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politik wirtschaft gesellschaft Roma-Problematik „Die Regierung sollte sich weniger um das Image des Landes und mehr um die armuts- bedingte Migration der Bürger kümmern“ MdEP Monica Macovei über die mühsame Reformierung der Regierungspartei Schwerpunkt Geld- und Kreditgeschäft: Banken in der Pumpfalle Nr. 2/04. 2010 Foto: Cristian Nistor/Agerpres

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Punkto.ro ist das neue deutschsprachige Magazin mit Nachrichten aus und über Rumänien. Punkto.ro erscheint monatlich in Bukarest. Aktuelle Meldungen, Berichte und Kommentare finden Sie auf unserer Homepage www.punkto.ro, wo Sie auch erfahren, wie Sie die Printausgabe abonnieren können.

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Page 1: Punkto - nummer zwei

politik • wirtschaft • gesellschaft

Roma-Problematik

„Die Regierung sollte sich weniger um dasImage des Landes und mehr um die armuts-bedingte Migration der Bürger kümmern“

MdEP Monica Macovei überdie mühsame Reformierungder Regierungspartei

Schwerpunkt Geld- undKreditgeschäft: Bankenin der Pumpfalle

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etzten August ließ sichder nordrhein-westfäli-sche MinisterpräsidentJürgen Rüttgers in derHitze des Kommunal-

wahlkampfgefechts zu herablassendenBemerkungen über die rumänische No-kia-Belegschaft hinreißen. „Im Unter-schied zu den Arbeitnehmern im Ruhr-gebiet kommen die in Rumänien nichtmorgens um sieben zur ersten Schichtund bleiben bis zum Schluss da. Sondernsie kommen und gehen, wann sie wollen,und sie wissen nicht, was sie tun“, so derominöse Passus in Rüttgers’ Rede. DerCDU-Spitzenpolitiker hatte sich an-schließend entschuldigt, er habe das Gan-ze nicht böse gemeint.

Belegt wird das Gegenteil von Rütt-gers’ Wahlkampfparolen durch eine jüngstvom Personalmanagementportal myjob.roveröffentlichte Umfrage: Über die Hälfteder Befragten gaben an, täglich Über-stunden zu schieben, weitere 13% arbei-ten mindestens zweimal pro Woche nachDienstschluss. Personalfachleute bewer-ten das Ergebnis als krisenbedingt: DaUnternehmen Beschäftigte entlassen, wirddas Pensum auf weniger Angestellte ab-gewälzt – mit durchaus dramatischenFolgen.

Nachdem im letzten Monat erneuteine junge Frau (die 34-jährige Program-miererin war Mutter 3-jähriger Zwillinge)höchstwahrscheinlich an den Folgen ei-ner beruflich bedingten Übererschöpfunggestorben ist, wird das Thema der rumä-nischen Arbeitsmoral wieder emotionalaufgerollt. Erst 2007 hatte ein ähnlicherFall für Aufruhr gesorgt, damals wie heutewird in Rumänien auf „profitgierigewestliche Sklaventreiber und Menschen-schinder“ geschimpft, damals wie heutekontern überzeugte Kapitalisten mit Ar-gumenten des liberalen Arbeitsmarkts −niemand könne schließlich zu etwas ge-zwungen werden, der freie Wille sei auchim Job souverän.

Fakt ist, dass System und Gesellschaftsystematisch versagen. Die staatlicheSorge für den Schutz der Arbeitnehmerist reines Lippenbekenntnis; die Angstum den Job und, damit verbunden, umden Verlust einer auf Kredit gekauftenWohnung trägt dazu bei, dass Beschäf-tigte anstandslos parieren. Der Leistungs-druck ist in den meisten Betrieben, be-sonders aber bei Dienstleistern, deshalbso hoch, weil niemand es sich leisten kann,als faul abgestempelt zu werden. DieFolge sind Überstunden – egal, ob sie imBüro oder daheim absolviert werden.

Westliche Politiker sollten es sich vordiesem Hintergrund vielleicht verkneifen,rumänischen Arbeitnehmern – doch auchjenen anderer nichtwestlicher Länder –Faulheit vorzuwerfen. Dass sie im volks-wirtschaftlichen Vergleich weniger pro-duktiv sind als westliche Kollegen, habensie nicht immer selbst zu verschulden.

editorial

3Nr. 2 | APRIL 2010

Faules Pack?

Lvon alexgröblacher

impressum

herausgeber:Punkto Press Service S.R.L.

geschäftsführender gesellschafter:Alex Gröblacher

verlag und abo-service:[email protected]

redaktion:

Sabina [email protected]

Sorin [email protected]

Alex Grö[email protected]

Alex [email protected]

Anne [email protected]

Ada Com`nescuTom GallagherHeiner KremsCamelia Popa

korrespondenten:

Alecs Dina (temeswar)Ruxandra St`nescu (hermannstadt)

anzeigen:

hauptanzeigenleitung:Tel.: (004) 0752 111 347

key account manager:Mariana Epure

Tel.: (004) 0734 722 [email protected]

art director: Alex Baciu

druck: Master Print Super Offset

vertrieb: Premiere Consulting [email protected]

politik • wirtschaft • gesellschaft

Page 4: Punkto - nummer zwei

Editorial: Faules Pack?

PDL vertagt Abberufung des Senatschefs. Geoan`:„Das ist wie bei «Stirb langsam»“

„Können nicht ewig über unsere Verhältnisse leben“

Parteitag und VorstandswahlenCrin Antonescu als Parteichef der Liberalen wiedergewählt

Der KommentarDämmerstunde des Liberalismus

Nachspiel für „Paradenazi“ Radu Maz`re

Neue Links-Partei am Polithimmel

„Schafft die PDL es nicht noch in dieser Amtszeit, dieErwartungen ihrer Wählerschaft zu erfüllen, wird sie 2012hart dafür abgestraft“

Letzte „Revolutionsakte“ freigegebenStaatsanwalt: „Iliescus Ansehen dürfte beeinträchtigtwerden“

SchmerzensgeldChristdemokrat Ion Diaconescu verklagt Rumänien auf18 Millionen Euro

AnalyseRealpolitik auf Rumänisch

Mafiöse MachtstrukturenDer erste „große Fisch“ zappelt im Ermittlernetz

2009: Wirtschaftsminus bei 7,1%

Einfuhren erstmals seit Krisenausbruch gestiegen

FiskalpolitikAus der Traum vom Steuerparadies

Der KommentarBanken sind auch nur Menschen

EU-Frühjahrsgipfel beschließt Wachstumsstrategie„Europa 2020“

Management Consulting: Transparenz schafft Vertrauen

Geld- und KreditgeschäftBanken in der Pumpfalle

Japan unterstützt Ausbau der Bukarester U-Bahnmit 315 Mio. Euro

4 Nr. 2 | APRIL 2010

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„Schafft die PDL es nicht noch in dieserAmtszeit, die Erwartungen ihrerWählerschaft zu erfüllen, wird sie2012 hart dafür abgestraft“

MdEPMonicaMacovei(EVP), ehemalige Justiz-ministerin Rumäniens, überdiemühsame Reformie-rung der Regierungsparteiund ihre europapoliti-schen Projekte seite 12

Der erste „große Fisch“zappelt im ErmittlernetzErnstmals seit der Gründung derAntikorruptionsbehörde habenderen Staatsanwälte die Verhaf-tung eines Senators beantragt.Und erstmals in der postkommu-nistischen Geschichte Rumänienshaben die Parlamentarier keinenSchutzschild um ihren beschul-digten Kollegen gebildet, sonderndemAntrag stattgegeben. seite 19

Geld- und Kreditgeschäft:Banken in der Pumpfalle

2010 geht es nach einem−verglichen zu den Vorjahren −schlechten Jahr ums Ganze fürdie Bankindustrie. Nun gilt, diePortfolios gesünder zu gestal-ten. Das setzt voraus, dass dieGewichtung der faulen Postenin der Kreditmasse abnimmt.Keine leichte Aufgabe bei derungünstigen Konjunktur.

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Craiova: Ford Fusion-Nachfolger B-Max gehtim Sommer in Produktion

BVMW baut eigene Verbandsorganisation in Rumänien auf

ExpansionEADS-Tochter Premium Aerotec errichtet Werkbei Bra[ov

OMV-Tochter schließt Verkauf ihrer Petrom Citynicht aus / Volksbank International: Kapitalaufstockungund Abgabeüberlegungen

FlyNiki auf Expansionskurs in Osteuropa

Umweltgenehmigung machte Continental Temeswareinen Strich durch die Rechnung

EU vergibt Mikrokredite an Existenzgründer

GaststättengewerbeRiesenschnitzel gegen Heimweh

Agrarministerium streicht Zahlungenfür Grünflächen

Armenhilfe: EU-Lebensmittelrotten vor sich hin

Roma-Problematik„Die Regierung sollte sich weniger um das Imagedes Landes und mehr um die armutsbedingte Migrationder Bürger kümmern“

Preisgekrönter Debütfilm„Ich brauchte die Häftlinge, weil deren Gesicht in wenigenSekunden, in einer einzigen Naheinstellung eine ganzeGeschichte erzählt“

ProjekteÖsterreich setzt neue Schwerpunktein Rumänien

Kulturhauptstadt Europas 2020: Klausenburg undTemeswar melden Kandidatur an

Bahn frei für die Bauhaie

Forbes-Liste 2010Patriciu bleibt reichster Mann Rumäniens

Dacia DusterGenfer Premiere für den Preisbrecher

Zahl des Monats

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„Die Regierung sollte sich wenigerum das Image des Landes und mehrum die armutsbedingte Migrationder Bürger kümmern“

Keine andere Volks-gruppe stößt auf eineso breite Ablehnungwie die Roma. Jeder 5.Rumänewürde sie amliebsten außer Landessehen.

Wenn ich pfeifen möchte, pfeife ich

„Ich brauchte die Häftlinge, weil derenGesicht in wenigen Sekunden, in einereinzigen Naheinstellung eine ganzeGeschichte erzählt“

Die komplizierte Welt desStrafvollzugs hat in derVergangenheit bereits vieleFilmemacher inspiriert. Soauch den rumänischenRegisseur Florin {erban.

Agrarministerium streichtZahlungen für GrünflächenMindestens 102Mio. Euro dürfte das Landwirtschaftsmi-nisterium einsparen, nachdemRessortminister MihailDumitru beschloss, ab heuer sämtliche Zahlungen fürGrünflächen zu streichen. Zudem sind Abgaben aufunbewirtschaftetes Land nicht ausgeschlossen.

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rhebliche Niederlagefür die Regierungspar-tei: Die Liberaldemo-

kraten (PDL) verlautbarten MitteMärz, „einstweilig“ von ihrerForderung betreffend die Abbe-rufung des sozialdemokratischenSenatschefs Mircea Geoan` abse-hen zu wollen. Die PDL habe dasewige Hickhack im Senat satt, dieOberkammer des Parlaments müsseendlich legiferieren − man sei zudiesem Schritt bereit, damit dieSenatsarbeiten nicht völlig blo-ckiert würden. Doch solle sich derSenatvorsitzende gefälligst vorse-hen und keiner Fraktion mehrdas Recht verweigern, ihre Punkteauf die Tagesordnung der Senats-sitzungen einzubringen, teilte derliberaldemokratische Fraktions-chef Traian Iga[ mit. Auch täteder Senatsvorsitzende gut daran,sich vom Verfassungsgericht überdie Rechtmäßigkeit der PDL-Forderung zu seiner Abberufung unter-richten zu lassen, fügte Iga[ hinzu.

Dass die Feuerpause nur eine zeitwei-lige ist, sickerte bei dem arg gebeuteltenSenatsvorsitzenden und jüngst abgewähl-ten Parteichef der Sozis erst nach und nachdurch. Das sei wie bei „Stirb langsam“,sinnierte Geoan` gegenüber der Presse,es folge immer ein neuer Teil. „Erstdachte ich, die PDL hat doch tatsäch-lich vor, auf ihr politisches Säbelrasselnzu verzichten, damit wir uns ernsterenThemen zuwenden können. Nun aber

merke ich, dass sie bloß ihre Taktik,nicht aber ihre Strategie geändert hat.“

Die Liberaldemokraten hatten An-fang letzten Monats beim Generalsekre-tariat des Senats um die Abberufung desSenatschefs wegen angeblicher Verstößegegen die Regelungen der Oberkammerdes Parlaments ersucht. Geoan` hattenämlich eine Abstimmung über den Zu-gang der Fraktion der „Parteifreien“ zuden Fachausschüssen des Senats abgelehntbzw. erst gar nicht auf die Tagesordnungder Senatssitzung aufgenommen.

6 Nr. 2 | APRIL 2010

in punkto politik

Präsident B`sescu hat jüngst eineEhrenmitgliedschaft in der Akademieder Wissenschaftler Rumäniens(AOSR) abgelehnt. Die Begrün-dung der Akademiemitglieder hattesich allerdings als äußerst bizarr er-wiesen: „Als Bürgermeister der StadtBukarest verschaffte er unserer Ein-richtung einen Sitz, als Staatschefmachte er sie zur öffentlichen An-stalt“, verlautbarte Doru Delion, wis-senschaftlicher Sekretär der AOSR.

Laut Statut der Akademie wirddie Würde für „herausragende Ver-dienste“ verliehen. Ob die Zuteilungeines Sitzes für besagte Einrichtungoder deren Bezuschussung mit Steu-erzahlergeldern Verdienst genug füreinen Akademikertitel sind, warkurz nach Verlautbarung der AOSRdann auch die Frage, die die gesamteÖffentlichkeit beschäftigte. DemTrubel um seinen Titel bereiteteTraian B`sescu ein jähes Ende, in-dem er bekanntgab, ihn abzulehnen− der Staatschef erachte, dass „dieZuteilung eines Sitzes und die Pro-mulgierung eines Gesetzes zu seinenPflichten gehören und dementspre-chend nicht mit akademischen Wür-den zu honorieren sind“, teilte diePräsidentschaft mit.

B`sescu lehntAkademiker-Titel ab

PDL vertagt Abberufung desSenatschefs. Geoan`: „Das istwie bei «Stirb langsam»“

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„Die Hard“-Fan Mircea Geoană

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Staatspräsident B`sescu hat den Ru-mänen jüngst ins Gewissen geredet: DieBürger müssten ihre Ansprüche zurück-schrauben bzw. an die bittere Realitätanpassen, „wir müssen ein für allemaleinsehen, dass wir nicht mehr ausgebenkönnen als wir produzieren“, so B`sescu.Sollte sich die Regierung von all den„Propagandisten“, die im Fernsehengegen die eingeleiteten Sparmaßnahmenwettern, einschüchtern lassen und vonihrem Sparkurs abweichen, so wäre dasLand bis Jahresende genötigt, einenweiteren Notkredit aufzunehmen.

„Stellen Sie sich vor, die Regierungwürde von ihrem Vorhaben bezüglichvernüftiger Staatsausgaben ablassen −bis Jahresende bliebe uns nichts anderesübrig, als ein weiteres Notdarlehen auf-zunehmen, um sämtliche Prämien undZuschüsse, die bislang vielen völlig un-gerechtfertigt zustanden, zu honorieren“,sagte B`sescu und verwies dabei auf eineReihe absonderlicher Lohnzuschüssewie etwa der „Zuschuss fürs Lächeln“oder jener „für dezente Kleidung“, diebislang so mancher Staatsbedienstetebezog. „Wir haben in unserem Übermutübertrieben, haben uns munter drauf losverausgabt, ohne zu überlegen, wie esum unsere Einnahmequellen bestellt ist.Wir können nicht ewig über unsere Ver-hältnisse leben“, warnte B`sescu.

Seine Erklärung führte zu einem Sturmvon Medienspekulationen − die Pressedeutete die präsidentschaftliche Bot-schaft nämlich als „durch die Blume“-Ankündigung eines neuen Notkredits.

Präsidentschaft und Regierung demen-tierten daraufhin, dass die Behörden be-reits einen weiteren Notkredit ins Augefassen würden. Andreea Paul, Beraterindes Regierungschefs in Wirtschaftsfragen,erläuterte, dass der Staatspräsident ein-deutig „hypothetisch“ gesprochen undlediglich auf die Folgen eines wenigerdrastischen Sparkurses hingewiesen habe.

Wirtschaftsprofessor Daniel D`ianu,ehemaliger Finanzminister Rumäniens,verdeutlichte gegenüber der TZ „Gân-dul“ allerdings, dass das Land „das ganzeJahr über Anleihen benötigen“ werde.„Rumänien wird nicht nur gegen Jahresen-de, sondern das ganze Jahr über Krediteaufnehmen müssen, um sein Haushalts-defizit zu finanzieren. Für Anleihen oderdie Ratenzahlungen des IWF und der EUgibt es jedoch eine Reihe von Auflagenund Schritten, die allesamt auf die Sanie-rung der öffentlichen Finanzen abzielen.Fakt ist: Unsere Ausgaben im öffent-lichen Sektor sind weit höher als die imEU-Durchschnitt üblichen.“

anne warga

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politik

„Können nicht ewig über unsereVerhältnisse leben“Präsident B`sescu: Ohne Sparkurs blüht Rumänienein weiterer Notkredit

Tacheles geredet: Traian Băsescu

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Page 8: Punkto - nummer zwei

Der große Verlierer des außerordent-lichen Parteitags war zweifelsfrei Ludo-vic Orban, der durch die Blockwahl derFührungsriege nicht nur von Anfangchancenlos antrat, sondern auf einenSchlag auch sämtliche Parteiämter verlor,da Antonescu den Herausforderer erstgar nicht auf die Liste seines neuenFührungsteams gesetzt hatte. Vor derAbstimmung hatte sich Orban vergeblichdafür eingesetzt, die Vorstandsmitglie-

der per Direktwahl bestimmen zu lassen.Der wiederbestätigte Parteivorsitzen-

de bedankte sich bei den rund 1.400Delegierten für „die Ehre“, die man ihmmit seiner Wiederwahl erwiesen habe.Er selbst sei angesichts seiner Bestätigungweniger von Euphorie, denn „von einemGefühl der Verantwortung“ ergriffen.In den nächsten drei Jahren gelte es,gegen die derzeitige „Einheitspartei“ derregierenden Liberaldemokraten „anzu-

kämpfen, da sie gegen unsere Werteeintritt. Wir werden noch mehr Opferbringen müssen als bislang“, so Anto-nescu. Vor der Abstimmung hatte er ineiner einstündigen Rede ein Schattenka-binett angekündigt, das sich dem strikten„Monitoring der Regierungstätigkeitsowie der Beschlüsse in europapolitischenFragen“ widmen werde. Und auch„Schattenparlamentarier“ soll es künftigin der PNL geben − die „lokalen Partei-strukturen werden ein Kollektiv vonSchattenparlamentariern aufstellen, demdie zukünftigen Kandidaten der Libera-len Partei in den jeweiligen Wahlbezir-ken agehören sollen“, sagte Antonescu.Seiner Partei versprach der Vorsitzendeab 2012 eine Rückkehr an die Machtsowie eine Zusammenarbeit mit „einerLinkspartei“ im Sinne „der demokrati-schen Logik“. Ab sofort gelte zudemdas „Projekt 30%“ mit Hinblick auf dieParlamentswahlen von 2012.

Der unterlegene Ludovic Orbanschlug versöhnliche Töne an: Die Ge-schichte eines anderen Landes lehre,dass „der Ludwig und die Lilie (Anm.d. Red.: „Crin“ bedeutet im RumänischenLilie, ist aber gleichzeitig auch ein Eigen-name und in diesem Fall der VornameAntonescus) ihren Weg gemeinsam ge-hen. Ludwig der XIV. nahm die Lilie insein Wappen auf. Es soll niemand in Fra-ge stellen, dass wir beide unseren Wegnicht auch gemeinsam gehen würden“.Ob Orbans Vergleich zwischen dem alsautoritär geltenden Antonescu und demabsolutistischen „Sonnenkönig“ harm-los gemeint oder ein in letzter Minuteverpasster Denkzettel war, bleibt unklar.Genauso unklar ist derzeit auch, ob deralte und neue Parteichef der Liberalenseinen ehemaligen Stellvertreter undHerausforderer noch neben sich duldenwill oder nicht.

heiner krems

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Parteitag und Vorstandswahlen

Crin Antonescu alsParteichef der Liberalenwiedergewählt

rin Antonescu (51) ist Anfang März mit großer Mehrheit als Vor-sitzender der National-Liberalen Partei (PNL) bestätigt worden.Für Antonescu stimmten 986 Delegierte, auf seinen HerausfordererLudovic Orban − bis dahin erster stellvertretender Vorsitzender

der Partei − entfielen 357 Stimmen. Da der alte und neue Parteichef eine Block-wahl des Parteivorstands durchgesetzt hatte, stand mit seiner Wiederwahl auch des-sen neues, 32-köpfiges Führungsteam fest, dem fortan Varujan Vosganian, NoricaNicolai, Relu Fenechiu, Mircea Diaconu, Dan Radu Ru[anu u.a. angehören.

C

politik

Antonescu: Klare Kampfansage an die „Einheitspartei“ PDL

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Page 9: Punkto - nummer zwei

elbst für Rumänien hatteein derart gehaltloserParteitag Seltenheitswert:Außer der Inthronisie-rung ihres Parteifürsten

Crin Antonescu war beim jüngsten Par-teitag der Liberalen (PNL) eigentlichnichts drin. Antonescu selbst scherte sichweder um ein einigermaßen kohärentesParteiprogramm noch um Debatten zumThema der Wiederherstellung der längstverlorenen Glaubwürdigkeit der PNL inden Augen der Mittelschicht und derjungen Wähler. Somit dürfte das vonihrem ehemaligen Vorsitzenden PopescuT`riceanu geprägte Format einer halb-ländlichen Partei mit gut profilierter loka-ler und zentraler Klientel noch prägnanterwerden. Die National-Liberale Parteischeint dazu verdammt, bloß eine weite-re, durch und durch balkanisierte politi-sche Kraft zu bleiben, deren einzigesZiel es ist, so schnell wie möglich wiederan die Macht und damit an die Staatsfi-nanzen zu kommen.

Der ehemalige erste Vizevorsitzendeder Partei, Ludovic Orban, wurde mühe-los ausgetrickst – erst ermutigte man ihn,gegen Antonescu anzutreten, danachwurde er, erwartungsgemäß, im Stich

gelassen. Orban schaffte es immerhin,etliche bewährte Parteikollegen um sichzu scharen, auch hatte er − wenn auchnur vage − als Einziger auf einige Priori-täten des Liberalismus im städtischenRaum hingewiesen.

Die PNL hat es sich selbst eingebrockt:Mit dem schrillen, gebieterischen Anto-nescu bestätigten ihre Delegierten einenParteichef, dem es bislang an Visionenüber die Zukunft desLandes gemangelt hatund wohl auch weiter-hin mangeln wird. Wiedie meisten rumänischenPolitiker beherrschtAntonescu lediglich dieStrippenzieherei − einplötzliches Ministeramtund dessen Verantwor-tung würden ihn nurallzu schnell in die Bre-douille bringen. Malträumt er von einer Al-lianz mit den Sozialde-mokraten, mal strebt er ein Bündnis mitden Konservativen des ehemaligen Secu-ritate-Spitzels Dan Voiculescu an. DerLiberalen-Chef offenbart sich als wert-neutraler Überlebenskünstler, der derrumänischen Parteienlandschaft vor 20Jahren als Mitglied der Bürgerallianzbeitrat, die damals genau die Vertreterder alten Strukturen aus dem neuen po-litischen Leben des Landes verbannenwollte. Heute ist Antonescu hingegenlängst der Meinung, dass die PNL „inweit stärkerem Maße als früher zu denkonservativen Werten“ stehen müsseund labert in diesem Sinne eine Reihe

von Klischees herunter über die Stüt-zung von Familie, Schule und Kirche −alles Klischees, die den Rumänen imVerlauf ihrer Geschichte noch von je-dem Machtopportunisten beginnendmit Karl II. bis hin zu Corneliu VadimTudor serviert wurden.

Doch ist der hiesige Konservatismusein Trugbild. Werte wie Familie undSchule werden nach wie vor von derprekären finanziellen Lage der Men-schen untergraben, hinzu gesellt sichseit Jahren auch die zunehmende Emi-gration der rumänischen Arbeiterschaft,zahllose Kinder bleiben dementsprechendin der Obhut ihrer Großeltern zurück.

Würde Antonescu Wertewie Familie und Schuletatsächlich groß schrei-ben, so hätte er denregierenden Liberalde-mokraten einen Nicht-Aggressionspakt unter-breitet, um gemeinsamnach Lösungen für die-ses soziale Problemsowie für die dringendnotwendige Optimie-rung der miserablen Er-ziehungsbedingungender Kinder aus den länd-

lichen Gebieten zu suchen.Crin Antonescu erläutert mit keinem

Wort, wie seine Partei das Schicksal desEinzelnen und der Gemeinschaft zu ver-bessern gedenkt. Er ist augenscheinlichein Autodidakt, der keine Expertenmei-nungen beanspruchen würde. Zwar istsein Selbstvertrauen haushoch, doch be-ruht es auf einer äußerst dürftigen Kennt-nis des Funktionsmechanismus einer mo-dernen Gesellschaft.

Diese Unkenntnis seiner Spitzenpo-litiker scheint leider wie ein Fluch überRumänien zu lasten − auch noch nach 20Jahren seit der Wende.

9Nr. 2 | APRIL 2010

politik

Der Kommentar

Dämmerstunde des Liberalismus

Svontom gallagher

Die National-Liberale Parteischeint dazu verdammt, bloßeine weitere, durch und durchbalkanisierte politische Kraftzu bleiben, deren einziges Zieles ist, so schnell wie möglichwieder an die Macht unddamit an die Staatsfinanzenzu kommen.

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ie StaatsanwaltschaftConstan]a hat jüngst dieAkte des „Paradenazis“und Bürgermeisters der

Stadt, Radu Maz`re, neu aufgerollt. Siewolle mittels eines Rechtshilfeersuchenserfahren, ob Israel seinen Auftritt inWehrmachtsuniform als Beleidigungempfunden habe odernicht, wetterte Ma-z`re, der den Behör-den prompt Ver-geudung von Steu-ergeldern vorwarf.„Das Land hungert,wir haben kein Geldfür Renten, Lehrerund Arzneien, dafüraber welches fürRechtshilfeersuchen in derlei hirnrissi-gen Fragen“, so Maz`re, der darauf ver-wies, sich bereits für seine Tat entschul-digt zu haben.

Der Bürgermeister hatte im letztenSommer für einen Eklat internationalenAusmaßes gesorgt, nachdem er bei einerlokalen Modenschau in Wehrmachtsuni-

form aufgetreten war. Das Zentrum zurBekämpfung des Antisemitismus forder-te strafrechtliche Ermittlungen − seinVerhalten habe gegen das Grundgesetzverstoßen, das die Nutzung faschistischerund rassistischer Symbole verbietet. Beider PSD hagelte es Proteste: Moskausprach von einer „Provokation“, das

Simon Wiesenthal-Zentrum forderteMaz`res Rücktritt.Der wies die Vorwür-fe zurück – er habesich lediglich von TomCruise und dem Film„Operation Walküre“inspirieren lassen. „Ichfand die Uniformschön und habe schon

immer die rigorose Organisation derdeutschen Armee bewundert. Zudemtötet jede Armee – auch die rumänischenMilitärs töten in Afghanistan,“ lautetedessen erste Reaktion. Angesichts deranhaltenden Kritik entschuldigte sichder Sozialdemokrat letztlich in einemBrief an jüdische Organisationen.

Ex-Parteichef Mircea Geoan` hin-terlässt den Sozialdemokraten einenSchuldenberg: Laut Ständiger Wahlbe-hörde hat die PSD derzeit Rückständeüber umgerechnet rund 2 Mio. Euro −die meisten aus dem Präsidentschafts-rennen, andere noch aus Zeiten derEuropawahlen. Der Schatzmeister derPartei, Aristide Roibu, erklärte, dass man„möglicherweise“ bereits einige Schulden

beglichen habe, er wisse es aber nichtgenau, da diese von Tag zu Tag „schwan-ken“ würden. Es sei eben schwieriger,Schulden „aus der Opposition heraus“abzubauen.

Auch Mircea Geoan` zeigte sich un-gerührt: Man hinke zwar mit „einigenZahlungen“ nach, doch sei der derzeiti-ge Schuldenstand der geringste der PSDüberhaupt.

Rumänien hat es laut jüngstemFortschrittsbericht der EU-Kom-mission nicht geschafft, das Temposeiner Justizreform zu intensivieren.Die Erfolge seien begrenzt, die Leis-tungsfähigkeit der Justiz zusätzlichdurch den Netto-Personalrückgangbeeinträchtigt, während die parla-mentarische Debatte über den Ent-wurf der Zivil- und Strafprozessord-nung aufgrund der Wahlen vom letz-ten Jahr hinausgezögert wurde. Ru-mänien bemühe sich zwar um eineeinheitlichere Rechtsprechung, je-doch sei es noch zu keiner kontinu-ierlichen Veröffentlichung sämtlicherGerichtsentscheidungen gekommen,so das Brüsseler Fazit.

Auf dem Gebiet der Korrup-tionsbekämpfung belobigte derBericht die Bilanz der Antikorrup-tionsbehörde bei der Untersuchungund Verfolgung von Korruptions-fällen auf höchster Ebene, auch diestaatliche Integritätsbehörde habeihre ermutigende Bilanz bei der ad-ministrativen Verfolgung von Unver-einbarkeiten, Interessenskonfliktenund ungerechtfertigter Bereicherungfortsetzen können. Zwar sei die Kor-ruptionsbekämpfung auf kommuna-ler Ebene intensiviert worden, dochblieben die langwierigen Gerichts-verfahren in prominenten Fällen,die uneinheitliche Rechtsprechungund das geringe Strafmaß nach wievor die Hauptprobleme des Landesbei der Korruptionsbekämpfung.

EU: KaumFortschritte beiJustizreform undKorruptions-bekämpfung

Nachspiel für „Paradenazi“Radu Maz`re

Geoan` hinterlässt Schuldenberg

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politik

Mazăres minderjähriger Sohn musste alsOrdonanz mitmarschieren

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ie Fraktion der par-teifreien Senatoren(größtenteils Abtrün-nige aus der PSD) hatEnde März die Regis-trierung der Nationa-

len Union für den Fortschritt Rumäniens(UNPR) beantragt. Die neue Partei istmitte-links orientiert und beabsichtigt,sich der Sozialistischen Internationalesowie der Sozialdemokratischen ParteiEuropas (SPE) anzuschließen. Partei-chef wird der erst jüngst aus der PSDausgetretene ehemalige ArbeitsministerMarian Sârbu; sein ehemaliger Partei-kollege und Ex-Außenminister CristianDiaconescu soll zum Ehrenvorsitzendengekürt werden. Der derzeitige Verteidi-gungsminister, General Gabriel Oprea,wird Exekutivvorsitzender.

Die im Volksmund bereits auf „Parteider Generäle“ umgetaufte Union wim-melt von hohen Offizieren: Außer Opreasind auch die Generäle Neculai On]anu

(Bürgermeister des 2. hauptstädtischenBezirks) und Anghel Iord`nescu (Ex-Fußballstar und Nationaltrainer) mit anBord. Die neue Führungsriege wird dieParteigeschäfte interimistisch, bis zumersten Parteitag, führen.

Der frischgebackene EhrenvorsitzendeCristian Diaconescu reiste derweil nachBrüssel, um den europäischen Sozialistendie Vorhaben seiner Partei zu erläutern.Allerdings dürfte es trotz des Verhand-lungsgeschicks des Ex-Diplomaten eineWeile dauern, bis die PSE deren Beitrittbewilligt − teils, um ein erstes Wahler-gebnis der neuen Linken abzuwarten,teils, um es sich nicht mit der PSD zuverderben, deren Chef Victor Ponta aus-drücklich darum ersucht hatte, die „Ver-räter“ nicht anzuerkennen.

Dem Wahlvolk will sich die UNPRoffiziell am 1. Mai, dem „Tag der Ar-beit“, präsentieren – Veranstaltungsortsoll das Freiheitsfeld in Blaj sein.

anne warga

politik

Neue Links-Partei am PolithimmelNationale Union für den Fortschritt Rumäniens ausder Taufe gehoben

UNPR-Führungstrio: (v.l.n.r.): Marian Sârbu, Gabriel Oprea, Cristian Diaconescu

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12 Nr. 2 | APRIL 2010

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Frau Macovei, Sie gehören zu denwenigen Mitgliedern der liberaldemo-kratischen Partei (PDL), die offen aufdie Notwendigkeit der Erneuerung derRegierungspartei hingewiesen haben.Gemeinsam mit Ihrem Abgeordneten-und Parteikollegen Cristian Preda ver-fassten Sie ein „Integritätsprogramm“,das der Öffentlichkeit jedoch nievorgestellt wurde. Welche Empfehlun-gen an die Partei beinhaltet dasProgramm?

Ein Vorschlag lautete, bei Beförde-rungen in der Partei oder beim Beklei-den von öffentlichen Ämtern stets dieIntegrität und den Professionalismusder Personen ins Auge zu fassen. Un-sere Vorschläge haben wir letzten Endesnicht publik gemacht, um die parteiin-terne Diskussion nicht zu beeinträchti-gen. Wir wollten damit allerdings derÖffentlichkeit nichts vorenthalten, son-dern nur Rücksicht auf die Parteikollegennehmen.

Ungeachtet dessen, wie die Debattein der PDL ausgeht – ob also der Statuts-ausschuss der Partei unsere Vorschlägegenehmigt oder ablehnt –, werden Cris-tian Preda und ich gleich nach der partei-internen Diskussion an die Öffentlichkeitgehen. Konkret haben wir die Gründungeines Ausschusses für Integrität, Karriereund Status imRahmen der PDL vorgeschla-

„Schafft die PDL es nicht noch in dieser Amtszeit,die Erwartungen ihrer Wählerschaft zu erfüllen,wird sie 2012 hart dafür abgestraft“MdEPMonicaMacovei (EVP), ehemalige Justizministerin Rumäniens, über diemüh-same Reformierung der Regierungspartei und ihre europapolitischen Projekte

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interview

gen, der der Ernennung von Parteimit-gliedern in öffentliche Ämter zustimmenmuss. Die ethische und juristische Inte-grität eines jeden Parteimitglieds ist ausunserer Sicht unabdingbar − das müssteschon beim Eintritt in die Partei beginnenund erst recht dann gelten, wenn manFührungspositionen in der Partei oderim Staat einnehmen will.

Ihr Vorhaben hat Ihnen jede MengeKritik seitens der Parteikollegen einge-handelt. So äußerte PDL-Vize CezarPreda, dass die „Brüsseler Gruppe“nichts anderes bezwecke, als „in denBlickpunkt der Öffentlichkeit“ infolge„mangelnder eigener Verdienste“ zurücken. Präsidialberater SebastianLăzăroiu behauptete sogar, dass „diesePersonen nur auf Parteiämter aus sind“.Wie stehen Sie zu derlei Äußerungen?

Was sich die Urheber dieser Äuße-rungen dabei gedacht haben, weiß ichnicht. Ich kann Ihnen nur sagen, dassich im Augenblick keinerlei Spitzenposi-tion in der Partei anstrebe. Und ichmöchte Ihnen auch erzählen, weshalbich der PDL überhaupt beigetreten binund wie ich mir die Zukunft der Parteivorstelle.

Als ich 2009 dem Vorschlag zustimm-te, bei den Europawahlen für die PDLins Rennen zu gehen, tat ich das in ersterLinie, weil ich an die Reformagenda desStaatspräsidenten glaubte. Die PDL er-schien mir damals als ein in diesem Sinnezuverlässiger Partner. Nun hat die Parteidie Möglichkeit, dies auch unter Beweiszu stellen. Ich glaube, dass die PDL be-stimmte parteiinterne Änderungen be-wirken muss, um mit ihren Plänen zurStaatsreform auch glaubwürdig zu wir-ken. Eine Partei, die regiert, muss sovielVerantwortung aufbringen, um in derVerwaltung der Staatsgeschäfte Prinzipi-en wie Transparenz und Integrität walten

zu lassen und stets die besten Sachver-ständigen heranzuziehen.

Leider schafft es die PDL zurzeitnicht, hochqualitative Kräfte von außer-halb der Politik für die Verwaltung zu ge-winnen. Und ich meine hier sachkundige,kompetente Experten für ganz bestimmteBereiche.

Mit Bezug auf Ihre kritischen Äuße-rungen bezüglich der derzeitigen Kader-politik der PDL bzw. der oftmals telefonischverordneten Beförderungen erwiderteGeneralsekretär Vasile Blaga, Sie mögensich „daran erinnern“, wie Sie selbst zuIhrem Ministerposten gekommen sind.Wie kamen Sie denn dazu, Frau Macovei?

Natürlich haben auch Telefonge-spräche in meiner Ernennung zur Jus-tizministerin eine gewisse Rolle gespielt.Jeder greift ja schließlich zum Telefon,um sich mitzuteilen, einschließlich umEmpfehlungen oder Vorschläge zu un-terbreiten. Der springende Punkt liegtaber anderswo. Es geht um Inkompetenzund um die Empfehlung ungeeigneterPersonen für öffentliche Ämter. Es lagdoch auf der Hand, was ich damit meinte.Herr Blagas Bemerkung dazu war völligdaneben.

Als ich im Dezember 2004 Justizmi-nisterin wurde, war der geplante EU-Beitritt Rumäniens zum 1. Januar 2007äußerst fraglich; für unsere europäischenPartner waren gerade Justiz und Korrup-tion in Rumänien besorgniserregend.Nach zwei Jahren im Amt wurde ich imApril 2007 aus der Regierung entlassen,als Rumänien schon EU-Mitglied war.Während meiner gesamten Amtszeit hates stets eine politische Mehrheit gegentatsächliche Reformen – insbesonderegegen Antikorruptionsmaßnahmen –gegeben; diese Mehrheit konnte jedochnur nach dem EU-Beitritt des Landesoffen handeln.

Haben Sie derartige Reaktionen aufIhre Bemühungen um die Reformierungder Partei erwartet? Gehen sie Ihnennahe, schüchtern sie Sie ein?

Mich kann niemand einschüchtern!Und ja, ich habe solche Reaktionen er-wartet und rechne damit auch in Zukunft.Auch als Ministerin hatte ich es schwer,unserer politischen Klasse Korruptions-bekämpfung und Reformen schmackhaftzu machen. Und selbst das, was erreichtwurde, konnte nur mit Druck vonseitender EU durchgesetzt werden. Haben Sieschon einmal von einem Land mit poli-tischer Korruption gehört, das Antikor-ruptionsmaßnahmen aus freien Stückentreffen würde?

Welche Chancen haben, Ihrer Meinungnach, überhaupt noch Reformer − obnun Bürgerrechtler, Intellektuelle oderPolitiker −, die Oligarchisierungstendenzder wichtigsten Regierungspartei zustoppen?

Chancen gibt es, der Erfolg des Un-terfangens hängt aber von unserer Gründ-lichkeit und Beharrlichkeit ab. Mit ande-ren Worten: Wer Änderungen erzielenwill, muss sie begründen und sich sturdafür einsetzen können. Einige von unshaben den Schritt gewagt und sind in diePartei eingetreten. Uns ist völlig klar,dass wir mit unseren Reformplänen aufWiderstand in der Partei stoßen; dashindert uns aber nicht daran, für unsereIdeen zu kämpfen. Ein richtiger Wandelwird nie bequem und mühelos erzielt.

Glauben Sie, dass die PDL ohne eineeigene Reform die nächsten Parlaments-wahlen noch gewinnen kann?

In der Öffentlichkeit hat es schonimmer eine gewisse Sympathie für dieReformrhetorik der früheren PD undspäteren PDL gegeben. Auch waren vieleWähler der Meinung, dass eigentlich

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außerparteiliche Faktoren die Umset-zung dieser Reformen vereitelt haben.Die Partei selbst war zunächst entwederin der Opposition oder als kleiner Koali-tionspartner am Regieren beteiligt, ohneaber den Ministerpräsidenten zu stellenoder seine Rhetorik realisieren zu können.Das hat sich seit den Parlamentswahlenvon 2008 geändert: Die PDL wurdewichtigste Regierungspartei und Partei-chef Emil Boc übernahm das Amt desMinisterpräsidenten. Schafft die PDL esnicht noch in dieser Amtszeit, die Erwar-tungen ihrer Wählerschaft zu erfüllen,wird sie 2012 hart dafür abstraft – mitKonsequenzen für mehrere Legislaturpe-rioden. Um dem entgegenzuwirken,brauchen wir eine klare Vision, den Willender Entscheidungsträger in der Parteiund eine reformorientierte Mehrheit imParlament.

Sie haben jüngst verlautbart, sichgegen die Einstellung des Kooperations-und Kontrollmechanismus der EU-Kom-mission für Rumänien im Justizbereichauszusprechen ...

Stimmt − ich kann die Aufhebungdes Kontrollmechanismus zur Zeit nichtempfehlen, da die rumänischen Politikerdie EU-Auflagen im Bereich Justiz undKorruptionsbekämpfung nicht erfüllthaben; die Unzulänglichkeiten sind nachwie vor da. Die Aufhebung des Mecha-nismus wäre nicht im Interesse der Bür-ger, daher verstehe ich die Politiker nicht,die das Gegenteil fordern.

Welches sind die zurzeit gravierends-ten Mängel des rumänischen Justiz-systems?

Ich würde folgende aufzählen: erstens− die uneinheitliche Praxis in der Recht-sprechung, die die Justiz zum Glücks-spiel macht; zweitens − das Fehlen vonSanktionsmaßnahmen gegen Inkompe-

tenz und schlechten Willen in der Ge-richtsbarkeit. Wir haben Fälle, in denenRichter die Anhörung der Parteien solange aussetzen, dass es erst in 2−4 Jah-ren zur Hauptverhandlung kommt – undniemand zieht diese Richter zur Verant-

wortung. Ein gutes Beispiel ist der FallAdrian N`stases, in dem die Justiz seit 4Jahren kein Urteil gefasst hat; ähnlichsteht es mit den Fällen Copos, Mitrea,Reme[ oder Falc`, die die zuständigenRichter über die Grenzen des Annehm-baren hinaus vertagt haben. Es gibt so-gar Richter und Staatsanwälte, die straf-rechtliche Prozesse so lange hinauszö-gerten, bis sich die Taten verjährt hat-

ten. All diese Verzögerungen unter-minieren das Vertrauen der Bürger indie Justiz und deren Wirksamkeit. DerOberste Rat des Richterstandes (CSM)schafft hier keine Abhilfe, sondern nimmtalle Mängel des Systems sogar in Schutz.Drittens − Korruption in der Justiz wirdnicht stark genug bekämpft; viertens −Klüngel und Interessenskonflikte sindselbst beim CSM eine gängige Praxis.Besonders gravierend ist, dass es inner-halb der Justiz keinerlei Initiativen gibt,um Korruption und Inkompetenz zubeseitigen; was heißt, dass sich alle be-quem eingerichtet haben und nichts än-dern möchten.

Sie haben öffentlich erklärt, derzeitkein Interesse an einer Rückkehr in dieRegierung zu haben, sondern Ihre imEuropäischen Parlament eingeleitetenProjekte erfolgreich beenden zu wollen.Erläutern Sie bitte diese Projekte.

Eine relevante Stimme in Europa kannRumänien nur dann werden, wenn wireine konsequente und sichtbare Europa-politik betreiben. Das hieße für die rumä-nischen Europaabgeordneten, zeit ihresMandats aktiv darauf hinzuarbeiten.

Im Europäischen Parlament bin ichvollberechtigtes Mitglied des Ausschus-ses für Haushaltskontrolle sowie des Aus-schusses für Bürgerliche Freiheiten, Justizund Inneres, ferner Ersatzmitglied desAusschusses für Konstitutionelle Fragen.Ich bin gleichzeitig Vorsitzende des Aus-schusses für parlamentarische Koopera-tion EU−Moldaurepublik.

Im Ausschuss für Bürgerliche Freihei-ten, Justiz und Inneres bin ich für zweiAkten des Eurodac-Systems zuständig.Eurodac ist eine Datenbank, die die Fin-gerabdrücke aller Asylbewerber umfasst,die illegal in die EU eingereist sind. Da-mit soll eine gemeinsame Asylpolitik er-zielt werden. Ein einfacher Vergleich ge-

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nügt, um in jedem EU-Staat festzustellen,ob ein Asylbewerber oder eine sich illegalim Land aufhaltende Person schon ein-mal in einem anderen EU-Staat Asyl be-antragt hat oder illegal eingereist ist.

Im Haushaltskontrollausschuss binich Berichterstatterin der EVP-Fraktionfür die Betrugsbekämpfung in allen 27EU-Mitgliedstaaten. Hier setze ich michbesonders dafür ein, dass der Zusammen-hang von Korruption und Be-trug im Bericht klar zurSprache kommt und dieTransparenz bei der Vergabeund Nutzung der europäischenGelder zunimmt. Ich habeauch Sanktionen gegen in Steu-eroasen ansässige Unternehmenvorgeschlagen, die Koopera-tionsabkommen mit der EUwissentlich verzögern.

Zudem habe ich mich auchin der Berichterstattung zurHaushaltsentlastung eingebracht,indem ich Klarstellungen zuden gefälschten makroöko-nomischen Angaben aus Grie-chenland forderte. Wir müssenin Erfahrung bringen, wie Fäl-schungen in dieser Größen-ordnung überhaupt möglich waren.Entweder bedient sich die EU-Kommis-sion eines Mechanismus, der Fälschun-gen ermöglicht – und dann müssen wirdie Methodologie entsprechend ändern– oder aber hat die Kommission von An-fang an gewusst, dass sie falsche Angabenerhält. In diesem Fall muss sie die Ver-antwortung dafür übernehmen. Ich bineigentlich der Auffassung, dass die Kom-mission in beiden Fällen dafür strammstehen und schleunigst etwas dagegenunternehmen muss.

Wie verläuft Ihre im EP eingeleiteteStrategie zur Korruptionsbekämpfung?

Schaffen Sie es, die nötigen Unter-schriften bis zum 22. April zu sammeln?

Ja, ich habe eine schriftliche Erklä-rung zu den Bemühungen der Union zurKorruptionsbekämpfung verfasst. Damitdie Erklärung zur offiziellen Stellungnah-me des EU-Parlaments wird, brauchenwir die Unterschrift der Hälfte plus ei-nem aller Abgeordneten, also 379 Un-terschriften. Bislang haben 248 Kollegen

unterschrieben, bis zum 22. April müssenwir noch weitere 131 überzeugen.

Die Erklärung bindet an die im De-zember 2009 veröffentlichten Ergebnissedes jüngsten Eurobarometers zum The-ma Korruption an. 78% der EU-Bürgererachteten die Korruption im eigenenLand als besorgniserregend; 76% befan-den, dass auch die europäischen Institu-tionen nicht von Korruption gefeit sind.Folglich möchten wir die EU-Kommis-sion auffordern, eine klare und entschlos-sene Antikorruptionspolitik zu entfaltenund einen Überwachungsmechanismusaufzustellen, der die Antikorruptionsmaß-nahmen in allen Mitgliedstaaten regel-

mäßig monitorisiert. Auch ist die Kom-mission gefragt, die hierfür notwendigenRessourcen bereitzustellen und effizienteMaßnahmen zur Vorbeugung sowie Be-strafung von Korruption und Betrug zutreffen.

Wie lautet die im EP gängige Meinungüber Rumänien nach 3 Jahren EU-Mit-gliedschaft? Spricht man von Evolution

oder Involution?Wenn ich mich mit Abge-

ordnetenkollegen über diekünftige EU-Erweiterung un-terhalte, neigen nicht wenigedazu zu sagen, dass sich das,was mit Rumänien und Bul-garien geschah, niemals wie-derholen darf. Die Kollegenmeinen damit natürlich dieRückschritte in diesen beidenLändern nach dem EU-Bei-tritt und die Nichteinhaltungder eingegangenen Verpflich-tungen. Die Vertreter der eu-ropäischen Institutionen sindsich im Klaren darüber, dassdie Motivation, Reformenumzusetzen, nach dem EU-Beitritt deutlich abnimmt.

Sie haben auf Ihren parteifreien Sta-tus verzichtet, um bei den Europawah-len antreten zu können. Haben Sie denVerzicht auf Ihre „Unabhängigkeit“ je-mals bereut oder ist die EP-Tätigkeit dasOpfer wert?

Ich würde den Schritt nicht als Opfersehen. Ich fühle mich und agiere immernoch genauso unabhängig wie früher undhabe keines meiner Bekenntnisse über Bordgeworfen. Ich glaube im Übrigen fest, dassParlamentarier sich nur gegenüber denBürgern, die sie gewählt haben, und demeigenen Gewissen zu verantworten haben.

die fragen stellte anne warga

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Chancen auf Reform gibt es, der Erfolgdes Unterfangens hängt aber von unsererGründlichkeit und Beharrlichkeit ab. Mitanderen Worten: Wer Änderungen erzielen will,muss sie begründen und sich stur dafür einset-zen können. Einige von uns haben den Schrittgewagt und sind in die Partei eingetreten. Unsist völlig klar, dass wir mit unseren Reformplä-nen auf Widerstand in der Partei stoßen, dashindert uns aber nicht daran, für unsere Ideenzu kämpfen. Ein richtiger Wandel wird niebequem und mühelos erzielt.

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ie Regierung Boc hat im Märzdie Herausgabe der letztenDokumente der „Revolutions-

akte“ beschlossen. „Damit werden dieallerletzten, bislang gesperrten, Unterla-gen der ‚Revolutionsakte’ freigegeben.Sie alle trugen die Vermerke ‚Staatsge-heimnis’ oder ‚streng geheim’. Da dieUnterlagen inzwischen weder die Sicher-heit des Landes noch die öffentlicheOrdnung beeinträchtigen können, wer-den sie ab Veröffentlichung des ein-schlägigen Regierungsbeschlusses imAmtsblatt für alle interessierten Perso-nen zugänglich sein“, teilte der Regie-rungschef mit. Die Exekutive sei umeine „höchstmögliche Transparenz“ inder Angelegenheit der „Revolutionsakte“und der Rolle des Staates während derWendeereignisse von 1989 bemührt, soEmil Boc.

Laut General Dan Voinea, der alsMilitärstaatsanwalt Jahre lang in der „Re-volutionsakte“ ermittelt hatte, dürfte sichdie Herausgabe der Unterlagen durchausauf das Ansehen des ersten Staatschefsnach der Wende, Ion Iliescu (80), aus-wirken. Die deklassifizierten Dokumentekönnten aufzeigen, dass Iliescu bei derOrganisierung von „Aktionstrupps“ abdem 22. Dezember 1989 seine Hand im

Spiel gehabt hatte. „Ich weiß, dass erverwickelt war“, erklärte Voinea gegen-über Radio France International. Dieherausgegebenen Unterlagen könntenzur Identifizierung von Personen bei-tragen, die sich u. a. des Völkermordes− eine Tat, die nicht verjährt − schuldiggemacht hatten. Auch seien die Unter-lagen mit dem Vermerk „streng geheim“versehen worden, da sie hochrangigeVerantwortungs- und Würdenträger an-führen würden, von denen manche nochbis vor kurzem ihre Ämter innehatten,fügte Voinea hinzu. Dem Militärstaats-anwalt zufolge müssten sämtliche hoheWürdenträger der ersten Jahre nach derWende über das Vorgehen der rumäni-schen Armee nach dem 22. Dezember1989 befragt werden.

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politik

Die Europaabgeordnete Elena B`-sescu (EVP) hat sich mit ihrer jüngstenRede vor dem EU-Parlament gründ-lich blamiert: Bemüht, ihre Abgeord-netenkollegen über die BeteiligungRumäniens am US-amerikanischenRaketenabwehrsystem zu informieren,brachte die Präsidententochter ersteinmal die Daten durcheinander:Der Oberste Verteidigungsrat Ru-mäniens habe den Plänen Washing-tons am 8. Februar zugestimmt, sagteMdEP B`sescu, obwohl das eigent-liche Datum der 4. Februar war.

Peinlich wurde es allerdings, alsdie 30-Jährige die europäische Legis-lative mit jener des eigenen Landesverwechselte: „In allernächster Zeitwird Rumänien bilaterale Verhand-lungen zwecks Abschluss einschlägi-ger Abkommen einleiten, die sodanndem Europäischen Parlament zwecksRatifizierung unterbreitet werden“,sagte die jüngste Präsidententochter.Die Europaabgeordnete hat augen-scheinlich keine Ahnung, dass das EPkeinerlei Befugnisse in der Angelegen-heit bilateraler Abkommen zwischenzwei Ländern hat und das Abkommenzwischen den USA und Rumänienfolglich ausschließlich der Billigungdes rumänischen Parlaments bedarf.

PräsidententochterElena blamiertsich im EP

Letzte „Revolutionsakte“ freigegeben

Staatsanwalt: „Iliescus Ansehendürfte beeinträchtigt werden“

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„Front zur Nationalen Rettung“ (v.l.n.r.):Dumitru Mazilu, Ion Iliescu und Petre Roman am23. Dezember 1989

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on Diaconescu, ehemaligerVorsitzender der Christde-mokratischen NationalenBauernpartei (PN}CD),will gerichtlich gegen denStaat Rumänien vorgehen

– auf 18 Mio. Euro schätzt derheute 92jährige eine angemesseneEntschädigung für seine Haftzeit imkommunistischen Gulag und dienach seiner Entlassung verordneteZwangsumsiedlung in eine kleineGemeinde in Südrumänien.

Das Landgericht Bukarest muss nunentscheiden, ob der Beschluss des Mili-tärgerichts, durch den Diaconescu am28. Februar 1948 u.a. zu 15 JahrenZwangsarbeit und einer Totalenteignungverurteilt wurde, politischer Natur unddaher unrechtmäßig war. Der damaligeJungpolitiker war am 5. Dezember1947 zusammen mit anderen Oppositio-nellen des kommunistischen Regimesunter dem Vorwand verhaftet worden,außer Landes flüchten zu wollen – wasin den Anfangsjahren des Kommunismusals staatsfeindliche Haltung galt. In Wirk-lichkeit versuchte das damals noch vonden Sowjets kontrollierte Regime, syste-matisch jegliche Opposition zu zerschla-gen. Ein Großteil der Elite der rumäni-schen Gesellschaft landete im Gulag,wenige wurden verschont, mussten abermit dem System paktieren. Nach seinemVerhör, begleitet von systematischerPrügel, Folter sowie Nahrungsentzug,und dem darauffolgenden Schauprozesslandete Diaconescu zunächst im berüch-tigten Straflager von Aiud. Bis zu seinerEntlassung im Jahr 1962 wurde er mehr-mals versetzt – zuletzt zur Zwangsarbeitin den Bleibergwerken von Baia Sprie.Von dort stammt eine der traumatischstenEpisoden seiner Haftzeit im Gulag. Weildas dortige Straflager unter Geheimhal-tung stand, wurde seine Blinddarment-zündung nicht in einem regulären Kran-kenhaus behandelt, sondern direkt inder Mine. Drei Stunden lang bohrte ein

anderer Häftling ohne ärztliche Erfah-rung in Diaconescus Magengrube nachdem Blinddarm. Der Lagerkommandanthatte schon Vorbereitungen für dessenBeerdigung veranlasst, so schwach warder Häftling nach dem brutalen Eingriffin den miseren Bedingungen, erinnertsich Ion Diaconescu.

Die Erfolgsaussichten der Entschädi-gungsklage sind unklar. Andere ehema-lige politische Häftlinge sind bislang mitähnlichen Gerichtsverfahren gescheitert.Allerdings gewann der Generalsekretärder regierenden LiberaldemokratischenPartei (PDL), Mircea Toader, einen fürdas laufende Verfahren möglicherweiserelevanten Prozess gegen den Staat –ihm wurden umgerechnet etwa 25.000Euro zugesprochen, weil er zwischen1986 und 1988 von der Securitate ver-folgt worden war.

Falls Diaconescu gewinnt, will er dieEntschädigungssumme größtenteils sei-ner Partei spenden. Er könne in seinemAlter nicht viel damit anfangen, die Bau-ernpartei habe das Geld dafür bitter nötigfür ihren geplanten Wiederaufbau, soder 92-Jährige. Nach einer kurzen Be-teiligung an der Regierung, als siezwischen 1997 und 1999 den Premier-minister stellen durfte, verschwand diePN}CD von der politischen Bühne undmachte in der Öffentlichkeit nur noch spo-radisch durch interne Querelen auf sichaufmerksam.

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Schmerzensgeld

Christdemokrat Ion Diaconescu verklagtRumänien auf 18 Millionen Euro

IIon Diaconescu, ehemaliger Vorsitzenderder PNȚCD

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bermals schlittert Ru-mänien zwischen Russ-land und dem Westenhin und her − diesmalin einem Anflug von

Realpolitik. Die Regierung in Bukarestscheint gewillt, sich an den Energiespie-len des Kremls zu beteiligen, dessenVerhandlungen bereits an mehrerenFronten mit Schwarzmeer-Anrainerstaa-ten geführt werden. Um Bulgarien undauch die Türkei in Schach zu halten, hatRussland erst vor kurzem Rumänieneingeladen, sich am Projekt der SouthStream Pipeline zu beteiligen − die dieUkraine bekanntlich umgehen soll undfür die Moskau inzwischen um jedeMengePartner bemüht ist. Bis unlängst hatteStaatspräsident Traian B`sescu stets be-hauptet, dass für Rumänien einzig Na-bucco prioritär und dessen Konkurrenz-projekt demzufolge uninteressant sei.Das Blatt wendete sich jedoch im Feb-ruar, als Gazprom-Chef Alexander Med-wedew nach Bukarest reiste und nachGesprächen mit WirtschaftsministerAdriean Videanu (PDL) bekanntgab,Rumänien aufgefordert zu haben, sicham Bau der South Stream-Gasleitung zubeteiligen. Davor war Videanu bereitswiederholt mit Gazprom- Spitzenvertre-tern zusammengetroffen − die Kontaktedeuteten zwar auf einen möglichen Deal,nicht aber auch auf politisches Tauwet-

ter hin. Denn die Demarchen des rumä-nischen Wirtschaftsministers, die wohlkeineswegs im Alleingang erfolgt seindürften, wurden durch keinerlei diplo-matische Kontakte unterstützt, wie sie inderlei Fällen üblich sind, so dass die seitder Ausweisung dreier, der Spionageverdächtigten, russischen Diplomatenangebrochene Eiszeit zwischen Moskauund Bukarest offiziell nach wie vor anhält.

Tatsache bleibt, dass der Wirtschaftsminis-ter und gleichzeitig erste stellvertretendeVorsitzende der Regierungspartei mitdem russischen Gasmonopolisten trotzoffizieller Beziehungen unter dem Ge-frierpunkt munter drauf los über den Baudes Gasdepots in M`rgineni, die mögli-che Ausschaltung der Zwischenhändlerbei den russischen Gaseinfuhren, über

Preisrabatte und die Beteiligung Rumä-niens am South Stream-Projekt verhan-delte − offenbar mit Erfolg.

Rumänien ist eindeutig darum bemüht,sich zu einer strategischen Drehscheibeauf der zukünftigen Energielandkarte Eu-ropas zu entwickeln und fasst deshalbsämtliche Projekte ins Auge, die imSchwarzmeer-Raum geplant sind. DerStaatschef selbst scheint derzeit bestrebt,auf seine alte „Achsenpolitik“ (AchseBukarest−London−Washington; AchseBukarest−Paris) zugunsten einer prag-matischeren Strategie zu verzichten, dieden Einfluss der Achsen einerseits undden Powerpoker im Schwarzmeer-Raumandererseits bündeln könnte. Rumäniensei am South Stream-Projekt interessiert,bekundete folglich das Staatsoberhaupt.Der Standpunkt Bukarests ist damit je-doch ein anderer als z. B. jener Ankaras,wo die Spitzenpoliker der Meinungbleiben, dass „die Projekte Nabucco undSouth Stream nicht miteinander verein-bar sind“ − so der türkische Botschafterin Bukarest, Ayse Sinirlioglu, gegenüberder Nachrichtenagentur Agerpres. An-fang März beschlossen Präsident B`sescuund der exzentrische kasachische Dikta-tor Nursultan Nasarbajew zudem eineigenes Kooperationsprojekt − nämlicheine Pipeline, durch die kasachisches Ölzur Hafenstadt Constan]a fließen soll,um in der größten Erdölraffinerie Rumä-niens, die sich natürlich in kasachischemBesitz befindet, raffiniert zu werden unddanach den Weg nach Westeuropa ein-zuschlagen.

Rumäniens Balanceakt könnte frei-lich auch nach hinten losgehen, dochbietet die neue Realpolitik, der sich dieSpitzenvertreter des Landes verschriebenhaben, dem Land immerhin die Chance,sich zu einem energetischen Knotenpunktzu mopsen.

sabina fati

Analyse

Realpolitik aufRumänischA

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Der 45-jährige sozialdemokratischeSenator C`t`lin Voicu ist zweifelsfrei eineklatantes Beispiel für die Überlebensfä-higkeit eines Systems, das sich auch 20Jahre nach der Wende seinen Fortbestandanhand der altbewährten Securitate-Me-thoden sichert. Seinen Hochschulab-schluss machte Voicu erst spät, er zogein Jura-Studium an der recht anspruchs-losen Polizeiakademie vor. In der Zeit-spanne 1986−1987 war er aktiver Armee-offizier, danach trat er dem Geheimdienstbei, nach der Wende war er schließlichfür die Sicherheit des damaligen Staats-präsidenten Ion Iliescu zuständig, derihn letztlich zum General beförderte.Anfang der 90er Jahre arbeitete Voicuauch als Adjutant des Generalstaatsanwal-tes, nach seiner Karriere bei der Präsi-dentschaft zog es ihn schließlich ins Par-lament − der ideale Ort, um Kapital ausseiner bestens ausgefeilten Technik derkriminellen Einflussnahme zu schlagen.Die Abhörprotokolle, die Ende Märzmit schöner Regelmäßigkeit an die Öf-fentlichkeit gelangten und die der Senatwohl selbst durchsickern ließ, nachdem

sie ihm von der DNA zur Verfügunggestellt wurden, bieten einen ersten Ein-blick in ein weit verzweigtes Korruptions-netz auf hoher Ebene. Sie zeichnen einBild mafiöser Machtstrukturen, in denenVoicu eine zentrale Rolle einnimmt −jene des unentbehrlichen Mittelsman-nes, der seine Beziehungen spielen läßt,um den Richtern des Obersten Kassa-tions- und Gerichtshofes Schmiergeldereinflussreicher Unternehmer zu überbrin-gen, gegen die strafrechtliche Verfahrenlaufen. Die Abhörprotokolle offenbaren,dass sogar ein Richter des OberstenRichterstandes die Anordnungen Voicusstramm befolgte.

Vor einem Jahr wäre der Senator umHaaresbreite Innenminister geworden,die Flügelkämpfe in seiner Partei vereitel- ten seine Ernennung praktisch im letz-ten Augenblick. Im Wahlrennen um diePräsidentschaft legte er sich für den un-terlegenen Mircea Geoan` ins Zeug −davon überzeugt, dass ihm selbst nachdem Wahlsieg seines Parteichefs „dasganze Land zu Füßen liegen“ werde,wie er in einem seiner abgehörten Tele-

fonate verlautbarte. Geht man frühereErklärungen seiner Parteikollegen durch,erfährt man, dass Senator Voicu in denletzten Jahren stets Zugang zu den Ge-heimakten des Nachrichtendienstes desInnenministeriums hatte. Aufgrund derauf diesem Wege erhaltenen Informatio-nen konnte er sodann jeden Politgegnererpressen − egal, ob aus den eigenenParteireihen oder von außerhalb.

Voicu scheint der erste „dicke Fisch“zu sein, der der EU-Kommission undauch dem Europäischen Amt für Betrugs-bekämpfung nach jahrelangem Wartenserviert werden könnte. Denn diesmaldürften sich die Richter nicht mehr mitlückenhaften Akten und wankelmütigenZeugen herausreden können − ihnenliegen massenhaft Abhörprotokolle derDNA vor, aus denen klar hervogeht, wieder sozialdemokratische Senator seinekriminellen Strippen zieht.

sabina fati

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Mafiöse Machtstrukturen

Der erste „große Fisch“zappelt im Ermittlernetz

rstmals seit der Gründung der Antikorruptionsbehörde (DNA)haben deren Staatsanwälte die Verhaftung eines Senators bean-tragt. Und erstmals in der postkommunistischen GeschichteRumäniens haben die Parlamentarier keinen Schutzschild umihren beschuldigten Kollegen gebildet, sondern dem Antrag der

DNA-Staatsanwälte stattgegeben. Laut rumänischer Gesetzgebung können imFalle von Abgeordneten und Senatoren sowohl Verhaftung als auch Hausdurch-suchungen nur mit Zustimmung der jeweiligen Parlamentskammer erfolgen.

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Von der Presse bereits zum „Paten“ gestempelt:Senator Voicu

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in punkto wirtschaft

ie EU-Kommission hatim letzten Monat ihrezweite Teilzahlung an

Rumänien überwiesen. Die Summeist Teil des vor einem Jahr verein-barten Notdarlehens über insgesamt5 Milliarden Euro mit der Europäi-schen Union. Rumänien habe diehaushaltspolitischen Auflagen zwecks

Auszahlung der zweiten Kredit-tranche erfüllt, erklärte Wirtschafts-und Währungskommissar Olli Rehnin einer Pressemitteilung, nun geltees, weitere Reformen umzusetzen,um die restlichen Teilzahlungen zuerhalten.

Rehn zufolge muss Bukarestnicht nur eine fiskalische Konsoli-dierung vornehmen, sondern dieseauch durch strukturelle Reformenbegleiten.

EU: Eine MilliardeEuro ausgezahlt

D as Nationale Statis-tikamt hat den Rück-gang der rumäni-schen Wirtschaft im

Krisenjahr 2009 leicht nach obenrevidiert: Die Wirtschaft sei im letz-ten Jahr tatsächlich um 7,1% undnicht, wie eingangs geschätzt, um7,2% geschrumpft, gab die BehördeAnfang März bekannt. Auch sei dasBruttoinlandsprodukt des Landesim letzten Quartal 2009 im Ver-gleich zur Vorjahresperiode um6,5% und nicht um 6,6% zurückge-gangen.

Der nominale BIP-Rückgang in 2009habe, preisbereinigt, 491,273 Mrd. Lei(knapp 116 Milliarden Euro) betragenund damit unter den anfänglichen Schät-zungen gelegen, die von 497,3 Milliar-

den Lei ausgegangen waren, teilte dasStatistikamt des Weiteren mit. Für das4. Quartal 2009 errechnete die Behördeeinen Rückgang des preisbereinigtenBruttoinlandsprodukts Rumäniens um152,29 Milliarden Lei.

2009: Wirtschaftsminus bei 7,1%

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Ausländische Direktinvestitionen imSturzflugDie ausländischen Direktinvestitio-

nen (FDI) sind im Januar 2010 auf 302Mio. Euro und damit um knapp dasVierfache gegenüber der gleichen Vor-jahresperiode gesunken, bezeigen dieKapitalbeteiligungsdatender rumänischen Noten-bank. Darlehen der Mut-tergesellschaften an dierumänischen Töchteroder Filialen sind lautNotenbank im Januar über-haupt nicht verzeichnet wor-den − die Investitionenbestanden lediglich aus Kapital-beteiligungen und reinvestierten

Gewinnen. Allerdings deckten die FDIden Fehlbetrag in der Leistungsbilanz(123 Mio. Euro − Stand Januar) völlig.

2009 hatten sich die hierzulande er-folgten ausländischen Direktinvestionenmit 4,89 Milliarden Euro gegenüberdem Vorjahr (9,49 Milliarden Euro)

praktisch halbiert. Davon entfie-len 3,06 Milliarden aufKapitalbeteiligungen(einschließlich einbe-haltene Gewinne), dochwar deren tatsächlicherWert letzten Endes um37% geringer als in2008.

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Der Anstieg sei hauptsächlich derwieder anziehenden Industrieproduk-tion zu verdanken, lautet das allgemeineAnalysten-Fazit: „Dies ist eindeutig eingutes Zeichen für die wirtschaftliche Er-holung des Landes, das man mit derebenfalls erfreulichen Evolution der In-dustrieproduktion korrelieren muss. DieUnternehmen haben ihre Produktionwieder angefahren, wofür sie Importebenötigen“, so Analyst Laurian Lungugegenüber der Presse. Die saisonberei-nigte Industrieproduktion war im Janu-ar 2010 gegenüber Dezember 2009 um6,8% gestiegen und hatte damit die viert-höchste Wachstumsrate innerhalb derEU27 verzeichnet.

Doch warnen die Analysten vorübereilten Hoffnungen bezüglich desKonsums. „Steigende Importe sind inZeiten einer positiven Evolution derWirtschaft gang und gebe, einen neuer-lichen Konsumrausch werden sie hinge-gen nicht einläuten. Die Einfuhr vonKonsumgütern wird sowohl in 2010 alsauch in den nächsten Jahren weiterhin

zurückgehen“, erläuterte Lungu, derdarauf verwies, dass im Januar größten-teils Pkw und Transportfahrzeuge (35,2)und weit weniger Nahrungsmittel, Ge-tränke und Tabakwaren (lediglich 7,7%)eingeführt wurden. Laut Nationaler Prog-nosekommission dürften die rumänischenImporte heuer um 3,1% anziehen undsich auf 36,8 Milliarden Euro belaufen.

Und auch der Aufwind des Export-sektors hält an. Gegenüber Januar 2009stiegen die rumänischen Ausfuhren imJanuar 2010 um 19,8% auf insgesamt2,3 Milliarden Euro, wodurch das Han-delsdefizit auf 426 Millionen Euro sank.Für 2010 rechnet die Prognosekommis-sion mit einer Steigerung der Exporteum 1,3% auf insgesamt 26,45 Milliar-den Euro.

anne warga

21Nr. 2 | APRIL 2010

wirtschaft

Einfuhren erstmals seit KrisenausbruchgestiegenAuch der Aufwind des Exportsektors hält weiterhin an

ie rumänischen Einfuhrensind im Januar erstmalsseit 14 Monaten wieder

gestiegen − und zwar um 4,4%. Siebeliefen sich auf insgesamt 2,73 Mrd.Euro und lagen damit deutlich überden 2,48 Mrd. Euro der Vorjahres-periode, teilte das Nationale Statis-tikamt mit.

DEinfuhren:Gesamtwert Januar 2010: 2,73 Mrd. EuroGesamtwert Januar 2009: 2,48 Mrd. EuroHauptimportwaren: Pkw und Transport-fahrzeuge, Nahrungsmittel, Getränke,Tabakwaren

Ausfuhren:Gesamtwert Januar 2010: 2,3 Mrd. Euro

Handelsdefizit:auf 426 Mio. Euro abgebaut

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22 Nr. 2 | APRIL 2010

ür Unternehmen aus demdeutschsprachigen Raumhat Rumänien seinen Rufals Steuerparadies ver-wirkt, geht aus einer

jüngst vom Beratungsunternehmen Leit-nerLeitner vorgestellten Marktstudie her-vor. Zwischen November 2009 undJanuar 2010 hat LeitnerLeitner in Ko-operation mit den bilateralen Handels-kammern Deutschlands, Österreichsund der Schweiz rund 300 deutschspra-chige Unternehmen in Rumänien zumUmgang mit Steuerbehörden und -ver-fahren sowie zum rumänischen Steuer-recht befragt. Wie René Schöb, Partnerbei LeitnerLeitner, mitteilte, erwiesensich die Ergebnisse der Umfrage zum

Teil verheerend, zum Teil durchauspositiv. „Die gute Nachricht ist, dass dieUnternehmen Steuern bezahlen wollen.Die schlechte ist, dass sie das auf vernünf-tige und überschaubare Weise tun wol-len – aber im Moment nicht können“,so Schöbs Fazit. Wegen der Bürokratiemüssen die Firmen einen hohen personel-len Aufwand in Kauf nehmen, währenddas Steuerumfeld volatil bleibt − gewal-tige 93% der befragten Unternehmenklagten über Instabilität (29% nanntenes instabil, weitere 64% sogar höchst in-stabil). Das Steurerrecht wurde als unüber-sichtlich beschrieben − die Steuergesetzeseien so oft abgeändert worden, dasskaum jemand sie mehr auszulegen ver-mag. So können nur 39% der Firmen

etwas mit den Steuervorschriften anfan-gen, die im Amtsblatt veröffentlicht wer-den, die restlichen nehmen Steuerberatungin Anspruch (44%) oder beziehen ihreInformationen aus den Medien (14%).

Relativ zufrieden erklärten sich dieUnternehmen dafür mit den Steuersät-zen − allerdings mit einigen Ausnahmen.Eine Mehrwertsteuer von 19% sei imVergleich zu den Herkunftsländern derbefragten Firmen tragbar, die 16% Ge-winnsteuer empfindlich niedriger als da-heim. Aber: „Es kommt nicht nur aufden Steuersatz von 16% an, sondern auchauf die Beträge, die damit besteuert wer-den. Wenn weniger absetzbar ist, steigenauch die Steuern“, so Schöb. Wenigerzufrieden sind die Firmen mit den So-zialversicherungen: Die Abgaben für dieRentenversicherungen passen zwar zuden Vorstellungen, doch die Kranken-versicherungsbeiträge werden zumindestim Verhältnis zur Gegenleistung weitge-hend als zu hoch erachtet.

Die Forderungen der befragten Un-ternehmen waren dementsprechend ein-deutig: Ein in sich stimmigeres Systemund einen kooperativeren Umgang derFinanzbehörden mit dem Steuerzahler.Die Beamten müssten besser ausgebildetwerden, derzeit sei festzustellen, dass Mit-arbeiter der Steuerkontrollämter häufigTransaktionen der Firmen gar nichtnachvollziehen können.

Zur mittelfristigen Perspektive einerVerbesserung des Systems gab sich RenéSchöb optimistisch. Man könne davonausgehen, dass sich in zwei bis drei Jahrenschon etwas ändern werde. Der IWFdränge auf niedrigere Defizite, das wür-de zu Entlassungen im System führen.Um überhaupt noch arbeiten zu können,müsse deshalb das Gefüge des staatlichenFinanzwesens optimiert werden, u.a.durch bessere Aus- und Fortbildung.

alex gröblacher

wirtschaft

Fiskalpolitik

Aus der Traum vomSteuerparadies

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23Nr. 2 | APRIL 2010

wirtschaft

umänische Bankenstehen in diesem Jahrvor einem Dilemma:Um die Auswirkungfauler Kredite auf das

Geschäftsergebnis abzufangen, müssengesunde Kredite her, doch wie soll daskonkret gehen? Wenn der Staat vorhat,sich nicht mehr so hoch wie in 2009 zuverschulden, wem sollen die Banken dannihr Geld geben – den privaten Haushal-ten oder demMittelstand? Letztere Kom-ponente wäre für die Wirtschaft ein Segen,aber noch scheuen sich die Banken, daskrisengebeutelte und von Unsicherheitgeprägte KMU-Segment zu finanzieren.Ihr Geld dort anzulegen, wo Umsatz undGewinn von der Besteuerungskreativitätdes Staates und der immer noch mauenNachfrage der europäischen Märkte ab-hängt, erscheint den Bankern als weit-gehend riskant.

Großunternehmen sind weiterhinprivilegiert; allein auf ihr Konto gehtder relative Erfolg des Kreditmarktes,deshalb können Banken ihre Profitmar-gen schwerlich auf der Basis großer Un-ternehmenskredite genesen lassen –seinen Goldesel schlägt man schließlichnicht mit allzu hohen Zinsen, denn ver-

sagt ein hoher Kredit, ist letzten Endesdas ganze Jahresergebnis im Eimer. Die-se Philosophie ermöglichte es den Groß-kunden, ihre Zinsen, Finanzierungs-höchstwerte und Rückzahlungskonditio-nen neu auszuhandeln. Das nagt amProfit der Banker. Schlimmer ist aber,dass eine Erholung über das Großkun-densegment dementsprechend als fastausgeschlossen erscheint – der Markt istzu den gegenwärtigenRisikowerten aus-gereizt.

Mittelstand alsonicht, weil bei jetzigerKrisenlage zu riskant.Großkunden auchnicht, weil deren Ver-handlungsposition sostark ist, dass man alsBank den Kürzerenzieht. Was bleibt, istder ganz große Bereichder Privatkunden. Weilder Wert fauler Krediteinsgesamt gemeldetwerden muss – alsonicht nach Kundenartgetrennt – sind Bankenso frei, das Kreditsaldo beliebig anzuhe-ben (soll heißen, auf jedem Segment unddurch jedes Produkt). Steigt also der Wertgesunder Kredite in der Kreditmassedurch die Heranziehung neuer Kundenauf dem Segment der privaten Haushalte,ist die Bank unterm Strich gesünder.Faule Kredite haben zwar beängstigendbesonders dort zugenommen, wo Ban-ken kopflos Kredite ohne Hypotheken-

haftung vergeben haben. Allerdings istder Wert der faulen Kredite auf demHypotheken- und Wohnungssegmentnoch tragbar, obwohl auch hier BankenVerluste hinnehmen mussten. Das Ver-hältnis geplatzter Kredite zu der Ge-samtkreditmasse ist schwindend gering,was für die Banken neue Chancen er-öffnet. Hinzu kommt der Eingriff desStaates durch Garantien für Wohnbau-und Wohnungskaufkredite. Weil derStaat für die Kreditsumme im Ernstfallgeradesteht, sind die Banken an Hypo-thekenkrediten stark interessiert – derleiProdukte könnten in 2010 der Rennersein. Und wenn die Immobilienpreiseweiterhin fallen sollten, könnte sich auch

die verklemmte Nach-fragesituation schnellentspannen.

Tatsächlich könntengriechische Banken inRumänien aufgrund derdramatischen Schieflagevon daheim und jenerihrer Muttergesellschaf-ten im besonderenschnell in Bedrängniskommen, doch ist einEinfrieren ihrer Krediteeher unwahrscheinlich.Im Moment wäre dasauch wenig relevant,schließlich ist der Kre-ditmarkt – noch – quasistarr.

Der Schlüssel für den Ausweg aus derRezession liegt allerdings weniger imKonsum, sondern hauptsächlich in derProduktion – und dem müssten auchBanken durch eine entsprechende Steue-rung Rechnung tragen. Aber wahrschein-lich werden sie zur leichten und gewinn-bringenden Variante der Privatkundengreifen. Banken sind eben auch nurMenschen.

Der Kommentar

Banken sind auch nur Menschen

Rvon adacom`nescu

Wenn der Staat vorhat,sich nicht mehr so hochwie in 2009 zu verschulden,wem sollen die Banken dannihr Geld geben – den privatenHaushalten oder demMittelstand? LetztereKomponente wäre für dieWirtschaft ein Segen, abernoch scheuen sich dieBanken, das krisengebeutelteund von Unsicherheitgeprägte KMU-Segmentzu finanzieren.

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24 Nr. 2 | APRIL 2010

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ie EU-Staats- und Re-gierungschefs habenEnde März beim EU-Frühjahrsgipfel eine„Wirtschaftsregierung“

beschlossen, die künftig die Entwick-lung der Wettbewerbsfähigkeit kontrol-lieren und eine optimierte Koordinationder Wirtschaftspolitiken herbeiführensoll. Das Ziel einer „Wirtschaftsregie-rung“ gaben Bundeskanzlerin AngelaMerkel und der französische PräsidentNicolas Sarkozy bekannt − allerdingsbleibt unklar, was genau darunter zuverstehen ist. Die neue Wachstumsstra-tegie „Europa 2020“ soll im Juni verab-schiedet werden und die gescheiterteLissabon-Strategie ersetzen. Sie beinhal-tet 5 konkrete Ziele mit Hinblick aufBeschäftigung, Forschung, Klimaschutz,Bildung und Armutsbekämpfung. Eini-gen konnten sich die Gipfelvertreter al-lerdings erst auf drei.

So kamen die EU-Staats- und Regie-rungschefs überein, dass die Arbeitslo-sigkeit stärker bekämpft werden muss.In diesem Sinne sieht die EU-2020-Stra-tegie vor, dass binnen 10 Jahren 75%aller EU-Bürger unter 64 Jahren beschäf-tigt sein sollen. Auch in Forschungsfra-gen kam es zur Einigung: Die EU-Ländersollen dafür 3% ihres BIP zur Verfügungstellen. Beim Klimaschutz gaben sichdie Gipfelteilnehmer bereits zurückhal-tender: Zwar halte man am Ziel fest, dieCO2-Emission bis 2020 um ein Fünftel

im Vergleich zu 1990 zu reduzieren,doch solle das Vorhaben „Schritt fürSchritt“ umgesetzt werden, sagte derStändige Ratspräsident Herman vanRompuy. Vertagt wurde hingegen dieEntscheidungen über die beiden Kern-fragen Armutsbekämpfung und Bildungs-politik − laut EU-KommissionspräsidentJosé Manuel Barroso bis Juni. Bei den„Bildungszielen“ gäbe es noch „Diskus-sionsbedarf“, während „beim StichwortArmut geeignete Indikatoren gefundenwerden“ müssten, die sich „nicht in na-tionale Anstrengungen einmischen“, hat-te Bundeskanzlerin Merkel gefordert.

Das neue Wachstumskonzept der EUwirkt auf den ersten Blick recht schwam-mig und wenig überzeugend. So sollenlaut Ratspräsident van Rompuy dessenZiele diesmal „richtig überwacht wer-den“, jedoch wurden keine Sanktions-möglichkeiten vorgesehen, mit denendie Mitgliedstaaten zur Einhaltung derVorgaben gezwungen werden könnten.

Nach dem Gipfeltreffen forderteStaatschef B`sescu die krisengebeutelterumänische Bevölkerung erst einmalauf, „weniger zu jammern“. „Die Arbeits-losigkeit in Rumänien liegt immerhinum rund 2% unter dem EU-Durchschnitt.Wir sollten versuchen, uns auf unsereArbeit zu konzentrieren und aus demGejammere keinen Beruf zu machen.Alle Länder machen schwierige Zeitendurch“, so B`sescu. Europa sei zurzeitnun einmal „der Kontinent mit demschwächsten Wirtschaftswachstum“, dergesamteuropäische Wirtschaftsmotorlasse sich eben „nur schwer ankurbeln“.„Hoffen wir, dass er demnächst wiederanspringt. Rumänien ist von der Erho-lung der großen europäischen Märktewie Deutschland, Frankreich und Groß-britannien abhängig“, erklärte B`sescu,dabei hinzufügend, dass er selbst mitHinblick auf einen baldigen Aufschwungkeineswegs „ein Pessimist“ sei.

anne warga

EU-Frühjahrsgipfel beschließtWachstumsstrategie „Europa 2020“Staatschef B`sescu: „Wir solltenweniger jammern“

DFrankreichs Präsident Sarkozyund Staatschef Băsescu währenddes EU-Frühjahrsgipfels Fo

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ie Finanz- und Wirt-schaftskrise ist nichtan allem schuld. Umerfolgreich zu sein,

muss man zunächst im eigenen Un-ternehmen bezüglich Finanzen undRisiken Transparenz schaffen. Nurso lässt sich das Vertrauen der Banken,Kunden und Lieferanten in die Fir-ma gewinnen und stärken.

Nach jahrelangem Wachstum war dieglobale Finanz- und Wirtschaftskrise fürUnternehmen in Südosteuropa eineschmerzliche Zäsur. Sie kam unerwartet,denn die Voraussetzungen hatten sich inden meisten Ländern kaum verschlech-tert. Nach wie vor besteht im SüdostenEuropas grosses Aufhol- und Wachstums-potenzial. Die Infrastruktur wurde ausge-baut, was den Anschluss an internationaleArbeitsteilungsprozesse erleichtert undverbessert.

Trotzdem brachen Aufträge aus dem«Westen» weg. Firmen, die sich vor Arbeitkaum retten konnten, haben plötzlichProbleme bei der Kapitalbeschaffung.Viele Banken treten auf die Kreditbrem-se und bewerten bestehende Positionentrotz steigendem Anpassungsbedarf(zu) zögerlich.

Eine Ursache für diese Veränderun-gen ist sicher der weltweite Nachfrage-rückgang. Doch greift dieses Argumentzu kurz, denn es lenkt von hausgemach-ten Problemen ab.

In der Krise sind internationale Risi-koaufschläge gestiegen – für intransparenteNachfrager sogar um ein Mehrfaches.Produkte, Firmen und Länder, die sichnur schwer einschätzen lassen und dar-um als risikoreich gelten, sind überpro-portional stark betroffen.

Als medialer «Höhepunkt» wurdediese Unsicherheit am Beispiel Griechen-lands vorexerziert. Spekulationsvorwürfeallein verfehlen den Kern, denn die Grie-chen haben die Transparenz in ihrer wirt-schaftlichen Berichterstattung jahrelangschlicht sträflich vernachlässigt!

Der Mangel an Transparenz wirktezuerst nach innen: Probleme wurdenverkannt, nicht benannt, darum ignoriertund nicht angegangen. Folglich fehlte

die Transparenz nach außen: Warumauch, wenn die Investitionen ohnehinfliessen? Dies ist kein spezifisch griechi-sches Problem. Im Gegenteil, je kleinerdie Wirtschaftseinheit, desto schwierigerist es, sich im Inneren über Risiken undSchwierigkeiten klar zu werden, sowieQualität und Glaubwürdigkeit nachaußen zu signalisieren. Dieses «Außen»bezieht sich auf Banken, Kunden undLieferanten. Letztere müssen sicher seinkönnen, dass ihr Partner beim Lieferter-min noch im Geschäft ist!

In Krisenzeiten steigt der Kostendruck– überall wird gespart. Darum ist es er-folgsentscheidend, seine eigenen Finan-zen und Risiken im Griff zu haben, soTransparenz zu schaffen und aktiv zu kom-munizieren. Fazit: Es braucht ein starkesManagementinformationssystem und einsystematisches Riskmanagement.

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management consulting

kontakt

Transparenz schafftVertrauen

Dvondr. andreas mattig

Unternehmen, die ihre Finanzen und Risiken transparent managen und nach außen aktiv kommu-nizieren, sind – auch in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten – erfolgreicher als intransparente Betriebe.

Advertorial

Dr. Andreas MattigPresident of the [email protected]

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schwerpunkt

Geld- und Kreditgeschäft

Banken in der Pumpfalle

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von camelia popa

2010 geht es somit nach einem −verglichen zu den Vorjahren − schlech-ten Jahr ums Ganze für die Bankindus-trie. Zwei Herausforderungen müssensich die Geldinstitute stellen: Zum einengilt es, die Portfolios gesünder zu ge-stalten. Das setzt voraus, dass die Ge-wichtung der faulen Posten in der Kre-ditmasse abnimmt. Keine leichte Auf-gabe bei der ungünstigen Konjunktur.Der Chefvolkswirt der BCR-Erste, Lu-cian Anghel, malt ein trübes Bild: „Es

ank, Bank, Bank,Apotheke, Bank,Supermarkt. Undwieder Bank. Sosieht sie aus, dietypische Wohn-

blockfassade im kapitalistischen Ru-mänien. War die Banken-Invasionin den Boomjahren 2001−2008 gutnachvollziehbar, weil der Finanzsek-tor zu den Triebkräften der Wirtschaftgehörte, fragen sich heute viele,warum eigentlich noch so viele Filia-len noch geöffnet haben. Tatsächlichsetzte auch der Banksektor auf Spar-kurs. Allein zwischen Januar und Sep-tember 2009 entließen Banken über3.000 Mitarbeiter und schlossen 88Filialen. In der Hitze der Kriseschmolzen die zweistelligen Gewinneder Banken dahin – das Kreditge-schäft brach praktisch ein.

B

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gibt mehr Arbeitslose und weniger Ein-kommen, die Auswirkungen auf das ei-gene Portfolio müssen aufgefangen wer-den.“ Die zweite Aufgabe ist demnach,das Kreditgeschäft wieder anzukurbeln,diesmal aber vorsichtiger und auf ge-sünderer Basis.

Eine Frage stellt sich dabei allerdings,und zwar ganz akut: Wer soll die Kredi-te in Anspruch nehmen? Die Haushaltesind jetzt schon stark verschuldet, undwer noch etwas Geld hat, setzt vorsichts-halber auf Sparen, nicht auf Ausgeben.

Die Krise hat in Rumänien ein inter-essantes Spannungsfeld geschaffen – dieKreditnachfrage ist auf dem Privatsektor(Haushalte und Unternehmen) zurück-gegangen, hat aber auf dem Staatssektorzugenommen. Dabei ist der Finanzie-rungsbedarf der Firmen so hoch wie nie.Adrian Vasilescu, Berater des rumäni-schen Zentralbanchefs Mugur Is`rescu,glaubt, dass dieses Terrain besondersschwierig ist. „Die große und vielleichtschwerste Herausforderung für die Geld-häuser wird sein, den Finanzierungsbe-darf der Regierung und des Privatsektorszugleich zu decken“, so der Verantwort-liche der Rumänischen Notenbank BNR.

Fettpolster hielten 2009 warmDas Krisenjahr 2009 würgte die Ge-

winne der Banken ab, der Gesamtsektorkam auf einen Profit von rund 190 Mio.Euro. Das mag noch gut aussehen, istaber gerade mal ein Sechstel des Ergeb-nisses von 2008. Damals war der Rein-gewinn der Banken über die psychologi-sche Schwelle von einer Milliarde Eurogeschossen, er erreichte 1,27 Mrd. Euro– nach Daten der BNR um 67% mehrals im Vorjahr 2007.

Zum Vergleich: Der gesamte Gewinnder Bankenindustrie lag in 2009 unterdem Ergebnis, das allein die BCR-Erstein den ersten 3 Quartalen des Jahres 2007erwirtschaftet hatte: 219,6 Mio. Euro.Dass es doch noch zu etwas Gewinn kam,verdanken die Banken fast ausschließ-lich dem Geschäft mit dem Staat.

Das magere Ergebnis ist auf den fasttotalen Rückgang des Kreditgeschäftsauf dem Privatsektor zurückzuführen,aber auch auf die höheren Risikorück-stellungen sowie Finanzierungskostenaufgrund schlechterer Landesratings, sagtNicolae Cintez`, Leiter der Aufsichtsab-teilung bei der BNR. Allein die Rück-stellungen haben sich mit 13,7 Mrd. RONim Oktober 2009 gegenüber Dezember2008 (7,5 Mrd. RON) fast verdoppelt.

Die Krise drückte derart stark auf dieEinkommen von Firmen und Bevölke-rung, dass viele mit ihren Ratenzahlun-gen nicht mehr nachkommen konnten.„Das Verhältnis der Rückstände zumEigenkapital der Banken lag im Oktober2009 bei 10,5% - im Oktober 2008 wa-ren es 3,4%“, sagt BNR-Vize Florin Geor-gescu. Das Gesamtvolumen der Rück-stände stieg somit auf rund 1,7Mrd. Euro.

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Nach Auffassung der Bankexpertenhat sich die Industrie die Suppe aller-dings selber eingebrockt – zu leicht wur-den in den Boomjahren Kredite vergeben,Banken legten Köder in die Pumpfalle,denen sich nur wenige entziehen konnten.

Ein TeufelskreisDie Gewichtung rückständiger Kredi-

te hat sich nach BNR-Daten in den ers-ten drei Quartalen des Jahres 2009 zumgleichen Vorjahreszeitraum vervierfacht.Wer die Zahlen aufmerksam durchgeht,entdeckt schnell interessante Zusammen-hänge: Hohe Zinsen führen zu mehrZahlungsrückstand, Banken müssen aberwegen Rückständen die Zinsen anheben,um flüssig zu bleiben – der wahrste Teu-felskreis.

Kreditgeschäft soll wieder anziehenDie Zentralbank kann diesen Teufels-

kreis zwar nicht durchbrechen, will dieBewegungsrichtung aber umkehren:Durch die andauernde Herabsetzungder Leitzinsen fallen auch die Kreditzin-sen, Unternehmen können sich billigerfinanzieren, dadurch floriert die Wirtschaftund steigen die Einkommen − im End-

effekt steigt letztlich auch der Konsumund die Banken kriegen mehr Kunden.

2009 lag der Leitzins bei 10,5%, suk-zessive fiel er bis Ende März 2010 auf6,5%. Finanzexperten gehen davon aus,dass bis Ende des laufenden Jahres einLeitzins von 6% durchaus denkbar wäre,was natürlich das Kreditgeschäft beflü-geln dürfte.

Doch die dümpelnde Konjunktur istGift für das Kreditgeschäft, während dieBanken übervorsichtig geworden sind.Wurden Kredite bis 2008 praktisch ver-schenkt, suchten sich die Geldinstitute

2009 nur die Rosinen aus dem Kunden-kuchen aus: Beschäftigte aus von derKrise weniger getroffenen Branchen(z.B. IT). Wer aus der Automobilbran-che oder aus der Bauindustrie kam oderden Staat zum Brötchengeber hatte, warzumeist weg vom Fenster.

Auf die Probleme an der Bankenfrontist auch der Internationale Währungs-fonds (IWF) aufmerksam geworden. Soheißt es in einem vom IWF vorgelegtenArbeitspapier zur Lage in Rumänien,dass „die Spannungen auf dem Finanz-markt zwar abgenommen haben, dochdie Kreditkonditionen nach wie vor hartbleiben“ – Banken seien angesichts einerZunahme leistungsschwacher (sprich:fauler) Kredite entmutigt. Experten desIWF sind daher der Meinung, dass der„Bankensektor in Rumänien verwundbar“bleibt, nachdem „faule Kredite zugenom-men haben, wodurch zusätzlicher Druckauf Liquiditäten und Kapital entsteht“.Trotz drakonischer Konditionen konntedie Regierung in Bukarest hingegenihren kurzfristigen Bedarf problemlos fi-nanzieren, ohne durch die gestiegeneNachfrage die Zinsen nach oben zutreiben – alles eine Frage der staatlichenHaftung für die Darlehen.

Der IWF-Bericht zu Rumänien be-

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tont weiter, dass die Banken ihr Kredit-geschäft auch vor dem Hintergrund derschwachen Konjunktur zurückgeschraubthaben. Ihnen ging es um die Konsolidie-rung der Marktposition im Kontext ei-ner schwachen Liquidität, härteren Kon-ditionen und qualitätsmäßig schlechte-ren Portfolios.

Last but not least wird der Marktauch von der Appetitlosigkeit der Kun-den geprägt – kaum jemand interessiertsich mehr für Bankkredite, zu tief sitztbereits die Angst vor einer eventuellenEntlassung und damit einer Bauchlan-dung vor dem Konkursrichter.

Kundenpsychologie spieltHauptrolle im GeschäftBankkaufleute wissen allerdings, dass

dieser Appetitlosigkeit nicht nur überniedrigere Zinsen beizukommen ist. Zurallgemeinen Unsicherheit trägt beispiels-weise neben der Angst vor Entlassungauch bei, dass sich viele Kunden wegeneiner ganzen Reihe von versteckten Kos-ten übers Ohr gehauen fühlen. So etwamüssen Kunden eine bisweilen deftigeProvision zahlen, wenn sie ihren Kreditvorzeitig tilgen wollen – bis zu 6% derKreditsumme können im Ernstfall fälligwerden. Wer das Kleingedruckte im Ver-

trag nicht aufmerksam gelesen hat, schreitspäter umsonst „Abzocke“: Selbst derVerbraucherschutz kann da kaum helfen.

Dieser Praxis will die EU ein jähesEnde bereiten. Zum 11. Juni tritt die –für Banken ominöse – Richtlinie 2008/48/EG in Kraft, die diese Provisionenje nach Kreditart entweder ganz besei-tigt oder auf 1% begrenzt. RumänischeBanken müssen bis zu diesem Zeitpunktsämtliche Kundenverträge – neue wiebereits abgeschlossene – abändern, umder Norm Rechnung zu tragen.

Gut fürs Kreditgeschäft dürfte wahr-scheinlich auch die langsam abflauendeSparwut der letzten 15 Monate sein. Uman billigeres Geld zu kommen, versuch-ten Banken die Bevölkerung zu über-zeugen, mehr Ersparnisse anzulegen –natürlich zu höchst attraktiven Zinsen,was im Endeffekt auch die Kreditzinsenhöher werden ließ. Das könnte sich nunetwas ändern. „Die Bevölkerung ist ge-genüber den Banken netto verschuldet −was wir im letzten Jahr als Spartrendgesehen haben, ist eher der Vorsicht dennder Vorsorge zu verdanken“, glaubt BNR-Direktor Florian Neagu. Eine Studiedes Fonds zur Haftung für Sparkontenzeigt beispielsweise, dass mehr als dieHälfte der Rumänen niemals spart, demRest gelingt es lediglich kleine Summenanzulegen − und auch nur dann, wennim Haushalt an allen Ecken und Endengeknausert wird. Im Schnitt legt jederRumäne rund 20 Euro monatlich in Spar-konten an; die meisten, die sich Erspar-nisse leisten können, gehören zu denBesserverdienenden und verfügen überMonatseinkommen von 600 Euro undmehr. Die Krise hat viele eines Besserenbelehrt. Sorin Mititelu, Leiter der Direk-tion Geschäftsentwicklung bei der BCR−Erste, stellte letztes Jahr erstaunt fest,dass die Zahl der Sparkonten stark zu-genommen hat: „Einer von vier Kun-

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den hat inzwischen ein derartigesKonto − allein zwischen Januar und Mai2009 nahmen die Sparkonten in Landes-währung volumenmäßig um 11% zu.“

Die Unicredit }iriac Bank rechnetweiterhin mit einer Verstärkung des Spar-trends: „Ersparnisse werden schnellerzunehmen als das Kreditgeschäft, weildie Menschen nach wie vor unsicher sind,da klare Voraussetzungen für einen Kri-senausweg nicht gegeben sind“, so Bank-präsident R`svan Radu. Auch die Rating-agentur Fitch prophezeit einen Sparboomund liefert Zahlen: Am Bruttoinlands-produkt gemessen, könnten die Erspar-nisse von 6,4% im Jahr 2009 auf 8% in2010 und 12,4% in 2011 steigen.

Konjunkturpaket hilft Bankenaus der TinteIm Sommer 2009 führte die Regie-

rung Boc das „Erstwohnungsprogramm“ein. Das Paket verfolgt vier Ziele. JungeMenschen, die noch keine Wohnungbesitzen und von den Banken wegenihrer Einkommenslage niemals als Kun-den in Betracht gezogen würden, soll-ten aufgrund des Programms ihre ersteWohnung erstehen können. Zweitenserhoffte sich das Kabinett eine Wieder-ankurbelung der Bauindustrie. Drittenssollte der Immobilienmarkt aufgefrischtwerden. Und viertens glaubte man fest,dass das Konjunkturpaket den Bankenhelfen würde, das Kreditgeschäft wieder

zu beleben. Auf dem Papier sah alles schönaus − die Kredite werden vom Staat ga-rantiert, was die risikobedingten Kostendrücken soll. Im laufenden Jahr liegt diemaximale Kreditsumme bei 75.000Euro, 2009 waren es 60.000 Euro.

Die Bürgschaft für das Paket liegt indiesem Jahr bei insgesamt 700 Mio. Euro.Die Laufzeit eines solchen Kredits er-streckt sich über maximal 30 Jahre, dieMindestanzahlung beträgt 5% der Kre-ditsumme. Die Ziele wurden allerdingsmehr oder weniger verfehlt – wenige Ju-gendliche konnten selbst zu entspannte-ren Konditionen die verlangte Bonitätnachweisen; die Bauindustrie profitiertekaum durch neue Aufträge, da weiter-

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30 Nr. 2 | APRIL 2010

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hin Wohnungen in den alten Plattenbau-ten bevorzugt wurden. Auf dem Immo-bilienmarkt war fast keine Wirkung fest-zustellen, zu wenige Wohnungsbesitzerdrehten an der Preisstellschraube, ummit einem Kaufpreis zu winken, der denstaatlichen Vorstellungen entsprach.

Die Banken zeigten sich anfangs sehrinteressiert am Geschäft, viele sprangendann angesichts der Bürokratie wieder ab.Von dem Bürgschaftsfonds von 2009wurden rund 460 Mio. Euro für 11.000Kunden abgerufen – im Schnitt 42.000Euro pro Kreditnehmer. Davon wurdenallerdings 80% von lediglich vier Bankenin Anspruch genommen – BCR, BRD,Alpha Bank und Banca Transilvania. DieBCR–Erste bekam davon den Hauptan-teil ab: Bis Februar 2010 vergab dieBank Darlehen für 6.300 Wohnungenim Wert von 255 Mio. Euro.

Schlimm ist, dass der Staat inzwischenschon die ersten Wohnungen pfändenlassen muss − viele junge Menschenhatten sich verschätzt oder wurden inder Krise ihre Jobs los. Nun, da siezahlungsunfähig sind, bedient sich dieBank aus dem Garantiefonds, währenddie Wohnung dem Staat zufällt, auf des-sen Namen die Hypothek ausgestelltworden war. Wie der Staat diese Woh-nungen zukünftig wieder los wird, istderzeit noch unklar.

Zumindest die Bauindustrie hat indiesem Jahr Grund zur Freude – dasKonjunkturpaket wird dahingehend neuausgelegt, dass nicht nur fertiggestellteWohnungen in Betracht kommen. AuchBauverträge werden finanziert, nur mussder Kunde – oder eine Kundengruppe –nachweisen, dass ein Baugelände existiert.

Ausländische Finanzinstitutebleiben stark engagiertDie Zentralen der neun wichtigsten,

in Rumänien agierenden, ausländi-

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schen Banken − Erste Bank, RaiffeisenInternational, Eurobank EFG, NationalBank of Greece, Société Générale, AlphaBank, Volksbank, Piraeus Bank und Uni-Credit – haben im Jahr 2009 bilateraleVereinbarungen mit dem rumänischenStaat getroffen, in denen sie sich verpflich-ten, ihr Engagement auf dem gleichenNiveau wie bisher zu halten und eine Li-quidität von 10% bei ihren rumänischenTochterbanken zu garantieren. Die neunBanken, für deren Marktpräsenz die Mut-terkonzerne einstehen, halten insgesamtetwa 70% des rumänischen Marktes.

Die Entwicklung der Engagementsder Mutterbanken war auch Gegenstandeiner Untersuchung des IWF und derEU-Kommission, die sich mit diesemProblem in der zweiten Jahreshälfte 2009

auseinander setzten. „Mit Ausnahmetemporärer Abweichungen, die durchhochwertige Transaktionen im Zeitraumder Berichterstattung zu erklären sind,brachten sich die Banken weitenteilskonstant ein. Ausländische Banken ver-stärkten und konsolidierten ihre Markt-präsenz auch durch ein gemeinsamesDarlehen mehrerer Banken an die rumä-nische Regierung im Juli 2009“, schluss-folgerte der IWF.

Die Beibehaltung der Marktpräsenzin Rumänien garantiert internationalenGeldgebern und der Regierung „die Sta-bilität der im Land verfügbaren Bankmit-tel und ist eine Versicherung zugunsteneiner weiterhin positiven Situation desBanksektors“, so die Experten des IWF.Der Erfolg des makroökonomischen

Reformprogramms und die Nachhaltig-keit der Leistungsbilanz hängen wesent-lich von einem aktiven Engagement derhierzulande aktiven Banken ab.

Staat und Banken mussten dabei aberauch Kompromisse eingehen. So ver-pflichtete sich die Zentralbank Rumäni-ens, im Falle jener Banken, die sich füreine weiterhin starke Marktinvolvierungverbriefen, deren Finanzierungen durchdie Mutterbanken oder durch interna-tionale Geldgeber nicht als Kredit anzu-sehen und diese bei der Berechnung derMindestrücklagen auszunehmen. ImGegenzug akzeptierten die Banken, dassdie somit freigestellten Summen für Fi-nanzierungen des Privatsektors – undzwar besonders der Unternehmen – be-reitgestellt werden.

Ende September 2009 kam es jedochfast zum Eklat: Die neun Banken versuch-ten sich herauszureden. Grund war, dassdie freigestellten Summen wegen Mangelan Investitionsmöglichkeiten nicht abge-rufen werden konnten. Sie forderten dem-zufolge nachdrücklich adäquate Instru-mente, um ihr Geld anlegen zu können.

Die Wirklichkeit zeigt, dass die Ban-ken hier sind, um zu bleiben: Nicht nur,dass kein Rückzieher vermeldet wurde −wie Zentralbankvize Florin Georgescuaufgrund der BNR-Daten bekannt gab,haben die Banken ihr Kapital insgesamtum fast eine halbe Milliarde Euro auf-gestockt.

Es gab sogar Banken, die gerade imKrisenjahr 2009 interessante Geschäfts-möglichkeiten entdeckten. Die DeutscheBank, die 2006 das Pokerspiel um diemilliardenschwere Übernahme der größ-ten rumänischen Bank BCR an die öster-reichische Erste-Gruppe verloren hatte,ist für Rumänien nun wieder offen. Siewill ab 2010 auf dem lokalen MarktDienstleistungen für betriebliche Kun-den anbieten.

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Zu den Sorgen um die Krise undderen Auswirkungen gesellen sich auchneue: Die Welt blickt voller Sorge aufGriechenland − und auch auf die Län-der, in denen griechische Banken gutvertreten sind.

Die Angst, dass die in Rumänienagierenden Töchter griechischer Bankenin den Sog der Probleme der griechischenWirtschaft gezogen werden könnten, istgroß – schließlich halten griechische Kre-dithäuser wie Bancpost, Alpha Bank, Pi-

raeus Bank, NBG und andere einen Anteilvon 25% am Markt. Mitte März veröf-fentlichte Reuters eine umfangreicheAnalyse, derzufolge die Probleme inGriechenland Gefahr laufen, auf diegesamte südosteuropäische Region –also auch Rumänien – abzufärben. DieEuropäische Bank für Wiederaufbau undEntwicklung zeigte sich laut Reuters be-sorgt darüber, dass auch die Banksyste-me in der Region etwas abbekommenkönnten. Zwar werde es wohl nicht zu

einem massiven Rückzug griechischerBanken aus den betroffenen Märktenkommen, doch sei ein stärkerer Kapital-fluss aus Griechenland in Richtung Süd-osteuropa so gut wie ausgeschlossen, sodie Finanzexperten. Selbst wenn andereBanken bereit wären, diese Löcher zustopfen – Signale soll es u.a. von derösterreichischen Ersten Bank gegebenhaben – käme es dennoch zu Schwierig-keiten, weil Griechenland generell weni-ger investieren würde. Angesichts derleidüsterer Aussichten bleibt Adrian Vasi-lescu, Chefberater des Zentralbankchefs,jedoch gelassen – zumindest was dieSicherheit der Banken angeht. „Malenwir doch nicht unnötig griechische Teu-fel an die Wand. Diese Banken sind ei-gentlich 100%ig rumänisch, nur dieAktionäre sind eben Griechen. Das Ma-nagement wurde von der BNR geneh-migt, die Aufsicht liegt ebenfalls bei derBNR. Sie alle sind voll in den rumäni-schen Bankkreislauf eingebunden, sie ver-geben Kredite an rumänische Kundenund verwalten Einlagen von Rumänen.Mit dem, was in Griechenland passiert,haben diese Banken rein gar nichts zutun“, sagt Vasilescu.

33Nr. 2 | APRIL 2010

schwerpunkt

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34 Nr. 2 | APRIL 2010

wirtschaft

Rumänien und Bulgarien wollenBrüssel um eine Verlängerung derFinanzierung für den Bau der Do-naubrücke zwischen den StädtenCalafat (Rumänien) und Vidin (Bul-garien) ersuchen, erklärte Minister-präsident Boc anlässlich einesBesuches im Nachbarland. BeideStaaten fürchten nämlich um dieEU-Finanzierung über 200Mio. Euro,da die Brücke noch Ende 2010 fer-tig werden sollte, den beiden Regie-rungschefs zufolge jedoch wohl kaumvor Juli 2011 beendet sein dürfte.Der bulgarische Premierminister Boj-ko Borissow stellte klar, dass die Bau-arbeiten eingestellt würden, falls dieEU-Kommission dem gemeinsamenAntrag nicht stattgeben sollte. Bulga-rien etwa habe für dieses Projekt der-zeit kein Geld im Staatshaushalt, fügteBorissow hinzu. Boc und Borissowhatten AnfangMärz die Baustelle ambulgarischen Brückenkopf besichtigtund dabei auch die eigenen Bau-teams bzw. das bisherige Schnecken-tempo der Arbeiten beanstandet.

Mehr Zeit fürCalafat/Vidin-Brücke

osige Aussichten für dasBukarester U-Bahn-Netz:315 Millionen Euro willdie japanische Agentur für

internationale Zusammenarbeit (JICA)für den Ausbau der hauptstädtischenMetro bis zum internationalen Flughafen„Henri Coand`“ in Otopeni bereitstellen.Ein entsprechendes Darlehensabkommenunterzeichneten jüngst FinanzministerSebastian Vl`descu und der Präsidentder Japan International CooperationAgency, Sadako Ogata, in Anwesenheitdes japanischen MinisterpräsidentenYukio Hatoyama sowie des rumänischenStaatschefs Traian B`sescu, der MitteMärz einen zweitätigen Staatsbesuch inJapan unternommen hatte.

Das Projekt wird von der japanischenRegierung finanziert und folgt dem 1999von der japanischen Agentur für inter-nationale Zusammenarbeit erarbeitetenMasterplans für den öffentlichen Ver-kehr in Bukarest. Dem Ausbau der Me-tro bis zum internationalen Flughafenhatte der Bukarester Stadtrat (CGMB)

bereits im Jahr 2000 zugestimmt.Die Fahrt zum Bukarester interna-

tionalen Flughafen ist für Vielreisendeseit Jahren eine reine Nervensache. DerStraßenverkehr hin und zurück kommtzu Stoßzeiten täglich zum Erliegen, dieZugfahrt vom Nordbahnhof aus dauertaufgrund überalteter Schienen knapp 45Minuten, wobei die Bahnstation auchnoch etliche Kilometer vom Flughafenentfernt ist.

asachstan will künftig dierumänischen Wasser- undSchienenwege für den Trans-

port seiner Rohstoffe und Güter in dieEU nutzen, erklärte Präsident Nursul-tan Nasarbajew nach Gesprächen mitseinem rumänischen Amtskollegen Tra-ian B`sescu, der letzten Monat nachAlma-Ata gereist war. Vereinbart wurdeauch die Beteiligung Kasachstans aneinem trilateralen Energieprojekt, dem

bislang Rumänien, Georgien und Aser-baidschan angehören. Das Projekt sollim Hafen von Constan]a entstehen, essieht den Bau eines Terminals für denTransit von GPL-Flüssiggas nach Euro-pa vor. Angestrebt werden, so Nasarba-jew, letztlich mehrere Terminals. Erörtertwurde zudem der Bau einer Ölpipelinevom Kaspischen zum Schwarzen Meer,die mittelfristig an die Constan]a-Tries-te-Leitung angebunden werden könnte.

Japan unterstützt Ausbau derBukarester U-Bahn mit 315 Mio. Euro

Rumänisch-kasachische Kooperationsprojekte

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Animation der Brücke(bulgarischer Brückenkopf)

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er neueste Mini MPV („MultPurpose Vehicle“) aus demHause Ford geht noch in die-

sem Sommer im oltenischen Craiova anden Start. Nachdem die EuropäischeKommission die rumänischen Staatsga-rantien für einen Kredit der EuropäischenInvestitionsbank (EIB) für den US-ame-rikanischen Autobauer billigte, hat FordEurope die gesamte Summe über 400Mio. Euro in die Entwicklung eines Mo-tors mit geringem CO2-Ausstoß und indessen Produktion im neuen südrumä-nischen Ford-Werk investiert.

Der B-Max ist der Nachfolger des„Fusion“, da er jedoch auf der Fiesta-Ba-sis aufbaut, ist er kleiner und billiger alsder C Max auf Focus Basis. Erwartet wirder mit kleinvolumigen Turbo-Direktein-spritzern und Dieseln unter der Motor-

haube, voraussichtlich einem 1,0-Liter(90 bis 110 PS), des Weiteren einemDiesel auch in Econetic-Version (75 und90 PS) und möglicherweise auch einem1,6 Liter-Benziner mit 150 PS.

Laut Ford-Verantwortlichen wird bisJahresende eine Produktion von 30.000Einheiten des B-Max angestrebt, in denkommenden beiden Jahren soll die Pro-duktion stetig bis auf 250.000 Einheitenpro Jahr steigen.

nerwartet hoher An-klang der neuen Gut-scheine, die die Regie-rung im Rahmen ihresdiesjährigen Abwrack-programms einführte:

Über 20.000 Schrottkisten seien bislangbereits abgewrackt (2009: 32.327 Ein-heiten) und über 4.000 Neuwagen ab-gesetzt worden, auch seien inzwischenmehr als 12.000 Gutscheine im Besitzder Autohändler, wo sie reißenden Ab-satz fänden, teilte Regierungschef BocMitte März stolz mit. Das eingangs auf228 Mio. Lei festgelegte Abwrack-Pro-gramm werde demzufolge um weitere

195 Mio. Lei aufgestockt, so der Regie-rungschef.

Wegen des „reißenden Absatzes“der Gutscheine mit einem Nominalwertvon 3.800 Lei blüht allerdings auch derSchwarzhandel − so mancher Händlerverlangt für einen Gutschein einen Auf-preis von 400 bis 600 Euro. Da dieGutscheine heuer zum ersten Mal auchübertragbar sind und sich Einzelbesitzerbis zu drei Prämien beim Kauf einesNeuwagen anrechnen lassen können,hat – laut Presse – so mancher Auto-händler vorgesorgt und sitzt derzeit aufeinem Haufen Gutscheine, die sodannden Kunden angedreht werden.

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wirtschaft

Craiova: Ford Fusion-Nachfolger B-Max gehtim Sommer in Produktion

Florierender Schwarzhandel mitGutscheinen für Abwrackprämie

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Der deutsche Automobilzulie-ferer Hella KGaA Hueck plant, in2010 und 2011 insgesamt 20 Mio.Euro in seine Werke in Temeswar,Lugosch und Arad zu investieren,berichtete die NachrichtenagenturMediafax mit Bezug auf den Ge-schäftsführer des Tochterunterneh-mens Hella Romania, Gelu Marariu.Dem Manager zufolge werden heuerrund 9. Mio. Euro in neue Produk-tionsanlagen investiert, die restlichen11 Mio. Euro fließen 2011.

Hella Romania entstand erst imletzten Jahr durch den Zusammen-schluss von Hella Lighting Romaniaund Hella Electronics Romania,derzeit beschäftigt das Unternehmenetwa 740 Mitarbeiter. Der interna-tional operierende Automobilzulief-ere, zu dessen Kerngeschäft Licht-systeme und Fahrzeug-Elektronikgehören, unterhält zudem auch einForschungs- und Entwicklungslaborin Craiova.

Hella setzt aufInvestitionen

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36 Nr. 2 | APRIL 2010

BVMW baut eigene Verbandsorganisationin Rumänien auf„Rumänische Unternehmen haben die Möglichkeit, in den BVMW einzutreten“

wirtschaft

er Mittelstand steht zu-nehmend im Fokus derwirtschaftlichen Bezie-hungen Rumäniens und

Deutschlands. Die Bundesrepublik istRumäniens wichtigster Handelspartner,rund 17.000 deutsche Firmen – größ-tenteils mittelständische Unternehmen– sind bereits hierzulande aktiv. Geför-dert werden diese Beziehungen vermehrtauch durch den BVMW − das größtefreiwillig organisierte Netzwerk des deut-schen Mittelstands, das gemeinsam mitanderen Mitgliedsverbänden insgesamtüber 150.000 Unternehmen mit mehrals 4 Mio. Beschäftigten vertritt.

Die bereits guten Beziehungen desBVMW zu rumänischen Unternehmenund Organisationen werden seit letztemJahr nun auch durch eine eigene Ver-bandsorganisation gestärkt. Geleitetwird er von Adina Utes, einer gebürti-gen Rumänin, die seit 20 Jahren inDeutschland lebt. „Rumänien hat invielen Bereichen noch Nachholbedarf.Nicht nur was technisches Know-howbetrifft, sondern zum Beispiel auch aufdem Gebiet der Berufsausbildung. Qua-lifizierte Mitglieder des BVMW könntendazu beitragen, Ausbildungsstandardszu schaffen, die den Anforderungen deseuropäischen Marktes standhalten – waswiederum die Position des Mittelstandssichern und stärken würde.“ Damit derTransfer von Wissen und Dienstleistun-gen keine Einbahnstraße bleibt, öffnetder Verband seine Türen auch rumäni-

schen Mittelständlern. „Durch die Mit-gliedschaft im BVMW können unproble-matisch Geschäftsverbindungen auf- undausgebaut werden.“

Das erste Büro des BVMW wurde inRâmnicu Vâlcea bei der lokalen Indus-trie- und Handelskammer eröffnet, mitder auch ein Kooperationsvertrag besteht.Zurzeit baut die Verbandsorganisationihre neue Geschäftsführerstruktur in Ru-mänien aus: Zwei Leiter sind bereits inBukarest und Hermannstadt aktiv, wei-tere werden gerade für die Regionen Süd-rumänien, Siebenbürgen, Banat, Nord-und Ostrumänien vorbereitet. ErklärtesZiel des Landesverbandes ist dabei, so-wohl den rumänischen als auch dendeutschen Mittelstand zu stärken. „Ru-mänische Unternehmen haben jetzt dieMöglichkeit, in den BVMW einzutreten“,verlautbarte BVMW-Bundesgeschäfts-führer Bodo Schwarz in einer Presseaus-sendung, denn „das bedeutet einenMehrwert für Rumänien, aber auch fürden BVMW. Und das nicht nur wirt-schaftlich, sondern auch politisch.“

Seit mehr als 30 Jahren unterstütztder Verband mittelständische Unterneh-mer; weltweit ist er inzwischen mit mehrals 15 Auslandsbüros vertreten. „Davonkann nun auch der rumänische Mittel-stand profitieren“, so die BVMW-Rumä-nienbeauftragte Adina Utes. „Denn derbraucht eine externe Stimme, der für seineInteressen spricht – auch politisch. Und derBVMW ist die Stimme des Mittelstands.“

alex gröblacher

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ie kaum ein Jahr jungeEADS-Tochter PremiumAerotec hat Anfang Märzin Anwesenheit von Minis-

terpräsident Emil Boc und Wirtschaftsmi-nister Adriean Videanu den Grundstücks-vertrag für die Errichtung eines neuenWerks für Flugzeugteile bei Ghimbav/Bra[ov unterzeichnet. „Wir haben unsfür diesen Standort entschieden, da wirhier beste Voraussetzungen und Fähig-keiten im Bereich der Produktion vonFlugzeugbauteilen haben“, erklärte HansLonsinger, CEO der Premium Aerotec.Durch das neue Werk werde das gesamteUnternehmen stärker, Aerotec könnedurch die günstige Herstellung von Klein-teilen für die Flugzeugproduktion seineWeltmarktposition weiter sichern.

Die Investition beläuft sich auf insge-samt 90 Mio. Euro, davon stellt Aerotec45Mio. Euro, die restlichen 45Mio. Eurowerden von den Partnern und Zuliefe-

rern des deutschen Flugzeugbauers auf-gebracht. In dem neuem Werk solleninnerhalb von 10 Jahren über 700 Ar-beitsplätze entstehen.

Der rumänische Regierungschefstrahlte: Der Vertragsabschluss sei wich-tig sowohl für die Region als auch fürdas ganze Land, die Expansion der EADS-Tochter wäre ein gutes Zeichen für alleAuslandsinvestoren, so Emil Boc.

Das Werk soll noch in diesem Jahr inBetrieb gehen und in die bereits beste-henden deutschen Zulieferwerke in Augs-burg, Bremen, Nordenham und Varelintegriert werden. Eingangs werden inGhimbav rund 300 Mitarbeiter beschäf-tigt, bis 2011 – wenn der Ausbau des60.000 Quadratmeter großen Arealsabgeschlossen sein wird − sollen es, lautUnternehmensplänen, 700 sein. In Ghim-bav/Weidenbach werden zukünftigKleinteile für bestehende Flugzeugpro-gramme gefertigt, während die anderen

4 Aerotec-Werke vornehmlich Bauteilefür die Airbus-Familie − schwerpunkt-mäßig Großteile für den Rumpf, aberauch in der Zerspanung und Werkzeug-herstellung – produzieren.

Laut Wirtschaftsminister AdrieanVideanu kann Premium Aerotec auchauf Staatshilfe bauen: „Der rumänischeStaat bietet eine Hilfe über 21,3 Mio.Euro für eine Gesamtinvestition von 90Mio. Euro“, präzisierte Videanu.

Freude herrschte im März aber nichtnur bei den rumänischen Behörden, son-dern auch bei den Einwohnern vonGhimbav. Viele von ihnen waren im Laufeder letzten Monate vom maroden ru-mänischen Flugzeugbauer IAR Ghim-bav entlassen sollen, die meisten heuernnun bei Aerotec an. Und auch der ol-tenische Aluminiumhersteller Alro Sla-tina hat Grund zu Freude – er verhandeltnämlich bereits über Aluminium-Liefe-rungen.

Der deutsche Flugzeugbauer Premi-um Aerotec hat, Eigenangaben zufolge,6.000 Beschäftigte und erhält bis 2011vomMutterkonzern EADS 500Mio. Eurofür Investitionen. Für 2009 erwartetAerotec einen Umsatz von rund einerMilliarde Euro.

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37Nr. 2 | APRIL 2010

Expansion

EADS-Tochter Premium Aerotecerrichtet Werk bei Bra[ov

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Animation des künftigenAerotec-Werks in Ghimbav

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m ihre geplanten Investio-nen durchziehen bzw. ihrelokalen Aktivitäten stetig er-weitern zu können, schließt

Rumäniens größtes Unternehmen, dieOMV-Tochter Petrom, eine Veräuße-rung ihrer brandneuen FirmenzentralePetrom City nicht aus. Da im Unterneh-mensbudget zwischen 1,2 und 1,5 Mio.Euro für den Geschäftsausbau vorgesehensind und sich die Petrom City-Investitionauf rund 130Mio. Euro beläuft, stehe manbei Petrom zurzeit einem Rückmietver-kauf (sale and lease back) nicht abneigendgegenüber, sagte Petrom-FinanzvorstandReinhard Pichler gegenüber der Tages-zeitung „Ziarul Financiar“.

Eine Veräußerung der Petrom Citystelle eine gute Möglichkeit dar, binnenkurzer Zeit zu Geld zukommen, weshalb ein sol-cher Schritt gegebenenfallsdurchaus eine Überlegungwert sei. „Sollte uns eingutes Angebot unterbeitetwerden, werden wir esselbstverständlich analy-sieren. Auf jeden Fall wer-den unsere Mitarbeiter bisJahresende in den neuenSitz einziehen“, so Pichler.

Die Petrom City ent-steht im Norden Bukarests,sie sollte ursprünglich Ende

2009 beendet werden, doch verzögertsich die Fertigstellung offenbar um einJahr. Der neue Sitz soll rund 2.500 Be-schäftigen des rumänischen Erdöl- undErdgaskonzerns Platz bieten, die zurzeitnoch in verschiedenen Bürostandortenin und um Bukarest arbeiten.

ie Volksbank International(VBI) hat eine Kapitalauf-stockung ihrer Rumänien-Tochter um 200Mio. Euro

beschlossen, der Aufsichtsrat genehmig-te die Maßnahme bereits, das Geld dürf-te spätestens im zweiten Quartal fließen,informierte die APA Ende März. DerSchritt erfolgt, nachdem die einheimischeBankenaufsicht in 2009 sämtliche in Ru-mänien aktiven Banken zu einer Kapital-stärkung aufgefordert hatte. Die meistenBanken erhöhten daraufhin ihr Kapitalnoch im letzten Jahr. Die rumänischeTochter der Österreichischen Volksban-ken AG (ÖVAG) ist die drittgrößte Bankdes Landes, sie hält einen Marktanteilvon 7%.

Der österreichischen TZ „Die Presse“zufolge überlegt die ÖVAG jedoch denVerkauf ihrer Osteuropa-Tochter. Diesehatte 2009 zwar einen Ergebnisrückgangverzeichnet, lag aber nichtsdestotrotz

im Plus. Eine Veräußerung des Osteu-ropa-Geschäfts würde der ÖVAG etwasLuft verschaffen, nachdem das Finanz-institut im Vorjahr krisenbedingt eineMilliarde Euro öffentliches Kapital auf-genommen hatte.

Laut Berichten der österreichischenMedien mit Bezug auf ÖVAG-Aufsichts-rat Wolfgang Kirsch gibt es für die VBIbereits Interessenten. Die Eigentümerder Osteuropa-Tochter − an der dieÖVAG 50,1% hält, während die restli-chen Anteile im Besitz deutscher undfranzösischer Genossenschaftsbankensind − gehen laut Medienspekulationenvon einem Verkaufserlös von mindestens1,1 Mrd. Euro aus – so hoch ist nämlichdas Eigenkapital der VBI.

38 Nr. 2 | APRIL 2010

OMV-Tochter schließt Verkaufihrer Petrom City nicht aus

Volksbank International: Kapitalaufstockung undAbgabeüberlegungen

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Modellfoto der neuen Petrom-Firmenzentrale

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iki Lauda und Cock-pits sind einfach un-zertrennlich, nur dassder ehemalige dreifache

Formel 1-Weltmeister und derzeitigeAirline-Besitzer eben längst das Cock-pit eines Rennwagens gegen jenes einerseiner Flugmaschinen eingetauschthat. Elf Mal habe er seit Anfang Febru-ar bereits eine Niki-Maschine vonWiennach Bukarest gesteuert − mit denersten Fluggästen der neu eingeführ-ten Strecke an Bord, versteht sich,erklärte Lauda Mitte März anläßlicheiner Pressekonferenz in der rumäni-schen Hauptstadt.

FlyNiki setzt zwar auf low cost, aller-dings auch auf ein Quality-Konzept,daher seien „Fluggäste mit Krawatte“besonders gern gesehene Gäste, sagteLauda gegenüber punkto.ro in der fürihn typisch humorvollen Art. RichtigesTiming und der richtige Preis seien zwarausschlaggebend, doch darüber hinausbiete FlyNiki eine Reihe von Annehmlich-keiten, die bei den restlichen Billigflie-gern längst nicht selbstverständlich sind– wie etwa kostenlose Getränke oder war-mes Essen auf Bestellung. „Wenn diesesPaket mit einer freundlichen Flugbeglei-tung abgerundet ist, dann ziehen es dieFluggäste letzten Endes vor, bei uns zubleiben“, so Lauda.

Die Niki Luftfahrt GmbH entstand2003 aus der Aero Lloyd Austria GmbH,die von Lauda mehrheitlich übernommenwurde. 2004 schlossen Niki und Air Ber-lin die erste europäische Low-Fare-Alli-

anz, inzwischen ist Air Berlin seit wenigenWochen nach einer Anteilsaufstockungmit 49% Prozent an Niki beteiligt. „Un-sere Allianz geht seit 6 Jahren. Im letz-ten Jahr haben wir bei Niki den höchstenProfit (EBIT plus) geschrieben – fast 27Mio. Euro. Wir sind sehr zufrieden mitder Zusammenarbeit, Air Berlin und wirreden die gleiche Sprache. Air Berlin warzunächst mit 24% beteiligt, doch wurdenwir eigentlich bald zu Konkurrenten, daNiki in Wien sehr schnell gewachsen ist.Zu Weihnachten beschloss ich dann ge-meinsam mit Joachim Hunold (der AirBerlin-Chef − Anm. d. Red.), dass wirauf 49%−51% gehen − damit rücken wirnäher zusammen, können mehr Netzeaufeinander abstimmen, um noch güns-tiger zu fliegen. Das war das Konzepthinter der Anteilsaufstockung der Air

Berlin“, erläuterte Lauda gegenüber un-serem Nachrichtenmagazin.

Die Niki Luftfahrt GmbH setzt zurzeit12 Flugzeuge ein, 5 weitere Maschinensollen noch heuer hinzukommen. TrotzWirtschaftskrise gelang es der damit eherkleinen Airline, in 2009 ihre Passagier-zahl um 29% auf 2,6 Mio. Fluggäste zusteigern. Seit Anfang Februar fliegt Nikinun täglich auch Bukarest, Sofia und Bel-grad an, im März kamen Barcelona, Nizzaund Kopenhagen als Flugziele hinzu.

Den Ausbau des Rumänien-Geschäftshat Niki Lauda bereits ins Auge gefasst.„In 2011 planen wir, zwei Mal pro Tagnach Bukarest zu fliegen. Auch überlegenwir uns – sofern wir Unterstützung be-kommen, was uns schon angedeutet wur-de − weitere Destinationen aufzumachen.“

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FlyNiki auf Expansionskurs in OsteuropaBukarest: Formel 1-Legende Niki Lauda stellt neue Flugrouten vor

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ie weltweite Wirtschafts-krise hat die Reifen-fabrik „Continental“in Temeswar/Timi-[oara gegenüber den

Plänen zum Investitionsstart um zweiJahre zurückgeworfen, sagt WerksleiterThierry Wipff. Trotzdem wurde 2008–2009 der Ausbau des Werks fortgesetzt,2010 kommen neue Investitionen hinzu.Zumindest im letzten Jahr waren weitereInvestitionen vor Ort in Frage gestellt,da die Diskussionen um die Einhaltungder Umweltnormen hohe Wellen geschla-gen hatten.

Drei Jahre lang funktionierte das Werkohne Umweltgenehmigung − eine Zeit,in der Misstrauen und Proteste aus derBevölkerung ständig zunahmen. Luftver-schmutzung war zum Thema geworden.Von „schlechtem Geruch“ bis „Gestank“war die Rede, ein Protestkomitee aus demStadtviertel, in dem Continental liegt,hatte wiederholt seine Unzufriedenheitausgedrückt. Als dann die Umweltgeneh-migung ausblieb, fühlten sich die Anwoh-ner in ihrer Vermutung bestätigt, dass sieRecht haben.

„Nun haben wir eine Genehmigung“und „es stinkt nicht, sondern es riecht“,sagt Betriebsleiter Wipff, wenn die Fragenach der Unzufriedenheit der Bürgeraus dem sogenannten UMT-Stadtteilfällt. Weshalb von „stinken“ die Redesei, könne man bei Continental nichtverstehen, so Wipff. Dann aber erklärtder Werksleiter, warum die Umweltgeneh-

migung ausgeblieben war: Continentalwar sie 2005 für 5 Jahre erteilt worden.Doch erhält eine Umweltgenehmigungihre Gültigkeit, wenn das Unternehmenjährlich ihre Verlängerung beantragt unddie gesetzlich angeforderten Unterlagender lokalen Umweltagentur zur Verfü-gung stellt. Continental versäumte esjedoch in 2006, den Antrag für die Ver-längerung der Genehmigung rechtzeitigzu stellen. Diese muss jedes Jahr neu ein-geholt werden, doch hatte sich sein Vor-gänger, so Wipff, arrogant verhalten,anstatt das gesträubte Gefieder der Be-hörden zu glätten. Dies sei dann auchder Grund gewesen, weshalb die gesamte

Genehmigungsprozedur neu aufgerolltwerden musste. Auf jeden Fall sollen imkommenden Jahr 250.000 Euro in An-lagen zur Geruchseindämmung investiertwerden.

Heinz-Gerhard Wente, Vorstands-mitglied und Arbeitsdirektor der Conti-nental AG, hatte letzten Herbst bereitsdarauf hingewiesen, dass die Annahme,die Wirtschaftskrise habe nur die Auto-bauer und nicht auch die Reifenherstel-ler getroffen, keineswegs zutreffend sei.So kommt auch nicht von ungefähr, dassdie Auslastung des Temeswarer Reifen-werkes noch nicht perfekt ist. 13Mio. Rei-fen pro Jahr werden zurzeit hier erzeugt,16 Mio. sollen es in der letzten Ausbau-stufe werden. Zur Expansion gehört dieneu in Funktion genommene Kalander-Abteilung, 2010 kommen weitere Millio-nen-Investitionen hinzu, um die nächsteAusbaustufe des Werks zu erreichen.

Continental will in sämtlichen Wer-ken alle international gültigen Umwelt-normen einhalten, verlautbart das Unter-nehmen. „Wir haben 2 Mio. Euro vor-gesehen, um in den kommenden beidenJahren die geforderten Umweltnormenumzusetzen. Die Continental Automo-tive Products in Temeswar will ihr lang-fristiges Programm fortsetzen und inhochwertige Technologie neuester Ge-neration investieren, die allen Umwelt-normen der EU gerecht werden“, sagtIoan Purdea, PR-Koordinator im Temes-warer Reifenwerk.

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Umweltgenehmigung machte ContinentalTemeswar einen Strich durch die RechnungReifenhersteller investiert in neue Produktionsanlagen

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Werksleiter Tierry Wipff

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offnung für Arbeitslose:Wer erwerbslos ist und denSprung in die Selbstständig-

keit wagen will, kann ab Juni, so Brüssel,zu diesem Zweck Mikrokredite von derEU beantragen. Nach dem Vorbild deserfolgreichen Konzepts des Friedensno-belpreisträgers und Gründers der Mi-krokreditbank Grameen, MuhammadYunus, beschlossen die Arbeitsministerder 27 EU-Staaten Anfang März, nunauch Erwerbslosen aus den eigenenMitgliedstaaten mit Mini-Darlehen vonbis zu 25.000 Euro unter die Arme zugreifen, um damit die steigende Arbeits-

losigkeit zu bekämpfen. „Mikrokreditesind eine wichtige Antwort auf die Krise“,erklärte der spanische Arbeitsministerund derzeitige Ratsvorsitzende Celesti-no Corbacho.

Firmen mit weniger als 10 Mitarbei-tern und weniger als 2 Mio. Euro Um-satz können künftig Mikrokredite be-anspruchen, für die die EU bis 2014 ins-gesamt 100 Mio. Euro bereitstellen will.Das Europaparlament hat dem Vorschlagbereits zugestimmt, dementsprechendgeht es nun an die konkrete Umsetzung.Die ersten Gelder werden, laut Brüssel,bereits ab Juni fließen.

uch die rumänischeRegierung beschlossjüngst Maßnahmenzur Eindämmungder Arbeitslosigkeit:

Unternehmen, die Erwerbslose anstel-len, sollen sechs Monate von allen So-zialbeiträgen befreit werden, verlautbarteArbeitsminister Mihai {eitan. DemRegierungsbeschluss zufolge werdensämtliche Firmen, die beim Arbeitsamtüber 3 oder mehr Monate als erwerbs-los gemeldete Personen beschäftigen, vonder Entrichtung der Sozialabgaben be-freit. Die Arbeitgeber sind allerdingsauch verpflichtet, die betreffenden Mit-arbeiter über mindestens 12 Monate zubeschäftigen. Seine Behörde rechne da-mit, dass aufgrund der Maßnahme rund50.000 Arbeitslose wieder zu Jobs ver-holfen werde, so der Arbeitsminister.

Laut Regierungschef Boc ist die Exe-kutive zudem bemüht, noch im Laufedieses Jahres auch die Höhe der Lohn-abgaben einigermaßen zu senken.

Die Arbeitslosenrate ist im Febru-ar auf den höchsten Stand seit März2003 gestiegen − mit 8,3% legte sie,saisonbereinigt, um 0,2 Punkte gegen-über dem Vormonat (8,1%) zu. Inder gleichen Zeitspanne des Vorjah-res hatte sie noch bei 5,3% gelegen.

Laut Nationalem Arbeitsamt wa-ren Ende Februar landesweit insge-samt 762.375 Erwerbsfähige arbeitslosgemeldet. Experten fürchten nun,dass der absolute Rekordwert von779.863 Arbeitslosen (Stand März2003) im laufenden Jahr gebrochenwerden könnte.

Die höchste Arbeitslosigkeit wur-de in den Landeskreisen Mehedin]i(14,6%), Vaslui (14,2%) und Alba(13%) registriert, die niedrigsten Ar-beitslosenquoten wurden in Bukarest(2,4%) sowie in den Kreisen Ilfov(2,7%) und Timi[/Temesch (4,6%)verzeichnet.

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Februar: Arbeitslosig-keit bei 8,3%

EU vergibt Mikrokredite an Existenzgründer

Erleichterungen für Firmen, dieArbeitslose anstellen

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eutsches Weizenbier vomFass und ein Riesenschnitzelkann man sich seit kurzem in

der unteren Altstadt von Hermannstadteinverleiben. Und auch sonstige Rennerder deutschen Küche: Schweinebraten mitKartoffelknödeln, Spätzle und Schweins-haxen mit Zwiebeln und Kartoffelnusw. − alles in Petra’s Restaurant.Denn die Wirtschaftskrise hatlängst nicht allen den Appetitverdorben, deutsche Ge-richte erfreuen sich nachwie vor großer Beliebt-heit, sagen InhaberPetra Böge und Ma-thias Knauth.

Nach Her-mannstadt zog dasPaar vor einem Jahr,Mitte Februar wurdesodann das Projekt ge-startet. Der Weg bis hinzur Eröffnung sei nichteinfach, „doch bin ich gutberaten worden“, erklärtMathias Knauth, „zudem wirdauch in Deutschland Bürokratiehochgeschrieben“. Als schwierigererwies sich letzten Endes der Umbaudes Restaurants, denn die Informatio-nen über das Gebäude stimmten nichtimmer mit der Realität überein. „Des-halb konnten wir eingangs gar keine Wer-bung für unsere Neueröffnung machen,da wir den Stichtag bis zu guter Letztnicht kannten.“

Nun aber hat Petra’s Restaurant er-öffnet − es setzt neben der deutschen

Cuisine auch auf Catering. „Hauptsäch-lich wollen wir jedoch ein Familienrestau-rant sein. Bei uns können Paare getrostmit ihren Kindern einkehren − unserPersonal küm-

mert sich um die Kleinen, so dass Elternund Grosseltern entspannen können.Das Personal spricht im Übrigen auchDeutsch − das war bei uns Vorausset-zung.“

Die Restaurantwände sind mit Wap-pen und Ritterfiguren aus Hermannstadt,

Neppendorf und Halle bemalt − als Ver-bindung zwischen der Heimat und Sie-benbürgen: „Sehnsucht nach der Familieund nach daheim hat man immer − undwenn das Restaurant richtig läuft, werdenwir pendeln“, sagen Böge und Knauth.Daheim, in Deutschland, befinden sichschließlich nicht nur die Kinder undEnkelkinder, sondern auch das Fa-miliengeschäft: ein Drei-Sterne-Gasthof und eine Pension. Undauch das Riesenschnitzelsoll das Heimweh zumin-dest ein wenig lindern,denn „das habe ich mitmeiner Tochter entwi-ckelt, in Deutschlandwiegt es allerdings 800Gramm, in Rumänienhingegen 600. DieZeiten, in denen ichselbst solch eine Portionvertilgen konnte, sindzwar vorbei, doch für jun-ge Leute ist unser Riesen-schnitzel auf jeden Fall

schaffbar.“Auch Ausbaupläne gibt es

bereits: „Ich habe bei Konzernenin Deutschland und Belgien wegen

Kooperations- und Förderungsmög-lichkeiten nachgefragt. Im Hinterhofwollen wir nämlich einen Biergarteneröffnen. Hier soll deutsches Bier vomFass fließen − hoffentlich auch Rade-berger aus Sachsen-Anhalt. Bis dahinkonzentrieren wir uns aber voll undganz auf das Restaurant.“

ruxandra st`nescu

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Gaststättengewerbe

Riesenschnitzel gegen Heimweh

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indestens 102 Mio. Eurodürfte das Landwirt-schaftsministerium einspa-ren, nachdem Ressortmi-

nister Mihail Dumitru jüngst beschloss,ab heuer sämtliche Zahlungen fürGrünflächen zu streichen.Genaue Angaben über dieZahl der Farmer, denen diestaatliche Subvention inHöhe von 85 Euro pro Hek-tar nun gekappt wird, machtedas Agrarministerium nicht −laut Behörde muss erst einelandwirtschaftliche Bestands-aufnahme im Verlauf des Jah-res durchgeführt werden, umsämtliche brachliegenden Flä-chen und deren Besitzer zuerfassen.

Den Statistiken der Agen-tur für Zahlungen und Inter-vention in der Landwirtschaft(APIA) zufolge sind derzeitrund 1,2 Mio. Hektar Bodenvöllig oder nur geringfügigbewirtschaftet worden − wasjedoch ausreicht, um Agrar-subventionen zu beantragen.„Durch unsere Maßnahme sollen dieLandwirte dazu ermutigt werden, ihreBöden auch zu bestellen“, erklärte Du-mitru. Schon Ende des letzten Jahreshatte der Europäische Rechnungshof imseinem Jahresbericht zum EU-Haushaltvon 2008 gerügt, dass „in RumänienBegünstigte einheitliche Flächenzahlun-

gen für Grünflächen“ erhielten, obwohl„sie auf diesen Flächen nichts erzeugtenund nicht einmal für ihre Erhaltungsorgten“.

Doch dürfte die Maßnahme des rumä-nischen Landwirtschaftsministers weni-

ger mit Rücksicht auf den gemeinschaft-lichen Topf, der heuer immerhin Zu-schüsse über rund 730 Mio. Euro fürdie einheimischen Bauern vorsieht, son-dern eher eingedenk des eigenen, kargenStaatssacks erfolgt sein. Zur allgemeinenHaushaltsmisere gesellt sich nämlichauch noch das alte, leidige Zahlungs-

problem der APIA: Viele Farmer hattenin den vergangenen Jahren falsche Flächen-angaben gemacht, demzufolge warenungerechtfertigte Subventionen geflos-sen. Brüssel hatte daraufhin die Auszah-lung von Agrar-Hilfsgeldern an Rumänien

unterbrochen und den Sub-ventionsstopp erst nach ein-gehender Kontrolle im Juli2009 wieder aufgehoben,gleichzeitig aber auch be-schlossen, Rumänien für 10%der ausgezahlten Mittel (ins-gesamt 420 Mio. Euro) gera-de stehen zu lassen. Nun sinddie rumänischen Behördenverzweifelt bemüht, diese„Korrekturmaßnahme“ über42 Mio. Euro in 2,2 Mio. Euroabzumildern.

Die zahlreichen, oft völligverwahrlosten Grünflächen imLand scheinen auch Finanzmi-nisterminister Sebastian Vl`-descu inspiriert zu haben −der überlegt nämlich zusätz-liche Abgaben auf alle nichterhaltenen Flächen. Davorhatte Staatspräsident B`sescu

wiederholt moniert, dass nur „jene Far-mer, die ihre Flächen auch bestellen“ein Recht auf Zahlungen haben müssten,„Spekulanten“, die ihr Land unbewirt-schaftet ließen, sollten hingegen zusätz-liche Abgaben und sogar Strafgelder zuentrichten haben.

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Agrarministerium streicht Zahlungenfür GrünflächenAbgaben auf unbewirtschaftetes Land nicht ausgeschlossen

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Zucker und43.000 t

Weissmehl hat die EU Rumänien imletzten Jahr über ihr Programm zur För-derung der armen Bevölkerungsgruppenzukommen lassen − bis Ende 2009 hät-ten sie verteilt sein müssen. Doch verrot-tet ein guter Teil davon in staatlichenLagerräumen, während zahllose Rent-ner und Arbeitslose um Hilfe betteln.

Wäre 2009 kein Wahljahr gewesen,so wären die Lebensmittel, deren Halt-barkeit im April abläuft, wohl allesamtunverteilt geblieben, monierte die Presse.Dank der Wahlen sei die EU-Hilfe zu-mindest im Oktober und November vonden Parteien verteilt worden, die damitauf Stimmenfang gingen. Doch danachgerieten sie wieder in Vergessenheit −allein in Bukarest vergammeln zurzeitHunderte Tonnen Mehl in Depots, wäh-rend die Armen von den Behörden mitVerweis auf Personalmangel abgewimmeltwerden. Von denMedien zu diesem Miss-stand befragt, sagte Staatssekretär Gheor-

ghe Emacu vom Innenministerium, dassseine Behörde „keine Kompetenzen zurBetreuung und Verteilung dieser Lebens-mittel“ habe. Das gleiche Ministeriumhatte jedoch eingangs verlautbart, für„den guten Ablauf“ der Ausgabe verant-wortlich zu sein.

Bis Ende Mai muss Bukarest in Brüs-sel um Aufnahme in das Hilfsprogrammfür 2010-2011 ersuchen und dabei Quo-tenangaben zu den gewünschten Lebens-mitteln machen. Laut AgrarministerDumitru wird inzwischen an einer Re-gelung gefeilt, die die Verteilung opti-mieren soll.

44 Nr. 2 | APRIL 2010

in punkto gesellschaft

Armenhilfe: EU-Lebensmittelrotten vor sich hin

Ein Tiger hat jüngst im Hermann-städter Zoo einen Besucher schwer ver-letzt. Der 28-Jährigemusste Mitte März mitzerfleischtem Oberschenkelins städtische Krankenhauseingeliefert werden, nach-dem er sein Bein in denKäfig gesteckt hatte, umdie Raubkatze zu reizen.Da die Tiger sich allesamtin Käfigen befinden und

von den Besuchern zudem durch einenzusätzlichen Zaun getrennt sind, der

mit Warnschildern verse-hen ist, habe der Mannfolglich erst über denZaun steigen müssen, umüberhaupt in die Nähedes Käfigs und des Tiereszu gelangen, erklärteMirela Gligore, Spreche-rin der Bürgermeisteram-tes Sibiu.

Tiger verletzt Zoo-Besucher

12.000 t

Der liberale Bürgermeister derStadt Baia Mare, Cristian Anghel,ist im März vom AppellationsgerichtCluj wegen Amtsmissbrauchs zuzweieinhalb Jahren Freiheitsentzugverurteilt worden. Auch wurde ihmdie Fähigkeit aberkannt, ein öffent-liches Amt zu bekleiden oder in einesgewählt zu werden. Das Urteil ist end-gültig. Anghel hatte die dubiose Ak-quise einer Liegenschaft zum einemvöllig überhöhten Preis gebilligt. Erist bereits der zweite Bürgermeister,der seit Jahresbeginn von einem Ge-richt zu Freiheitsentzug verurteiltwird. Im Januar war der Stadthaltervon Râmnicu Vâlcea, der liberalde-mokratische Mircia Gut`u, wegenGroßkorruption zu dreieinhalb Jah-ren Haft verurteilt worden.

Auch sitzt der liberaldemokrati-sche Bürgermeister Craiovas, AntonieSolomon, zurzeit in U-Haft. Ihm legtdie Antikorruptionsbehörde Bestech-lichkeit und Urkundenfälschung zurLast. In Craiova sorgte seine Verhaf-tung für Proteste: Rathauspersonalund rund 500 Stadtbewohner de-monstrierten für die Freilassung desBürgermeisters „unserer Herzen“.

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Craiovas Bürgermeister „der Herzen“,Antonie Solomon, wird abgeführt

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Dem lauten Protest mehrerer Roma-Organisationen, die seinen Rücktrittforderten, begegnete Baconschi mit derErklärung, man habe seine Worte miss-verstanden. Was er sagen wollte, sei,dass es unter den in Frankreich leben-den Rumänen und Roma prozentuellnicht mehr Verbrecher gebe als sie na-turgegeben auch in anderen Gemein-schaften vorkämen, beispielsweise beiden Maghrebinern.

Auch der frühere ChefdiplomatAdrian Cioroianu stolperte im Novem-ber 2007 über das Thema rumänischerRoma im Ausland. Nach dem Raubüber-fall eines romastämmigen Rumänen auf

eine italienische Frau, der für das Opfertödlich ausging, sprach der Minister vonArbeitslagern in der ägyptischen Wüste,die der rumänische Staat für hinterhäl-tige Kriminelle einzurichten habe. InStrafbataillonen sollten sie schmoren unddie niederträchtigsten Arbeiten verrich-ten, als Buße für den Schaden, den sieRumäniens Ansehen im Ausland zufü-gen würden.

Die heikle Image-Diskussion, dieselbst raffinierte Intellektuelle wie Ba-conschi und Cioroianu zu sonderbarenbis missverständlichen Äußerungen ver-leitete, sollte nicht darüber hinwegtäu-schen, dass die Roma-Problematik z.T.

hausgemacht ist. Keine andere Volks-gruppe stößt auf eine so breite Ableh-nung. Jeder 5. Rumäne würde die Romaam liebsten außer Landes sehen, knapp78% der Bevölkerung erachten sie alsfaul und kriminell, besagt eine Meinungs-umfrage vom September 2009. Das scho-ckierende Ergebnis kann zumindest eini-germaßen relativiert werden: Ebenso vie-le Rumänen, nahezu 70%, gaben gleich-zeitig zu, aufgrund negativer Einzeler-fahrungen zu verallgemeinern. Im Gegen-zug schätzen die Roma in derselbenUmfrage die Rumänen als gastfreund-lich, rechtschaffen und tüchtig ein. Feststeht trotz aller Relativierungen, dass

45Nr. 2 | APRIL 2010

coverstory

Roma-Problematik

„Die Regierung sollte sich weniger um das Image desLandes und mehr um die armutsbedingte Migrationder Bürger kümmern“von sorin georgescu

mstrittene Äußerun-gen zur Roma-Fra-ge haben demAußenminister Ru-mäniens, Theodor

Baconschi, eine Menge Ärger einge-handelt. Als sich der französischeEuropastaatssekretär Pierre LelloucheMitte Februar in Bukarest über ru-mänische Kriminalität in Frankreichbeschwerte, entgegnete GastgeberBaconschi, dass „physiologische, na-turgegebene Probleme mit der Kri-minalität in einigen rumänischen Ge-meinschaften, insbesondere innerhalbder rumänischen Roma-Minderheit“vorliegen würden.

UElend vor den Hauptstadttoren: Eine Roma-Familie

und ihre improvisierte Bleibe im Vorstadtbezirk Văcărești

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46 Nr. 2 | APRIL 2010

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solche Umfragewerte nur wenigHoffnung auf ein künftig reibungslosesZusammenleben aufkommen lassen.

Eine staatliche Diskriminierung ge-genüber Roma gebe es trotz Klischeesund unterschwelligem Rassismus nicht,sagt Florin Manole von der Bürgeralli-anz der Rumänischen Roma. Allerdingsbeginne die Ablehnung bereits in derSchule, da Romakinder nicht selten ge-trennte Klassen oder Bildungseinrich-tungen besuchen. Segregation sei keineSeltenheit, obwohl eine Verfügung desBildungsministeriums die Trennung of-fiziell verbietet. „In einer Randgemein-de bei Craiova etwa gibt es ein neues,

schönes Schulgebäude, das größtenteilsvon rumänischen Kindern besucht wird.Bloß ein Kilometer weiter liegt eine nurzwei Räume umfassende alte Schule.Hier gibt es keine Toiletten im Gebäu-de, nur ein Waschbecken auf dem Flur.Diese Einrichtung besuchen ausschließlichRoma-Kinder“, erzählt Florin Manole.

Grund für die Absonderung sei vorallem die Ablehnung vieler Eltern, ihreKinder auf Schulen zu schicken, dieüberwiegend von Roma besucht werden.Auch lautet eine weitere gängige Mei-nung, dass viele Roma-Eltern sich sowie-so weigern würden, ihre Kinder einzu-schulen. Roma-Aktivist Florin Manole

streitet diese Erscheinung zwarnicht ab, sieht aber als Ursachefür die Abschottung zum einendas Fehlen sozialer Vorbilder,zum anderen die Armut. Ge-bildete Roma, deren Studienund Karriere, stünden wenigerim Rampenlicht, stattdessenwürden die Medien zumeistüber jene Roma berichten, dieihre Erfolge allen möglichenUmständen, bloß keinem Schul-besuch zu verdanken haben.Armut führe zudem zu einerverminderten Selbstachtung.

Besser bestellt ist es umRoma, die studieren wollen.Seit Jahren subventioniert derStaat Studienplätze für Roma;mit der „affirmative action“nach US-Modell soll die Be-nachteiligung der Volksgruppelangfristig abnehmen. „Es isteine lobenswerte Initiative, diebereits Wirkung zeigt. Am Bu-karester Polytechnikum warenzuletzt 7 Studiumsplätze fürRoma vorgesehen, sie alle wur-den besetzt“, weiß Manole.

Besonders brisant wird dieDiskussion um Rassismus und Diskrimi-nierung, wenn die Problematik der Mig-ranten in die Öffentlichkeit rückt. Vielerumänische Roma sorgen für Negativ-schlagzeilen in den westeuropäischenMedien. Das schlechte Image, das Ru-mänien und seinen Gastarbeitern anhaf-tet, lasten deshalb viele den Roma an.„Als besonders störend empfinden west-europäische Bürger die aggressive Bet-telei − und gerade dieser Aspekt führtzum schlechten Image unseres Landesim Ausland. Dabei ist uns Roma dasAnsehen Rumäniens genauso wichtig.Roma dürfen nicht alle über einen Kammgeschoren werden“, stellt der Roma-

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Abgeordnete Nicolae P`un klar. Über80% der imWesten lebenden rumänischenRoma hätten Jobs und würden zudemArbeiten verrichten, die für Westeuro-päer schon längst nicht mehr in Fragekämen, so P`un.

Das schlechte Image des Landes färbtjedoch auf all seine Bürger ab. Erst jüngstließ die französische Eisenbahn Plakateanfertigen, die vor „Ärger mit den Ru-mänen“ warnten − wegen zunehmenderZahl der Taschendiebstähle seien die Rei-senden aufgerufen, „alle Straftaten derRumänen“ anzuzeigen. Erst nach Protes-ten französischer und rumänischer Bür-gerrechtler wurden die Plakate entfernt.

Der Roma-Aktivist Florin Manoleverweist auf die allgemeine Armut sowieauf das Desinteresse des Staates − beidesFaktoren, die die Abwanderung der so-zial Schwachen zur Folge haben: „Haupt-grund der Migration in den Westen bleibtdie Armut. Manche Bürger wollen einfachnur arbeiten, andere eben durch Mause-rei über die Runden kommen. Während

Diebstahl oder Bettelei den Einzelper-sonen anzulasten sind − egal, ob sie nunRoma sind oder nicht − hat allein derStaat die soziale Misere zu verantworten.“

An so manchen Missständen in denwesteuropäischen Metropolen seien zu-dem deren Kommunalbehörden nichtganz schuldlos, sagt der Roma-Abge-ordnete P`un. Schließlich hätten dieitalienischen Behörden jahrelang taten-los zugesehen, wie an der Peripherieihrer Großstädte Zeltlager osteuropäi-scher Roma entstanden. Eine Lösungdes Problems könne nur durch gemein-same Bemühungen herbeigeführt wer-den. „Man sollte sich fragen, wer einInteresse am Fortbestand dieser Campshat?! Allerdings hätten auch wir unseinbringen müssen, um den dort leben-den Menschen zur Anmeldung zu ver-helfen, es sind schließlich nicht alleGauner oder Missetäter.“ Solange sichdas italienische und französische Innen-ministerium jedoch mit der Abschiebungdieser Menschen begnügen, ohne tief-

greifendere Kooperationsmaßnahmenwie etwa die Aushebung der Schleuser-banden und Bettlerringe zu überlegen,sei der Ansatz einfach falsch, sagt P`un.

Die Roma-Problematik hat spätes-tens seit der Osterweiterung der EUeine staatenübergreifende Dimensionangenommen. Dementsprechend erklär-te die EU-Kommission das Jahr 2010zum Jahr der Bekämpfung von Armutund sozialer Ausgrenzung. Bislang ha-ben die heimischen Roma allerdings nurwenig davon zu spüren bekommen −Rumänien sei gerade mal mit einer Er-öffnungskonferenz, zwei Tagungen undeinem Workshop beteiligt, beanstandetRoma-Aktivist Manole. „Wenn wir schonüber Ausgrenzung sprechen, ist eine der-artige Agenda völlig unzulänglich. DieRegierung wäre gut beraten, sich weni-ger um das Image des Landes und mehrum die armutsbedingte Migration zukümmern, von der nicht allein die Roma,sondern alle rumänischen Bürger betrof-fen sind.“Meister seines Fachs: Ein Kalderasch (Kesselflicker) bietet seine Ware an

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Herr Șerban, in Ihrem Film wirkteninsgesamt 17 Strafgefangene als Statistenmit. Dafür haben Sie eingangs mehrereHundert Häftlinge zum Casting einladenmüssen. Wie trifft man die Auswahl ineiner derartigen Sondersituation?

Wir haben zwei Jugendvollzugsan-stalten aufgesucht, in Craiova und Ti-chile[ti. Es gibt insgesamt drei Formendes Strafvollzugs: den geschlossenen,halboffenen und offenen Vollzug. Zu-gang hatten wir nur zu den Gefangenen

im halboffenen und offenen Vollzug.Wir wanderten durch die einzelnen Zel-len und schilderten den Jungs die Lage... dass wir einen Film drehen wolltenusw. Und dass wir davor mit ihnen ei-nen Schauspielkurs machen würden. In

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kultur

Preisgekrönter Debütfilm

„Ich brauchte die Häftlinge, weil deren Gesicht inwenigen Sekunden, in einer einzigen Naheinstellungeine ganze Geschichte erzählt“

Florin Șerban präsentiert dem Berlinale-Publikum stolz seinen Silbernen Bären

ie komplizierte Welt des Strafvollzugs hat in der Vergangenheitbereits viele Filmemacher inspiriert. So auch den rumänischenRegisseur Florin {erban: In seinem Debütfilm „Wenn ich pfei-fen möchte, pfeife ich“ spielen sogar echte Strafgefangene als

Statisten mit. Und das mit Erfolg. Der Film erhielt im Februar bei den Interna-tionalen Filmfestspielen in Berlin den Silbernen Bären bzw. den Großen Preisder Jury sowie den Alfred-Bauer-Preis für neue Perspektiven der Filmkunst. Inden rumänischen Kinos lief der Film Ende März an. Im Punkto-Interview er-klärt der Filmemacher Florin {erban, wie die Zusammenarbeit mit den Häftlin-gen funktionierte und warum das rumänische Kino erst jetzt Erfolg hat.

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einer ersten Phase wurden alle Interes-senten zugelassen. Die Auswahl erfolgtedann irgendwie natürlich − die wenigerInteressierten oder Unseriöseren hörtenirgendwann auf. So schrumpfte derenAnzahl um die Hälfte, am Ende arbeite-te ich in den beiden Anstalten mit etwa75 Häftlingen. Im Film erscheinen ge-nau 17, drei davon waren zu Beginn derDreharbeiten bereits aus der Haft ent-lassen, einer von ihnen wurde währendder Dreharbeiten entlassen.

Gab es außer der natürlichen Aus-wahl auch andere Kriterien?

Wesentlich waren Ernsthaftigkeitund Talent. Als wir den Schauspielkursmit ihnen begannen, sagten die meisten,dass sie die Kurse nur spaßeshalber be-suchen würden. Dass sie sowieso keineChance hätten, dass sie niemals Schau-spieler werden würden, dass sie darin nureinen Zeitvertreib sahen. Später, nach-dem sie erste Fortschritte gemacht hat-ten, begannen sie auch an ihre Chancezu glauben − daraus entwickelte sich zuguter Letzt etwas Besonderes. Anfangs

waren sie sehr zurückhaltend und schüch-tern, im Verlauf der Zeit öffneten siesich aber und wurden ... sie selbst. Wennich in diesem Zusammenhang von Talentspreche, so meine ich damit eine ausrei-ch end starke Persönlichkeit, um vor derKamera eben sich selbst darstellen zukönnen. Bei vielen gab es dieses Talent,bei manchen gab es noch viel mehr. Ei-nige erwiesen sich sogar als außerordent-lich begabt.

Während der Dreharbeiten dürfte eswohl auch schwierige Momente gegebenhaben...

Von schwierigen Momenten zusprechen, wäre übertrieben. Es gab ge-wisse Spannungen. Denn die Jungs sindkeine Gefangenen, es sind Minderjähri-ge zwischen 14 und 18 Jahren und Ju-gendliche zwischen 18 und 21, für dieman vor dem Hintergrund der Haft eingewisses Verständnis aufbringen muss.Dieses Verständnis wird ihnen aber nurin der Anstalt zuteil, in der sie auch un-tergebracht sind. Für die Dreharbeitenmussten sie allerdings in die Erwachse-

nen-Anstalt Poarta Alb` transferiert wer-den. Die Wächter dort kannten sie nicht.Es ensteht eine Art Verbindung zwischenden Wächtern und den Häftlingen − unddas nicht im negativen Sinne. Anders ge-sagt, wusste das Personal in Craiova undTichile[ti, bei wem härter durchgegriffenwerden muss, wie man sich jedem ein-zelnen gegenüber zu verhalten hat. InPoarta Alb` landeten die Jungs plötzlichin einer Anstalt, die nicht auf Jugend-vollzug spezialisiert ist; sie hatten mitWächtern zu tun, die sie nicht kannten.Das führte automatisch zu Spannungen.Sie bemängelten viele Dinge, klagtenüber das Warmwasser, die Einkaufsmög-lichkeiten usw. Doch handelte es sichlediglich um Spannungen, nicht umechte Probleme.

Wie gestaltete sich das Verhältniszwischen den Häftlingen und denSchauspielern?

Ich will keineswegs idealisieren, wasdort geschah. Manches war ergreifend,doch sind diese Häftlinge eben auch Kin-der, die es mögen, Eindruck zu schinden.Sie mochten es, auf sich aufmerksam zumachen. Wie wie alle, eigentlich. Aller-dings verhalten sie sich in größerem Maßewie Kinder. Zwischen den Aufnahmenetwa übten sie Bockspringen oder strit-ten darüber, wer der Stärkere sei und diemeisten Kollegen auf dem Rücken tra-gen könne. Nicht zufällig passiertendiese Dinge vor allem dann, wenn Mä-dels anwesend waren. Die Filmhandlungspielt größtenteils in einem Gefängnis,das irgendwann von Soziologie-Stu-dentinnen besucht wird, die dort eineArt soziologische Studie durchführenwollen. Natürlich pfiffen die Jungs denMädels nach, natürlich fielen auch derbeSprüche.

Das Verhalten der Häftlinge ist cha-mäleonisch. Motzt man sie an, wenn

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kultur

Jugendliche Häftlinge als Statisten: „Einige erwiesen sich als außerordentlich begabt“, sagtRegisseur Șerban

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sie pfeifen, werden sie weiter pfeifen.Begegnet man ihnen mit einem Lächeln,werden sie das Pfeifen beim nächsten Malunterlassen. Es gab beispielsweise einenMoment, als die Jungs eine unserer Haupt-darstellerinnen, Clara Vod`, zum erstenMal am Set sahen. Sie spielt eine ebenaus Italien heimgekehrte Mutter undmusste dabei enge Hosen tragen, ihreHaare waren blondiert. Da hat sie schoneiniges zu hören bekommen. Weil sie dieJungs aber nicht gleich rügte, wurde esbeim zweiten Mal leiser. Beim dritten Malhat ihr dann keiner der Häftlinge mehretwas gesagt, beim viertenMal stand sie be-reits in deren Mitte und unterhielt sichmit ihnen.

Ihre Schilderung deutet auf eine re-lative Distanz zwischen Schauspielernund Häftlingen hin. Gab es auch engereVerhältnisse?

Ja. Mit George (Hauptdarsteller Geor-ge Pi[tereanu, der im Film den Strafge-fangenen Silviu spielt − Anm. d. Red.)

war es etwas anderes. Zwischen den Ein-stellungen war er ständig bei ihnen. Erhat mit ihnen geraucht, sich mit ihnenausgetauscht. Auch war es bei Georgealles andere als eine pur epidermische Be-ziehung. Ich selbst fürchtete eingangs,dass bei den Häftlingen irgendwie Eifer-sucht aufkommen könnte − schließlichspielte ein Außenseiter einen von ihnen.Vielleicht gab es diese Eifersucht tatsäch-lich, doch sollte dem so gewesen sein,dann waren die Jungs intelligent genug,um ihre Gefühle zu verbergen. Ich hatteein sehr gutes, ein besonderes Verhält-nis zu ihnen, das auf gegenseitigem Res-pekt beruhte. Es mag vielleicht auchMomente gegeben haben, in denen sieunter sich auf George geschimpft haben.Auf jeden Falls haben sie es nie in seineroder meiner Anwesenheit getan.

Aus Ihren bisherigen Interviews gehthervor, dass Sie es nicht mögen, wennIhr Film als „Knast-Film“ abgetan wird.Sie selbst sagen, dass die Geschichte im

Vordergrund steht. Dennoch dürfteIhnen klar sein, dass gerade das Umfeld,in dem die Filmhandlung spielt, vielNeugierde weckt ...

Die Medaille hat zwei Seiten. Ichglaube, dass ein Teil des Publikumsdaran interessiert sein könnte und dassein anderer Teil vielleicht diesen Dingenfernbleiben möchte. Ich möchte glauben,dass mein Film kein Knast-Film ist. Des-halb habe ich auch darauf bestanden,mit Häftlingen zu arbeiten, denn michinteressierte nicht der Knast an sich,sondern die Geschichte selbst − das Dra-ma des Jungen, auf das der gesamte Filmabzielt. Der Knast ist bloß ein Hinter-grund. Ich brauchte die Häftlinge, weilderen Gesicht in wenigen Sekunden, ineiner einzigen Naheinstellung eine ganzeGeschichte erzählt.

In Ihrem Film geht es auch um einenFluchtversuch. Hatten Sie überlegt, obSie dabei nicht etwa bei so manchemHäftling Fluchtgedanken aufkommenlassen könnten?

Der Gedanke ist mir natürlich durchden Kopf gegangen. Ich bin jedoch derMeinung, dass diese Kinder das Gesetznur allzu gut kennen. Einige von ihnenkennen sich auf diesem Gebiet besser ausals ich vor den Dreharbeiten. Sie wissensehr wohl, dass bei einem Fluchtversuchihre Chancen minimal sind. Zudem wa-ren unsere Statisten größtenteils zu leich-ten Strafen verurteilt. Und da ein Flucht-versuch mit jahrelanger, schwerer Frei-heitsstrafe geahndet wird, glaube ichkaum, dass einer von ihnen so etwas ris-kieren würde.

Kommen wir zum Silbernen Bärenbzw. dem Großen Preis der Jury, derIhnen vor wenigen Wochen zugesprochenwurde. Einerseits bestehen an jedenFilmemacher, der einen europäischen

kultur

Filmszene aus „Wenn ich pfeifen möchte, pfeife ich“

Nr. 2 | APRIL 201050

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Filmpreis gewinnen will, hohe Qualitäts-ansprüche. Sie selbst haben wiederumdes Öfteren beanstandet, dass es in Ru-mänien viel zu wenige Publikumsfilmenach amerikanischem Vorbild gibt. Aucheröffneten Sie unlängst, dass Ihr nächs-ter Streifen („El Rumano“) ein echterKriller werden soll. Sind diese Gegen-sätze überhaupt vereinbar?

Ich selbst sehe keinen Unterschiedzwischen Publikums- und Festivalfilmen.Für mich gibt es nur zweierlei Filmarten:starke und schwache Filme. Ich sehe inmeinem Film „Wenn ich pfeifen möchte,pfeife ich“ gerne einen Publikumsfilm,der eben bei einem Festival einen Preisgewonnen hat, und nicht umgekehrt.Mich freut im Übrigen vor allem derAlfred Bauer-Preis, der für künstlerischeInnovation verliehen wird. Natürlichfreut mich auch mein Silberner Bär, dochbin ich nun einmal ein Mensch, der eineGeschichte zu erzählen hatte. Ich sehemeine Berufung dann erfüllt, wenn je-mand dieser meiner Geschichte zuhört− mit anderen Worten, wenn der Kino-saal voll ist.

Auch der Film „Avatar“ erzählt eineGeschichte, doch scheint sie Sie nichtgerade begeistert zu haben ...

Das ist etwas Anderes. Ich bin als Fil-memacher eher daran interessiert, beimPublikum echte Emotionen als eine Lawi-ne von Wahrnehmungen und Empfin-dungen hervorzurufen. Gucken wir unsdoch die Filmfestivals an − das heißt diegroßen und nicht jene, die auch experi-mentelle Filme zulassen. Bei den großenFestivals werden nicht unbedingt diekünstlerisch wertvollsten Filme ausge-zeichnet, sondern eher die stärksten.

Als ich jüngst einen rumänischenFilm in einem Kinocenter der großenEinkaufs-Malls sehen wollte, „warnte“

mich die Dame an der Kasse: „Sie wissendoch, dass das ein rumänischer Filmist, ja?“ Wie stehen Sie zu dieser Ein-

stellung, wie kann man ihr entgegen-wirken?

Ich glaube oft, dass ein Opfer seinSchicksal verdient, dass es irgendwiesogar seine Strafe herbeisehnt. DieseAbneigung oder Zurückhaltung gegen-über dem rumänischen Film ist nichtzufällig. In Polen etwa gibt es Filme mitgroßen Publikumserfolg und solche, dieweniger gut ankommen − wobei ich unterweniger erfolgreichen Filmen jene mitrund 100.000 Besuchern verstehe. Im Falleines rumänischen Films gilt die gleicheBesucherzahl hingegen als kommerziellherausragender Erfolg. Ich glaube, dasses nach der Wende etwa 10 Jahre gab,in denen der rumänische Film haupt-sächlich Geschichten erzählte, bei denendie Regisseure wohl alles mögliche imKopf hatten, nur nicht das Publikum.Man dachte wohl mehr an Ruhm und

Erfolg, an Festivals und Preise, an dieGeister der Vergangenheit, die vertrie-ben werden mussten. Es waren gewalt-volle und schreckliche Geschichten, dieeinzig der Gewalt und dem Schreckenzuliebe erzählt wurden. In diesem Fil-men gab es plötzlich all die Schimpfwör-ter zu hören, die man in 40 Jahren Kom-munismus nicht aussprechen durfte. Dassdas Publikum sich letztendlich von solchenFilmen distanzierte, ist völlig nachvollzieh-bar. Nun gilt die große Wette, das Publi-kum wieder in die Kinosäle zu locken.

Eine Wette, die Sie mit Ihrem Krillergewinnen wollen?

Ich hoffe, diese Wette bereits mit„Wenn ich pfeifen möchte, pfeife ich“gewonnen zu haben. Mit dem Thrillerwerden wir noch sehen. Auch in diesemFall will ich einfach eine Geschichte er-zählen, und wenn diese Geschichte ge-nügend Hörer findet, bin ich zufrieden.

die fragen stellte alex sterescu

51Nr. 2 | APRIL 2010

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(v.ln.r.): Hauptdarsteller George Piștereanu und Ada Condeescu auf dem roten Teppich der Berlinale

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Page 52: Punkto - nummer zwei

it 10,5 Mrd. Euroist Österreich zurzeitTopinvestor in Ru-mänien − mit ande-ren Worten stammt

einer von fünf aus dem Ausland inves-tierten Euro aus Österreich. Seit Februarist nun auch der Austro-Tourismus überdie Österreich Werbung, dem nationalenTouristikamt des Landes, mit einemBüro in Rumänien vertreten − nämlichim Rahmen eines bei der Außenhandels-stelle eingerichteten und gemeinsam be-triebenen Austria Center, das, so der Leiterder Außenhandelsstelle, Mag. RudolfLukavsky, große Synergien schaffen soll.Grund für diesen Schachzug ist derboomende Reisemarkt in Rumänien,von dem sich Österreich bereits ein gutesStück Kuchen abschneiden konnte: Seit2001 hat sich die Zahl der Übernach-tungen rumänischer Touristen zwischenAlpen und Donau nach offiziellen Zahlenverneunfacht; mittlerweile sind über800.000 rumänische Touristen jährlichin Österreich unterwegs. Die Geschäfts-führerin der Österreich Werbung, PetraStolba, sagte bei der Eröffnung des Bü-ros in Bukarest, dass Rumänien mittler-weile für Österreich der viertwichtigsteMarkt in der Region Zentraleuropa ist.90% aller rumänischen Winterurlauber,die ins Ausland reisen, bevorzugen Ös-terreich und machen das Land damit zurbeliebtesten Wintersportdestination derRumänen, so Stolba.

Allerdings liegt Österreich nicht nuran den rumänischen Snowboardern undWandersportlern, sondern auch an der

jungen Intelligenz. Anfang März stelltensich im Rahmen einer Veranstaltungnicht weniger als 10 staatliche und pri-vate österreichische Bildungseinrichtun-gen vor − in der Aula der BukaresterWirtschaftsakademie fanden interessierteStudenten kaum mehr Platz. Bildungsmi-nister Daniel Funeriu und der österreichi-sche Botschafter in Bukarest, MartinEichtinger, lobten die vielseitige bilate-rale Kooperation zwischen Einrichtun-gen beider Länder im Bildungs- undwissenschaftlichen Bereich sowie dieZusammenarbeit innerhalb der EU imRahmen verschiedener Projekte für dieDonauländer.

Mit dem Austria Showcase zum Bil-dungsangebot positioniert sich Österreichals wichtiger Player auf dem internatio-

nalen Parkett. Doch geht es hier nichtetwa nur um reine Abwerbung von Stu-denten, sondern auch um die Weiterbil-dung von Erwachsenen. Richard Schenz,Vizepräsident der österreichischen Wirt-schaftskammer, unterstrich die Bedeutungder beruflichen Aus- und Fortbildung fürdie Unternehmen. Hier schließt sich derKreis: Denn was dem Tourismus in Ru-mänien beispielsweise u.a. fehlt, ist guterService ... und der gehört gelernt. Öster-reich sei gerne bereit, so Botschafter Eich-tinger anläßlich der Eröffnung des Buka-rest-Büros der Österreich Werbung, seinKnow-how in diesem Bereich zu vermit-teln, wobei im Übrigen schon jetzt aneiner Reihe von gemeinsamen Tourismus-Projekten gearbeitet wird.

alex gröblacher

52 Nr. 2 | APRIL 2010

gesellschaft

Projekte

Österreich setzt neue Schwerpunkte in Rumänien

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Austria Showcase „Bildungs- und Wissenschaftsstandort Wien/Österreich“ in Bukarest

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Page 53: Punkto - nummer zwei

gesellschaft

Die Stadt Cluj/Klausenburg hat be-schlossen, sich für den Titel der „Kultur-hauptstadt Europas 2020“ zu bewerben,verlautbarte letzten Monat Sorin Apostu,Bürgermeister der zentralrumänischenGroßstadt. Im Januar hatte bereits Temes-wars Stadtvater George Ciuhandu dieKandidatur seiner Stadt angekündigt.Es ist zu erwarten, dass noch weitere ru-mänische Großstädte in den kommendenMonaten ihre Bewerbung bekanntgeben.

Bis 2013 müssen die Stadtverwaltun-gen nun ihr eigenes Kandidaturprojektvorbereiten. „Auf den ersten Blick könn-

te man meinen, dass Zeit genug dafürda sei, doch das stimmt nicht. Je früher dieBemühungen um das eigene Projekt ge-startet werden, desto besser“, hob Apostu

hervor. Zunächst wolle die Stadt Klau-senburg etliche Baudenkmäler sanierenund diese zusammen mit einer Reihevon kulturellen sowie touristischen At-traktionspunkten „ins Rampenlicht rü-cken“, so die Pläne des Bürgermeisters.Mit oder ohne Titel einer Kulturhaupt-stadt käme die Maßnahme der Förderungdes in der Region florierenden Transit-tourismus zugute, sollte Klausenburgdann auch der Titel einer Kulturhaupt-stadt zugesprochen werden, so könntez. B. der Kulturtourismus um das Hun-dertfache steigen, fügte Apostu hinzu.

Kulturhauptstadt Europas 2020: Klausenburgund Temeswar melden Kandidatur an

Panoramablick auf Klausenburg

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54 Nr. 2 | APRIL 2010

in interministerieller Ratsoll die derzeitige, demKulturministerium unter-geordnete Kommission

für Baudenkmäler (CNMI) ersetzen,die Genehmigungen für Neubauten inunmittelbarer Nähe historischer Gebäu-de erteilt. Städtebaupläne, die bislangvom Rat der Stadt Bukarest (CGMB)

autorisiert wurden, sollen künftig nurnoch den Segen der Stadtbezirksrätebenötigen − ein entsprechender Gesetz-entwurf lag im letzten Monat den Jour-nalisten des Nachrichtenportals HotNewsvor. Damit würden zwei Gremien ent-kräftet, die der Bauwut der Immobilien-entwickler bislang teilweise noch entge-genwirken konnten.

Der zehnköpfige interministerielleRat soll, laut Vorhaben des Ministeri-ums für Regionale Entwicklung undTourismus, paritätisch besetzt werden:Je fünf Mitglieder vom Ministerium fürEntwicklung und vom Kulturministeriumdürften dann über umfassende Bauvor-haben und eingreifende Baumaßnahmenin unter Denkmalschutz stehenden Are-

Bahn frei für die BauhaieLaut einemumstrittenenGesetzentwurf desMinisteriums für Regionale Entwicklungund Tourismus sollen Städtebaupläne künftig die Kommission für historischeBaudenkmäler umgehen und von Bezirksbürgermeistern genehmigt werdenvon sorin georgescu

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gesellschaft

Im Oktober 2008 binnen weniger Tage abgetragen: Die aus dem späten 19. Jahrhundertstammende Immobilie auf der Batiștei Str. 26

Das „Cathedral Plaza“-Hochhaus hinter derSt. Josefskathedrale. Gegen das Bauprojekt,das die Statik des Gotteshauses gefährdet,legte Erzbischof Robu beim Vatikan Protest ein

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alen entscheiden. Die Fachausschüssedes Kulturministeriums und der StadtBukarest würden folglich nicht mehr zuRate gezogen. Auch sieht der Gesetzent-wurf vor, dass Anträge von Immobilien-entwicklern, denen der interministerielleRat binnen 30 Tagen keine schriftlicheAntwort erteilt, „stillschweigend“ alsgenehmigt gelten.

Sollten die Stadtbezirksbaupläne(PUZ), deren Genehmigung folglich derStadt Bukarest entzogen würde, und auchdie detaillierten Städtebaupläne (PUD)dann nur noch der Billigung der Bezirks-räte bedürfen, wäre zweifellos freie Bahnfür tollkühne Hochhäuser geschaffen,die ohnehin schon an mehreren Ortender Stadt die historische Bausubstanzerdrücken, monierte die Zentralpresse.

Experten einhellig skeptischDan Marin, Vizepräsident der Buka-

rester Filiale des Rumänischen Architek-tenordens (OAR), kritisiert das Vorhabenund sieht als Folge nur Chaos im Städte-bau. „Der geplanten interministeriellenKommission werden Kompetenzen zu-gesprochen, die ausgesprochen kultur-trächtigen Bereichen der städtischenEntwicklung gelten: die Innenstadt so-wie unter Denkmalschutz stehende Are-ale. Warum müssen diese Kompetenzen,die in natürlicher Weise dem Aufgaben-bereich des Kulturministeriums und desAusschusses für Nationales Kulturerbeangehören, dem Ministerium für Ent-wicklung übertragen werden – einemRessort, das generell Investoren in In-frastruktur und Immobilienentwicklernnahe steht?“ Nicht selten stünden dieProjekte der Bauunternehmer in krassemGegensatz zum Denkmalschutz. UndAggressionen gegen das historische Erbeder Stadt, die Immobilienentwickler mitVerbindungen zur Politik planten, habedie Kommission für Denkmalschutz bis-

lang auch nur mit großer Mühe abwen-den können.

Schlechte Vorbilderaus der VergangenheitPeter Derer, Chef des Rumänischen

Architektenverbands (UAR), meint, dassdas Ministerium sich mit seinem umstrit-tenen Vorhaben wohl aus schlechtenVorbildern aus der jüngsten Vergangen-heit inspiriert habe. Für die Verunstal-tung der Bukarester Altstadt und denAbriss zahlreicher Baudenkmäler warnämlich in den Jahren 1975 bis 1989ein „Komitee für Aufgaben der Volks-räte“ verantwortlich gewesen, das Derermit dem heutigen Ministerium für Re-gionale Entwicklung und Tourismus ver-gleicht. Ähnlich wie heute war die damalige„Direktion für Denkmalschutz“ 1977 auf-gelöst worden, um dem zerstörerischenGrößenwahn der kommunistischen Bau-herren nicht in die Quere zu kommen.

„Neue Behörde ermutigtKorruption“Und schließlich beunruhigt Gheor-

ghe Petra[cu, den Chefarchitekten derStadt Bukarest, insbesondere die Rege-lung, derzufolge die neue Behörde „still-schweigende“ Baugenehmigungen er-teilen kann. „Das ermutigt nur die Kor-ruption. Außerdem müssen Baugenehmi-gungen auch juristisch bestätigt werden,aber ich glaube kaum, dass das für somanche Immobilienentwickler ein Pro-blem darstellen würde.“

Petra[cu beanstandet zudem auch dieÜbertragung der Kompetenz für dieStadtbezirksbaupläne. „Nirgendwo aufder Welt werden Entscheidungen übergroßangelegte Projekte den Bezirksbe-hörden überlassen. Wohin das führt,haben wir ja schon bei den detalliertenStädtebauplänen gesehen“, so Petra[cugegenüber dem Nachrichtenportal Hot-News.

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Das hauptstädtische Millenium Business Center erdrückt die über 100 Jahre alte Armenische Kirche

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Mit Carlos Slim führt erstmals einNicht-US-Bürger das Ranking der reich-sten Menschen der Welt an. Der 70-jähri-ge Mexikaner, Sohn eines eingewandertenlibanesischen Geschäftsmanns, kaufte be-reits im Alter von 12 Jahren seine ersteAktie, später investierte er in zahlloseUnternehmen und erhielt 1990 denZuschlag für die Privatisierung der Tele-fongesellschaft Telmex, die ihn steinreichmachte.

Auch die Rangliste der rumänischenSuperreichen sorgte für einige Über-raschungen: Zwar bleibt Tycoon Dinu

Patriciu der unbestritten reichste Mannim Land, dafür stellt InterAgro-InhaberIon Nicolae als neue Nummer 2 ein ab-solutes Novum dar. Auf Platz 3 kam derUnternehmer Ion }iriac, der im letztenJahr den Sprung in das „Forbes“-Rank-ing erst gar nicht geschafft hatte.

Das Vermögen des 60-jährigen Patri-ciu wird zurzeit auf 2,2 Mrd. Euro ge-schätzt – was den Ex-Ölmagnaten undderzeitigen Immobilien- und Medienzarumso mehr freuen dürfte, da er somitbinnen eines Jahres offenbar um 400 Mio.Dollar reicher wurde. In der neuen

„Forbes“-Rangliste belegt Patriciu Platz437 von insgesamt 1.011 Milliardärenaus 55 Ländern.

Der zweitreichste Mann Rumäniensist, den „Forbes“-Angaben zufolge, derUnternehmer Ion Nicolae, dessen Ver-mögen auf 1,1 Mrd. Dollar geschätzt undsomit erstmals auf der Liste der reichs-ten Menschen der Welt (Platz 880) ge-führt wird. Der 55-Jährige machte seinVermögen im agrochemischen Bereich,ihm gehören mittlerweile 5 Chemie-Werke, die vorrangig in der Agrar- undLebensmittelbranche tätige Holding In-terAgro sowie zahlreiche Ländereien.

Der 70-jährige Ex-Tennisstar undGeschäftsmann Ion }iriac ist zurzeitu.a. in den Bereichen Versicherungen,Leasing und Verkauf von Automobilenund Nutzfahrzeugen tätig. }iriac − imÜbrigen der erste, jemals im „Forbes“-Ranking vertreten Rumäne − belegt mitseinem auf eine Milliarde Dollar geschätz-ten Vermögen Platz 937 der weltweitenReichenliste.

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Forbes-Liste 2010

Patriciu bleibtreichster MannRumäniensMexikanischer Magnat überflügelt Bill Gates

aut jüngster „Forbes“-Superreichenliste hat der mexikanische Tele-kommunikations-Magnat Carlos Slim die US-Milliardäre Gates undBuffett überflügelt: Mit einem geschätzten Vermögen von 53,5 Mrd.

Dollar verwies er Microsoft-Gründer Bill Gates (53 Mrd. Dollar) auf Platz 2und Großinvestor Warren Buffett (47 Mrd. Dollar) auf Platz 3 des Superreichen-Rankings. Die Zahl der Milliardäre ist zurzeit wieder im Steigen begriffen, ein-schließlich in Rumänien − sie liegt heuer bei 1.011 und nähert sich damit demStand von 2008, nachdem sie im Krisenjahr 2009 um rund ein Drittel zurück-gegangen war. Die konjunkturelle Erholung spiegele sich eben auch in der dies-jährigen Liste wieder, erklärte „Forbes“-Chef Steve Forbes.

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on dem leicht futuristischenConcept-Car, das der rumäni-sche Automobilbauer Dacia

aus dem Hause Renault 2009 in Genfals Premiere vorstellte, ist inzwischenwenig übrig geblieben. Immerhin hieltDacia Wort und zeigte beim 80. Inter-nationalen Autosalon in Genf das ferti-ge Duster-Modell. Und der preiswerteSUV (in Rumänien ab 10.500 Euro)kann sich tatsächlich sehen lassen: Op-tisch glänzt das Fahrzeug durch einenverchromten Kühlergrill oder modernsteKlarglasscheinwerfer. Mit seinen breitenFlanken und der hoher Bodenfreiheitscheint er außerdem wie geschaffen fürdie maroden Straßen Rumäniens.

Mit 4,31 m Länge und 1,82 m Brei-te sowie einem Gesamtgewicht von nur

1.330 kg (1.200 bei der 4x2 Motorisie-rung) ist der wendefähige Duster auchäußerst sparsam zu fahren – ein gefunde-nes Fressen für krisenbedingt niedrigereSpritbudgets.

Dacia scheint damit ein perfekter Wurfgelungen zu sein – für urbane Draufgän-ger und Machos die urbane Optik, fürbodenständige Pragmatiker die für Schot-terpisten und Schlaglöcher geeigneteDurchsetzungsfähigkeit.

Aus Genf brachte Dacia wohlwollendeinternationale Bewertungen mit nachHause – und eine Anekdote, die auch inRumänien für Lacher sorgt. DeutscheJournalisten sollen beim Anblick desDuster stöhnend ausgerufen haben:„Mensch, die würden alles tun, nur umihre Straßen nicht reparieren zu müssen.“

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Dacia Duster

Genfer Premiere für den Preisbrecher

Technische Daten

Modell/Hubraum (cm3)Super 1.6 16V 110 4x2/1.598Super 1.6 16V 110 4x4/1.598Diesel dCi 85 4x2/1.461Diesel dCi 110 FAP 4x2/1.461Diesel dCi 110 FAP 4x4/1.461

Max. Leistung (kW/PS)77/10577/10563/8679/10781/110

Höchstgeschwindigkeit (km/h)164160156171168

Verbrauch städtisch/außerstädtisch/kombiniert (l/100 km)**9,7 / 6,4 / 7,510,4 / 7,0 / 8,05,7 / 4,9 / 5,16,4 / 4,9 / 5,36,5 / 5,3 / 5,6

(auszugsweise, Quelle: Dacia.de)

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hat die Renault-Tochter Dacia im letzten Jahr in der Bundesrepublik abgesetzt und damit weitmehr Pkw in das Autoland Deutschland ex- denn vor dort aus für den einheimischen Marktimportiert, teilte das Nationale Statistikamt Ende März mit. Die rumänischen Pkw-Exportenach Deutschland seien in 2009 gegenüber dem Vorjahr um höchst erfreuliche 231,3%

gestiegen, so das Statistikamt. Das Handelsdefizit mit Deutschland ging dementsprechendin 2009 um 67,4% zurück. Der Automobilsektor selbst erzielte sogar

einen bescheidenen Überschuss von 306,4 Mio. Euro.

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zahl des monats

84.708Einheiten

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