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Nr. 414

Ruf der Höheren Welten

Eine Körperlose erwacht

von Horst Hoffmann

Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherie der Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die der Dimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat –, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn.

Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu­kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppe von ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte Marantrone-rRevier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird.

Dort beginnt für Atlan und seine Gefährten eine Serie von Abenteuern, die beinahe tödlich ausgehen. Die ersten Stationen des gefahrvollen Weges sind unter anderem Enderleins Tiegel, der Schrottplanet, Xudon, der Marktplanet, und Gooderspall, die Welt der Insektoiden.

Während Atlan und Thalia gegenwärtig wieder einmal von Verfolgern bedrängt werden, blenden wir um zum Geschehen auf Pthor.

Dort erwacht eine Schläferin – und an sie ergeht der RUF DER HÖHEREN WEL­TEN …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Thalia - Die beiden Pthorer in aussichtsloser Lage.Leenia - Eine Schläferin erwacht.Mod-Poluur - Ein Monstrum.Sator Synk - Der Orxeyaner hat Kummer mit Robotern.Heimdall - Der Odinssohn hält Atlan für einen Verräter.

Prolog

Auf Pthor herrschte die Ruhe vor dem Sturm. Die Ruhe – das war die Furcht der Atlanter vor der Reaktion derjenigen, die in der Schwarzen Galaxis die Macht hatten und früher oder später erscheinen würden. Das war die Untätigkeit, zu der die Odins­söhne und ihre Helfer verurteilt waren, war die Qual, die der Gedanke an die Zukunft hervorrief, war das Gefühl, sich verstecken zu müssen, wo es keine Verstecke gab. Denn niemand zweifelte daran, daß es gegen die erwarteten Invasoren aus dem dunklen Ster­nennebel, dessen schreckliche Aura selbst bis hierher zu spüren war, wo Atlantis zwi­schen den vorgelagerten Mikrogalaxien und der Schwarzen Galaxis gestrandet war, kei­ne Gegenwehr geben würde. Der Sturm – das war jener Angriff, mit dem nun seit Wo­chen bereits stündlich gerechnet wurde. In vielen Teilen des Dimensionsfahrstuhls kam es zu Unruhen. Die Odinssöhne hatten alle Mühe, die vor Angst halb verrückten Stäm­me im Westen zu beruhigen. Sie standen al­lein da. Atlan, der für fast alle Pthorer zu ei­ner Symbolfigur geworden war, dem sie die Befreiung vom Joch der Unterdrücker zu verdanken hatten, war mit einem Organ­schiff in Richtung Schwarze Galaxis aufge­brochen. Seitdem hatte niemand mehr etwas von ihm und Thalia gehört. Die Stimmen mehrten sich, die Atlan als Verräter be­schimpften, der sich rechtzeitig abgesetzt hatte, bevor Atlantis unterging.

Eigentlich glaubte niemand mehr an At­lans Rückkehr. Diejenigen, die seine Motive für den Flug ins Ungewisse kannten, gaben zwar nicht alle Hoffnung auf einen Erfolg auf, aber der Zweifel überwog. Atlan war al­

lein gegen eine Macht, von der sich niemand auch nur die entfernteste Vorstellung ma­chen konnte. Ob Atlan nun als Verräter oder als ein Held angesehen wurde, der sein Le­ben aufs Spiel setzte, um soviel wie möglich über die Verhältnisse in der Schwarzen Ga­laxis herauszufinden – er war verschollen. Atlantis war ohne König, ohne eine Figur, zu der man aufsehen konnte. Man war al­lein, wartete, und lebte in Angst.

Dies war Pthor – eine Welt für sich, über die sich das Leichentuch des Schweigens ge­legt hatte. Und dies war die Situation, in der irgendwo in der Nähe der Senke der Verlo­renen Seelen ein Wesen aus einem langen Schlaf erwachte, das ebensowenig wie Atlan von Atlantis stammte.

Es hatte den Ruf gehört – den Ruf der Höheren Welten. Und es wußte, daß die Zeit der Passivität nun vorbei war, denn mit dem Ruf war die Erinnerung an jene zurückge­kehrt, die es hierher geschickt hatten – und an den Auftrag, den es in ihrem Namen aus­zuführen hatte.

1. Leenia/Wommser – Erwachen

Die Felsenhöhle lag am Rand eines der vielen kleinen Hügel in einem dicht bewal­deten Gebiet zwischen der Senke der Verlo­renen Seelen und dem Dämmersee. Sie war nicht groß, doch dem Wesen, das in ihr lag, genügte sie.

Leenia ruhte auf einem einfachen Lager aus Stroh. Alles, was sie besaß, war der leicht strahlende rote Anzug, der ihren Kör­per bis zum Hals und den Händen wie eine zweite Haut umschloß. Die Energieglocke über der jungen Frau war kaum zu erkennen.

Leenia schlief. Mehr noch: sie befand sich

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in einem Zustand zwischen Sein und Nicht­sein. Das gleiche galt für Wommser, jenes Wesen, das aus einem für Menschen unbe­greiflichen gegenseitigen Einwirken von Normal und Antimaterie entstanden war. Die Bewußtseine von Wommser und Leenia waren zu einer Einheit verschmolzen. Wie ein Magnet hatte das artgleiche Wesen Wommser angezogen und in sich aufgenom­men, als der Dimensionssymbiont sich schon dem sicheren Tod gegenübergesehen hatte. Nun hatte er ein neues Leben gefun­den. Für ihn stellte es die dritte Stufe seiner Evolution dar, von der er nicht wußte, wann und wie sie einmal enden würde.

Darüber konnte Wommser sich gegenwär­tig allerdings keine Gedanken machen. Sein Bewußtsein war wie das von Leenia ausge­schaltet, bis der Ruf der Höheren Welten an Leenia ergehen würde.

So lag das Doppelwesen in einer todes­ähnlichen Starre, bis zu jenem Tag, an dem der Anzug stärker zu strahlen begann. Blitze durchzuckten das Innere der Höhle, so grell, daß ein Mensch innerhalb von Sekunden­bruchteilen erblindet wäre. Dann, nach fast einer Minute, wurde es dunkel. Draußen war es Nacht, und als auch das Leuchten des An­zugs verebbte, war für mehrere Minuten nichts in der Höhle zu erkennen – bis Leeni­as Augenlider violett zu schimmern began­nen.

Unendlich langsam richtete Leenia sich auf. Noch immer waren die Augen geschlos­sen, und weiterhin verstärkte sich ihr unter der Haut hervordringendes Leuchten. Unbe­kannte Energien wirkten im Körper des Doppelwesens – Energien, die nicht von die­ser Welt waren.

Plötzlich stieß die Frau einen marker­schütternden Schrei aus und stürzte seitwärts zu Boden. Ihr Körper bäumte sich wie unter furchtbaren Schmerzen auf. Leenia wimmer­te und zitterte. Das Leuchten ihrer Augen verschwand. Wieder breitete sich Dunkel­heit in der Höhle aus.

Nur Leenias Schluchzen war zu hören. Sie, die sich bisher nur telepathisch hatte

Horst Hoffmann

mitteilen können, stieß einen letzten ver­zweifelten Schrei aus:

»Es geht nicht, Wommser! Wir haben versagt!«

Der rote Anzug begann zu glühen, und die Schutzglocke baute sich wieder über der Frau auf, als diese das Bewußtsein verlor.

Doch die Komponente Wommser war wach. Wommser konnte nichts anderes tun, als zu versuchen, Leenias Leben zu erhalten. Ungeheure psionische Energien flossen von ihm zur Mentalpartnerin über und speisten die immer schwächer werdende Lebensflam­me.

*

Als Leenia sich wieder zu rühren begann, war es hell. Selbst hier, weitab von jeder Sonne, herrschte der gewohnte Rhythmus von Tag und Nacht auf Pthor. Der Wölb­mantel spendete tagsüber das Licht, ohne das jedes Leben auf Atlantis in Situationen wie der jetzt gegebenen zum Untergang ver­urteilt wäre. Er garantierte also in zweierlei Hinsicht die Sicherheit der Pthorer – doch für Leenia wirkte er verhängnisvoll.

Du darfst nicht aufgeben, hallte Womm­sers telepathischer Ruf in ihrem Bewußtsein. Du hast nicht versagt. Irgend etwas hindert uns daran, zu entmaterialisieren und Kon­takt zu unseren Welten aufzunehmen. Wir wurden zurückgeworfen, nachdem wir uns bereits von hier gelöst hatten.

Sekunden des Schweigens. Wommser spürte, wie die Mentalpartnerin neue Energi­en aufbaute – im gleichen Maß, wie das Leuchten des Anzugs abebbte. Was bisher nur hatte Vermutung sein können, war nun zur Gewißheit geworden, nachdem Leenia und mit ihr Wommser einen Großteil ihrer Erinnerungen wiedererlangt hatte. Es war der Anzug, der die Energien aus einem über­geordneten Kontinuum zapfte. Doch auch er war nicht in der Lage, den Wölbmantel über Pthor zu durchdringen. Leenias bange Frage:

Wir waren entmaterialisiert? Und ohne Zeitverlust zurück, kam es von

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Wommser. Wieder das Schweigen. Es bedurfte nicht

vieler Fragen zwischen den beiden Bewußt­seinskomponenten von Leenia und Womm­ser. Sie bildeten eine Einheit. Jeder der Part­ner wußte, was der andere dachte. Aus der Vereinigung war etwas Neues entstanden, und Leenia hatte eine neue Fähigkeit erhal­ten: Sie war nun imstande, zu entmateriali­sieren und an anderem Ort wieder stofflich zu entstehen. Vielleicht war es nur der Ver­einigung mit Wommser zu verdanken, daß das, wozu sie von ihren Artgleichen nach Pthor gebracht worden war, tatsächlich ein­getreten war. Leenia hatte nicht nur körperli­che Form annehmen können – jenseits der für Wesen ihrer Art todbringenden Aura der Schwarzen Galaxis –, sondern sie war nun fähig, von einem Medium ins andere über­zuwechseln. Damit war das erreicht worden, worauf die Körperlosen jahrtausendelang hingearbeitet hatten. Zum erstenmal, so schien es nun, war eine von ihnen in der La­ge, körperlich innerhalb der Aura der Schwarzen Galaxis zu existieren, denn diese Aura reichte bis hierhin, wo Pthor zum Still­stand gekommen war. Leenia spürte sie. Sie bereitete ihr Schmerzen, aber sie konnte dar­in leben.

Sie hätte Triumph empfinden müssen, denn dies bedeutete nichts anderes, als daß sie tatsächlich zur Weltenspringerin gewor­den war. Sie würde jederzeit in der Schwar­zen Galaxis selbst im Sinne ihres Volkes körperlich aktiv werden können. Doch dazu brauchte sie Anweisungen, die sie nur in ih­rer Daseinsebene erhalten konnte – in der Ebene der Höheren Welten.

Und der Weg dorthin war ihr verbaut. Noch einmal stellte Leenia sich die Frage, was sie daran hinderte, zu den Artgleichen zu gelangen, und unter Abwägung aller Fak­ten kam sie wie Wommser zu dem Schluß, daß es tatsächlich der Wölbmantel über Pthor war, der sie am Verlassen des Dimen­sionsfahrstuhls und am überwechseln in die übergeordneten Kontinua hinderte.

Wir müssen es noch einmal versuchen!

drängte Leenia. Panik und Verzweiflung be­mächtigten sich ihrer. Wommser hatte Mü­he, stabilisierend auf sie einzuwirken.

Es hat keinen Sinn. Diesmal würden mei­ne Kräfte nicht ausreichen, um dich zu ret­ten. Wir würden beide sterben.

Aber mein Volk! Es wartet auf mich. Ich habe den Ruf gehört. Mein Volk weiß, daß ich hier bin! Die Arbeit von Jahrtausenden darf nicht umsonst gewesen sein. Ich muß meinen Auftrag ausführen!

Der Auftrag. Leenia wußte, daß sie einen Auftrag zu erfüllen hatte, doch wie dieser konkret aussah, war ein Teil jenes Wissens, das noch nicht an die Oberfläche ihres Be­wußtseins vorgedrungen war.

Einst hatte ihr Volk, hatten die Körperlo­sen von den Höheren Welten das Gute in der Schwarzen Galaxis verkörpert, bis sie von den Dunklen Mächten regelrecht verdrängt wurden. Es gab für sie keine Möglichkeit mehr, körperlich in der Schwarzen Galaxis und deren Umfeld existent zu werden.

Deshalb entwickelten sie einen Langzeit­plan, um dieses Ziel sozusagen auf Umwe­gen zu erreichen – das Ziel, wieder Einfluß auf die Schwarze Galaxis zu nehmen und dort positiv zu wirken. Leenia war das Er­gebnis einer Konzentration von Energien, wie sie selbst in der langen Geschichte der Körperlosen einmalig war. Dann, als wieder ein Dimensionsfahrstuhl die Schwarze Gala­xis verließ, war es gelungen, Leenia auf Pthor zu placieren. Dies alles wußte Leenia jetzt, nachdem der Ruf an sie ergangen war – bis auf eines. Sie kannte das Geheimnis ihrer Herkunft nicht. Leenia war in ihrem Selbst­verständnis eine der Körperlosen, allerdings mit Fähigkeiten versehen, die ihren Artge­nossen fehlten. Als solche sollte sie mit Pthor in die Schwarze Galaxis eindringen und Kontakt mit den Ihren aufnehmen, so­bald Atlantis dorthin zurückkehrte.

Es muß einen Weg geben! Immer noch stand Leenia unter dem

Schock. Vielleicht, kam es von Wommser. Ebenso wie Leenia wußte er, daß Pthor

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vor der Schwarzen Galaxis festhing – diese Information war Teil des Rufes gewesen. Was war der Grund? War etwa sie, Leenia, der Hemmschuh? War es möglich, daß die finsteren Mächte sie »geortet« und Pthor deshalb kurz vor dem Ziel gestoppt hatten?

Welche Möglichkeit? fragte Leenia fle­hend.

Die Struktur des Wölbmantels muß so be­schaffen sein, daß er undurchlässig für jene Energieform ist, als die wir versuchten, zu unseren Welten zu gelangen. Wommser »sprach« von den Höheren Welten, die er niemals gesehen hatte, schon wie von seiner Heimat. Ich sehe nur eine Möglichkeit. Wir müssen ihn körperlich durchdringen, um dann einen weiteren Versuch zu wagen.

Womit? kam Leenias Frage. Wommser dachte an die Zeit zurück, als

er in Kolphyr herangewachsen war und an die späteren Begegnungen mit dem Bera und seinen Freunden Atlan und Razamon. Die von ihnen erhaltenen Informationen gaben nicht allzu viel her. Zwar hatte er nach sei­ner Vereinigung mit Leenia mit ihr zusam­men noch einmal versucht, zur FESTUNG zu gelangen, aber dieses Vorhaben war ge­scheitert.

So wußte Wommser nichts über die der­zeitigen Verhältnisse auf Pthor. Er wußte nicht, daß Atlan und Thalia Atlantis verlas­sen hatten, daß Razamon verschollen war und daß es nur ein einziges Schiff gab, das Flüge in den Weltraum gestattete – die GOL'DHOR. Zugors schieden von vornehe­rein für Leenia/Wommsers Zwecke aus, denn Leenia besaß keinen Raumanzug, und weder sie noch Wommser wußten, ob ihr Körper im Vakuum des Alls überleben konnte. Leenia signalisierte Zustimmung, als Wommser seine Bedenken äußerte. Sie war darauf angewiesen, sich wie eine normale »Körperliche« zu ernähren. Ihr Stoffwechsel glich dem ihren. Also bestand auch eine große Wahrscheinlichkeit dafür, daß sie Sauerstoff zum Leben brauchte.

Wir müssen suchen, dachte Wommser. Hier werden wir nicht viel finden können.

Horst Hoffmann

Wir müssen zur FESTUNG. Dort laufen alle Fäden zusammen. Atlan wird uns helfen.

Atlan … Leenia kannte ihn nur aus Wommsers Er­

innerungen. Der einzige Mensch, dem sie bisher begegnet war, und der nicht zu jenen gehörte, die aus der Senke der Verlorenen Seelen geflohen waren und die Gegend unsi­cher machten, war ein Mann gewesen, der sich Lebo Axton genannt hatte. Leenia fühl­te, daß er nicht von Pthor stammte. Viel­leicht war er sogar ein Freund Atlans. Sollte dies so sein, würde er ihr eine große Hilfe sein können, denn Atlan kannte sie ja nicht.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor war der, daß Wommser sich nicht im klaren darüber war, welche Rolle Atlan inzwischen spielte. Hatte er sich endgültig mit den Odinssöhnen arrangieren können, oder war die latente Ri­valität, wie Wommser sie in Erinnerung hat­te, offen zutage getreten?

Und noch etwas anderes beunruhigte Lee­nia:

Sie wußte, daß Wommser an Atlan hing, an dem Mann, den sie nicht kannte, aber für den sie unterschwellig bereits die gleiche Sympathie empfand wie Wommser. Womm­ser erinnerte sich mit Hochachtung an den Mann, dessen Auftauchen auf Pthor schließ­lich zum Sturz der Herren der FESTUNG geführt hatte.

Atlan verfolgte das Ziel, die Dunklen Mächte in der Schwarzen Galaxis unschäd­lich zu machen, und Wommser vermittelte Leenia einen Eindruck von der Kompromiß­losigkeit dieses Mannes.

Zwei Parteien versuchten, Einfluß auf die Schwarze Galaxis zu nehmen – die Körper­losen und Atlan mit seinen Freunden.

Was nun, wenn sie sich dabei gegenseitig in die Quere kamen? Was, wenn Leenia ei­nes Tages gezwungen sein müßte, gegen At­lan zu kämpfen? Worin bestand ihr Auftrag? Was sollte sie in der Schwarzen Galaxis aus­richten? Dutzende quälender Fragen und keine Antwort. Es hat keinen Sinn aufzuge­ben! mahnte Wommser. Zögernde Zustim­mung – und Angst. Leenia erinnerte sich nur

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zu gut an den ersten Versuch, zur FE­STUNG zu gelangen, wo Wommser damals Kolphyr vermutet hatte, zu dem es ihn im­mer noch zog. Auf jener Fahrt war der An­zug, den Leenia trug, zum erstenmal aktiv geworden. Fast wäre sie von ihm erstickt worden, bevor sie die rettende Höhle er­reichte. Seitdem war er ihr fast unheimlich.

Wir brauchen ein Fahrzeug, kam es von Wommser.

Leenia gab sich einen Ruck. Sie signali­sierte ihr Einverständnis.

Wie schon einmal, würde sie ihr Glück wieder in der Senke der verlorenen Seelen versuchen. Dort sollte es noch Tores oder sogar Zugors geben.

Leenia verließ die Höhle und wußte, daß es diesmal keinen Weg zurück mehr geben würde. Immer wieder tauchten die Schreckensbilder ihrer letzten Fahrt vor ih­rem geistigen Auge auf.

Leenia erinnerte sich auch an die schwar­zen Scheiben, die plötzlich überall aufge­taucht waren, und die sie nur mit aller ihr zur Verfügung stehenden psionischen Ener­gie hatte zerstören können. Natürlich konnte sie nicht ahnen, daß es sich um Roboter ge­handelt hatte, die von Gynsaal aus gesteuert worden waren – von jenem Gynsaal, das At­lan längst unschädlich gemacht hatte.

So mußte sie fürchten, den Scheiben wie­der zu begegnen, und was noch schlimmer war: Sie mußte annehmen, daß diese von der FESTUNG aus gesteuert wurden.

Leenia trat den Weg ins vollkommen Un­gewisse an.

2.

Am nördlichen Ufer des Regenflusses – der Sitz des Zentrums Mod-Poluur Rund 200 000 Wesen unterschiedlichster Herkunft hat­ten sich in den Tiefschlafkammern der Glas­paläste befunden, als Pthor auf der Erde ma­terialisierte und Atlans Odyssee begann. In­zwischen waren viele Tausende von ihnen nach ihrer Wiedererweckung umgekommen – jene Bedauernswerten, die als lebende Ga­

lionsfiguren der Organschiffe in der Schwar­zen Galaxis fungieren sollten.

Ein Großteil war geflüchtet und qualvoll zugrunde gegangen. Andere hatten sich in den Wäldern niedergelassen und fristeten ein erbärmliches Dasein. Glücklich waren jene, die von den Dellos in das vielschichti­ge Staats und Sozialgefüge von Atlantis in­tegriert werden konnten. Doch das waren die wenigsten. Die meisten Schläfer waren um­gekommen, weil sie in der »neuen« Umge­bung nicht leben konnten oder von Piraten entführt und getötet worden waren, die hier, überall an den Ufern des Regenflusses, rei­che Beute zu machen hofften.

Wer in der Wildnis überleben wollte, mußte sich mit anderen zusammentun, und so entstanden die ersten Banden. Nur das Gesetz des Stärkeren zählte. Die Schläfer, die den Dellos entkommen waren, suchten Schutz und bezahlten dafür.

Mod-Poluur war einer derjenigen, die sol­chen Schutz gewährten. Wer zu ihm stieß und sich ihm unterordnete, war ihm bedin­gungslos ausgeliefert – er verkaufte Leben und Seele an das Wesen, das einem Alp­traum entsprungen zu sein schien und sich selbst als »Zentrum« bezeichnete.

Mod-Poluur residierte in einer von seinen ersten Anhängern eigens für ihn ausgehobe­nen Bodenmulde. Sie war etwa drei Meter tief und hatte einen Durchmesser von knapp fünf Metern. Über die Mulde war ein dichtes Netz gespannt, das Mod-Poluur selbst aus Drüsensekret gesponnen hatte. Niemand konnte ihn sehen. Selbst seine engsten Ver­trauten wußten nicht, wie das Zentrum aus­sah. Diejenigen, die die Mulde ausgehoben hatten, bevor Mod-Poluur sich in sie zurück­zog, waren tot.

Das einzige, was vom Zentrum an die Oberfläche ragte, waren neun ständig pulsie­rende Kugeln von etwa einem halben Meter Durchmesser. Sie ragten wie Ballonpilze rund um die Mulde aus dem Boden. Nie­mand wußte, wozu sie dienten. Vielleicht at­mete das Zentrum damit, vielleicht handelte es sich um Sinnesorgane des unter dem un­

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durchsichtigen Netz verborgenen Hauptkör­pers – es interessierte niemanden. Diejeni­gen, die neugierig geworden waren, lebten nicht mehr. Zu der Zeit, als Leenia ihre Höh­le verließ und sich auf den Weg zur Senke der verlorenen Seelen machte, hatte das Zentrum 37 Extremitäten, wie es seine An­hänger nannte. Sie hatten sich ihm alle auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Das Zen­trum gewährte ihnen auf eine Art und Weise Schutz, die sie nicht begreifen konnten. Wer sich in der Nähe des Zentrums aufhielt, hatte keine Gefahr zu fürchten. Anders war es, wenn eine Gruppe, die immer aus drei We­sen bestand, ausgeschickt wurde, um entwe­der neue Extremitäten für Mod-Poluur zu gewinnen oder weitere Gebiete von »unerwünschtem Leben« zu säubern. Denn das, was das Zentrum besaß, reichte seiner Machtgier nicht aus. Seine Anhänger, die al­le Befehle nur auf telepathischem Weg er­hielten, folgten den entsprechenden Anwei­sungen nur zu gern, auch wenn sie wußten, daß sie bei jeder Mission den Tod finden konnten. Wenn sie starben, dann für das Zentrum und für die Vollkommene Gemein­schaft, die es anstrebte.

Es war Nacht auf Pthor, als Mod-Poluur Chron-Kehr, Rhek-Moyn und Zkeh-Noh zu sich rief. Die drei ehemaligen Schläfer er­schienen nur Minuten später am Rand der Mulde, wo eine der Kugeln von innen her­aus grünlich leuchtete. Sie tauchte die un­mittelbare Umgebung in fluoreszierendes Licht.

»Wir sind hier, Meister«, zischte Chron-Kehr.

Ihr werdet eines unserer Fahrzeuge neh­men und sofort aufbrechen, lautete die Ant­wort des Zentrums. Es ist Leben in unserer Nähe – wertvolles Leben für uns. Eure Auf­gabe ist es, es zu mir zu locken.

»Wir können die Eindringlinge fangen«, sagte Rhek-Moyn.

Im nächsten Augenblick bäumte er sich vor Schmerzen auf und sank bewußtlos zu Boden.

Niemand außer mir hat dazu die Macht!

Horst Hoffmann

Es ist nur ein Eindringling. Brecht auf und führt ihn zu mir.

»Wie sollen wir ihn finden?« fragte Chron-Kehr. »Und wie sollen wir ihn zu dir bringen können, wenn nur du Macht über ihn hast?«

Ihr werdet ihm sagen, daß er alles bei uns finden wird, was er für den Weg zur FE­STUNG braucht. Der Zugor wird der Köder sein.

Das war das letzte, was das Zentrum von sich gab. Chron-Kehr und Zkeh-Noh pack­ten den noch bewußtlosen Rhek-Moyn und schafften ihn ins Lager, in dem Wesen un­terschiedlichster Art versammelt waren.

Sie wußten, daß ihr Leben von der Erfül­lung des Auftrags abhing.

Rhek-Moyn hatte gefrevelt. Vom Erfolg der Mission hing es ab, ob er und seine Ras­segefährten weiterhin im Schutz des Zen­trums leben konnten.

Chron-Kehr machte einen der von den Dellos erbeuteten Zugors startbereit, wäh­rend Rhek-Moyn von Zkeh-Noh zur Besin­nung gebracht wurde.

Diesmal hatte es sie getroffen, die drei Echsenabkömmlinge aus einer Galaxis, die bereits mehrere Male von Pthor heimgesucht worden war.

Als Chron-Kehr zurückkam, um seine Be­gleiter zu holen, starrte er einige Minuten lang in die Feuer, um die herum die anderen, artfremden Extremitäten saßen oder schlie­fen. Er dachte an seine Heimat. Die Erinne­rung daran war nur noch sehr vage, aber den Namen des Planeten, auf dem er geboren worden war, würde er niemals vergessen.

Topsid. Chron-Kehr, Rhek-Moyn und Zkeh-Noh

waren Topsider. Jahrtausende bevor ihre Nachkommen zum erstenmal auf Terraner und auf einen Mann namens Perry Rhodan gestoßen waren, waren sie von den Horden des über ihre Heimatwelt hereinbrechenden Atlantis verschleppt worden.

Die Erde war nicht der einzige Planet der Milchstraße, auf dem Pthor materialisiert war.

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Rhek-Moyn kam zu Bewußtsein. Die drei Topsider brachen auf. Irgendwo am Nordufer des Regenflusses

würden sie den Eindringling finden. Er kam aus der Richtung des Dämmersees.

Das hatte Mod-Poluur in ihr Unterbe­wußtsein projiziert – ebenso wie die Merk­male, an denen sie den Eindringling erken­nen sollten.

*

Leenia wählte nicht den direkten Weg zur Senke, sondern bewegte sich am Ufer des Regenflusses entlang in östlicher Richtung. In den Wäldern zwischen dem Hügelgebiet und der Senke wimmelte es von verspreng­ten Nichtpthorern. Hier am Ufer war das Ge­lände übersichtlicher. Leenia nahm den Um­weg in Kauf.

Bis zu den ersten Glaspalästen waren es mehr als fünfzig Kilometer. Insgeheim hoff­te Leenia darauf, einem Trupp Dellos zu be­gegnen, die um die Senke herum patrouil­lierten. Immer wieder mußte sie an die Be­gegnung mit Lebo Axton zurückdenken. Auch er war von Dellos eingefangen wor­den.

Doch als die Dämmerung hereinbrach, war Leenia keinem einzigen Wesen begeg­net – von den kleinen Tieren, die im hohen Gras und in den Büschen lebten, abgesehen.

Fast wirkte die Ruhe beängstigend. Oft­mals blieb Leenia stehen und lauschte. Sie sah sich um, aber die Gegend war verlassen. Nur das Rauschen des mächtigen Flusses und die Schreie vorüberziehender Vögel wa­ren zu hören. Und doch hatte Leenia das Ge­fühl, beobachtet zu werden.

Es ist nichts, versuchte Wommser sie zu beruhigen. Wir müssen weiter und einen Ru­heplatz für die Nacht suchen.

Es wurde nun schnell dunkler. Während sie weiterging, blickte Leenia immer wieder zum Himmel auf. Sie sah den Wölbmantel über Pthor, doch sie wußte, daß draußen, Lichtjahre entfernt, die dunklen Sterne der Schwarzen Galaxis matt leuchteten. Sie hat­

te sich mittlerweile an die Aura gewöhnt und nahm sie kaum noch wahr. Dennoch fiel es ihr schwer, sich auf den Weg zu konzen­trieren.

Als Leenia eine ihr geeignet erscheinende Stelle zum übernachten fand, hatte sie etwa die Hälfte ihres Weges zurückgelegt. Sie war ein Stück landeinwärts marschiert und hatte wieder leicht hügeliges Gebiet gefun­den. In einer kleinen Senke zwischen zwei Erhebungen legte sie sich ins hohe Gras. Schlaf brauchte sie nicht, aber sie wollte kein Risiko eingehen. Bald mußte sie den Regenfluß endgültig verlassen und nach Norden gehen. In der Dunkelheit fiel die Orientierung schwer, und außerdem wußte Leenia nicht, ob sie einen heimtückischen Angriff überleben würde. Wenn auch ihr Körper nur eine Hülle war, konnte sie nicht sicher sein, daß sie in ihrer jetzigen Zu­standsform hier auf Pthor ohne ihn überle­ben konnte – als ein Wesen aus reiner Ener­gie.

Leenia lag mit offenen Augen im Gras und versuchte weitere Erinnerungen zutage zu bringen – vergeblich. Das Verlangen nach der Rückkehr zu den Ihren wurde um so stärker, je mehr sie sich auf die Höheren Welten konzentrierte. Leenia war immer noch in ihren Träumen gefangen, als sie das Maschinengeräusch hörte.

Es kam aus der Luft. Leenia richtete sich auf und sah die Lichter am Himmel. Sie nä­herten sich. Das Fahrzeug, zu denen sie ge­hörten, setzte zur Landung an.

Ein Zugor! meldete sich Wommser. Das ist unsere Chance! Man hat uns entdeckt. Ein kurzes Zögern, dann fügte er hinzu: Vielleicht Dellos, die uns zur FESTUNG bringen könnten. Vielleicht sind es aber auch Piraten oder ehemalige Schläfer, die den Zugor erbeutet haben. Wir müssen vor­sichtig sein, Leenia.

Ja, Wommser. Die Frau im roten Anzug stand nun hoch­

aufgerichtet da und wartete, bis die Schein­werfer das Gelände in Helligkeit tauchten. Der Zugor landete zehn Meter von ihr ent­

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fernt. Leenia war bereit, beim geringsten Anzeichen von Gefahr zuzuschlagen. Nur vage war das violette Flimmern zu erken­nen, das ihre Augen umspielte.

Noch bevor Chron-Kehr ausstieg und sie ansprach, wußte Leenia, weshalb er und sei­ne beiden Begleiter gekommen waren. Doch ihre telepathischen Fähigkeiten reichten nicht aus, um die ganze Wahrheit zu erken­nen. Nur besonders stark ausgeprägte und an sie gerichtete Gedanken konnte sie klar empfangen. So blieb die Absicht der Frem­den vage. Sie waren hier, um Leenia mit dem Fahrzeug als Köder zu fangen, um sie zu ihrem Herrn zu bringen. Mehr »sah« Lee­nia nicht.

So kam es, daß sie im Gefühl der eigenen Überlegenheit in die Falle ging. Für sie war das Fahrzeug wichtig. Es ersparte ihr den Weg zur Senke der verlorenen Seelen. Und wo sich eine flugfähige Maschine befand, konnte es noch weitere geben – vielleicht sogar einen Hinweis auf raumtüchtige Fahr­zeuge. In einer anderen Situation hätte Lee­nia sich die Frage gestellt, woher die Frem­den wußten, was sie so dringend brauchte. Sie wäre vorsichtiger gewesen und hätte ver­sucht herauszufinden, wer ihr Herr war. Doch die sich so unverhofft bietende Mög­lichkeit und die jähe Hoffnung, schneller als erwartet zu ihrem Volk gelangen zu können, machten sie unvorsichtig. Wommser schwieg. Immer noch war Leenia überzeugt davon, jeden Gegner, der sich ihr offen stell­te, besiegen zu können. Sie hätte die drei Fremden schon jetzt töten und ihr Fahrzeug nehmen können, doch sie erhoffte sich mehr davon, in ihr Lager zu gelangen. Hatte sie eine Garantie dafür, daß man ihr in der FE­STUNG wirklich helfen würde?

Der Topsider stand breitbeinig vor Lee­nia. Er hatte die Hand am Griff einer schwe­ren Strahlwaffe.

Es ist gut, dachte die Frau an ihn gerich­tet. Ich komme mit euch.

Chron-Kehr zuckte zusammen. Noch hat­te er kein Wort gesprochen.

Ich komme mit, bekräftigte Leenia. Gehen

Horst Hoffmann

wir. Der Topsider verstand die Welt nicht

mehr. Hinter der »Gefangenen« her bestieg er den Zugor und startete ihn.

Wommser? fragte Leenia, als sich der Mentalpartner immer noch nicht meldete.

Ich bin beunruhigt, kam es zurück. Die drei sind nur Ausführende. Der Drahtzieher … ich kann ihn nicht erfassen.

Irgendein Bandenchef, dachte Leenia, die mit ihren Gedanken wieder in gänzlich an­deren Räumen weilte. Ich werde mit ihm fer­tig.

Skepsis von Seiten des Dimensionssymbi­onten. Wieder das Gefühl, beobachtet zu werden, aber nicht von den drei Echsenab­kömmlingen, und nicht von irgendwelchen in der Gegend herumstreunenden Exoten.

Wommser zog sich in sich selbst zurück. Er kapselte sich ab. Leenia spürte es zwar, aber sie war viel zu sehr in ihre Sehnsucht nach den Artgleichen versunken, um jetzt auf den Partner einzugehen.

Wommser spürte es, und er beschloß ab­zuwarten.

Der Zugor jagte in östlicher Richtung durch die Nacht, bis die Feuer des Lagers zu sehen waren.

*

Nun, als Leenia sah, wie viele Exoten um die Feuer herumsaßen, begann sie unsicher zu werden. Wenn sie alle gleichzeitig über sie herfielen, hatte sie kaum eine Chance. Doch die ehemaligen Schläfer sahen sie nur neugierig an. Niemand rührte sich. Und doch hatte Leenia das Gefühl, als ob sie alle nur auf etwas warteten, auf ein Zeichen viel­leicht oder auf den Auftritt ihres Herrn.

Leenia versuchte, ihre Gedanken aufzu­fangen – vergeblich. Jetzt fiel es ihr auch immer schwerer, die Gefühlsströme der drei Echsen wahrzunehmen. Irgend etwas lähmte ihre Sinne, etwas, das ganz nahe und doch unerreichbar zu sein schien.

Leenias Unruhe wuchs. Doch sie wußte, daß sie den einmal beschrittenen Weg zu

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Ende gehen mußte. Flucht hatte keinen Sinn. Leenia sah weitere Zugors im Licht der Feu­er. Sie könnte die Echsen unschädlich ma­chen und mit dem Fahrzeug zu entkommen versuchen, doch die anderen würden ihr schnell auf den Fersen sein, und es konnte kein Zweifel daran bestehen, wer mit den Zugors besser umgehen konnte – sie oder die mit ihnen vertrauten Bandenmitglieder.

Die Echsen standen wie versteinert um Leenia herum. Auch sie warteten. Leenia hatte keine Lust, untätig zu bleiben, bis der große Unbekannte sich zeigte.

Bringt mich zu eurem Herrn! forderte sie Chron-Kehr auf. Wieder zuckte der Topsider heftig zusammen, als er die lautlose Stimme in seinem Bewußtsein vernahm. Die Fremde sprach auf die gleiche Weise zu ihm wie das Zentrum.

Chron-Kehr wußte nicht, wie er reagieren sollte. Auch Rhek-Moyn und Zkeh-Noh wurden unruhig. Warum meldete sich das Zentrum nicht? Warum ließ der Meister sei­ne Untergebenen warten?

Sicher hatte er seine Gründe. Chron-Kehr verscheuchte die Unsicherheit. Der Meister stand hinter ihm. Seine Macht war unbe­grenzt. Was hatte Chron-Kehr schon von dieser Fremden zu befürchten?

»Das Zentrum allein entscheidet, wann du zu ihm gebracht wirst«, zischte der Topsi­der, nicht sicher, ob die Stimme ihn auch verstehen würde. Doch schon war wieder die Stimme in seinem Kopf:

Ich will ihn jetzt sehen! »Schweig!« fuhr Chron-Kehr Leenia an.

Ganz kurz blitzte es in den Augen der Frau auf, dann hatte sie sich wieder unter Kon­trolle. Es hatte keinen Sinn, aus purem Zorn einen der Exoten zu töten. Es mußte einen Weg geben, den Bandenchef aus der Reser­ve zu locken und ihn dazu zu bringen, ihr zu geben, was sie brauchte. Inzwischen hatte Leenia die Illusion fallengelassen, hier so et­was wie ein Raumfahrzeug zu finden. Sie schalt sich eine Närrin, weil sie so töricht gewesen war und sich von ihren Hoffnungen und Wünschen hatte leiten lassen. Sie mußte

ihre Welten und ihr Volk vergessen, bis sie einen Weg zur Heimkehr gefunden hatte. Et­was anderes fiel ihr ein: Aus den Gedanken der Echsen wußte sie, daß es sich bei den zusammengewürfelten Exoten um Plünderer handelte und nicht, wie sie sonst hätte ver­muten können, um eine nur aufs Überleben bedachten Notgemeinschaft. War es denn so unwahrscheinlich, daß sie auf einem ihrer Raubzüge einen Raumanzug erbeutet hat­ten? Viele wiedererwachte Schläfer konnten ohne Raumanzug nicht unter den Umweltbe­dingungen, wie Pthor sie bot, existieren.

Dennoch versetzte die Überheblichkeit des »Zentrums« Leenia in Zorn. Der Chef hockte irgendwo und genoß seinen ver­meintlichen Triumph. So leicht wie Leenia war ihm ganz bestimmt noch niemand in die »Falle« gelaufen. Noch einmal konzentrierte sie sich auf die drei Echsen und versuchte bei jeder von ihnen, in ihrem Bewußtsein et­was über ihren Herrn zu erfahren. Das Er­gebnis war wiederum gleich Null. Es war, als ob irgend etwas ihre Gedanken blockie­ren würde, sobald sie an ihn dachten. Leenia nickte grimmig und beschloß, eine Probe ih­rer Fähigkeiten zu geben.

Sie sah zu den drei hinter dem Lager ab­gestellten Zugors hinüber.

Der rechte, dachte sie intensiv. Seht ihn euch an!

Die Topsider folgten der Aufforderung nur zögernd. Als sie alle drei zu den Fahr­zeugen hinüberblickten, blitzte es in Leenias Augen auf. Ein blendend heller violetter Strahl traf den Zugor und ließ ihn in einer fürchterlichen Explosion vergehen.

Die um die Feuer sitzenden Exoten spran­gen auf. Einige rannten in Panik davon, an­dere scharten sich um Leenia und kamen drohend näher. Es dauerte eine Weile, bis die Topsider sich vom Schock erholt hatten. Als Chron-Kehr den anrückenden Banden­mitgliedern etwas zurief und sich dann an sie wandte, wußte Leenia, daß sie Erfolg ge­habt hatte.

»Der Meister möchte dich sehen«, zischte Chron-Kehr. »Folge mir.«

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Befriedigt ging Leenia hinter der Echse her. Die beiden anderen folgten ihr. Ein schmaler Pfad führte zwischen Büschen hin­durch vom Lager weg. Leenia spürte plötz­lich Unbehagen, dann Übelkeit. Leenia blieb stehen und hatte das Gefühl, sich erbrechen zu müssen. Dann war der Spuk vorbei – so plötzlich, wie er gekommen war.

»Weiter!« zischte Chron-Kehr. »Der Herr wartet!«

Von hinten bekam Leenia einen Stoß, sie fuhr herum und sah den Holzstab, den einer der beiden hinter ihr gehenden Topsider nun in der Hand hielt. Was nun geschah, war ei­ne instinktive Reaktion. Leenia hatte lernen müssen, sich zu verteidigen. Sie konzentrier­te sich. Rhek-Moyn verging in dem violetten Strahl aus Leenias Augen.

Leenia schrie auf und griff sich mit bei­den Händen an den Kopf. Sie hatte furchtba­re Schmerzen und sah kaum, wie Zkeh-Noh den Stab aufhob, den sein Artgenosse vor seinem Tod fallen gelassen hatte. Der Schlag traf sie auf die Stirn. Leenia geriet ins Taumeln. Die Schmerzen drohten ihr das Gehirn zu zerreißen. Bunte Punkte tanzten sekundenlang vor ihren Augen. Sie konzen­trierte sich auf den Topsider, bereit zu töten.

Nichts geschah. Zkeh-Noh stand breitbeinig vor ihr, den

langen Stab zu einem neuen Schlag erhoben. Ein nie gekanntes Gefühl der Angst, der

Verzweiflung und Hilflosigkeit erfaßte Lee­nia. Sie versuchte, die todbringenden Ener­gien in sich aufzubauen und abzustrahlen, immer und immer wieder. Und jedesmal war der Erfolg der gleiche. Nichts. Leenia hatte ihre einzige Waffe verloren. Körperlich war sie den Echsen unterlegen. Sie war in ihrer Gewalt.

Wommser! dachte sie flehend. Wir müssen springen!

Es geht nicht, lautete die Antwort des Mentalpartners.

Sie kam wie aus weiter Ferne. Wommser zog sich sofort wieder zurück. Er gab keine Erklärung ab, doch Leenia begann zu be­greifen. Irgend etwas hatte sie gelähmt. Es

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mußte in den Augenblicken geschehen sein, als sie die Übelkeit verspürte. Irgend etwas – und Leenia glaubte zu wissen, was oder wer es war.

»Weiter!« Wieder die gleiche stereotype Aufforderung Chron-Kehrs. »Der Herr war­tet!«

Leenia folgte dem Topsider. Sie hatte sich wie eine Idiotin verhalten. Sie hatte sich selbst überschätzt. Nun, so schien es, mußte sie für diese Überheblichkeit bezahlen.

Doch wer konnte die Macht haben, ihre Energien zu neutralisieren?

Wommser? fragte sie. Keine Antwort. Vor einer grünlich leuchtenden Kugel am

Rand einer Bodenmulde blieb Chron-Kehr stehen. Er forderte Leenia auf, an ihm vor­beizutreten.

Das, was wie eine alles vernichtende Flut­welle über Leenias Bewußtsein hereinbrach, traf sie stärker als jeder körperliche Schmerz. Sie erlebte das Grauen – und dies war erst der Anfang.

Wenn Mod-Poluur mit ihr fertig war, würde sie nichts weiter als eine willenlose Sklavin sein – ein Werkzeug des Zentrums.

Für Leenia bedeutete es das Ende aller Hoffnungen, doch das empfand sie nicht einmal mehr. Sie hatte nicht die Kraft zum Widerstand.

3.

Viele Lichtjahre entfernt in der Schwar­zen Galaxis – Atlan und Thalia an Bord der KNIEGEN Sie hatten zu früh triumphiert.

Atlan stieß eine Reihe von Verwünschun­gen aus, als Dorkan Moht, die Galionsfigur der KNIEGEN, über Funk meldete, daß die Scuddamoren-Schiffe, die nach der Flucht der KNIEGEN von Mogteeke-nArv die Ver­folgung aufgenommen hatten, immer näher kamen. Die KNIEGEN flog mit voller Lei­stung. Dennoch würden die Verfolger sie eingeholt haben, bevor sie die notwendige Geschwindigkeit erreicht hatte, um auf Überlicht zu gehen und sich somit vorerst in

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Sicherheit bringen zu können. Die KNIEGEN war gegen die Übermacht

ohne Chance. Die Scuddamoren waren schneller und besser bewaffnet. Ein offenes Gefecht bedeutete die Zerstörung der KNIE­GEN.

Und die Alternative? »Wenn wir sie wenigstens so lange auf

Entfernung halten könnten, bis wir die Ein­tauchgeschwindigkeit erreicht haben!« preß­te Thalia hervor. »Wir setzen ihnen ein paar Schüsse vor den Bug, und …«

»Und sie blasen uns aus dem All.« Atlan schüttelte grimmig den Kopf. Die

Verfolger waren nun als leuchtendrote Punkte auf einem Ortungsschirm zu erken­nen. Die eingeblendeten Anzeigen bestätig­ten Dorkan Mohts Angaben. Der Abstand verringerte sich von Minute zu Minute. At­lan konnte nicht darauf bauen, daß man Tha­lia und ihn schonen würde. Wie kompromiß­los die Scuddamoren jetzt vorgingen, hatte sich auf Mogteeken-Arv gezeigt. Atlans wertvollstes Faustpfand, das Kistchen mit den 250 Ärgetzos, war unterwegs zu Chirm­or Flog, dem mächtigen Neffen des mysteri­ösen Dunklen Oheims. Atlan und Thalia wa­ren den Scuddamoren jetzt bereits zum wie­derholten Mal entkommen und hatten ihnen großen Schaden zugefügt. Sie kannten das Geheimnis dieser Wesen und stellten somit die vielleicht größte Gefahr für Chirmor Flog dar, die jemals im MarantronerRevier aufgetaucht war. Nein, schonen würde man sie nicht mehr. Egal, ob sich Atlan mit der KNIEGEN zum Kampf stellte oder ob er sich wiederum in Gefangenschaft begab, am Ende stand der sichere Tod.

Auch Thalia wußte dies. Sie stand schweigend vor den Schirmen. Atlan zog sie zu sich heran und suchte nach Worten, um sie zu beruhigen. Er fand sie nicht. Die Ver­folger kamen näher. Dorkan Moht tat alles, was in seiner Macht stand, um die KNIE­GEN doch noch in Sicherheit zu bringen. Es war aussichtslos. Ein schneller Tod durch die Geschütze der Verfolger oder ein qual­volles Ende in der Gefangenschaft. Wider­

sprüchliche Gefühle. Atlan war einerseits nicht bereit, auch nur eine Sekunde seines und Thalias Leben zu verschenken. Insge­heim versuchte er trotz allem noch, einen Ausweg aus einer Situation zu finden, aus der es keinen Ausweg gab. Zum andern aber konnte er sich vorstellen, was ihn und die Odinstocher in der Gefangenschaft erwarten mochte. Das Goldene Vlies. Atlan war da­von überzeugt, daß die Scuddamoren inzwi­schen gemerkt hatten, daß der golden schim­mernde Anzug einen Schutzschild darstellte. Sie würden sich darauf einstellen. Letztend­lich war der Anzug der Vernichtung auch für den Arkoniden immer noch ein Rätsel. So oft hatte er ihm das Leben gerettet – aber konnte er blind darauf vertrauen, daß dies wieder und wieder der Fall sein würde? Konnte der Anzug ihn in der Gluthölle der explodierenden KNIEGEN retten?

Die Scuddamoren kamen näher. Der Ab­stand zwischen ihnen und der KNIEGEN betrug nunmehr kaum noch hunderttausend Kilometer.

Dorkan Moht meldete, daß die KNIEGEN angerufen wurde. Atlan reagierte nicht. Wie versteinert stand er vor den Kontrollen der Zentrale. Plötzlich spürte er eisige Kälte.

»Was wird aus Pthor?« fragte Thalia kaum hörbar.

Atlan fand keine Antwort. Auch seine Ge­danken kreisten in diesen Augenblicken um Atlantis, um die Odinssöhne, um Razamon, der irgendwo verschollen war. Irgend etwas in Atlan wehrte sich dagegen zu akzeptieren, daß der ehemalige Berserker, der längst zu seinem Freund geworden war, tot sein sollte.

Atlan sah Stationen seines Lebenswegs vor seinem inneren Auge vorbeiziehen, wäh­rend er die auf dem Monitor eingeblendeten Werte kaum wahrnahm. In wenigen Minuten würden die Scuddamoren nahe genug sein, um das Feuer zu eröffnen.

Wieder Dorkan Mohts Stimme. Der Kom­mandant der kleinen Scuddamoren-Flotte rief die KNIEGEN erneut an. Diesmal rea­gierte Atlan. Die Stimme des Retortenwe­sens hallte aus den Lautsprechern der Zen­

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trale. Der Scuddamore forderte die KNIE­GEN zur Kapitulation auf.

»Nein«, flüsterte Thalia. »Bitte nicht, At­lan. Eher …«

»Ich weiß«, sagte der Arkonide. Er hatte Mühe, die Worte herauszubringen. Selbst falls das Goldene Vlies ihn ein weiteres Mal schützen würde – Thalia würde einen qual­vollen Tod in den Folterkammern der Scud­damoren erleiden, wenn man sie nicht gar zu Chirmor Flog bringen würde. Noch vor kur­zer Zeit hatte Atlan sich danach gesehnt, nach Säggallo zu gelangen.

Das war vorbei. »Wir werden ihnen nicht in die Hände fal­

len.« Atlans Hand näherte sich dem Pult mit

den Feuerknöpfen. Seine Entscheidung war gefallen. Der Arkonide spürte Thalias Hand auf seiner Schulter.

»Es ist …«, begann die Odinstochter und schüttelte vor Verzweiflung den Kopf. »Du sollt wissen, daß ich dich …«

»Ich weiß es, Thalia. Und mir geht es ebenso.«

Einen Moment lang hatte er den Wunsch, alles zu vergessen und die letzten Minuten seines Lebens mit Thalia zu verbringen, sie zu lieben, alles andere auf sich zukommen zu lassen. Irgendwann würde der Feuer­schlag sie treffen, und alles würde vorbei sein.

Als die Schutzschirme der KNIEGEN aufglühten, handelte Atlan instinktiv. Er schlug mit der Faust auf den Kopf, der die automatisch justierten Geschütze Tod und Verderben in die Reihen der Verfolger brin­gen lassen sollte – ein letztes Aufbäumen vor dem Unabwendbaren.

Dann wartete er auf das Ende. Thalia lag in seinen Armen und weinte.

4. Pthor – die FESTUNG und drei ratlose

Herrscher

Weder Sigurd noch Heimdall oder Baldu­ur wußten einen Ausweg aus der hoffnungs-

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los erscheinenden Lage. Tagelang gingen die Söhne Odins sich aus dem Weg, nur um nicht gefragt zu werden, was zu tun sei, wer die Führung übernehmen sollte, wie man dem, was unabänderlich kommen würde, be­gegnen konnte. Jeder der drei Brüder hatte Angst vor der Verantwortung. Es kam zu Streitereien, wobei besonders der finstere Heimdall sich auszeichnete, der sich nicht über Atlans »Verrat« beruhigen wollte. Bal­duur schwelgte in seinen Träumen von ver­gangenen Zeiten. Als einziger versuchte Si­gurd, logisch zu denken und das Beste aus der gegebenen Situation zu machen. Er war es, der immer wieder Dellos ausschickte, um überall dort, wo Unruhen ausbrachen, Ord­nung zu schaffen und alle nur mögliche Hil­fe für die verunsicherten Bewohner des Di­mensionsfahrstuhls zu leisen. Valjaren, Dalazaaren, Orxeyaner und viele andere spürten ebenso wie die Odinssöhne, daß et­was bevorstand, gegen das die Abwehr­schlacht gegen die Invasionsarmee der Kro­locs nur ein Vorspiel gewesen war.

Die einzige Unterstützung kam aus Wol­terhaven, wo die Robotbürger unablässig neue Berechnungen anstellten und die Od-inssöhne mit Informationen versorgten. Doch auch sie konnten nur mit Unbekannten operieren.

Es war in einer der selten gewordenen Stunden, in denen die Söhne Odins beiein­ander saßen und berieten, als die Ankunft ei­nes Mannes gemeldet wurde, der kurz vor dem Halt des Dimensionsfahrstuhls noch für einige Furore gesorgt hatte.

Niemand anders als Sator Synk, der Or­xeyaner und spezielle Freund aller Roboter, begehrte vorgelassen zu werden.

»Was kann er wollen?« fragte Balduur. »Vielleicht haben die Orxeyaner ihn aus

der Stadt geworfen«, meinte Heimdall, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich hörte, daß er die Einrichtung zweier Gaststätten und einen Teil des Marktplatzes demoliert hat. Wo er auch ist, sucht er Streit.«

»Vergeßt nicht, was er für Pthor getan hat, Brüder«, sagte Sigurd. »Er leidet immer

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noch darunter, daß sich der Robotbürger Be­diennark und seine drei Diener auf Wolter­ziel für ihn geopfert haben.«

»Wenn du ihm das ins Gesicht sagst, gibt's die schönste Keilerei«, kam es von Balduur. Der stillste der drei Odinssöhne schmunzelte still vor sich hin.

Sigurd gab Anweisung, den Orxeyaner vorzulassen.

Dann stand er vor ihnen – auf den ersten Blick ein wilder und verwegen dreinschau­ender Mann mit einem bis auf die Brust hin­abreichenden roten Bart. Vom Gesicht wa­ren fast nur die kleinen, hellblau funkelnden Augen und die Nase zu sehen. Sator Synk war nur wenig mehr als anderthalb Meter groß, breit und stämmig. Seine Kleidung war die eines Orxeyaners. Nur unter Protest hatte er den Raumanzug, den er während seines Fluges ins Vorfeld der Schwarzen Galaxis getragen hatte, abgegeben. Atlan hatte ihn für die Dellos gebraucht, die ihm und Thalia an Bord der GRIET gefolgt wa­ren.

Sator Synk grüßte knapp und kam ohne lange Umschweife zur Sache.

»Ich habe mir viele Gedanken über die Lage Pthors gemacht«, verkündete er mit grimmiger Miene, »und ich bin zu dem Schluß gekommen, daß endlich etwas unter­nommen werden muß.«

»In der Tat?« Sigurd saß in einem prunk­vollen Sessel und blickte den Orxeyaner amüsiert an. »Wahrlich ein weißer Schluß. Und was gedenkst du zu tun, Synk?«

Der Bärtige trat vor einen Tisch mit Früchten und Getränken und schlug mit der Faust auf die Platte. Die silbernen Pokale kippten fast um.

»Wir haben die GOL'DHOR! Gebt mir das Schiff und stellt mir eine Mannschaft! Ich werde aufbrechen, um Atlan zu suchen, das ist mein fester Entschluß!«

»Atlan!« Als wäre der Name ein Reizwort für ihn, sprang Heimdall auf und knallte sei­nen Weinpokal auf den Tisch. »Du kannst ihn lange suchen. Der Verräter hat sich ab­gesetzt!«

In Synks Augen blitzte es kurz auf. Sie wurden zu schmalen Schlitzen, als der Or­xeyaner vor den weit größeren Odinssohn trat und ihn anfauchte:

»Sagtest du Verräter? Atlan ein Verräter? Ich bin ein einfacher Atlanter, und ich weiß gerade soviel, um unsere derzeitige Lage be­urteilen zu können, aber man redet so eini­ges über euch, speziell über einen von euch, der lieber von seinem Parraxynt träumt, als sich der Realität zu stellen. Was wärt ihr denn ohne Atlan? Ich …«

»Schweig!« Auch Sigurd war aufgestanden und ver­

suchte, die Streithähne auseinanderzubrin­gen.

»Wir wissen wohl, was Atlan für uns ge­tan hat, aber Heimdalls Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen.«

»Dann gebt mir die Chance, ihm zu be­weisen, wie töricht dieser Verdacht ist! Die GOL'DHOR und eine Mannschaft! Mehr will ich nicht. Oder sollen wir warten, bis der Gegner zuschlägt? Dann nützt uns auch das Schiff nichts mehr.«

»Da hat er recht«, gab Balduur, immer noch etwas belustigt, zu.

»Natürlich habe ich recht. Was können wir noch verlieren? Wenn ihr mir nicht traut, kann ja einer von euch mitfliegen, oder bes­ser noch alle drei.«

»Hüte deine Zunge«, herrschte Heimdall den Orxeyaner an. »Du redest mit den Söh­nen des großen Odins, den Herrschern über Pthor.«

»Aha!« Synk stemmte die Hände in die Hüften und blickte triumphierend zu Heim­dall auf. »Solange Atlan nicht zurück ist, so war es doch. Es wäre dir wohl nur recht, wenn er nicht zurückkäme, oder irre ich mich da?«

Ehe Heimdall den Orxeyaner packen konnte, war Synk unter den Händen des Hü­nen regelrecht weggetaucht. Sigurd hatte al­le Mühe, den aufgebrachten Bruder zu beru­higen.

»Vielleicht hat er recht«, sagte er, und nun lag kein Spott mehr in seiner Stimme.

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»Nur die GOL'DHOR wäre in der Lage, das zu vollbringen, was Atlan sich vorgenom­men hatte, ganz egal, ob er uns anlog oder wirklich die Peripherie der Schwarzen Gala­xis auskundschaften wollte. Eine gute Besat­zung …«

Balduur räusperte sich. »Synk ist nicht der erste, der diesen Vor­

schlag macht«, sagte er. »Sollten wir die GOL'DHOR wirklich aufs Spiel setzen, müßte er auf jeden Fall hierbleiben.«

»Was soll das?« Respekt schien für den Orxeyaner ein Fremdwort zu sein. »Wer machte hier einen Vorschlag, und warum soll ich nicht mitfliegen können?«

Auch Sigurd schien überrascht. Als er den Bruder anblickte, erklärte Balduur:

»Ich hatte heute Kontakt mit den Robot­bürgern.«

Sator Synk zuckte bei dem Wort zusam­men.

»Sie machten den gleichen Vorschlag. Zwar ist die Erfolgschance einer solchen Mission denkbar niedrig, aber unter den ge­gebenen Umständen ist es das einzige, was wir tun können. Die GOL'DHOR soll mit ei­ner Robotbesatzung ausgerüstet werden und einem ersten Erkundungsflug nicht weiter als fünfzig Lichtjahre tief in die Schwarze Galaxis aufbrechen.«

»Aber das …« Synk schnappte nach Luft und ließ sich in Sigurds Sessel fallen. »Das ist total verrückt!«

»Mindestens ein organisches Wesen müß­te den Flug allerdings mitmachen«, fuhr Balduur ungerührt fort. »Es ist nicht sicher, ob Roboter den emotionalen Kontakt zur GOL'DHOR herstellen können wie ein nor­maler Pthorer.«

»Roboter, ha!« Synk sprang wieder auf und drehte sich

wie ein aufgezogener Kreisel um die eigene Achse.

»Das ist der übelste Scherz, den ich in meinem Leben gehört habe. Ich kenne sie, diese hinterhältigen Maschinen. Wenn ich sehe, daß auch nur einer dieser Blechkästen an Bord der GOL'DHOR geht, haue ich ihn

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zu Klump! Jawohl! Ich habe sie kennenge­lernt, und sie sind … sie sind grausam!«

»Ich sagte ja, daß du hierbleiben müßtest, falls wir uns tatsächlich für den Einsatz des Schiffes entscheiden würden. Außerdem ha­ben die Robotbürger eine vollkommen logi­sche Erklärung für ihre Forderung. Im Ge­gensatz zu organischen Wesen glauben sie unempfänglich für die unheilvolle Aura der Schwarzen Galaxis zu sein.«

»Logik, ha!« Synks Hände fuchtelten in der Luft herum, als ob sie sie stückchenwei­se zerkneten wollten. »Ich kenne ihre Logik! Nein! Gebt mir zehn Dellos, und ich zeige diesen arroganten Blechfiguren, wozu ›organische Besatzungsmitglieder‹ fähig sind!«

Schweigen. Die Odinssöhne blickten sich an. Heimdall war anzusehen, daß er Synk am liebsten auf der Stelle den Hals umge­dreht hätte.

»Wir sollten uns mit den Robotbürgern besprechen«, schlug Sigurd vor.

Als Balduur die Schultern zuckte, wandte er sich an den Orxeyaner.

»Warte draußen. Ein Dello wird dich in ein Quartier führen. Wir benachrichtigen dich, sobald unsere Entscheidung getroffen ist.«

»Eure Entscheidung? Daß ich nicht lache! Ihr seid doch längst zu Sklaven der Robo­therren geworden. Sie lachen über euch! Ihr …«

»Jetzt reicht's!« Sigurds Gesicht verriet, daß das, was für ihn bisher eher ein Spiel ge­wesen war, vorbei war. Synk genoß eine Art Narrenfreiheit, doch auch diese hatte ihre Grenzen. Und der Orxeyaner verstand.

Leise vor sich hin fluchend verließ er den Raum, um den vor der Tür bereits wartenden Dello aufs heftigste zu beschimpfen.

In seinem Quartier angelangt, bemerkte er als erstes die Flasche mit alkoholischem Ge­tränk auf dem einzigen Tisch des Raumes. Synk brauchte in seinem Zorn weniger als eine Viertelstunde, um sie zu leeren.

Alle Roboter des Universums konnten ihm ein für allemal gestohlen bleiben. Bedi­

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ennark! Was wollte er von ihm, wenn er je­de Nacht wie ein Phantom erschien und Synk schweißgebadet erwachen ließ?

Hatte Synk ihm befohlen, sich auf Wol­terziel für ihn zu opfern?

Nie wieder, dachte der Orxeyaner. Nie wieder fliege ich mit Robotern auf einem Schiff. Eher soll mich der Herr der Finster­nis persönlich zu sich holen.

Doch immer wieder ertappte Sator Synk sich bei dem Gedanken, wie es wohl an Bord der GOL'DHOR sein würde, wenn er als einziges ›organisches Besatzungsmit­glied‹ unter lauter Robotern Kurs auf die Schwarze Galaxis nähme.

Vielleicht würde er das, wofür er sich fälschlicherweise selbst die Schuld in die Schuhe schob, wiedergutmachen können.

Um sich dies selbst gegenüber nicht zuge­ben zu müssen, steigerte er sich immer wei­ter in seinen Zorn hinein – bis der Dello er­schien und verkündete, daß die Odinssöhne ihn zu sehen wünschten.

*

Die Entscheidung war gefallen, aber sie war anders ausgefallen, als Synk es sich in seinen schlimmsten Träumen hätte ausmalen können.

Es waren die Robotbürger gewesen, die den Vorschlag machten, daß fünf ihrer Die­ner und Sator Synk als einziges organisches Besatzungsmitglied an Bord der GOL'DHOR den Wölbmantel durchdringen und Kurs auf die Schwarze Galaxis nehmen sollten. Als Begründung dafür, daß ausge­rechnet ihr spezieller Freund den Flug mit­machen sollte, gaben sie gerade diese seine »Vorliebe« für Roboter aller Art an. Sein Ehrgeiz, ihnen zu beweisen, daß er ihnen doch überlegen war, würde ihn zu den Höchstleistungen befähigen, die er bringen mußte, um das, was ihm bevorstand, mei­stern zu können. Sator Synk blickte von ei­nem Odinssohn zum andern. Er war den Verzweiflungstränen nahe.

Das durfte einfach nicht wahr sein!

»Natürlich können wir dir nicht befehlen, an Bord der GOL'DHOR zu gehen«, sagte Sigurd. »Ich selbst hätte auch Interesse an dem Flug und würde lieber selbst mit den Robotern fliegen als das Risiko eingehen, je­manden mitzuschicken, der Angst vor ihnen hat und …«

»Angst?« kreischte Synk. »Ich und Angst vor Robotern? Ich zertrümmere sie einen nach dem anderen, so wahr ich hier stehe!« Inzwischen saß der Orxeyaner wieder auf seinen vier Buchstaben. »Ich fliege mit! Ich werde jedem dieser Ungeheuer auf die Me­tallfinger sehen, damit sie keinen Unfug stif­ten. Angst, pah! Ohne mich wäre Bedien­nark …«

Synk verstummte mitten im Satz. Der Herr Bediennark. Der Schuldkomplex. Das tragische Ende, das die Mission gefunden hatte, die fast ebenso begonnen hatte wie der geplante Flug der GOL'DHOR.

»Dann ist ja alles in Ordnung.« Sigurd ließ Synk keine Zeit, es sich doch noch an­ders zu überlegen. »Du wirst die fünf Robot­diener mit einem Zugor abholen. Man er­wartet dich in Wolterhaven.«

In der Hölle! dachte der Orxeyaner. Als ob ich nicht wüßte, daß diese Drahtgestelle sich nur an mir rächen wollen! Aber da ha­ben sie sich getäuscht. Sator Synk wird ih­nen zeigen, wozu er fähig ist!

Synk verbrachte die Nacht in der FE­STUNG. Am Morgen brach er auf, ein flu­chendes und zeterndes Bündel aus Energie – organischer Energie, wohlgemerkt. Jawohl, er würde es ihnen zeigen, allen Robotern, die nur darauf warteten, ihn versagen zu se­hen, weil sie sich ja so überlegen fühlten. Dabei würden weder Robotdiener aus Wol­terhaven noch der wilde Orxeyaner jemals die GOL'DHOR besteigen. Doch von dem, was auf ihn zukam, ahnte Sator Synk nichts. Hätte er es gewußt – er wäre niemals in Richtung Wolterhaven aufgebrochen.

5.

Am Nordufer des Regenflusses – Leenia/

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Wommser und das Zentrum Mod-Poluur hat­te die Energien des Wesens in sich aufgeso­gen wie ein trocken ins Wasser geworfener Schwamm die Flüssigkeit. Die Frau war nicht mehr fähig, von ihren natürlichen Waf­fen Gebrauch zu machen. Sie war eine Hül­le, in der Mod-Poluur hauste – und noch et­was anderes.

Das Zentrum stieß auf Widerstand. Irgend etwas in der Fremden hinderte ihn daran, es völlig auszufüllen. Mod-Poluur konnte nicht ins Bewußtsein der Gefangenen vorstoßen. Es war, als ob sie überhaupt keines hätte, und doch war es da, hinter einer undurch­dringlichen Mauer verborgen, die es zu sprengen galt. Mod-Poluur würde Geduld haben, tagelang, wochenlang, falls es sein mußte. Er spürte, daß dieses Wesen für ihn wertvoller als alle anderen Extremitäten sein konnte. Er würde ihm seine Kräfte zurück­geben, wenn sein Wille gebrochen und es ganz im Bann des Zentrums war. Mod-Po­luur sah schon im Geist vor sich, wie die Frau für ihn kämpfen würde, wie die tod­bringenden Energien, die die Extremität Rhek-Moyn das Leben gekostet hatten, seine Gegner vernichten würden.

Mod-Poluurs Kräfte wirkten weiter auf die Fremde ein. Irgendwann würde die Mau­er fallen, die ihr Bewußtsein umgab. Das Zentrum hatte keinen Zweifel daran. Ein psionischer Kampf zwischen ihm und dem, das ihm noch Widerstand leistete, entbrann­te. Am Ende würde Mod-Poluur sämtliche Erinnerungen und alles Wissen des Wesens ausgebreitet vor sich haben, und dann konn­te er es für alle Zeiten gefügig machen.

So sah das Zentrum seine neue Gefangene und was in ihr vorging. Noch war sie nur ge­lähmt und unfähig, irgend etwas aus eige­nem Willen zu unternehmen. Noch …

*

Das, was Mod-Poluur für Leenias Be­wußtsein hielt, das sich verzweifelt gegen den Schwall anstürmender psionischer Ener­gien wehrte, war nicht Leenia. Sie, die Kom-

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ponente Leenia, war psychisch tot. Es war Wommser, der auf den Überfall Mod-Po­luurs vorbereitet gewesen und sich völlig in sich zurückgezogen hatte, um im entschei­denden Augenblick Leenias Bewußtseinsin­halt in sich aufzunehmen. Leenia, die viel zu leichtsinnige Partnerin, hätte keine Chance gegen den mentalen Überfall gehabt. Sie war leer. Mod-Poluur achtete darauf, daß seine wertvolle Gefangene nicht starb, doch ohne die Energien, die Wommser in sie überfließen ließ, um ihre Lebensfunktionen auf einem minimalen Niveau aufrechtzuer­halten, wäre sie körperlich gestorben. Was in diesem Fall mit ihr und ihm, Wommser, geschehen wäre, wußte der Mentalpartner nicht.

Er konzentrierte all seine Energien auf die Abwehr des Monstrums, das auch von ihm Besitz ergreifen wollte. Dennoch wußte Wommser, daß er sich nicht sehr lange wür­de halten können. Er würde regelrecht aus­gezehrt und gezwungen werden, Leenias Be­wußtseinsinhalt und damit den seinen freizu­geben. Und Wommser wußte, was das be­deutete.

So war auch er gelähmt. Er erinnerte sich an jene Zeit, als er noch nicht an die Partne­rin gebunden war. Vielleicht hätte er dann einfach entmaterialisieren können, in die Si­cherheit des Dimensionsnestes fliehen. Doch das war vorbei.

Die beiden Topsider und andere herbeige­eilte Bandenmitglieder, deren Neugier stär­ker gewesen war als die Furcht vor dem Meister, ahnten nichts von dem furchtbaren Kampf, der zwischen dem, was unter dem Netz in der Bodenmulde verborgen war, und der wie aus Stein gemeißelt dastehenden Ge­fangenen tob te. Wommser würde bis zum letzten kämpfen. Für Leenia. Für ihre Hoff­nungen, die seine Hoffnungen geworden wa­ren. Für alle, die zu seinen Freunden gewor­den waren, und für deren Ziele. Für Atlan und gegen die Mächte, die die Schwarze Ga­laxis beherrschten, denn Wommser glaubte, in der Aura, die bis hierher drang, etwas wiederzuerkennen: Die gleiche Ausstrah­

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lung war von den Schattenballungen ausge­gangen, die ihn aus seinem Dimensionsnest vertrieben und fast getötet hätten. So würde es ein Kampf um Leben oder Tod werden. Denn Wommser war entschlossen, sich eher selbst zu opfern, bevor er unter Mod-Poluurs Gewalt geriet.

Sich und damit Leenia, die jetzt nur Hülle war und sich nicht wehren konnte, weder ge­gen Mod-Poluur noch gegen den Teil ihrer selbst, der Wommser hieß.

Und irgendwo in Räumen, die jenseits un­serer Vorstellungskraft liegen, wartete man auf sie. Die Wesen, die die Höheren Welten gleichermaßen bildeten und bevölkerten, »sahen«, was mit Leenia vorging, doch sie hatten keine Möglichkeit zum Eingreifen.

6. Einmal Wolterhaven und zurück

Der Orxeyaner schlug sich die Hände vors Gesicht, als er die Stadt der Roboter am Ho­rizont auftauchen sah. Der Zugor geriet ins Wanken. Synk konnte sich gerade noch an der Steuersäule festhalten und mit Mühe das Fahrzeug wieder auf Kurs bringen.

»Es war mein Vorschlag«, knurrte er im­mer wieder. »Ich hatte die Idee, mit der GOL'DHOR nach Atlan zu suchen. Diese Blechkerle haben kein Recht, mitzufliegen und die Idee für sich zu beanspruchen. Lo­gik, pah!«

Aber warum hatten sie wirklich ausge­rechnet ihn als »organisches Besatzungsmit­glied« vorgeschlagen, ja geradezu gefordert? Es konnte sich nur um Rache handeln!

»Sympathien, lächerlich!« Synk dachte wieder an den Herrn Bedien­

nark und seine drei Diener. Und wie immer, zeigte sich die tief ins Unterbewußtsein ver­drängte Trauer als Aggression.

»Du warst mir nicht sympathisch, Bedien­nark! Nie im Leben! Und ich weiß, daß du gelogen hast. Auch du konntest mich nicht ausstehen. Ach, was sage ich? Du fühltest dich ja so sehr überlegen! Aber warte! Sator Synk wird es dir zeigen!«

Der Orxeyaner steigerte sich immer mehr in seinen Zorn hinein, je näher er Wolterha­ven kam. Auf einer der Plattformen landete er den Zugor und stieg aus. Sekunden später erschienen drei Robotdiener.

»Hier bin ich«, knurrte er, bevor einer der Roboter etwas sagen konnte. »Wo sind die Kerle, die unter meinem Kommando in die Schwarze Galaxis fliegen wollen? Ich habe nicht die Absicht, mich auch nur eine Minu­te länger als unbedingt nötig hier aufzuhal­ten. Also, ich warte hier auf sie.«

»Du bist unser Gast, bis alle Vorbereitun­gen abgeschlossen sind, Sator Synk«, kam es knarrend aus einem zwischen Tentakeln und stabförmigen Extremitäten verborgenen Lautsprecher. »Wir haben uns große Mühe gegeben, dein Quartier nach deinem Ge­schmack einzurichten. Wir sind dir diese Aufmerksamkeit schuldig, nach dem, was du für den Herrn Bediennark getan hast.«

Synk kniff die Augen zusammen. Er war für einen Moment sprachlos, was bei ihm ei­niges heißen wollte.

Er und etwas für diesen Bediennark getan, den arroganten Robotbürger, der ihn den Verrückten auf Wolterziel ausgeliefert und nachher die Unverschämtheit besessen hatte, von Sympathie zu sprechen?

Das war schon mehr als Provokation. »Ihr legt mich nicht mehr 'rein«, brüllte

Synk. »Nicht noch einmal! Her mit den fünf Blechkästen, die mich begleiten wollen! Wenn sie in einer Minute nicht hier sind, fliege ich zurück und berichte den Odinssöh­nen, daß ihr euch geweigert habt, mit mir zusammenzuarbeiten, daß ihr … daß ihr Sa­botage betreibt!«

»Wir stehen in ständigem Kontakt mit der FESTUNG«, versetzte der Sprecher der drei Diener ungerührt. »Die Odinssöhne wissen über alles Bescheid, was hier vorgeht.«

Also doch! dachte Synk. Sabotage, Ver­schwörung!

Aber gerade das stachelte ihn an. Hatte man ihn nicht einen Feigling genannt? Er würde es ihnen zeigen, ihnen allen.

»Wann werden eure fünf Kumpane zum

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Abflug bereit sein?« »Der Begriff ›Kumpane‹ ist uns nicht ge­

läufig«, sagte der Roboter. Synk stöhnte laut und suchte etwas, wor­

auf er sich setzen konnte. »Mitverschwörer! Komplizen!« Synk ver­

drehte die Augen. »Robotisches Leben von wahrer Intelligenz, das einen Knacks hat. Und Knacks bedeutet, daß ihr nicht alle Sin-ne beieinander habt, daß … daß eure Schalt­elemente durcheinander geraten sind.«

Täuschte er sich, oder blickten sich die drei Roboter gegenseitig an?

»Wir werden unsere Schaltelemente auf eventuelle Fehler überprüfen lassen«, versi­cherte dann der Sprecher. »Nun aber führen wir dich in dein Quartier. Es wird einige Stunden dauern, bis unsere beiden Begleiter ebenfalls auf fehlerhafte Schaltelemente un­tersucht und für den Abflug bereit sind.«

O nein! durchfuhr es Synk. Nicht das! Er sah zurück zum Zugor, bereit, jeden

Augenblick hineinzuspringen und diesen Ort des Wahnsinns zu verlassen. Doch da pack­ten ihn schon die Tentakelarme der Roboter und zerrten ihn zu einer Öffnung in der Plattform. Synk protestierte, stieß die wüste­sten Beschimpfungen aus, doch alles nützte nichts mehr. Durch den AntigravSchacht ge­langte er tiefer in die Stadt der Roboter, bis er vor der Tür seines in aller Eile eingerich­teten Quartiers stand.

Synk traute seinen Augen nicht. Er hatte einen völlig kahlen Raum erwartet. Nun aber sah er eine Couch, einige Sessel und einen Tisch, auf dem mehrere Flaschen des in Orxeya beliebtesten alkoholischen Ge­tränks standen.

Synk schluckte. »In der Botschaft, die unser Herr Bedien­

nark dir mitgab, war außer den Ergebnissen eurer Mission auch einiges über dich gespei­chert«, erklärte der Roboter im Eingang. »Diese Botschaft war es auch, die uns zu der Entscheidung führte, dich als organisches Besatzungsmitglied auf der GOL'DHOR zu dulden. Der Herr Bediennark würdigte aus­drücklich deine Fähigkeiten, und …«

Horst Hoffmann

»Und gleich werdet ihr anfangen, von Sympathie zu faseln!« platzte es aus dem Orxeyaner heraus. »Fähigkeiten, ha! Natür­lich habe ich sie, im Gegensatz zu euch!«

Synk nahm sich eine der Flaschen und trank sie in einem Zug halb aus. Sogleich wurde ihm anders. Wohlige Wärme durch­strömte ihn.

»Nicht schlecht. Ich muß zugeben, daß ihr Geschmack habt.« Sofort erkannte er seinen Fehler. »Daß ich Geschmack habe, wollte ich sagen.«

Er trank die Flasche ganz aus, und plötz­lich sah er die drei Robotdiener mit anderen Augen. Fast glaubte er eine ganz besondere Art von Ästhetik in ihrer Konstruktion zu er­kennen. Wieso hatte er eigentlich etwas ge­gen sie? Im Grunde genommen war Bedien­nark doch ein ganz anständiger Kerl gewe­sen.

»Du da«, sagte Synk zu dem ihm am nächsten stehenden Roboter. »Komm mal her.«

Er legte dem Maschinenwesen eine Hand auf die Schulter.

»Du mußt das alles, was ich sagte, nicht so ernst nehmen. Ich freue mich sogar auf unseren gemeinsamen Flug, und ich sage dir, äh …«

»Äh?« ahmte der Roboter den Orxeyaner nach. »Dieser Begriff ist mir …«

»Nicht geläufig, das weiß ich ja. Ich woll­te sagen, daß wir es diesen Schwarzen aus der Galaxis schon zeigen werden, und wir werden Atlan da heraushauen, so wahr ich Sator Synk heiße!«

Die drei Robotdiener zogen sich zurück und ließen den Orxeyaner allein. Konnte Robotern etwas peinlich sein? Unsinn, dach­te Synk. Die nächste Flasche. Bediennark! Er war doch ein patenter Kerl gewesen. Für Augenblicke drohte die Trauer Synk zu übermannen, doch ein weiterer Schluck half dem schnell ab.

Sator Synk trank auch die letzte Flasche aus und schlief auf der Couch ein.

Als er erwachte, fühlte er sich so elend wie noch nie. Und als er die fünf Robotdie­

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ner vor sich stehen sah, glaubte er, den Lohn für alle Sünden seines Lebens zu empfan­gen.

*

Alles konnte Sator Synk den Robotbür­gern von Wolterhaven vorwerfen, nur eines nicht: daß sie nicht in der Lage waren, sich in die Psyche eines organischen Wesens zu versetzen. Der Synk bereits hinlänglich be­kannte Robotdiener an der Spitze der Grup­pe brachte eine neue Flasche zum Vorschein und reichte sie Synk, der zunächst einmal ungläubig blickte, dann jedoch um so schneller zugriff. Als er ausgetrunken hatte, fühlte er sich wohler. Erstaunt bemerkte er erst jetzt, daß jeder der fünf Roboter einen Farbfleck auf der Brust hatte. Blau, grün, gelb, rot und weiß – perfekte Unterschei­dungsmerkmale, und zwar solche, wie Synk sie kurz nach dem Start der WOLTER­BOOT von den drei Dienern des Herrn Be­diennark gefordert hatte. Was hatte die Bot­schaft, die Bediennark ihm mitgegeben hat­te, wirklich alles enthalten? Sympathiebezei­gungen, Charakterbeschreibungen und wahr­scheinlich eine Aufzählung aller Vorlieben des Orxeyaners. Synk hoffte, daß Atlan nur das erfahren hatte, was ihn direkt anging. Aber hatten die Roboter ihn dann nicht in der Hand? Synk fühlte sich wohler, natür­lich, aber konnte er den Robotdienern und ihren Herren auch wirklich trauen? Wollten sie ihn betrunken machen, um seine Sinne zu vernebeln? Würden sie ihn bei der erstbe­sten Gelegenheit verraten? Waren sie im­stande, so gemein zu sein? Nicht auszuden­ken, wie groß die Blamage wäre, falls je­mand über Synks wahres Verhältnis zum Herrn Bediennark und seinen Dienern er­fuhr. Es gab nur eines, um sich Klarheit zu verschaffen. Sator Synk mußte die Roboter testen, hier und jetzt, bevor es zu spät war.

»Du da«, knurrte der Orxeyaner und zeig­te auf den rot markierten Diener. »Ja, dich meine ich. Ab sofort bist du der Sprecher für euch fünf. Wer mir etwas zu sagen hat, tut

das über dich. Ist das klar?« »Verstanden und akzeptiert, Sator Synk.« »Schön.« Der Orxeyaner nickte grimmig.

»Und dann soll jeder von euch wissen, daß ich der Kommandant bin, ich ganz allein und ab sofort. Das gilt für den Flug zur FE­STUNG und für die Zeit, die wir an Bord der GOL'DHOR verbringen werden. Ver­standen?«

»Verstanden und akzeptiert«, bestätigte »Rot«.

Synk schielte mißtrauisch von einem Ro­boter zum andern. Spielten sie ihm nur et­was vor, oder meinten sie wirklich, was sie sagten? Daß Roboter lügen konnten, wußte Synk, zumindest bildete er sich das ein.

»Wir verstehen uns also. Wann können wir aufbrechen?«

»Sofort.« »Und auch eure Herren haben meine Be­

dingungen akzeptiert?« »Ja, Sator Synk. Deine Bedingungen wa­

ren uns bekannt.« Natürlich, dachte das Rauhbein aus der

Händlerstadt. Sie wissen ja über mich Be­scheid.

Einige Augenblicke lang war er versucht, eine Bestätigung von einem der Robotbürger selbst zu fordern, doch dann, als er die fünf Diener still und in Reih und Glied vor sich stehen sah, begann er zu glauben, daß sie es wirklich ehrlich mit ihm meinten. Warum auch nicht? War es nicht nur natürlich, daß sie seine Führerqualitäten erkannt hatten?

Der Alkohol machte sich erst jetzt wieder voll bemerkbar – so sehr, daß Synk sich nicht einmal die Frage stellte, warum das so war. Das Mißtrauen schwand. Seine kleine Streitmacht stand vor ihm. Wozu also noch zögern?

»Wir brechen auf«, verkündete der Or­xeyaner. »Bringt mich zum Zugor!«

»Bist du sicher, daß du ihn steuern kannst?« fragte der rot markierte Diener. »Wir gaben dir den Alkohol zwar als Medi­zin, aber seine Nebenwirkungen …«

Synk winkte ab. »Unsinn!« sagte er barsch. »Ich bin schon

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ganz anders berauscht gewesen und trotz­dem … Aber das gehört nicht hierher. Ich steuere das Ding. Keine Widerrede!«

Minuten später befanden Synk und seine Streitmacht sich im Zugor. Das Fahrzeug hob ab und stieg viel zu steil in den Himmel auf.

»Soll nicht doch einer von uns …?« wag­te Rot zu fragen.

»Unsinn. Das war nur ein Test, um festzu­stellen, ob der Zugor nicht überladen ist und uns alle sechs tragen kann. Haltet euch fest. Wir machen übrigens einen kleinen Umweg. Ich möchte Orxeya noch einmal sehen.«

Keine Antwort, also auch kein Wider­spruch. Synk nickte zufrieden. Das Schwei­gen der Roboter war ein weiteres Zeichen für ihre Bereitschaft, sich Synks Befehlen zu fügen. Denn Sentimentalität war etwas, das sie kaum verstehen konnten. Und Sentimen­talität war es, die Synk Kurs auf Orxeya nehmen ließ. Er wollte seine Heimatstadt tatsächlich noch ein letztes Mal sehen. Denn unbewußt rechnete er nicht damit, daß er von seiner Mission lebend zurückkehren würde. Unbewußt empfand er immer noch Schuldgefühle dem Herrn Bediennark ge­genüber, der sich für ihn geopfert hatte.

*

Kurs auf Orxeya – das hieß für Sator Synk in seinem gegenwärtigen Zustand erst einmal Kurs nach Nordost. Die Richtung stimmte zwar annähernd, aber in seinem Ei­fer schoß der Orxeyaner im wahrsten Sinn des Wortes über sein Ziel hinaus. Er hatte soviel mit Kurs, Höhen und Geschwindig­keitskorrekturen zu tun, daß er dies erst be­merkte, als er den Regenfluß unter sich schimmern sah.

Das brachte ihn halbwegs zur Besinnung. Synk drehte sich zu den Robotern um.

»Das ist nicht Orxeya«, sagte er. »Der Re­genfluß. Ich habe mich auf euch verlassen. Wieso habt ihr mich nicht darauf aufmerk­sam gemacht, daß … äh … die Steuerung des Zugors fehlerhaft ist?«

Horst Hoffmann

»Wir waren und sind der Überzeugung, daß unser Kommandant weiß, was er tut, und daß der Umweg über den Regenfluß nicht ohne Grund genommen wurde«, kam es von Rot.

Synk schüttelte in stummer Verzweiflung den Kopf. Die euphorisierende Wirkung des Alkohols ließ nun rapide nach. Der Orxeya­ner hatte das Gefühl, daß der Zugor sich im­mer schneller in der Luft drehte und irgend jemand ihm einen Schraubstock am Kopf angelegt hatte. Ihm war übel – furchtbar übel. Synk versuchte verzweifelt, etwas ge­gen das Kreisen zu unternehmen, riß an al­len erreichbaren Hebeln und brachte es fer­tig, daß das Fahrzeug sich tatsächlich zu dre­hen begann. Dazu schwankte es und neigte sich so stark zur Seite, daß drei Robotdiener gleichzeitig den Orxeyaner stützen mußten.

»Mir ist schlecht«, brachte der Komman­dant hervor. »Wir … wir müssen notlanden. Einer von euch übernimmt die Steuerung.«

Das war vorläufig das letzte, was der Or­xeyaner herausbringen konnte. Ein Robot­diener stellte sich an die Steuersäule in der Mitte des schalenförmigen Fahrzeugs und stabilisierte den Kurs. Es dauerte nicht lan­ge, bis er einen geeigneten Landeplatz fand – am nördlichen Ufer des Flusses, zwischen dem Dämmersee und der Senke der verlore­nen Seelen.

*

Der psionische Kampf zwischen dem Zentrum Mod-Poluur und der Bewußtseins­komponente Wommser tobte nun schon län­ger als einen Tag, ohne daß es einem der beiden Gegner gelungen war, entweder die Blockade um das Bewußtsein Leenia/ Wommsers zu brechen oder sich aus der Ge­walt des Zentrums zu befreien. Wommser spürte, wie seine Energien langsam schwan­den.

Eine Stunde noch, vielleicht zwei. Dann mußte er das tun, was nicht zu vermeiden war. Wommser hatte absolut keine Vorstel­lung davon, was geschehen mochte, wenn er

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schlagartig seinen und Leenias Bewußtseins­inhalt und alle noch in ihm steckende Ener­gie freigab und dem Gegner entgegenschleu­derte. Er, Wommser, würde dies auf keinen Fall überleben. Mod-Poluur wahrscheinlich auch nicht. Aber welche weiteren Wirkun­gen würde es haben?

Wommser konnte nicht weiter darüber nachdenken. Er durfte es nicht.

Und Mod-Poluurs Ansturm wurde stärker. Das Zentrum legte all seine Lebensenergie in sein Anrennen. Die grüne Kugel, von der die Extremitäten ihre Befehle bekamen, leuchtete nur noch schwach. Doch noch war die Kommunikation möglich.

So erfuhr Mod-Poluur vom Auftauchen eines Fremden, der von fünf Robotern be­gleitet wurde und in einem Zugor gelandet war – nicht weit vom Lager entfernt. Das Zentrum brauchte ein Ventil, um den Zorn über das bisherige Scheitern seiner Anstren­gungen abzulassen. So schickte es drei Technos aus, die als einige der ersten in Mod-Poluurs Gewalt geraten waren. Sie sollten den Fremden fangen, die Roboter vernichten und den Zugor zum Lager brin­gen.

*

Sator Synk kam im gleichen Augenblick wieder zu Bewußtsein, in dem die Technos erschienen. Sie ließen den Robotdienern kei­ne Chance. Vier der fünf Maschinenwesen vergingen im Feuer der Angreifer. Das fünf­te konnte sich gerade noch rechtzeitig hinter dem Zugor in Sicherheit bringen. Was aus ihm wurde, sollte Synk nicht erfahren, denn einer der Technos richtete die Waggu auf ihn und paralysierte ihn. Synk fiel zu Boden und wurde zurück in den eigenen Zugor ge­schleppt. Er konnte sehen und denken, aber keinen Finger rühren. Die Technos legten ihn auf den Rücken und starteten das Fahr­zeug.

All dies geschah innerhalb weniger Se­kunden. Synk begriff nichts. Wie kamen Technos hierher, und warum hatten sie seine

Roboter zerstrahlt? Er lebte, aber was stand ihm bevor? Die

Technos unterhielten sich, doch Synk konnte kein Wort verstehen. Woher hatten sie die Strahler? Vor dem Fall der FESTUNG war es oft geschehen, daß Technos nach Orxeya kamen, aber immer waren sie nur mit Wag­gus bewaffnet gewesen.

So viele quälende Fragen. Synk wünschte sich, wieder berauscht zu sein, und sogar der elende Zustand, in dem er sich vor der Lan­dung befunden hatte, wäre ihm lieber gewe­sen als seine jetzige Lage.

Sator Synks Gedanken galten einzig und allein den Robotern. Wieder waren zumin­dest vier von ihnen an seiner Seite gestor­ben.

Und er war schuld an allem, hämmerte es in seinem Bewußtsein. Hätte er nicht die Landung befohlen, wären die Technos nicht über ihn und die Robotdiener hergefallen. Ihre Motive interessierten den Orxeyaner in diesen Minuten, da er zum Nichtstun verur­teilt im Zugor lag, überhaupt nicht. Was sie angerichtet hatten, war mehr, als er in dieser kurzen Zeit geistig verarbeiten konnte. Es war sein Glück, daß er gelähmt war, denn andernfalls wäre er wie ein Berserker über die drei hergefallen.

Warum war von den Robotdienern nichts mehr übrig als ein paar Stücke Metall, die verstreut auf dem Boden lagen? Weshalb hatten sie ihm das antun müssen? Lastete ein Fluch auf ihm?

Dann versuchte der Orxeyaner sich wie­der einzureden, daß sie es mit Absicht getan hatten, daß sie ihn nur deshalb betrunken ge­macht hatten, um ihn genau an der Stelle, wo das Verderben über sie gekommen war, landen zu lassen.

Alles ein abgekartetes Spiel! dachte Synk. Sie wollten mich quälen! Ich sollte mir noch mehr Gewissensbisse machen als ohnehin schon. Aber da haben sie sich gewaltig ge­irrt! Je weniger dieser verdammten Blech­kerle es auf Pthor gibt, desto besser für uns alle!

Zwei innere Stimmen lagen im Wettstreit

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miteinander – echte Trauer, Verzweiflung und ohnmächtiger Zorn und der vorgescho­bene Roboterhaß, mit dem Synk unbewußt versuchte, seine wahren Gefühle zu verdrän­gen.

Dieser Haß auf alles, was metallene Ten­takel, Antennen, Räder und Blinkleuchten hatte, war es schließlich auch, der Synk die Frage stellen ließ, was ihm nun weiter be­vorstand, was die Roboter mit ihrem Verrat bezweckt hatten. Synks Gedanken waren wirr, aber immer mehr fragte er sich nun, wohin die Technos ihn brachten. Im Auftrag der Odinssöhne handelten sie bestimmt nicht, auf eigene Faust wohl ebensowenig. Technos waren gewohnt, Befehle auszufüh­ren.

Synk stellte die wildesten Spekulationen an, doch er war weit davon entfernt, die schreckliche Wahrheit zu erahnen.

Er war immer noch paralysiert, als der Zugor am Rand des Lagers landete und die Technos ihn herauszerrten. Einer von ihnen lud sich den Orxeyaner über die Schulter und trug ihn bis zu einer schwach grünlich leuchtenden Kugel, die wie ein Riesenpilz aus dem Boden ragte und leicht pulsierte.

Sator Synk kam nicht mehr dazu, sich weitere Gedanken zu machen und Fragen zu stellen.

Mod-Poluur nahm von ihm Besitz, und bei dem Orxeyaner würde es nicht Stunden dauern, bis er zum willenlosen Sklaven ge­worden war, der niemals mehr er selbst sein würde.

Es begann zu dämmern. Das letzte, was Synk bewußt wahrnahm, war der sich auf­bäumende Körper einer atemberaubend schönen jungen Frau wenige Meter neben ihm. Ja, sie war schön – selbst jetzt noch, als das Grauen ihr Gesicht zu einer Grimasse hatte werden lassen.

*

In der FESTUNG war man beunruhigt. Die Odinssöhne standen ununterbrochen in Verbindung mit Wolterhaven. Sator Synk

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und die Robotdiener mußten längst einge­troffen sein. Selbst dann, wenn der Orxeya­ner nur langsam geflogen wäre, hätte er schon seit Stunden angekommen sein müs­sen.

Die Nacht brach über Pthor herein, ohne daß der Zugor geortet werden konnte oder Synk auf die Funkanrufe der Odinssöhne antwortete.

»Wir sollten ein Suchkommando aus­schicken«, schlug Balduur vor.

»Unsinn!« Heimdall lachte rauh. »Wir kennen ihn doch, diesen Hitzkopf von Or­xeyaner. Sicher hat es Streit mit den Robo­tern gegeben, und er prügelt sich irgendwo auf dem Weg mit ihnen herum.«

Beide sahen Sigurd an, von dem sie eine Entscheidung erwarteten. Lange stand der blonde Sohn Odins vor einem Bildschirm, die Augen in die Ferne gerichtet.

»Wir warten bis zum Morgengrauen«, sagte er dann. »Wenn Synk bis dahin nicht hier ist, breche ich selbst auf, um ihn zu su­chen.«

*

Der Robotdiener, der leise tickend vor den Überresten seiner Artgenossen stand, trug eine rote Markierung auf der Brust. Er hatte den plötzlichen Überfall überlebt – als einziger. Keiselpoll, wie er wirklich hieß, hatte sich hinter den Zugor retten können, als die Angreifer auftauchten. Dennoch hätte ihn der Techno, der ihn verfolgt und gestellt hatte, erschießen können. Der Strahl war wenige Zentimeter neben Keiselpoll in den Boden gefahren. Einen zweiten Schuß hatte es nicht gegeben. Der Techno war ver­schwunden und zu seinen beiden Begleitern zurückgekehrt, wobei er wußte, daß Keisel­poll lebte.

Das war etwas, das der Robotdiener nicht verstand. Er suchte vergeblich nach einer Erklärung für das vollkommen unlogische Verhalten des Technos, während er seine vier Artgenossen betrauerte.

Keiselpoll trauerte nicht wie es ein Men­

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sch an seiner Stelle getan hätte. Es war et­was vernichtet worden, das denken, auf Im­pulse reagieren und selbständige Entschei­dungen treffen konnte – etwas wie er selbst, etwas, das Wert hatte.

Der Robotdiener stellte sich die gleiche Frage wie vorher Sator Synk: weshalb der Überfall? Synk war entführt worden, ohne daß Keiselpoll etwas dagegen tun konnte. Seine Logik hatte ihm gesagt, daß es besser war, so zu tun, als ob er auch funktionsun­tüchtig gemacht worden wäre.

Aber er existierte, konnte denken und sich die zu unternehmenden Schritte überlegen. Keiselpoll hatte sich die Richtung genau ge­merkt, in die der Zugor mit Sator Synk gest­artet war. Seine Aufgabe und die seiner vier vernichteten Artgenossen war es gewesen, Synk in jeder Hinsicht zu unterstützen und ihn dann zu provozieren, wenn er in eine La­ge geriet, die Höchstleistungen von ihm er­forderte. Dieser Auftrag galt weiterhin. Sa­tor Synk mußte gerettet werden – falls er noch lebte.

So machte Keiselpoll sich auf den Weg. Er marschierte durch Dickicht, hohes Gras und kleine Wälder in die Richtung, in die der Zugor geflogen war. Es begann zu däm­mern, und Keiselpolls Infrarotoptiken ge­statteten es ihm, auch ohne seine Scheinwer­fer, die ihn jedem Gegner schnell verraten hätten, seinen Weg zu finden.

Während der Roboter sich dem Lager der Anhänger Mod-Poluurs näherte, machte ge­rade in diesem Lager ein anderes Wesen sich seine Gedanken über das, was vorgefal­len war.

Zpehk, der Techno. Er war es gewesen, der vor dem Robot­

diener gestanden und an ihm vorbeigeschos­sen hatte, und das mit voller Absicht. Zpehk wußte nicht, was plötzlich über ihn gekom­men war. Der Befehl des Zentrums war ein­deutig gewesen: Vernichtung aller Roboter und Festnahme des Fremden.

Wieso hatte Zpehk das Maschinenwesen nicht zerstrahlen können?

Zpehk saß abseits vom Lager im Gras. Ir­

gend etwas geschah mit ihm. Er spürte es, und es jagte ihm Angst ein. War er zum Ver­räter am Zentrum geworden? Würde es nun grausame Rache an ihn nehmen?

Zpehk konnte noch nicht ahnen, daß Mod-Poluur mit dem Kampf gegen das, was sich in der Gefangenen immer noch gegen ihn sträubte, und mit der Integration Sator Synks so überfordert war, daß er keine Gele­genheit fand, seine Extremitäten zu überprü­fen, wie es sonst ständig der Fall war.

Zpehk wußte nicht, daß nur dies dafür verantwortlich war, daß er noch lebte.

Welche Art von Leben? fragte sich der Techno nicht zum erstenmal. Nur wenige von seiner Art hatten sich die gleiche Frage schon gestellt und litten unter der Unsicher­heit.

War er, waren seine Artgenossen gebore­nes Leben oder Retortenwesen? Waren sie Androiden, Züchtungen?

Die Radkränze, Röhren und Drähte, die immer dann sichtbar wurden, wenn ein Techno ins Mondlicht einer gerade heimge­suchten Welt geraten war – was hatten sie zu bedeuten?

Immer wieder die gleichen quälenden Fragen. Fragen, wie sie sich nur Ausnahme­erscheinungen stellen konnten. Eine solche Ausnahmeerscheinung stellte Zpehk dar, und als solche hatte er sich am ehesten halb­wegs aus dem Bann des Monstrums befreien können, als es sich völlig auf die Gefangene konzentrierte und dabei zwangsläufig die Kontrolle über seine Extremitäten vernach­lässigen mußte.

Doch noch kam es Zpehk nicht annähernd in den Sinn, sich offen gegen den Meister aufzulehnen. Er fühlte sich zwischen zwei Welten hin und her gerissen.

Bilder aus einer im Dunkel liegenden Vergangenheit:

Es war ein Techno, er hatte den Herren der FESTUNG, beziehungsweise deren Nachfolgern zu dienen. Die Roboter an Bord des Zugors waren Robotbürger aus Wolter­haven gewesen, Verbündete der FESTUNG.

War es dieser erste Funke der Erinnerung

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gewesen, der ihn daran gehindert hatte, auf den Robotdiener hinter dem Zugor zu schie­ßen und den beiden anderen Technos vorzu­spielen, daß er ihn vernichtet hatte?

Zpehk hatte sich erhoben und weiter vom Lager entfernt. Es war dunkel geworden. Die Feuer brannten wieder, und Zpehk hatte nur den einen Wunsch, möglichst weit von ihnen und den Mitgliedern der Gemeinschaft um das Zentrum entfernt zu sein. Immer noch fühlte er sich ihnen zugehörig, aber ih­re Nähe, vor allem aber die Nähe des Zen­trums, bereitete ihm nun Qualen.

Vielleicht war es die Struktur seines Ge­hirns, die ihn als ersten halbwegs dem Bann des Meisters entfliehen ließ. Zpehk wußte es nicht.

Er wußte auch nicht, was er zu tun hatte, als er dem Robotdiener gegenüberstand.

Zpehk hatte die Strahlwaffe in der Hand. Er richtete sie unsicher auf Keiselpoll.

*

Fast eine Minute verging – eine Minute, in der Keiselpolls elektronisches Gehirn auf Hochtouren arbeitete, versuchte, den Gegner und die Chancen einzuschätzen, die er bei einem Kampf haben würde. Es war jener Techno, der Keiselpoll verschont hatte. Der Robotdiener erkannte ihn sofort.

Dann endlich senkte Zpehk den Lauf der Waffe.

»Du bist hier, um deinen Herrn zu retten«, begann der Techno unvermittelt. »Es ist zu spät. Ihm ist nicht mehr zu helfen.«

»Wo ist er?« wollte Keiselpoll wissen. Immer noch stellte das Verhalten des Tech­nos für ihn ein Rätsel dar, und Keiselpoll war bereit, jeden Augenblick seine Tentakel zu gebrauchen, um dem Gegenüber den Strahler zu entreißen.

Doch der Techno machte keine Anstalten, ihn anzugreifen.

»Dein Herr befindet sich in der Gewalt des Meisters. Es gibt kein Entkommen.«

»Wer ist dieser Meister?« »Das Zentrum, unser aller Herr. Niemand

Horst Hoffmann

kann sich von ihm lösen. Wir leben durch ihn. Niemand kann gegen seine Befehle ver­stoßen oder …«

»Du hattest den Befehl, uns zu vernich­ten?«

»So ist es.« »Uns alle? Warum hast du mich ver­

schont?« »Es …« Zpehk schüttelte den Kopf und

schloß für einen Moment die Augen. »Ich verstehe es selbst nicht. Etwas in mir sagt mir, daß es nicht recht ist, was wir tun. Die Kraft des Meisters ist nicht mehr die gleiche wie bisher, aber sie wird wiederkehren.«

Zpehk blickte den Robotdiener an. Seine Fäuste waren geballt. Ein innerer Kampf tobte in ihm. Der Techno mochte erkannt haben, daß sich ihm hier und jetzt die viel­leicht niemals mehr wiederkehrende Chance bot, das Monstrum unschädlich zu machen. Doch Zpehk hatte keine Chance. Hier moch­te die Macht des Zentrums geschwächt sein – in unmittelbarer Umgebung der Mulde be­stimmt nicht mehr. Der Teil von Zpehk, der Mod-Poluur war, kämpfte gegen den Tech­no, gegen das, was Zpehk einmal gewesen war, an. Er wurde stärker. Zpehk wußte, daß er keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Er selbst konnte sich nicht in unmittelbare Nä­he des Zentrums wagen. Doch der Robotdie­ner … Alles hing davon ab, ob Mod-Poluur auch anorganisches Leben unter seinen Bann zwingen konnte.

»Wenn du etwas für deinen Herrn und für uns alle tun willst, mußt du dich beeilen«, sagte der Techno schnell zu Keiselpoll. »Der Meister wird wieder Gewalt über mich ha­ben. Ich werde versuchen, dich zu zerstören, wenn er es von mir fordert. Sieh dich also vor. Nun komm mit. Ich führe dich.«

Keiselpoll stellte keine Fragen, als Zpehk sich umdrehte und losmarschierte. Er be­griff, daß es sich bei dem »Meister« um ein Etwas handelte, das eine noch unbekannte Anzahl von Wesen unter seine Gewalt ge­bracht hatte und sie für sich arbeiten ließ. Doch das war auch schon fast alles. Zpehk reagierte nicht mehr auf Fragen. Manchmal

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zuckte er zusammen oder blieb stehen. Ein­mal stieß er einen heiseren Schrei aus. Kei­selpoll befürchtete, daß andere Mitglieder dieser seltsamen Gemeinschaft auf den Plan gerufen würden, doch nichts geschah, bis der Techno auf eine große Lichtung trat, in deren Mitte ein fein schimmerndes Netz über den Boden gespannt war. Um es herum konnte Keiselpoll neun leicht pulsierende Kugeln erkennen. Eine von ihnen leuchtete grünlich. Vor und neben ihr lagen Sator Synk und eine Fremde.

»Dort ist es!« stieß Zpehk hervor, bevor er sich ein letztes Mal aufbäumte. Die Hand mit der Waffe fuhr hoch, während der Tech­no sich gleichzeitig nach Keiselpoll umdreh­te.

Keiselpoll hatte mit dem Angriff gerech­net. Er hätte Zpehk töten können, doch er wußte, daß dieser nicht für seine Handlun­gen verantwortlich zu machen war. So schossen Keiselpolls Tentakelarme auf die Hand mit der Waffe zu und entrissen dem Techno den Strahler.

Wieder stieß Zpehk einen Schrei aus, den Schrei eines Wesens, das alle Qualen der Hölle erlebte. Zpehk sank zu Boden. Noch einmal sah er Keiselpoll an.

»Du … du mußt ihn töten! Er ist … im Boden, unter dem Netz. Schnell, bevor die anderen …«

Weiter kam Zpehk nicht. Er war tot. Unsicher blickte Keiselpoll von Sator

Synk zu der Fremden im roten Anzug, deren Körper heftig zitterte. Der Robotdiener un­terdrückte den Impuls, Synk zu packen und einfach fortzuschleppen. Nach den Worten des Technos zu schließen, bedeutete dies ein unkalkulierbares Risiko für den Orxeyaner, und noch lebte Synk. Keiselpoll sah es an den kaum wahrnehmbaren Atemzügen.

Zpehks letzte Worte wurden dem Roboter klar, als er den Lärm hinter sich hörte.

Ein halbes Dutzend bewaffneter Wesen stürmte auf die Lichtung. Gleichzeitig be­gann die Kugel vor Synk und der Fremden stärker zu leuchten. Keiselpoll wußte nun, daß das, was sich dort unter dem Netz be­

fand, seine Streitmacht mobilisiert hatte, daß es wußte, warum er hier war.

Der Robotdiener hatte keine Wahl. Er wußte, was er zu tun hatte und daß es sein Ende bedeuten würde.

*

Wommser spürte, wie der mentale Druck etwas nachließ. Er konnte sogar einen Teil der Unsicherheit des Gegners mitempfinden. Irgend etwas oder irgend jemand bedrohte ihn, so daß er einen Teil seiner Energien die­sem anderen entgegenschleudern mußte. Und genau das war Wommsers Chance. Er versuchte sich aufzubäumen, sich von Mod-Poluur zu lösen, einen Gegenschlag zu lan­den, Mod-Poluur unter seine Kontrolle zu bringen – vergeblich. Selbst jener Teil von Mod-Poluurs Kräften, die er noch auf Lee­nia/Wommser konzentrierte, reichte aus, um dessen Bewußtsein nicht zur aktiven Entfal­tung kommen zu lassen. Wommser war mit seiner Kraft am Ende. Er hatte alles in den Ausbruchsversuch hineingelegt – alles, au­ßer der Energiereserve, die nötig war, um das schnelle Ende herbeizuführen. Womm­ser begann damit, diese Reserven aufzubau­en.

Es tut mir so leid, Leenia, dachte er, doch die Partnerin konnte ihn nicht empfangen.

Wommser bündelte die eigene und die von Leenia noch latent vorhandene Energie wie eine Linse das Licht der Sonne auf den Brennpunkt. Dieser Brennpunkt war Mod-Poluur – und mit ihm das Doppelwesen. Noch wenige Sekunden Leben …

*

Keiselpoll wartete nicht ab, bis die Heran­stürmenden ihn erreicht hatten oder schießen konnten. So schnell, daß die Versklavten nur einen metallen blinkenden Schemen wahr­nehmen konnten, stürmte er auf das Netz zu und sprang mit einem gewaltigen Satz hin­ein. Es riß auf und schien den Robotdiener zu verschlingen. Keiselpoll spürte, wie er in

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etwas Zähes, Pulsierendes fiel. Das Ende ei­nes seiner Tentakel war auf den Knopf der Selbstvernichtungsschaltung gepreßt. Der Robotdiener war von dem gallertartigen Et­was, in das er versunken war, völlig um­schlossen, als die verheerende Explosion er­folgte.

Eine Stichflamme nach der anderen schoß aus der Bodenmulde. Die neun sie umgeben-den Kugeln begannen so hell zu strahlen, daß alle Extremitäten, die in ihrer Nähe stan­den, innerhalb von Sekundenbruchteilen das Augenlicht verloren.

Die Versklavten schrien gepeinigt auf und begannen wie besessen auf der Lichtung umherzurennen. Einige wälzten sich am Bo­den und preßten die Hände vor die Augen. Andere starben auf der Stelle.

Sie waren die ersten, die mit Mod-Poluur ihr Leben ließen.

Wie eine gärende Teigmasse quoll der Körper des Monstrums, den bisher keiner seiner Sklaven gesehen hatte, über den Rand der Mulde hinaus.

Die neun Kugeln platzten auf. Kleine grüne Flämmchen tanzten auf der

Gallertmasse, bis diese nicht mehr pulsierte. Mod-Poluur war erstarrt. Feine Risse bil­

deten sich in seinem Körper. Niemand würde jemals sagen können,

was bei Mod-Poluurs Tod geschehen war, wohin die ungeheuren Energien entwichen waren, die dieses Geschöpf, das jahrtausen­delang in einem der Glaspaläste der Technos geruht hatte, zu produzieren in der Lage ge­wesen war.

Wohin geht die Flamme, wenn das Streichholz abgebrannt ist?

Im Lager lebte bald niemand mehr. Die Extremitäten folgten ihrem Meister. Von Keiselpoll war nichts mehr übrig. Leenia und Sator Synk lagen nach wie vor am Rand der Mulde, ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben.

Die rissig gewordene amorphe Masse war keine zehn Zentimeter von Leenias Kopf entfernt.

Und Wommser schwieg.

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7. Die FESTUNG – und der Kampf um die

GOL'DHOR

Der Morgen brach an, ohne daß man in der FESTUNG ein Lebenszeichen Sator Synks empfangen hatte.

Wieder trafen die drei Odinssöhne zusam­men. Diesmal wirkte selbst der finstere Heimdall nachdenklich. Er machte sich we­niger Sorgen um den Orxeyaner als vielmehr um die Gründe für dessen Ausbleiben.

Synk hatte darauf gebrannt, an Bord des goldenen Raumschiffs gehen und sich auf die Suche nach Atlan machen zu können – so sehr, daß er selbst die Begleitung durch Robo ter akzeptiert hatte. Synk mochte ein seltsamer Kauz sein, aber er würde alles dar­angesetzt haben, so schnell wie möglich zu­rückzukehren. Und es war unvorstellbar, daß die fünf angekündigten Robotdiener ohne ernstzunehmenden Grund eine Verspätung duldeten. Was also war geschehen, so frag­ten sich die Söhne Odins. Wer war in der Lage, die sechs aufzuhalten, ohne daß diese auch nur die Möglichkeit gehabt hatten, einen Hilferuf oder eine Nachricht zu fun­ken? Vieles war auf Pthor in Bewegung ge­raten, vieles, dessen die Odinssöhne immer noch nicht Herr geworden waren, ganz be­sonders nun, als an vielen Orten des Dimen­sionsfahrstuhls die Panik ausbrach.

Ein weiteres Gespräch mit den Robotbür­gern in Wolterhaven brachte die Gewißheit, daß weder Synk noch einer der fünf Diener sich bisher dort gemeldet hatten.

Sigurd erhob sich und atmete tief durch. »Ich begleite dich«, sagte Heimdall. »Es

reicht, wenn einer von uns in der FESTUNG zurückbleibt.«

»Es reicht, wenn einer von uns sich in Ge­fahr begibt«, entgegnete Sigurd.

Heimdall wollte widersprechen, doch im gleichen Augenblick, als er zum Protest an­setzte, stürmte ein Dello in den Raum.

»Was fällt dir ein?« brüllte Heimdall den Androiden an. »Hat man es neuerdings nicht

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mehr nötig, sich bei den Herren Pthors anzu­melden?«

»Laß ihn«, sagte Sigurd und legte eine Hand auf den Arm des Bruders. »Sieh ihn dir an. Er ist halb verrückt vor Angst.«

»Es ist etwas Unerklärliches geschehen«, brachte der Dello hervor. »Eine … eine Fremde befindet sich in der FESTUNG. Ich sah, wie sie wie aus dem Nichts heraus ent­stand. Und bei ihr ist ein Mann. Er ist …«

»Er ist klein und stämmig und hat einen langen roten Bart«, unterbrach Sigurd den Androiden.

Der Dello starrte ihn fassungslos an. »Woher …?« »Woher ich das weiß?« Sigurd lachte hu­

morlos. Er drehte sich zu seinen verblüfften Brüdern um. »Es sieht so aus, als brauchten wir uns nicht mehr darum zu streiten, wer sich auf die Suche nach Sator Synk macht.« Wieder an den Dello gewandt, sagte er: »Bringt ihn zu uns, ihn und die Fremde. Wie sieht sie aus?«

Der Androide beschrieb sie, so gut er konnte. Die Odinssöhne konnten nicht allzu viel damit anfangen.

Was lag näher, als die Frau im roten An­zug mit dem langen Ausbleiben des Orxeya­ners in Verbindung zu bringen?

Was lag näher, als sie dafür verantwort­lich zu machen, daß die fünf Robotdiener nicht mit Synk in der FESTUNG erschienen waren – auf welche unglaubliche Art auch immer dies geschehen war?

Irgend etwas Unheimliches hatten die Od-inssöhne vermutet, etwas, mit dem weder Synk noch die Robotdiener hatten fertig werden können.

Die Art und Weise, wie Synk und die Fremde in die FESTUNG gelangt waren, war unheimlich.

Und Sator Synk war ganz bestimmt nicht in der Lage, aus dem Nichts heraus zu ent­stehen.

»Rufe ein paar Dellos«, sagte Sigurd zu Balduur. »Sie sollen sich im Nebenraum be­reit halten. Und sie müssen bewaffnet sein.«

*

Leenia folgte den Dellos ohne Wider­stand. Sie hatte nach dem Erwachen genug von dem bärtigen Mann, der nun an ihrer Seite ging, über die FESTUNG und die Zu­stände auf Pthor gehört, um sich ein unge­fähres Bild machen zu können. So wußte sie auch von Atlans Aufbruch.

Man führte sie zu denjenigen, die in Ab­wesenheit Atlans den Dimensionsfahrstuhl regierten.

Nicht so vage wie ihre Vorstellung von Pthor war jedoch ihr Ziel.

Sator Synk hatte viel geredet – sehr viel sogar. Das meiste hatte Leenia nicht verstan­den. Seine Selbstanklagen und sein Verhält­nis zu Robotern interessierten sie auch nicht. Was sie einzig und allein interessierte, war das Raumschiff, von dem Synk immer wie­der geredet hatte. Leenia wußte nun, daß es ein Schiff gab, mit dem sie den Wölbmantel durchdringen konnte. Leenia hatte viel ge­fragt. Sie hatte sich inzwischen darauf um­stellen können, sich auf akustische Weise mit anderen zu verständigen. Dies war jetzt effektiver. Dieses Schiff trug den Namen GOL'DHOR. Dieses Schiff befand sich in unmittelbarer Nähe der FESTUNG. Dieses Schiff mußte Leenia besitzen, um zu den Höheren Welten gelangen zu können. Mit dem Tod Mod-Poluurs waren schlagartig al­le Energien zurückgekehrt. So war Leenia in der Lage gewesen, an der Lichtung zu ent­materialisieren und innerhalb der FESTUNG wieder stofflich zu werden. Mehr noch: Sie hatte Sator Synk, der dem Tod nahe gewe­sen und nur durch ihr Einwirken wieder sta­bilisiert worden war, mit sich nehmen kön­nen. Leenia war sicher, daß sie ebenso wie­der in der Lage war, durch einen Blick ihrer Augen, durch einen einzigen Impuls Tod über jeden zu bringen, der sie an ihrem Vor­haben zu hindern versuchte.

Sie hoffte, daß sie nicht dazu gezwungen sein würde.

Diejenigen, die Pthor in Abwesenheit At­

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lans verwalteten, waren nicht ihre Feinde. Was Wommser nicht hatte wissen können, weil er mit ihr die Entwicklung der letzten Monate regelrecht verschlafen hatte, hatte Leenia von Sator Synk erfahren, von dem Mann, der nun schweigend neben ihr mar­schierte, durch endlos erscheinende Korrido­re.

Synk bot ein Bild des Elends. Er wußte, daß »Rot« sich für ihn geopfert hatte. Er hat­te erfahren, wie alle Sklaven des Monstrums in der Bodenmulde einen qualvollen Tod ge­storben waren, viele von ihnen erst Stunden nach dem Ende Mod-Poluurs. Sie waren un­fähig gewesen, ohne das, was sie zu einem Teil des Zentrums gemacht hatte, noch zu existieren.

Synk tat Leenia leid. Doch ihr kam es nun einzig und allein darauf an, die GOL'DHOR in ihren Besitz zu bringen, und Wommser bestärkte sie in ihrem Vorhaben. Die Motive der beiden Bewußtseinskomponenten waren fast identisch. Beide wollten zu jenen We­senheiten gelangen, die von ihrer Art waren. Doch Wommser dachte an Atlan, von dem das Doppelwesen nun wußte, daß er irgend-wo in der Schwarzen Galaxis verschollen war und sich mit größter Wahrscheinlichkeit in Lebensgefahr befand.

Leenia/ Wommsers Entschluß stand fest. Es würde keinen Kompromiß geben.

Vor einer großen Tür machten die sie es­kortierenden Dellos halt.

Die Tür öffnete sich, und Leenia sah in die Gesichter der Odinssöhne.

*

Sigurd führte das Wort, während seine Brüder sich im Hintergrund hielten und ab­wechselnd Synk und Leenia anstarrten. Die Dellos hatten sich zurückgezogen. Andere hielten sich in einem Nebenraum auf, von wo sie sofort zuschlagen konnten, falls ihren Herren Gefahr drohte.

Synk hatte ausführlich berichtet, aller­dings den wahren Sachverhalt, was seinen »Umweg« anbetraf, etwas korrigiert. So hat-

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te er angegeben, nahe Orxeya von einem fremden Zugor angegriffen worden zu sein. Um die Bösewichter gleich mit zur FE­STUNG bringen zu können, habe er sie ver­folgt und sei von hinzukommenden Zugors eingekreist und zur Landung am Regenfluß gezwungen worden. Nach heldenhaftem Kampf habe man ihn überwältigt und zu der grünlich schimmernden Kugel geschleppt, wo er in den Bann einer fremden Macht ge­raten war.

Der Rest seiner Schilderungen deckte sich mit der Wahrheit. Synk sprach stockend und ballte die Fäuste, als er berichtete, daß der rot markierte Robotdiener sich für ihn geop­fert hatte.

Als dies geschah, war der Orxeyaner na­türlich unfähig gewesen, irgend etwas wahr­zunehmen. Er wußte es von Leenia – und der Name war das einzige, was er über die Fremde zu sagen vermochte. Erst jetzt machte er sich Gedanken darüber, daß er ge­redet hatte wie ein Buch und daß sie nur Fragen gestellt hatte.

»Wer bist du?« wandte sich Sigurd dann auch an die Frau im roten Anzug.

Leenia war auf die Frage vorbereitet. Laut Wommser hatte es etwa 200 000 Schläfer der verschiedensten Rassen in der Senke der verlorenen Seelen gegeben. Leenia glaubte nicht, daß die Odinssöhne auch nur annä­hernd darüber Bescheid wußten, wie alle diese Wesen im einzelnen aussahen.

»Ich wurde von meiner Heimatwelt ent­führt und in eine der Tiefschlafkammern in der Senke der verlorenen Seelen gebracht. Nach meinem Erwachen konnte ich dem Chaos entkommen und streifte so lange durch die Wälder der Umgebung, bis ich von den Sklaven des unheimlichen Wesens gefangengenommen wurde – ebenso wie kurz darauf Sator Synk.«

»Wie heißt der Planet, von dem du stammst?« fragte Sigurd. Schnell überlegte sie sich einen Namen. Sie konnte nur hoffen, daß es in der FESTUNG keine Speicher gab, in denen die Namen aller von Pthor heimge­suchter Welten festgehalten und jederzeit

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abrufbar waren. »Neebya«, sagte sie so ruhig wie möglich.

»Ich heiße Leenia.« Sie machte diese Angabe unaufgefordert,

weil sie damit rechnen mußte, daß sich Lebo Axton in der FESTUNG befand. Er würde sie sofort wiedererkennen. Dann war es gut, wenn sich ihre Aussagen deckten. Der blon­de Jüngling nickte. Hinter ihm erhob sich ei­ner der beiden anderen Odinssöhne, jener, dessen Anblick Leenia Furcht einflößte. Er verließ den Raum ohne ein Wort. Leenia kannte die Namen der Odinssöhne aus Wommsers Erinnerungen. War Heimdall ge­gangen, um ihre Angaben zu überprüfen? Sie machte sich bereit, beim geringsten An­zeichen einer Entdeckung zu fliehen. Doch wohin sollte sie sich wenden? Vielleicht würde sie weitere wertvolle Stunden damit verbringen müssen, nach dem Raumschiff zu suchen – immer wieder auf der Flucht vor ihren Verfolgern.

Sie brauchte jemanden, der ihr den Weg wies und sie in den Weltraum brachte, je­manden, der gleichermaßen eine Geisel war.

Einer der Odinssöhne, kam es von Wommser. Wenn einer von ihnen mit an Bord ist, werden die anderen nicht wagen, auf uns schießen zu lassen.

Zustimmung. Leenia konnte nicht wissen, wie wertvoll die GOL'DHOR tatsächlich für die Odinssöhne war. Doch auch wenn sie um die Bedeutung dieses phantastischen Schiffes gewußt hätte, wäre es fraglich ge­wesen, ob die drei es nicht lieber geopfert als einer Fremden überlassen hätten.

Sator Synk schied ohnehin als Geisel oder als Pilot aus. Er bot ein Bild des Jammers.

Sigurd stellte weitere Fragen, und Leenia antwortete. Vielleicht konnte sie noch eini­ges erfahren, das ihr später von Nutzen sein würde. Sigurds Gedanken konnte sie nicht empfangen. Er kapselte sich ab. Ein Zeichen von Mißtrauen? Synk dachte an nichts ande­res als an Roboter, die sich für ihn opferten.

Als Heimdall zurückkehrte, genügte ein Blick in seine Augen, um Leenia wissen zu lassen, woran sie war. Der Odinssohn hielt

eine Lähmwaffe auf sie gerichtet. »Es gibt keine Welt, die Neebya heißt«,

sagte der Finstere. »Ich habe mich bei den Robotbürgern erkundigt. Die Frau lügt. Ich halte sie für eine Abgesandte der Mächte der Schwarzen Galaxis.«

Plötzlich überschlugen sich die Ereignis­se. Heimdall rief einen Namen. Eine Tür wurde von außen aufgerissen, und vier Del­los stürmten in den Raum, die Waffen auf Leenia gerichtet.

Leenia ließ ihnen keine Chance. Vor den Augen der überraschten Odinssöhne vergin­gen sie in violettem Feuer. Leenia wartete nicht ab, bis weitere Wachen heran waren. Sie sprang auf Heimdall zu und entmateriali­sierte mit ihm, bevor er schießen konnte.

»Aber das ist … das ist unmöglich!« ent­fuhr es dem fassungslosen Sigurd. »Wo ist sie geblieben? Das kann nicht sein!«

Balduur war ruhiger – zumindest nach au­ßen hin.

»Doch, Bruder«, sagte er. »Wir hätten wissen müssen, daß wir sie nicht halten kön­nen. So wie sie gekommen ist, ist sie gegan­gen.«

»Mit Heimdall!« schrie Sigurd zornig. Er packte einen Pokal und schleuderte ihn ge­gen die Wand. »Und nun?«

»Nun müssen wir warten«, entgegnete Balduur. »Sie wird ihre Bedingungen stel­len. Umsonst hat sie Heimdall nicht mitge­nommen.«

*

Leenia und Heimdall materialisierten eini­ge Dutzend Kilometer von der FESTUNG entfernt. Der Odinssohn sah sich mit weit aufgerissenen Augen um. Er konnte nicht fassen, was geschehen war. Eben noch hatte er bei seinen Brüdern gestanden, und nun befand er sich mitten auf einem freien Feld. Nur in der Ferne war Wald zu erkennen. Sein Blick traf Leenia. Sie war einige Meter zurückgesprungen, um nicht das Opfer eines Tobsuchtsanfalls zu werden. In der Hand hielt sie die Waggu, die sie dem Odinssohn

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entrissen hatte. »Ich wußte es!« schrie Heimdall. »Du bist

mit den Mächten des Bösen im Bunde. Du bist eine Spionin aus der Schwarzen Gala­xis! Ich werde dich …!« Ein Blitz aus Lee­nias Augen brachte den Rasenden zum Schweigen. Nur Zentimeter vor seinen Fü­ßen fuhr er in den weichen Boden und ließ heißen Dampf aufsteigen.

»Du wirst mich zu eurem Raumschiff füh­ren!« sagte Leenia mit fester Stimme. »Zur GOL'DHOR!«

»Wozu? Du kamst ohne Schiff hierher, und du wirst keines brauchen, um deinen Auftraggebern zu berichten, was sie wissen wollen. Wann werden sie kommen? Wann beginnt die Invasion?«

Er hat Angst, meldete sich Wommser. Doch er würde lieber sterben, als dir zu ver­raten, wo sich die GOL'DHOR befindet. Achte auf ihn!

Ich muß das Schiff haben! dachte Leenia. Heimdall wird dich nicht zu ihm führen,

aber du hast ihn als Geisel. Benutze ihn als Druckmittel seinen Brüdern gegenüber.

Dazu müßte ich in die FESTUNG zurück­kehren. Es wird überall von Wachen wim­meln, und ich weiß nicht, wie unser Körper auf Paralysestrahlen reagiert.

Niemand wird uns angreifen. Nur wir wissen, wo sich Heimdall befindet. Wir brin­gen ihn in ein sicheres Versteck.

Wohin, Wommser? In die Höhle. Wieder entmaterialisierte das Doppelwe­

sen mit Heimdall, ohne an Energie zu verlie­ren. Das energetische Gleichgewicht, das zur Stabilisierung des Körpers und dessen Funktionen notwendig war, wurde durch den Anzug gewährleistet.

Leenia betäubte Heimdall mit der erbeute­ten Waggu, legte ihn in der Höhle, die so lange ihr Versteck gewesen war, ab und »sprang« direkt in die FESTUNG. Sie mate­rialisierte vor Sigurd. Balduur war gegan­gen, um mit Hilfe der Robotbürger und des Wachen Auges eine Spur von Leenia zu fin­den.

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»Hör mir zu«, sagte Leenia. Das Sprechen fiel ihr jetzt immer leichter. »Ich bin nicht das, wofür ihr mich haltet. Auch ich kämpfe gegen jene, die die Schwarze Galaxis be­herrschen. Keine Fragen, Sigurd: Ich könnte dir keine Antwort geben. Ich weiß, daß du mir nicht glauben, noch weniger vertrauen kannst. Deshalb schlage ich dir einen Han­del vor: Heimdall gegen die GOL'DHOR.«

Das war nicht mehr die sensible Frau, der Lebo Axton auf seiner Flucht aus der Senke der verlorenen Seelen begegnet war. Leenia hatte sich den Gegebenheiten anpassen müs­sen, um ihr Ziel zu erreichen.

»Niemals wirst du die GOL'DHOR be­kommen!« entgegnete Sigurd heftig. »Nie! Wir würden uns selbst ans Messer liefern!«

»Und dein Bruder Heimdall? Ist er dir gleichgültig? Nur ich weiß, wo er sich befin­det, und er wird sterben, wenn ihr ihn nicht rechtzeitig findet. Und du irrst dich, Sigurd. Ich will die GOL'DHOR nicht für mich ha­ben. Ich brauche sie nur, um in ihr den Wölbmantel durchdringen zu können. Ich werde verschwinden, und ihr könnt euch das Schiff zurückholen.«

Es war dem Odinssohn anzusehen, daß er aus den Worten der Fremden nicht schlau wurde.

»Welche Garantie kannst du uns geben?« »Keine. Aber du kannst mit mir an Bord

kommen, meinetwegen auch ein paar Del­los, die das Schiff zurückbringen, nachdem es für mich seinen Zweck erfüllt hat. Wenn du wieder auf Pthor bist, wirst du wissen, wo sich dein Bruder befindet.«

Sigurd ließ sich in seinen Sessel fallen. Lange blickte er Leenia in die Augen, in die­se unergründlichen Augen, die noch vor kur­zem das Verderben über die Dellos gebracht hatten.

Schließlich nickte er. »Ich weiß, daß ich vielleicht das Schick­

sal Pthors aufs Spiel setze, aber ich bin be­reit, dir zu glauben.«

Sigurd breitete die Arme aus, als ob er die Luft um sich herum einfangen wollte.

»Sie ist überall, diese schreckliche Aura

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der Schwarzen Galaxis. Du nimmst sie. Ich spüre es. Um Heimdalls und Pthors willen bin ich bereit, das Risiko einzugehen.«

Balduur trat ein. Er stieß einen Laut der Überraschung aus und suchte den großen Raum nach Heimdall ab.

»Es ist gut, Bruder«, sagte Sigurd. »Ich werde sie an Bord der GOL'DHOR brin­gen.«

Sigurd wartete auf einen Protest, doch Balduur blieb schweigend im Eingang ste­hen.

»Du wirst während meiner und Heimdalls Abwesenheit regieren, Balduur. Ich weiß, was ich tue.« Sigurd sah wieder Leenia an. »Ich hoffe es. Gehen wir?«

»Das wird nicht nötig sein«, sagte Leenia. »Es genügt, wenn du an den Standort der GOL'DHOR denkst und deine Gedanken an mich richtest.«

»Du kannst sie lesen?« »Nur Botschaften.« Sigurd nickte seinem Bruder noch einmal

zu. Dann stand er auf und reichte Leenia ei­ne Hand.

»Du wirst keinen Raumanzug brauchen«, versicherte sie. »Komm und vertraue mir.«

Vor Balduurs Augen entmaterialisierten die beiden.

*

Sie wurden in der Zentrale der GOL'DHOR wieder stofflich. Sigurd blickte ebenso verunsichert um sich wie vor ihm Heimdall.

»Jetzt rufe die Dellos«, sagte Leenia. Wieder stand der Zweifel in Sigurds Ge­

sicht geschrieben. Das goldene Schiff stellte immer noch ein Rätsel für die Pthorer dar, aber der Odinssohn konnte sich nicht vor­stellen, daß es die Fremde als Pilotin »akzeptieren« würde.

»Was willst du wirklich?« fragte Sigurd, den Blick starr auf die Kontrollen gerichtet.

»Ich sagte dir bereits, daß ich dir nicht viel erklären kann, Sigurd. Bringe mich durch den Wölbmantel, und ich werde so

verschwinden, wie ich gekommen bin. Es wird alles so sein, als hätte es mich nie gege­ben. Du wirst in dem Augenblick, in dem ich die GOL'DHOR verlasse, wissen, wo sich Heimdall befindet. Versuche mir zu vertrauen. Du hast den Anfang ja bereits ge­macht.«

Sigurd nickte nur und trat an ein Pult, von wo aus er einen Dello zur GOL'DHOR rief.

»Nur ein Mann?« fragte Leenia über­rascht.

»Mehr brauchen wir nicht, um die GOL'DHOR zu fliegen.«

Eine halbe Stunde später erhob sich die GOL'DHOR, die wie ein riesiges goldenes Insekt aussah, in den Himmel.

Leenias Herz klopfte, als sie die Nähe des Wölbmantels spürte, auf den das Schiff im­mer schneller werdend zuschoß. Die GOL'DHOR stieg senkrecht in die Luft. Im­mer näher, unaufhaltsam. Leenia spürte einen zunehmenden Druck im Kopf. Auch Wommser wurde unruhig.

Dann war es soweit. Ein stechender Schmerz in Leenias Kopf.

Für Sekunden wurde es dunkel vor ihren Augen. Als sie wieder sehen konnte, war der Druck verschwunden. Die GOL'DHOR stand reglos im Weltraum, unter sich Atlan­tis und vor sich die dunklen Sterne der Schwarzen Galaxis.

Die Aura der geheimnisvollen Sternenin­sel war für Leenia jetzt deutlicher zu spüren als auf Pthor unter dem Wölbmantel, doch sie tötete Leenia nicht. Ein Gefühl der Übel­keit – das war alles. Es ließ sich ertragen, und Leenia würde sich auch daran gewöh­nen.

Sie drehte sich zu Sigurd um und nickte dankbar lächelnd.

»Vielleicht werde ich eines Tages Gele­genheit haben, auch euch zu helfen«, sagte sie. »Lebt wohl, Sigurd – du und alle Ptho­rer. Und hab Dank.«

Sigurd starrte lange auf die Stelle, an der sie gestanden hatte. Wohin? fragte er sich immer wieder. Wohin ist sie gegangen?

Er wußte jetzt, daß er keinen Fehler ge­

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macht hatte. Die Fremde war nie und nim­mer eine Agentin der Mächte, die jeden Au­genblick nach Pthor greifen konnten. Sie hatte ihr Versprechen gehalten. Sie hatte die GOL'DHOR nicht an sich gebracht, und Si­gurd wußte jetzt, wo sich sein Bruder be­fand.

Wie er dazu kam, war ihm unbegreiflich – er wußte es einfach.

»Wir fliegen zurück, Jarsen«, sagte er zum Dello. »Aber nicht direkt zur FE­STUNG. Wir werden einen kleinen Umweg machen müssen.«

Die GOL'DHOR nahm Kurs auf das Ge­biet zwischen dem Dämmersee und der Sen­ke der verlorenen Seelen.

8.

ÜBER DIE HÖHEREN WELTEN: Es gibt eine Ebene jenseits des Vorstellbaren, eine unter unzähligen Ebenen mit jeweils unterschiedlichem energetischen Niveau, mit Gesetzen, die für unser Raum-Zeit-Kontinuum keine Gültigkeit haben kön­nen. Wir könnten sie als die Ebene der mul­tidimensionalen Wesen bezeichnen, als die Heimat von Lebensformen aus reiner Ener­gie, von »Zufallsprodukten« der Schöpfung wie Wommser eines ist, jenes Wesen, das aus dem Aufeinandertreffen von Normal und Antimaterie geboren wurde – unter ebenfalls abnormen Bedingungen. Wir könnten sie als die Ebene vergeistigten Lebens bezeichnen, als die Heimat von Wesenheiten, die einmal körperlich waren und den letzten Schritt ei­ner Evolution vollzogen haben, von der wir nur die Spitze des Eisbergs begreifen kön­nen. Es gibt nicht viele, die diesen Schritt getan haben, und es wird Jahrhunderte, Jahrtausende vielleicht dauern, bis irgend-wo im Universum ein weiteres zu ihnen stößt, angezogen vom Energieniveau der Daseinsebene.

Einen von ihnen haben wir kennengelernt – Waaylon, den dreiäugigen Eripäer, der in die Gemeinschaft der Körperlosen einge­gangen ist.

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Sie sind unterschiedlicher Herkunft und Ursprungs, doch durch ihr energetisches Ni­veau artverwandt und unsterblich geworden.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie sich für begrenzte Zeit im normalen Universum unter den Sterblichen aufhalten konnten, im­mer dann, wenn die Sehnsucht nach der frü­heren Existenzform übermächtig wurde. Die Höheren Welten sind nicht zu lokalisieren. Sie sind überall und füllen ihre Ebene aus. Doch um in unser Raum-Zeit-Gefüge zu­rückkehren zu können, und sei es auch nur für Stunden, brauchen die Körperlosen einen Bezugspunkt, einen Ort, den sie auf­grund seiner speziellen Beschaffenheit als Energieschleuse benutzen können.

Ein solcher Ort im Universum war die Schwarze Galaxis. In ihr gab es mehrere Verbindungspunkte zwischen den Dasein­sebenen. Sie existieren immer noch, doch durch das Einwirken der Dunklen Mächte wurde den Körperlosen der Zugang in unse­re Existenzebene versperrt. Nur eines stand in ihrer Macht: sie konnten für kurze Zeit Objekte oder Leben in ihre Ebene herüber­ziehen.

Doch die Sehnsucht danach, sich wieder im Kontinuum der Körperlichen aufhalten zu können, wuchs unaufhörlich.

Deshalb hatte man Leenia geschaffen. Deshalb hatte man sie jenseits der Aura

der Schwarzen Galaxis auf Pthor deponiert. Und deshalb wartet man nun sehnsüchtig

auf ihre Rückkehr.

9. An Bord der KNIEGEN

Die KNIEGEN war umzingelt. Der Schutzschirm war längst überlastet, und es war nur eine Frage von Minuten, bis er unter dem konzentrierten Feuer der Scuddamoren-Schif­fe zusammenbrechen und die KNIEGEN in einem Glutball vergehen würde.

Immer noch standen Atlan und Thalia reglos in der Zentrale. Die Zielautomatik er­faßte die laufend ihre Position wechselnden Scuddamoren. Einer der Verfolger war ver­

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nichtet worden, und die KNIEGEN feuerte weiter aus allen Rohren – bis zum bitteren Ende. Es war ein letztes Aufbäumen vor dem Unausweichlichen.

Dorkan Moht, die Galionsfigur, ließ das Organschiff wilde Sprünge vollführen. Nur ihr war es zu verdanken, daß das Schiff nicht längst schon vernichtet worden war.

Dann erfolgten drei Treffer auf einmal. Die Schutzschirme brachen zusammen. Ein weiterer Energiestrahl fuhr in den Bug der KNIEGEN. Atlan und Thalia wurden zu Bo­den geschleudert. Der Schrei der Galionsfi­gur hallte in ihren Ohren.

Sie warteten auf den nächsten und letzten Treffer, eng umschlungen und die Augen geschlossen. Nichts geschah. Plötzlich war nur noch Stille – und ein unheimliches Licht, das durch die geschlossenen Augenli­der der beiden Menschen drang. Atlan hatte für Sekunden das Gefühl, als wühlte jemand in seinen Eingeweiden herum, als würde sein Inneres nach außen gestülpt. Er öffnete die Augen und sah das rote Wabern – zuerst auf den wenigen noch intakten Schirmen, dann überall um sich herum. Es kam durch die Wände. Kleine gelbe Lichter entflamm­ten, erloschen sogleich wieder oder blähten sich zu schnell vergehenden Kugeln auf. Und Atlan wußte, daß er etwas Derartiges schon einmal gesehen hatte. All das, was bisher in seinem Unterbewußtsein verborgen gewesen war, brach mit einem Schlag durch. Atlan erinnerte sich an die Begegnung mit dem »Lebensfeld«, daran, daß diese Ballung körperloser Intelligenzen ihn bereits einmal gerettet hatte. Der Arkonide wartete darauf, wieder dieses alte, vertraut erscheinende Ge­sicht zu sehen und die Stimme zu hören, die damals zu ihm gesprochen hatte.

Doch es blieb ruhig. Die KNIEGEN schien in einem Meer aus

roter Glut zu schweben, jenseits aller Geset­ze von Zeit und Raum. Atlan wußte, daß das Schiff und damit Thalia und er selbst sich nicht mehr im normalen Raum-Zeit-Gefüge befanden.

Wieder hatte das Unfaßbare eingegriffen,

aus welchen Motiven auch immer. Wichtig war jetzt nur eines: hier gab es keine Scud­damoren-Schiffe, und die KNIEGEN war noch nicht auseinandergebrochen.

Als weitere Minuten vergingen, ohne daß etwas geschah, richtete Atlan sich auf.

»Könnt ihr uns hören?« rief er laut. »Gebt Antwort!«

Nichts. »Es hat keinen Sinn«, flüsterte Thalia, die

das gleiche wahrnahm wie der Arkonide. »Erinnere dich an unsere erste Begegnung mit diesen Wesen. Sie sagten sinngemäß, daß sie nicht lange in der Aura des Bösen existieren können. Diesmal ist es ihnen nicht einmal gelungen, sich wenigstens für kurze Zeit voll zu etablieren.«

Wie zur Bestätigung ihrer Worte wurde es schlagartig finster. Die Dunkelheit war voll­kommen. Selbst die Lichter der Kontrollen waren erloschen. Ein einziger Stern war durch eines der Bullaugen der KNIEGEN zu sehen. Das Schiff schien im absoluten Nichts zu treiben.

Doch auch dieser Zustand dauerte nur Se­kunden. Dann erfüllte ein unwirklich er­scheinendes violettes Licht die Zentrale der KNIEGEN.

Atlan und Thalia schlugen sich geblendet die Hände vor die Augen. Als der Arkonide wieder sehen konnte, weil das Licht nachließ, erblickte er die Fremde.

Und ein weiterer Teil der Erinnerung brach durch.

Die Worte des »Alten« bei der ersten Be­gegnung mit der vergeistigten Kollektivin­telligenz:

Aber du sollst wissen, daß sich eine von uns auf Pthor befindet. Sie weiß nichts von ihrer Herkunft und wird sich erst erinnern, wenn unser Ruf an sie ergeht. Du wirst ihren Namen wissen, wenn sie dir eines Tages ge­genübersteht.

»Leenia«, brachte der Arkonide hervor. »Du bist Leenia.«

Die Fremde nickte. Dann zeigte sich ein Lächeln auf ihrem schönen Gesicht.

»Ein Teil von mir ist Leenia«, sagte sie.

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»Der andere heißt Wommser.« »Wommser?« fragte der Arkonide un­

gläubig. »Aber das kann nicht sein! Womm­ser ist …«

»Er ist ein Teil von mir geworden, Atlan, und nur ihm ist es zu verdanken, daß ich jetzt hier bin.«

»Was wirst du tun?« Leenia wurde schlagartig ernst. »Ich will versuchen, euch in Sicherheit zu

bringen, zu den Höheren Welten, Atlan. Zu jenen, die all ihre Hoffnung in dich gesetzt haben. Aber es wird nicht einfach sein. Es gibt einen Störfaktor an Bord.«

»Was?« »Die Galionsfigur. Sie stirbt und strahlt

Impulse aus, die unsere Reise schon jetzt stark beeinträchtigen.«

Leenia redete in Rätseln. Welche Reise? Was waren die Höheren Welten, und was

sollte er dort, wo er gerade neue Hoffnung geschöpft hatte, doch noch gegen die Mäch­te der Schwarzen Galaxis vorgehen zu kön­nen. Atlan wollte Fragen stellen, aber plötz­lich wurde es um ihn herum wieder hell, und auf dem Hauptbildschirm war etwas zu er­kennen, das der Phantasie eines surrealisti­schen Malers hätte entsprungen sein können.

Die KNIEGEN befand sich im Innern ei­ner gigantischen Hohlkugel. Es war eine Welt. Atlan konnte Gebirgszüge mit nadel­förmig in die »Höhe« ragenden Felsspitzen erkennen. Er sah sie wie aus wenigen Kilo­metern Entfernung vor sich – und doch wa­ren sie so weit von ihm entfernt wie eben die »Oberfläche« eines Planeten von seinem Zentrum. Und die KNIEGEN war das Zen­trum der Hohlwelt. Alle herkömmlichen Maßstäbe galten hier nicht mehr. Atlan brauchte nur einen Teil der phantastischen Landschaft anzusehen, und schon schien sich eine extrem starke Teleoptik vor seine Augen zu schieben. Alles andere ver­schwamm – es blieb nur der winzige anvi­sierte Fleck.

Atlan sah Flüsse, die die in allen Farben schimmernden Ebenen wie goldene Bänder durchzogen. Seltsame Pflanzen, groß wie

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Häuser, bedeckten weite Teile der Land­schaft. Dunkle Flecke schoben sich über die Hügel. Eine Welt ohne Ende.

»Woher kommt das Licht?« fragte Thalia leise. Atlan wurde sich ihrer Gegenwart erst jetzt wieder bewußt. Zu groß war das Wun­der.

Die Stimme der Odinstochter jedoch riß ihn in die Realität zurück.

Die Fremde stand immer noch an der glei­chen Stelle und schien in sich hineinzulau­schen.

Auch Thalia war der Faszination dieser Welt erlegen. Sie zeigte keine Angst.

Das Licht … Thalia hatte recht. Es mußte eine Licht­

quelle geben, eine künstliche Sonne oder et­was anderes im Zentrum der Hohlwelt. Aber dort war nur die KNIEGEN. Atlan versuch­te, über die Kontrollen Entfernungsangaben zu erhalten, aber die Geräte zeigten nichts mehr an.

»Wir müssen fort von hier«, sagte Leenia, ohne Atlan oder die Odinstochter anzu­blicken. »Der Sog wird zu stark, als daß wir ihm noch lange Widerstand leisten könnten. Wir müssen die Oberfläche erreichen.«

Atlan begriff, daß er sich völlig umzustel­len hatte, solange er sich in diesem unwirk­lich erscheinenden Raum befand. Es gab kein »oben« und »unten« im herkömmlichen Sinn mehr. Die »Oberfläche« war die Innen­schale der Kugel.

»Was soll das Ganze überhaupt?« fragte der Arkonide unwirsch. Es gefiel ihm nicht, daß Leenia ihn und Thalia einfach überging und Entscheidungen traf, die vielleicht alles andere als in Atlans Sinn waren. Denn daß sie für das, was in diesen Momenten gesch­ah, verantwortlich war, stand für ihn außer Zweifel. Leenia hatte die KNIEGEN hierher versetzt.

»Ich sagte schon, daß ich versuchen will, euch in Sicherheit zu bringen – dorthin, wo man euch vielleicht helfen wird, euer Ziel zu erreichen.«

»Zu diesen Höheren Welten?« Atlan trat vor die Fremde. »Ich möchte dir vertrauen

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37 Ruf der Höheren Welten

können, Leenia. Ich weiß, daß ich Wommser vertrauen kann oder konnte, solange wir uns auf Pthor befanden. Aber ich muß wissen, was geschieht. Wo sind diese Welten?«

Leenia streckte einen Arm aus und zeigte auf den Hauptbildschirm. »Dort. Überall.«

»Ich sehe nur eine Welt!« »Sie ist endlos. Was du siehst, ist nur et­

was, das wir in deinem Bewußtsein entste­hen lassen, um dir einen Orientierungspunkt zu geben, etwas, das dich an dein Univer­sum erinnert, an das du dich klammern kannst.«

»Wir?« fragte Thalia. »Der alte Mann, dessen Gesicht wir im roten Wabern sahen, sprach von körperlosen Wesen. Du gehörst zu ihnen und sollst als einzige in der Lage sein, körperlich in der Aura der Schwarzen Galaxis zu existieren.« Thalia nickte grim­mig. »Und nun, wo wir anscheinend in dei­nem … Universum sind – wo sind die ande­ren?«

»Überall«, antwortete Leenia wieder. Im­mer noch machte sie den Eindruck, als sei sie nur halbwegs bei der Sache. Erneut zeig­te sie auf den Bildschirm. »Dort.«

»Aber das ist lächerlich!« Thalia geriet plötzlich in Zorn. »Atlan, ich habe das Ge­fühl, daß sich hier jemand einen schlechten Scherz mit uns erlaubt. Vielleicht steckt Chirmor Flog selbst dahinter, und er läßt uns wieder etwas vorgaukeln. Dort draußen ist nur Landschaft, und ich bezweifle, daß die­ses Wunderuniversum um uns herum über­haupt existiert.«

»Was du zu sehen glaubst, sind wir«, ent­gegnete Leenia geduldig. »Wir bilden diese Welt, und sie ist unendlich. Seht ihr diesen Berg dort?« Atlan und Thalia folgten dem ausgestreckten Zeigefinger der Unheimli­chen und sahen einen schneebedeckten Gip­fel, der alle anderen bei weitem überragte. Sofort wurde er größer und schien wieder nur wenige Kilometer von der KNIEGEN entfernt zu sein.

»Er ist überall«, sagte Leenia. »Gleichzeitig direkt vor uns und am Ende dieses Universums. Wir müssen ihn errei­

chen. Erst dann sind wir in Sicherheit. Der Sog wird stärker. Er wird uns in die Schwar­ze Galaxis zurückreißen, wenn es uns nicht schnell gelingt, ihm zu entkommen. Stellt ihn euch als eine Art Schleuse, als einen Verbindungstunnel zwischen dem Univer­sum, in dem ihr lebt, und unserem vor.«

»Wenn ihr so mächtig seid«, fragte Thalia spöttisch, »weshalb könnt ihr uns dann nicht von hier wegbringen?«

»Weil Leenia die einzige ist, die hier exi­stieren kann«, antwortete Atlan für die kör­perlich Gewordene. »Habe ich recht, Lee­nia? Wir befinden uns immer noch in die­sem … Tunnel, also noch zum Teil in der Schwarzen Galaxis.«

»So ist es. Und nur mit Hilfe der Galions­figur kann ich die KNIEGEN ganz aus ihm herausbringen.«

»Du willst doch nicht behaupten, daß un­ser Antrieb in dieser Dimension, wo doch al­les anders sein soll, funktionieren kann?« Immer noch war Thalia ablehnend.

»Wir brauchen ihn. So wie er ist, könnte er die KNIEGEN hier keinen Zentimeter fortbewegen, aber seine Energien können umgeformt und für unsere Zwecke genutzt werden. Dazu muß ich mit Dorkan Moht zu­sammenarbeiten. Wir stehen noch in Verbin­dung, aber seine Impulse werden immer schwächer und stören immer mehr, als daß sie helfen. Ihr müßt etwas für ihn tun.«

»Wie denn?« fragte Atlan. »Wir kennen seinen Metabolismus nicht.«

»Versucht es!« Leenias Stimme verriet plötzlich Angst.

Sie sah Atlan in die Augen. Der Arkonide zuckte unter dem Blick zusammen.

»Stärkt ihn. Er muß noch einige Minuten leben, oder wir stürzen zurück!«

»Und das bedeutet?« »Die Scuddamoren werden die KNIE­

GEN endgültig vernichten.«

*

Atlan hatte keine Wahl. Ganz egal, was ihn dort erwartete, wohin Leenia und

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Wommser ihn zu bringen versuchten – es war besser als der Tod im Strahlfeuer der Scuddamoren.

Unter den gegebenen Umständen konnte er gar nichts anderes tun, als das unmöglich Scheinende zu versuchen. Atlan war bereit, Leenia zu vertrauen. Ebenso wie Sigurd spürte er jene Ausstrahlung, die in krassem Gegensatz zu der der Schwarzen Galaxis stand.

Vielleicht bot sich ihm hier unverhofft doch eine Chance, mit der Hilfe mächtiger Verbündeter einen entscheidenden Schlag gegen Chirmor Flog zu führen.

Thalia war in der Zentrale der KNIEGEN zurückgeblieben. Inzwischen hatte sich ihr Zorn gelegt. Atlan hatte sie gebeten, bei Leenia zu bleiben und auf sie zu achten. Er wußte nichts Rechtes mit der Frau anzufan­gen. Ein körperlich gewordenes Energiewe­sen, wenn dieser Begriff überhaupt zutraf – aber wie lange? Atlan hatte das Gefühl, daß Leenia nicht so stabil war, wie sie zu sein vorgab.

Atlan verscheuchte die Gedanken. Jetzt zählte nur eines: Dorkan Moht mußte am Leben bleiben. Atlan wußte, daß er im Be­griff war, den Tod der Galionsfigur eher zu beschleunigen als aufzuhalten. Aber Moht würde mit Sicherheit ohnehin sterben, viel­leicht langsam dahinsiechen. Noch einmal mußte er sich gegen sein Schicksal aufbäu­men. Noch ein einziges Mal!

Dorkan Moht ähnelte einer aufrecht ge­henden Eidechse mit hellgrünen Schuppen. Atlan betrachtete den Koffer in seiner Hand. Er enthielt Injektionen, Drogen und starke Stimu lanzien. Ob diese Mittel in der ge­wünschten Weise auf Moht wirkten, war die große Frage. Der Arkonide brauchte nur we­nige Minuten, bis er den an der obersten Stelle der KNIEGEN, die die Form einer verbeulten Halbkugel hatte, gelegenen Bug mit der Galionsfigur erreicht hatte. Er konn­te selbst nicht eindringen. Die Bugkuppel bildete eine separate Einheit. Dorkan Moht war nur über Funk und die telepathischme­chanischen Bordkommunikationssysteme

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mit dem eigentlichen Schiff verbunden. Über diese Kommunikationssysteme gab er auch die für die Steuerung erforderlichen Impulse.

»Beeile dich, Atlan!« hallte Leenias Stim­me aus den Lautsprechern der Korridore.

»Du hast gut reden«, murmelte der Arko­nide.

Er stand vor einem Schott, das nur dann geöffnet werden konnte, wenn eine Galions­figur gestorben und gegen eine neue ausge­tauscht werden mußte. Allerdings hatten die Konstrukteure des Schiffes mit einem Not­fall wie dem jetzt eingetretenen gerechnet. Im Schott befanden sich drei etwa faust­große Vertiefungen mit einer transparenten Klappe darüber. Neben ihnen sah Atlan eini­ge Knöpfe mit Markierungen, die ihn ihren Zweck schnell erkennen ließen. Über jeder Vertiefung befand sich ein kleiner, noch dunkler Bildschirm.

Der Arkonide atmete tief durch und nahm die erste Kapsel aus dem Koffer. Durch einen leichten Druck auf den entsprechend gekennzeichneten Knopf ließ er die Klappe zurückschwingen. Dann legte er die Kapsel in die Vertiefung.

Atlan klappte den Verschluß wieder zu und beobachtete, wie die Hülle der Kapsel aufgelöst wurde. Eine grünliche Flüssigkeit begann zu schäumen und wurde abgesaugt.

Ein Druck auf den Knopf, der den kleinen Sichtschirm aktivierte. Zum erstenmal sah Atlan die Bugkuppel aus dieser Perspektive.

Dorkan Moht lag reglos in seinem Sessel. Die transparente Hülle der Kuppel selbst war wie durch ein Wunder unbeschädigt. Der Energiestrahl hatte sich wenige Zenti­meter neben ihr in die »Haut« der KNIE­GEN gefressen. Dorkan Mohts Verletzung stammte von den Erschütterungen.

Bevor Atlan sich auf den Weg gemacht hatte, hatte er eine Skizze der Bugkuppel studiert. Auf der anderen Seite des Schottes befanden sich drei aus mehreren Segmenten bestehende Kunstarme mit jeweils einer In­jektionsnadel und verschiedenen Greifwerk­zeugen am Ende.

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Einer von ihnen rückte nun in Atlans Blickfeld. Die Nadel war weit ausgefahren. Der Arkonide war sicher, daß sich die Droge inzwischen im Ende des Kunstarms befand.

Dorkan Moht erhielt die Injektion in den rechten Oberarm. Er zuckte kurz zusammen. Einige Augenblicke sah es so aus, als wollte er sich aufrichten. Dann aber verließ ihn die Kraft erneut.

»Die falsche Droge!« war Leenias Stim­me zu hören. »Die anderen beiden, schnell! Der Sog hat uns erfaßt. Und ich … ich muß …«

»Sie beginnt zu verschwimmen, Atlan!« hörte der Arkonide Thalia schreien. »Und jetzt wird es …«

Der Rest ging in einem Knistern unter, das überall zu sein schien, selbst in Atlan. Mit seinem Einsetzen wurde es dunkel. Vio­lette Nebel begannen um Atlan zu tanzen, wobei ihr Leuchten seine Intensität ständig veränderte. Dann sah der Arkonide die bi­zarre Landschaft um sich herum wieder, aber nun schien er ohne die KNIEGEN in ihr zu schweben. Wieder Dunkelheit. Ein ständiger Wechsel, immer schneller wer­dend.

Endlich sah Atlan die Wände des Korri­dors und das Schott wieder klar vor sich. Einen Augenblick war es still. Dann meldete sich Leenia wieder:

»Ich habe eine letzte Frist für uns gewin­nen können. Ein zweites Mal wird es nicht geben! Du mußt es jetzt schaffen, Atlan!«

Atlan wurde hellhörig. Von welcher Frist sprach Leenia? Wieder dieses Gefühl, als ob die gesamte Entwicklung an ihm vorbeigin­ge, als ob er nur Statist in einem Spiel sei, das höhere Mächte gegeneinander austru­gen.

Die zweite Kapsel. Atlan legte sie in eine der beiden noch nicht benutzten Vertiefun­gen. Ein zweiter Injektionsarm näherte sich der Galionsfigur.

Alles hing nun davon ab, wie Dorkan Moht auf diese Injektion reagieren würde. Atlan versuchte wiederum, einen Sinn in die Worte der Fremden zu bringen, während er

über den kleinen Sichtschirm die Reaktion des Echsenähnlichen beobachtete. War sie nicht so souverän, wie sie sich gab? Gab es andere, Körperlose wie sie, die sie zu sich herüberzuziehen versuchten? War es das, was ihr Angst einflößte, wogegen sie an­kämpfen mußte? Und Wommser, Kolphyrs ehemaliger Symbiont? Welche Rolle spielte er? Atlans Gedankengänge wurden durch die ruckhaften Bewegungen der Galionsfi­gur unterbrochen. Dorkan Moht bewegte sich. Atlan hielt den Atem an, als das Wesen sich im Sessel aufrichtete und beide Hände gegen den Schädel preßte.

»Wir haben es geschafft!« drang Leenias Stimme aus den Lautsprechern. »Wir kön­nen dem Sog entkommen! Wir …«

»Was ist los?« rief der Arkonide. Seine Stimme wurde von den überall angebrachten Mikrophonen des Bordkommunikationssy­stems aufgefangen, doch es dauerte Sekun­den, bis er eine Antwort erhielt.

Es war Thalia, die in Panik schrie: »Du mußt zurückkommen, Atlan! Sofort!

Es … es geschieht wieder. Sie beginnt durchsichtig zu werden. Sie … sie ist ver­schwunden!«

Thalias Erregung zeigte, wie sehr die Od-instochter sich inzwischen an Leenia und die Macht, die hinter ihr stand, geklammert hat­te.

Atlan zögerte keinen Augenblick. Er stürmte durch die Korridore in die Zentrale der KNIEGEN zurück.

Thalia war leichenblaß. Sie war allein. »Sie ist weg, Atlan«, flüsterte die Odins­

tochter und warf sich an die Brust des Arko­niden. »Einfach verschwunden. Sie versuch­te sich dagegen zu wehren, als ob irgend et­was sie von uns weggerissen hätte. Ich habe Angst, Atlan. Was sollen wir hier ohne sie tun?«

Ein Blick auf die Schirme. Wieder die un­endlich erscheinende phantastische Welt um sie herum. Die KNIEGEN war in Bewegung geraten, Atlan spürte es. Und er spürte, daß sie ohne Leenia verloren waren.

Es sah ganz so aus, als wären sie dem Sog

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entkommen und aus dem Dimensionstunnel endgültig ins Universum gelangt, in dem die körperlosen Wesen existierten, die ihre Hei­mat selbst als die »Höheren Welten« be­zeichneten.

Verloren. Es gab hier keine Scuddamoren-Schiffe,

aber auch kein Pthor und keine Schwarze Galaxis. Atlan hatte sich ein Ziel gesetzt, als er von Atlantis aus aufgebrochen war, um den direkten Einflußbereich jener Mächte auszukundschaften, mit denen er und die Pthorer es mit Sicherheit zu tun bekommen würden. Dies schien ferner als je zuvor.

»Wird sie zurückkommen?« fragte Thalia leise.

Atlan wußte es nicht. Er versuchte, Kontakt mit der Galionsfi­

gur aufzunehmen – ohne Erfolg. Dorkan Moht reagierte nicht, obwohl einige Kon­trollinstrumente anzeigten, daß er noch leb­te.

Was war während Atlans Abwesenheit in der Zentrale geschehen?

Thalia hatte keine Erklärung. Sie konnte nur berichten, was sie gesehen hatte.

Ohne Dorkan Moht war eine Rückkehr aus diesem fremden Universum nicht mög­lich.

Aber hier konnte Atlan nichts ausrichten. Es gab zwei Möglichkeiten für ihn. Entwe­der die Rückkehr, auf die Gefahr hin, sofort wieder auf Scuddamoren zu treffen, oder den Kontakt mit den Körperlosen.

Zu beidem brauchte er Leenia. Doch die Minuten vergingen, und Leenia

erschien nicht wieder.

10. Körperlose unter sich

Leenia hatte bis zuletzt gegen den Zwang angekämpft, der sie zurück in die Gemein­schaft der Körperlosen zog. Es war nicht so, daß ihr jemand den Befehl zur Rückkehr ge­geben hätte. Vielmehr war sie sich der unge­heuren Verantwortung bewußt gemacht wor­den, die sie trug. Das Drängen auf die Rück-

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kehr war begründet gewesen. Noch länger in der Nähe des Sogs zu bleiben, wäre selbst für sie ein Risiko gewesen, das in keiner Re­lation zu der Bedeutung stand, die ihr von ihren Schöpfern beigemessen wurde, von je­nen, von denen sie glaubte, daß sie so waren wie sie.

Dennoch wehrte sich etwas in ihr, dem Drängen zu folgen.

Wommser. Wir dürfen Atlan und Thalia nicht im

Stich lassen! appellierte Wommser. Sie sind hier verloren. Sie müssen zurück in ihren Raum, an eine Stelle der Schwarzen Galaxis, wo sie vorerst sicher sind!

Ich habe getan, was ich konnte, entgegne­te Leenia. In ihren Gedanken schwang Ver­zweiflung mit. Das Schiff ist durch den Sog nicht mehr gefährdet.

Aber dann kannst du an Bord bleiben! Allein werden sie sich niemals zurechtfin­den. Atlan und Thalia müssen leben! Versu­che, deine Artgenossen zu überzeugen!

Es sind auch deine Artgenossen. Wommser kapselte sich ab. Erst nach ei­

niger Zeit dachte er: Ihre Denkweise ist mir fremd. Sie wird dir vertraut werden, sobald du

lange genug unter uns gelebt hast. Du bist noch zu sehr der Welt verbunden, aus der du stammst.

Und diese Welt ist auch für euer Schick­sal bestimmend. Wenn ihr die dunklen Mächte aus der Schwarzen Galaxis bekämp­fen und vertreiben wollt, dann müssen Atlan und Thalia dorthin zurückkehren können.

Ich bin hier, um diese Mächte zu bekämp­fen, dachte Leenia. Deshalb darf ich mich nicht in Gefahr begeben.

Wommser schwieg. Er wußte ja, daß die Komponente Leenia so empfand wie er selbst. Es war nicht wirklich sie, die zu ihm sprach. Hunderte von vergeistigten Intelli­genzen waren um sie herum und übertrugen ihre Bedenken gegen ein Verbleiben Leenias in der KNIEGEN auf sie.

Tatsächlich fühlte Wommser sich noch wie ein Fremdkörper in diesem Universum

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aus reiner Energie. Er hatte Schmerzen emp­funden, als Leenia mit ihm zusammen über dem Wölbmantel entmaterialisiert und ohne Zeitverlust inmitten dieses Meeres aus Le­ben wiedererstanden war. Genau wie jetzt hatte sie keinen Körper mehr gehabt. Ihr und damit sein Bewußtsein trieb zwischen ande­ren, die sie sofort aufnahmen. Freude, Glück, Triumph – all das hatte Wommser so empfunden, als ob diese Gefühle aus ihm selbst herausgekommen wären.

Es war das gewesen, was die Körperlosen gefühlt hatten. Fast schon hatten sie Leenia abgeschrieben. Nun schien sich die Bemü­hungen von Jahrtausenden doch noch ausge­zahlt zu haben.

Um so kostbarer war Leenia nun für die Vergeistigten. Leenia und Wommser. Der Dimensionssymbiont fühlte eine nie gekann­te Wärme und Geborgenheit. Doch die Freu­de über das, was die Erfüllung seines Lebens darstellte, wurde durch die Art und Weise, wie er hierhergelangt war, getrübt.

Die Körperlosen bildeten eine Einheit mit sich und ihrem Universum. Das, was sie ent­schieden, alles, was zu geschehen hatte, war das Ergebnis einer gemeinsamen Willensfin­dung. Sie handelten und lebten wie eine ein­zige Intelligenz.

Und Leenia gehörte dazu. Sie hatte sich unterzuordnen, wenn die anderen Entschlüs­se faßten, die sie schmerzten. Doch sie konnte ihre Argumente in die Waagschale werfen, um die kollektive Willensbildung zu beeinflussen. Was immer dabei herauskam – Leenia erkannte den Beschluß der Einheit an und handelte danach, denn sie wußte, daß der Beschluß das Ergebnis eines Abwägens von Für und Wider war, der von Wesenhei­ten getroffen wurde, die ihr zumindest eben­bürtig an Intelligenz und Weitsicht waren.

Eine solche Abwägung hatte dazu geführt, daß sie nach der Rückkehr von Pthor ins »normale« Universum in die Schwarze Ga­laxis pendeln und dort an Bord der KNIE­GEN stofflich werden durfte, nachdem die Körperlosen das Organschiff nur kurzfristig vor den Scuddamoren hatten schützen kön­

nen. Nur sie war in der Lage gewesen, At­lan, Thalia und ihr Schiff auf die Ebene der Höheren Welten herüberzuziehen. Was nun zu geschehen hatte, beschloß die Einheit al­ler Wesen dieser Ebene.

Gegen eine weitere Präsenz Leenias an Bord der KNIEGEN und damit in der Nähe des Sogs sprach das Risiko, das sie dabei einging. Leenia konnte in Gemeinschaft mit Wommser in der Aura der Schwarzen Gala­xis existieren, doch noch bestand keine voll­kommene Klarheit darüber, wie lange dies der Fall sein konnte. Auch war nicht sicher, ob sie einem Überraschungsschlag in ihrer körperlichen Existenzform gewachsen war. Dies galt vor allem für Einsätze in der Schwarzen Galaxis selbst, wie sie für später vorgesehen waren. Würde Leenia die Zer­störung ihrer körperlichen Hülle überleben? Dies war eine der Fragen, auf die es erst noch eine Antwort zu finden galt. Die Kör­perlosen empfanden Respekt vor der Art und Weise, wie Atlan und Thalia gegen die Mächte vorgingen, die sie einst aus dem Universum der Körperlichen verbannt hat­ten. Doch waren sie es wert, Leenia mögli­cherweise zu opfern? Sie hatten Erfolge er­rungen wie niemand, der sich bisher gegen einen Neffen des Dunklen Oheims aufge­lehnt hatte. Doch bisher hatten sie auch nur in einem der äußeren Reviere operiert. Für Leenias Rückkehr auf die KNIEGEN sprach, daß gerade die Unterstützung durch die Körperlosen Atlan dazu befähigen könn­te, auch in den Zentrumsrevieren mit Erfolg gegen den Dunklen Oheim zu kämpfen. Bei der zu fällenden Entscheidung spielte es eine große Rolle, ob man diesem Sterblichen – aus der Sicht der Körperlosen war Atlan trotz des Zellaktivators ein solcher – zutrau­en konnte, mit der Hilfe Leenias auch dort bestehen zu können. Wenn man ihn jetzt un­terstützte, setzte man alle Hoffnung in ihn.

Doch Leenias und Wommsers Drängen hatte schließlich Erfolg.

Man faßte den Entschluß, den Sterblichen eine Rückkehr zu ermöglichen. Der ur­sprüngliche Plan, direkten Kontakt zu Atlan

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und Thalia aufzunehmen, war bereits ver­worfen worden, als sich herausgestellt hatte, daß diese Menschen nicht in der Lage wa­ren, mit den Körperlosen – mit Ausnahme der dazu präparierten Leenia – zu kommuni­zieren.

So wurde Leenia zum zweitenmal zu ih­nen geschickt.

11. An Bord der KNIEGEN

Atlan wußte nicht, zum wievielten Male er verzweifelt versuchte, doch noch Kontakt mit dem sterbenden Dorkan Moht zu be­kommen, als Thalia aufschrie.

Der Arkonide fuhr herum und sah gerade noch, wie sich Leenias Körperkonturen sta­bilisierten. Sie stand an der gleichen Stelle wie bei ihrem ersten Erscheinen.

Leenia ließ Atlan gar nicht erst zu Wort kommen.

»Ich habe euch nicht im Stich gelassen«, sagte sie. »Ich mußte vorübergehend in un­sere Gemeinschaft zurückkehren, um neue Anweisungen entgegenzunehmen. Ich werde versuchen, euch zurück in eure Daseinsebe­ne zu bringen, allerdings an einen Ort, wo die Scuddamoren euch nicht vermuten wer­den. Ob mir das gelingt, hängt davon ab, wie lange Dorkan Moht noch lebt. Wir dürfen den Dimensionstunnel, durch den wir ge­kommen sind, nicht mehr benutzen. Die Scuddamoren werden noch auf euer Wieder­erscheinen warten.«

»Es gibt also nicht nur diese eine Verbin­dung zwischen den beiden Räumen?« fragte Thalia.

»Es gibt mehrere, doch alle Tunnel mün­den in die Schwarze Galaxis. Verlangt jetzt keine weiteren Erklärungen. Um an einem anderen Ort eures Universums herauszu­kommen, müssen wir auch hier unsere Posi­tion verändern.«

Leenia schwieg, und weder Atlan noch Thalia wagten sie jetzt in ihrer Konzentrati­on zu stören. Sie versuchte erneut, Kontakt zu Dorkan Moht aufzunehmen, das war of-

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fensichtlich. »Es geht nicht!« preßte sie nach einer

Weile hervor. »Er ist zu schwach!« »Wir könnten es mit einer weiteren Injek­

tion versuchen«, schlug Thalia vor. »Wir wissen jetzt, was er braucht.«

»Um zu sterben«, ergänzte Atlan. Eine weitere Injektion würde die Galions­

figur nicht überleben. Und sie mußte leben, zumindest bis sie mit Leenia zusammen die KNIEGEN an jenen »Ort« in diesem phanta­stischen Kosmos gebracht hatte, von wo aus das Schiff ins Normaluniversum zurückkeh­ren konnte.

»Ich versuche es noch einmal«, sagte Lee­nia. Atlan mußte sich immer wieder verdeut­lichen, daß er es mit einem Wesen zu tun hatte, das nur äußerlich wie ein Mensch war. Wenn sie mit ihren Kräften nichts ausrichten konnte, waren alle Bemühungen seinerseits von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Nein! meldete sich der Extrasinn. Du hast Dorkan Moht die Injektionen gegeben. Lee­nia mag über Fähigkeiten verfügen, die uns unbegreiflich sind, aber Dorkan Moht ist Leben deiner Art, und es ist möglich, daß Leenia unfähig ist, die wahre Ursache sei­ner Passivität zu ergründen.

Atlan begriff. Ein Mensch seiner Zeit war imstande, die kompliziertesten mathemati­schen Gleichungen zu lösen, aber unfähig, das zu begreifen, was in den sogenannten niederen Kreaturen, Tieren und Pflanzen, vorging. Stand Leenia so weit über ihm und Wesen seiner Art, daß das gleiche für sie zu­traf? Atlan berührte einige Sensortasten und drückte auf Knöpfe. Auf einem Monitor sah er Diagramme und Zahlenreihen und erhielt ein ungefähres Bild von Dorkan Mohts Zu­stand. Er lebte noch und müßte in der Lage sein, sich ein letztes Mal aufzubäumen, wenn er wollte.

»Nichts«, sagte Leenia niedergeschlagen. »Er reagiert überhaupt nicht mehr.«

»Und seine Lebensfunktionen lassen nach«, murmelte Thalia, die Atlans Platz vor dem Monitor eingenommen hatte, als der Arkonide begonnen hatte, in der Zentrale

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auf und ab zu wandern. Beide Auskünfte bestärkten ihn in seinem

verzweifelten Entschluß. Die Galionsfigur reagierte nicht auf Lee­

nias Bemühen, Kontakt zu ihr herzustellen, und es war sicher, daß sie dem Tod geweiht war.

Bis jetzt hatte Atlan sich dagegen ge­sträubt, Dorkan Moht im wahrsten Sinn des Wortes noch einmal aufzuputschen, ihn zu einem letzten Gewaltakt zu bewegen, an dessen Ende der Tod stehen mußte.

Nun glaubte Atlan zu wissen, was den Echsenähnlichen apathisch machte. Es wa­ren nicht nur die Folgen der bei der Schieße­rei erlittenen Verletzung.

»Ich muß zu ihm«, sagte der Arkonide. »In die Bugkuppel.«

»Aber das bedeutet seinen Tod!« entfuhr es Thalia.

»Ich weiß«, murmelte Atlan. »Er wird nicht sofort sterben.«

Und er wußte auch, daß nur die Galionsfi­gur selbst den Impuls zur Öffnung des Schottes geben konnte, solange sie lebte.

Atlan schloß sich an das mechanischtele­pathische Kommunikationsnetz der KNIE­GEN an und dachte intensiv daran, daß er jetzt ein zweites Mal zur Bugkuppel aufbre­chen würde, um in sie einzudringen und bis zu Mohts Tod bei diesem zu bleiben. Alles hing davon ab, daß er mit seiner Vermutung recht behielt.

Atlan erhielt keine Antwort. Er hatte es nicht anders erwartet.

»Unternimm jetzt keinen weiteren Ver­such«, bat er Leenia. »Ich gehe zu Dorkan Moht. Entweder stirbt er oder er rettet uns.« Zu Thalia gewandt, sagte der Arkonide: »Halte die Stellung. Es kann sein, daß ich nicht zurückkomme. Dann liegt es an dir, über die Zukunft zu entscheiden.«

Welch heroische Sprüche! kommentierte der Extrasinn. Das hast du ihr schon mehr als einmal gesagt. Sieh zu, daß du zur Bug­kuppel kommst!

»Laß mich mit dir gehen«, flehte die Od-instochter. Sie klammerte sich an Atlans

Arm fest. Der Arkonide streifte ihre Hand sanft,

aber energisch ab. »Nein, Thalia. Du mußt bei Leenia blei­

ben.« Dann brach er auf, ohne einen Blick zu­

rückzuwerfen. Das Schicksal der KNIEGEN lag in der

Hand eines Sterbenden.

*

Atlan stand vor dem Schott. Neben ihm befand sich ein Mikrophon der Bordsprech­anlage. Atlan drückte auf einen Knopf.

»Wenn du dazu in der Lage bist, dann öff­ne«, sagte er.

Nichts geschah. »Thalia?« Die Odinstochter und Leenia konnten je­

des Wort, das er an Dorkan Moht richtete, mithören.

»Seine Lebensfunktionen sinken weiter­hin, aber er müßte in der Lage sein, die not­wendigen Schaltungen vorzunehmen. Viel­leicht solltest du ihm doch eine weitere In­jektion …«

»Nein!« rief Atlan barsch. Er sah sich um. Nicht jedes Organschiff war gleich, doch er nahm an, daß es in unmittelbarer Nähe der Bugkuppel ebenfalls Anschlüsse für das me­chanischtelepathische Kommunikationssy­stem gab.

»In einem Nebengang«, sagte Thalia auf eine entsprechende Frage.

»Etwa fünf Meter hinter dem Schott.« »Danke.« Atlan verwünschte sich selbst,

weil er sich nicht gründlich genug auf das vor ihm Liegende vorbereitet hatte. In der Zentrale gab es Übersichtstafeln, auf denen das »Innenleben« der KNIEGEN in jeder Einzelheit festgehalten war. Sekunden später stand er vor dem Anschluß und nahm erneut Kontakt zur Galionsfigur auf. Wieder sandte er nur eine Botschaft, ohne Antwort zu er­halten.

Als er diesmal zum Schott ging, war es offen. Der Weg in die Bugkuppel war frei.

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Atlan trat ein. Er sah Dorkan Moht in seinem Sessel. Die

Augen der Galionsfigur waren auf ihn ge­richtet.

Atlan kniete sich vor dem Echsenähnli­chen nieder.

»Du weißt, daß du sterben wirst«, begann er.

»Nein«, antwortete die Galionsfigur. »Ich werde nicht mehr sterben – kein zweites Mal. Sieh dir die Welt um uns herum an. Es ist das Reich der Ewigen. Auch du gehörst nun zu uns, Atlan. Auch du bist gestorben und wieder auferstanden. Laß uns die Träu­me vergessen, die uns an die frühere Exi­stenz erinnern. Laß uns nur wir selbst sein …«

*

Triumph und Trauer. Unbändiges Mitleid mit einem Wesen, das glaubte, allen Schmerz und alle Todesqualen hinter sich zu haben und bereits ins »Reich der Ewigen« eingegangen zu sein. Wieder, nachdem er bereits geglaubt hatte, alle Skrupel über Bord geworfen zu haben, kamen Atlan die Gewissensbisse. Er hatte recht gehabt. Dor­kan Moht lebte noch. Er konnte ihn mit ein bißchen Glück und viel Geschick dazu brin­gen, noch einmal all seine Kraft zusammen­zunehmen. Aber hatte er das Recht dazu? Durfte er die Galionsfigur quälen?

Er mußte es tun! Er hatte eine Verantwor­tung zu tragen und nicht nur für sich und Thalia.

»Hör zu«, sagte er eindringlich und blick­te dabei in die runden Augen des Wesens. »Es stimmt nicht. Wir leben. Du bist nicht tot, aber du wirst sterben müssen.« Atlan suchte nach Worten. Er war sicher, daß die Galionsfigur sich nicht in dieser Umgebung zurechtfand und deshalb glaubte, ins Reich der Toten eingegangen zu sein.

»Du lebst noch«, sagte er. »Nun liegt es an dir, ob du dort, wo du geboren wurdest, auch ins Reich der Ewigen eingehen wirst oder nicht. Dies hier ist ein uns unbegreifli-

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cher und fremder Raum. Hier können wir nicht leben und nicht in Frieden sterben, hörst du? Es kommt nur auf dich an, ob wir in unser Universum zurückkehren können, wo du deine Ruhe finden kannst.«

Keine Reaktion. Atlan schwitzte. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

»Lebensfunktionen, Thalia?« »Sie sinken weiter ab«, kam es aus einem

unsichtbaren Lautsprecher, »aber sie schei­nen sich zu stabilisieren.«

Atlan nickte. »Du weißt, daß das Wesen Leenia Kon­

takt sucht?« fragte er die Galionsfigur. Und nun hatte er das Gefühl, daß Dorkan Moht ihn zum erstenmal direkt ansah.

»Ja«, hörte der Arkonide endlich. »Ich weiß es und ich höre es.«

»Dann mußt du tun, was sie von dir ver­langt!« sagte Atlan hastig. »Für dich und für uns! Du bist verwirrt, und du findest dich in diesem Raum nicht zurecht. Mir geht es ebenso, Dorkan Moht! Deshalb hilf uns zu­rückzukehren. Vertraue dich ganz Leenia an. Denke an die große Plejade. Soll alles, was wir auf uns genommen haben, umsonst ge­wesen sein?«

Phrasen, dachte Atlan bitter. Seelenmas­sage für einen Sterbenden.

»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Dorkan Moht.

Atlan schwieg. Er wußte, daß er nicht mehr tun konnte.

*

Als der Arkonide in die Zentrale zurück­kehrte, kam Thalia auf ihn zugelaufen.

»Störe sie nicht«, flüsterte sie und blickte zu Leenia hinüber. »Sie hat Kontakt. Wir bewegen uns.«

Die Kontrollen verrieten nach wie vor nichts darüber. Es war wieder nur ein Ge­fühl, das auch Atlan empfand. Die KNIE­GEN trieb irgendwo in diesem unbegreifli­chen Raum. Dorkan Moht hatte also in der erhofften Weise reagiert. Doch seine Le­bensfunktionen sanken weiter ab, nachdem

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sie, wie Thalia versicherte, vorher einen stei­len Sprung nach oben gemacht hatten. Dies war das Aufbäumen gewesen, zu der Zeit, als Atlan noch zur Zentrale unterwegs gewe­sen war. Nun schien es so, als sei diese Be­lastung endgültig zuviel für die Galionsfigur gewesen.

Als Leenia die Augen aufschlug, wußte der Arkonide, daß Dorkan Moht gestorben war. Er brauchte dazu nicht erst auf die An­zeigen zu blicken.

»Werden wir es schaffen?« fragte er. Leenia nickte. »Ich hoffe es. Allerdings nicht mit der

KNIEGEN. Wir treiben auf einen der Tun­nel zu, aber nur ihr selbst könnt ihn passie­ren. Das Schiff …« Es sah so aus, als wüßte Leenia nicht, wie sie das erklären sollte, was nur ihr begreiflich war. Dann fuhr sie fort: »Die KNIEGEN ist enger mit der Galionsfi­gur verbunden, als ich eben noch glaubte. Dorkan Moht muß noch vor seinem Tod et­was unternommen haben, das es unmöglich machte, das Schiff in euer Universum zu­rückzuschicken. Er war die KNIEGEN, und er …«

»Er wollte mit ihr sterben«, vollendete Atlan den Satz. Und er glaubte, die Hand­lungsweise der Galionsfigur verstehen zu können, die genau gewußt haben mußte, daß es keine Rückkehr für sie mehr geben wür­de.

Und nun? Was sollten Atlan und Thalia ohne ein

Raumschiff in der Schwarzen Galaxis aus­richten können? Wo würden sie sich wieder­finden?

»Macht euch bereit«, sagte Leenia. »Es wird nicht angenehm für euch sein. Ihr wer­det den Sog gleich fühlen.«

Atlan spürte ihn bereits. Es wurde dunkel. Nur Leenia leuchtete

wie von innen heraus. Auf dem Hauptbild­schirm war von der bizarren Landschaft der Hohlwelt nichts mehr zu sehen.

»Ich muß Abschied nehmen«, sagte Lee­nia. »Diejenigen, zu denen ich gehöre, rufen mich zurück.«

*

Noch Sekunden standen sich Atlan und Leenia schweigend gegenüber. Sie sahen sich in die Augen, als ob jeder der beiden versuchte, darin zu lesen, etwas von dem verstehen zu können, was den anderen aus­machte.

»Es tut mir leid«, sagte Leenia dann leise. »Ich wollte, daß ich euch besser helfen könnte, aber …« Sie zuckte die Schultern und versuchte zu lächeln. »Vielleicht wird der Tag kommen.«

»Du hast uns schon geholfen«, sagte At­lan, der spürte, wie die Körperlose litt. Fast scheu blickte sie von ihm zu Thalia und wie­der zurück.

»Ich habe eine letzte Frage.« Atlan nickte. Er hatte darauf gewartet. »Jetzt spricht Wommser aus dir, oder? Er

will wissen, wo Kolphyr ist.« »Der Kontakt zu ihm riß ab, als ich aus

meinem Dimensionsnest vertrieben wurde«, bestätigte Leenia/Wommser.

Wieder nickte der Arkonide. Der Vontha­raAlarm, die Lähmung, die fast alle Wesen auf Pthor befallen hatte. Atlan konnte nur annehmen, daß Wommser gerade zu dieser Zeit geflohen war. Der Dimensionssymbiont bestätigte diese Vermutung durch Leenia.

»Wir wissen es nicht, Wommser«, sagte Atlan. »Wir alle wären froh gewesen, ihn wieder bei uns zu haben.«

»Aber er lebt?« »Er ist nicht tot«, formulierte Atlan aus­

weichend. Er hatte nicht übertrieben. Oft genug hatte

er sich gefragt, was aus den alten Kampfge­fährten, mit denen er gegen die FESTUNG gezogen war, geworden sein konnte. Immer noch hoffte er darauf, daß der Bera und auch Koy, der Trommler, eines Tages zur FE­STUNG zurückkehren würden.

Doch die FESTUNG und Pthor waren weit.

»Ich muß gehen«, sagte Leenia. Sie wollte etwas hinzufügen, aber schon wurde ihr

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Körper transparent und war gleich darauf völlig verschwunden. Atlan und Thalia wa­ren allein.

»Und nun?« fragte die Odinstochter. Der Arkonide brauchte keine Antwort zu

geben. Thalias Schrei zeigte ihm, daß sie das gleiche fühlte wie er. Es war, als wollte man ihm den Magen auspumpen, als hätte man seinen Kopf zwischen einen Schraubstock geklemmt. Es wurde dunkel, dann wieder so hell, daß die Augen schmerzten. Ganz kurz war noch einmal die unendliche Hohlwelt um die beiden Menschen herum zu sehen. Dann war nichts mehr. Es gab keine KNIE­GEN, keinen Boden unter den Füßen, kein Oben und Unten. Atlan hatte das Gefühl, als schrumpfe er immer mehr zusammen, als würde er zu einem mikroskopisch kleinen Etwas.

Von irgendwoher, aus dem unendlich er­scheinenden Dunkel, kam eine Stimme. Thalia. Atlan versuchte, mit seinen Sinnen das Dunkel zu durchbrechen – vergeblich. Die Übelkeit und die Schmerzen waren wie weggeblasen. Atlan war nur noch er selbst. Er hatte keinen Körper mehr, doch sein Ge­hirn arbeitete auf Hochtouren.

Er wußte, daß er sich in dem von Leenia angesprochenen Dimensionstunnel befand, irgendwo zwischen zwei Existenzebenen, die nichts gemeinsam hatten.

So, dachte Atlan, mochte es einem Tele­porter oder jemandem, der einen Transmitter benutzte, zumute sein, wenn die Zeit mitten im Sprung angehalten würde.

Graue Schlieren begannen sich zu bilden. Atlan sah ohne Augen. Er empfand.

Und plötzlich hatte er, der relativ Un­sterbliche, der Mann, der es mit jedem leib­haftigen Gegner aufgenommen hätte, furcht­bare Angst. Angst davor, niemals wieder aus diesem Nichts zu entkommen, für immer in diesem Zustand verbleiben zu müssen.

Wieder der Schrei aus der Unendlichkeit. Er hallte in Atlans Kopf. Irgendwo trieb Thalia, ebenso hilflos wie er. Er wollte zu ihr, ihr helfen, ihr Trost zusprechen.

Doch es gab nichts als das monotone

Horst Hoffmann

Grau um ihn herum. Dann endlich – Atlan hatte jeden Sinn für

die Zeit verloren – sah er einen sich schnell vergrößernden Lichtpunkt genau vor sich.

Er trieb darauf zu.

12. Auf Pthor

In der FESTUNG herrschte Stille. Alle Abgesandten der verschiedenen Rassen Pthors wurden abgewiesen. Die Odinssöhne waren nicht zu sprechen.

Sie saßen wieder zusammen und berieten sich. Heimdall warf Sigurd und Balduur fin­stere Blicke zu.

»Und ich behaupte immer noch, daß sie eine Spionin ist!« dröhnte seine Stimme durch den Saal. »Es war ein Fehler, sie mit der GOL'DHOR in den Weltraum zu brin­gen, ein böser Fehler, Sigurd!«

»Wenn ich deine törichten Reden höre, glaube ich fast selbst daran. Ich hätte dich in der Höhle liegen lassen sollen.«

»Ich hätte mich selbst hierher zurück durchschlagen können!«

»Ja«, sagte Sigurd bissig. »Vielleicht hät­test du unterwegs ein paar Gordys getroffen, die mit dir gegen das Gesindel gekämpft hätten, das sich in der Umgebung der Senke herumtreibt. Denke an das, was Synk uns berichtet hat. Es wird noch mehr Monstren wie diesen Mod-Poluur geben, und wenn selbst Leenia ihm fast unterlegen wäre …«

»Sie ist eine Spionin aus der Schwarzen Galaxis«, beharrte Heimdall.

»Vielleicht kannte sie sich auch nur des­halb so gut auf Pthor aus, weil ihr jemand den Kontinent und den Weg zur FESTUNG erklärt hat.«

Balduur blickte auf. »Die Phantasie geht mit dir durch, Bru­

der.« »So? Und wenn der Verräter Atlan uns

nicht nur im Stich gelassen hat, sondern sich darüber hinaus mit denjenigen verbündet hat, die die Schwarze Galaxis beherrschen? Was dann? Er könnte die Spionin geschickt

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und instruiert haben, um sein erbärmliches Leben zu retten.«

»Du gehst zu weit!« protestierte Sigurd heftig.

»Ach was! Wir sollten Atlan vergessen und unsere Macht festigen. Vielleicht wer­den wir ihm eines Tages wieder gegenüber­stehen. Dann soll er unsere Macht zu spüren bekommen. Wir sind die Herrscher, und wir sind stark, stärker als mit einem Weib an der Seite!«

»Denke an die Worte unseres Vaters!« entfuhr es Sigurd. Er baute sich vor Heim­dall auf und sah dem Bruder in die schwar­zen Augen. »Und jetzt ist es genug. Diese Fremde ist keine Spionin. Ich habe das Ge­fühl, daß du einen Vorwand suchst, um …«

»Woher willst du das wissen? Sie lähmte und verschleppte mich. Sie erpreßte euch! Du bist mit Blindheit geschlagen, Sigurd!«

»Sie ist keine Spionin«, wiederholte Si­gurd. »Ich weiß es einfach.«

Höhnisch lachend wandte Heimdall sich an Balduur.

»Er weiß es, hörst du? Wenn du mich fragst, dann hat sie ihm den Kopf verdreht!«

Der Streit ging weiter. Heimdall und Si­gurd beschuldigten sich gegenseitig der Vor­eingenommenheit. Nur Balduur schwieg die meiste Zeit über.

Er sprach zwar nicht so offen wie Heim­dall von einem Verrat Atlans, aber auch er glaubte, daß der Arkonide nicht nach Pthor zurückkehren würde.

Balduur träumte den Traum von einem al­lein von den Odinssöhnen geführten Pthor. Doch wieviel Zeit würden sie haben, um ih­re Macht zu festigen und alle Pläne zu ver­wirklichen?

Wann würden die ersten Raumschiffe aus der Galaxis am Himmel erscheinen?

Ganz andere Sorgen hatte ein kleiner bär­tiger Muskelprotz, der laut schimpfend ne­ben dem Zugor stand, mit dem er bis kurz vor Orxeya gelangt war. Er hatte seine Hei­matstadt nicht erreicht, weil die Dellos, de­nen er das Fahrzeug unter dem Vorwand ab­geschwatzt hatte, daß er einen Geheimauf­

trag für die Odinssöhne auszuführen habe, die Energiespeicher nicht ausreichend aufge­laden hatten. So mußte er notlanden und den Rest des Weges nun zu Fuß zurücklegen. Dabei dachte er an Roboter – Robotbürger, Robotdiener, faßförmige, kugelförmige, ten­takelschwingende, vor allem aber grausame Roboter – eben an alles, was aus Metall, Pla­stik und einem künstlichen Gehirn bestand.

»Ich hasse sie!« brüllte er immer wieder. »Sie alle!«

Doch manchmal blickte er nach Südwe­sten, wo sich viele Kilometer entfernt die Stadt Wolterhaven befand.

Warum hatten sie ihm das angetan? Wes­halb hatten die Robotdiener sich für ihn ge­opfert?

»Ihr wollt mich quälen«, murmelte der wilde Mann aus Orxeya. »Ihr glaubt, mich auf diese Art unter Druck setzen zu können. Aber da täuscht ihr euch, ihr zusammenge­leimten Blechkisten! Nicht mich! Nicht mit mir!«

So gelang es Synk wenigstens für wenige Minuten, sein schlechtes Gewissen zu beru­higen.

Nach stundenlangem Fußmarsch erreichte er die Händlerstadt. Er passierte die Tore und schleuderte jedem, der ihn nach seinem Abenteuer mit der GOL'DHOR fragte, eini­ge derbe Verwünschungen entgegen. Natür­lich hatte Synk vor dem Aufbruch zur FE­STUNG in angeheitertem Zustand von dem geprahlt, was er vorhatte. Sator Synks erster Weg führte zu einem Gasthaus, wo er etwas zu essen und einen Dreiliterkrug mit einem stark alkoholhaltigen Getränk bestellte. Den Krug trank er aus, das Essen ließ er stehen. Er hatte keinen Appetit.

»Ach, bevor ich's vergesse«, sagte der Wirt, als Synk sich zum Aufbruch bereit machte. »Du hast einen Gast.«

»Einen Gast?« Synk sprach schon sehr langsam und hatte gewisse Schwierigkeiten mit der Aussprache. »We … welchen Gast? Ich habe niemanden eingeladen.«

»Er wartet in deinem Haus auf dich.« Täuschte der Held von Orxeya sich, oder

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sah er ein schadenfrohes Grinsen auf dem Gesicht des Wirtes?

Natürlich fielen sie nun alle über ihn her! Sator Synk trat fluchend ins Freie und schlug einem Mann, der ihn fragte, wo er denn die GOL'DHOR gelassen habe, die Faust auf die Nase.

Niemals wieder! dachte er sich. Niemals wieder werde ich diesen Ignoranten meine Dienste anbieten! Und Ignoranten waren für den Angetrunkenen jetzt alle, die nicht wie er davon überzeugt waren, daß er seine Mis­sion zur vollen Zufriedenheit aller ausge­führt hätte, wenn die Odinssöhne ihn nicht gezwungen hätten, die fünf Robotdiener mit an Bord des goldenen Schiffs zu nehmen. Das Kapitel GOL'DHOR war für Sator Synk ein für allemal abgeschlossen. Sollten die Odinssöhne doch zusehen, wie sie mit der bevorstehenden Invasion fertig wurden! Im­mer noch im Glauben, der Wirt und alle an­deren, die ihm schadenfroh nachsahen, hät­ten nur ihre Freude an seinem Reinfall, be­trat Synk schwankend sein Haus. Mit dem »Gast« sollte er schnell fertig werden. Si­cher ein Schmarotzer, dachte er, jemand, der es sich während seiner Abwesenheit bei ihm zu Hause bequem gemacht hatte. Aber der Bursche sollte sein blaues Wunder erleben.

»Komm heraus!« brüllte Sator Synk, als sich niemand blicken ließ. »Ich weiß, daß du hier bist, und falls du nicht hier bist, weiß ich es auch, nämlich, daß du …«

Der Orxeyaner wurde sich des Unsinns, den er daherredete, bewußt. Er durchsuchte noch einmal alle Räume und beschloß, sich in eine stille Ecke zurückzuziehen und auf den »Gast« zu warten.

Je länger er so hinter einem großen Schrank dasaß, desto stärker wurde die Überzeugung, daß der Wirt ihm einen Streich gespielt hatte.

Doch das war nicht der Fall. Synk hörte etwas quietschen. Es war nicht

nur die Haustür, die er endlich einmal ölen mußte. Etwas anderes, seltsam Bekanntes …

Und dann sah er den Roboter. »O nein!« Der Orxeyaner schlug sich bei-

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de Hände vors Gesicht. Der Alkohol, dachte er. Die Rache der Robotbürger. Jetzt wollen sie mich endgültig zugrunde richten.

Doch als er die Hände herunternahm, stand der Roboter immer noch vor ihm.

Es handelte sich um eine Kugel von etwa einem halben Meter Durchmesser. Mehrere Schläuche, Greifarme und Antennen ragten aus ihr heraus. Ganz oben auf der Kugel be­fand sich eine rotierende Scheibe.

»Es erfüllt mich mit großer Freude, dich zu sehen, Sator Synk«, drang es plärrend aus einem nicht zu erkennenden Lautsprecher. »Wir hatten dich eher zurückerwartet.«

Das darf nicht sein! durchfuhr es den Or­xeyaner. Das darf einfach nicht sein! Herr der Welten, laß mich aufwachen!

Synk schloß die Augen. Den Roboter schien das nicht im geringsten zu berühren.

»Ich heiße Diglfonk«, hörte Synk. »Mein Herr, der Robotbürger Soltzamen, hat mich geschickt, um dir über die erlittene Enttäu­schung hinwegzuhelfen. Ich bringe dein Haus in Ordnung und sorge für dich. Wenn du einen Wunsch hast, so teile ihn mir mit. Wir stehen nach wie vor in deiner Schuld und …«

»Aber ich habe fünf von euch auf dem Gewissen!« krächzte Synk in höchster Ver­zweiflung. »Fünf Robotdiener sind gestor­ben, weil ich …«

»Es war unsere Schuld, daß du notlanden mußtest, Sator Synk. Wir sind über alles in­formiert und wissen um deine Qualen. Kann ich nun etwas für dich tun?«

Synk fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Sie war naß. Er mußte Fieber haben.

»Ja«, brachte er gerade noch hervor. »Verschwinde! Geh mir aus den Augen!«

»Ich bedaure«, sagte Diglfonk, »aber ich befinde mich nicht in deinen Augen, also kann ich auch nicht daraus verschwinden.«

13.

Atlan und Thalia – irgendwo in der Schwarzen Galaxis Das Licht wurde heller. Atlan hatte das Gefühl, aus einem Tunnel

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herauszuschießen. Vielleicht war es auch nur ein Vergleich, den er unwillkürlich zog. Immer noch konnte er seinen Körper nicht fühlen. Dafür spürte er jetzt die Nähe Thali­as.

Aus dem Punkt wurde ein Kreis. Das Dunkel wich nach allen Seiten hin. Ein Lichtblitz, dann das Gefühl, auseinanderge­rissen zu werden. Atlan schrie, und er hörte seine Stimme. Er empfand Qualen und Schmerz – und er hatte wieder einen Körper.

Er fühlte eine Hand auf seinem Arm. Das Licht war erloschen. Wieder umgab ihn und Thalia völlige Dunkelheit. Aber sie waren, lebten in ihrem Universum. Wo sie sich nun befanden, erschien dem Arkoniden im Au­genblick zweitrangig. Sie hatten festen Bo­den unter den Füßen.

Was war geschehen? Atlan erinnerte sich lediglich daran, an

Bord der KNIEGEN gewesen zu sein. Er sah die Scuddamoren-Schiffe vor sich, die Ener­giestrahlen, die auf die KNIEGEN zuschos­sen, die Überlastungsanzeigen der Schutz­schirme. Dann war nichts mehr. Allmählich gewöhnten sich die Augen des Arkoniden an die Dunkelheit. Er konnte jetzt einen kleinen silbern schimmernden Mond am Himmel er­kennen, am Mond des Planeten, auf dem er und Thalia sich befanden.

»Wo sind wir hier, Atlan?« fragte Thalia leise. Der Arkonide sah sich um. Ringsum­her sah er verschwommen schroffe Felskon­turen.

»Ich weiß es nicht«, sagte er wahrheitsge­mäß. »Ich habe ebensowenig eine Erklärung wie du. Wir müßten an Bord der KNIEGEN sein …«

»Aber wir sind es nicht, Atlan. Ich habe das Gefühl, daß irgend etwas mit uns ge­schehen ist.«

Atlan erging es ebenso. Doch je mehr er sich zu erinnern versuchte, desto mehr muß­te er erkennen, daß es keinen Sinn hatte.

Sie befanden sich auf einer fremden Welt – irgendwo in der Schwarzen Galaxis. Er spürte die Aura.

Da standen sie – zwei Verlorene ohne

Raumschiff und jegliche Ausrüstung. Alles, was sie besaßen, waren Thalias Raumanzug, Atlans Goldenes Vlies und die große Pleja­de.

»Es sieht so aus«, murmelte der Arkonide, »als müßten wir wieder ganz von vorn an­fangen.«

Und der Gedanke daran, was ihnen hier in dieser unheimlichen Umgebung bevorstehen mochte, jagte ihm einen Schauer über den Rücken.

* JENSEITS VON RAUM UND ZEIT

Leenia spürte, wie die Impulse von allen Seiten her auf sie eindrangen.

Aus ihnen sprach ein einziger Vorwurf. Dabei war sie es, die Vorwürfe zu machen hatte.

Wir hätten sie nicht im Stich lassen dürfen, dachte Leenia, an die anderen ge­wandt.

Wir haben sie nicht im Stich gelassen. Wir haben dich ein weiteres Mal zu ihnen geschickt, obwohl dir Gefahr drohte. Atlan wird beweisen müssen, ob er uns eine Hilfe sein kann.

Wenn wir ihn unterstützen, kann er es! Nein, Leenia, kam es von überallher. Du

wirst dich nicht noch einmal für ihn in Ge­fahr begeben, nicht ehe wir es für richtig halten – wir als Gesamtheit. Noch wissen wir nicht, wie du als Körperliche in der Au­ra des Bösen bestehen kannst. Erst wenn wir Gewißheit haben, können wir dich wieder schicken. Und es gibt wichtigere Aufgaben für dich, als auf den Sterblichen zu achten.

Stummer Protest, doch Leenia und Wommser wußten, daß Widerspruch jetzt keinen Sinn hatte. Beide Komponenten des Doppelwesens warteten. Alles war in Bewe­gung geraten. Entscheidungen standen be­vor. Und es war fast schon makaber, daß nicht sie, die für den Einsatz in der Schwar­zen Galaxis präparierte Leenia, die Dinge ins Rollen gebracht hatte, sondern ein Sterb­licher. Leenia und Wommser waren sich fast

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sicher, daß sie Atlan eines Tages wiederse­hen würden. Die Frage war nur, unter wel­chen Umständen.

E N D E

Weiter geht es in Atlan Band 415 von König von Atlantis mit: Herrscher von Ringtor von Peter Terrid