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1 RENE SCHICKELES POLITISCHES DENKEN UND DICHTEN by Roman N ahre becky j A thesis submitted to the Faculty of' Graduate Studies and Research in partial f'ullf'ilment of' the requirements !'or the degree of' Master of' Arts. Ilepartment of' McGill University, Montreal. August 1964.

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RENE SCHICKELES

POLITISCHES DENKEN UND DICHTEN

by

Roman N ahre becky j

A thesis submitted to the Faculty of' Graduate Studies and Research in partial f'ullf'ilment of' the requirements !'or the degree of' Master of' Arts.

Ilepartment of' Gennan~ McGill University, Montreal. August 1964.

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ABSTRACT

VORWORT

I. EINLEITUNG

INHALT

II. ZUR BIOGR~PHIE RENÉ SCHICKELES

III. PUBLIZISTISCHE SCHRIFTEN

A. Einleitung

B. Paziftsmus

c. Po1itischer Idealismus

D. Els!ssischer Patriotismus

E. Frankreich und Deutschland

F. Sozialismus Nationalismus Kammunismus

IV. DAS DICHTERISCHE WERK

A. Einleitung

B. Hans im Schnakenloch

C. Die Roman - Trilogie 11 Das Erbe am Rh.ein"

1. Maria Capponi

2. Blick auf die Vogesen

3. Der Wolf in der H'iirde

.. V. ALLGEMEINES UBER SCHICKELES DICHTUNG

VI. ABSCHLIESSENDE ZUSAMMENFASSUNG

Chrono1ogisches Verzeichnis der Werke

.Anmerkungen

Bibliographie

1

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13

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23

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35

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VOR~·JORT

Ich mBchte Herrn Professor Dr. Hans Reiss fiir

die Wahl des Themas, sowie f~r seine gdtigen Ratschl!ge

1

und wertvollen Hinweise, meinen besonderen Dank zum Ausdruck

bringen. Auch Herr Professor Dr. Arnim Arnold hat mir mit

gutem Rat zur LBsung verschiedener Fragen in liebanswHrdiger

Bereitschaft beigestanden. Ihm gehBrt auch mein herzlichster

Dank.

Meine Dankbarkeit mBchte ich zugleich dem

gesamten Personal der "Redpath Library",McGill University,

aussprechen. Das freundliche Entgegenkommen sowie die

st&ndige Bereitschaft und Mithilfe 1m Aufsuchen verschie­

dener unentbehrlicherUnterlagen verpflichtet mich auch

ihnen ~egenHber aufs innigste.

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I. EINLEITUNG

Durch die Verbreitung demokratischer, liberaler und

sozialistischer Ideale, blieb die Gestaltung der politischen

C':reschehnisse im neunzehnten Jahrhundert, nicht mehr eine aus­

schliessliche Angelegenheit der ffihrenden aristokratischen

Klasse. Obwohl in Staaten wie Deutschland, osterreich, Russ­

land, die Aristokratie ihre politische Herrschaft nicht ein­

gebHsst hatte, hatten auch die Intellektuellen (Schriftstel­

ler, Philosophen, Journalisten, Dichter) einen weitgehenden

Einfluss auf die-Gestaltung der politischen Geschehn1sse

jener Zeit. Schon 1m achtzehnten Jahrhundert hatten die dich­

terischen und philosophischen Schriften Leasings in Deutsch­

land, sowie die von Voltaire, Rousseau, Montesquieu und Dide­

rot in Frankreich, weitgehend zur Anderung des sozialen und

politischen Bildes Europas beigetragen. Goethes Streitbarkeit

gegen die Romantik, gegen den Kultus des Mittelalters, gegen

einen raffinierten Obskurantismus und gegen die politischen

Ideen der Romantiker, die in ihrem Bestreben eine nationale

EUltur zu f8rdern, in nationalistische Extremen verfielen,

sind Beispiele fdr den sich steigernden Einfluss des Dich­

ters und Literaten auf die politischen Geschehnisse seiner

Zeit. Die Kunst beginnt immer mehr Tendenztrlgerin zu werden

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und das politische Weltbild mitzubestimmen. "Seit 1789 ist

jeder Zeitwille auf die politische Wirklichkeit gerichtet.

Die Jung - Hegelianer; die grossen Sozialisten; Wienberg

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und Nietzsche: sie alle zielen auf Anderung des Weltzustan­

des, auf ein neues gesellschaftliches Dasein (oder wenigstens

auf seine Voraussetzungen oder Bruchteile)" 1, sagt Rudolf

Kayser in seinem Aufsatz 11 Aufru.f und Flamme".

Im 11 Jungen Deutschland" erkennen wir eine Gruppe

literaturrevolutionllrer Schriftsteller, die durch gleiche

Tendenzen zu einar literarischen Partei geeinigt, die Litera­

tur zum Mittel geistiger und politischer Erneuerun.g machen

wollte. Man klmpfte fHr die Verwirklichung neuer sozialrefor­

matorischer, politischer und ethisch-liberaler Ideen.

Der Realismus und Naturalismus haben diese

Bestrebun.gen weitergefHhrt. Man war nun bestrebt die Verflll­

schung der Wirklichkeit durch die Kunst naCh MBglichkeit zu

reduzieren. In trHben sozialen Bildern hatte das naturalisti­

sche Drruna die Mlngel einar bestehenden sozialen Ordnung,

sowie die llusserste sittliche Verderbnis enthHllt. Durch

diese krasse EnthHllung der sozialen Wirklichkeit wird eine

starke gesellschaftskritische Stimmung hervorgerufen und die

Frage nach sozialen Reformen in ein viel eindeutigeres Licht

gestellt. Der gesellschaftliche Raman verfolgt dieselben

Tendenzen.

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Die gesellschaftskritisehe Einstellung des

deutschen Dichters beginnt splter als in anderen Llndern

Europas {"Frankreich, England, Russland). Die se passive

Einstellung des deutschen Dichters zu den sozialen und

politischen Problemen seiner Zeit bezieht sich besonders

auf den deùtschen gesellschaftskritischen Raman. Wmhrend

in den franz8sischen und russischen Ramanen die Wechselwir­

kung desEinzelnen und der Gesellschaft untersucht wird,

steht der empfindsrune Held des deutschen Bildungsromans

gew8hnlich im Gegensatz zur Gesellschaft und der Schwer­

punkt des Romans liegt auf seiner individuellen geistigen

Entwicklung.

Zwar gab es schon frHher in der deutschen Li­

teratur starke politische und sozialkritische Tendenzen

( 11 Das Junge Deutschland"); eine entscheidende Wende bringen

jedoch erst die naturalistischen Dichtungen von Arno Holtz

und Gerhart Hauptmann.

Der Dichter, in seiner Stellung als Gésell­

schaftskritiker, beginnt auch in Deutschland an den Gescheh­

nissen seiner Zeit einen fmmer entscheidenderen Anteil zu

nebmen, und Thanas Mann ist vollkammen berechtigt, in seinem

Essay, "Der Dichter und die Gesellschaft ", folgende Frage zu

stellan: "warum sagt man nicht gleich •ner Ktinstler und die

Politik', da sich hinte~ dem Wort •Gesellschaftt doch das

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Politische verbirgt." Die Funktionssphlre, die Thomas Mann

dem Kfinstler einrf!umt, ist tiberha.upt eine. sehr weite, da fiir

ihn die politische Tf!tigkeit des K~stlers in der moralischen

inbegri.fi'en ist. "In der Welt des Lebens und der menschlichen

Gesellscha.ft ·", sagt Thomas Mann .ferner, 11ist das Schlechte,

Dumme und Falsche auch das B8se, nilmlich das Menschenunwilr­

dige und Verderbliche 1 und sobald der Kritizismus der Kunst

sich nach aussen wendet1 sobald er gesellschai'tlich wird,

wird er moralisch, wird der Kftnstler zum sozialen Mora -

listen. 11 2

Eine radikale Binstellung des Dich­

ters zur Gesellschai'tsretorm verlengt der Aktivismus, eine

sozial-revolutionlre geistige Bewegung,die wlhrend des Krie­

ges (1915) entstand. Das erste Manifest der vorprogrmDMati­

schen Phase dieser Bewegung schrieb Heinrich Mann 1m Jahre

1910. Es heisst : "Geist und Tat". Der Glaube an die Macht

des Wortes, die politische Aufgabe des Dichters, die kultu-..

relle Bedeutung des Literaten wird hier verkftndet. Nicht

die Kunst soll als oberster Wert gelten, wie es die Anhin-

ger der Theorie "1 'art pour 1 'art n verlangten, sondern

Politik und Moral sollen tftr den Dichter die Hauptthemen

sein. Die Hauptaufgabe des Dichters soll in der Verbesse­

rung der Welt bestehen. Er wird zur Stimm.e des 8ffentlichen

Gewissens, warner und Kritiker, Ankl4ger und Verteidiger,

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Volks~rtreter im besten Sinne des Wortes.

In seinem Manif'est: "Geist werde Herr" aus dem

Jahre 1914 schreibt Kurt Hiller, einer der Hauptmitarbeiter

der "Aktionn: nwir wollen IJndern, bessern, helf'en. Wir f'f!h­

len und denken nicht mehr psychologisch; wir f'Uhlen und

denken poli tisch" •••• Und an anderer Stelle desselben Ma­

nif'.estes: "Das psychologische Zeitalter ist voriiber, und

das politische begann. Wir werden nicht musisch sein, wir

werden moralisch sein; nicht betrachten, sondern bewirken;

Redner, Lehrer, Auf'kllrer, AufWiegler, Bdndegrdnder, Gesetz­

geber, Priester, Religionsstif'ter werden wir sein; wir werden

Propheten sein, wir werden Li teraten sein ••••• n 3

René Schickele stand zwar dem Aktivismus nahe,

geh8rte aber nicht zu KUrt Hillers Kreis. Er wurde splter

einer der :f'iihrenden Pers8n11chkeiten der "Clarté", die von

f'ranz8sischen und belgischen Literaten gegrdndet wurde und

auch aktivistische Ideen vertrat; verliess jedoch diese

Gruppe, a.ls er sa.h, da.ss sie eine a.usgesprochene pro­

kommunistische Richtung einschlug. ~ Rene Schickele besass einen ~beraus scharf'en

Sinn fdr das Politische von Na.tur aus. Dazu geh8rte er einer

Volksgemeinschaf't an, die um die Erhaltung ihrer kulturge­

schichtlichen werte zum politischen Kampf' prldistiniert er­

s.cheint; deshalb ist er auch an den politischen Ereignissen

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mehr interessiert als samancher seiner Zeitgenossen. Auch

muss noch dar umstand in Erwlgung gezogen werden, dass

Schickele seine literarische Lautbahn als Journalist begann,

jahrelang diese T!tigkeit, die ibm sein Lebenseinkommen

sicherte, fortsetzte, und sich erst splter der Ro.mandich­

tung zuwandte. Die journalistische T!tigkeit, die far einen

weniger talentierten D1chter zur Gefahr werden konnte, er­

m8glichte ibm einen tieferen psychologischen und sozio­

logischen Einblick in die Zeitgeschehnisse und f8rderte

das Interesse far seine Schriften.

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/ II. ZUR BIOGRAPHIE RENE SCHICKELÊS

René Schickele wurde am 4. August 1883 in

Auvernay (Oberehnheim) 1m Elsass geboren. Seinen Vater,

der Weingutsbesitzer.war, bezeichnet der Dichter in seinen

autobiographischen Notizen als "echten Els!f.sser", als

ndeutschsprachigen Alemannen"; seine Mutter, eine gabo­

rene Violard aus Altm!nster, war FranzBsin, so dass auch

8

die Muttersprache dès Dichters die franz8sische war. Deutsch

war nur Schickeles Schulsprache. Wie er selbst sagt, hatte

ihn das deutsche Lied (Goethe, Novalis, Heine, Eichendorff,

MBrike, Keller} zur deutschen Sprache verfdhrt, welche

sp!f.terhin auch zur Sprache seiner Dichtungen wurde.

Uber seinen llteren Bruder und die Verhllt-

nisse der Frunilie, in welchen sich das Schicksal der el­

slssischen Famille ~berhaupt, wiederspiegelt, sagt uns

Schickele f'olgendes: "Bis zu seinem viel zu :f"rfih.en Tod

hielt dagegen mein einziger Bruder, der ordentlioher Pro­

fesser und Direktor der gynikologischen Universitltsklinik

in Strassburg, seine Vorlesungen in franzBsischer Sprache.

Dn Kriege hatte er als deutscher Stabsarzt unserm Vetter

Antoine, dem franzBsischen Generaloberarzt, gegen~ber ge­

stand.en. So geht es in unsem Familien zu. Deutschland und

Frankreich berdhren sich so dicht, dass die Beteiligten sich

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oft selbst nicht mehr recht auskennen. 11 1

Das Gymnasium besuchte Schickele in Zabern und

Strassburg. Schon im Jahre 1896 (Schickele war druna1s drei­

zehnjib.rig} erscheinen manche seiner Gedichte und Rezensio­

nen in der Strassburger Li teraturzei tschrift "Der Els!l.sser".

Zwei Jahre sp!l.ter erscheinen einige Gedichte in der Berliner

Zeitsohri!'t ttDie Heimat".

nn Jahre 1901 immatrikuliert sioh Sohiokele sn

der naturwissenschaftliohen Fakultlt der Universitlt Strass­

burg. In demselben Jahr grtindet er die Zeitschri!'t nDer

Stifmer", die nur einige Monate erschien. Seine Mitarbeiter

sind: otto Flake, Ernst Stadler, Johannes Leonardus u.a.

Sein ers ter Gedichtband, nOie Sommernlchte 11 erscheint auch

in Strassburg im Jahre 1902 bei Ludolf' Beust. Nun geht

Sohiokele au!' die Wandersohaft,die er folgendermassen be­

sohreibt: "Die Universitlten Mtlnchen, Paris, Berlin sahen

mich !'lifchtig in ihren Rlumen au!'tauchen, splter folgten

Reisen durch ganz Europa, nach Griechen1and, Kleinasien,

Nordafrika, Indien. Es gab Jahre in denen ich keine Zeile

sohrieb, andre, in denen ioh monatelang nicht vam Sohreib­

tisch wegkam." 2

Dn Jahre 1904 heiratet Schickele Aenne Bran­

denburg und wird Redak:teur der Zei tschri.ft "Das Neue

Magazin" • 11Das Neue Magazin" bringt Bei trige von August

Strindberg, stefan George, Hugo von Hor.mannsthal,Riohard

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Dehmel, Arno Holz, Johannes Schla:f", Hermann Hesse, Otto •• Flake, Ernst Stadler u.a., sowie in Ubersetzungen Dichtun-

gen von Zola, Tsohechow, Baudelaire, Wilde u. a.

Die Naohfrage naoh dieser Zei tschrift war so

gross, dass sich Sohiokele auch finanziell an dem sichtlich

bl«henden Geschift beteiligte und sein ganzes Verm8gen darin

investierte. Aber schon im Januar des Jahres 1905 kommt es,

durch den Selbstmord des Hauptbeteiligten, zum finanziellen

Ruin dieses literarischen Unternehmens und Schickele wird

mittellos• Er erhlllt nun seine Famille durch Beitrige in

der Tagespresse, durch Theaterkritik und Übersetzungen. Um

diese Zeit beginnt auch die Freundschaft mit Heinrich Mann.

Im Jahre 1907 erscheint Schickeles erster Roman, "Der Fremde ",

und sein Stern beginnt zu steigen. Von einem Verlag nach

Paris geschickt, wird er daselbst zwei Jahre splter (1909)

Korrespondent der 11 Strassburger Neuen Zeitung" und 1m Jahre

1911 ihr Chefredakteur. Wlhrend seines Pariser Aufenthaltes

beendet Schickele den Gedichtband nweiss und Rot" und schreibt

die Erzllhlung "Meine Freundin Lo".

Die journalistische Tltigkeit wird aber Schickele

mit der Zeit zuwider und er ~bersiedelt im Jahre 1913 nach

F~rstenberg (Mecklenburg). Hier wird er Mltarbeiter der

li terarischen Zei tschrift "Die weissen Blltter", herausge-

geben von Erik Ernst Schwabaoh und Franz Blei. Am Anfang des

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Jahres 1914 unternimmt Schickele mit einigen Freunden eine

Reise nach Indien ~ber Griechenland und Agypten. Dn Dezember

desselben Jahres Hbernimmt er in Berlin die Leitung der

"Weissen Blltter", da Schwabach und Blei eingezogen werden.

Da die "Weissen Blltter" in erster Linie die Dichtungen der

Expressionisten f8rderten, wird Schickele als eine der

fHhrenden Pers8nlichkeiten des Expressionismus angesehen

und in ganz. Deutschland bekannt. Wegen ihrer pazifistischen

Einstellung stossen die 11Weissen Blitter11 im kriegfHhrenden

Deutschland auf immer grBssere Schwierigkeiten und Schickele

sieht sich gezwungen mit ihnen im Jahre 1916 in die Schweiz

zu gehen.

In der Schweiz blieb Schickele bis 1919. Er ~ber­

siedelte dann nach Uttwil am Bodensee und von da (1920) nach

Badenweiler,wo er f~r die nichsten zwBlf Jahre anslssig wurde.

Uber seine neue doppelte Eigenschaft,als franz8sischer Staats­

angeh8riger und deutscher Dichter,schreibt Schickele in sei­

nan autobiographischen Notizen: "Von meinem Schreibtisch

blicke ich ~ber den Rhein in meine Heimat, das Elsass, und

wenn ich hinftberfahre, zftcke ich an der Grenze, die seit

1918 wieder der Rhein bildet, einen franzBsischen Pass.

Trotz des franz8sischen Passes bin ich Mitglied der Sektion

fftr Dichtung an der Preussischen Akademie der Kftnste in

Berlin, kurz: Deutsche Dichterakademie genannt. ir 3

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In Badenweiler schrieb Schickele die Roman-Trilogie

"Das Er be am Rhein", den Roman n Symphonie ftir Jazz 11 und das

Zei tbuch 11 Die Grenze 11 .,

Beunruhigt durch das stlndige Wachstum des National­

sozialismus, beschloss Schickele Deutschland zu verlassen. Dn

Jahre 1932 Hbersiedelte er nach Sanary-sur-mar (Frankreich)~

wo er sein Meisterwerk, den Roman "Die Wi twe Bosc a" schrieb.

Nach zwei Jahren kam er nach Nizza, wo der Roman 11 Die Flaschen­

postn entstand.

Im Jahre 1938 ~bersiedelte er aus gesundheitlichen

Gr-linden nach Vence (Siid:frankreich) wo er am 3l.Januar 1940

starb.

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III PUBLIZISTISCHE SCHRIFTEN

A. EINLEITUNG

Eine umrassende Deutung von Schickeles po­

litischem Denken ist nur m8glich~wenn man seine publizisti~

sche Schriften und sein dichterisches Werk als Quellen

heranzieht. Wertvolles Material liefern auch die Tagebtlcher

und die Briefe. In seiner Publizistik werden politische

Probleme der Vergangenheit und seiner eigenen Zeit kritisch

behandelt. Besonders nahe liegt Schickele die Kritik an

der Mentalitit und an der ethischen Einstellung der men -

schlichen Gesellschaft.

In den Romanen finden wir die Welt des Guten

und des B8sen veranschaulicht.Die Helden seiner Romane sind

Exponenten seiner politischen Anschauung; sie erscheinen

als Inkarnation entweder des guten, friedlichen, gerechten,

oder des von einer ~alachen Ideologie besesaenen, ehrgeizi­

gen, oder politisch korrupten, Menschen. Diese auf der cha­

rakterlichen Gegensitzlichkeit der Helden beruhende Betrach­

tungaweise der Gesellschaft gibt dem Leser die M8glichkeit

sich eine konkrete Vorstellung von dem zu machen~ was Schickele

im idealen Sinne eine "europiische Gesellschaft" genannt

hitte.

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zu den publizistischen Schrirten gehdren die

Essays, die Aursâtze und die Reden.

In den Essays, welche den grasserén Teil seines

politischen Schrirttums darstellen, berasst sich Schickele

mit vergangenen und zeitgemâssen Problemen. Sie erscheinen

in solcher chronologischen Folge:

11Schreie aur dem Boulevard" 1909

11 Die Genrer Re ise" 1916

"Wir wollen nicht sterben11 1916

"Die Grenze" 1934

11 Himrnlische Landschart" 1935

Das erste dieser Bdcher, "Schreie aur dem

Bouleward", enthllt in der Gesamtausgabe von Schickeles Wer­

ken, unter dem Titel "Werke in drei Blnden", herausgegeben

1959 von Hermann Kesten, siebzehn Essays, "Die Genrer Re ise",

neun Essays, "Wir wollen nicht sterben 11, drei Essays, "Die

Grenze 11 , acht Essays, "'Himmlische Landschart", siebzehn

Essays. Die ersten dieser drei Essay-Bâcher erschienen im

Jahre 1922 zus&mmengerasst, mit einem Vorwort des DiChters.

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B. PAZIFISMUS

Die Vielfalt der Politischen Ideen, die in den

dichterischen und auch in den essaystischen Schriften Schickeles

zum Ausdruck kommen, haben eine gemeinsrune Basis einen Gene­

ralnenner. Dieser Generalnenner heisst bei Schickele :

Pazifismus oder Ausschaltung jeglicher Gewalt. Wie fHr viele

Schriftsteller seiner Zeit - Heinrich Mann, Thomas Mann,

Stefan Zweig, Romain Rolland (um nur einige zu nennen) - hat

auch fHr Schickele die Gewalt ihren primâren Ursprung in den

dunklen, triebartigen, gefHhrichen Anlagen des menschlichen

~vesens. Die Gewal t kann nach Schickele nicht geistigen Ur­

sprungs sein, denn If ••• was in der Welt, kann der (}eistige

anders wollen als den Geistt Der Geist aber ist der uralte

Antipode der Materie, des dunkeln Triebes, der Gewalt. Also

kann er , natHrlicherweise, nur ein Ziel haben: dass die

Gewal t aufh8re 11• • •

1

Jade AusHbung der Gewalt, ja sogar die Absicht,

die zur Gewalt~us~bung ~t, ist gefihrlich und verderblich.

Nur das .pazifistische, auf Frieden und Nachsicht gerichtete

Verhalten des Menschen wirkt aufbauend, schafft Tradition

und Kultur. Wenn die Gewalt grunds4tzlich nur durch Gewalt­

anwendung beseitigt werden soll, so wird sie neue Gewalt -

taten hervorrufen. Die geschichtlichen Fehler der verschie-

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denen VBlker sollen nach Schickele nicht durch verderbende

Strafmassnahmen geahndet werden, denn ein derartiges Vor -

gehen wdrde nur Bitternis und Rachsucht hervorrufen und

somit neue Ringe in die Kette der geschichtlichen Verge -

waltigungen schmieden. Ein Pazifismus, der s·eine zwe_cke

durch gewalttdtige Mittel verwirklicht oder sichert, ist

(obwohl er oft 11konsequenter Pazifismus 11 genannt wird) nur

Anfang eines neuen Militarismus. Als der "Amerikaner" im

Essay "Gesprl!ch mit einem Amerikaner" die Vorteile des

11konsequenten Pazifismus", der auf nlebendige Tat" (Gewalt­

anwendung) eigestellt ist, hervorhebt, antwortet ibm

Schickele: "So hat der Militarismus bei allen VBlkern be­

germen. 11 Und auf die Frage: "Wtirden sie einem Haufen be­

waffneter Einbrecher mit blossen Hlinden entgegentreten?"

antwortet er: "Mit ihrert vlaffen n[h:me ich den Geist ihrer

Waffen an. 11 2

Der militirische Sieg, der nur durch Gewalt

erzwungene und diktierte Friede, sind ftir Schickele nicht

~ie geeigneten Mittel, um ein dauerndes, _gutes Einvernehmen

zwischen den VBlkern zu gewmlrleisten. ·Ein deratiger Friede

trigt in sich den Stachel des Resentiments und somit den

Keim zu spi!terem Ubel, denn "der mili1Lirische Sieg, j~der

militirische Sieg kann nur dasselbe sein wie der Krieg,

und eine Niederlage, statt der Entscbeidung, wiederum nur

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eine Fortsetzung des Krieges. So gewiss ein Urwald aus

eigener Kraft keine menschliche Ordnung hervorbringt und

der Mensch nur auf dem Boden leben kann, den er dem Ur -

wald abgerungen hat, wo er den Urwald vor seinem, des

Menschen BedHrfnis, hat verschwinden lassen, ebenso kann

der Friede nur dort entstehn und gedeihen, wo der Krieg

wahrhaftig beseitigt ist und auf freiem der Mensch sich

3 behauptet. n

Kriege und Revolutionen k8nnen nach

Schickele der Gewaltanwendung kein endgtiltiges Ende brin-

gen, denn sie wenden ihrerseits Gewaltmittel an. Sie ver­

wandeln den rachsHchtigen Menschen in eine Bastie, die

spgter von einer anderen rachsHchtigen Bastie angegriffen

werden wird. Die entgdltige Revolution auf die Schickele

ho.f:ft ist folgender Natur: "Ich hoffe auf eine Revolution

gegen die Bestie, und das kann keine Revolution sein, die

die Bastie gegen die Bastie losl!sst. Wer auch von den

beiden siegte, es w!re immer die Bastie. Ich hoffe auf

eine Revolution, durch keine andere Gewalt als die der

Herzen, der Uberredung und des frohen Beispiels. Icb sage:

hitten wir die paar tausend Jahre, die wir mit Massakern

zugebracht haben, auf die Vorbereitung dieser einzigen,

wirklichen, endgHltigen Revolution verwandt, wir wlren

sc hon lange iiber den Berg. " 4

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Schiekeles Wertung seiner zeitgen8ssischen

gesellschaftlichen Ordnung und der menschlichen Beziehun­

gen tiberhaupt ist eine durchaus negative. Das menschliche

Tun ist nach ibm auf Raub und Vernichtung des Mitmenschen

gerichtet. Nur eine radikale, innerlich - Hluternde Umstel­

lung des Henschen ,durch Anerkennung hoher ethischer Prin-·

zipien, kann die Wendung zum Guten bringen: 11Heute und mor­

gan k8nnen wir nichts besseres tun, als uns zu reinigen und

uns ftir die Zeit vorzubereiten, wo wir etwas tun k8nnen,

ohne dass es sich, tiber tausend kleinen Transmissionsridern,

in Raub und Todschlag verwandelte. Die ganze Erde ist eine

einzige auf Mord eingestellte Maschine, sie produziert nichts

anderes als Vergewaltigung, sie kann nichts anderes hervor­

bringen als Gewalt. " Die Gewalt und den Mord kompromisslos

zu beklhnpfen ist ftir Schickele ein 11kategorischer Jinperativ 11,

das hBchste moralische Go bot, denn nwer nicht gegen die Hin-

richtung Ludwigs XVI. oder gar gegen die Dantons gestimmt

hat, der hat zu schweigen, wenn Robespierre gek8pft wird. 11

"Es gibt einen unverrfickbaren, einen absoluten Punkt in

unserm Lebensplan", sagt Schickele wei ter, "die Weigerung

zu t8ten. 11 5

Eines der Hauptziele seines politischen

strebens ist die Gewihrleistung elnes anhaltenden Friedens.

Nur der Friede erm8glicht dem Menschen eine freie und

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dauernde :Entfaltung seiner geistigen KrHfte. 11 Sorgt .ftir den

Frieden. 11, mahnt Schickele. "Glaubt, es gibt wenige, die

far diese Mission in Betracht kommen, und Gott weiss, ob

man sie n8tig haben wird. Denn sie, die diesen Krieg fdh-

ren, werden ewig unfâhig sein, den Frieden herbeizurdhren.

Sie k8nnen nur einen Waf.fenstillstand schliessen." 6

Nur eine politische Weltanschauung, die au.f

Nachsicht, Verstlndnis und einer gerechten Einschitzung

der Forderungen des politischen Gegners beruht, kann zu

dauernden pazi.fistischen Zielen fHhren. Dazu geh8rt eine

au.fbauende, zielstrebige, idealistisch-positive Einstellung

des Menschen:

"Menschen mit einar nur negativen Einstellung k8nnen nicht gemeinsam handeln, weil es kein negatives Ideal gibt, das Gemeinscha.ft bil -dende Kra.ft beslsse. Die Negation gebiert neue Negationen, die einander sektiererisch abhetzen. Ich nenne das politischen Protestantismus. Der Protest kann schw!chen - das geh8rt zur Kriegs.fdhrung -, aber er bleibt un.fâhig, eine neue Gemeins&mkeit zu erzeugen, die stark genug w!re, die alten, m8rderisch verbissenen Gemeinschaften in sich au.fzunehmen und zu vers8hnen. Und da·s alle in wlire der Friede." 1

Ob eine liusserst passive Einstellung (im Sinne

des physischen Widerstandes) gegentiber jederHacht- oder

Gewal tanwendung unbedingt zweckmlissig erscheint und mit

strengster Konsequenz durchge.ftihrt werden soll (wie es

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Schickele verlangt), ist eine Frage, die offen bleibt,

denn die Geschichte weist genHgend Beispiele auf,dass

gewissen Machthabern, die sich zum Ziel die Versklavung

der Menscbheit gewâhlt hatten, nur durch Gegengewalt

begegnet werden konnte. Die Ereignisse in Deutschland,

im Jahre 1933 und spiter, haben deshalb auch Schickele

20

vor ein Dilemma gestellt; er scheint seine frHhere,schein­

bar unerschHtterliche Einstellung, wenn auch vielleicht

vorHberginglich, revidiert zu haben. ]m Dezember 1933

schreibt er in dem Aufsatz, "Weihnachtswunsch" ,folgendes:

"Die radikalen Pazifisten aber, die zu jedem Preise berei t wliren, so hoch er sei,. wenn er nur den Frieden erhalte, mBt;en bedenken, dass es Preise gibt, die nur genannt werden, um den Gagner zu zwingen, sie abzulehnen. Von dieser Art war das Bsterreichische Ultimatum an Serbien im Juli 1914 und das Ansinnen Deutschlands im gleichem Monat, Frankreich mBge als Be­weis seiner Friedensliebe seine wichtig­sten Festungen von deutschen Truppen be­setzen lassen. • ••••. ~uch den Tolstojanern (wie sie sich auch nennen m8gen: Christen, Qu.Hker, Gewissens­verweigerer usw. ) beginnt es zu d§.mm.ern, dass kein Recht zu bestehen vermag, wo die Macht fehlt, es zu schHtzen. Beweis: die Haltung der englischen Pazifisten (die beinahe die Volksmehrheit sind) angesichts des abessinischen Konfliktes. 11 8

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C. POLITISCHER IDEALISMUS

Im Vorwort zum dritten seiner Essay-Bdcher:

"~·lir wellen nicht sterben", das in einer Gesamtausgabe

21

mit den schon erschienen Btichern "Schrei auf dem Boulevard"

und "Die C":renfer Re ise 11 herausgegeben wurde, sagt Schickele:

"Der Verfasser hâlt da:Nir, dass er mit die sem dri tten, die

Trilogie seiner ZeitbHcher abschliessenden Buch das wich­

tigste Ergebnis aines jeden Seelenkampfes errungen hat:

Gewissheit und Lebensmèlglichkeit im Ideal. 11 9

Die Behandlung der sozialen und politischen

Probleme, ist bei Schickele stark idealistisch gefârbt.

In diesem Sinne muten seine Schriften fast romantisch an.

Eine Weltordnung wird angestrebt, die im realen Leben

seiner Zeit praktisch unerreichbar war, und darum nur als

angestrebtes Ideal vorstellbar ist. "Wir haben nur eine

Au:fgabe 11 , sagt Schickele, 11und die bleibt uns unter allen

umstânden: daf~r zu sorgen, dass das Ideal, und wenn auch

nur bei hundert, wenn nur bei zehn Menschen, nicht in Ver­

gessenheit gerate. Die Liebe lieben1 Ho:ffen, und w!re es

nur, dami.t die Hoffnung am Leben bleibe. GlaubenJ Und wire

es nur, um nicht zu verzweifeln ••• " 10

Es handelt sich bei Schickele um das Ideal

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des geistigen Menschen, denn das Ideal, die idealistische

Einstellung ist mit dem Geist unzertrennbar: 1~ir Geisti­

gen k8nnen weder mit Paraden, noch mit Staatsstreichen,

mit keinem Schaust~ck irgendwelcher Art k8nnen wir aufwar­

ten. Wir gehn, in tiefster Stille, den unabsehbaren Weg

der .rvrenschenverwandlung. • •• unser Schicksal wirkt im

Traum von dem, was wir, ganz, vielleicht in tausend Jah-

ren sein werden: Menschen. Wir wdrden es nie, verliessen

wir diesen Traum, vergissen wir jene lautlose, gerade

Strasse, f!nden wir nicht dort nach jeder Aktion unsre Ka-11 mer aden wieder ...• n

22

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23

D. ELSASSISCHER PATRIOTISMUS

Im Elsass, das Schickele als seine eigent -

liche Heimat betrachtete - denn an Deutschland oder Frank­

reich hatte er sich niemals politisch verkauft - erblickte

Schickele eine Miniatur des alleurop!ischen Staates, der

ibm wahrscheinliah als Idealstaat vorschwebte.

\venn man von einem els!ssischen Patriotismus

bei Schickele spricht, oder sprechen darf, so soll dies

mehr im Sinne einer Volkszugeh8rigkeit verstanden werden.

Seine Anh!nglichkeit an die els!ssische Heimat hat nicht

das geringste mit einer nationalistischen Einstellung,

auch der temperiertesten Art, gemeinsam. Es handelt sich

eher um einen lokalen Patriotismus, der aus einem GefÜhl

der Emp8rung gegen den, durch den Verlauf der Jahrhun -

derte ausgeübten deutschen und franz8sischen Nationalis­

mus, hervorgerufen wurde.

Schickele glaubt an den els!ssischen Men -

schenschlag, an das els!ssische Land, das, im Laufe der

Geschiéhte immer wieder zum Streitgebiet zwischen Frank­

reich und Deutschland wurde. Das els!ssische Volk hat

der Assimilierung widerstan.den und sein kulturpolitisches

Antlitz gewahrt. Als Motto zu seinem Essay "Das ewige Elsass,"

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stellt .er die Worte von Maurice Barrès: "Die elsissische

Wurzel wird i:m:rner wieder ausschlagen. 11 , eine Behauptung,

die auf die Eigent~lichkeit und das Wiederaufleben des

elsissischen kulturellen Erbes hinweist.

24

Fdr Schickele sind die Elsisser ein Menschen-

schlag, der voller Humor und Lebenslust einer Lebensphi -

losophie huldigt, die fdr alle V8lker vorbildlich sein

k8nnte: das Verlangen nach Frieden und Lebensfreude.

Die Lebensau.ffassung des Elsissers wird uns von Schicke·le

folgendermassen beschrieben: nsie bilden eine einzige,

~rosse Schelmenzunft, maine Elsisser, und wenn man es sich

recht dberlegt, konnten sie wirklich nichts besseres tun,

als sich ihrer guten Laune zu wehren. Sie haben nie einen

eigenen staat ~ebildet, sind nie ihre eigenen Soldaten

gewesen, ihre Sonderart ist ebenso bestindig wie schwer

.fasslich für den Fremden, der als Eroberer zu ihnen kommt,

wihrend arglose Zugewanderte ihr auffallend schnell erlie-

gen. 11 12

In ergreifenden, wehmHtigen Worten wird

uns zugleich die Trag8die des els~ssischen Volkes geschil­

dert: "Ich liebe sie zirtlich, maine Elsisser, von denen

jede Generation mit blutigen K8pfen von einer .fremden

Walstatt heimkehrt, und die ihre Toten auf allen Schlacht­

feldern Frankreichs und Deùtschlands liegen haben. 11

l3

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Schickele griff die T.hese des Basler Germa-

nisten Hoffmruan- Krayer au~ und behauptete, dass die el­

sMssische Kultur als Synthese, als Resultante zweier Kul­

turen anzusehen sei: der âlteren franz8sischen (damals

gallo-r8mischen) und der frlhlkisch-alemannischen. Es habe

immer ein Elsass bestanden, meint Schickele das niemals

ganz franz8sisch, niemals ganz deutsch war, und seine kul­

turelle Eigenart, seit seiner Entstehung, bewahrt hat.

Dieser geschichtliche Vorgang wird von Schickele folgen -

dermas sen ge schildert : n Aus dem Nor den konnnen Franken

und vermischen sich mit den Alemannen, und dieser ale -

mannisch-frânkische Stgmm ist bis auf den heutigen Tag

nicht verdrMnp;t worden. Ein frânkisch-alemannischer Di.alekt

bildet die Sprache der Elsisser. Glaubt aber nun jemand,

dass die Flut der alemannischen Invasion die iltere gallo-

r8mische Kultur restlos begraben habe? Aber wie dem auch

sei - bereits rdckten von Sdden die K18ster heran, von denen

Taine so anschaulich sehildert, wie sie Schritt um Schritt

die strategischen Stellungen bezogen, die das niederbrechen-

de R8mische Reich hatte aufgeben mHssen. Was sie mitbringen,

ist, wenn auch in weltneuem Geiste, wiederum r8mische Kultur:~ So wurde eine neue Kulturgemeinschaft ge -

schaffen, die sait ihrer Entstehung den Stempel der lokalen

Eigenttimlichkeit trti.gt; die Kunstwerke, welche in dieser

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Kulturgemeinschart entstanden, tragen ein unverkennbar

els!ssisches Gesicht.

Uber den elslssischen Dichter Gottfried

von Strassburg wissen wir, sagt Schickele, lldass er ein

Stutzer war, der sich gern in welscher Gesellschaft be­

wegte, auch seine Dichtung wurde 8stlich des Rheins als

•arg verwelscht' empfunden- und schrieb doch ein so

herrlich schlankes Deutsch und rand T8ne von ·so leiden-

schaftlicher Innigkeit, wie wir sie erst wieder bei

Goethe vernebmen werden. u l.5

26

Am Leben und Werk dieses grossen elslssi-

schen Diehters erkennen wir also den Einfluss der beiden

Kulturen. "Die elsissische Wurzel wird immer von neuem

ausschlagen H, sagt Schickele wei ter, naber bedenkt wohl:

es ist eine doppelte wurzel." 16

Beide Kulturen (sowohl die franzBsis~he,

als auch die deutsche) sollen, nach der Ansicht Schickeles,

im Elsass auf die intellektuelle und geistige Entwicklung

der elslssischen Jugen~ einwirken. Nur auf diese Weise kann

das kulturnationale Gesicht des Elslssers erhalten werden.

Schickele sagt: "Gewiss sollen die jungen Ge schlechter

Franz8sisch sprechen, von Frankreich wissen, was die ande-

ren Franzosen wissen, sollen, mit einem Wor~ Franzosen sein.

Niemand wünscht, Elsass-Lothrigen als ein ziemlich verwahr­

lostes Ghetto zu erhalten und in solcher Gestalt, wie in

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. '

27

Frankreich bei edeln, aber ausser Gebrauch gekommenen Ge­

b§ulichkeiten ~blich, als nationales Denkmal zu sch~tzen • . Aber es kann und soll gleichzeitig sein deutsches Erbe

wahran. u l7

Die angerdhrten Zitate stammen aus dam Essay

rrnas ewige Elsass", ain Essay, das eine Zentralstellung in

Schickeles Volkstumbekenntnis einnimmt. Es ist zugleich

ain Versuch die politische und kulturelle Eigenart sowie

die Sonderstellung seines Landes geschichtlioh zu beg~n­

den und zu legitimieren.

Der Els!sser kann nach Schickeles Ansicht

keine politisch-passive Haltung einnehmen, weil der poli­

tisohe Druck, der von Seiten Deutsohlands und Frankreichs

im Laure der Gesohiohte ausge~bt wurde, ihh zu einer reak­

tioniren Haltung gezwungen hat. Vor dem ersten Weltkrieg

wurden die Elsisser als eine Art von abtrdnnigen Deutschen

ange.sehen. 11Nach dem Krieg n, sagt Schickele, "hiess es, die

Els!sser seien waschechte Franzosen,aus der Familie der

Kelten, ihr Dialekt ein verkdmmertes und bastardiertes

Keltisch ••••• Jeder Els!sser in der deutsohen Uniform sei

in ~iirklichkeit ain Verrl!ter und Spion gewesen, weshalb es

ganz in der Ordnung gehe, wenn die Denkml!ler ihrer Gefallenen

mit Redan rranz8sisoher Generile, ùnter der Kl!ngen der

franz8sischen Nationalhymne eingeweiht wHrden. Niemand

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schien zu bemerken, dass eine solche Aurrassung der Infa­

mierung aines ganzen Landes gleichkam. 11 l8

Der stl!ndige poli tische Druck der franzéJsi-

schen Regierung in den Nachkriegsjahren, erzeugte einen

zustand der "an Psychose grenzte "• Eine spontane Reaktion

der Elsl!sser musste folgen. Sie folgte auch, und als am

Weihnachtsabend des Jahres 1927 die franzBsische Polizei

einige elsissische Autonomisten verhaftete, verfehlte

diese drastische Massnahme ganz ihren Zweck. Dem wachsen-

den Druck der franz8sischen Regierung stellten nun die

elslssischen Autonomisten ihren festen Entschluss entge­

gen, sich mit allen gesetzlich gebotenen Mitteln zur Wehr

zu setzen. Der Prozess, der den Autonomisten gemacht wur-

de, konsolidierte ihre Position.

Schickele stellte sich auf die Seita der

Autonomisten, da er die kulturpolitischen Rechte seiner

Landsleute bedroht sah. Es wAre jedoch ganz verfehlt, sei-

ne Einstellung als revolutionAr zu betrachten; ganz im

Gegenteil, es ist eher ein verzweifelter Versuch, den El­

slssern eine fraie und gesicherte Existenz im Rahmen des

franzBsischen Staates zu sichem. Schickele sagt:

'tretzt muss Frankreich schon versuchen, diese Autonomisten, die gar nicht von Frankreich los wollen, sondern nur in· Frankreich ihr Leben und Gedeihen fin-

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den, mit andern Mi tteln zu zllhmen als mit Ansohnauzereien und Polizeisohikanen. Dn Geriohtssaal hatten sie den Freispruch der Gesohworenen mit' 'vive 1 'Alsace und vive la Franohe-Oamté (sie sind ja Regio­nalisten) begrdsst.Die Folge war, dass man ihnen auf der Stelle sagte: 'Oe sont des boches, ils n'ont pas crié Vive la France. r Die Pariser Presse wiederholte es mit Lautsprecher. Ja, was soll man sagan? Sie bringen es nicht mehr ~ber die Lippent Und jetzt drdcken sie sich nicht mehr vor der Gebetm:iihle. Sie beklfmpfen sie. Sie wollen ihr ehrliches Gesicht wahran d~rfen. Sie sind es leid, in einar KomBdie mitzuspielen, in der sie nur den Hanswurst abgeben. Sie wollen loyale Franzosen sein, die ein deutschsprachiges Land bewohnen, und wei ter nichts." 19

E. FRANKREIOH UND DEUTSCHLAND

29

Die Einstellung Schickeles zu Frankreich und

Deutschland ist im allgemeinen von Geftihlen der Bitternis

und der erlittenen nationalen Dem~tigung gekennzeichnet.

Seine Ausserungen in den Essaya, Reden und Aufsitzen sind

meistens von einem starken Ressentiment gegen~ber diesen

zwei Staaten begleitet. Dieses Ressentiment lRsst sich

als "roter Faden" in der kulturgeschichtlichen Entwick -

lung des elsissischen Volkes verfolgen und nimmt m~t dem

wachstum und den imperialistischen Bestrebungen beider

Nationen (Frankreichs und Deutschlands) an IntensitHt zu.

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Immer wieder wird das els!ssische Land von diesen Staats-

kolossen, auf Grund der verschiedensten Vorwinde bean -

sprucht und abwechselnd einem starken, auf Assimilierungs­

zwecke gerichteten, ku1turel1en und po1itischen Druck unter­

ste11t. Die Regierung der Dautschen zwischen 1871-1918

wird von Schicke1e a1s besonders hart und 1istig geschi1-

dert. Seine Emp8rung fiber diese gewa1ttltige Herrschaft

bringt Schicke1e im 1\ufsatz nsti11e Betrachtungen nach

den Za.berner Ta.gen ", anHiss1ich der mi1i taristischen Aus­

schreitungen der Deutschen in der Stadt Zabern (1913-1914),

zunAusdruck. Der Aufsa.tz erschien in der von Schicke1e ge-

1eiteten Zeitschrift 11 Die weissen· B1itter 11 in Zürich im

Ja.hre 1917.

Dia deutsche Herrschaft wird von Schickele

in a11egorischer Form dargeste11t: 11 Seit vierzig Jahren

wohnt, bis tf.ber die Augen bewaffnet, ein rothaa.riger lfoloa.s

in diesem Land, er hockt auf dem Rand der Vogesen, um sei­

ne grobgestiefe1ten Beine in der Ebene, die Rebhfigel hin-

a.uf kommen und gehn die Jahreszeiten. Er drdckt auf das

kleine Land wie auf die Mitte einer riesigen Schauke1 - ja,

und das ist denn auch das berdhmte europ!ische G1eichgewicht.

Und es geschieht'wenig in der We1t und nichts Wichtiges,

ohne dass man hier, wo des Ko1osses Stiefe1 stehn, ein

1eises oder hartes Schwanken spürte." 20

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Deutschland ist f~r Schickele als Staat rast

immer die Verk8rperung der milit§.rischen Jl.iacht, die rohe,

ungestHme Gewalt, im Gegensatz zu Frankreich, wo die Macht

in zivilisatorischer Tarnung auftri tt: 11 Fast je der bedeuten­

de Politiker der Republik erlebt einmal seinen Napoleons -

tag, wo die 'Stimme des Volkes' ihn zum Staatsstreich auf-

zukitzeln scheint. So sehr die Franzosen plumpe Brutali -

t!t verabscheuen, so sehr lieben sie die schmiegsrune Hber­

legene Kraft, die Kraft mit den gescheiten Augan und dem ' 21

ge lehrten Handge lenk. 11

Im Aufsatz ttLeben ohne Inquisi tian", eine

Schrift in der sich Schickele gegen einen aufkommenden

franz8sischen Natiorralismus wendet, gibt uns Schickele eine

vortreffliche Charakterisierung des stark national einge -

stellten franz8sischen Btlrgers: 11 Der franz8sische B~ger,

in vielem der legitime Abk8mmling eines Ronsard, eines

Voltaire, ebenso liebenswfirdig wie aufgekl!rt, hat eine

Vorliebe ~r die nationale Gebetmdhle. Obne das C~râusch

dieser GebetmHhle ist keine Rede zwischen Rhein und Pyren!­

en denkbar. Er glaubt nicht mehr an Gott, dafHr um so hitzi­

ger an die Trikolore, und er, der jeden Sarg g~sst, worin

einer dahin geht, der alles in allem seinesgleichen war,

grHsst genauso die Fahne, die von den Kriegern und ihren

Mordwaffen einhergetragen wird. 11 22

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Schickeles hHurige Bitterkeit, sein Ressen-

timent gegenHber Deutschland und Frankreich k6nnte leicht

missverstanden werden, wenn man sie immer auf das ganze

Volk dieser Linder beziehen wollte. Schickele liebt die

Deutschen und die Franzosen, er widersetzt si ch blos s ~e~n

die politische Kurzsichtigkeit und Intoleranz, die zuwei -

len bei diesen V81ker.n zum Durchbruch kommen. Oft handelt

es sich (besonders was Frankreich anbelangt) um Tatsachen

und Massnahmen die eigentlich nur eine Angelegenheit der

jeweiligen Regierungen sind und somit nicht generalisiert

werden sollen. Hermann Kesten hat Schickeles Einstellung

gegenHber diesen zwei V81kern folgendermassen beschrieben:

11 Schickele, ein poli tisierender Romancier, liebte die Franzosen und die Deutschen auf seine weltbHrgerliche Weise, er liebte ihre eigent~liche Provinz, er malte mit gleicher Liebe und Kunst das Elsass und die Provence, aber mit demselben verliebten Witz auch die HauptstHdte Paris und Berlin. Er empfing von den Deutschen ihre schweifende Sprache und den grotesken Zug ihres Gem~ts und die sonderbar absurden phantastischen Launen. Die Franzosen gaben ibm ihre ordentliche Anmut, ihren bereiten Esprit, ihre bequeme Frivolitit und ihre heitere Vernunft. Er liebte den Frieden, ein Menschenfreund, und bewies es im Krieg und Frieden, sogar scbweigend, wenn das Niedertrlchtige zu laut trommel te. 11 23

Nach dem ersten \veltkriege war Schickeles

Isolierung von Deutschland vom stHndigen Wachstum des Natio­

nal-Sozialismus bestimmt. Seine Ansicht über das Nazi -

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Deutschland entspricht einer Aussage Albert Einsteins aus

dem Jahre 1933, die Schickele in sein Tagebuch eingetra­

gen hat: 11 ••• Er (Einstein) wolle nicht in einem Staate

bleiben, in dem die Individuen nicht gleiches Recht vor

dem Gesetze h~tten sowie keine Freiheit des Wortes und

33

der Lehre zugestanden werde. Er halte den jetzigen Zustand

in Deutschland .fiir eine psychische Erkrankung der Massen.n24 Auf den endgtlltigen Bruch mit Deutschland

folgt die AnnAherung an Frankreich, ein Land in welchem

die individuellen Rechte des BHrgers nicht zur leeren

Phrase geworden waren. zu dieser Haltung Schickeles sagt

Hermann Kesten: 11 Wer versttfnde da nicht den physischen

und geistigen Fluchtversuch des Poeten, den die edelsten

Deutschen gebildet, die rohesten abgestossen haben?" 25

Seine Anlehnung, seine politische Zuge -

hBrigkeit an Frankreich hat Schickele im Essay 11 Le Retour"

( 11 Die Heimkehr") zum Ausdruck gebracht. Es kann als Schicke­

les geistiges und politisches Bekenntnia an Frankreich

angesehen werden. Damit soll nicht gesagt werden, dass

Schickele seinen ~bernationalen, Hberpolitisohen Prinzi­

pien untreu geworden ist. Seine neue Einstellung ist eher

die Folge einer politisch hoffnungslosen Lage, denn im

Grunde blieb er nur sich selbst, d.h. seinen ursprftngli-..

chen Uberzeugungen tPeu.

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Schickeles staatspolitische Anschauungen

bewegen sich in konzentrischen Kreisen. Der weiteste Kreis ·

würde in diesem Sinne dem Weltstaat entsprechen, einem

Staat der klassenlosen Gesellsohaft in dem jede demokra­

tisohe Freiheit dem Menschen garantiert wird, wo Rassen­

Spraohe-und Glaubensunterschiede versohwunden sind. Der

n!chste Kreis wdrde einen alleurop!ischen staat darstel­

len, wo das geschiohtlioh-kulturelle Erbe der einzelnen

VBlker erhalten bleibt, wie es der Fall (in Mlniatur) im

Elsass ist, wo auch zwei nationale Kulturen bestehen und

erhalten bleiben.

Die engsten Kreise wdrden dann die Hbri­

gen Staaten darstellen, wobei die Machtanstrebung und po­

litische Aspirationen als Kriterium gelten würden. Je

grBsser die Machtanstrebungen dieser einzelnen Staaten sind,

um so enger werden die Kreise gezogen, die sie darstellen

sollen.

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F. SOZIALISMUS NATIONALISMUS KOMMUNISMUS

Schickele betrachtet die politischen Pro -

bleme und Ereignisse nicht als Ideologe oder Theoretiker,

er hat sich einer Ideologie oder Doktri~ niemals ver -

schrieben • Die politischen und ideologischen Probleme

interessieren ihn nur in ihren sozialen Auswirkungen,nur

insofern sie als Vorteil oder Geflhrdung (in der letzte­

ren FUnktion treten sie viel h!ufiger auf) fHr das soziale

Leben erscheinen. Schickele war ein konsequenter Kimpfer

fffr die freie Entfaltung des menschlichen Geistes, und

es erschien ibm deshalb unmBglich diesen Geist in die

Schranken irgendeiner, sei es auch der humansten politi­

schen Ideologie einzuzwlngen. Dies widerspriche schon dem

Begriffe der geistigen Freiheit an sich. Die politische

und soziologische Problematik wird von Schickele selten

einer theoretisch-fachminnischen Kritik unterworfen. Er

kritisiert vom Standpunkt des gefHhlvollen, intelligenten,

geistreichen Menschen.

Schickele war Sozialist und bekannte sich

als solcher. Seine Zugeh8rigkeit zum Sozialismus ist aber

nicht von der Disziplin eines politischen Dogmatismus be-

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stimmt, sondern von der humanen Einstellung des Menschen.

Schickele war ~berzeugt, dass ein temperierter Sozialismus,

unter den verschiedenen politischen Str8mungen seiner Zeit,

dem Menschen noch die bek8mmlichste sei,~ und vielleicht die

einzige, die eine relative soziale Gerechtigkeit gewâhr -

leistete. Seine Auffassung Hber den Sozialismus gibt Schicke­

le im Essay "Glaube, Hoffnung, Liebe", (aus dem Essay-Buch

11Wir wollen nicht sterben") folgendermassen zum Ausdruck:

"Ich bin Sozialist, aber wenn man mi ch Hberzeugte, dass der

Sozialismus nur mit der bolschewistischen Methode zu ver -

wirklichen sei, so wHrde ich, und nicht nur ich, auf seine

Verwirklichung verzichten. Denn die Erdbewohner hâtten es

nicht verdient, den Tag zu erleben, wo die Menschheit die

geordnete Menschlichkeit wâre und die freiwillige Arbeit:

und das zwanglose Recht ihre nat~rliche Function. Sie wâre

es·nicht wert, weil sie dazu gar nicht fâhig, weil dieser

Zustand, durch Gewalt hergestellt und mit Gewaltmitteln er­

halten, die gr8sste Ltige wâre, in der jemals Sklaven gelebt

hitten. n 26

wHhrend des Krieges geh8rte Schickele, mit

anderen Pazifisten zur Gruppe 11 Clarté 11• Die Gr&der dieser

Gruppe (zu welchen auch Schickele angeh8rte) waren ent -

schlossen, sich und ihre geistige Welt gegen den Krieg zu

behaupten. Den Zweck, den diese Gruppe verfolgte, beschreibt

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Schickele f'olgenderweise: 11 Die Gritnder von 'Clarté' verf'olg­

ten ein doppeltes Ziel. Sie wollten Anhânger einar bestimm­

ten Weltanschauung sammeln: auf'richtige und t!tige Gllubige

aines geistigen Sozialismus. Der antikapitalistische Cha -

rakter der Gruppe war scharf' betont, ein ~issverst!ndnis

~ber diesen entscheidenden Punkt ausgeschlossen. Jedoch

wurde ebenso absichtlich von einer For.mulierung abgesehn,

die ein ~itglied parteipolitisch gebunden hitte. Zum Grdn-

dungskomi tee geh6rten Pazif'isten, die keineswegs im partei-

politischen Sinne Sozialisten waren." 27

Als jedoch Henri Barbusse, der Ffthrer der

Gruppe, sie spiter dem Bolschewismus auslief'erte, verliess

Schickele und viele andere diese Gruppe.

Ein wahrer, konservativer Instinkt hat

Schickele sowohl vor dem b~rgerlichen Nationalismus, als

auch vor dem Kommunismus gewarnt. Er kennt die Versuchun­

gen dieser extremen, f'anatischen Ideologien; Versuchungen,

welchen somancher junge Mensch zùm Opf'er gef'allen ist. Es

ist auch m6glich, dass Schickele selbst, in seiner f'~en

Jugend von ihnen heimgesucht wurde~ ihnen jedoch glHckli­

cherweise widerstanden hatte. ln einer, am 28. Juni 1928

~ehaltenen Rede, auf der Tagung der rheinischen Dichter,

warnt er v or die sen Versuchungen, indem er sagt :

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11 0h, ich weiss, wie f'aszinierend solche Maximen sein kBnnen, f'aszinierend wie aller Sadismus mit heroischer Gebirde, zumal wenn er in gute Musik gesetzt ist.Auch wir haben mit achtzehn Jahren Nietzsche gelesen und bald darauf sei­nan weniger profunden, dafdr um so realisti­schern Sch~ler Georges Sorel, der jenen Kate­chismus der Gewaltt!tigkeit verf'asst hat: 'Reflexions sur la violence•, den Bolschewi­ken ebenso teur wie den Faschisten. Und wir alle im Elsass, wir alle hltten mit sechzehn Jahren fdr Napoleon sterben m8gen. Und die wildern von uns auch f'Hr St. Just, f'Hr Robespierre-und auch, mein Gott ja: und auch f'Hr die Charlotte Corday. Dazwischen liegt eine Strecke Lebens und eine weitere, tief'ere Strecke gewaltsamen Todes: · der Krieg. Liegt die siegreiche Revolution da und dort.Liegt auch, dass in meiner Heimat die kleine Trag8die der Gewalt noch einmal anhob ••• Ganz naha haben wir es wieder gesehen, haute noch, dass man ohne Recht nur wdten, nicht leben kann, dass haute das Revolution!rste auf' der Welt nicht die Willkdr aines politischen oder wirtschaf'tlichen oder religi8sen Absoluten ist, sondern dies, die Krone und Seele der Freiheit, dies, die menschlichste aller MYthen: Gerechtig­keit. n 28

38

Schon wœhrend des ersten Weltkrieges

hat Schickele die Gefahren des Kommunismus fdr den geisti­

gen, f'reiheit - und p,erecht1gke1tsliebenden EuropHer er -

kannt. Anlisslich der Revolution vom 9. November 1918, die

Schickele als Sieg des Sozialismus und der Demokratie an -

sieht, warnt er vor einar eventuellen MachtHbernahme der

Kommunisten: "Die Revolution des neunten Novem15er war der

Zusammenbruch der Autokratie. Die Autokratie erkllrte sich

selbst fdr abgetan. Sie trat, kampf'los, ab. km selben Tage

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begann die sozialistisohe Regierung die Dekrete zu erlassen,

die der Demokratie die Tdr Bffnete. Der Demokratie. Der neun-

te November war, in allen Handlungen, eine b~gerliche Revo­

lution. Hierauf, Sozialisten, wire es an der Zeit, Ernst zu

machen. Z5gern wir, so versuchen es die Spartakusleute mit

dem Dreinschlagen. Alle wissen, dabei ist viel zu verlie­

ren,keiner weiss, was zu gewinnen." 29

Schon im Dezember 1918 sah Sohickele das

Bdndnis einar deutschen und russischen Diktatur voraus,als

er von der M8glichkeit einar Unterjochung Europas durch

den Bolschewismus spricht: "Dies .ftlr den Fall, dass der

Bolschewismus Europa unterjochte und damit die Welt in die

Barbare! stHrzte. Es k8nnte ibm gelingen, wenn Lenin sich

mit Ludendorff verbHndete: der verzweifelte, in seiner

Maohtstellung bedrohte Marxist mit dem verzweifelten Mann

der Revanche, der Soldaten nimm.t, wo er sie bekommt." 30

Obwohl sie oft entgegengesetzte Ziele und

Ideale anstreben, haben Fanatiker, Extremisten aines ge-

meinsam:die auf Gewalttat.und Zerst~rung gerichtete Metho­

den der Duroh.ftlhrung. "Und ioh denke an die Worte 11, sagt

Schickele, "die mir, v or drei Monaten, ein preussischer

Junker ins Gesicht schrie: 1Wenn wir geschlagen werden,

gehe ich zu den Bolschewiki und steoke die Welt.an den

vier Enden an•. Worte. Verzweiflung fanatischer Naturen

k5nnte sie wahr machen. Haute, wo ich dies schreibe, be-

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~inden die Bolschewiki sich in einer solchen Geistesver -

~assung, dass sie alle andern Sozialisten mehr hassen, sie

he~tiger bekfunp~en als die deutschen Mi li tari sten." 3l

Nicht nur als Dichter, sondern auch in seinen

Betrachtungen, die sich ausschliesslich au~ Politik und

Staatswesen beziehen, ist Schickele immer ein Idealist ge­

wasen. Sein Erlebnis der sozialistischen Gemeinscha~t ist

ein vision!res Erlebnis; die Struktur und die Lebensbedin­

gungen $einer ertriumten menschlichen Gesellscha~t hat uns

der Essayist Schickele als politisches Ideal dargestellt:

"Ich glaube, dass der Sozialismus kommen muss mit einer

grossen, tie~en Flut von Licht, die alle Menschen durch -

dringt, dass er wachsen muss, nach innen und aussen, in

einer Atmosphire, die alle Menschen verwandelt, dass er je­

ne v8llige Erneuerung sein wird, von der die Arzte sagen,

dass der K8rper sie in bestimmten Perioden er~ahre, die

v8llige Erneuerung der Menschheit in ihrem ganzen Organis-

mus, ich glaube, dass er die Stationen aller Sch8p~ung und

jedes Lebewesens zur~cklegen wird, vom Keim zur BlHte,vom

Kind zum Mann. 11 32

Die Erneuerung,von Helcher Schickele spricht

ist eine geistige Erneuerung, denn garnichts ~rchtet Schicke­

le mehr als die Verb~rgerlichung, Trivialisierung des

menschlichen Geistes und somit der menschlichen Ideale:

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11 Eine einzige Gef'ahr droht, und ich schiitze sie nicht ge­

ring ein. Der Sozialigmus k8nnte sich verb~rgerlichen.

Tut er das nicht, so ivlrd er in einigen Generationen eine

P,eistige HBhe erreicht haben, zu der das Bdrgertum nie

emporgestiegen wlre. Auch daran glaube ich, und damit ist

mein Glaubensbekenntnis beendet." 33

Diese neue idealistische politische Auf' -

f'assung soll auf' dem Wege einar inneren Erkenntnis und

Uberzeugung die Massen ergreifen und nicht als auf'gezwun­

gene Pf'licht. Die Methoden der zwangsmiissigen, oder gar

gewalttiitigen Indoktrinierung werden von Schickele als

grundverfehlt und verderblich angesehen. Nur eine frei -

willig akzeptierte Ideologie kann zu gl~eklichen sozia -

len Verhiiltnissen f~ren. Schickele sagt: "Man tf.berzeugt

nicht durch Gewalt. Die Diktatur des Ideals, das ist das

sicherste Mittel zu verh~ten, dass die Idee zu Fleisch

und Blut werde, dass die theoretische Einsicht sich in

a..l{:tives Le ben verwandle, sie ist die Mauer, die Sozialis­

ten vor dem sozialistischen Ziel aufrichten. n 34

Die Einstellung Schickeles zum Nationalis-

mus war immer eine negative gewesen. Die militaristische

Machtpolitik des Wilhelminischen Deutschlands hatte schon

Schickeles Reaktion und Emp8rung hervorgerufen. Ein national­

·aozialistisches Deutschland wollte er auf deutschem Boden

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nicht erleben. Bereits im Jahre 1932 vermietete Schickele

sein Haus in Deutschland und zog nach Frankreich um den

kommenden traurigen Ereignissen, die er mit einem wahran

politischen Instinkt voraussah, zu entgehen. Mit uner -

schHtterter zuversicht glaubte Schickele an den Endsieg

des Geistes und der Gerechtigkeit, obwohl er einsehen

musste, dass dieser Sieg nur durch Gewalt {gegen deren

Anwendung er sein Leben hindurch gek~ft hatte) erk!mpft

werden kBnnte. In seinem letzten Brief an Thomas Mann,

vam l8.Januar 1940, schreibt er:

11 Die \felt teilt sich in zwei Lager, und das ist gut. Sie werden immer deutlicher,immer kr!ftiger hervortreten, und da es nicht mehr zu leben lohnte, wenn der Ungeist siegte, so mag es denn der furchtbare Kampf auf Tod und Leben werden aber alle Begriffe hinaus, die wir uns bisher von derartigen historischen Entscheidungskimpfen zu machen pflegten. Der Kampf wird •extra mures et intra• auszufechten sein. Es ist der Welt-Bdrgerkrieg. Ich will lieber vBllig unterliegen, als nur mit halbem Herzen bei einer Partei zu sein, mit ge­teilten Gefahlen ihrem Sieg beizuwohnen, zur Feier eine Fahne aufzuziehn, die ~r mein innerstes Empfinden auf der Mast -hilfte steck:en bliebe. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich Konformist und fdhle mich ganz und gar auf der rechten Seite. Ich bin gllubig, wie der grosse Pasteur es zu sein wanschte: mit der Kraft und der -Ausdauer aines bretonischen Bauern. !ch glaube an unser Recht und unsern Sieg. n 35

Schickele blieb seiner politischen Auffassung

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treu. Er war und bl1eb e1n demokrat1scher Soz1al1st. Aber

vor allem e1n Demokrat, denn der Sozial1smus an den er

glaubte, ffihrte âber die Demokrat1e.

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IV. DAS DICHTERISCHE WERK

A. EINLEITUNG

Schickele hat sich in allen Dichtungsgat­

tungen versucht. Er schrieb Hber hundert Gedichte, drei Dra­

men, neun Romane und zwei Roma.nfragmente. Sein dichterisches

Hauptwerk sind seine Romane. Schickele war ein politisie -

render Romancier, und es wllre auch nicht verfehlt zu sagen,

dass er (mit Ausnahm.e der Gedichte und einiger Romane) ein

politisierender Dichter war. Fast jede seiner Dichtungen

(im Besonderen die erzihlerische Dichtung) ist irgendwie

von der politischen Thematik berdhrt. In manchen seiner

Romane oder Dramen erscheint die Politik und Sozialkritik

als Hauptthema, in anderen hat sie eine untergeordnete

Stellung, aber irgendwie ist sie immer gegenwlrtig.

Da es 1m Rahman dieser Arbei t unm.8g·li'ch

sein wird,jede dieser Dichtungen auf ihren politischen In -

halt, oder auf ihre eventuellen politis.chen und sozialkri -

tischen Tendenzen einzugehen, wird es unumgllnglich sein,

einige dieser Dichtungen, die in diesem Sinne eine paradig­

matische Bedeutung haben, nllher zu betrachten.

Zwei Werke zeichnen sich in dieser Hinsicht

aus, da sie als Exponate seines politischen Denkens, seiner

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Anschauungen ftber daa soziale Laban, Sittlichkeit, Moral, Re­

ligion, Geschichte und Tradition gelten k8nnen. Diese Werke

sind:

l) Das Drama "Hans 1m Schnakenloch 11

2) Die Roman-Trilogie 11Das Erbe am Rhein"

, Die ganze Vielfalt des politischen Denkens Rene

Schickeles ist in diesen zwei Dichtungen konzentriert. In den

~brigen Dichtungen finden wir entweder die Wiederaufnahme der­

selben T.hematik, oder die Auslegung mancher Gedanken, die als

Nebenerscheinungen in der Konstruktion dieser Werke auftreten,

aber schon in den angefdhrten Hauptwerken vorhanden sind.

B. HANS IM SCHNAKENLOCH

Das nrama "Hans 1m Schnakenloch" ist ein Schau -

spiel in vier Akten. Es wurde 1m Monat Oktober des Jahres 1914

in der Zeitspanne von acht Tagen geschrieben und erschien 1m

Januarheft der "Weissen Bliltter" im Jahre 1916. Nach der Frank-

furter Urauf~rung, wurde das Schauspiel in Berlin, unter

Direktor Dr. Altmann in einar vom Dichter selbst bezeichneten

"idealen Bithnenfassung" aufge:rilhrt. Über d.iese Auf:f'uhrung

schreibt Schickele in einar Vorrede aus dem Jahre 1927 folgen -

des:

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"Direktor Altmahn hatte stllndig gegen die Zensur zu klhnpfen, die alle paar Tage anrflckte und neue Striche vornabm. Dabei lag die sache so, dass die Berliner Zensur das Stdck mit ihren Strichen schHtzte.Schliesslich wurde es aber auf Befehl der Obersten Heeresleitung doch verboten. Nach neunundneunzig Auff~ungen musste es abgesetzt werden, vielleicht weil es in eine Epidemie aus­zuarten drohte. Vielleicht aber auch nur, weil es inzwischen in Wien verboten worden war.

46

Mit einem Schlag verschwand der "Hans" von allen deutschen Spielplllnen. In Gottes NamenJ Nun konnte man ibm nicht mehr nachsagen, er trage dazu bei, den nationalen Widerstand zu schwlchen. Aber auch diese Massnabme konnte die Niederlage nicht ver­hindern. Vielleicht war das Verbot zu sp!t gekammen. Von der bald darauf ausgebrochenen Revolution gedachte Direktor Altmann wenigstens insofern zu profi tieren, als er seine bew!hrte "Hans im Schnakenloch"-Platte wieder auflegte. Und da geschah etwas Uberraschendes. Der Rote Soldaten-rat befahl die sofortige Absetzung des Stdckes, weil-weil es 1 geeignet sei, das Empfinden der von der Weatfront hetmkehrenden Ksmeraden zu verletzen'. n 1

Wie ungelegen dieses Schauspiel den Kriegs~enden

aller Parteien und Nationen erschien, beweist die Tatsache,

dass es von der franz5sischen Kriegskritik als bestellte Arbeit

der deutschen Propaganda angesehen wurde; nicht nur von der

deutschen und 5sterreichischen Kriegszensur, sondern auch vaœ

kammunistischen Soldatenrat, verboten wurde.

Wlhrend des Krieges wurde das Schauspiel mit durch­

schlagendem Erfqlg 1m Berner Stadttheater zur Aufrührung ge­

bracht. Der gesamte diplomatische Korps wohnte der Aufffihrung

bei und zum Schluss schlug die Begeisterung des PUblikums in

eine Haltung um, die als eine Art Ovation angesehen werden

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konnte.

" 'Hans im Schnakenloch' ist in allerletzter

Linie ein Kriegsst~ck, in erster ein EhedrEma in einer be­

sonderen 4andschaf'tn 2, schreibt Schickele in derselben

Vorrede von 1927. Warum Schickele diese Aussage gemacht

hat ist unerkl!rlich, denn er hat sie weder begrftndet noch

ausgeffthrt; dem auf:merkssmen Leser wird dieses Schauspiel

bestirrmlt nicht erst "in allerletzter Linie n als Kriegss~ck

erscheinen, da die Kriegs- oder vielleicht eher die Anti­

Kriegsthematik, genau so stark oder wenigstens so stark

vertreten erscheint, als die Thematik des Ehedrsmas. Hans

Boulanger, der Held des Dramas, verllsst Frau und Kinder.

gegen das Ende des st~ckes, was als dramatischer HBhepunkt

dieses Scha~spiels anzusehen ist, nicht nur weil er wegen

eines inne:ren Dranges nidht anders he.ndeln kann, odè'r Frau ·

Cav:rel seiner Eh.ef'rau vorzieht, was "librigens auch nieht

ganz eindeutig aus dem Text ersichtlich ist, sonde rn weil

er aur der Seite der Schwlcheren {der Franzosen) kimpfen

will. Ausserdem hat er einem f'ranz8sischen Of'f'izier sein

Wort gegeben auf der Seite Frankreichs zu klmpf'en. Dieses

Versprechen gab er um das Leben seines Bruders, Balthasar,

der von demselben f'ranz8sischen Of'f'izier verf'olgt und wahr­

seheinlieh-get8tet worden w!re, zu retten.

Also ist die Handlung vorwiegend dureh die

Kriegsereignisse, und nicht durch die Beziehungen der Ehe-

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gatten besttmmt.

· Die beate Charak:terisierung des Helden

bringt die Wei se vom "Hans im Schnak:enloch", die mit Text

und Melodie versehen, gleich am Anfang des Schauspiels er­

scheint und nachher noch zwetmal tm Stficke vorkammt und

somit die Bedeutung eines Leitmotivs anntmmt. Sie hat fol­

genden Inhalt:

"Der Hans tm Schnak:enloch hat alles, was er will, und was er will, das hat er nicht ••• und was er bat, das will er nieht, der Hans im Sehnakenloch hat alles, was er will fi.

Das eigentliche wesen des. Helden ist in

diesem Lied wiedergegeben. Er ist ein Menseh von regem

Geist und Witz, intelligent und gebildet, aber vor allem

ein Mensch von schnellen Entschlfissen und einem spontanen,

ungesttimen Charakter. Eine stete Ruhelosigkeit beherrseht

ibn, die in ibm auch den Drang zum Abenteuerlichen weckt.

Er hilt Schritt mit den Neuerungen seiner Zeit und ist

ein Protagonist des Fortsehrittes, besonders 1m Bereiche

seines Sondergebietes, der Landwirtschaft. Sein Hang zur

Grosszfigigkeit ist nicht kleiner als der zum Leichtsinn.

Seine Treulosigkeit im Eheleben ist fast notorisch und

trotzdem empfindet er aufrichtige Liebe zu seiner Frau.

Diese offensichtliche Gegensltzlichkeit der Charakter-

-····--·--···---

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.. kamponenten sind t~pisch fdr Schickeles Helden. Abnlicbe

Charakterztige wird auch der Held der Roman-Trilogie "Da.s

Erbe am Rhein", Claus Breuscbheim, haben, bloss, da.ss wir

bei ibm schon eine Abrundung, eine Ausgleichung des Cha­

rakterbildes wahrnehmen,was wa.hrscheinlich der fortschrei­

tenden Emanzipation des Dichters vam express1onist1schen

Stil auszulegen ist.

Bereits im. zweiten Aut'tritt erfahren wir

von der Mutter des Helden, Madame Boulanger, Hber den Skan­

dal den ihr Solm im Hause herforgerufen, al.s er in den

Ferien, aus England eine Geliebte mitbrachte und darum

mit seinem Vater in Streit kam. Mutter Boulanger kermt diese

Temperamentsausbrfiche, weiss aber auch, dass: man sie niaht

zu ernst nehm.en soll, denn: 11d1e Boulangers haben das Feuer

nah am strohdach. Sieht aber !f.rger aus, als es ist 11 •••• 3

Ort der Handlung des Schauspiels ist das

Familiengut Sclmakenloch, mit Ausnahme einiger Aut'tri tte 1m

zweiten Akt, die auf dem Gut der Grlrin Sulz, in der Nlhe

von Strassburg, stattfinden. Zeit der Handlung ist das

~ahrund der Sommer des Jahres 1914.

Hans wird von seiner Frau trotz seiner

fast notorischen Treulosigkeit geliebt und verspricht ihr

auf dem Sahloss zu bleiben. Als er aber erfibrt, dass seine

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Freunde, der Abbe Schmitt, der Leutnant Starkf'uss und der

Oberlehrer Dimpfel zur Grlfin Sulz zu einem Nachtfest fahren,

kann er rier Verlockung nicht widerstehen und flhrt mit den

Freunden mit. Bereits 1m ersten Akt finden wir in manchen

Szenen Bemerkungen, die auf eine kommende, durch einen Krieg

hervorgerufene Weltkatastrophe hinweisen. Disse Beziehungen

werden dem Leser meistens mit Hum.or oder sprtihendem, ham­

los erscheinendem Witz angedeutet, aber auch der Ernst und

Schrecken aber die M8glichkeit eines Weltunglacks lassen

sioh nicht verkennen. Sa h8ren wir den Leutnant der Garnison

Strassburg, den sein Soldatenblut zu den deutschen Kolonien

nach Afrika zieht, folgendes zu seinen Freunden sagen:

"Ihr habt gut re den. Ihr habt nicht nur einen Beru.f, ihr tibt

ihn auch aus. Was wara.et ihr sagen, wenn, nach ewigen Vorbe­

reitungen: du nie eine Messe lesen, du nie auf deiner Ml!h­

maschine sitzen, du nie einem ar.men Jungen die unregelmlssi­

gen Ver ben einblluen dtirftest? Ich hab' Kriegmachen gelernt

und vertr8dle. die besten Jahre damit, Rekruten zu drillen. 11 4 "' i ,,, 4

Es spricht da ein Mensch, der im Kriegftihren

die Erftillung seiner Pflioht erblickt, ganz fm Gegensatz zu

Hans, der seine Pflicht in der Verwaltung seines Gutes und

in der Verhtitung des Krieges sieht. Er lebt in der guten

zuversicht, dass es sich um har.mloses politisches Spiel

handelt, er. traut der Menschheit mehr Vernunft zu und glaubt

nicht, dass aus dem scheinbaren·spiel schrecklicher Ernst

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werden kBnnte. zu Starkf'uss sagt er: "Wir machen alle nicht

Ernst. Der bereitet die Mensche auf' den Himmel, der auf' das

Examen, und du berei test sie auf' den Krieg vor. u Auf' die

· Frage: "Und was machst du?" antwortet Hans: "Ich sorge da:N!r,

dass ihr zu essen kriegt und hof'f'e, dass ihr mir datar nicht

die Scheune anztindet und die Felder zertrampelt. Der Krieg

und der Bauer, die vertragen sich nicht." 5

Der scheinbar harmlose Streit, der zwischen

Hans, Starkf'uss, dem Priester und dem Oberlehrer entstanden

ist, hat einèn viel ernsteren Hintergrund,als man es beim

ersten Lesen dieser Szene ver.muten wdrde. (dreizehnte Szene

des ersten Aktes). Die Figuren, die an dieser Szene teil -

nehmen, wurden vom Dichter sorgf'lltig und mit besonderer

Absicht gewlhlt, denn sie reprlsentieren die wichtigsten

Beruf'e der Gesellschaf't: den fortschrittlichen Grossgrund­

besitzer, der :N!r die Er.nlhrung dea Volkes sorgt, in vollem

Bewusstsein der Tragweite seines Beruf'es, den Priester, der

um die moralische Einstellung des Menschen, seine Gewissen­

haf'tigkeit bedacht ist, den Oberlehrer, der far die Erziehung

der jungen Generation verantwortlich ist, und den Leutnant,

den aktiven Soldaten, welcher im Kriegsfilliren seine beruf'-

liche Er:N!llung f'indet. Diese Gestalten nebmen somit eine

symbolische Bedeutung an, und die Worte des Oberlehrers

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gegen das Ende des Auftrittes erscheinen als Synthese eines

massenpsychologischen Zustandes, in welchem die Kriegspsy­

chose immer weiter um sich greift: "Die Jungens mtf.ssen

Soldaten spielen. Der eine scbwingt den S!bel, der andere

den Weihwedel und der dritte den Arbeitsvertrag, und alle

stampfen mit den Fdssen und schreien:' Kiegt KriegJ ' zu­

gleich bestreitet jeder dem andern das Recht, mit seiner

Waffe zu klhnpfen. n Auf die Einwendung des Leutnants

Starkfuss: nwenn aber Ernst gemacht wird -", antwortet

Hans: " .••• scheint es nur im ersten Augenblick, als ob ihr

die St!rkeren wiret. In Wirklichkeit behaltet ihr nie das

letzte Wort. " 6

Zweierlei ist durch diese Aussage zu ver-stehen:

1) Dass niemals ein Krieg nur durch Waffen ent-

schieden wird, sondern dass auch andere, wichtigere Faktoren,

mitwirken.

2) Dass ein Krieg durch den Sieg der Waff~n nie­

mals entgdltig beendet wird, sondern dass h5here Einsichten

erforderlich sind, um den Krieg entgtf.ltig zu Ende zu bringen.

Im zweiten Aufzug, der sich auf dem Schloss

der GrAtin Sulz abspielt, wohnen wir einem Nachtfest bei.

Hans Boulanger wirbt um die Liebe Louises, der Frau des

franz5sischen Abgeordneten Cavrel. Seine Liebe wird erwiedert.

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Rans wird seiner Frau untreu, obwohl er sie liebt. Der Grund

dieser Untreue liegt in seiner Neigung zum Liebesabenteuer

und vielleicht auch darin, dass ihn Louise mehr anzieht, dass

beide einigermassen artverwandt sind, wlhrend die Charakter­

eigenschaften von Hans und Klâr verschieden sind.

Im zweiten Auftritt dieses Aufzuges wohnen wir

einar Unterhaltung zwischen Hans Boulanger, Cavrel, der Grâfin

Sulz, dem Mlnister Maxime-Simon und einem alten franz8sischen

C~neral bei. Die Frage der politischen Zugeh8rigkeit des Lan­

des Elsass wird hier er8rtert. zuerst bekommen wir eine Be-

schreibung der wirtschaftlichen Lage des Landes, die ein Licht

auf die Vorkriegszeit wirft und uns ein, wenn auch beschr!inktes,

so doch eindrucksvolles Bild des Wohlstandes des Landes

Elsass gibt. "Wir stecken alle bis an den Hals in Wohlleben",

sagt Hans, "Wir sind das konfortable Wirtshaus an der V81ker­

strasse, die von Italien zum Nordm.eer f'i:ihrt".. • • • • • Eine

,,eststellung, typisch :rtlr Schickele, der im Krieg immer diè

Bedrohung sowohl der geistigen, als auch der 8konœn.ischen

KrM.:fte der Menschheit erblickt. Auf die Bem.erkung des Gene­

rale, dass Elsass das glorreichste Schlachtfeld der Welt

sei, antwortet Hans: "Hof1'entlich nie wieder. Die die ses

Schlachtfeld bewohnen, denken anders dardber". 7

Der General erscheint als Protagonist des Krieges

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von franz8sischer Seita, ain, wenn auch nicht so radikal

eingestellter, "Glaubensgenosse" des Leutnants Starkfuss,

bloss der Gegenpartei angehBrend.

Hans Boulanger ist der Typus des wahran el -

sissischen Intellektuellen: lebensfreudig, sympathisch,

54

rfir fortschrittliche Anschauungen empfinglich, aber stets

darum bedacht, das Kulturerbe des Elsissers zu bewahren

und jedem Versuch der nationalen und politischen Assimi­

lierung seines Landes mutig entgegenzutreten. Obwohl mit

vielen Charakterschwlcban belastet, hat er einen ausge -

sprochenen Hang und Sinn fdr Grossherzigkeit und Gerechtig­

keit. Er erkennt auch, dass ain eventueller Krieg 1n erster

Haihe den Elslssern Verderben und Uhgl~ck bringen ~rda,

dann Elsass ~de zum Kriegsschauplatz werden und als

historisch bekanntes streitgebiet, durch die Kriegser -

eignisse am meisten zu leidan haben. Auf die patriotische

Werbung des franz8sischen Ganerals : "Die wahran ElsHs-

ser wissen, daas sie ihre Zukun1't zu suchen haben, wo ihre

Vergangenheit war (zeigt nach dam wasten): dort. Wir

warden ibnen helfen, wenn die Stunda schlilgt ", hat Hans

nur eine Antwort: "Dann bin ich kain wab.rer Elslssar." 8

Die politische Anhinglichkeit an Frankreich

basteht ~ Schickele, den Publizisten, wie er as wieder­

holt in seinen Essays zum Jusdruck gebracht hat, wie auch

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f~r seinen Prtotagonisten, Hans Boulanger. Sie (diese An -

hl:f.nglichkeit) 11 Ist dumm - unverzeihlicb dumm. 11 , sagt Hans

zum Genral, ttaber sie besteht. Seien sie zuf'rieden, dass

wir sie Ihnen umsonst geben. Denn Sie, Sie holen uns nie

zurfick. n 9

Es handelt sich um die politische Anhinglich­

keit an ein demokratiscbes, liberales Frankreich, in wel­

chem der Elsâsser sein kulturgeschichtliches Erbe, seine

Spracbe und seine Traditionen bewahren kann.

Das politiàcbe Bekenntpis zu Frankreicb geht

Hand in Hand mit der Aversion gegen den Franzosen, der im

Elsass, ausschliesslich ein st~ck Frankreich sieht und

keinen Sinn fdr die politische Sonderstellung dieses Lan-

des hat.

Auf' die Andeutung cavrels, dass Frankreich

fdr Elsass - Lothringen jeden Preis bezahlen, ja sogar

eine volle Autonomie des Landes gewBhren wtlrde, um es nur

in den Bereich des franz6siscben politischen Einflusses

zu bringen, erwidert Hans:

"Deutschland Elsass - Lothringen umtauschen? Nie. Sie mdssten es scbon zurfickerobern. Kommt aber dieser K:rieg, was Gott verhfiten mBge, so erleben Sie eine Katastropbe, mit der vergli·chen Sedan eine ungldckliche Man6vertlbung war. Glauben sie mir doch, bitte, ich kenne Deutscblalid, und icb kanne Frankreich: dieses ganze Volk von hier bis

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an die russische Grenze, Kopf an Kopf, Hand in Hand, ist eine einzige Kriegsm.aschine, die nur mit einem Hebeldruek in Gang gesetzt zu werden braucht. Sie ist fertig, nieht ein Schriubchen, das da fehlte, vollkammen be­mannt und jeden Augenblick bereit, die Ar­beit zu beginnen." 10

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Die Uberzeugung, dass Deutschland als Militir -

maeht hBehsten Ranges in einem kommenden Krieg siegreieh

bleiben wird, wird sp!ter rdr die Entseheidung des Helden,

auf der Seita der Franzosen, der Sehwieheren, der Hilfsbe­

d~rftigen zu kimpfen, von grundlegender Bedeutung sein.

Der franzBsisehe General ist eine der licher -

lichsten Figuren des Stdckes. Lleherlieh wirkt er vor allem

wegen seiner patriotischen Aufgeblasenheit, wie ~rigens

die maisten Figuren Sehiekeles behandelt werden, die Ibn -

liche Bestrebungen aufWeisen. Als Oberlehrer Dimpfel Hans

fragt, was der General in seiner patriotischen Rade seinen

ZuhBrer.n mitzuteilen hatte, antwortet Hans, der diese Rede

nieht einmal gehBrt hat, aber die Mentalitlt des Generals

aufs genaueste kennt, folgendes: "Ich weiss es auswendig.

'Soldaten des Elsass~ Als Giste der grossm~tigen Grlfin

und heldenhaften Elslsserin, die Sie gut kennen, haben wir

die Ehre gehabt, euch wackere SBhne dieses heiligen Bodens• •••

Nihmlieh, die Mutter der Grifin war eine Osterreieherin

und ihr Grossvater ein Engllnder, und die kriegerisehe

Gesinnung der Fwnilie rHhrt daher, dass sie vom Bdrger -

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k8nig Louis-Philippe, der bekanntlich statt eines Degens

einen Regenschirm trug, in den Adelsstand erhoben wurde." 11

Dn dritten Aufzug wohnen wir dem Kriegsaus -

bruch bei. Hans Boulanger kann die neue schreckliche Tat­

saohe des Kriegszustandes nicht fassen. Wie weit jedoch

die Kriegspsychose sohon fortgesohritten ist und weloh

pervertierte Vorstellung die meisten vam Krieg haben, geht

aus der Antwort des Oberlehrers Dimpfel hervor, aJ.s er von

Hans gefragt wird, warum der Krieg eigentlich begonnen hat:

nJa, weswegen - habe ich haute morgen auch gefragt, als ain

Junge, der Sohn aines Majors, den Finger hob und sagte:

1 Herr Doktor, morgan geht der Spektakel los.• Warum, habe

ioh gefragt. 'Damit es endlich einmal Ruhe gibt•, hat er

gesagt. Jetzt weisst du•s. - Liest du denn keine Zeitun­

gen?" 12

Leutnant starkfuss, der "geborene Soldat" ver­

nimmt den 11Ruf der Stunde 11 und tfihlt sich ganz in seinem

Element. In kurzen, sentenzartigen Aussprf:l.ohen gibt er sei­

nan patriotisohen Gerdhlen freien Lauf: "Was heute ein rach­

ter Deutscher ist, den reisst es mit einem Ruck hooh. Der

fragt nicht lange, wieso ~d warwn. Ihm genHgt zu wissen:

es gilt ftlr uns, in der Welt ein Sttlck weiter zu kommen.

Wir mtlssen unseren Weg machen, friedlich ging es nicht, '

also denn mit GewaJ.t. n Auf die Frage von Hans Boulanger:

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·"Uns h!iltst du also nicht ftir rechte neutsche?" gibt teut­

nant Stark.f'u.ss folgende Antwort: 11 •••• Alle jungen Bauern,

die wir gedrillt haben, ja. Dich und die meisten andern

sogenannten FmniliensBhne nicht. Balthasar ist eine Aus-

nahm.e. 11 13

Als guter Deutscher wird also von starkfuss

nur der angesehen, welcher mit Waffengewalt die Interessen

des deutschen Volkes zu vertreten weiss.

Auch Balthasar, Hansens Bruder, und sein st!in-

diger Widersacher in Familienangelegenheiten, der auch

preussischer Leutnant ist, begrdsst die herangekommene Zeit

· als eine Art von Befreiung. "Ich mBchte am. liebsten mit

gehobenen H!inden laufen und HU.rra rufen", sagt er. Hans

weiss aber1welcher Beschaffenheit dieses Gerdhl der Be­

freiung ist. Es ist die Befreiung der gef!hrlichen, dunk-

len Krlifte des Menschen, darum. lautet seine skeptische

Frage: "Befreiung •••• Nicht auch etwas wie - Rache?"

"Vielleicht auch das", antwortet Balthasar. 14

All die verborgenen, zerstBrenden Krifte und

Instinkte des Kriegsenthusiasten, der somit zum. Exponaten

eines falschen Heroismus wird, 'tverden vom Dichter aufs

minuti5seste analysiert, wobei jedoch der Kriegsenthusiast

nicht zur typischen Figur im vollsten Sinne des Wortes

wird. Jeder der Helden Schickeles geht zuweilen einen

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inneren Kœmpf durch. Auch der Kriegsenthusiast erscheint

nicht als ein ganz willenloses Instrument einer extremis­

tischen Weltanschauung, der er blind gehorcht und die in

seiner Denkart einen anti thetischen Gedanken nicht zulilsst.

Balthasar gibt zu, dass ausser Begeisterung und dem Verlan­

gan nach innerer Befreiung auch das Gerdhl des Hasses in

seiner Seele Platz gerunden hat.Leutnant Starkfuss, der ge­

borene Krieger, hat doch Vers~lndnis rdr die antikriegeri -

ache Einstellung seines Freundes Hans Boulanger und ist sich

der verhehr~nden Folgen des Krieges vollkammen bewusst,

als er von Hans Abschied nimmt: "Hans, wenn ich dir sage:

von jetzt bis zum Ende dieses Krieges, der wahrscheinlich

das furchtbarste Wagnis ist, das je ein Volk aur sich ge­

nommen hat, kennen wir einander nicht mehr, so kdndige ich

dir nicht die Freundschaft, sondern spreche nur aus, was

du aicher auch schon gerdhlt hast. Wir stebn einander im

Weg. Der Gang heute zu dir fiel mir so schwer wie noch

keiner. Trotzdem musste ioh her, um - ja, du wirst laohen,

ich daohte, ioh konnte dir irgendwie ~ber die erste Stunde

h lf n 15 weg e en •••

Diese Figuren (Starkfuss und Balthasar) sind

also keine einfache Kriegsmarionetten, Lente, die blindlings

ihrem Krie·gsenthusiasmus nachgehen und eine ganz kompromiss­

lose Einstellung vertreten. Ein bestimmter innerer Konflikt

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geht in ihnen vor, so dass sie auch Verstlndnis ~r eine

Gesinnung, die ihrer eigenen entgegengesetzt ist, haben.

Die Begeisterung ~r den Krieg bleibt jedoch in diesem

Konflikt siegreich. Eine vollkammen kampromisslose und

weltanschaulich-einseitige EinsœQlung dieser F1guren ~r­

de sie zu einfachen Kriegshanùwerkern degradieren und

somit uninteressant erscheinen lassen.

Auch im franz8sischen Volk gil:t es vie le, die

den Krieg begrdssen und ihre Begeisterung fdr die neue

Situation kundgeben, eine Tatsache, die Hans zu folgen -

der Ausserung veranllsst: " ••• Die se Zebranation - deren

eine Hâlfte als gute WeltbHrger an der Spitze der Mensch­

heit marschieren will, indes die andere noah immer bei 16 Napoleon I. hllt. n

Der vierte Aufzug findet auch auf dem Familien­

gut Schnakenloch statt. Die Kriegsgeschebnisse sind nun

in vollem Gange. Das Schloss der Famille Boulanger trlgt

schon Spuren de.r Bombardlerung und wird abwechselnd von

Franzosen und Deutschen besetzt, die nach Belieben hausen.

Elne depr~mierte Simmung herrscht ftberall. In einer deu­

tschen Abteilung, die auf ihrem Durcbmarsch das Schloss

vorübergehend besetzt, befindet sich Balthasar. Er liebt

seine Schwlgerin Kllr (Hansens Frau) und sucht sie zu

dberzeugen, dass Hans ihre Liebe und Treue nicht verdient.

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Kllr bleibt jedoch ihrem Gatten treu und teilt, obwohl sie

Deutsche ist, auch seine politischen Ansichten. Auf ihre

Behauptung, dass die Deutschen, durch die Kriegsereignisse

ihre kulturelle Mission vernachllssigen, antwortet Baltha­

sar: "Mit \vitzen macht man keine Weltgeschichte. unsere

grossen Mlnner geh8ren geradesogut den Engllndern, wie sie

uns die ihrigen nicht vorenthalten kl:Snnen. Aber ihre Kolo­

nien, die behalten sie fdr sich allain, und die F.ranzosen

bezahlen fdr den ganzen Goethe nioht mehr als den Laden­

preis. Geschwltz \ Zugegeben, die F.ranzosen und die Engllin­

der seien kultiviertere Vl:Slker als die Deutschen, so hat

ihre Kul tur sie doch nicht gehindert, Kriege zu fdhren,

wenn sie sich Vorteile davon versprachen.l-Ticht wahr?" 17

Das obange~rte Zitat (aines von vielen die

man ~ren kl:Snnte) zeugt von der BemHhung Schickeles in

Polemiken, die einen politischen oder kulturwissensehaft­

lichen Inhalt haben, eine m8glichst objektive Einstellung

zu bewahren. Als eine von Grund aus subjektiv eigestellte

Pers8nlichkeit (welcher Dichter ist es nicht?) ist Sohicke­

le immer bemfiht in der Beurteilung geschichtlicher und

zeitgen6ssisoher Geschebnisse eine m8glichst objektive,

den Tatsachen entsprechende Haltung einzunehmen. Sogar

wenn er .ftl.r eine bestimmte Partei Stellung ninm:tt und seine

pers8nlichen Sympathien nicht verhehlt, werden doch alle

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~r~umente pro und contra in Erwlgung gezogen, um dem Leser

ein getreues Bild der geschichtlichen oder zeitgen8ssi -

achen Wirklichkeit zu geben. Eine rabrende Anerkennung

dieser Bestrebungen finden wir im Brief, den Kasimir

Edschmid an Schickele im Jahre 1917 scgrieb, nachdem er

der Erstaufrdhrung des Schauspiels, am 16. Dezember 1916

beigewohil.t hatte. Edschmid schreibt: "Sie haben, da.ftf.r

weiss ich Ihnen Dank, umgangen, was hitte tendenzi8s sich

wenden k8nnen, Sie haben klug und bewundernd und nicht

ohne Liebe .ftlr Deùtschland weise gesprochen, und Sie haben

Liebe gezeigt .ftf.r jenes Frankreich, das in der eigentlichen

Tiefe seiner Seele sch8n ist. Sie haben auf der Bfihne zuerst

jene Er8rterung mit dem Kriege begonnen; die nach ibm in

schweren TendenzstHcken anklagend die Stimme gegen diesen 18 Ja:mmer .Europas erheben wird ••• "

Nach dem Dialog zwischen Klir und Balthasar,

der ihr Hansens Absicht, das Schloss zu verlassen, mitteilt,

erscheint ein franz8sischer Offizier, der Balthasar ver-

folgen will. Hans rettet seinen Bruder, indem er dem Offi-

zier verspricht, in das franz8sische Heer einzutreten. Den

Entschluss auf der Seite Frankreichs in den Krieg zu zie -

hen hat jedoch Hans schon frfiher gefasst. Er kann nu~ auf

der Seite des Schwlcheren klmpfen, und nur darum weil der

Schwlchere hilfsbedHrftig ist. Klir missversteht seine

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Absicht. Sie hat kein Verstlndnis fdr sein Vorgehen. Die

Tatsache, dass Deutschland die militlrisch stlrkere Macht

ist, recht:f'ertigt seine Entscheidung in ihren Augan nicht.

:Elnpart iiber seinen Entschluss, sagt sie ibm: "Du schwltzt,

wie du immer geschwitzt hast - und wenn du dich endlich zu

einar Tat aui'rai':f'st, so llui'st du zu denen, die untergehen.

Du :rtf.rchtest dich vor den Starken. n 19

K.lir hat mit ihrer Behauptung recht gehabt.

Hans tdrchtet die starken, weil sie 1m vollen Bewusstsein

ihrer Stlrke, weder Mitgerdhl nooh Verstlndnis :f'dr die

Schwachen aui'bringen k8nnen. Diese FUrcht ist aber nicht

als Feigheit auszulegen, 1m Gegenteil, sie zeugt vam per­

s8nlichen Mut des Helden, der die Reihen des Schwicheren

au:rsuoht und somit in den sicheren Tod gehen wird. Mit -

wirkend in dieser Entscheidung ist auch die Zuneigung des

Helden i'dr Frau Cavrel, deren Mann in der Zwisohe~eit

gestorben ist. Kasimir Edschmid hat die Endsituation :f'ol­

gendermassen beschrieben: "Er will sich entscheiden. Seine

Frau ist eine neutsche. Dennoch verlisst er sie um jane

:f'ranz8sische Frau, die ibm so wenig Erfilllung bedeutet

wie Frankreich, es ist eine grosse Laune seines stiir.mi -

achen Herzens, es ist die spielerische Liebe zum Rama -

nischen in seinem Blut, es ist die tolle Kaprice seines

Temperamentes, es ist ein Kreislaui', er kehrt zu seiner

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Frau zurdck, die ibn auslacht. So sind die Menschen im

Schnakenloch. 11 20

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Wie viele Dramen dieser Epoche ist auch

Schickeles Schauspiel, "Hans im Schnakenlochr', ein Drama

das gegen den Krieg gerichtet ist. Es ist nicht ein Drama

das den Defaitismus propagiert, das aber die Sinnlosig -

keit des Krieges dem Leser vor Augen hllt. zugleich ist

es ein Ehedrama und das Drama des elslssischen Volkes

und der elsissischen Famille, denn es veranschaulicht die

durch den Krieg hervorgerufene innere Zerissenheit dieser

Famille, in welcher ein Bruder als deutscher Offizier,

der andere 1m franz8sischen Heer klmpft und sich dadurch

entfremden. Wir sehen wie der Krieg das mfthevoll erwor -

bene Gut eines friedlichen und friedenliebenden Volkes

zerst8rt, denn die Kriegsstifter sind nicht Elsisser, es

sind Deutsche und. Franzosen.

Obwoh1 das Drama 1m Geiste aines lokalen Pa­

triotismus geschrieben wurde, ist es von einem Gerdhl der

echten Menschlichkeit durchzogen. Auch diese Tatsache hat

Kasimir Edschmid mit vortrefflicher Richtigkeit zum Aus -

druck gebracht: "Man wir.d ·Ib.nen, verhehlen sie sich das

nicht, sagan, und man wird es, Sie wissen auch dies, nicht

ohne Berechtigung sagen, dies seien kleine Sentiments in

diesem ungeheueren Leid. Aber Sie haben dies Leid menschlich,

Sie haben das Laid Hberirdisch gegeben, und darum bleibt Ihr

Sttick eine s.Ch8ne Tat, •••• 11 21

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C. DIE ROMAN-TRILOGIE rrDAS ERBE A.M RHEIN 11

Das dichterische Werk, welches Schickeles poli -

tisches Denken in seiner weitesten Entfaltung wiederspie -

gelt, ist die Roman-Trilogie "Das Erbe am Rhein". Die ses

Werk wurde nach dem UMzug der Familie Schickele nach Baden­

weiler im Schwarzwald (1922) geschrieben. Mit diesem umzug

beginnt die produktivste Zeit im Leben Schickeles. Es ent -

standen hier: die Trilogie "Das Erbe am Rhein", der Roman

"Symphonie :Nir Jazz 11, Hunderte von Artikeln, Re den und V or­

trige. Die Zeit zwischen 1922 und 1932 ist auch als die

gl~cklichste im Leben Schickeles anzusehen. Er unternimmt

oft Ausfl~ge und Vortragsreisen. Sein dichterisches Talent

und seine dichterische Entfaltung erreichen nun ihren H6he­

punkt. Proeminente Vertreter der geistigen Welt wie Thomas

Mann, Heinrich Mann, Kasimir Edschmid u. a. besuehen ibn

oft.

In dieser Atmosph!re der geistigen Produktivi­

tiit entstand die Roman-Trilogie "Das Erbe am Rhein". Der

er ste Roman der Trilogie, 11Maria Capponi 11, ers chien im Ver­

lag Kurt Wolff, in Mdnchen, im Jahre 1926; der zweite,

"Blick auf die Vogesen 11, in demselben Verlag, im Jahre 1927;

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der dritte, "Der Wol.f in der Htirde", im s. Fischer Verlag,

in Berlin, im Jahre 1931.

1. MARIA CAPPONI

"Maria Capponi rr ist der Roman einer Jugend -

liebe. Die politische Thematik ist in diesem Roman nicht

von so grundlegender Bedeutung wie in den zwei .folgenden

Romanen der Trilogie. Das Milieu dieses Romans ist, wenn

man es mit einem gemeinsamen geschichtlioh-geographischen

Begri.f.f bezeichnen darf, ( denn im engeren Sinne ist es

Nord - Italien und Stid - West - Deutschland) das sorglose

Europa am Anf'ang des zwanzigsten Jahrhunderts.

Die Erweiterung des geographisch begrenzten

Gebietes in welchem sich die Handlung des Romans abspielt,

erscheint dadurch recht.fertigt, dass die im Roman vor -

kommenden Figuren den verschiedensten Lindern Europas

(England, Deutschland, Italien, Schweden, Russland) an-

gehBren und durch ihre Lebenseinstellung, ihre Anschauungen,

ihre Charakteranlagen, zur Erweiterung des Milieu-Begriffes

beitragen. Die witzigen, o.ft bis zum Zynismus getriebe -

nen Bemerkungen des geistreichen Lord Berrick, die un -

gewBhnliche Ersoheinung des niemals ntichternen schwedi-

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schen Malers Kaspar, der p18tzliche Tod des imposanten rus­

sischen Admirals, der sein gsnzes Verm8gen verspielt und

Selbstmord begeht, die leidenschaftlich Liebe Maria Cap -

ponis, die vielen unkonventionellen Liebesbeziehungen ver­

schiedener Figuren, verleihen dem Roman eine Atmosphlre

der Sorglosigkeit, des Wohlstandas, der Uppigkeit, aber

zugleich der Frivolitlt und der moralischen Dekadenz. Es

ist das Milieu und die Atmosphlre des Vorkriegs-Europas,

einer Zeit, deren psychologischen Hintergrund Schickele

schon in seinem Schauspiel "Hans im Schnakenloch" au.fge­

zeichnet hat, die er (und hier handelt es sich un die

Vorkriegszeit des zweiten Weltkrieges) ganz meisterhaf't

und mit wahrer dramatischer 'Wtlcht in seinem Meisterwerk

"Die Wi twe Bosca" beschreiben wird.

Der Irihalt des Romans ist f'olgender: Claus

Breuschheim (der eigentliche Held der Roman-Trilogie) ,ein .

vierzehnjihriger Jtingling, aristokratischer Herkunf't, im

Elsass wohnhaft, ùnternimmt mit seiner jungen, htibschen

Tante, Sidonia, eine Lustreise nach Italien, wo er die

zw8lfjlhrige Maria capponi, eine italienische Marchesa,

kennenlernt. Claus verehrt heimlich seine h~bsche Tante;

diese liebt aber einen russischen Admiral, der infolge

grosser Verluste beim Spiel, die ihn finanziell und ge -

sellschaf'tlich ruinieren, Selbstmord begeht. Da Claus die

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Aussichtslosigkeit seiner Liebe zu seiner Tante einsieht,

vertraut er sèine Liebesgeheimnisse der kleinen Maria, und

eine Freundschaft, die sp!ter in Liebe ~bergeht, verbindet

die jungen Leute. Sie begegnen noch einigemal in sp!teren

Jahren, da Claus nach Italien wiederkomm.t. Maria, wenn auch

in leidenschaftlicher Liebe zu Claus entflammt, ist ein

eigensinniges und chimirisch ver&nlagtes Midchen. Sie isteine

nbraunh!utige .Amazone, eine Fremde, die m&n im Wald fand,

und die man im Walde verliess."

Obwohl sie Claus liebt, ist Maria entschlossen

einen Mann von hohem Rang mit heroischen Eigenschaften,zu

heiraten. Das tut sie dann auch und wird die Frau eines .. Generals. Auch Claus ist zur Uberzeugung gekommen, dass es

sich in ihren Beziehungen mehr um Leidenschaft als um wahre

Liebe handelte und er heiratet Doris, ein M!dchen das ibn

vollkommen gl~cklich macht. So vergehen die Jahre. Der Welt­

krieg ist unterdessen zu Ende gegangen und bei einem Aus-1

flug, den Claus und Doris in die Berge unternehmen, verun­

gl~cken beide. Doris stirbt, Claus bleibt am Leben und geht

mit seinem S8hnchen Jacquot in die Waldeinsamkeit. Da Claus

die Einsamkei t nicht auf die Dauer ertragen kann, bi ttet er

Maria, die auch Witwe geworden ist, zu ihm zu kommen. Maria

komm.t nicht und Claus bleibt in seiner Einssmkeit. Das BUch

endet in einar Atmosphire der Nostalgie und der Resignation.

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Die ersten acht Kapitel des Romans kBnnen als

Einlaitung betrachtet werden. In dieser Pseudo-Einleitung

macht uns der Dichter mit der Person des Helden und mit

einigen Ereignissen aus der Familiengeschichte desselben

bekannt. Erst mit dem neunten Kapitel beginnt die eigent­

liche Handlung des Romans. Sie wird uns vom Helden selbst,

auf retrospektive weise vorgetragen, nachdem wir schon

einiger.massen mit der Endsituation vertraut sind.

Die ersten Kapitel bringen auch einen Einblick

in die Geschehnisse der Zeit, sowie einen retrospektiven

Blick in die kulturgeschichtlichen Ereignisse des Landes

Elsass. Als Prototypus des kultivierten und klugen Els!s­

sers wird uns der Urgrossvater des Helden (m~tterlicher­

seits) vorgestellt. Es ist der Reichsfreiherr Ulricus von

Rheinweiler, ~ber den Claus Breuschheim folgendes sagt:

"Mein Urgrossvater war Revolution!r aus Vernunft gewesen

und wurde infolgedessen ein Anhinger Napoleons. Er setzte

sich seinerseits in die Geschichte, indem er den badischen

staat grttnden half. Napoleon, der einmal im SchlBsschen ~ber­

nachtete, erhob ihn beim Morgenkaffee in den Grafenstand.

Urgrossvater sah sprachlos zu, wie der Kaiser ein nutzend

Mllchwecken schlang und dazu, in einar Minute, die Kaffee­

kanne leerte. Er fand keine Zeit zu antworten. •schade, dass

Sie nicht Soldat sind', spraCh der Kaiser, da stand er aber

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schon unter der Ttf.r~ 'Vous. auriez gagné une bataille et je

vous aurais fait prince'." 22

70

Als der Kaiser dem soeben in den Grafenstand er-

hobenen Ulricus zum Abschied die Rand reichte, fiel sein

Blick auf das Familienwappen, auf welchem die Worte 11nec

ultra" standen. Napoleon, der selbst seinen fast legend~-:­

ren Aufstieg nicht zuletzt seinem Ehrgeiz verdankte, war

tlber diesen Wappenspruch verwundert und sagte: "warum nicht?

\>J'ir le ben dochJ Heisst nicht leben - fortschreiten? n 23

Dieser Wappenspruch hat eine symbolische Bedeu­

ttmg fiir die weitere Entwicklung der Familie. nNec ultra"

(nicht weiter) soll gar nicht bedeuten, dass Ulricus dem

Fortschritt feindlich gesinnt ist; auch fiir Ulricus heisst

leben, fortschreiten. Er ist aber gegen den Fbrtschritt der

im Zeichen des falschen Ehrgeizes steht, der die Zierde aller

TUgenden, die Bescheidenheit, zerst8rt. Er hat wihrend der

franz8sischen Revolution die Proklamation der Mensehenrechte

mit eigener Hand am Schlosstor angesahlagen. Fdr ibn ist

diese Proklamation zum modernen politischen Evangelium ge­

worden. Als aber das Verhlltnis der neuen Regierung der

Revolution und der katholischen Kirche ungekllrt bleibt,

und der erste Fèlhrer dieser Regierung gesttlrzt wird, sieht

er auch das Ende der anderen voraus.Seine anflngliche Be­

geisterung fiir die Revolution ist weg. Napoleon erscheint

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als'willkommener Retter aus einar chaotisohen Situation.

Ulrious sieht aber in Napoleon vor allem "den jungen Mann

mit GesohUtsbliok", das wirtschaftliohe Genie. Die mili -

tirisohen Ftihigkeiten des Kaisers intereasieren ibn wenig,

denn er sieht in Napoleon nioht das Militirgenie, den Er­

oberer, sonder.n.den genialen Verwalter, den administrati­

ven Reformator Eu.ropas. Ulrieus ist "ein Humanist, der sei­

nan Nrunen iœmer late1n1soh sohreibt, jedoch Katholik in

einar protestantisohen Enklave" ••• Als seine gesellsehaft­

liehe Geltung duroh den Besuoh und die pers8nliohe Zuneigung

w!ohst, bleibt er dooh beseheiden und beherzigt die Mahnung

der alten K8ch1n des Hauaes. Die se Mahnung lau tet: "Dass du

mir aber demtf.tig bleibsch vor dem Herm t n 24 lm charakterlichen Gegensatz zu Ulricus, steht

sein Vetter, der General Breisach. Breisach feiert in Napo­

leon den grdssten Soldaten aller Zeiten (hatte er dooh eine

Kavalleriebrigade unter dem Oberkommando des Kaisers geffihrt).

Wlhrend Ulricus an einem Kommentar zum Code Napoleon, der ~

Grossherzogtum Baden eingefdbrt werden sollte, arbeitet,

schreibt der General ein Buch tf.ber die "Artillerie als Hilf's-

waffe ftf.r die Kavallerie ". Die Grundlage des Staatswe sens

liegt ~r den General in einar guten Kavallerie. Es kammt

fast zum entgdltigen Bruch zwischen den beiden Vettern

(nach einigen Streitigkeiten, die vom Dichter mit kdstlichem

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Humor geschildert werden} indem Ulricus rolgende, far den

General beleidigende, ·:semerkung macht: "Was k8nnten meine

Gründa dir bedeuten! Man braucht dich nur einmal in deiner

sch8nen Unirorm gesehen zu haben - die ist ein Grund, gegen

den ich mit allen den meinen nicht aurkamme, nicht nur bei

den Damen. n

Ulricus und Breisach sind Repr!sentanten zweier

antipodischen politischen Einstellungen. Es sind symbolische

Figuren rdr die politische Aurrassung Schickeles, denn Ulri­

cus repr!sentiert den klugen, gewissenharten, rriedelieben­

den, rortschri tt lichen Mens chen, wllhrend Breisach (der Gene­

ral) den ehrgeizigen orfizier, der durch Krieg und watren­

gewalt den staatswillen aufzwingen will, darstellt. Dieser

Gegensatz der Aurrassung wird in den folgenden Worten Ulri­

cus1 zum. Ausdruck gebracht: 11 Mein geliebter Vetter glaubt

nur an das Gesetz des Kavalleriesllbels., mir scheint elnes

rdr die Richter besser ••• n 26

Das Schicksal, die g8ttliche Vorsehung, beh!lt

jedoch die Oberhand im Leben des Menschen. Die grossen Plitne

der beiden Vetter sollten nicht in Erffillung gehen, denn

Napoleon wurde gestttrzt, der General rand den Tod an der

Spitze seiner Brigade und fdr Ulricus blieb nur die Erin­

nerung an einen grossen Mann, dem zu Ehren er das Buch

"In Memoriamn schrieb. Es ist ein kleines, sp!ter beriihmt

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~ewordenes Buch Hber Napoleon, den Verwalter~ nicht den

Eroberer oder Strategen.

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Eine der interessantesten Figuren des Romans

ist Lord Berrick, ein Mann der sich durch Geist und Witz

auszeichnet. Die Baronin Breuschheim hl!lt ibn :Nir ngeschei t

wie einen Teufel", wlhrend die Marches a Capponi ihn 11keok

in der Art die Wah:rheit zu sagen", findet. Auch bei Claus

steht er in grosser Achtung. Als Claus auf seiner zweiten

Reise nach Italien den Lord wiedersieht, sagt er: "Wie

hRtte ich ibn vergessen haben k8nnen, wusste er doch Be -

scheid in der Mythologie und hatte Maria und mich gegen

die Barbaren beschHtzt, vor allem war mir sein warmes, et­

was trauriges Llcheln gegenwlrtig geblieben, ja, ich hatte

es selbst hin und wieder bei grossen Gelegenheiten nachzu-

a.bmen versucht.rr 27

Lord Berrick wird fHr Schickele zum Hauptprota­

gonisten seiner Anschauung und Deutung der geschichtlichen

Geschehnisse. Bei jeder Gelegenheit ist Lord Berrick bemHht

der Geschichte den Schleier und den Nt.bus der Idealisierung,

der Illusion zu entfernen. Gew8hnlich ist der Léser (beson- "

dèrs der mit einem Sinn oder Rang zum Romantischen behaftete

Leser) g~neigt, in der geschichtlichen Vergangenheit eine

Âra zu suchen, die ibm in Vergleich mit der Gegenwart als

wertvoller, h8her, erscheint. Far Schickele sind die geschicht­

lichen Ereignisse, weder ausschliesslich Auswirkungen der

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g8ttlichen Vorsehung, wie ftlr Bossuet, noah sind sie nur dem

Zufall oder ganz belanglosen Dingen oder Geschehnissen unter­

stellt, wie f'dr Voltaire, oder Tolstoi; sie sind eine Reihe

von Gewalttaten, die meistens von gewissenlosen Menschen

vertibt verden.

So sehen wir Lord Berrick bemtih.t den wahran

Grund der geschichtlichen Ereignisse zu erkennen und die

wahren Absichten der Handelnden blosszustellen. Über die

Genealogie seiner Familie weiss er folgendes zu berichten:

11 Ich entstamm.e nifmlich der puritanischsten Familie Schott-

lands, ich weiss nicht, Claus, ob Sie er.messen, was das heisst.

Einer stolzen Fam~lie. Einer blutigen Famille. Ich versichere .

Ihnen, meine fromm.en Vorfahren marschierten nur so durch

Blut. Als es in England spirlicher zu fliessen begann, machten

sie sich in die Kolonien auf, die fromme~ Berricks ••• Und den­

ken sie nur: ihr Verm8gen nahm nicht ab, obwohl dies doch

sonst die Regel ist, wenn jemand verschwenderisch reist, gro­

ssen Aufwand treibt, ausserdem noch die TUgend belohnt, wie

schwachsinnige Greise das Laster, und das alles, ohne viel

zu arbeiten ••• 11 28

Noch viel eindrucksvoller und realistischer

wird uns von demselben Lord Berrick die Entstehung und der

geschichtliche Auf'stieg der Stadt Venedig geschildert: "Da

waren eines Tages einige hundert Pferdehirten in Venetien

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vor den Goten ins Lauren gekommen, sie liefen Tage und Nlch­

te, und eines Morgens standen sie am Meer. Sie warren si oh

mit ihren Pferden ins wasser und sohwammen ums Leben. Stiessen

auf lnseln, und auf der gr8ssten, dem Rialto, grdndeten sie

ein Gemeinwesen. Schon 697 gabes einen Dogen". Die Venetiani-. '

schen Kaufleute gehen dann eifrig ihren Gesohlften nach und

siechern den Erfolg dieser Gesohifte und ihren Wohlstand

durch "Fe uer und Sohwert, solange sie die Stlirkeren waren,

als die unehrlichsten Hindler der Welt, wenn sie Hberlege­

nen Krlilften gegentlberstanden". Sie erscheinen aber auch in

der Rolle der "Pazifisten mit gespickter B8rse, wenn es galt

aus dem Strei t anderer grosser Herren Gewinn zu ziehen; "

"Es war nicht ihre Schuld", erz§h.lt weiter Lord Berriok,

"wenn sie spiter noch kb.pfen mussten, sondern der primi­

tiven Sultane, mit denen ein fortgeschrittener Kaufmann

sich unm8glioh verstindigen konnte. Schon 735 wurde der

erste Doge, weil er sich mausig machte, er.mordet, wenn

auch nicht so feierlich wie seine NacMolger, deren Kopf

vor einer glinzender Versaœmlung und unter prunkvollen

Zeremonien die Gigantentreppe des Dogenpalastes hinab -

rollte. Und schon der nlichste Doge bekam. zwei Aufseher,

deren Zahl im Laur der Jahrhunderte dauernd wuchs,weil sich

die Notwendigkeit herausstellte, die Aufseher zu beaufsich-

tigen •••• li 29 '

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Das gewaltt~tige und unmenschliche Walten der Macht­

haber ist auch bei Schickele manches mal von einer gBttlichen

Vorsehung, nicht im Sinne elnes vollkommenen Determinismus,

wie bei Bossuet, beeinflusst. Die Nichtachtung von Tradition

und gBttlich-moralischèm Gesetz, die Uberhebung des Menschen

gegen das gBttliche Gesetz bringt o~t verherende Folgen oder

Verderben. Obwohl Ulricus, der Urgrossvater von Claus Breusdh-

heim, die von der ~ranzBsischen Revolution proklamierten

Freiheiten und Rechte begrdsst, erkennt er doch, dass die

Fdhrer der Revolution den Weg der christlichen Tradition

ignorieren und ihrem Verderben entgegengehn:

"Als der ers te Ffihrer stttrzte, verstand er so~ort, dass die andern ~olgen wdrden •.••.•• Und alle die geliebten K8p~e ~ielen,Danton, Desmoulins, Wester.mann, einer nach dem ander.n1 Der Frtihling der Welt erso~~ in Blut t Wildge­wordene Schulfdchse regierten an Stalle der geborenen Herran. Regierten? Sie r~chten sich. Das Tintenfass speiste die Guillotine, der Ba­kel ~Hhrte Krieg. Schon hatten sie die GBttin der 'Vernun~t fdr Spiesser 1 aus dem Bordell geholt, wohin sie von je gehBrte, wo sie zu Hause und an ihrem Platze war, und suchten nach einem Felsen Petri fdr sie, die naseweisen Kinder, denen die Kommunion zu albern war, und liessen neue Liturgien fdr sie dichten und Symbole malan, gottesjimmerliche Plagiate der alten, nur schlecht geschrieben •••••• Schulfdchse, die sich ~~r gottdhnlich hielten, weil sie Hber die Bajonette und Kanonen im Land geboten und jeden umbringen konnten, der widersprach oder auch nur ein~ach den Mund hieltl "30

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'. 2. BLICK AUF DIE VOGESEN

Der zweite Roman der Trilogie, "Blick auf die

Vogesen 11 , ist der Roman des elslssischen Landes, des el -

slssischen Menschen. In keinem seiner Romane ist Schickeles

Liebe zu seiner Heimat, sein lokaler Patriotismus mit sol­

cher Hratt, Leidenschaft und Webmut zum Ausdruck gekommen,

wie in diesem. Schon der Titel des ersten Kapitels: "Vive

l 1Alsace 11 , erscheint wie ein patriotisches Schlagwort.

Die herrlichen Naturbeschreibungen mit welchen der Dich­

ter dieses Buch in verschwende,rischer Fdlle bedacht hat,

tragen dazu bei das "erkorene Land", des Dichters Heimat,

dem Leser umso liebenswdrdiger erscheinen zu lassen.

was sahon bei der Behandl~ der publizisti­

schen Werke Schickeles er8rtert wurde, soll hier nochmals

hervorgehoben werden: dass die politische Einstellung

Schickeles in Bezug auf seine Heimat nicht das Geringste

mit dem, was man 1m allgemeinen unter Nationalismus ver­

steht, gemeinsam. hat. Sogar wenn seine Emp8rung einen

polemisch-aggressiven Charakter annimmt und er .ftir ein

autonomes Elsass spricht, wird Schickele niemals zum

feindseligen oder gehlissigen Politiker. Als hervorragen­

der Kenner der politischen Problematik des zentralen und

westlichen Europas, ist Schickele mit jedem Aspekt dieser

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Problematik bekannt.

Der Roman "Blick auf die Vogesen" ist mit po­

litischer Thematik durchsetzt. Es ist eine politische Dich­

tung im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Handlung des Romans ~!llt in die Nacbkriegs­

jahre des ersten Weltkrieges. Eines der Themen in dem Kom­

plex der politischen Thematik ist der Adaptierungsversuch

des elslssischen Volkes an die politische Neuordnung, die

durch die Integrierung des Landes an Frankreich, begonnen

hat. Obwohl diese neue ûrdnung im Prinzip demokratisch ist,

tr!gt sie doch die Merkmale aines traditionellen franz8si­

schen Nationalismus, welchen zu bekimp~en Schickele st!ndig

bemtiht war. Ein anderes Thema ist der Kamp.f des elsissischen

Volkes um sein kulturpolitisches Erbe.

Rein handlungsmlssig erscheint der Rcman "Blick

au~ die Vogesen" als Verll.ngerung des ersten Rom~s, "Maria

Capponi n. Ernst Breuschheim kann die Einsamkeit seines

Waldexils nicht linger ertragen und beschliesst in Beglei­

tung seines S8hnchens Jacquot zu seinen Eltern ins Elsass

zu reisen, wo er sich eine Besserung seines deprimierten

seelischen zustandee verspricht. Schon bei dem Uberschrei­

ten der Rheinbrdcke âberkammt ihn ein sonderbares Gefdhl

des Wohlseins, das vam Dichter folgender.massen beschrieben

wird: "Immer h!~iger blieb Claus stehen, reckte si ch, tief

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atmend, spreizte die blossen H!nde, warf den Kopf in den

Nacken, senkte ibn llchelnd. Da klopfte sein Harz in der

Schwebe zwischen Deutschland und Frankreich, mitten auf dem

Rhein,der ein heiliger strom war, •••• und ihm war, als kreis­

te ein haller Schimmer davon auch ausserhalb seiner Leiblich­

keit, viel, viel welter, als die waagerecht ost- und westwlrts

ausgestreckten Arme - von einen Gebirgszug run Horizont zum

ande rn 1 " 3l ·

Als sich Claus seinem Vaterhause nlhert, nimmt

dieses Geffthl an WHrme zu, und wir sehen ibn voller Begeiste­

rung und Andacht in der Nlhe des Vaterhauses, a~f heimatlichem

Boden stehn: n Da .lag der innere Hof seines Landes und sah

ihn gross an. Links am Horizont, im vollen Licht, strahlten

die Voge sen. Gegentlber der Schwarzwald: ein Rauch. V or ibm,

nur wenige hundert Mater entfernt, erhob sich die hohe, gelb­

liche Stldwand des Breuschhe~r Srihlosses und stellte nichts

anderes vor, als was es sein sollte: ein ger!umiges, wetter­

festes Haus. u32

Als Claus nach Hause kommt, findet er das hlussli­

che Leben verlndert. Der patriarchale Frieden, die Eintracht

im Familienleben sind gestBrt. Vater und Mutter sind ·nicht

mehr frohen Sinns, wie er sie in seiner Erinerung behalten

hatte. Sie sind zwar beide bemtlht vor dem Sohn ihre wahran

Geffihle zu verbergen um ihn nicht zu betrtlben, aber Clausf~lt,

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dass der Familienfrieden gest8rt ist. Nachdem er sich in die

neue Verhlltnisse einlebt, erfihrt er auch den Grund dieser

Verinderung.Schuld daran sind die gespannten Beziehungen

zwischen seinem Bruder Ernst (ein adoptierter Sohn der Fa­

mili~und den Eltern. Ernst hat Anne-Marie Hartmann, die

Tochter des elslssischen Grossindustriellen Charles Hart­

mann, ~eheiratet welche in erster Linie rfir die entstande-

nan Missverst!ndnisse und gegenseitige Entfremdung verant­

wortlich ist. Uber Anne-l-faria, die Claus noch aus Venedig

kennt, sagt uns der Dichter folgendes:

"Statt aber, wie damais in Venedig, mit dam Aquarellkasten herumzulaufen und eine Sonne abzumalen, wie sie nur auf den Ansichtspost­karten den Dogenpalast beschien, jagte sie jetzt auf Geltung ffir ihren Gatten.Kein Tag ohne Sonne, hiess es im venezianischen Ne be 1. Kain Tag ohne irgendeine Befriedigung des Ehrgeizes, so war es haute. Ihr Ehrgeiz war gross, das Elsass ein kleines Land - da galt es, die Ellenbogen zusammenzunehmen und spitzfindig zu wHhlen wie in einem Nihtisch. Der Wille bebte durch ihre straff gehaltenen Gebirden, sprdhte ihr aus den Augan. Ein kluges, aunmerksames Mldchen, einer satten Bourgeoisie entsprungen, wie die Jungfrau von Orleans dem Frankreich des schlifrigen Dauphin, so ungeflhr sah sie sich selbst im Bild (und es konnte rdr lhnlich gelten, obwohl sie die Dreissig ~berschritten hatte}. Entschlossen ihrem Ernst die recht­m!ssige Krone zu erfechten, wo es auch sei, sprang sie mit entfalteter Fahne in jeden neuen Tag." 33

Auch Ernst steht ihr "in puncto" Ehrgeiz und Gel-

tungssucht nicht viel nach. Schon als Quartaner weigert er

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sich an einem Kinderrest teilzunehmen, weil er die anderen

Kinder f~r zu gering hilt. Ernst wurde ain vorzHglicher

Student, trat einer Burschenschart bei, wurde Offizier der

deutschen Armee und zeichnete sich in den Klmpfen des ersten

Weltkrieges aus. Nach dem Kriege sehen wir ihn bemHht, seine

deutsche Vergangenheit zu verwischen; er verscharrt seine

Offiziersunifor.m in der Ecke des Friedhofes und wird in

kurzer Zeit Reserveoffizier der franz8sischenArmee. Nur ein

Schmiss in seinem Gesicht bleibt als dauerndes, wenn auch

unerwdnschtes Merkmal, als Beweis ~iner Vergangenheit die

er gerne austilgen m5chte. Sein p18tzlicher Diensteifer

als Mitglied der Rheingarde - eine sehr national einge­

stellte franz5sische Organisation - scheint die Hbrigen

Fam.ilienmitglieder (mit Ausnahm.e seiner Frau) noch mehr

zu befremden. Claus sucht seinen Bruder zu rechtfertigen

indem er sagt: " Doch ich begreife Ernst. Er war von gan-

zem Herzen bei den Deutschen. na er sich zu den Franzosen

schlug, wollte er ebenfalls ungeteilten Herzens dabei sein.

Es ist unser Schicksal, fremden Herren zu dienen. Ein

ehrlicher Karl legt wert darauf, es aufrichtig zu tun. Er

versucht es wenigstens." 34

Der neue Titigkeitseifer Ernsts hat aber, ausser

einem angeborenenDrang zur Geltungsentfaltung, auch einen

verbor~enen, psychologischen Hintergrund, der fdr sein Leben

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von schicksalhafter, fataler Bedeutung sein wird. Ernst wird,

wie es Hans Boulanger in bescnr!nkterem Ausmasse war, ein

psycholgisches epfer des Krieges. Durch seine umstellung,

seine neue Anhlnglichkeit zu einem Patriotismus, der ibm

im Grunde fremd ist, sucht Ernst seine Gefdhle fdr eine Ver­

gangenheit, die so viele Erinnerungen in ibm wachruft, ge­

waltsam zu tBten. Dieser Versuch, wennauch anfllnglich Erfolg

versprechend, wird seine Seele zermarben und zerstdren, er

wird ibm zum Verhlngnis werden.

Claus und seine Eltern werden uns von Schickele

als die wahran Elsilsser dargestellt. Es sind Menschen mit

Vorztlgen und Fehlern, gew8hnlich in ihren Ansprtlchen, aber

keine Durchschnittsmenschen, denn sie haben Phantasie und

Sinn rdr Kunst. Ihre Charakteranlagen werden uns von Schickele

folgenderm.assen beschrieben: " 'Wir', das waren Vater, Mutter

und Claus, drei gutartige, etwas bequeme, etwas veiWBhnte

M&nschen, die Mlnner phantastisch, die Mutter fromm, vom

Gebet umhegt, liebenswdrdige Naturen alle drei, die in gleich

grosser Scheu vor fremder wie eigener Empfindlichkeit jeder

andern Art von Krieg, als den lustigen Feldztigen und Uber­

filllen im Haus, auf h8flichen Sohlen aus dem Weg traten -

und ziemlich unerfahren in den Notlagen des Lebens, mit

Ausnahme von Geburt, Liebe und Tod. Alle andern Zufllle zlhl-

te man in der Famille zu den kleinlichen Miseren ••• " 35

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Es werden uns da Menschen vorgestellt, die ein

patriarchales, religiBses Leben fdhren, ohne auf geselschaft­

liche Geltung oder Aufstieg bedacht zu sein, Charakteranlagen,

die uns schon von Ulricus her, dem Ahnen und Prototypus des

gebildeten Elslssers, bekannt sind. 1m charakterlichen Gegen­

satz zu ihnen steht Ernst und seine Frau Anne-Marie, die nur

auf gesellschaftliche Geltung bedacht sind und zu Sklaven

ihres Ehrgeizes werden.

A.ls 11nucleus 11 des els!tssischen Volkes und als

Trlger des els!tssischen kUlturgeschichtlichen Erbes wird von

Schickele die elsls~ische Familie angesehn. Der Lebenswille

von Generationen, die Tradition und Kultur eines Volkes

werden von ihr erhalten. Durch gemeinsame Entbehrungen,

Schicksalsschllge sowie Momente der Freude und Zufrieden-, heit wird das Familienleben zementiert und unter.mauert, und

so wird diese kleinste soziale Institution zur Hauptst~tze

des gesellschaftlichen Lebens. Dies sind Schickeles Ansich­

ten ~ber die Famille. "So verh!lt es sich mit einar Famille,

die den Nam.en verdient", sagt Schickele, ."verhllt sich zu­

mindest im Elsass noch so, dieses und das 'nlchste Jahrhundert.

Die elslssische Famille ~erdauert viele Katastrophen, aufge­

baut wie sie ist im Sturm der Menschen und Elemente, viel -

erfahren zwischen dem Feuer des Kreuzes und dem Feuer des

Schwertes, von der Wechselflut der fremden Eroberer umschau-

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kelt,woraus das Erbe ~er wiedèr auftaucht, geheimnisvoll

fruchtbar und funkelnd wie ein ganz junges Midchen. n 36

Der Roman bringt auch eine Schilderung der po­

litischen Situation nach dem ersten Weltkriege und gewilhrt

einen E~blick hinter die Kulissen der dmnaligen Weltpolitik,

wo das Schicksal verschiedener Nationen entsohieden wird.

Und wieder sehen wir in Schickele den grossen Kenner auf

dem Gebiete der Politik, den erfahrenen Politiker, der stets

bereit ist auf intelligente und gewissenhafte Weise die ver­

sèhiedensten und schwierigsten Probleme zu lasen. Es ist dies­

mal das besiegte Deutschland,dem Schickeles Sympathie angeh8rt.

In der festen Uberzeugung, dass eine geschichtliehe Unge -

rechti~keit ungest8rt ihren Weg n~t, gibt uns Schickele

zuerst die Darstellung der politischen Spannung die auch

nach dem Kriege zwisehen Frankreich, dem Sieger, und Deutsch­

land, dem Besiegten, besteht. In kurzen, pritgnanten Sitzen

wird der Leser zuerst mit den Hauptgrdnden dieser Situation

in Kenntnis gesetzt: "Frankreioh brauohte dringend Geld.

Viel Geld. Es batte einen Schuldner: Deutschland. zur Siche­

rung seines Anspruohs hielt Frankreichs Rheinarmee grosse

Streeken deùtschen Landes besetzt. Frankreich wollte von

Deutschland bezahlt sein. t-Ticht nur juristisch, sondern auch

moralisch konnte es hoffen, bei seinen ehemaligen VerbHnde­

ten Untersttitzung zu finden." 37

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Wir sehen wie Ministerpr!sident Sarcarot ent-

schlossen ist das zahlungsunf!hige Deutschland zur Beglei -

chung seiner Kriegsschulden zu zwingen, was nur durch die

v8llige Lahmlegung der deutschen Industrie geschehen kann.

Schickele sieht in diesem Entschluss eine Fehlauslegung des

Versailler Vertrages. Um diese Situation zu retten, ent -

schliessen sich England und Amerika Deutschland beizustehen,

indem sie ihm die Stundung der laufenden Zahlungen und eine

Anleihe gewRhren. Um einer, von franz8sischer Seita geplanten

Besetzung deutscher Gebiete, vorzubeugen, wurde ein inter -

nationaler Ausschuss von Fachleuten einberufen, der Frank-

reich eine akzeptable Ldsung vorlegen sollte. Die Aussichts­

losigkeit dieser Bemfthungen, welche durch Einsehen und Ver­

stândnis fdr die kritische finanzielle Lage Deutschlands,

zu einer positiven L8sung gerdhrt hitten, werden von Schickele

mit feinem Spott persifliert:

"Die Herran tagten haute zum zehntenmal. Sie waren mit ihrer Arbeit zufrieden. Den Umstânden angemessen, ging es gut, ~ber alles Erwarten gut, ging es vorz~glich. Die Finanzminner sassen im Saal an einem Tisch und waren so weit, dass ihre Uhterkommission einen brauch­baren Plan ausgearbeitet hatte. Er fand all­gemeine Zustimmung, und die Angelsachsen zwinkerten sich schon mit einem Wimpernhaar zu, da erhob sich Charles Hartmann, der aus­gezeichnete Industrielle aus Mfilhausen im Elsass, und erklRrte mit heiterer Miene, Frankreich halte es fdr selbstverstindlich, dass der Haupterl8s aus der Anleihe •••• zu­gunsten Frankreichs und Belgiens in die Re­parationskasse fliesse. u 38

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Mit unwiderstehlichem Humor wird die Szene der

Besprechungen zwischen den Vertretern, der an der Konfe­

renz teilnehmenden Nationen, geschildert. Der deutsche und

englische Vertreter sind bemtiht eine "ret tende Formel" zu

rinden, was durch die Unnachgiebigkeit des rranz8siscben

Vertreters vereitelt wird. Schickeles LBsung wdrde im na­

tHrlichen Vernunftsverh!ltnis zwischen den humanen Sieger.n

und den hilrsbedHrrtigen.Besiegten liegen, eine LBsung,

die nach einem Krieg praktisch niemals in Wirkung tritt,

weil die Menschen ~r diese zu wenig Verstlndnis haben.

Die horfuungslose .finanzielle Lage Deutschlands komm.t in

den .folgenden Worten Kurt Kiepers, des deutschen Vertre­

ters, zum Ausdruck : "t:rnaere Kassenschrlnke kBnnen Sie nicht

gut ausplündern. Sie rinden auch nur Papier darin. Nicht

wir Industriellen sind Frankreich Geld schuldig, sondern

das deutsche Volk, die deutsche Regierung. Die haben be­

kanntlich nichts. " 39

Die Nachkriegspolitik Frankreichs ist jedoch

darauf gerichtet, die LBsung des Rheinlands von Deutschland,

vielleicht auch dessen Zerrall, zu verwirklichen. Dies war

der Traum der .franz8sischen Mi li tlirkreise. Aus die sem Grunde

wurde der Minister Maxime-Simon, der diese politische Linie

nicht folo:en wollte, gesttirzt, aus demselben Grunde bestand

der neue Ministerpr§sident Sarcarot auf die sofortige oder

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teilweise Begleiohung einar Kriegsschuld, deren GrBsse man

nicht einm.al ange ben wollte, um demit Deutschland zum "ewigen

Schuldner" zu machen. Die \tJ"elt ftirchtete aber nicht mehr

die Deutschen, sie rdrchtete die immar stlrker aufkommende

soziale Unordnung und die proletarische Diktatur. England

f~rchtete zugleich ein ~ber.mlchtiges Frankreich, das den

europlischen Kontinent beherrschen wollte.

Aus der Vielfalt der politischen Anschauungen,

die in den C~sprlchen zwischen den Wirtschaftsmagnaten der

verschiedenen Nationen erBrtErt werden, sind es zwei, die

das besondere Interesse des Lasers erwecken, weil sie auch

haute von basonderer Aktualitlt sind:

1) Es gibt kaina politische C~pgraphie, kaine

politische Kunst mehr, alle heutige Wirklichkeit ist

wirtschaftlicher Natur.

2) Ein Volk geht infolge einar politischen

Katastrophe (Krieg, Revolution) nicht zugrunde, es stirbt

nicht aus, es kann nur bankrott machen. Darum ist der Wieder­

aufbau der Industrie fHr einen zus&romengebrochenen Staat

von so grosser Wichtigkeit. Wenn gegen die zweite dieser

Anschauungen von Seiten des Autors kein Widerspruch erho-

ben wird, so wird die erste kritisiert. Der deutsche Gross­

industrielle Kurt von Kieper, der als Protagonist des Dich­

ters in Fragen der Wirtschaftspolitik angesehen werden kann,

lussert folgende Meinung: " •••• !ch glaube auch nicht, dass

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alles in der Welt nur mehr Wirtschaft ist, halte die An­

sicht ftf.r einen modischen Wahn.... 11 Es gibt aber einen

noch geflhrlicheren Wahn, und Sarcarot ist der Trlger

die ses· Wahns, denn "Denn Herr Sarcarot glaubt nur an die

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Politik, er meint •••• er kann uns mit seiner Politik alle

niedertrampeln und schickte sich an, es zu tun." 4° Es ist also der blinde Glàube- an die Politik, der

unerschdtterliche Wille bestimmte politisvhe Ziele zu ver­

wirklichen, der dém Menschen .am schldlichsten ist und ihn

geflhrlich macht.

Die Besetzung des Ruhrgebietes durch die ~ran­

z8sische Ar.mee wird von Schickele als grosser politischer

Fehlzug, von Kriegslustigen Generllen und rdcksichtslosen

Politikern inspiriert, angesehen. Er nennt die Besetzung

des Ruhrgebietes "eine Stra~expedition gegen ein ent -

waffuetes Volkn und weiss nur zu gut, dass durch solche

Methoden ein Krie·g zu keinem entgtlltigen Ende gebracht

werden karm, denn er enthillt in sich schon den Keim eines

neuen Krie ge s.

Die ~etzten Kapitel des Romans brin~en die

Trag8die Ernsts. Er und seine Frau Anne-Marie sin~wie

schon vorher erw!hnt, nur auf gesellschaftliche Geltung

bedacht. Besonders Anne-Marie, eine moderne (obwohl nicht

verbrecherisch veranlagte) Lady Macbeth, geht es darum,

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ihren M~~ in einar ffihrenden gesellschaftlichen Stellung

zu sehen. Ernst, der gewesene deutsohe Offizier, muas sich

nun umstellen, um sioh den neuen politischen Verhiltnissen

anzupassen. Die Vergangenheit lisst sioh aber nioht aus -

18schen und der innere Kmnpf beginnt sich bei Ernst immer

stirker auszuwirken. Dieser K~pf zermHrbt seinen schon in

frdheren Jahren angegriffenen Geist.

Eine zusHtzliche seelische Ersch~tterung

erlebt Ernst durch den Tod der Mutter, die er sehr geliebt

und verehrt hatte. Er wird, geisteskrank, in eine Heilan­

stalt gebracht, dann fiir kurze Zeit entlassen; kann jedoch

der Krankheit keinen weiteren Widerstand leisten. In einem

Moment der seelisohenDepression begeht er Selbstmord.

Die Bestattung Ernsts bringt dem Leser noah

einmal die Sinnlosigkeit der politischen Differenzen, so

typisch fUr den Els!sser, vor Augan. Die franz8sischen Be­

h8rden (im besonderen die Rheingarde) sehn in Ernsts Tod

einen Verlust fiir die franz8sische nationale Sache, das

Hingehen eines Patrioten, wlhrend Ernst selbst in einem

Abschiedsbrief den WUnsch lussert in Deutschland bestat-

tet zu werden, im Lande wo er seine Jugend verbracht, an 1

welches ihn die sch8nsten Erinnerungen binden. Als Claus

Breuschheim, gegen das Ende des Romans, die Vogesen, die·

Berge seiner Heimat, anruft,und den Verlust seines Bruders

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bekl~gt, wird uns nochmals die Tragddie des elsHssischen

Vol}:t:es veranschaulicht: nwenn auch alle noch schlafen und

euch nicht hdren, ihr seid der lange, stumme Schrei, daes

Deutschland und Frankreich in Unfrieden leben, die Toten­

klage seid ihr dber den dauernden Brudermord, in allen

Jahreszeitenl In allen Jahreszeiten erhebt sich die stumme

Totenklage aus euerem gemeinsamen Dasein, das dieses Land

ist, mit einem LHcheln fast, weil das Land so sch8n ist,

das Le id so al t, und strdmt in taus end Adern durch Ddrfer

St!dte. Dieser Mann starb nicht wie andre sterben. Euer

Hass hat ihn gemordet. 11 41

Wie im Schauspie 1 "Hans im Schnakenloch", und

in vi elen seiner Essays, bringt Schickele im Roman "Blick ·

auf die Vogesen" das Bild der inneren Zerrissenhei t der

elsHssischen Famille. Mit tiefem und aufrichtigem è~rahl

wird die Tragik dieser Famille und des ganzen elsHssischen

Volkes dargestellt. Die Verantwortung fdr diesen Zustand

fHllt auch dieses mal auf Deutschland und Frankreich, die

zwei grossen Nachbarvdlker, die durch ihre machtstreberische

Politik das els!ssische Volk in Verwirrung bringen.

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.. 3. DER WOLF IN DER HURDE

Der dritte Roman der Trilogie ist der Roman

des politischen und gesellschaftlichen Parvenu, des ge -

wissenlosen Karrieristen, der keine Mittel scheut, um nur

seine Pline und Absichten durchzuffthren. Schickele selbst

gibt uns im ersten Kapitel des Buches einige aufschluss -

reiche Hinweise ~ber den Irihalt des Buches un die chara-

kterlicl:e Beschaffenhei t des Helden: nDagegen beginnt hier

eine andre Geschichte. Bei der geht es hauptsHchlich um

C~ld, persBnliche wreiheit und Macht, aber auch um andre

gute Dinge, wie den Besitz einer Frau, die Eroberung,den

Genuss, die hemmungslose Ausbeutung einer Frau, weshalb

die Geschichte Üblicher Weise die Bezeichnung einer Liebes-

geschichte verdient •. Erobert, genossen, ausgebeutet wird

-das soll sich erst zeigen. . •.. Der Held oder Banditi,wie

man es nennen will, heisst Silvio Wolf, gebürtig aus dem

Mtinstertal, Oberelsass, jetzt: Département du Haut-Rhin,

Familie unbekannt, langjHhriger Sekretlr Sir Ronald

Gu rd ons. 11 42

Silvio kammt aus dem Balkan (einer Gegend

Europas, aus welcher die meisten Schriftsteller Westeuro-

pas ihre dunkeln Fi~uren, wie Hochstapler, Diebe oder son­

stige Verbrecher -mit Vorliebe beziehen). Eines Tages

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~berkommt ibn die Luet zum Wandern, und er beschliesst der

"Sonne nachzugehen". Er nimmt alle Gefahren und Entbehrun­

gen in Kauf, um nur an sein, diegmal rein geographisches

Ziel zu kommen. Im Alter von sechzehn Jahren ist er schon

verheiratet, verlisst aber seine Frau und gelangt endlich

ins Elsass, wo er das Gymnasium als Unterprimaner besucht.

Seine Grossmutter, die im Mdnstertal ein Milchgeschift

hat, sorgt f~r ibn. Eines Tages erkennt er auf einar der

Strassen Strassburgs seine Frau und flieht. Er wird Sekre­

t!r bei Sir Ronald Gurdon, dem englischen Kautschukmagna­

ten. Silvio ist ain Mann von sehr einnehmenden Aussern,'

sehr intelligent, ein Sprachengenie{erlernt die westeuro­

piischen Sprachen mit Leichtigkeit),was ibn aber von an­

dern Leuten seines Altera am meisten unterscheidet, ist

seine Zielstrebigkeit. Er ist fest entschlossen auch die

R:eringste seiner Begabungen zu seinem Vorteil auszuwerten.

Silvio ist ~berzeugter Kammunist. Seine

Auffassung vom Kammunismus ist aber keine idealistische.

Der Kammunismus ist ~r ibn nicht eine Ideologie, welche

die menschliche Gesellschaft verbessern und um moralische

Werte bereichern wird, sondern ein unumgingliches Stadium

der sozialen Entwioklung, eine gesohichtliche Notwendig­

keit, die er erkannt hat und rdr seine pers8nliohen Zweoke

auszuniitzen entsohlossen ist. "Egoismus ist die sohonste

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Sache der Welt", sagt Silvio, "unter der Bedingung, dass

er zum Ziehl ftihre. " 43

Silvio versteht zugleich die Menschen sei-

nes Bekanntenkreises fHr seine Zwecke dienstbar zu machen. ,

So gelingt es ibm die junge Dichterin Aggie Ruf fdr den

M~rxismus zu interessieren. Schickele zeigt uns hier, und

er erweist sich auch als grosser Kenner der dichterischen

Seele, wieso die reine Mentalit§t des Dichters (in unserem

Falle der Dichterin), dùrch politische Ideologien der geisti­

gen Korruption und Zersetzung unterliegt. Mit wahrer Begei­

sterung stdrzt sich Aggie in das Studium der marxistischen

Doktrine, wodurch sie Ideen und Anschauungen aufnimmt, von

welchen ihre Denkweise ~er unberdhrt war:

Im Sturmschritt nahte sie den Emp8rern der letzten hundert Jahre ••••• Aus dem Wider­spruch der Urteile entstand eine Vorstellug, die sich mit dem k8rperlichen Bild verband, und daran glaubte sie mit Selbstverstindlich­keit, was weiter nicht zu verwundern braucht, wenn man bedenkt, dass die Einftihlung in einen Menschen, das Erraten hdherer Art, ein Leben lang gedbt, Aggies einziges brauchbares Fuhrwerk durchs Leben war. Sie hielt sich den aufgerufenen Gestalten mit allen ihren suchenden und vergleichenden, ihren instin­dig werbenden Gedanken zugewandt, bis die Bilder T~ben gewannen. So geschah es, dass aus Gesichten Gesichter wurden und die Ztige .eines Lassalle, eines Engels, e1nes Marx, eines Lenin sie ansprachen und Aggie die Toten als faszinierende, geflhrliche Freunde um sich versammeln konnte. Die Schdsse in den Kellern der GPU verloren allm!hlich fdr sie ihre Schrecken." 44

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Der faste Boden einar ethisch-traditionellen

Einstellung beginnt allm§hlich in Aggies Weltanschauung

unsicher zu werden. Neue werte dialektischer Herkunft

beginnen die alten, absoluten Werte zu verdringen:

11 In ihren Unterhaltungen kam nun das Wort Dialektik

ebenso oft vor wie frdher die Worte Wahrheit, Gerechtig­

keit, Freihei t, Harz, Gtite, Geduld zusammengenommen." 45

Dieses Zitat illustriert vielleicht am besten

Schickeles Glauben an absolute Werte, deren Verwirkli -

chung als erstes Gebot fdr jades politische Regime gel­

tan sollte. Von der praktischen Verwirklichung dieser

Werte ist das Wohlsein der menschlichen Gesellschaft ab-

h!ngig. Weder die strukturelle lussere For.m der politi -

schen Macht, d.h. die For.m der Souverlnitlt, noch die

besten politischen Programme und Doktrinen tragen in

sich die Bdrgschaft ftir das allgemeine Wohlsein, wenn

das C~wissen der Regierenden von diesen absoluten Werten

absieht.

Silvio verstrickt Ada Hartmann, Schwester

Anne-Maries und geschiedene Grlfin Breisach, in eine

Liebesaffaire, die ibm ermdglicht, sie zu heiraten. Als

Schwiegersohn des Grossindustriellen Charles Hartmann,

des überall anerkannten franzdsischen Patrioten, hat nun

Silvio Zugang zu den hdchsten gesellschaftlichen Kreisen

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und verfdgt Hber grosse finanzielle Reserven. Er ist nun

rest entsehlossen im Elsass seine politisehen ~bitionen

zu verwirkliehen. Um die Sympathien der Elslsser zu ge -

winnen, sehllgt er vorllufig eine Politik ein, die eigent­

li.eh mit seinem Endziel, der Weltrevolution, 1m Gegensatz

steht. Silvio sieht aber ein, dass dies der einzige Weg

ist, um Hberhaupt in diesem Lande politische Karriere zu

maehen und setzt sich far ein autonomes Elsass ein. Er

trlgt die Maske des patriotisehen, gebildeten, h8flichen

Bdrgers, des Trlgers der demokratisehen Ideen Voltaires

und der rranz8sisehen Revolution. Sein vorlluriges Ziel

ist franz8s1scher Deputierter zu werden, um somit das

politisehe Geschiek des Landes Elsass mitbestimmen zu

k8nnen und einen strategisehen StHtzpunkt in seinem po­

litisehen Angrirrskrieg zu gewinnen. Seine rege Tltigkeit

und das angestrebte Am.t eines Abgeordneten sind nur eine

Phase die zum Endziel, der Weltrevolution, fHhren sollen.

zu diesem Zweek macht Silvio die Dichterin Aggie Ruf, die

seiner dimonischen Pers8nlichkeit und seinen mlnnliohen

Reizen nieht widerstehen kann, zu seiner Geliebten. Aggie,

unter seinem verderblichen Einfluss zur Hberzeugten Kammu­

nistin geworden, setzt ihr schriftstellerisehes Talent und

ihre geistigen Flhigkeiten ein, um Silvi~ in seinem poli­

tisohen Kœnpf beizustehen. Es seheint ihr, die frdher reli-

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gi8s eingestellt und praktizierende Katholikin war, dass

sie in der marxistischen Doktrin eine neue Wahrheit ent-

96

deckt hat. Ihre Freundin Ada glaubt nicht an diese Bekeh­

rung. In ihren Austahrungen, die den Zweck haben, Aggie

vom Kammunismus loszureissen, wiederspiegelt sich die Men­

talitlt des Europlers ~berhaupt. In der Antwort, die sie

Aggie gibt, finden wir das kulturgeschichtlich bedingte,

politische "nec ultra" des europiiischen Biirgers, des euro­

plischen Demokraten. "Glaube doch nicht", sagt Ada, 11dass

du je eine anstlndige Revolutionlrin wirst •••• Du bleibst

ewig eine Bdrgerin, Aggie, und wenn du in die Fabrik gin­

gast und als Proletarierin lebtest, alle und du selbst

wdrden dich als eine verkleidete Person empfinden. Daine

Revolution ist 1789· gemacht worden, und welter kommst du

nicht in deinem innersten Wesen, und wenn du dich noch so

anstrengst. Welter als zum Uberllufer oder Gastdirigenten

in der Unterwelt, wie Claus Breuschheim sagt, welter

bringst du es einf'aeh nicht. 11 46

Ada hat Recht, denn Aggie wird zu ihrer

f~eren Lebensauf'fassung zu~ckkehren, aber die Folgen

dieser Rdekkehr werden f'Hr sie fatal sein.

Schickele sieht im Individuum, und nicht in

der Masse, im sozialen Kollektiv,die grundsltzliche, treiben­

de Kraft 1m Aspekte der kulturgeschichtlichen und zivili -

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satorischen Entwicklung der Menschheit. Nur als, in seiner

Freiheit unbeschrinktes Individuum, bringt der Mensch sei­

ne Fihigkeiten und geistigen KrA~te zu voller Ent~altung.

So hdren wi r Claus Breuscbhe im zu Aggie Ru.f sagen:

11- immer, Aggie, ist mit Individualismus der freie Mens ch

gemeint, der Mensch, der sich weder danach sehnt, zu kom­

mandieren, noch, kammaridiert zu werden, der weder Sklave

sein noch ~ber Sklaven gebieten will. Das ist nimlich

heute das une~nschte Exemplar von einem Menschen. 11 47

Nach einer Unterredung mit Claus, der ihr

klarlegt, dass ihr Glaube an die Weltrevolution nur eine

Flucht vor ihrer Verzweiflung sei, sieht Aggie ein, dass

sie einen falschen Weg gegangen ist. Ausserdem hat sie

die wahren Absichten Silvios erkannt. Sie sieht ein, dass

sie einem schlechten Menschen verfallen und zum Instrument,

zum Hel~er in der Verwirklichung seiner verderblichen Pli­

ne geworden ist. Ihre Angst und Empdrung bringt sie in

folgenden Worten zum. Ausdruck: "Claus, er ist das Genie

der Lfige, der Verderb des Landes. Schon hat er alle und

alles auseinandergebracht, und ich habe ihm nach Krl~ten

geholfen. Ich m8chte nicht, dass er gewllli.lt wird." 48

Als Aggie die wirklichen.Absichten Sil­

vios erkennt, mdchte sie ibn in der Verwirklichung seiner

Pline hindern. Da sie ein weiteres Dasein als Silvios

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Geliebte nicht rdr lebenswert hllt, ihm aber als Frau ver­

rallen ist, gerlt sie in Verzweiflung. Beide unternehmen

eine Reise auf einem kleinen Schiff, und als ein grosser

Stunn einsetzt, wird Aggie, die sich mit Silvio auf dem

Deck befindet, von einer Welle weggeschwimmt und ertrinkt.

Silvio, der sie durch eine verdichtige Bewegung zu "retten"

versucht, wird zuerst wegen Mordversuchs angeklagt, nach­

her, obwohl ein deutscher Jurist gegen ihn Zeugenschaft

ablegt, freigesprochen, da man anniebmt, er habe in Not­

wehr gehandelt. Unterdessen wird Silvio zum Abgeordneten

der rranz8sischen Kœmmer gewlhlt und kann nun seinen

dunklen PlRnen nachgehen.

Der ers te Roman der Trilogie, "Maria

capponi 11 , brachte das Gesellschaft~bild des Vorkriegs -

Europas. Der zweite Roman, "Blick aur die Vogesen", ist

der Raman des Landes Elsass, in dem das politische Drama

des elsissischen Menschen als Hauptthema erscheint. "Der

Wolr in der Htirde" ist der Roman des gewissenlosen Poli­

tikers, der in einar Welt lebt, wo die nattirlichen,

geistigen Krlrte des Menschen nicht mehr ausreichen

um s ich dem Einsickern schidlicher poli tischer Ein -

fltisse wirksam entgegenzustellen. Es ist eine Welt die

sich durch Demagogie und falschen Doktrinismus tiberwll­

tigen lisst, die die verhehrungen des Weltkrieges schon

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zu vergessen beginnt, die durch grosse politische Fehler,

durch Mangel an Gdte und Vernunft schon den Keim zu neuen

schrecklichen Gewalttaten in sich trigt. Dieser progressi­

ve Abfall der europlischen Gesellschaft von bestimmten

Grundprinzipien, die einar h8heren Gesetzmlssigkeit unter­

stellt sind (wie etwa das Naturrecht bei den Stoikern), wo

die HUmanitlt als Emanation aller Gesetzgebung erscheint,

wird dann von Schickele in seinem Roman nnie Wi twe Bosc an

weitergeffthrt. Es ist sein Haupt-und Meisterwerk, das sti­

listische und sprachliche Vorztige aufweist~ welchen nur

wenige Romane der deutschen modernen Literatur gleichkom-

men.

In einem Brief an Schickele schreibt Thomas

Mann tiber trDie Wi twe Boscan : 11 Die a.:nmutigste deutsche Pro­

sa von heute, Crème, Bltite, Spitze, das Ausserste an heite­

rer und gesunder Verfeinerung - geflhrlich nicht 1m Sinne

der Verweichlichung, aber des AnspruchB, denn andre deut-

sche Bticher nachher zu lesen, wird schwer sein. n 49

Obwohl dieser Roman von der politischen

Thematik kaum bertihrt ist, bringt er doch dem Leser das

Bild des seelischen und moralischen Verfalls Europas in

den Dreissiger Jahren, wenn Entscheidungen reiften, die

splter das tragische Schicksal Europas bestimmen sollten.

In einem Brief an Stefan Zweig, vom 11. September 1934,

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schreibt Schickele ~ber diesen Roman folgendes: 11Ich schrieb

ibn voriges Jahr in Sanary, in der Zeit schwerster Depres -

sion, und ich ~bertreibe kaum, wenn ich sage, dass er mir

das Leben rettete. Er ist eine (etwas her.metische) Aus -

einandersetzung mit dem in Mord und Tod verstrickten Euro­

pa." 5o

Mit prophetischem Auge sah Schickele die

.kammende, schreckliche TragBdie Europas voraus. Fdr ihn

wird sie nicht die Fblge einer ungl~cklichen politischen

Konjunktur, oder einar schlecht ge~rten internationalen

Politik sein. Schickele sah tiefer und er sah richtigl

Er sah in der neuen Situation die Katastrophe des Men -

achen, der sein Gewissen verloren hat, der die alten meta-

physischen Bindungen abgelegt hat, ohne neue zu finden.

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V. ALLGEMEINES UBER SCHICKELES DICHTUNG

Die Natur spielt in der Dichtung Schickeles

eine hervorragende Rolle. Die Figuren seiner Romane schei-

nen Abbildungen oder Ausgeburten der Natu~ in welcher sie

leben, zu sein. In keinem seiner Werke hat Schickele die

Sch8nheit der Natur so meisterhaft geschildert wie in der

"Wi twe Bosca", wo ein, die Natur beschreibendes Leitmotiv

mit welchem der Roman beginnt und endet, von struktureller

Bedeutung erschèint. Der ganze Roman IDmelt einar syrnpho­

nischen Dichtung, in der die Leidenschaft der Natur und

der in ihr lebender Menschen von Pan selbst in Musik ge-

setzt wurde. Hemmungslos wie diese Natur, erscheinen auch

die Helden des Romans • • • Uber die Helden der Schickeleschen Dichtungen

kann man tm Allgemeinen sagen, dass sie sehr spontan ver-

anlagt sind. Fast ein jeder seiner Romanhelden bietet ein

Charakterbild, das aus einem Conglomerat der verschieden­

sten Gefdhle, wie: Leidenschaft, Begierde, Sehnsucht,GHte,

Uberschwlnglicbkeit, Nostalgie, besteht, das in der Syn­

these dem Leser meistens als ein unl8sbares R!tsel dieses

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Charakterbildes erscheint. Benkal, Paul Merkel, Maria

Capponi, Hans Boulanger, Claus Breuschheim, Silvio Wolf,

John van Maray und die Witwe Bosca sind Erscheinungen

deren innerstes Seelenleben uns meistens unergrdndet

bleibt. Sie handeln oft spontan, ohne besonderen Anlass,

vielmals unter dem Drang einer plBtzlichen Anwandlung,

die eigentlich unerklHrlich bleibt. Ein innerer DHmon

scheint sie anzutreiben.

Obwohl ein hervorragender Kenner der

menschlichen Seele, hat Schickeles dichterisches Werk

mit dem Psychologismus des realistischen und naturali­

stischen Romans Weniges gemeinsmn. Der innere psycholo­

gische Vorgang wird uns fast niemals geschildert, psycho­

analitische Betrachtungen sind Husserst selten. Seiten -

lange Beschreibungen elnes inneren, seelischen Vorganges,

wie wir sie in den Romanen Zolas, Tolstojs, Dostojewskis

oder Thomas Manus vorfinden, kammen bei Schickele nicht

vor. Nur die Handlungen und persBnlichen Aussagen der

Helden, erlauben einen indirekten Blick in ihre Seele,

ein Vorgang, der den literarischen Wert dieser Dichtun­

gen garnicht vermindert, 1m Gegenteil, die einzelnen Fi­

guran umso interessanter (weil sie einar bestimmten

Enigmatik nicht entbehren) erscheinen 14sst.

Ein bestimmter Zug ins Idealistische, die

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Tendenz zu idealisieren, ist 1m werke Schickeles unver -

kennbar. wenn Hber Dostojewskis Helden gesagt wurde, dass

auch die schlechtesten unter ihnen einen Hang zum Guten

haben, so kann man dasselbe Hber Schickeles Helden sagen.

Sie besitzen nicht die passiv - naive Gutmütigkeit der

Helden Fontanes, sind aber bestimmter Affekte oder seeli­

schen Rdhrungen flhig. Obwohl ein skrupelloser Karrierist,

erscheint hie und zu lm Auge Silvios eine Trine, die auf

seine innere Rdhrung hinweist; und auch die Witwe Bosea,

von Thomas Mann als 11 eine richtige Pans - Hexe" bezeich­

net, empfindet eine fast leidenschaftliche Mutterliebe

fHr ihre Toehter. Die meisten Helden der Romandichtun­

gen Schiekeles sind aber Trlger elnes komplizierten Cha-

. rakterbildes, sie sind zugleich gut und schlecht, keuseh

und sinnlieh, zurHckhaltend und frivol.

Vor allem ist Schickele als Dichter seiner

Heimat, des Elsass und des elsissisehen Volkes, bekannt.

Die Tragddie seiner Heimat sieht er im politisehen Anta­

gonismus zwischen Deutschland und Frankreich, darum war

er stets bemHht diesen Antagonismus zu 18sen, die politi­

schen Differenzen der beiden Linder auszugleichen und die

nationalistisch - aggressiven Tendenzen dieser Staaten

zu bekimpfen. Ein neuer Menschentypus wird angestrebt,

der Merkmale beider Nationen trlgt (wie Claus Breusch -

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heim, der Held seiner Roman -·Trilogie), und eine aut -

fallende Charakterliche Ahnlichkeit mit somanchen Helden

seiner Dichtungen aufweist. Es ist der Typus von dem

Schickele sagt: "Das Herz franz8sisch, der Kopf deutsch.

Nebenbei: das gleiche Lied haben alle els!ssischen Dich-

ter, grosse wie kleine, von jeher gesungen). Der Kopf

reformiere, aber daa Herz revolutioniere. Nur wo Bewe-

gung, Leidenschaft, Blut, Sinnlichkeit sei, da sei auch

Geist. n 1

Schickeles journalistische Laufbahn er -

innert in mancher Hinsicht an Heine, den er sehr hoch

schHtzte. Die Worte, die er ~ber Heine in einem Vortrag

aus dem Jahre 1910 sagte, treffen weitgehend auch auf

ihn zu: "Heine war weder Aristokrat noch Demokrat, er

war eine eigene Natur. Er kAmpfte mit den besten geisti­

gen Waffen des Jahrhunderts rdr jede Freiheit des Men-

h Il 2 sc en •••

Mit Heine liessen sich auch andere ana-

logische Betrachtungen aufstellen. Beide, sowohl Heine

ala auch Schickele, waren Dichter mit einem ausgeprig -

ten Sinn und Interesse rür die politischen Geschehnisse

ihrer Zeit, beide hatten sich als Journalisten betitigt,

beide bekimpften den chauvenistischen Nationalismua unter

all seinen Formen, beide waren aber zuerst Dichter und

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dann Publizisten und keiner von ihnen war ain konsequenter

politischer Denker oder Theoretiker. was beiden vor allem

gemeinsam ist, ist der volle Einsatz im publizistischen

und dichterischen Werk rdr die geistige Freiheit des Men-

achen, die Angst vor der Trivialisierung des Geistes und

die FUrcht vor einem allgemeinen politischen Terror durch

die Herrschaft des Proletariats.

In einem Brief aus dem Jahre 1841 an Gustav

Kolb, den Redakteur der 11Allgemeinen Zeitung", schreibt

Heine, dass die Angst vor den Greueln einar proletarischen

Herrschaft ihn zum Konservativen gemacht hat. 3

Auch rfir Schickele wird mit der Herrschaft

des Proletariats der Komplex der Gewalt nicht aufgehoben,

sondern gef!hrlicher, denn es ist nun die Klasse die aus

einer Mehrheit besteht und im Regieren nicht kundig ist,

die sich an einar Minderheit r~chen will. Es ist eine

neue Phase der Liquidation, ein rdcksichtsloser Kampf um

die Macht und Behauptung der Macht.

Wie Thomas Mann hat auch Schickele die poli­

tischen Ereignisse in Deutschland vor dem zweiten Welt­

krieg als eine Auflehnung gegen eine hergebrachte, tradi­

tionelle Ordnung, einem statua quo, und besonders gegen

den humanitdren r~ist des europ~ischen Humanismus ange­

sehen. Daher auch bei beiden eine negative Einstellung

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gegen~ber dem Protestantismus und die Rechtfertigung des

Katholizismus, als einer Institution die als Trigerin von

traditionellen positiven Werten und somit von Kultur er­

scheint, wHhrertd jeder Protest das kulturelle Erbe des

Menschen in seiner Weiterentwicklung hemmt.

VI. ABSCHLIESSENDE ZUSAMMENFASSUNG

Seine literarische Laufbahn hat Schickele als

Expressionist begonnen. Als er im Jahre 1914 die Heraus­

gabe der Zei tschrift "Die weissen BHI.tter" tibernahm,

wurde er auch zum geistigen Fdhrer dieser literarischen

Richtung. Die politische Hauptdoktrin der Schule war

die Untrennbarkeit von Politik und Literatur. Die Zeit­

schrift bedeutete die Mobilisierung des Geistes !tir die

Politik, und zwar ftir eine antimilitaristische und pa­

zifistische. Schickele wurde einar der Hauptexponenten

dieser politischen Ideale.

Nur in seinen ersten Romanen wie 11 Benkal

der Frauentr8ster" oder "Der Fremde" blieb er dem Expres­

sionismus treu. Eine so starke Pers8nlichkeit konnte sich

f~r die Dauer nicht in den Rahman aines literarischen

106

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Programma einrdgen, seinen politischen Idealen blieb er

jedoch treu sein Leben lang.

Schickele war ein politischer Idealist.

107

Er war fest ~berzeugt, dass die menschliche Gesellschaft

nur dann verlndert werden k8nnte, wenn sich der Einzelne

veriridere, durch eine lang andauernde Revolution des

Menschenherzens, durch Lluterung der Lebens~rung • Eine

goldene Ara der Menschheit erblickte er in einer klassen­

losen Gesellschaft, in der nicht eine bestimmte Klasse,

sei es auch die wdrdigste, herrscht, einer Gesellschaft,

in der Humanitit, Verst!ndnis und G~te zur Quelle jeder

Rechtssaatzung werden.

Sein innigster Wunsch war die Nationen

Europas in Eintracht und Frieden leben zu sehen. Ein

alleuropiischer Staat, der in erster Linie auf der fried­

lichen Zusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs fussen

sollte, war sein ersehnter politischer Traum, den ·er

leider nicht erleben sollte, der aber haute zur brennen-·

den Aktualitlt geworden ist und zum wiederholten Mal sein

politisches Genie und seine prophetische Gabe rechtfertigt.

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lOS

Chronologisches Verzeichnis der Werke Rene Schickeles

Jahr der Verélff'entlichung

19o2

1902

1906

1907

1911

1911

1913

1913

1913

1914

1914

191.5

191.5

1915

1919

1919

1920

1920

1922

1925

1927

Ti tel

Sommernichte (Gedichte)

Pan ( Gedichte)

Ritt ins Leben (Gedichte)

Der Fremde {Roman)

Weiss und Rot {Gedichte)

Me ine Freundin Lo (Roman)

Benkal der Frauentrélster (Roman)

Das Gl~ck (Novelle)

Schreie auf' dem Boulevard {Essaya)

Trimpopp und Manasse ·(Novella)

Die Leibwache (Gedichte)

Mein Herz, mein Land (Gedichte) ;

Ais se (Novelle)

Hans im Schnakenloch (Schauspiel)

Die Genfer Reise {Essaya)

Der neunte November (Essays)

Am Glockentur.m {Schauspiel)

Die neuen Kerle (Kom8die)

vlir wellen nicht sterben (Essaya)

Maria Capponi (Roman)

Blick auf' die Vogesen (Roman)

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Jahr der Ver8ffent1ichung

1929

1931

1932

1933

1935

1937

T1te1

Symphonie fiir Jazz (Roman)

Der Wolf in der Hl'irde (Roman)

Die Grenze (Essaya)

Die Witwe Bosca (Roman)

Himm1ische Landschaft (Essays)

Die F1aschenpost (Roman)

109

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110

ANMERKUNGEN

I. EINLEITUNG

1. Rudolf Kayser, "Aufru.f und Fla:nnne", Literatur-Revolution 1910-1925 (Paul P8rtner), Hermann Luchter­hand Verlag, Mainz,l961, Band II, S.465

2. Thomas Mann, n Al tes und Neues", s. Fischer Verlag, Ftank.furt/Main, 1953

3. Kurt Hiller, "Geist werde Herr 11, Literatur-Revolution

1910-1925 {Paul Pdrtner), Hermann Luchterhand Verlag, Mainz, 1961, Band II, s. 392/393

1

II. ZUR BIOGRAPHIE RENE SCHIGKELES

III.

1. René Schickele, "Werke in drei Blinden", Verlag Kiepen­heuer & Witsch, K8ln/Berlin, 1959, Band III, S. 837

2. Band III s. 838

3. ebenda s. 837

PUBLIZISTISCHE SCHRIFTEN

1. René Schickele, nwerke in drei Biinden 11, Verlag Kiepen-

hauer & Witsch, K81n/Berlin, 1959~ Band III, S. 438

2. Band III s. 431

3. ebenda s. 437/438

4. ebenda s. 446/447

5. eben da s. 444 6. ebenda s. 439

7. ebenda s. 437

8. ebenda s. 1008

9. ebenda s. 458

10. ebenda s. 489

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111

11. René Schicke1e, nwerke in drei Biinden n, Ver1ag Kiepen-heuer & Witscn, KB1n/Ber1in,1959, Bd. III, S. 489-490

12. Band III s. 590

13. ebenda s. 590

14. ebenda s. 591

15. ebenda. s. 593

16. ebenda s. 593

17. ebenda s. 620

18. ebenda s. 993

19. ebenda s. 994/995

20. ebenda s. 988

21. ebenda s. 410

22. ebenda s. 994

23. Band I s. 11

24. Band III s. 1047

25. Band I s. 10

26. Band III s. 486/487

27. ebenda. s. 499/500

28. ebenda s. 1007

29. ebenda s. 463

30. ebenda s. 488

31. ebenda s. 489

32. ebenda. s. 471

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e 112

, '!Werke in drei Binden", Verla.g Kiepen-33. Rene Schicke1e, heuer & Witsch, KB1n/Ber1in, 1959, Bd. III, S. 472

34. Band III s. 477/478

35. ~benda s. 1263

IV. DAS DICHTERISCHE WERK

1. René Schicke1e, 11 Werke in drei Biinden 11, Ver1ag Kiepen-

heuer & Witsch, K81n/Ber1in, 1959, Bd. III, s. 12

2. Band III s. 13

3. ebenda s. 24

4. eben da s. 33

5. ebenda s. 34

6. ebenda s. 35

7. ebenda s. 40

8. ebenda s. 41

9. ebenda s. 41

10. ebenda . s. 42

11. ebenda s. 50

12. ebenda s. 70

13. ebenda s. 74

14. ebenda s. 78/79

15. ebenda s. 76

16. ebenda s. 71

17. ebenda s. 93

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113

lB. René Schicke1e, "Werke in drei Bltnden", Ver1ag Kiepen-heuer & Witsch, K81n/Ber1in, 1959, Band III, S.105/106

19. Band III s. 101

20. a benda s. 106

21. eben da s. 105

22. Band I s. 60/61

23. a benda s. 61

24. a benda s. 65

25. a benda s. .69

26. a benda s. 69

27. a benda s. 156

28. eben da s. 159

29. a benda s. 171/172

30. ebenda s. 67/68

31. a benda s. 339

32. ehenda s. 357

33. a benda s. 383

34. a benda s. 361

35. a benda s. 359

36. a benda s. 402/403

37. a benda s. 414

38. ebenda ...., ,). 417/418

39. a benda s. 443

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v.

114

40. René Schickele, "\verke in drei Bilnden11 , Verlag Kiepen­heuer & Witsch, K8ln/Berlin, 1959, Band I, S. 440/441

41. Band I s. 631

42. ebenda s. 6.59

43. ebenda s. 709

44. ebenda s. 707/708

45. ebenda s. 708

46. ebenda s. 80.5

lt-7. ebenda s. 844

48. ebenda s. 970

49. Band III s. 1064

5o. ebenda s. 1208

ALLGEMEINES UBER SCHICKELES DICHTUNG

1. René Schickele, "Werke in drei Bilnden", Verlag Kiepen-heuer & Witsch, K81n/Berlin, 19.59 Band III, s. 1038

2. Band III s. 848

3. tiilliam Rose, "Heinrich Heine 11, The Clarendon

Oxford, 19.56, s. 61/62 Press,

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Bertaux, Felix

Bi thell, Jethro

Du.we, Willi

Horst, K.A.

Kesten, Hermann

Lion, Ferdinand

Mann, Thomas

, Mosse, Fernànd

Nadler, Josef'

115

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