 anhängt?

II Rhythmische Verhältnisse Die Kettenbruchdarstellung von „e“ belegt aufs schönste die Aussage von Rudolf Stössel, „daß zum harmonikalen Zusammenklang unserer Welt gemäß [Pythagoras und] Kepler nicht nur die kleinen ganzen Zahlen und ihre Proportionen gehören, sondern auch die irrationalen und die transzen-denten Zahlen“. Wir wissen inzwischen aufgrund der Trennung der Ver-hältnisgeraden von der Größengeraden, daß es sich tatsächlich um arationa-le Zahlen handelt. Hier sind wir exakt an dem Punkt, wo wir mit den natür-

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lichen Logarithmen, über das altehrwürdige Wissen hinaus, eine tiefere Einsicht in das Gefüge der Ordnungen erhalten haben. Unser Universum ist eine Anwendung dieser Prinzipien, und dieses Wissen, weise angewandt, erlaubt es uns, selbst in das Buch der Natur zu schreiben, macht uns Men-schen zu wirklich schöpferischen Wesen. Wie wir eben schon gehört haben, wird jede Gestalt durch den ihr eigenen Informationsprozess in Form gehalten. Es handelt sich um komplexe Schwingungsmuster, fortlaufend sich durchdringende und wechselwirkende Wirbel. Das zentrale Instrument zur Berechnung der solchermaßen kreis-förmig bzw. hyperbolisch bewirkten Verschränkungen ist die Trigonomet-rie, also die Lehre von der Dreiecksmessung. Analytisch können wir solche Drehungen als wellenförmige Sinus- und Kosinusfunktionen darstellen. Wenn das schon immer gewußt wurde (Mathesis = das immer schon Ge-wußte), stellt sich mir die Frage, ob die berühmte epochale Erfindung des Rades wirklich so großartig war und uns Nachfahren tatsächlich über die radlosen Kulturen erhebt oder aber, ob die tatsächliche oder vermeintliche Primitivität der Vorfahren seinen Grund nicht in der Heiligkeit des Rades als einem Symbol des Lebenswirbels hatte, das mit dieser Erfindung profa-niert wurde. Hat sich der Mensch möglicherweise mit dem physischen Rad die innere Lebensenergie verfügbar gemacht, so wie wir vor 700 Jahren mit dem Uhrwerk die äußere Zeit vom Himmel geholt haben? – und dabei den Rhythmus verloren haben? Womöglich wird das Rad mit der neuzeitlichen Mathematik, genauer mit der Einführung der komplexen Zahlenebene, wieder an den ihm gebühren-den Platz befördert. Der geometrischen Interpretation um 1800 ging die Einsicht Leonard Eulers voraus, daß die imaginäre Einheit zwischen Kreis und Hyperbel einen Zusammenhang herzustellen vermag. Eine Multiplika-tion mit der imaginären Einheit, von der wir ja wissen, daß sie eine komple-xe Verschränkung repräsentiert, bedeutet geometrisch eine Drehstreckung. Der Physik dient „i“ spätestens seit Einsteins Relativitätstheorie als Zeitko-ordinate und in der Elektrotechnik zur Darstellung periodischer Schwingun-gen. In Burkhard Heims Feldtheorie in Bezug auf die Elementarstrukturen der Materie repräsentiert „i“ die Dimensionen „oberhalb“ der dreidimensio-nalen Welt unserer Wahrnehmung. In der Schule werden bei der Berech-nung von quadratischen Wurzelausdrücken die imaginären Lösungen im Allgemeinen als irrelevant verworfen. Letzten Endes wird sich aber wohl herausstellen, daß „i“ die Rückkopplung des Daseins an die Totalität des Universums, den energetisch-informatorischen Spiegel des Seienden dar-stellt. Die lineare Zeit der frühen Nominalisten kommt mehr und mehr in

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Bewegung. Ein Indiz ist der Kozyrev-Spiegel, mit dem wir zukünftige Ma-nifestationen in der Gegenwart beobachten können. Einen weiteren wissen-schaftlich fundierten Hinweis gibt der Chemiker Klaus Volkamer, der wohl erstmalig „negative Massen“ nachgewiesen hat. Das aber bedeutet, daß wir über ein zusätzliches Instrument verfügen, um Verschränkungen mit Di-mensionen nachzuweisen, die wir mit dem überkommenen Bewußtsein nicht wahrzunehmen vermögen. Die imaginäre Einheit „i“ vermittelt dem-nach den lebenserhaltenden und identitätsstiftenden Informationsprozess, mathematisch nachvollziehbar anhand der senkrecht aufeinanderstehenden (hyperbolischen) Sinus- und Kosinusfunktionen. Bei der Gelegenheit sei noch einmal an die Hyperpythagoräik von Horst von Hasselbach erinnert. Information gewährleistet die Form, das Wesen einer Gestalt. Ablesbar ist diese Form am Verhältnis der inneren Relationen, der Vermaschung unter-schiedlichster Fäden. Das Verhältnis von Verhältnissen wird aber, wie wir gesehen haben, in Logarithmen ausgedrückt und Logarithmus bedeutet die zahlenmäßige Erfassung eines Verhältnisses. Wir hatten bereits davon gesprochen, daß sich das Wesen einer Zahl in ihrer Teilbarkeitsstruktur ausdrückt. Das ist aber nichts andres als ihr spezifisches Verhältnis zur Einheit, der Eins. Wir können das auch als ihr spezifisches Frequenzmuster betrachten, ihren unverwechselbaren Fingerabdruck. Was ist unter einem solchen spezifischen Verhältnis zu verstehen? Im Fall der arationalen Zahlen, die ja sowohl Wurzeln als auch Logarithmen sein können, kommt dieses Verhältnis im Kettenbruch zum Ausdruck. Der Kettenbruch offenbart einen mehr oder weniger ausgeprägten Rhythmus und ist erkennbar anhand

• der Anzahl unterschiedlicher Zahlen, • deren spezifischen Reihenfolge und • der Periodenlänge einer solchen Reihe.

Je kleiner die auftretenden Zahlen, je weniger unterschiedliche Zahlen und je kürzer die Reihe einer Periode, desto höher die Stabilität und damit auch die Attraktorwirkung des so repräsentierten Verhältnisses. Je „tiefer“ wir in einem Kettenbruch „hinabsteigen“, desto feiner die Faser einer solchen Masche. Ein solches oder ein ähnliches Bild mag G.W.Leibniz im Sinn gehabt haben, als er sinngemäß davon sprach, daß wenn man das unbegrenzte Universum in immer kleiner Elemente, die Ge-

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samtenergie in immer kleinere Quanten, das weltbreite Geschehen in immer dünnere Fäden des individuellen Wirkens sondert, man zu immer minimale-ren Welten gelangt, die dem Makrokosmos immer gleichartiger werden. Und ganz am Ende, wo das unendlich Kleine und das unendlich Große sich berühren, erleben wir dann den Grenzfall, den Durchgang durch das Eigent-liche. Im Fall der natürlichen Zahlen ist das eindeutige Verhältnis zur Einheit mit ihrer Zerlegung in Primfaktoren gegeben. Für Hartmut Müller ist das über der Zahlengeraden aufgebaute Fraktal der Primfaktoren, das sich logarith-misch verkürzt als stehende Welle präsentiert, das Grundfraktal der Arith-metik, und damit der Mathematik schlechthin. Ob nun Kettenbruch oder Faktorzerlegung, für den Rang, den eine Zahl in der Gewährleistung von Verschränkungen der Verhältnisse hat, ist das Bildungsgesetz entsprechend der o.g. Kriterien buchstäblich maß-gebend. Die individuelle Ordnung der Relationen ist als Muster auch so etwas wie das Gedächtnis und präsentiert sich uns mathematisch als ein gequanteltes Fraktal, aufgebaut aus ganzen Zahlen. Der zu Zeiten Heraklits so genannte Logos, die innere Ordnung des Kosmos, begegnet uns heute wieder als Logarithmus – vielleicht besser: als Logarhythmus. Wenn wir o.g. Kriterien für die Attraktivität eines Verhältnisses in Anschlag bringen, dann ist es nicht mehr verwunderlich, daß die einfachsten Polygo-ne, wie sie mit der regelmäßigen Kreisteilung entstehen, seit jeher von so großer Bedeutung waren und es selbstverständlich auch immer sein werden. Im folgenden präsentieren wir die Kettenbrüche für die Verhältnisse der Seitenlängen zu den Umkreisradien

• im gleichseitigen Dreieck (√ 3)

• im Quadrat (√ 2)

• im Pentagon ( zunächst φ , der goldene Schnitt)

• das Radiusverhältnis ist eine Variation des goldenen Schnitts ( √(φ²+1); eine erste Näherung) )

• im (Halb)Kreis ( π ).

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III Maßgebende Verhältnisse

Wer den Faden ausgespannt weiß, Dem die Wesen sind angewebt, Ja, wer des Fadens Faden kennt, Der weiß die große Brahmankraft.

Diese Zeilen können wir dem Atharvaveda entnehmen. Haben die Weisen Indiens „e“ gekannt? „e“ ist der Polarstern über dem ewig bewegten Meer der Verhältnisse. Alles Tun ohne „e“ ist orientierungslos. Ich habe eingangs schon gesagt, daß es darum geht, den Faden selbst völlig neu zu spinnen. Aber solange wir nur Wissen haben ohne Weisheit, bleibt unsere Lage pre-kär.

Es zittert dieses Leben um sein Gleichgewicht Wie Wasser am Rand des Lotusblattes. Der Weise aber kann uns augenblicklich Die Brücke zeigen über dies Meer des Wandels.

Wie kann ein zehnjähriger Junge so etwas schreiben? Woher kommen seine Einsichten? Sie sind Teil eines längeren Gedichts, das Shankara etwa im Jahr 700 schrieb. Er kannte wohl des Fadens Faden. Jedes Wesen ist das Geschöpf einer unbeirrbaren Himmelsmathematik und der gesamte Kosmos ist Maß und Zahl. Wenn in der Bibel im Buch der Weisheit steht: „Doch alles hast du nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet.“, dann ist auch hier die Trennung von Maß und Zahl ernst zu nehmen, so wie wir die Zahlgerade nach Größen und Verhältnissen unterschieden haben. In jeder Weisheitsleh-re und in jeder Religion geht es um die weisheitsvolle Ordnung.

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Diese entsteht im beharrlichen Gerichtetsein auf das je gestaltbestimmende Eine. Wir haben bereits früher gesehen, wie während der Renaissance die Ablösung vom Ding im Abendland zugleich den Verlust des Maßes mit sich brachte. Das aber ist in letzter Konsequenz gleichbedeutend mit geistiger Zeugungsunfähigkeit. „Maßnehmen“ steht in der Bibel, ähnlich wie „erken-nen“, für zeugen. Hugo Kükelhaus spricht die Wahrheit, wenn er sagt: „Nur wenn der Mensch die Einheiten, die dem Leben das Maß geben, klar im anschauenden Geiste trägt, kann er richtig urteilen und handeln. Ohne sie kann er keine Ordnung stiften.“ Zunächst einmal stellen wir fest, daß die „Ablösung vom Ding“ nicht gleichbedeutend sein muß mit der “Ablösung von Ordnung“. Die Relatio-nen, die mit dem Funktionsdenken in den Mittelpunkt gerückt sind, gehor-chen selbst einer Ordnung, wie sie in den natürlichen Zahlen beschlossen ist. Zahlen sind Quanten, zählen ist quanteln. Irgendeine Kardinalzahl um-faßt in sich die gesamte Entwicklung bis zu sich selbst, sie ist sozusagen ihr eigenes Gedächtnis. Ihre Individualität ist ablesbar in ihren Primfaktoren. Ist sie selbst Primzahl, eröffnet sich mit ihr aufgrund ihrer unmittelbaren Verbindung mit der Einheit, musikalisch gesprochen, ein neues Oberton-spektrum, sprießt ein neuer Zweig am Zahlenbaum, wird eine neue Familie begründet, entwickelt sich ein weiteres eigenständiges Ordnungsgefüge. Aber auch in diesem sind die maß-gebenden Verhältnisse der Schlüssel zur Ordnung. Maß-gebende Verhältnisse aber sind Resonanzen. Bestimmte Zahlverhält-nisse sind ursächlich für das, was uns gefällt, womit wir als Per-son in Re-son-anz gehen oder umgekehrt: was uns mißfällt, worauf wir mit Anti-pathie reagieren. In Resonanz gehen heißt „mitschwingen“. „per-sonare“ meint ursprünglich im Theater „durch die Maske sprechen“. Es bedeutet aber auch, etwas zum erklingen bringen oder eben, daß sich ein Mensch mit dem Kosmos im Einklang befindet. Die größtmögliche Resonanz ist mathematisch gegeben mit rationalen Zah-len, die sich aus den kleinstmöglichen Zahlen zusammensetzen. Für hoch-gradig komplexe, tief gegliederte und reich eingefaltete Systeme ist der Zwang zur präzisen Abstimmung der Teile untereinander und auf das Ganze unabdingbar. In dem Maß, wie wir die Gliederung verfeinern und die Kom-plexität erhöhen, muß der Rhythmus, der alles zusammenhält, präzisiert und entsprechend eingehalten werden. Die Frequenzmuster verschiedener Ord-nungen, die in einem umfassenden Ganzen zusammenwirken sollen, müssen in jedem Moment präzise aufeinander abgestimmt sein. Über 100.000 feh-

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lerlose, aufeinander abgestimmte Reaktionen innerhalb einer einzigen Zelle pro Sekunde, und das mit einem Höchstmaß an Energieeffizienz, ist ohne dieses Höchstmaß an Abstimmung oder Kohärenz nicht möglich. Nichts was in der Natur Bestand haben will – und wer oder was will das nicht, – kann es sich auf Dauer erlauben, die maßgeblichen Verhältnisse zu ignorie-ren, geschweige denn sich gegen diese zu verhalten. Symmetriebrechung ist Verfeinerung der Gliederung, Erhöhung des Ordnungs- und Energieniveaus. Sie bedeutet aber auch erhöhte Fragilität, die nur durch eine präzisere und, entsprechend der exponentiell vervielfachten Verschränkungen, erfinderi-sche Organisation ausgeglichen werden kann. In diesem Sinn nehmen bestimmten Zahlen als ausgezeichnete Verhältnisse eine Sonderrolle ein. Ich nenne diese Zahlen Protozahlen. Protozahlen sind demnach in sich stabile Ganzheiten mit hoher Resonanzgüte. Wir nehmen sie in Form natürlicher Zahlen unmittelbar als abzählbare Einheiten wahr, oder aber als Glieder einer Primfaktorzerlegung oder eines Kettebruchs. Das Maß wiedergewinnen auf der Höhe der Zeit, unserer Zeit, bedeutet, daß wir lernen, Zahlen anhand ihrer Resonanzgüte zu unterscheiden. Von daher gewinnt Leibniz’ Wort von der prästabilierten Harmonie seinen Gehalt. Resonanzgüte bedeutet hier nicht die Fähigkeit, mit möglichst vielen ande-ren Verhältnissen in Resonanz gehen zu können. Oftmals ist ja gerade das gar nicht wünschenswert. Gemeint ist vielmehr, daß ein spezifisches Ver-hältnis in sich hochgradig stabil und damit, aufgrund seiner Attraktorwir-kung, in der Lage ist, ein umfassendes Ganzes zu integrieren und zusam-menzuhalten. Damit ist zugleich ein Hinweis gegeben, daß Form und damit Verhältnisse maßgeblich sind für das Energiepotential einer Gestalt. Wenn wir uns in Bezug auf Resonanzverhalten unter den ausgezeichneten Verhältnissen die Extreme aussuchen, haben wir am einen Ende das Oktav-verhältnis 1/2 und am anderen Ende den goldenen Schnitt, die Zahl „φ“. Das Oktavverhältnis repräsentiert das rationalste aller Verhältnisse und „φ“ das arationalste. Resonanz bedeutet immer auch Beeinflussung – das kann sein zum Guten, also gewollt oder zum Schaden, was eher nicht gewollt ist. Daher finden wir das Verhältnis des goldenen Schnitts überall dort, wo sich eine Ordnung möglichst ungestört und damit unbeeinflußt von anderen Ordnungen entwickeln will. Das gilt im Makrokosmos der Planetenbahnen ebenso, wie im Mikrokosmos der Organismen. Dan Winter widmet sich diesem für das Leben offenbar fundamentalen Verhältnis intensiv. Seine Untersuchungen führten auf allen möglichen Gebieten zu bemerkenswerten

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Ergebnissen, so im Bereich der Herzfrequenzmuster, der Gravitation oder der Entstehung der Farben. Der Wert des goldenen Schnitts kann außer als Kettenbruch auch durch eine Reihe einfacher rationaler Verhältnisse angenähert werden, die sogenannte Fibonacci-Reihe. Fibonacci hat zwar die 1 im Fundament verschwinden lassen, hat sie aber andererseits indirekt im Kettenbruch von „φ“ wieder gerettet. Ganz am Anfang der Reihe sind die Glieder mit den einfachsten musikalischen Intervallen identisch, u.a. erscheint auch der Wert 2/3. Das ist das nächste Intervall nach der Oktave und in der Musik als Quinte be-kannt. Unter dem Titel „alogoi“ habe ich schon die Eigenart der Ägypter erwähnt, alle Maße als Summen von Stammbrüchen zu notieren - mit Ausnahme des Wertes 2/3. Ein Grund für die herausragende Stellung, den wohl auch die Ägypter kannten, ist der, daß 2/3 einerseits noch eine hohe Konsonanz lie-fert und andererseits mit sehr kleinen Zahlwerten recht nahe an das Ideal größtmöglicher Arationalität kommt. Das Oktavintervall 1/2 hat in seiner Doppeleigenschaft, als erster Stammbruch und zugleich als erstes harmoni-kales Intervall, einen vollkommen statischen Charakter. Die Quinte bedeutet hingegen Ungleichgewicht - und das ist die Voraussetzung für Bewegung und damit auch Entwicklung und Lebendigkeit. Kurt Schneider zeigt, daß sich diese Ausnahmestellung des Quint-Intervalls, nämlich ein hoher Grad an Konsonanz und gleichzeitig größtmögliche Arationalität, auch in den Winkelbeziehungen der Raumwinkel der beiden fünfzähligen platonischen Körper, dem Zwölf- und Zwanzigflächer, nieder-schlägt. Erkennbar wird das allerdings nur, wenn die Sinuswerte nicht de-zimal, sondern als Brüche und deren Wurzeln angeschrieben werden. Die Resonanz von Relationen, die im Exponenten der Quadratwurzel angezeigt ist, wird in diesem Fall elegant dadurch verschleiert, daß der Radikand, nämlich 4/9, aus den beiden kleinsten Quadratzahlen besteht und damit einfach in 2/3 aufgelöste werden kann. Qualität, Gestalt und Ganzheit haben mit dem Logarithmus und der Ketten-bruchdarstellung eine erneuerte mathematische Grundlage erhalten. Sym-metrie, Harmonie und Rhythmus nehmen, nach der fast vergessenen „heili-gen Geometrie“ und den einfachen Proportionen, wieder ihren angestamm-ten Platz ein und zwar energischer als je zuvor. Bevor wir uns mit den Spu-ren dieser Entwicklung befassen, wollen wir uns am Ende unseres kurzen Spaziergangs noch die neue Ordnung der Zahlen unter Berücksichtigung der Protozahlen betrachten.

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Zahlgesamtheit Protozahlen

Dezimalzahl Kettenbruch

diskret N natürlich P prim konsonant

↓ R rational (Q) H harmonikal ↑

stetig A arational (R) E eminent dissonant

Die beiden äußeren Spalten der Tabelle geben Tendenzen an, die an die jeweilige Darstellungsart anknüpfen. Wir setzen hier voraus, daß der her-kömmliche Zahlenstrahl entsprechend dem vorausgegangenen Schlüssel aufgeteilt ist in Größen und Verhältnisse. Auf der Gerade der Größen gibt es ausschließlich positive Werte. Diese sind entweder ganze natürliche Zahlen (N) oder aber echte Brüche, also rein rationale Zahlen (R) oder (zwischen den natürlichen Zahlen) unechte bzw. aus N + R zusammengesetzte Brüche. Es handelt sich also um die bekannte Gerade der abzählbaren, diskreten Zahlen, die punkthaft und überall dicht diese Gerade belegen, die in 1, der Einheit, ihr Zentrum hat. Die Protozahlen auf dieser Geraden sind die Bausteine der Arithmetik: zum einen die Primzahlen und deren Stammbrüche (P) und zum andern die harmonikalen Verhältnisse mit ihren Kehrwerten (H), wie sie aus der Har-monielehre bekannt sind. Bei der Geraden der Verhältnisse handelt es sich um eine stetige Linie, wo wir ausschließlich oszillierende Grenzwerte, die Frequenzmuster unendli-cher Informationsprozesse vorfinden, die arationalen Zahlen (A). Die Protozahlen dieser Geraden, die hier, ebenso wie auf der Größen-geraden, als Untermenge der Gesamtmenge anzusehen sind, nenne ich die eminenten Zahlen (E). Dazu gehören die beiden transzendenten Zahlen „e“ und „π“ ebenso, wie der goldene Schnitt und die Quadratwurzeln aus den Elementarzahlen 2 und 3. Es wird interessant sein zu beobachten, welche weiteren Zahlen, die bislang als Dezimalbruch ein unscheinbares Dasein fristen, sich in die Reihe der eminenten Zahlen einordnen werden. Da es sich bei den arationalen Zahlen durchweg um Verhältnisse von Ver-hältnissen handelt, können hier, in Anlehnung an den Vorschlag von Gauß, direkte (+) und inverse (-) Verhältnisse unterschieden werden. Das Zentrum der Verhältnisgeraden bildet die Identität, also das 0-Verhältnis.

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Transluzenz des Kristalls - Spuren der Befreiung -

Der Impuls, der den Übergang auf eine neue Stufe des Bewußtseins einge-leitet hat, zielte ab auf die Durchlichtung der Materie, auf die sich ihrer selbst bewußt werdenden Form. Das Thema wurde paradigmatisch verwirk-licht im Bau der gotischen Kathedralen zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Bereits 200 Jahre zuvor dokumentiert Alhazen in Baghdad die optischen Gesetze, beschreibt gläserne Linsen und baut Parabolspiegel. Nun ist das aber in seinen Anfängen nichts anderes als die Wiederentdeckung eines Wissens, über das, nach Robert Temple, bereits die Ägypter verfügt haben. Was haben die Menschen der Renaissance daraus gemacht? Auch hier kön-nen wir Überlagerungseffekte erkennen. Während das Sehen noch im aus-gehenden Mittelalter als seelisch-geistige Erfahrung erlebt wurde und man davon ausging, daß das Auge als Seelenlicht aktiv einen Sehstrahl aussen-det, setzte sich im Zug der Renaissance mit zunehmendem Selbstbewußsein mehr und mehr die Überzeugung durch, wonach das Sehen ein mechanisch-optischer Vorgang ist und das Auge lediglich als passiver Empfänger dient. Das Auge wählt zwar durch Fokussierung aus, ist aber als technisches In-strument beschreibbar. Daraus entwickelte sich die Vorstellung der „camera obscura“ und schließlich unsere Fotokamera. Nachdem man gelernt hatte durchsichtiges Glas herzustellen und zu schlei-fen, erfand Galilei zu Beginn des 17. Jahrhunderts das Fernglas und Johan-nes Kepler konstruierte das erste astronomische Fernrohr. Das Tor in die Weiten des Weltraums, in dem neuerdings die Erde nur noch eine Kugel unter anderen ist, war geöffnet. Immanuel Kant rückte mit seiner Transzen-dentalphilosophie der überholten Metaphysik zu Leibe und die totale Frei-heit für alle Menschen rückte in greifbare Nähe. Mit der Vorstellung einer absoluten, linear abspulenden Zeit entwickelte sich ein Fortschrittsdenken, dessen Bestreben drauf gerichtet ist, das Gehäu-se, das sich die Menschen gedanklich gebaut haben und die Erde, an die sie durch die Schwerkraft gebunden sind, zu verlassen, deren Grenzen zu trans-zendieren, zu übersteigen. Bislang hat allerdings jeglicher räumliche und zeitliche Ausgriff nur dazu geführt, daß das Korsett, in das wir uns mit unserem Verstand gezwängt haben, und aus dem wir eigentlich heraus wol-len, einfach immer mitgewachsen ist und gleichzeitig für den Einzelnen immer bedrohlicher wurde. Wir haben die Welt mit Hilfe unseres Begriffs-vermögens fein säuberlich in die unterschiedlichsten Fakultäten aufgeteilt,

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so daß jeder Gedanke an einen Zusammenhang in immer weitere Ferne rückt. Die Geisteswissenschaften sind von den Naturwissenschaften weiter entfernt, als Pluto von der Sonne. Aus der Hoffnung auf eine Befreiung wurde zunehmend der Alptraum eines unüberschaubaren, chaotischen Ap-parates, der uns heute nicht nur geistig, sondern zunehmend auch physisch die Luft zum Atmen nimmt. Mit dem Beginn des Wassermannzeitalters setzte eine Wende ein. Wir ge-langen langsam, aber zunehmend schneller, zur Einsicht, daß wir uns als Menschen nur weiterentwickeln können, wenn wir uns auf unser Skelett besinnen. Der Kettenbruch ist in seiner Struktur ein gutes Symbol für diese Entwicklung. Der Mensch verdankt seinen aufrechten Gang und seine Sprachfähigkeit ja nicht zuletzt eben dem Umstand, daß er nicht, wie die gepanzerten Insekten, in einer Kapsel lebt, sondern sich dank der Skelett-bauweise außerdem verhältnismäßig rasch an unterschiedlichste Verände-rungen anpassen kann. Übertragen auf den geistigen Bereich bedeutet ein solcher Sinneswandel die Fokussierung auf die eigene Mitte, anstatt auf irgendwelche äußeren Chimären. Im Bereich der Wissenschaften haben wir bei Leibniz den Umschwung vom Uhrmachergott zum Gärtnergott gesehen. Goethe konnte später schreiben:

Was wär´ ein Gott, der nur von außen stieße, Im Kreis das All am Finger laufen ließe! Ihm ziemts die Welt im Innen zu bewegen, Natur in sich, sich in Natur zu hegen, So daß, was in ihm webt und lebt und ist, Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.

Und sein Zeitgenosse Georg Christoph Lichtenberg weist darauf hin, daß man „nicht allein Dinge aus der Körperwelt transzendent machen“ kann, „sondern auch Dinge aus der Geisterwelt retroszendent auf die Körperwelt zurück.“ Das Projekt der Durchlichtung der Materie, das heißt auch von uns selbst, kann nur gelingen, wenn wir uns unserer Mitte zuwenden. Es geht darum, zum einen unsere eigene Mitte zu bestimmen und zum ande-ren, die Dinge aus ihrer jeweils eigenen Mitte wahrzunehmen. Wir erinnern uns dabei an den ZEN-Meister und an Kleists „Marionettentheater“. Mit den heute verfügbaren Mitteln sind wir zu schöpferischen Wesen geworden. Allerdings werden wir niemals zu einer gelungenen Gestaltung kommen, wenn dieser nicht ein Entwurf zugrundeliegt, in dem der Punkt der Translu-zenz, der Kristallisationspunkt, klar bestimmt ist. Wo uns die erweiterte

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Freiheit durch die zeichengebundene Logik eine neue Dimension erschließt, nämlich die Freiheit des ausgreifenden Entwurfs, dort ist als Gegengewicht ein fundierter Begriff von den maßgebenden Verhältnissen als Verankerung notwendig. Wir beobachten einen Wandel der Metaphern zum Aufbau des Kosmos vom Stufenbau des Mittelalters über das Uhrwerk der klassischen Mechanik hin zum Regelkreis der Kybernetiker. Was sich durch alle diese Vorstellungen zieht, ist die Vorstellung der äußeren Kontrolle aus dem einen subjektiven, alles überschauenden Gesichtpunkt. Warum nicht die Welt als Hologramm? Aus verschiedenen Blickwinkeln nehmen wir das immer Gleiche unter-schiedlich wahr. Die absolute Zeit, im Koordinatensystem aufgetragen als fortlaufende getaktete Partikel, hat mit der Wirklichkeit des Lebens recht wenig zu tun. Das Leben eines jeden Wesens verläuft vielmehr im nicht-linearen Rhythmus der jeweiligen Eigenzeit. Der amerikanische Seher Edgar Cayce schrieb in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts: „Jedes Modell enthält von Natur aus seinen eigenen Entwurf zu wachsen und sich zu entwickeln, der dem Klang eines bestimmten Tones entspricht.“ und der Architekt Louis Kahn entwickelte seine Entwürfe aus der Einsicht: “Das Wesentliche einer Sache ist ihr Wunsch, zu sich selbst zu kommen.“ Immer geht es um die Mitte, den springenden Punkt maximaler Resonanz, die Identität, die auf der logarithmischen Geraden der Verhältnisse durch die Null markiert ist. Sie ist es, an die die fortwährend sich wandelnde Ge-stalt über den Prozess der Information rückgekoppelt ist und sich überhaupt nur so als Einheit verstehen, ein durchgehendes Bewußtsein von sich Selbst haben kann. I Das Projekt der Gotik Dieser Grundegedanke liegt dem Projekt der Gotik zugrunde. In Gestalt der Kathedrale ist sie der Gegenentwurf zu den Pyramiden der Pharaonen. Das Licht hebt die Schwere der steinernen Materie auf, die Statik gerät in Be-wegung. „Vom Fenster, dem eigentlichen Verwandler, hängt im gotischen Bauwerk alles ab; Säulen, Wände und Wölbung sind der Fenster wegen da.“ schreibt Reinhold Schneider. Der Strahl des Lichts bringt Raum und Zeit in Fluß, die Rhythmen der Zeit und Entwicklung gelangen in unseren Wahr-nehmungshorizont und wir gewinnen den geistigen Raum, schöpferisch Neues hervorzubringen. Das elektrische Licht der Aufklärung hat das Ge-genteil bewirkt.

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Zum Fenster gehört aber nicht nur das lichtdurchlässige Glas, sondern auch der Rahmen. Im Fall der Kathedralfenster ist der Rahmen in seiner Bedeu-tung für den geistigen Wandel den bunten Gläsern absolut ebenbürtig. Die Wand löst sich auf, wird zur Form, die ihrerseits die Bedingung für die Möglichkeiten des Farbenspiels wird. Die Auflösung geschieht dabei nicht irgendwie, sondern gehorcht der strengen Regel eines Maßwerks. Neben der Auflösung des Raumes durch das Licht, gewinnen wir so den Eindruck der rhythmischen Überwindung der Schwerkraft. Damit werden im Kirchenbau des 13. Jahrhundert wesentliche Elemente vorweggenommen, die entschei-dend sind für die mathematische Fundierung der neuzeitlichen Entwicklung: die Erfindung der Logarithmen um 1600 und die Selbstähnlichkeit fraktaler Strukturen in der Geometrie des 20. Jahrhunderts. Mit der Kathedrale eröffneten sich völlig neue Welten der visuellen Wahr-nehmung. Damit in engstem Zusammenhang steht die Wiederentdeckung der Perspektive im 14. Jahrhundert. Aber auch das ist schon wieder eine Art von Überlagerung durch die herkömmliche, nämlich die euklidische Welt-betrachtung. Der räumliche Eindruck verflacht zum Tableau und der Bet-rachter eines zentralperspektivisch konstruierten Bildes wird auf einen Standpunkt festgelegt, nämlich den des Malers. Es dauert rund fünfhundert Jahre, bis sich die Geometrie aus dieser subjek-tiven Sicht des absoluten Raums, über einige Zwischenstationen im 17. Jahrhundert wie Kepler, Pascal und Desargues, zur frei beweglichen Meta-morphose in der sogenannten synthetischen oder projektiven Geometrie befreit hat. Allein, der Begriff „Geometrie“ suggeriert immer noch eine Bindung an den äußeren Raum, die Erdmessung (auch wenn Platon diese Zuordnung schon als lächerlich bezeichnet hat). Ich nenne diese strenge Kunst Radiografie. Sie erlaubt es, analog zur rein zeichenhaften Algebra, komplexe Verschränkungen buchstäblich grenzenlos zu visualisieren. Wäh-rend es in er euklidischen Geometrie letztlich nur Punkte und Kreise gibt, ist die Radiografie eine Kunst der Strahlen (Strahl = radius) und kann daher (rein theoretisch) ausschließlich mit dem Lineal ausgeführt werden. Wir haben es also buchstäblich mit einer strahlenden Weltgestaltung zu tun. Für die Praxis mit ihrer Bindung an den beschränkten dreidimensionalen Raum ist dann allerdings der Zirkel doch hilfreich. Ganz besonders gilt das für die Konstruktion von Spiegelungen am Kreis. Diese Konstruktion ist insofern von außerordentlicher Bedeutung, weil wir über sie, als Gegen-stück zum Mittelpunkt, einen Begriff vom Urkreis und dessen Punkte im

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Unendlichen gewinnen. Der Urkreis ist es, aus dem ein jegliches Dasein letztlich seine Existenz bezieht. Bereits Kepler hat im Zug seiner Untersuchungen zur Optik klar erkannt, daß sich Welt, d.h. eine jegliche Gestalt, immer aus zwei strahlenden Mit-telpunkten formt. Energetisch ist das der keimende Kern einerseits und die Sonne als Strahlenzentrum andererseits. In der Radiografie entsprechen diesen beiden Punkten die Brennpunkte der Kegelschnitte. Erst das wech-selweise Aufeinanderbezogensein zweier Punkte führt zur freien Ausbil-dung der immanenten Form in der Metamorphose. Die Strahlen bilden als Tangenten die Hüllkurve der aufstrebenden Gestalt. Wir haben hier das exakte Gegenstück zu Lichtenbergs Begriffen der Transzendenz und Retroszendenz. Arthur Zajonc formuliert es so: „Zwei Lichter erhellen un-sere Welt. Sonne und Augenlicht. Nur dank ihrer Verschwisterung sehen wir: Fehlt eines, sind wir blind.“ Wie in jedem anderen Wesen, liegt auch im Menschen das, was ich den aufnahmefähigen Kristallisationspunkt nenne. Diesen aufzufinden und sich hineinzustellen, dieses Zentrum selbst zu sein, das ist der Weg zum strah-lenden Menschen, zum menschlichen Diamant. Solange wir mit unseren Film- und Fotoapparaten nicht über die Ablichtung der äußeren Welt und damit über die Zentralperspektive hinaus gelangen, bleiben wir Gefangene des euklidischen Raumes. Der nur einseitig strahlende Augpunkt der Per-spektive führt ins Maßlose, so wie das ebene rechtwinklige Koordinatensys-tem zur Erstarrung führt. Das sichtbare Licht war eine, wenn nicht die treibende Kraft in der Ent-wicklung der Physik des 20. Jahrhunderts. Einstein sagte: „Den Rest mei-nes Lebens werde ich darüber nachdenken, was Licht ist!“ Es ist wün-schenswert, daß es uns gelingt, den Gesichtspunkt so zu verändern, daß wir auch das innere Licht in den Blick bekommen. Es ist offensichtlich nicht ausreichend, immer nur das Richtige festzustellen. Vielmehr sind wir darauf angewiesen, wieder wahr-zu-nehmen, wenn wir uns nicht vor lauter Recht verirren wollen, um dann schließlich in völliger Verwirrung zu enden. II wahrnehmen Euklidische Geometrie und logisches Denken in Begriffen (von be-greifen) haben zu einer Bevorzugung und letztlich zur ausschließlichen Ansehung des Materials geführt. Was nicht begreifbar ist, existiert nicht. Die Unter-

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scheidung von Form und Gestalt entfällt ebenso, wie die zwischen Vernunft und Verstand. Das gilt insbesondere für die englische und französische Sprache. Die Sprache bestimmt aber unsere Art und Weise des Denkens, und in Folge dann auch des Handelns. Raum wurde, und wird oft genug immer noch, als Innenraum verstanden und Form als das Gehäuse, das uns daran hindert diesen Raum zu verlassen. Form wird als Be-schränkung verstanden, das gilt auch für gesellschaftliche Formen. So sind die Nachkommenden immer und immer wieder bestrebt, die aktuellen Formen aufzulösen, zu zerschlagen, so daß an ihrer Stelle etwas Neues entstehen kann. Das Ergebnis sind dann aber meist nur wieder neue, größere Räume mit noch unüberwindlicheren Beschränkungen. Form ist aber nicht die äußere, beschränkende Gestalt. Form ist die Kraft der Ver-schränkung, die immer schon vorhandene integrierende Kraft, die die verschiedenen Elemente zu einer inneren Einheit zu verbinden vermag. Erst wenn uns das wieder bewußt wird, werden wir uns nicht länger nach Sisyphus-Manier damit abmühen, konkrete, materialisierte Gestaltungen kaputt zu machen. Wir werden die Dinge aus ihrer Mitte, aus ihrem eigenen Kraftzentrum, aus ihren konstituierenden Verhältnissen heraus anschauen und dann mit leichter Hand, nämlich durch eine veränderte Wahrneh-mungsweise, verändern können. Form ist Kraft und zugleich Bedingung für unendlich viele Möglichkeiten. Ganzheitlich wahrnehmen meint, die Formen wahrnehmen. Wenn wir das gestaltende Kraftzentrum, die Form einer Gestalt ausfindig gemacht haben, können wir den gesamten Komplex einer Gestalt auf einmal erfassen - ob in seiner räumlichen Ausdehnung oder in seiner zeitlichen Entwicklung. Richard Buckminster Fuller sah seine Aufgabe darin, das Unsichtbare sicht-bar zu machen. Damit meint er eben die Form, die unbeirrbaren und zugleich unsichtbaren Verhältnisse, die eine Gestalt in all ihren Erscheinun-gen bestimmen. Es kommt nicht darauf an, das Gewordene zu sehen, son-dern vor allem das Werdende zu durchschauen. Eine Gestalt auf einmal in all ihren Metamorphosen zu schauen, indem wir ihrer wesentlichen Form gewahr werden, das ist ganzheitliches Wahrneh-men. Lynkeus, der luchsäugige Türmer bringt es zum Ausdruck im Türmer-lied in Goethes Faust: „Zum Sehen geboren, zum schauen bestellt“. Auch Ralph Waldo Emerson hat erkannt, daß uns die Dinge erst dann durchsich-tig werden, wenn die Achse des Sehens mit der Achse der Dinge zusam-menfällt.

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Die Entwicklung einer beweglichen, spielerischen Wahrnehmung kommt der Ausbildung einer neuen Organs gleich. Es ist sicherlich eine der drän-gendsten Aufgaben, unser Empfinden für die feinen verborgenen Kräfte auszubilden und einzuüben. Das Wort „Ästhetik“ meint genau das: Empfin-dungsvermögen. Friedrich Schiller hat dieses zentrale Problem der Mensch-heit in unserer Übergangsphase erkannt und sich in den Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ der Sache angenommen. Dabei ging er allerdings von einem Schönheitsideal aus, das noch jeglicher mathemati-schen Fundierung entbehrt. Damit hängt aber alles Reden über Ästhetik ebenso in der Luft, wie vergleichbare Reden über die Ethik. Wie gesagt: Natur hat nur eine Fakultät und ist Geist und Physik gleichermaßen. Sechs Jahre nachdem Schiller in Jena seine Briefe zur Ästhetik veröffent-licht hat, erschien in Göttingen die Arbeit des 24-jährigen Carl Friedrich Gauß zur Theorie der Kreisteilung. Zahl und Figur wurden hier im rhyth-misch geteilten Kreis wieder eine Einheit. Die Zahl, in der Formel zum wesenlosen Rechenschemen verflüchtigt, erhielt durch Gauß als rhyth-misch-zyklische Zahlgestalt ihre Qualität und damit ihre Würde zurück. In dieser Qualität gründet die Kraft der ausgezeichneten Verhältnisse. Hierin hat die für Einstein unbegreifliche Begreifbarkeit der Welt ihre Ursache. Ästhetisches empfinden, d.h. Gestalterkennen ist nicht denkbar ohne Reso-nanz mit Protozahlen. Es sind die Primzahlen, die Harmonikalen und die eminenten Zahlen, die vermitteln zwischen Idee und Gestalt. Das gilt ganz offenbar für die Gestalt von Melodien, in der musikalischen Wahrnehmung haben wir eine gewisse Übung. Diese Welt des Hörens steht aber im offensichtlichen Widerspruch zur Welt des Sehens, wie sie durch die euklidische Geometrie vermittelt wird. Dabei liegt die Diskrepanz kei-neswegs daran, daß das Auge etwa linear und das Ohr logarithmisch organi-siert wäre. Wie schon früher erwähnt, sind alle unsere Sinne auf eine loga-rithmische Wahrnehmung ausgelegt. Als schöpferische Menschen, die heute technisch zu beinahe allem und jedem in der Lage sind, ist es unumgäng-lich, daß wir uns eine der Wirklichkeit entsprechende Sicht auf die Welt aneignen. Es kommt also darauf an, eine der auditiven Wahrnehmungsweise entsprechende visuelle Wahrnehmung zu entwickeln. Die auditive Wahr-nehmung speist sich aus der Harmonielehre und deren mathematische Grundlage ist identisch mit den Grundlagen der Radiografie. Mit ihrer Hilfe sollte es gelingen, die räumlich gestaltete Welt in eine strahlende Welt zu verwandeln, bevor sie als verstrahlte Welt dem völligen Zerfall anheimfällt.

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III erkennen Das neue symbolische Vermögen der neuzeitlichen Mathematik hat aus dem Geschöpf Mensch das schöpferische Wesen Mensch gemacht. Keine Sekunde haben wir gezögert, dieser Fähigkeit Taten folgen zu lassen, ganz im Sinne Fausts: „Dieser Erdenkreis gewährt noch Raum zu großen Taten.“ Der Dichter des „Faust“, Goethe, gibt aber an anderer Stelle, nämlich in „Wilhelm Meisters Lehrjahren“, zu bedenken: „Es sind nur wenige, die den Sinn haben und zugleich zur Tat fähig sind.“ Überall begegnet der Mensch nur noch sich selbst, in Form seiner Taten. Man unterscheidet den Handelnden vom Erkennenden, den Anwender und Praktiker vom Theoretiker. Nur selten treffen wir auf den aus Erkenntnis Handelnden. Es fehlt an der ursprünglichen Kraft zum Entwurf. In Anbe- tracht der Unmenge an fragwürdigen Ergebnissen, wurde im 20. Jahrhun-dert von verschiedenen Seiten die Forderung nach einer Theorie des Ent-werfens erhoben. Immer steht dahinter die Vision einer humanen Technik. Es war nicht ohne weiteres offensichtlich, daß es sich beim Entwurf, neben Theorie und Praxis, um eine eigenständige Form des Erkennens handelt. Damit ist aber eine Entwurfstheorie ein Widerspruch in sich, und es ist ja zu einem nicht geringen Teil gerade die Theorie, im Sinn begrifflich-abstrakter Logik, die den gelungenen Entwurf verhindert. Auch hier stoßen wir wieder auf das Phänomen der Überlagerung an der Schnittstelle zweier Bewußtseinsstufen. Auf der einen Seite die überkom-mene, euklidisch-raumorientierte Wahrnehmungsweise, und andererseits das neue symbolische Vermögen als Erkenntnisinstrument. Mathematische Formeln sind höchstentwickelte symbolische Formen, abgeleitet aus der Rationalität der sichtbaren und unsichtbaren Natur. Dieser verdanken sie ihre Einfachheit und Klarheit. Rein formal eingesetzt, passiert es leicht, daß die angestellten Berechnungen sozusagen über der Wirklichkeit schweben. Das Denken verstrickt sich in die Klugheit des algebraischen Kalküls der Möglichkeiten, meidet aber den Weg in die Auferstehung. Werner Heisen-berg, der Atomphysiker, beschreibt die Situation folgendermaßen: „Die rein mathematische Spekulation wird unfruchtbar, weil sie aus einem Spiel mit der Fülle der möglichen Formen nicht mehr zurückfindet zu den ganz weni-gen Formen, nach denen die Natur wirklich gebildet ist.“ Einer der Gründe dafür, daß wir uns bis heute aus der Überlagerung nicht befreit haben, scheint mir darin zu liegen, daß sich die überwältigende Mehrheit sowohl der Erkennenden wie der Handelnden bis heute über das Wesen symbolischer Formen nicht im Klaren ist. Das Symbol, verstanden

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als Element einer frühen Bewußtseinsstufe, wird nicht als eine Form unter anderen erkannt. Es mangelt an der Einsicht, daß jede symbolische Form ein legitimes Instrument der Erkenntnis ist. In jeder dieser Formen manifes-tiert sich eine andre Schicht der Übereinstimmung oder Resonanz zwischen dem Seienden und unserer Fähigkeit zur Erkenntnis. Im Anfang des 20. Jahrhunderts haben sowohl Charles Sanders Peirce als auch Ernst Cassirer fundierte Studien zu diesem Thema veröffentlicht. Der Mensch ist nicht nur ein schöpferisches Wesen, er ist auch ein geistiges Wesen, das irdische Erfahrungen macht. Was aber bedeutet „geistig“? Die Geistigkeit des Menschen leitet sich ab aus seiner Fähigkeit zur Unterschei-dung und damit zum erkennen von Ordnung bzw. Ordnungen. Mathesis ist der unmittelbare Ausfluß dieses Erkenntnisvermögens. Max Bense sagt deshalb völlig zurecht: „Die Zahl ist die eigentliche Signatur des Geisti-gen.“ und „Erst durch die Mathematik erfährt der Mensch, was Geist ist.“ Erst mit der Anbindung an die Zahl gelangen wir wieder in die Kraft des ursprünglichen und zugleich schöpferischen Entwurfs. Das gilt vor allem für die natürlichen Logarithmen zur Basis „e“. Diese Zahl wird allerdings von nicht Wenigen als mehr oder weniger willkürliche Gegebenheit ange-sehen, die man gerne und achtlos verwendet. Der Vorrang der Algebra bleibt ungebrochen und erfährt im kybernetischen Zeitalter noch nachhalti-ge Unterstützung. Was wir brauchen ist also keine Theorie des Entwurfs, wohl aber eine dem Herstellungsvermögen entsprechendes Wahrnehmungsvermögen. Aus bei-den kann sich dann ein Bewußtsein entwickeln, das dem neuen symboli-schen Vermögen, verstanden als Erkenntnispotential, angemessen ist. Nur wenn wahrnehmen und erkennen im Gleichgewicht sind, denken und fühlen sich auf einer Ebene verschränken, kann sich das Potential des neu gewon-nenen Vermögens zum Segen für das Leben entfalten. IV gestalten Das neue symbolische Vermögen hat uns zur Maßlosigkeit verführt. Sym-bole sind zu säkularen Hülsen geworden, die man scheinbar nach Belieben in Dienst nehmen kann. Gestaltung wurde zum beliebigen Design. Wir werden allerdings mehr und mehr gewahr, daß in der grenzenlosen Masse jegliche Form verfehlt wird. Wir merken, daß das, was wir da tun, nicht echt ist, daß wir uns mit dem Massenhaften selbst an der Wahr-nehmung hindern. Titus Burckhardt: „Was die Wahrheit auf der gedanklichen Ebene,

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ist Form auf der sinnlichen. Keine geistige Schau deshalb ohne entspre-chende Formgebung: fehlt Erkenntnis, wird Form verfehlt, und zeitlos Gül-tiges bleibt unsichtbar.“ „Design“ hat mit unterscheiden und ordnen zu tun. „designieren“ ist ab-grenzen oder herausheben aus dem Meer der Möglichkeiten, die ja mit der „ars combinatoria“ auch mathematisch gegeben sind. In der künstlerischen Gestaltung wird der immer wieder in Erscheinung getretene Konflikt, näm-lich der Versuch, sich aus der Überlagerung durch alte Wahrnehmungs- und Empfindungsmuster zu befreien, mit dem klarsten Bewußtsein ausgetragen. Eine Reihe von Ausdrucksformen ist entstanden und entsteht weiterhin, das Publikum betrachtet es verständnislos oder aber mit theoretischer Expertise. Oftmals ist die Verbindung zur Wirklichkeit entweder schlicht nicht gege-ben oder aber das anstehende Problem ist nicht oder nur unzulänglich ge-meistert. Eine absolute Ausnahmestellung nehmen die Arbeiten von Maurits Cornelius Escher ein. Mit mathematischer Präzision schuf er seine „unmög-lichen Welten“ und wie kein anderer vermochte er es, mit seinen Werken unsere scheinbar selbstverständliche Sicht der Welt in Frage zu stellen. Eine ganz andere Kategorie sogenannter Kunst ist die Flucht in eine kreati-ve Beliebigkeit oder in phantastische Simulationen. Dabei bedient man sich modernster elektronischer Mittel, um auf hochtechnologische Art der über-kommenen Wahrnehmung des Gewordenen und in einem endlosen Bewe-gungstaumel einer rein funktional verstandenen Zeit zu huldigen. Es ist klar, daß die meßbare Verfallszeit und der vermessene Weltraum des Geworde-nen kein Kriterium sein kann, für wirklichkeitsgemäße Gestaltung. Dazu bedarf es der Hinwendung zur rhythmisch-schöpferischen Zeit des Werden-den, um so neue Reiche schöpferischen Gestaltens zu eröffnen. Zu den einflußreichsten Schulen moderner Gestaltung gehört das „Bauhaus“ in der ersten Häfte des 20. Jahrhunderts und nach 1950 die „Ulmer Hoch-schule für Gestaltung“. Einer ihrer Direktoren, Max Bill, sagte über die von ihm mitbegründete konkrete Kunst: „das ziel der konkreten kunst ist es, gegenstände für den geistigen gebrauch zu entwickeln, ähnlich wie der mensch sich gegenstände schafft für den materiellen gebrauch. konkrete kunst ist in ihrer letzten konsequenz der reine ausdruck von harmonischem maß und gesetz.“ Ein anderer Schweizer, der Architekturhistoriker Siegfried Giedion, hebt die großartigen Entwürfe von Architekten hervor, die den „kosmischen Kontakt

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mit den Elementen der Natur und der Vergangenheit“, also den Kontakt mit dem Leben wiedergefunden haben. Namentlich erwähnt er unter anderen auch den Architekten der Oper von Sydney, Jorn Utzon. Am Beispiel dieses Bauwerks zeigt Giedion auf, daß auch bei diesem Bauwerk, wie bei allen gelungenen Entwürfen, der alles integrierende Dreh- und Angelpunkt, der als formales Zentrum die gesamte Konstruktion wie in einem Brennpunkt versammelt, daß dieser Kristallisationspunkt unsichtbar ist und buchstäblich nur re-konstruiert, rückwärts konstruiert werden kann. 1967 zeichnete Richard Buckminster Fuller verantwortlich für den US-Ausstellungspavillon in Montreal, einer riesigen Kugel, ein sogenannter Fuller-Dome. Fuller ist auch der Namenspatron für die schon erwähnten Fullerene oder Buckyballs, den zeitweiligen Stars der Molekularchemiker im ausgehenden 20. Jahrhundert. Diese haben eine dritte, auf der Erde bis-her nicht natürlich vorkommende Kohlenstoffkonfiguration designt, die landläufig auch unter dem Namen Fußballkohlenstoffe bekannt sind. Ebenfalls ein deutliches Zeichen neuen Gestaltungsbewußtseins setzt der Architekt Frei Otto mit seinen Zeltdachkonstruktionen, deren bedeutendste wohl bis heute das Münchner Olympiadach sein dürfte. Um die Wende ins 3. Jahrtausend hinterläßt der spanische Architekt Santiago Calatrava seine Spuren. Die Brückenkonstruktionen von Calatrava sind legendär und man-che von ihnen scheinen direkt aus einem Lehrbuch der Radiografie ent-nommen zu sein. Es ist bezeichnend, daß alle genannten Projekte nach 1962, dem Eintritt in das Wassermannzeitalter, entstanden sind. Die frühen kleineren Zeltkon-struktionen Frei Ottos wurden von 1955 bis 1963 realisiert. Sein „Institut für leichte Flächentragwerke“ war Impulsgeber für alle nachfolgenden „na-türlichen“ Konstruktionen, wo sich archaische Konstruktionsprinzipien, High-Tec-Materialien und modernste Produktionsmethoden auf das glück-lichste verbinden. Inwieweit man dabei in Bezug auf letztere beiden über das Ziel hinausschießt, bleibt noch abzuwarten. Aber mit einer Naturwis-senschaft, die dem Geist der Logarithmen und damit auch der neuen Geo-metrie gerecht wird, sollte es möglich sein, auch diese Bereiche aus dem Stadium hemmungs- und rücksichtsloser Experimentierfreude in das Fließ-gleichgewicht organisch-harmonischer Berechnung zu überführen. Noch sind wir, und zwar weltweit, in der Phase, in der gilt, was Giedion 1964 schrieb: „Nichts scheint heute schwerer, als den einfachen Bedürfnissen des Lebens Achtung zu verschaffen.“

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V Physik des Werdens „physis“ bedeutet im Griechischen ursprünglich das (natürliche) Wachstum. Jedes Wachstum geht entsprechend der individuellen Information nach immanenten Maßen vonstatten. Heutige Physik ist eine Theorie des Mes-sens. Das „Maß“ ist dann ein Element der Mess-Operation und nicht etwa eine immanente Bestimmung des Phänomens, das gemessen werden soll. Wir können Georg Picht getrost zustimmen, wenn er behauptet: „Das Mes-sen überwuchert die Erkenntnis der Maße.“ Spätestens seit Planck beobachten wir eine fundamentale Wandlung der Pysik. Einstein sprach davon, daß die klassische Physik eine Theorie der Objekte sei, wohingegen die Quantenphysik auf eine Theorie der Beziehun-gen hinausläuft. Daran können wir sehen wie sich ein Vorgang, der sich bereits früher im Übergang von Descartes zu Leibniz in der Mathematik abgespielt hat, in den Naturwissenschaften wiederholt. Wie die Algebra eine Mathematik der Möglich- und Wahrscheinlichkeiten begründet, so kann man auch die Quantenphysik als eine Physik der Wahrscheinlichkeiten bezeichnen. Es ist bemerkenswert, daß die mathematische Grundlegung der neuen Phy-sik hervorgegangen ist aus der Durchdringung der Radiogafie mit den Mit-teln der höheren Algebra. Berühmt geworden ist im Anfang der Quanten-physik die Heisenbergsche Matrizenmechanik, ein rein algebraisches Kon-strukt. Alfred North Whitehead faßt die Situation jener Zeit so zusammen: „Die moderne Physik hat den Standpunkt der eindeutigen Lokalisierbarkeit aufgegeben. Man muß sich die physischen Dinge vielmehr als Modifikatio-nen eines Feldes vorstellen, das sich über die Gesamtheit von Raum und Zeit erstreckt. Das Ding widersetzt sich hartnäckig dem Versuch, es als ein rein gegenwärtiges Faktum aufzufassen. Es repräsentiert vielmehr einen momentanen vorübergehenden Erregungszustand, besteht aus einer be-stimmten Koordination von Raum- und Zeitabschnitten. Damit sind wir aber zu einer Grundposition von Platon zurückgekehrt.“ Die Quantenphysik als eine rein theoretische Physik läuft nun im Schlepp-tau der Algebra Gefahr, sich ebenso wie diese in einer geistreichen mathe-matischen Symbolik zu verlieren, und in Form einer gigantischen Tautolo-gie immer wieder nur ihre eignen Modelle zu bestätigen, die sie zwischen-zeitlich immer wieder einmal mit der Wirklichkeit verwechselt. In dieser Physik ist weit und breit nicht zu erkennen, daß man auch nur die Spur einer Ahnung davon hat, was „Maß“ eigentlich bedeutet. Dabei ist es eine alte

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Weisheit, daß nichts Bestand hat, was sich nicht innerhalb seiner spezifi-schen Maße hält. (Und hier ist natürlich das individuelle Maß der jeweiligen Form gemeint.) Für Richard Feynman, einem der führenden Quantenphysi-ker Mitte des 20. Jahrhunderts, ist Geometrie ein Buch mit sieben Siegeln und er kokettiert mit seinem Unverständnis für Kegelschnitteigenschaften. Er spricht in einer Vorlesung von einem elementaren geometrischen Beweis Keplers und sagt dann: „’Elementar’ bedeutet, daß zum Verständnis sehr wenig Vorwissen nötig ist, aber unendlich viel Intelligenz. Man braucht kein Wissen, aber Intelligenz, um einen elementaren Beweis zu verstehen.“ Das ist ein Schlaglicht auf die Situation in den modernen Naturwissenschaf-ten um 1960. Mit der „Global Scaling“-Theorie von Hartmut Müller hat die Physik An-fang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts dann einen Schritt vollzogen, der im Dreischritt vom Primitiven über das Komplizierte zum Einfachen den dritten Schritt markieren dürfte. Mit „Global Scaling“ ist die Physik dort angekommen, wo die Mathematik Mitte des 19. Jahrhunderts angekommen war: bei der Radiografie. Obwohl der Logarithmus in der Physik seit ihren Anfängen unverzichtbar war - zunächst als Vereinfachung von komplizierten Rechnungen, dann aber auch, ebenso wie hyperbolische Relationen, in allen möglichen Formeln auftauchte - war er doch nie als Ausdruck der fundamentalen Tatsache er-kannt worden, daß sich sämtliche relevanten Relationen im logarithmischen Raum abspielen und über den Logarithmus in den physischen Raum proji-ziert werden. D.h. jede Formel, in der mit einem Logarithmus operiert wird, verknüpft den logarithmischen mit dem physikalischen Raum. Ähnliches geschieht, wenn wir mit imaginären Einheiten operieren und unterschiedli-che Dimensionen bzw. Ordnungsgefüge ineinander verschränken. In „Global Scaling“ ist der Logarithmus fest im Grundansatz des Modells verankert. Dieses Modell postuliert eine globale stehende Welle des Vaku-ums auf der logarithmischen Geraden. Die Verteilung der für die klassische Physik konstitutiven Materie auf der Zahlengerade der linearen Welt in der 3. Dimension ist dann eine Projektion entsprechend der Rhythmen, die sich durch die Resonanzen kleinster Verhältnisse auf der logarithmischen Gera-den ergeben. Dabei fungiert das Proton als Eichmaß und Physik ist nichts weiter als geeichte Mathematik.

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Rhythmus spielt seit Urzeiten in allen Kulturen eine zentrale Rolle. Mein Rhythmus ist das Maß meiner Existenz. Tagore, vom indischen Subkonti-nent, wußte: „Der Rhythmus verleiht den Dingen, die ohne Halt und eigene Bedeutung sind, Wirklichkeit.“ und der Afrikaner Leopold Senghor aus dem Senegal schreibt: "Der Rhythmus ist die Architektur des Seins, ist die innere Dynamik, die ihm Form gibt, ist das Wellensystem, welches das Sein dem Anderen entgegensendet, ist der eine Ausdruck der Lebenskraft." Neben dem Rhythmus ist auch das Oktavintervall, die Verdoppelung auf der logarithmischen Geraden, als Resonanzphänomen in den elementaren Ordnungsgefügen gegenwärtig. Sei es in der Musik, im Periodensystem der Elemente, in der Doppelhelix der DNS oder im Farbenspektrum des Regen-bogens. Übersetzt in den euklidischen Raum erfassen wir dieses Muster abstrakt als Quadrat, z.B. im Schachbrett als Plan für das königliche Spiel des Lebens oder aber auch in der Figur des Achtecks als Doppelquadrat. So gesehen ist die neue Physik nicht neu. Das bestätigen auch Messungen an den Pyramiden. Sie ist aber neu sowohl in Bezug auf die klassische Phy-sik der Dinge und insofern, als uns mit dem Logarithmus ein zuverlässiges Werkzeug für präzise Berechnungen zur Verfügung steht. Wie wir gesehen haben ist aber auch der Logarithmus nichts ohne die Basis und hier, den Ordner der Ordner, die Zahl „e“. Diese verdankt sich als bewährtes Maß gleichermaßen der Analytik wie der Algebra bzw. dem funktionalen Den-ken ebenso wie der rein relationalen, zeichengebundenen Logik. Nach diesem Streifzug können wir auch unsere Tetraktys der Bewußt-seinsstufen zur Pentaktys erweitern. Hierin ist der Fixpunkt in der Mitte zur Fläche erweitert, die mit der jeweils zugehörigen Peripherie die zyklische Bewegung von der Wahrnehmung über die Erkenntnis zur Gestaltung re-flektiert. Die Eckpunkte werden gebildet durch: den Funktionsaspekt zur Wahrnehmung der metamorphen Veränderungen, die Proportion als Sensor der Erkenntnis und den Tensor als Kalkül zur optimalen Gestaltung.

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Yanlorum und Gizdelspil - Freiheit und Form -

Nachdem die Menschen über Jahrtausende um ihre Wurzeln in der geistigen Welt wußten und sich auf Erden als dankbare Gäste verstanden, ging dieses Bewußtsein nach und nach verloren. Heute sind wir dabei dieses Bewußt-sein auf einer geläuterten Stufe wieder zu gewinnen. Wir verfügen über das neue symbolische Vermögen, sind schöpferisch geworden. Aber es fehlt am entsprechenden Bewußtsein. Was hindert uns bisher daran, uns gemäß die-ser neuen Möglichkeiten wahrhaftig zu verwirklichen? Wie kann es gelin-gen, den Schwerpunkt unserer Existenz vom Kampf ums Überleben auf das wahrhaftige Werk zu verlagern? Ist das, was wir wollen, wirklich unser ureigenster Wille? Ist es nicht doch der Wille eines anderen, der uns einre-det, dies oder jenes zu wollen? Sind wir tatsächlich frei in unserem Willen? Wir haben eingangs gesehen, wie sich zu Zeiten der Renaissance das Ich-Ideal entwickelt. Ein gesundes Selbstbewußtsein hat sich im Zug der Tech-nisierung zunehmend in pure Selbstgefälligkeit, in einen nur am Äußerli-chen orientierten Egoismus verwandelt. Das Urvertrauen in die eigene Mit-te, das uns wirkliche Freiheit gewähren könnte, haben wir einer äußeren Mobilität geopfert. Der Effekt der Überlagerung durch das überkommene Bewußtsein ist übermächtig. Angebunden an den materiellen Wohlstand, sind wir nur noch damit beschäftigt, den unaufhaltsamen Verfall des Ge-wordenen auf hohem Niveau zu organisieren. Wir nennen das Ökonomie. Wir haben das Ich gewonnen, aber das Maß verloren. „In unserer Kultur ist es zu einer Radikalisierung des Ich-Ideals gekommen.“ schreibt Erich Neu-mann. Unser Verstand hat die Götter und Dämonen zwar gebannt und ge-fesselt, aber wir haben es versäumt sie zu verwandeln. Wir verweigern den frühen symbolischen Formen, den tieferen Schichten unserer Seele, die Anerkennung, wollen sie nicht als das sehen, was sie sind und kommen mit unseren dürren Begriffen nicht über eine abstrakte Analyse hinaus. Und so kehren diese Bewußtseinsgötter zur Zeit der Götterdämmerung unverwan-delt und mächtig zurück. Wer vermag es dann, unvorbereitet wie wir sind und nur dem Verstand verpflichtet, sich ihnen zu entziehen? Das Geheimnis des Werdens, des Lebens ist uns fremd geworden. Wir ha-ben das schöpferische Potential und zugleich Angst vor dem Neuen. Wir verschanzen uns hinter der vermeintlichen Sicherheit der Materie, identifi-zieren uns mit dem Toten, Gewordenen und nicht mit dem Leben. Wir fürchten uns vor der Freiheit und flüchten uns in unserer Angst davor, daß

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wir diese Identität verlieren könnten, in defensive Institutionen. Sie sind die Verteidigungsstellungen des herrschenden Bewußtseins. In diesen Wehr-burgen verwandeln sich die vermeintlichen Freiheiten der Aufklärung mit schlafwandlerischer Sicherheit in ihr Gegenteil. Noch immer bevorzugen wir die menschengemachten äußeren Ordnungen, egal in welcher Verklei-dung, als Ersatz für die nach wie vor unerkannte innere Ordnung, bevorzu-gen wir das Korsett vor dem Skelett. Wohl handhaben wir die neuen Mittel souverän – aber nur aus der Stellung des gesicherten alten Bewußtseins. Wir haben kein Verhältnis zum Wesen der Technik, weil wir größtenteils eben gar nicht wissen, was das Wesen der Technik überhaupt ist. Bei jedem neuen Versagen berufen sich die Täter auf ihre Unwissenheit („Das haben wir nicht voraussehen können!“) und die geduldigen Opfer appellieren an ein ethisches Verhalten. Jeder weiß, daß die daraufhin gegebenen Versprechen nicht mehr sind als Lippenbekennt-nisse. So probieren wir also das Neue aus und beobachten die Wirkungen aus der vermeintlich sicheren Distanz nach dem Motto: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.“ Der Ver-stand sucht den sicheren Stand, ist nicht bereit sich dem Fluß des Lebens anzuvertrauen oder sich gar der Vernunft unterzuordnen. Bei aller Dynamik der Moderne haben wir noch nicht wieder den Sinn für Bewegung. Allenfalls sind wir in einem Bewegungstaumel. Wir nehmen weder die Dinge noch uns selbst in ihrer bzw. unserer Eigenbewegung wahr. In der heutigen martialischen Technik manifestiert sich unsere Angst vor dem Ende des alten und vor der Entfaltung eines neuen Bewußstseins gleichermaßen. Auch wenn der Verstand immer und überall die erste Stelle einnimmt, sind wir in Bezug auf das sinnlich Faßbare, das irdisch Gegebene doch gefangen in einem rational überformten, uralten symbolisch-dinglichen Denken. In Bezug auf unsere Vorstellungen von der Welt model-lieren wir mit einem funktional-begrifflichen Denken ein fiktives Konti-nuum und in Bezug auf unseren Gestaltungseifer simulieren wir phantasie-volle Welten, ohne den Schatten eines Formbewußtseins zu haben. Aber sowohl die Religionen mit ihren hierarchischen Gott- und Götterwelten, wie das stumpfsinnige intelligenzfreie Kalkulieren beleidigen die Vernunft gleichermaßen. Die gesellschaftliche Organisation mit all ihren Institutionen ist eine einzige Ausweichbewegung – wir versuchen, dem vermeintlich Irrationalen auszu-weichen. Dabei ist das Zeitalter der Vernunft aufgebaut auf den von uns bisher so genannten irrationalen Zahlen. Irrational daran ist aber einzig

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unser Glaube, daß wir mit diesen Dezimalzahlen einen beliebigen Wert exakt feststellen können. Tatsächlich ist es mit der Festigkeit nicht weit her. Wir machen uns etwas vor und werden gerade dadurch unfrei. Der jeweils letzte Stand wissenschaftlicher Modelle wird für die sichere Realität ausge-geben. Auch wenn es nur eine statistische Sicherheit ist, wird jede Abwei-chung vom Durchschnitt, d.h. also das tatsächliche Leben, in Frage gestellt. Die Verunsicherung durch das Leben führt dazu, daß man sich als Mensch den Institutionen, also selbsternannten Besserwissern, Experten, Gut-achtern und anderen Richtern gegenüber, ständig rechtfertigen soll („Können Sie das beweisen?!“), ja man muß sich dafür entschuldigen, daß man überhaupt lebt. Der einzige, der uns daran hindert, mit dem neu erworbenen Wissen der Neuzeit vernünftig umzugehen und die bürgerliche Gesellschaft als mensch-liche Gemeinschaft zu organisieren, bin ich selbst mit meinem gewöhnli-chen, geistlosen Egoismus ohne Vertrauen in die Gesetze des Universums. Es gibt eine intelligente, smarte Jugend ohne Ahnung von Geist, verwirrt, mißbraucht, verdummt. Gefühl, auch im Sinn der feinfühligen Wahrneh-mung, wird als irrational abqualifiziert und zugleich wird es mit allen psy-chologischen Tricks ausgebeutet. Mit dem Gefühl ist es wie mit der Frei-heit: wo sie vorhanden sind, nimmt man sie als selbstverständlich. Wo sie unterdrückt werden, wird dem Leben sein Impuls entzogen. Was können wir in dieser Situation tun? Wie kommen wir aus unseren Ver-teidigungsstellungen heraus, wie kommen wir zurück in den Fluß des Le-bens? Hermann Hesse schrieb angesichts des Elends (wörtlich: Heimatlo-sigkeit) nach dem ersten Weltkrieg: „... wir müssen vorn anfangen, beim Bau der Persönlichkeit, ....“ In dem Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckten Thomas-Evangelium können wir lesen: „Die Pharisäer und Schriftgelehrten haben die Schlüssel der Erkenntnis erhalten und sie versteckt. Selbst sind sie nicht hineingegangen, aber sie ließen auch die, die hineingehen wollten, nicht hinein. Wehe ihnen, den Pharisäern! Denn sie gleichen einem Hund, der auf der Krippe bei den Rindern schläft. Weder er frißt, noch läßt er die Rinder fressen.“ Ich denke, wir haben den Schlüssel mit den arationalen Zahlen und ihren Rhythmen wiedergefunden. Es kommt nun darauf an, diesen Schlüssel tatsächlich zu nutzen und den Hund bzw. die Hunde von der Krippe jagen! Es liegt an uns, das Tor aufzuschließen und hinauszuge-hen. Wir dürfen uns allerdings nicht fürchten vor dem Licht der Wahrheit und müssen endlich den Mut zu wirklicher Verantwortung, nämlich der Verantwortung für unser eigenes Leben aufbringen.

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Die Mitte finden, unsere Gabe für unsere ureigenste Aufgabe einsetzen, das ist die Antwort an unser Selbst. Aus dieser Mitte erhält unser Leben seinen Sinn und seine Bedeutung. Sie regieren das Leben, nicht Nützlichkeit und Bequemlichkeit. Hierin liegt das, was uns zu freien Menschen macht. Damit werden wir wahrhaft schöpferisch und bei schöpferischen Tätigkeiten ist es unser Wille, er kommt aus uns selbst und macht die Tätigkeit zur Freude. Wenn wir uns selbst und die Dinge nicht aus ihrer jeweiligen Mitte wahr-nehmen, erfassen die Dinge uns in unserer Mitte. Vollgestopft mit Wissen und bar jeglicher natürlicher Intelligenz, getrennt vom Leben, versteht sich nichts mehr von selbst. Der Mensch in der technischen Zivilisation führt ein Leben aus zweiter Hand. Kaum etwas geschieht mehr unmittelbar, alles ist vermittelt, mediatisiert, für alles braucht es Experten und Leben erscheint uns als eine komplizierte Angelegenheit. Ein zentrales Thema der Parzival-Dichtung aus dem 13. Jahrhundert dreht sich darum, daß wir nach dem (nicht mehr) Selbstverständlichen fragen, nach unserem Wert (= val) als Teil (= part) des großen Ganzen. Als Teil bilden wir in unserer Gestalt eine Einheit (1), beziehen aber unsere Identität (0), unser in-uns-selbst-sein, unseren Mittelpunkt aus unserer Position in der komplexen Ordnung der Verhältnisse des großen Ganzen (e). Der Seele des Menschen sind die Formgesetze eingeschrieben, ja diese machen geradezu, das aus, was wir die „Seele“ oder unser „Selbst“ nennen. Sie steuert die In-form-ation, be-stimmt was in Form kommt, mit dem Kriterium der Resonanz filtert sie das für sie richtige heraus. Aber umgekehrt kann das kleine Ich, die Einheit, das größere Selbst nicht steuern. Wir haben keine Wahl, der Symmetriebruch ist unumkehrbar. Die metaphy-sischen Voraussetzungen unserer Existenz sind ins Unterbewußtsein abge-sunken. Der Gott der Metaphysik, die Geister und Götter, allesamt Platzhal-ter für unkontrollierbare Energien und damit für das Irrationale, sie alle sind tot und wir haben dafür das mathematische Substrat. Wir verfügen über ein neues symbolische Vermögen und die Erhaltung der Menschen wird davon abhängen, ob wir fähig und bereit sind, die uns nicht verfügbare ewige Ord-nung der Natur als unumstößliche Macht anzuerkennen. Das jeweilige symbolische Vermögen bezeichnet den Horizont der Mög-lichkeiten im Umgang mit Energie. Die unterschiedlichen symbolischen Formen, darunter natürlich auch die Symbole im engeren Sinn, sind der sicht- oder hörbare Ausdruck dieser Vermögen auf den verschiedenen Ebe-nen des Bewußtseins. Eine dem Potential angemessene und optimale Um-setzung der Möglichkeiten setzt aber ein entsprechendes Bewußtsein vor-

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aus, ein Bewußtsein der Form. Georg Picht: „Die Macht des Geistes mani-festiert sich in den Strukturen, nicht in den Inhalten.“ Für uns bedeutet das: dasjenige, was es zu meistern gilt, nämlich der Komplex der Formen oder Ordnungsgefüge, war immer schon da, ist uralt; neu sind die uns verfügba-ren Möglichkeiten im Umgang mit diesen Energien, die letztendlich immer Energien der Form sind. Es kommt also darauf an, den Sinn, eine Empfind-lichkeit, für die Form entwickeln. Das aber ist das Projekt der ästhetischen Erziehung. Was den Menschen als geistiges Wesen ausmacht, das ist ja gerade seine Aufmerksamkeit für Ordnung, für die Formen des Lebens. Der griechische Name für die innere Ordnung des Kosmos ist Logos (und nicht etwa „Wort“). In dem Moment, wo der Einzelne der universellen Sphäre des Logos begegnet, erwacht er zur Wahrnehmung. „Wo sich das konstruktive Verstandesdenken mit dem empfangenden Vernunftdenken paart, wird das Denken schöpferisch.“ sagt Georg Kühlewind. Die Indianer ganz Amerikas nennen das den weißen Weg: „Bring your mind home.“ (Tony Gwilliam) Der Kondor der südamerikanischen Anden soll sich mit dem Adler der nordamerikanischen Rocky Mountains versöhnen. „Den Verstand zur Ver-nunft bringen“ hat also auch etwas mit Schönheit zu tun, mit empfinden, d.h. mit Ästhetik. Für Schönheit als Argument haben wir spätestens jetzt ein mathematisches Kriterium: Zahlverhältnisse sind ursächlich für das, was uns gefällt, womit wir in Resonanz gehen. Die Resonanz ist es, die wir spüren und es wird viel davon abhängen, dieses Gespür wieder bewußt zu entwickeln. Dazu gehört auch die Intuition, das ver-nehmen (daher Ver-nunft), hinhören auf das „Gedächtnis der Zukunft“, wie Sri Aurobindo es nannte. Spätestens seit den Arbeiten von Kozyrev hat dieser Ausdruck auch eine wissenschaftliche Grundlage. Das besagte mathematische Substrat zur Erfassung des Logos war zunächst, wie wir gesehen haben, das Maß. Daher erklärt Heraklit zu Beginn des griechischen Zeitalters: „Diesen Kosmos hat weder einer der Götter noch der Mensch hervorgebracht, sondern er war immer und ist und wird sein: ewig lebendes Feuer, sich entzündend in Maßen und verlöschend in Maßen.“ Nach dem neuerlichen Symmetriebruch der Neuzeit ist es der Logarithmus. Eigentlich müßten wir schreiben: Logarhythmus, denn es ist der Rhythmus, der sich in der Kettenbruchdarstellung offenbart und der den Ordnungsgrad und die jeweilige Reichweite bestimmt. Die Komplexität einer Struktur, die mathematische Entsprechung eines umfassenden Ord-nungsgefüges, bemißt sich ihrerseits an der Vielzahl der immanenten Gleichgewichtsverhältnisse, am Reichtum der immanenten Maße.

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Ob Kettenbruch oder Primfaktoren, immer werden wir letztlich auf die Ordnung der natürlichen Zahlen geführt, für C.G.Jung der „bewußtgewor-dene Archetypus der Ordnung.“. Archetypen werden von der Tiefenpsycho-logie als gleichbleibende und damit unveränderliche Strukturdispositionen des Bewußtseins angesehen. Interessanterweise treten die natürlichen Zah-len zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Macht ins Rampenlicht der Physik und geben der maßgeblichen Richtung des ganzen Jahrhunderts ihren Na-men: der Quantenphysik. Energiemengen, also komplex verschränkte Schwingungsknäuel, treten grundsätzlich immer nur als ganzzahlige Vielfa-che des Planck’schen Wirkungsquantums in Erscheinung. Dieser Umstand ist für den Aufbau der Atome, und damit der Materie insgesamt, grundle-gend. Sowohl für den Lehrer einer Reihe von Quantenphysikern, Arnold Sommerfeld, als auch für einen seiner bedeutendsten Schüler, Wolfgang Pauli, sind die natürlichen Zahlen die letzten Strukturelemente des Seien-den. Das neue Bewußtsein ist so etwas wie ein neuer Aggregatzustand. Wir ha-ben es bereits skizziert unter der Überschrift „Rösselsprung“. Weder gibt es eine neue Zeit noch ein neues Denken. Vielmehr geht es darum, das Den-ken, oder besser: die Gedanken, wieder in Fluß zu bringen. Der Physiker David Bohm hat in diesem Zusammenhang den Begriff „Rheo-Modus“ vorgeschlagen. Nur Denken im Fluß, in Bewegung, in Schwingung, kann mit anderen Gedanken in Resonanz gelangen und so auch in der bewußten Ebene das erreichen, was die Natur ohnehin und seit Jahrtausenden erfolg-reich praktiziert: Hyperkommunikation. Diese völlig andere Art des Aus-tauschs macht auch das möglich, was wir Gruppenbewußtsein nennen kön-nen. All das sind aber Phänomene, die sich im logarhythmischen Maßstab abspielen. Viele der Impulse, die den Weg zu dem neuen Bewußtsein geebnet haben, kommen aus der Mitte Europas. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß sich die großen äußeren Auseinandersetzungen der letzten fünfhundert Jah-re, in Form von offenen, aber auch verdeckten Kriegen, ausgerechnet eben-falls in dieser Region der Erde abgespielt haben. Das alte Bewußtsein, das sich nach wie vor über ein äußerst effizientes Erziehungs-, Bildungs- und Mediensystem tradiert, wehrt sich mit allen Mitteln gegen das Ende seiner Vormachtstellung. Die Träger dieser Tradition, die man mittlerweile als buchstäblich furchtba-re Tradition bezeichnen muß, haben tausende Jahre Erfahrung innerhalb

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ihres Horizontes, dem Horizont des verstandesmäßigen Denkens, dem Den-ken in Begriffen. Aufrechterhalten und verteidigt wird diese Tradition, und damit auch dieses Bewußtsein, aber nicht nur von ihren amtlichen Trägern, sondern auch von ihren Gegnern. Der Versuch, die überkommenen Ord-nungen mit ihren eignen Mitteln zu beseitigen ist deshalb sinnlos. Jeder argumentative oder gewalttätige Angriff ist nicht nur vergeudete Energie, dieser stärkt im Gegenteil die etablierte Struktur. Der Apparat ist darauf bedacht, auch diese Energien gezielt in Vereinen und organisierten Gruppen zu bündeln. Gestärkt wir das absterbende Bewußtsein natürlich erst recht, wenn wir unsere Verantwortung an die Institutionen abgeben, indem wir uns auf sie verlassen oder gar ausdrücklich nach ihnen verlangen. Fragen wir uns also lieber: „wer bin ich wirklich?“, „was ist mir wirklich wichtig?“ und konzentrieren unsere Energien auf die Be-antwortung dieser Fragen. Indem wir auf diese Weise Ver-antwortung für uns Selbst über-nehmen, wird das „alte“ Bewußtsein und werden mit ihm die herkömmli-chen Institutionen von alleine in sich zusammenfallen und austrocknen. Salopp formuliert geht es einfach nur darum, dem Apparat (und wir alle sind der Apparat) den Stecker zu ziehen und damit den Saft abzustellen. Das ist kein großartiger äußerlicher Akt. Das kann nur im Kopf, aber noch mehr im Herzen eines jeden einzelnen geschehen. Erst wenn wir „Form“ nicht mehr als Beschränkung, sondern als Bedingung für Möglichkeiten begreifen und „Freiheit“ nicht mehr allein auf grenzenlo-se Bewegungs- und Ausdrucksfreiheit reduzieren, sondern als Realisation unserer ureigensten Aufgabe unter Nutzung der gesamten Vielfalt der For-men erkennen, erst dann werden wir das süße Glück des Glückes genießen können.

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„Alle göttlichen Gesandten müssen Mathematiker seyn.“ - Novalis -

Es gab und gibt immer wieder Menschen, die als Gesandte aus dem Reich des Geistes uns berichtet haben und von denen wir den Eindruck haben, daß sie anderes oder mehr wissen als der Normalsterbliche. Diese Seelenfürsten kennen das Gesetz und haben uns immer wieder Mitteilung davon gemacht – nicht zuletzt auch mathematische. Aber wir haben es verlernt, auf die Worte zu hören, sie zu ver-nehmen. Die Ver-nunft ist uns abhanden gekommen. Wir sind heute Gesetzgeber auf eigene Faust und bilden uns ein, mit unserem beschränkten Verstand und unserem armselig gewordenen Wahrnehmungsvermögen die Welt und das Sonnensystem nach unseren Vorstellungen beliebig umgestalten zu können. Ich kann nicht behaupten, daß ich uns dabei auf einem erfolgversprechen-den Weg sehe. Denjenigen, die mir nun fortschrittsgläubig vorhalten, ich sei ein Pessimist, kann ich nur mit Hans Pestalozzi antworten: „Ich bin kein Pessimist, aber Sie sind naiv!“ Ich lasse im folgenden eine Reihe von diesen Botschaftern zu Wort kom-men. Mit dabei sind neben Dichtern und Naturphilosophen auch Naturwis-senschaftler und Mathematiker. Diese mehr dichterische Form soll uns dabei helfen, derlei Texte (z.B. auch alte Überlieferungen), vor dem neu gewonnenen mathematischen Hintergrund durchaus vernünftig zu interpre-tieren. Damit erscheint vieles, was bisher unwirklich, rätsel- oder märchen-haft oder einfach nur unsinnig erschien, in einem anderen Licht. Sri Aurobindo : Das Leben, das ihr führt, verbirgt das Licht, das ihr seid! Hinter einem jeden Ding im Leben steht ein Absolutes, nach welchem die-ses Ding in seiner eigenen Weise sucht, alles Endliche bemüht sich darum, ein Unendliches zum Ausdruck zu bringen, von dem es fühlt, daß es seine eigentliche Wahrheit ist. Dem logischen Verstand gelingt es nur, mit dem fertig zu werden, was festgelegt und endlich ist.

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Gottfried Wilhelm Leibniz : „Es wird eine Zeit kommen, wo der hohe Wert einer heiligeren Philosophie von den zu sich selbst zurückkehrenden Menschen wieder erkannt, den mathematischen Studien dann eine Richtung gegeben werden, o teils auf Schärfung eines in ernsterer Weise geübten Urteils, o teils auf die anzustrebende Erkenntnis des Wesens der Harmonie und des Urbildes gleichsam der Schönheit; · die Naturforschung von neuem

o der Verherrlichung des in der sichtbaren Welt uns das Abbild der ideellen zeigenden Urhebers der Natur dienstbar sein werde,

endlich aber alle Studien wieder auf die Erlangung der Seligkeit gerichtet sein würden.“ Heraklit : Die Natur ist ihrem Wesen nach so beschaffen, daß die Masse der Men-schen ihrem schreckenerregenden Anblick ausweichen und vor der Wahr-heit des Logos eine Ausflucht in der Benebelung ihrer angemaßten "eigenen Einsicht" suchen muß. Aber sie werden dafür mit ihrem Untergang bezah-len. Obwohl der Logos ein gemeinsamer ist, leben die Vielen, als hätten sie eigene Einsicht. Förderlich ist die Erkenntnis des eigenen Maßes; denn wer sein Maß nicht erfüllt oder es überschreitet, kommt zu Fall. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Sein lagert um den Planeten. Unsichtbare Harmonie ist stärker als die sichtbare. Erich Neumann: Der Mensch als "homo creator" ist das entscheidende Anliegen unserer Zeit, deren Gesundung und Entwicklung davon abhängt, ob der Einzelne sich wieder als schöpferisch, d.h. mit seinem Wesen und dem Wesen der Welt verbunden, zu erfahren vermag.

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Proklos: Dies ist also die Mathematik, die Wiedererinnerung an die unsichtbaren Formen der Seele; und ihre Leistung, wie schon aus ihrem Namen hervorgeht, ist dies:

sie gibt ihren eigenen Erkenntnissen Leben, sie weckt den Geist, reinigt den Verstand, sie bringt die Ideen, welche wesenhaft in uns sind, ans Licht, sie entfernt das Vergessen und die Unwissenheit,

welche uns durch die Geburt geworden sind, sie löst uns von den Fesseln des Irrationalen, gemäß dem Gott,

der in Wahrheit der Wächter dieser Wissenschaft ist, der die Geschenke des Geistes leuchten läßt, der alles mit göttlichen Formen erfüllt und die Seelen zum Geist bewegt und sie wie aus einem tiefen Todesschlaf erweckt, der sie durch die wissenschaftliche Arbeit zu sich selber zurückwendet und durch Geburtshilfe zur Vollendung bringt,

und, indem er sie den klaren Geist finden läßt, zum wahrhaft glückseligen Leben führt.

Für die Betrachtung der Natur leistet die Mathematik den größten Beitrag, indem sie das wohlgeordnete Gefüge der Gedanken enthüllt, nach dem das All gebildet ist ... und die einfachen Urelemente in ihrem ganzen harmoni-schen und gleichmäßigen Aufbau darlegt, mit denen auch der ganze Him-mel begründet wurde, indem er in seinen einzelnen Teilen die ihm zukom-menden Formen annahm. Novalis: Das Leben der Götter ist Mathematik.

Alle göttlichen Gesandten müssen Mathematiker seyn.

Auf alles was der Mensch vornimmt, muß er seine ungeteilte Aufmerksamkeit oder sein Ich richten.

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Ralph Waldo Emerson: Wird die Vernunft zu noch ernsterem Schauen angeregt, werden Formen und Flächen transparent und können nicht mehr gesehen werden; Ursachen und Geister werden durch sie geschaut. Dieses Erwachen der höheren Kräf-te sind die höchsten Augenblicke des Lebens. Andreas Speiser: Gleichzeitig die Geometrie und die Zahlen anzurufen, ist nicht nur möglich, sondern darin besteht ganz eigentlich der ganze Zweck unseres Lebens. Geometrische Symmetrien sind die eigentlichen formbildenden Mächte. Besud Erdini: Reine Mathematik ist die Essenz der Natur. Ästhetik wird objektiv mathe-matisch. Nikolaus von Kues: So schließe ich, das erste Exemplar der Dinge in der Seele des Schöpfers sei die Zahl. Das zeigt die Ergötzung und die Schönheit, die allen Dingen in-newohnt und die in der Proportion besteht, die Proportion wieder in der Zahl; daher ist die Zahl der trefflichste Pfad, welcher zur Weisheit empor-führt. Ernst Buchholz: Mathematik ist für Albrecht Dürer die Wissenschaft, die die Formen des Geistes erforscht, ihren Zusammenhang sucht und die "Gesetze des Geistes" als harmonische Symmetrien aufspürt. Gaston Bachelard: Selten sind diejenigen unter uns, denen das Leben das volle Maß seines kosmischen Bezuges gegeben hat.

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Hermann Weyl: Hierauf beruht in erster Linie das Gefühl des Geheimnisvollen an der Zahl, die Zahlenmagie: daß in der Zahlenreihe der Geist aus sich eine unendliche Mannigfaltigkeit wohlcharakterisierter Sonderwesen erzeugt; nachfühlbar auch für uns z.B. in dem undurchsichtigen Gesetz der Verteilung der Prim-zahlen. Man kann kaum die Tiefe der geometrischen Phantasie und Erfindungsgabe überschätzen, die in diesen Mustern zutage tritt. Ihre Konstruktion ist weit davon entfernt, mathematisch trivial zu sein. Die Kunst der Ornamentik enthält implizite das älteste uns bekannte Stück höherer Mathematik. Hugo Kükelhaus: Das Ich kann sich durch keine andere Maßnahme befreien, als durch das, was in dem Wort Maßnahme selbst beschlossen liegt. Masswerk und Ehr-furcht vor dem Leben, Leben in Kristall, Pflanze, Tier, Metall und Stein, das ist eines. Agrippa von Nettesheim: Alles von Anbeginn der Dinge erschaffene ist nach Zahlenverhältnissen geformt, die als Vorbild in dem Geiste des Schöpfers lagen. Es wohnen deshalb den Zahlen große und erhabene Kräfte inne. Alles, was ist und wird, besteht durch bestimmte Zahlen und erhält von ihnen seine Kraft. Vor allem aber ist hier zu bemerken, daß die einfachen Zahlen die göttli-chen Dinge bezeichnen. Carl Gustav Carus: Alles, was wir Naturgestalten nennen, nur sei: eine Gliederung des ewig Werdenden nach den ewigen Gesetzen der Form und der Zahl; eine Gliede-rung, welche sich nur dadurch überall von dem Gesetz an und für sich un-terscheidet, daß sie nie ohne irgend eine leise Beimischung von etwas Irra-tionalem sich verwirklicht.

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Albertus Magnus : Die formgebenden Kräfte, welche aus den Lichtwelten des Urstandes und der Intelligenzen unaufhörlich hineinfluten in die Materie, existieren vollkommener im Urstand und in den lichten Reihen der Intelligenzen als in der Materie. Und nicht fluten sie formgestaltend in das Reich der Materie, um ein materielles Dasein zu haben, während natürlich die Materie sie herbeisehnt als ein Göttliches, Gutes. So kann nicht gesagt werden, daß jene formgestaltenden Kräfte, die als kosmische bezeichnet werden, herabfluten, um die Fülle ihres Quellenreichtums zu zeigen, denn es entspricht nicht einer großartigen Fülle, die Substanz in Minderwertigem aufzubrauchen. Daher muß es schon so sein, daß sie herabfluten, um irgendein göttliches Sein zu erschaffen und göttliche Aufgaben zu vollbringen. Das göttliche Sein und göttliche Aufgaben können sie nur voll ausleben getrennt von der Materie, und wir wissen, daß nur von der menschlichen Seele diese Trennung vollzogen werden kann. Und so ist es weltnotwendig, daß sie durch die von der Materie erlösende Intelligenz zum göttlichen Sein zurückgeführt werden. Ein solches Zurückführen zum Urstand geschieht aber nicht durch die kosmische Intelligenz. Denn jene Formen umfassende Intelligenz hält sich rein übersinnlich in göttlichem Sein und Wirksamkeit. Es muß also notwendigerweise geschehen durch die Intelligenz des Menschen, welcher dazu Kräfte und Organe besitzt, daß er zurückempfange von der Materie aus die Offenbarung der göttlichen Formen.

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Dante Alighieri : In falsche Einbildung hüllst du dich ein, machst es dir selber schwer und kannst nicht sehn, was du mit freiem Blick wohl sehen könntest: du bist nicht mehr auf Erden, wie du glaubst. Alle Dinge stehn einander zugeordnet: dies die Form, durch die das Weltall seinem Schöpfer gleicht. In ihr erkennen höhere Geschöpfe die Spur der ewigen Kraft, des hohen Ziels, wonach besagte Norm und Ordnung steht. Unsinnige Verstrickung irdischer Sorgen, wie mangelhaft eure Gedankenkünste, daß ihr die Flügel kaum vom Boden hebt! Die Menschen sollen nicht so sicher tun im Urteil und den Hafer auf dem Acker nicht schätzen wollen, ehe er gereift ist. Die geheimnisvollen Dinge, die hier sich als Erscheinende mit geben, bleiben den Augen drunten so verborgen, daß dort ihr Dasein ganz auf Glauben ruht. Doch weil in euern Schulen bei den Menschen gelehrt wird, daß die englische Natur Verstand, Erinnerung und Willen habe, sag ich noch mehr, auf daß du rein und schlicht die Wahrheit schauest, die man dort verwirrt in doppelsinniger Gelehrsamkeit. Ein Zweifel kommt dir jetzt und macht dich still; doch will ich dir den harten Knoten lösen, in den dein klügelnd Denken dich verstrickt. Doch weil in mir die Sehkraft sich verstärkte durch Schaun, verwandelte für mich die eine Erscheinung sich, da ich mich selbst veränderte.

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Werner Heisenberg: Die Vielfalt der Erscheinungen kann verstanden werden, weil ihr einheitli-che Formprinzipien zugrunde liegen, die einer mathematischen Darstellung zugänglich sind: Das ist das ganze Programm der Naturwissenschaft. Die Wurzel der Erscheinungen ist das mathematische Gesetz, das funda-mentale Symmetrieoperationen definiert und damit den Rahmen bestimmt, in dem alles Geschehen stattfindet. Hans Kayser: Die harmonikale Ordnung des Universums ist eine Ordnung der Zahlen. Regine Kather: Die Erkenntnis des Schönen als Gestaltwahrnehmung beinhaltet auch die Wahrnehmung der gestaltenden Kraft. Das Schöne sensibilisiert für die verborgenen Seiten der Wirklichkeit, schult den Blick für die strukturverlei-henden Kräfte. Licht, Sinnbild zeitloser Gegenwärtigkeit und vollkommener Bewußtheit, wird zum Mittler zwischen Stofflichem und Geistigem. Plotin: Die Idee tritt also hinzu; das was durch Zusammensetzung aus vielen Teilen zu einer Einheit werden soll, das ordnet sie zusammen, bringt es in ein ein-heitliches Gefüge und macht es mit sich eins und übereinstimmend. V. Geilen: Das Unendliche bedarf einer symbolischen Normierung, die untergründet wird durch einen Zahlbegriff, der den entscheidenden Schritt von jeder äußerlichen, starren, toten Zahlauffassung zu einer tieferen, freieren, leben-digen Auffassung vom Wesen der Zahl als rhythmischen Pulsierens dar-stellt, zu einer Zahlauffassung, die in dem Symbol der pulsierenden Welle ihren naturgemäßen und zugleich vollkommensten anschaulichen Ausdruck findet.

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Diogenes: Auf der Jagd nach Vergnügen um jeden Preis wird ihr Leben immer freud-loser und mühsamer, und während sie glauben, für sich selbst vorzusorgen, kommen sie vor lauter Sorge und Voraussicht erbärmlich um. Goethe:

Selbst im Augenblicke greift es roh zu; Faßt, was ihm begegnet, eignets an sich, Wirft es weg, nicht sinnend, nicht bedenkend, Wie mans bilden möge höhrem Nutzen. Also schreiten sie mit Kinderleichtsinn Und mit rohem Tasten in den Tag hin. Möchten sie Vergangnes mehr beherzgen, Gegenwärtges, formend, mehr sich eignen, Wär es gut für alle; solches wünscht ich.

Was ist die Harmonie anders als die Regeln, und die Melodie anders als die Ausübung. Die ganze Natur ist eine Melodie, in der eine tiefe Harmonie verborgen ist. Max Horkheimer : Sich der Aufklärung und dem Fortschritt zu widersetzen durch Regression auf primitive Stufen, mildert die permanente Krise nicht – im Gegenteil, solche Auswege führen von historisch vernünftigen zu äußerst barbarischen Formen gesellschaftlicher Herrschaft. Ernst Jünger: Wir sind dabei über die Linie zu gehen: mit dem Kopf sind wir teilweise schon drüber. Rolling Thunder : Eines der wichtigsten Prinzipien ist, daß anderen nicht geschadet werden darf. Weder kontrollieren noch manipulieren, nicht versuchen, fremde An-gelegenheiten in die eigene Hand zu nehmen. Jedes Lebewesen hat das Recht, sein eigenes Leben nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten.

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J e n s e i t s d e r Z e i t - Auf der Spitze des Bewußtseins -

Es gibt keinen äußeren Maßstab für das Glück, für ein gelungenes Leben. Der Maßstab liegt in mir und es gibt keine wichtigere und zugleich glück-verheißendere Aufgabe, als diesen Maßstab zu finden und dann sein Leben an diesem auszurichten. Wer sich ruhig auf die Spitze seines Bewußtseins stellen und dabei sein Gleichgewicht halten kann, der ist glücklich. Das wird dann gelingen, wenn wir in unserer Mitte sind und uns nichts aus der Ruhe bringen kann. Das bedeutet keineswegs, daß jemand dabei nicht ein äußerst bewegtes Leben führen kann – wenn es sein Muster ist und er dabei in seiner Mitte ist – warum nicht? Eines der besten Indizien dafür, daß jemand nicht in seiner Mitte ist, ent-nehmen wir dem Satz: „Ich habe keine Zeit.“ Ein ägyptisches Sprichwort sagt: „Alle haben Angst vor der Zeit – nur die Zeit hat Angst vor der Pyra-mide!“ In der Tat scheint im heutigen Getriebe der Welt, Zeit das wichtigste zu sein, was wir haben. Unser Leben erscheint uns als eine begrenzte Le-bensspanne hin auf einen Endpunkt, den Tod, vor dem (fast) alle mehr oder weniger Angst haben. Führen wir dann ein glückliches Leben, wenn wir in dieser Zeitspanne möglichst viel erleben, sich möglichst viel ereignet? Das Resultat ist: alle sind ständig unterwegs, gehetzt, und am Ende doch nicht glücklich. Ständig vergleichen wir uns mit den andern. Das ist aber eine der besten Methoden, um unglücklich zu sein. Das beginnt in der Schule und setzt sich nahtlos fort in den Werbebotschaften, die uns gewollt und ungewollt um-spülen. So stehen wir fortwährend in der Gefahr, aus unserer Mitte ver-drängt zu werden. Die Dinge bestimmen uns, wenn wir selbst nicht in unse-rer Mitte sind und die Dinge nicht aus ihrer jeweiligen Mitte heraus wahr-nehmen. Unser Tun ist dann fremdbestimmt, zweckorientiert. Wir handeln nicht aus einem inneren Impuls, sondern um eines anderen Etwas willen, um ein Ziel, einen Zweck zu erreichen. Schöpferisches Tun ist hingegen selbstbestimmt, autonom. Das setzt voraus, daß wir uns selbst in unserer Mitte gewahr werden und sagen können: Ich bin und ich bin mit meinem Selbst identisch. Hat Unglücklichsein tatsächlich etwas mit fehlender Zeit zu tun? Woher kommt die Angst davor, keine Zeit zu haben. Warum wehren wir uns dage-gen, daß andere über unsere Zeit bestimmen oder es auch nur versuchen? Im Grunde ist es nicht ein Zeitmangel, sondern es ist das „außer sich sein“,

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das „nicht in seiner Mitte sein“, das uns überhaupt erst das Zeitbewußtsein vermittelt. Unser Unterbewußtsein hat ein sehr gutes Gefühl dafür, wenn wir uns von unserer Mitte weg bewegen oder jemand bzw. irgendetwas versucht, uns aus unserer Mitte zu verdrängen. In dieser Situation entsteht das Gefühl von der Zeit, die uns davon läuft. Es ist also in Wahrheit nicht die fehlende Zeit, die uns ängstigt, sondern die Tatsache, daß wir nicht in unserer Mitte sind und uns entweder immer weiter davon entfernen, oder aber nichts dazu tun, um in unsere Mitte zu kommen. Das Leben verläuft auf einer Spiralbahn und wenn jemand glaubt, er gehe an einer geraden Linie entlang, dann liegt der Irrtum darin begründet, daß er zu weit vom Mittelpunkt entfernt ist. Diesem Punkt, dem Mittelpunkt unseres Lebens, entsprechen mathematisch die 1 (Einheit) und die 0 (Identität) auf unseren Zahlengeraden. Die Spitze der Pyramide, des perfekten Kristalls, ist ein Symbol dieser Identität. Mit der Pyramide verbinden sich nun unterschiedliche Vorstellungen. Die Pyramide ist zum einen das Symbol der derzeitigen Organisationsform unserer Gesellschaften. Ein starres institutionalisiertes Gehäuse, das vor allem anderen bewirkt, daß wir nicht zu uns selbst, nicht in unsere Mitte kommen und das uns damit auch daran hindert, glücklich zu sein. Die nur unbewußt gewußte Mitte wird in die Spitze der Pyramide projiziert. Es gibt aber auch die sinnlich erfahrbare Pyramide. Das ist diejenige, vor der die Zeit – deren planetares Symbol der Saturn und deren Wochentag der Samstag ist (Englisch: Saturday) – Angst hat. Die Zeit, wie wir sie kennen, hört nämlich dann auf zu existieren, wenn sich die schwarze Kohle in den glasklaren durchsichtigen Diamanten verwandelt, d.h.: wenn wir in unsere Mitte kommen. Der Diamant kristallisiert bevorzugt in Oktaedern und Rhombenzwölfflächnern. Die Spitzen dieser Kristallformen entsprechen exakt den äußeren Formen der beiden kleineren Pyramiden auf dem Gizeh-Plateau in Ägypten. Es geht also darum diese Pyramide in uns zu verwirkli-chen. Einer dritten Art von Pyramide begegnen wir in der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow, einem der Gründer der humanistischen Psychologie im Jahr 1962. Wie alle Pyramiden mündet auch diese in einer Spitze und er-fährt dadurch eine gewisse Abgeschlossenheit. Da die Spitze menschlicher Bedürfnisse aber die Selbsterfüllung ist, mithin das Glück, möchte ich das Bild dieser Pyramide der Bedürfnisse dahingehend modifizieren, daß sie

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sich nach dem Durchgang durch die Spitze, das ist das Finden unserer Iden-tität, zur Fülle der unendlichen Möglichkeiten wiederum öffnet und sich so im Ganzen wieder mit den Grundbedürfnissen an der Basis der Pyramide zusammenschließt.

An dieser Stelle sei an die Briefe Schillers zur Ästhetik erinnert: In seiner Analyse über Formtrieb, Spiel und Schönheit kommt er zu dem Schluß, daß der Mensch nur durch das Spiel, in dem die Zeit innerhalb des Zeitlichen aufgehoben wird, aus dem Reich der Notwendigkeit - des Zeitlichen, in dem der Sinnentrieb vorherrschend ist - in das Reich der Freiheit gelangen kann, wo der Formtrieb der bestimmende ist. Auch Sokrates war schon der Mei-nung, daß der Mensch nicht ernst sein solle, um sich danach im Spiel zu erholen, sondern er solle spielen um dessentwillen, was das Ernsteste ist: um der Götter und der Bildung willen.

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Die Masche - Mitte und Rand -

Die Vorstellung vom „Reich der Notwendigkeit“, dem „Tal der Tränen“ in dem jeder „sein Brot im Schweiße seines Angesichts erarbeiten“ muß, ist ein fest verwurzeltes Bild des mentalen Zeitalters und aufs engste verknüpft mit der Mißachtung der universalen Gesetze. Es ist Grundlage der herr-schenden zentralistischen Politikvorstellungen und Machtgefüge. Mit dem Verlust des Königswissens, dem Wissen von Strukturen, ging auch das Wissen um die freien Formen der Energie verloren. Verknappung von Gü-tern, hinterhältige Geldsysteme und Verfolgung freier Geister sind demnach bis heute das zentrale Mittel für findige, aber keineswegs weise Menschen, eine Hierarchie aufrechtzuerhalten, in der sämtliche Energien zur Spitze der Pyramide gelenkt werden. Indem sich die gesellschaftliche Pyramide als hierarchisch erstarrtes Zwangsgebilde zum inneren Diamant in einem jeden Einzelnen verwandelt, der ihm die erforderliche Integrationskraft verleiht, vollzieht sich auf der strukturellen Ebene, im Bild gesprochen: in der Werkstatt der Weber, ein epochaler Umbau hin zu einem elastischen Netzwerk autonomer Gemein-schaften. In diesem globalen Ganzen ist jeder Einzelne, sowohl wie jede Gemeinschaft, zugleich eine Masche im Netzwerk, als auch selbst ein kom-plex vermaschtes Ganzes. Jeder kann mit Recht behaupten: Die Mitte ist da, wo ich bin. Das gilt für jeden Punkt auf der Oberfläche einer Kugel. Das Zentrum der Kugel bleibt davon unberührt. Gleichzeitig ist jeder Punkt auch absolute Peripherie – eben in Bezug auf den Kugelmittelpunkt. Der für alle anstehenden Änderungen maßgebliche Gedanke ist die Idee der Dezentralisierung. Diese Idee wird durchdrungen vom Gedanken der Drei-gliederung der Gesellschaft. Die dahinter liegende Vorstellung von der Gesellschaft als ein dem menschlichen Körper analoges Wesen geht weit zurück. Danach gliedert sich sowohl der Mensch wie die Gesellschaft in drei autonome Einheiten, die synergetisch zusammenwirken. In der Gesell-schaft unterscheiden wir demnach den Bereich des Haushaltens, also der Wirtschaft, die Rechtssphäre, also die politische Organisation einschließlich des Geldwesens (Geld stellt einen Rechtsanspruch dar) und den Bereich der Kultur bzw. des Geistes, also der Bildung und der Kunst. Wie im Bereich der Mathematik, so sind auch hier schwerwiegende Überla-gerungen zu beobachten. Die Losung während der französischen Aufklä-rung „liberté – egalité – fraternité“, ins deutsche übernommen als „Einig-

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keit und Recht und Freiheit“ (man beachte die Umkehrung der Reihenfolge) hat einen direkten Bezug zum Dreigliederungsgedanken. Die sinnvolle Zuordnung der Brüderlichkeit zum Wirtschaftsleben, der Gleichheit zum Rechtsleben und der Freiheit zum Geistesleben wurde und wird durch die von Illuminaten kontrollierte Pyramidenspitze vertauscht. Daher gilt in allen aufgeklärten und demokratischen Staaten: Freiheit des Kapitals im Wirt-schaftsleben, Gleichheit des Denkens im Geistesleben und Brüderlichkeit bei der Verteilung von Positionen in den politischen Hierarchien, also im Rechtsleben. Was können wir von diesen Ideen nach einer Bereinigung erwarten? I Verantwortung - freie Energie - Der Mensch ist ein auf Gemeinschaft angelegtes Wesen. Gleichermaßen strebt er danach, sein Selbst möglichst unverfälscht zu verwirklichen. Wenn wir davon ausgehen, daß er seine ihm gegebenen Gaben und damit seine Aufgabe einmal erkannt hat, wird er also bestrebt sein, dieser bestmöglich gerecht zu werden und so seinem Selbst Ausdruck verleihen. Dem steht nicht entgegen, daß er sich mit Anderen gleicher Begabung zusammentut und sie alle voneinander lernen. Das, was heute noch ein Privileg verhältnismäßig Weniger ist, nämlich das tun zu können, was man von innen heraus und gerne tut, das wird zum Normalfall. Das Tun wird schöpferisch, die Menschen kommen in Reso-nanz mit dem Leben und mit ihrem Selbst. Der Mensch, der in seiner Mitte ist, kommt in Fluß und dieser öffnet Tore der Intuition, Energien fließen im Übermaß. Wir sind nicht länger damit beschäftigt, das Gewordene in sei-nem Verfall zu organisieren, mit hohem Aufwand eine sogenannte Ökono-mie zu betreiben und bei sogenannten Arbeitgebern um, im Grunde wesens-fremde, Arbeit anzustehen. Vielmehr wird es mit dem entsprechenden Be-wußtsein gelingen, die überall verfügbaren freien Energien in den Aufbau eigener und wahrhaftiger Schöpfungen zu leiten, die allen zugute kommen. „Energie ist der meßbare Ausdruck der Revolte des Geistes gegen seine Gefangenschaft im Stoff.“ (Anthony West) Wie wollen wir diese Revolte des Geistes meistern, wenn wir kein Wissen vom Geist haben? Wir brau-chen also wieder ein Bewußtsein von den Formen. Denn Energie schafft sich Form (Viktor Schauberger) und Energie ist in Form (Leibniz). Energie ist demnach nicht zuletzt ein Formproblem, hat zu tun mit In-form-ation und damit mit Verhältnissen. Ohne eine Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten

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der Hierarchie der Verhältnisse und damit der Zahlen, über die uns diese Hierarchie zugänglich ist, ist keine effektive Einkoppelung in den Strom der Energien möglich. Es geht nicht darum, Energien einzusperren, sondern ihren ewigen Fluß weise zu lenken. Das bedarf der Ver-nunft, d.h. daß wir uns selbst dem Strom anvertrauen, auf ihn hören, d.h. ihn ver-nehmen. Nur dann können wir entsprechend antworten und damit Ver-antwort-ung übernehmen. Nie-mand wird den Strom der freien Energie ohne das entsprechende Bewußt-sein und nur mit dem reinen Verstand in Dienst nehmen können. II A u t o n o m i e - regionale Vernetzung - Bei allem Gemeinschaftssinn sind in einer räumlich begrenzten Welt Kon-flikte nicht ausgeschlossen. Diese wurden in ferner Vergangenheit von weisen Königen und Richtern geschlichtet. Seine Aufgabe war die Auf-rechterhaltung von Gerechtigkeit, indem er im Komplex der Ansprüche dafür sorgte, daß keiner aus seiner (ihm selbst unbekannten) Mitte verdrängt wurde. Im Ausgleich der praktischen Interessen in einem Netzwerk geht es nicht länger um Appelle an die Moral, um ethische Normen und geheimnisvolle letzte Instanzen, sondern um das Wissen von Strukturen. Strukturwissen ist Königswissen. Religio ist im ursprünglichsten Sinn Rückbindung an die Gesetze des Seins. In diesem Sinn ist Religion und Mythos eine unter ande-ren symbolischen Formen. In allen bisherigen symbolischen Formen war das Wissen um die Strukturen ein implizites, ein eingefaltetes Wissen. Das war deswegen nicht weniger effizient, als das unsrige, aber es konnte nicht ohne weiteres kommuniziert werden. Das ist der Grund für die lange Aus-bildung von künftigen Schamanen, Priestern und Wissenschaftlern. Heute ist dieses Königswissen, zumindest im Prinzip, allen verfügbar. Struktur ist explizit geworden und über die Rhythmen der Zahlen zugäng-lich. Es ist offensichtlich, daß sich ein hochkomplexes Netzwerk nicht mit den Mitteln des althergebrachten Denkens in Hierarchien steuern läßt. Al-lein schon der Begriff der Steuerung ist verräterisch. Das gilt auch für die sogenannten selbststeuernden Systeme. Immer noch schwingt dabei die Vorstellung von Objekten mit und der heimliche Wunsch, als Teil dem ganzen die Richtung geben zu können. Aber das wird so lange nicht gelin-gen bzw. in Katastrophen münden, wie wir uns nicht selbst auch hier in den Fluß der Veränderung begeben.

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Geld regiert die Welt. Regieren ist Steuern. Ist Geld also ein Mittel der Selbststeuerung? So wie es derzeit organisiert ist, wohl kaum. Geld als Abbild von Entropieströmen ist über den Zinsmechanismus derzeit in der Lage, sich selbst zu vermehren. Hier liegt ein offensichtlicher Widerspruch zu den Gesetzen des Seins vor. Wenn Geld auch in Zukunft als Ausgleichs-symbol fungieren soll, dann muß dieser grundsätzliche Konstruktionsfehler beseitigt werden. Wie das geschehen kann, wird bereits in den verschie-densten Regionen der Welt in Form von Regionalgeld und mit Barter-Systemen realisiert. III V e r n u n f t - ästhetische Erziehung - Der Mensch ist nicht nur ein „homo oeconomicus“ und ein „zoon poli-ticon“, sondern auch und vor allem ein „animal symbolicum“. Schon gleich zu Beginn haben wir darauf aufmerksam gemacht, daß seine besondere Fähigkeit zur erkennenden Wahrnehmung und zur kombinatorischen Ord-nung ihm die Möglichkeit gibt, seine grundsätzliche Schwäche mangelnder Spezialisierung in eine überragende Stärke zu verwandeln. So wird er zu-nächst zum „homo faber“, der Werkzeuge planmäßig herstellt und einsetzt, dann aber auch zum Verfasser von bedeutungsvollen Symbolen. Kunst und Technik waren einst ungeschieden. Techné ist das Wissen vom Gestalten, vom Hervorbringen. Wenn es also einen Grund gibt, daß sich die Kunst verselbständigt hat, dann aufgrund der Verselbständigung der Zei-chen. Die beschriebenen Überlagerungsprozesse greifen auch auf die Kunst über: wie die „ars combinatoria“ alles möglich erscheinen läßt, so geraten auch Künstler leicht in den Sog der Beliebigkeit. Diese kommt auch zum Ausdruck in der Formel von der Zweckfreiheit der Kunst. Das ist allerdings ein grobes Mißverständnis, wie das damit verbun-dene Urteil der Nutzlosigkeit. Kunst verstanden einerseits als Verfeinerung des symbolischen Vermögens und andererseits als schöpferische Selbstver-wirklichung des Künstlers ist diejenige Tätigkeit, die letztlich über den Fortbestand einer Kultur entscheidet. Alle Künste sind Methoden der Reini-gung. Immer geht es darum seiner Aufgabe noch besser gerecht zu werden. So wie die Glocke nur dann ganz rein klingt, wenn sie von jeglichem Schmutz befreit ist, so hat auch jeder Mensch die Aufgabe selbst immer klarer, heller und durchsichtiger zu werden. Die letzte Instanz als Maß für mein Glück ist die Reinheit meiner Schwingung, d.h. ich bin im Einklang mit meinem Selbst, eins und null werden identisch.

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Im autonomen schöpferischen Tun zählt nur das hier und jetzt, bin ich aus-serhalb der Zeit, wie das Kind in seinem Spiel. In diesem Zusammenhang sei Friedrich Schillers berühmte Formulierung aus seinen Briefen „Über die ästhetischen Erziehung des Menschen“ zitiert: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Im Sinn der Verschränkung der drei Glieder im sozi-alen Organismus ist jedermann zu jederzeit immer auch ein Künstler. Jeder soll immer und überall seine Aufgabe so gut erledigen, wie es ihm möglich ist. Ob nun Gärtner, Kaufmann, Heiler, Handwerker, Pfleger oder Ruten-gänger – jede Handlung bezeugt auch eine innere Haltung zum Gesetz des Seins und ist eine Übung zur Verfeinerung und Pflege des Wissens und Könnens. Die prinzipielle Unfertigkeit des Menschen bei der Geburt und als Merkmal seiner Spezies, macht ihn einerseits empfänglich für Neues und die Fülle der Möglichkeiten. Darin liegt andererseits aber auch die Gefahr der über-mäßigen Manipulation durch Erziehung. Es liegt in der Verantwortung der Erzieher und Lehrer, daß der Mensch, sein Leben lang immer erneut vor Entscheidungen gestellt, die für ihn richtigen Entscheidungen fällt. Eine der wichtigsten Entscheidungen, nämlich die für seinen Lehrer, wird ihm heute durch ein institutionalisiertes Schulsystem abgenommen. Die Entmündigung und Verschulung bringt das hervor, was das alte System braucht: willenlose Zombies. Ivan Illich sagt daher: „Die Schule ist eine Werbeagentur, die einen dahin bringt zu glauben, man brauche die Gesell-schaft so, wie sie ist.“ Tatsächlich aber ist es Aufgabe einer Pflanzstätte, die Schüler über das rein intellektuelle Wissen hinaus zu einem spirituellen Leben zu befähigen. Ohne ein gültiges, verläßliches Eichmaß - und das finden wir nur in uns selbst - ist alles Rechnen vielleicht richtig, aber nur in den seltensten Fällen wahr. Der Schüler kann durchaus beurteilen, welches der für ihn richtige Lehrer ist, nämlich der, der ihn darin unterstützt, seinen Weg zu sich selbst, zu seiner Mitte zu finden. Woher er das weiß? – wenn er nicht zuvor schon manipuliert wurde, ist das schlicht eine Frage der Re-sonanz und davon verstehen Kinder bis zum siebten Lebensjahr heute noch mehr als die meisten Erwachsenen.

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Des Fadens Faden - unsichtbare Mitte -

Die Neugierde des Menschen ist Chance und Gefahr gleichermaßen. Wenn diese in reine Sensationslust umschlägt, d.h. die Befriedigung der Sinne, womöglich bis zur Betäubung, kann von einem bewußten Sein nicht mehr die Rede sein, und es ist ein leichtes, ihn völlig aus dem Bereich seiner Mitte zu schubsen. Anhand des Dreigliederungsgedankens, im Zusammen-hang mit dem Dezentralisierungsprinzip, haben wir uns ansatzweise Mög-lichkeiten vergegenwärtigt, wie dieser institutionalisierten Entgeisterung der Menschheit der Boden entzogen werden kann. Nun mag der eine oder ande-re angesichts der unbestreitbaren Enttäuschungen, trotz aller Anstrengun-gen, einigermaßen skeptisch sein, was die Erfolgschancen derartiger Um-bauten betrifft. Diese Skepsis ist durchaus berechtigt. Ich habe bereits am Anfang darauf hingewiesen, daß die Spinnstuben tiefer liegen als die Webstuben. Die strukturellen Änderungen auf der Ebene der Webstuben haben wir angedeutet. Was diese neuen Strukturen allerdings nicht nur so kraftlos erscheinen läßt, sondern sie tatsächlich kraftlos macht, ist die Tatsache, daß die neuen Stoffe immer noch mit dem alten Faden der Metaphysik gewoben werden. Immer und überall ist noch die Rede von Ethik und Logik und Recht und und und .... Das mangelnde Vokabular für das Neue macht es schwer, aus dieser Verlegenheit herauszukommen. Das ist aber keine Entschuldigung dafür, es nicht doch wenigstens zu versuchen. Wir haben auf den vergangenen Seiten ausführlich auf den Kern der Neu-zeit, nämlich die Mathematik, hingewiesen und sie als ein neues symboli-sches Vermögen identifiziert, das in seinem Wesen bis heute überwiegend nicht erkannt ist. Des Fadens Faden, der neu gesponnen wurde, ist ein quali-tatives Verständnis für die Zahl und ihre Unterscheidung in Größen und Verhältnisse. Erst wenn dieser Faden die Menschen durchzieht, werden wir brauchbare neue Stoffe weben können. Und erst dann können die Schneider auch neue ansprechende, zeitgemäße Kleider entwerfen. Im Mittelpunkt des neuen symbolischen Vermögens stehen die Gesetze der Form. Sie liefern den Bedingungsrahmen für die unerschöpfliche Fülle an Möglichkeiten. Der unsichtbare Gott der Metaphysik ist tot, die Struktur ist explizit geworden. Hinter all der Vielfalt, der äußerlichen Differenzierung, erkennen wir nicht nur eine Ordnung - das wurde zu allen Zeiten gewußt - wir können sie heute mathematisch, d.h. mit Zahlen und Formeln erfassen und beschreiben. Das neue symbolische Vermögen markiert eine neue Stufe

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des Bewußtseins, das integrale Bewußtsein. Der Mensch ist selbst zum Schöpfer geworden. Allen Kulturen war die Pflege der jeweiligen symbolischen Form, und mag sie uns noch so primitiv erscheinen, heilig. Sie garantiert den Bestand der Kultur. Hieraus beziehen die Rituale ihre Bedeutung. Gleiches gilt für das Tabu und entsprechende Sanktionen für Tabuverletzungen. Wenn wir glau-ben, auf die Verfeinerung und Pflege unseres neu erworbenen Wissens verzichten zu können, weil wir es in unserer Verblendung gar nicht erken-nen und demnach nicht schätzen lernen, wird das, was einmal Kultur war, zur bloßen Zivilisation herabsinken und in kurzer Zeit vergessen sein. Es gibt daher keine wichtigere Aufgabe, als das tote Halbwissen in lebendige Weisheit zu verwandeln. Das Wissen um die Verhältnisse der Ordnungen, des Fadens Faden, ist Grundlage von allen Dingen in der Natur. Nur wenn wir dieses Wissen auch in allen unseren Handlungen und Schöpfungen berücksichtigen, wird das verwirklicht, was Arnold Keyserling angekündigt hat: „Die Frucht des Le-bensbaums tritt zu jener des Baums der Erkenntnis.“ Damit war der Satz aber nicht zu Ende. Keyserling weist darauf hin, daß diese Vereinigung von Kopf und Herz, von Verstand und Vernunft, nur denen gelingen kann, „die den Mut zur inneren Wandlung besitzen.“ Tatsächlich brauchen wir nicht mehr, aber bessere Mathematik. Es geht nicht um die Fülle und Vielfalt an Methoden und Formeln. Davon haben wir, wie in allen anderen Fächern auch, mehr als genug. Die Verwirrung hat Methode und ist nur geeignet, uns aus unserer Mitte zu verdrängen. Was wir brauchen ist eine völlig andere Qualität und Herangehensweise. Was die Inhalte angeht, so ist das Neue ja nicht sonderlich schwierig. Das Haupthindernis besteht darin, den ganzen Schutt und die Schlacke zu ent-fernen, mit der die Menschen von Kindesbeinen an überzogen werden. Diese haftet an ihnen ihr Leben lang und hindert sie außerdem daran, Ande-res an- und aufzunehmen. Ich habe bereits auf die Bedeutung von Ritualen und Tabus hingewiesen und reklamiere das auch für dieses symbolische Vermögen. Das bisherige formale mathematische Wissen wird nur dann zur Weisheit von der Zahl werden, wenn wir es verfeinern und pflegen. So wie der Gärtner die Erde auflockert, damit der Regen zu den Wurzeln der Pflanzen eindringen kann und die Pflanzen gedeihen können, bedarf es auch in Bezug auf das mathe-

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matische Wissen der geduldigen Übung. Dies umso mehr, als nicht wenige Menschen sich nach der Schule mit gutem Grund von der Mathematik ab-gewendet haben. Das bedeutet aber in letzter Konsequenz, daß sie sich von der Grundlage des neuzeitlichen Lebens abgekoppelt haben. Das ist insofern fatal, als es keinen Weg gibt, der hinter den Symmetriebruch zurückführt, Gott ist tot! Darin liegt die von Erich Neuman angemahnte Gefahr, daß nämlich die nicht ins Bewußtsein gebrachten Archetypen zu einer Bewußt-seinsauflösung und Regression führen. Strukturwissen ist Königswissen und es muß zur Verfügung stehen. Es gehört nicht zu der Kategorie Wissen, dessen Halbwertzeit unter fünf Jahren liegt. Dieses Wissen behält seine Gültigkeit über das Leben der Menschheit hinaus. Dementsprechend wird es nicht vermittelt werden können, wie man einen Maschinenkurs oder einen Kurs für ein neues Computerprogramm absolviert. Zu Vermittlung und Pflege dieses Wissens, oder kurz: zur Kulti-vierung dieser Weisheit, bedarf es keines großartigen materiellen Aufwan-des, dafür sollten aber die energetischen Rahmenbedingungen sorgfältig bedacht und erfühlt werden. Es wäre wünschenswert, daß es, zumindest der Idee nach, mehr Stätten gibt, wie das Mathematische Forschungsinstitut in Oberwolfach. Dieser inspirie-rende Ort teilt leider das Schicksal so vieler Einrichtungen, die dem Geisti-gen verpflichtet sind: es ist ein Elfenbeinturm. Diese Schwierigkeit beginnt schon mit dem Erwachen des Geistigen überhaupt. „Solange der Geist in der reglosen Welt seiner Hoffnungen schweigt, spiegelt und ordnet sich alles zu jener Einheit, die sein Heimweh ersehnt. Bei seiner ersten Regung aber wird diese Welt brüchig, sie stürzt ein, und wir haben es mit einer Unzahl schillernder Bruchstücke zu tun.“ Diese Feststellung von Albert Camus ist solange richtig, wie das Wissen um die unsichtbare Ordnung auf Glauben und esoterische Erleuchtung gegründet ist. Das führt zur unseligen Trennung von Himmel und Erde, dem Dualismus von Form und Inhalt usw. Das sogenannte Geistige muß sich aufgrund des esoterischen Gebarens den Vorwurf der Abgehobenheit gefallen lassen. Das gilt auch für die als elitär geltende Ordensschule der Glasperlenspieler in Waldzell in Hermann Hesses Roman „Das Glasperlenspiel“. Hesse sagt darin sehr viel wahres über die Funktion solcher Pflegestätten des Geistes. Er macht aber auch deutlich, wie leicht diese aufgrund der Abgehobenheit und Isolation abgleiten in Sterilität, Unfruchtbarkeit und Dekadenz und so

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letztlich ihre eigentliche Funktion als Quell der kulturellen Erneuerung verfehlen. Der Geist tut sich schwer und zugleich öffnet er Tür und Tor für die Mani-pulation derer, die sich ihm verweigern. „Der Mensch ist das einzige Ge-schöpf, das sich weigert zu sein, was es ist.“ Auch dieser bestrickende Satz von Camus gilt nur dann, wenn wir das eigentliche Wesen des Menschen verkennen. Der Mensch ist ein geistiges Wesen, d.h. fähig zum erkennen von Ordnung und sein Sensor dafür sind die Zahlen. Diese Erkenntnis ist nicht grundsätzlich neu. Jedoch: „Mit dem Tod von Pythagoras ging der großartige Schlüssel zur Zahlenweisheit verloren.“ Das teilt uns Manley Hall mit. Spätestens seit Platon ist die Zahl nicht länger etwas Göttliches, ein den Dingen immanentes Ordnungsprinzip. Sie ver-flüchtigt sich zum einen zur transzendenten Idee eines abstrakten Ord-nungsprinzips, zum andern degenerierte sie bei den Schülern von Aristote-les zur bloßen Rechengröße. Platons Metaphysik der Transzendenz hat mit der immanenten Ordnung der Ägypter, Orphiker und Pythagoräer nichts mehr gemein. Die Mißachtung der Zahl als Qualität stand im Mittelpunkt unserer Gedanken über das Glück des Glücks. Heute ist der Schlüssel erneut in unseren Händen und wir sind wieder bei der Unbestechlichkeit der Zahl angelangt. Die jahrtausende alte Diskrepanz zwischen dem Geistigen und Sinnlichen sollte mit der erneuerten Zahlen-weisheit überwunden werden. Integrales Bewußtsein wird dazu führen, daß Kultur und Alltag wieder eine Einheit werden. Unser Tun wird geistig und unser Geist wird unseren Handlungen immanent sein. Es ist nicht zu erwarten, daß diese Situation von heute auf morgen eintritt. Daher sind Pflanzstätten und Initiativen nötig, die diese neue alte Form ausprobieren und einüben. Daß das keine Utopie ist, das zeigt die beeindru-ckende und bewundernswürdige Sekem-Initiative des Ägypters Ibrahim Abouleish. Das Glück des Glücks steht uns allen offen. Auch wenn das Offenbare nicht ohne weiteres offensichtlich ist, so ist es doch nicht länger in irgendeiner Weise geheimnisvoll und es liegt an uns, es einfach zu erfassen. Mit dem Mut zur inneren Wandlung ist es ein leichtes. In diesem Sinn wünsche ich dir alles gute auf dem Weg zum Sad al suud, ins Glück des Glücks!

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L i t e r a t u r Adams, George: Strahlende Weltgestaltung

Agrippa von Nettesheim: De occulta philosophia

Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen

Arnheim, Rudolf: Anschauliches Denken

Bateson, Gregory: Ökologie des Geistes

Becker, Oskar: Grundlagen der Mathematik in geschichtlicher Entwicklung

Bense, Max: Ausgewählte Schriften in vier Bänden

Berner, Karl: Bunte Fenster

Bernhard, Arnold: Projektive Geometrie aus der Raumanschauung

Bindel, Ernst: Logarithmen für Jedermann

Bischof, Marco: Biophotonen

Bloch, Ernst: Prinzip Hoffnung

Blumenberg, Hans: Die Genesis der kopernikanischen Welt

Bohm, David: Die implizite Ordnung

Burckhardt, Martin: Metamorphosen von Raum und Zeit

Burckhardt, Titus: Spiegel der Weisheit

Camus, Albert: Der Mythos von Sisyphos Der Mensch in der Revolte

Cassirer, Ernst: Philosophie der symbolischen Formen Substanzbegriff und Funktionsbegriff Freiheit und Form

Ceming, Katharina; Werlitz, Jürgen: Die verbotenen Evangelien

Chardin, Teilhard de: Der Mensch im Kosmos

Coats, Callum: Naturenergien verstehen und nutzen

Colerus, Egmont: Vom Einmaleins zum Integral

Cusanus s. Nikolaus von Kues

Devlin, Keith: Sternstunden der modernen Mathematik

Dürrenmatt, Friedrich: Philosophie und Naturwissenschaft

Edmondson, Amy C.: A Fuller Explanation

Emerson, Ralph Waldo: Natur

Ernst, Bruno: Der Zauberspiegel des M.C.Escher

Eschenbach, Wolfram von: Parzival

Euler, Leonard: Einleitung in die Analysis des Unendlichen

Feynman, Richard s. Goodstein

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Fichte, Immanuel Hermann: Blütenlese aus seinen Werken (Ehret Hrsg.)

Fideler, David: Jesus Christ Sun of God

Fosar, Grazyna; Bludorf, Franz: Vernetzte Intelligenz

Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge

Franz, Marie-Louise von: Zahl und Zeit

Friedmann, Hermann: Die Welt der Formen

Fromm, Erich: Die Furcht vor der Freiheit

Fuller, Richard Buckminster s. Edmondson, Amy

Gebser, Jean: Gesamtausgabe in 8 Bänden

Gehlen, Arnold: Der Mensch Seine Natur und seine Stellung in der Welt

Giedion, Siegfried: Raum, Zeit, Architektur

Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehr- und Wanderjahre Faust-Dichtungen

Anschauendes Denken Schriften zur Naturwissenschaft

Goodstein, David & Judith: Feynmans verschollene Vorlesung

Gorsleben, Rudolf John: Hoch-Zeit der Menschheit

Govinda, Lama Anagarika: Die innere Struktur des I Ging

Greenspan, Nancy T.: Max Born Baumeister der Quantenwelt

Guthrie, Kenneth Sylvan: The Pythagorean Sourcebook and Library

Gwilliam, Tony: Bring your mind home

Hall, Manley: The secret teachings of all ages

Hartmann, Hans, Mislin, Hans: Die Spirale

Hasenclever, Richard: Die Grundzüge der esoterischen Harmonik

Hasselbach, Horst v.: Hyperpythagoräik in: Mensch u.Technik –naturgemäß

Heidegger, Martin: Die Technik und die Kehre

Heisenberg, Werner: Schritte über Grenzen

Helten, Leonhard: Mittelalterliches Maßwerk

Hesse, Hermann: Sämtliche Werke

Hunke, Sigrid: Europas eigene Religion

Ifrah, Georges: Universalgeschichte der Zahlen

Illich, Ivan: Entschulung der Gesellschaft

Kahn, Louis: Die Architektur und die Stille

Kayser, Hans: Der hörende Mensch

Kepler, Johannes: Weltharmonik

Keyserling, Arnold: Der neue Name Gottes

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Kleist, Heinrich von: Werke in zwei Bänden

Kühlewind, Georg: Der sanfte Wille

Kükelhaus, Hugo: Urzahl und Gebärde

Lawlor, Robert: Sacred Geometry

Le Corbusier: Der Modulor

Lelord, Francois: Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück

Leroi-Gourhan, André: Hand und Wort

Lichtenberg, Georg Christoph: Aphorismen

Maack, Ferdinand: Die heilige Mathesis

Mahnke, Dietrich: Leibniz und Goethe

Mainzer, Klaus: Geschichte der Geometrie

Maor, Eli: Die Zahl e – Geschichte und Geschichten Dem Unendlichen auf der Spur

Mayer-Kuckuk, Theo: Der gebrochene Spiegel

Meier, Anton C.:Emma Kunz

Mensching, Günther: Über d. gesellschaftlichen Ursprung des Individuums

Mirandolla, Giovanni Pico della: Die Würde des Menschen

Müller, Hartmut: Global Scaling in: raum&zeit special 1

Neumann, Erich: Der schöpferische Mensch s. a. Walch, Gerhard

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra Die fröhliche Wissenschaft

Nikolaus von Kues: Liber de mente

Novalis: Werke, Tagebücher und Briefe

Olivastro, Dominic: Das chinesische Dreieck

Peirce, Charles Sanders: Phänomen und Logik der Zeichen

Picht, Georg: Das richtige Maß finden Glauben und Wissen

Naturwissenschaft und Bildung Von der Zeit

Pietschmann, Herbert: Das Ende des naturwissenschaftlichen Zeitalters

Platon: Sämtliche Werke griechisch-deutsch

Pugh, Nirmal & Derek: Unveiling Creation

Rasmussen, Ernst: Die verborgene Seite der Zahlen in: raum & zeit # 141

Ricard, Matthieu: Das Licht Tibets

Rilke, Rainer Maria: Werke in drei Bänden

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Rombach, Heinrich: Substanz System Struktur

Rüegg, Walter: Antike Geisteswelt

Schiller, Friedrich: Gedichte Über die ästhetische Erziehung des Menschen

Schmieke, Marcus: Die Physik des Hyperraums in: raum & zeit # 152 / # 154

Schneider, Kurt: Der Polyederzyklus

Schneider, Reinhold: Macht und Gnade

Schuster, Peter-Klaus: Melencolia I Dürers Denkbild

Seife, Charles: Zwilling der Unendlichkeit

Senghor, Leopold Sedar: Negritude und Humanismus

Shankara: Das Kleinod der Unterscheidung

Shiv Charang Singh: Die Sprache der Zahlen in: Tattva viveka #28

Sloterdijk, Peter: Kritik der zynischen Vernunft

Speiser, Andreas: Die Theorie der Gruppen von endlicher Ordnung

Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes

Stein, Walter Johannes: Weltgeschichte im Lichte des heiligen Gral

Störig, Hans Joachim: Kleine Weltgeschichte der Philosophie

Stössel, Rudolf: Harmonikale Faszination

Strieder, Peter: Dürer

Tagore , Rabindranath: Persönlichkeit

Temple, Robert: Die Kristallsonne

Thimus, Albert von s. Hasenclever

Tolle, Eckhart: Eine neue Erde

Volkamer, Klaus: Feinstoffliche Erweiterung der Naturwissenschaften

Walch, Gerhard M.: Tiefenpsychologie und neue Ethik von Erich Neumann

Warnke, Ulrich: Diesseits und Jenseits der Raum-Zeit-Netze

Weber, Max: Die protestantische Ethik

Weizsäcker, Carl Friedrich von: Die Einheit der Natur

West, John Anthony: Serpent in the sky

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