prof. michael kaufmann

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Herr Prof. Kaufmann, sie sind seit Mitte Dezember Intendant der Staatsphilharmonie. Sind Sie inzwischen angekommen? Es gab gar keine andere Möglichkeit, als direkt anzukommen und mich meiner neuen Aufgabe zu stellen. Gleich an meinem ersten Arbeitstag fand eine Orchester- und Personalversamm- lung statt, bei der ich auch zu verschiedenen Themen Stellung beziehen sollte. Da kann man sich nicht auf eine notwendige Einarbeitungszeit herausreden sondern muss sich den Fragen der Musiker stellen. Auch muss ja dringend die Spielzeitplanung für die kommende Saison vorangetrieben, für Projekte müssen Entscheidungen getroffen und Baustellen zu Ende gebaut werden. Das Orchester hat direkt von mir Besitz ergriffen – und das ist auch gut so. Man reagiert sehr stark auf das was gerade ansteht und gewinnt im Lauf der Zeit aus den Erkenntnissen des Alltags eine Perspektive. Das finde ich aber auch sinnvoll, denn mit einem fertigen Konzept irgendwo hinzukommen und das dann ohne Abgleich mit bestehenden Rahmenbedingungen umzu- setzen, würde doch die Optionen sehr limitieren. Auch wenn ich sehr gern die Verantwortung für die Staatsphilharmonie über- nommen habe, stehe ich eher für das Miteinander, wenn es um die Entwicklung unserer Zukunft geht. Chefdirigent Karl-Heinz Steffens kennen Sie seit vielen Jahren – was gab letztlich den Ausschlag, die Position in Ludwigshafen anzutreten? Es war schon im Sommer, als Karl-Heinz Steffens nach einem Gespräch im Kultusministerium anrief und mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, Intendant des Orchesters zu werden. Ich kenne die Staatsphilharmonie aus meinen Tätigkeiten in Köln und Essen und habe sie dort als Orchester erlebt, das fantastisch musiziert. Ich hatte noch in diesem ersten Telefonat das Gefühl, dass das etwas Gutes für mich und für uns gemeinsam sein könnte. Dass mein Arbeitsbeginn dann doch erst im Dezember war, ist jetzt ja bereits Geschichte und das muss man auch nicht länger erörtern – aber es war in der Zeit doch ein wichtiges und schönes Gefühl, dass ich positive Signale aus dem Orchester dazu bekam, bei der Staatsphilharmonie wirklich willkommen zu sein. Ein weiterer Punkt, warum ich mir eine Tätigkeit in Ludwigshafen sehr vorstellen konnte war, dass ich gern in Städten arbeite, in denen man die elementare Bedeutung der Kultur für eine Stadtgesellschaft und für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft besonders heraus- arbeiten kann. Da sind sich Essen, Dessau und Ludwigshafen ja sehr ähnlich. Kultureller Austausch macht Integration möglich, Kindern kann man durch die Kraft der Musik einen besseren Start in ihr Leben geben – meine Motivation, für eine Kultur- institution zu arbeiten, ist auch in diesem Auftrag verankert, sich in die weitere Entwicklung einer humanen Zivilgesellschaft einzubringen. Sie waren u. a. Orchesterdirektor des Kölner Gürzenich- Orchesters, Gründungsintendant der Philharmonie Essen, sind seit 2009 Intendant des Kurt Weill Festes Dessau – was hat Sie am meisten geprägt? Es sind weniger die Institutionen, die mich geprägt haben. Ich denke, dass es drei besondere Menschen waren, die mich in meinen Handeln und Denken stark beeinflusst haben und die ich als meine „Lehrmeister“ bezeichnen würde. Seit Ende des Jahres 2011 ist Prof. Michael Kaufmann, geboren in Heidenheim an der Brenz, neuer Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Für seine Aufgabe in Ludwigshafen bringt er umfangreiche Berufserfahrung mit: Von 2002 bis 2008 war er Intendant der Philharmonie in Essen, seit 2009 ist er als Intendant des Kurt Weill Festes und Direktor des Kurt- Weill-Zentrums in Dessau tätig. Zuvor war er u.a. Leiter des Künstlerischen Betriebsbüros der Ludwigsburger Schlossfestspiele und Orchesterdirektor beim Gürzenich-Orchester in Köln. Für sein Engagement für Nachwuchskünstler und im Education-Bereich erhielt er unter anderem den „Würth Preis“ der Jeunesses Musicales Deutschland, seine organisatorische Leistung bei der MusikTriennale Köln wurde durch die Deutsche Phono-Akademie 1996 mit dem „ECHO Klassik“-Sonderpreis ausgezeichnet. „Kultureller Austausch macht Integration möglich.“

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Der neue Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz im Interview.

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Page 1: Prof. Michael Kaufmann

Herr Prof. Kaufmann, sie sind seit Mitte Dezember Intendant der Staatsphilharmonie. Sind Sie inzwischen angekommen?Es gab gar keine andere Möglichkeit, als direkt anzukommen und mich meiner neuen Aufgabe zu stellen. Gleich an meinem ersten Arbeitstag fand eine Orchester- und Personalversamm-lung statt, bei der ich auch zu verschiedenen Themen Stellung beziehen sollte. Da kann man sich nicht auf eine notwendige Einarbeitungszeit herausreden sondern muss sich den Fragen der Musiker stellen. Auch muss ja dringend die Spielzeit planung für die kommende Saison vorangetrieben, für Projekte müssen Entscheidungen getroffen und Baustellen zu Ende gebaut werden. Das Orchester hat direkt von mir Besitz ergriffen – und das ist auch gut so. Man reagiert sehr stark auf das was gerade ansteht und gewinnt im Lauf der Zeit aus den Erkenntnissen des Alltags eine Perspektive. Das finde ich aber auch sinnvoll, denn mit einem fertigen Konzept irgendwo hinzukommen und das dann ohne Abgleich mit bestehenden Rahmenbedingungen umzu-setzen, würde doch die Optionen sehr limitieren. Auch wenn ich sehr gern die Verantwortung für die Staatsphilharmonie über-nommen habe, stehe ich eher für das Miteinander, wenn es um die Entwicklung unserer Zukunft geht.

Chefdirigent Karl-Heinz Steffens kennen Sie seit vielen Jahren – was gab letztlich den Ausschlag, die Position in Ludwigshafen anzutreten?Es war schon im Sommer, als Karl-Heinz Steffens nach einem Gespräch im Kultusministerium anrief und mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, Intendant des Orchesters zu werden. Ich kenne die Staatsphilharmonie aus meinen Tätigkeiten in Köln und Essen und habe sie dort als Orchester erlebt, das fantastisch musiziert. Ich hatte noch in diesem ersten Telefonat das

Gefühl, dass das etwas Gutes für mich und für uns gemeinsam sein könnte. Dass mein Arbeitsbeginn dann doch erst im Dezember war, ist jetzt ja bereits Geschichte und das muss man auch nicht länger erörtern – aber es war in der Zeit doch ein wichtiges und schönes Gefühl, dass ich positive Signale aus dem Orchester dazu bekam, bei der Staatsphilharmonie wirklich willkommen zu sein. Ein weiterer Punkt, warum ich mir eine Tätigkeit in Ludwigshafen sehr vorstellen konnte war, dass ich gern in Städten arbeite, in denen man die elementare Bedeutung der Kultur für eine Stadtgesellschaft und für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft besonders heraus-arbeiten kann. Da sind sich Essen, Dessau und Ludwigshafen ja sehr ähnlich. Kultureller Austausch macht Integration möglich, Kindern kann man durch die Kraft der Musik einen besseren Start in ihr Leben geben – meine Motivation, für eine Kultur-institution zu arbeiten, ist auch in diesem Auftrag verankert, sich in die weitere Entwicklung einer humanen Zivilgesellschaft einzubringen.

Sie waren u. a. Orchesterdirektor des Kölner Gürzenich- Orchesters, Gründungsintendant der Philharmonie Essen, sind seit 2009 Intendant des Kurt Weill Festes Dessau – was hat Sie am meisten geprägt? Es sind weniger die Institutionen, die mich geprägt haben. Ich denke, dass es drei besondere Menschen waren, die mich in meinen Handeln und Denken stark beeinflusst haben und die ich als meine „Lehrmeister“ bezeichnen würde.

Seit Ende des Jahres 2011 ist Prof. Michael Kaufmann, geboren in Heidenheim an der Brenz, neuer Intendant der Deutschen Staats philharmonie Rheinland-Pfalz. Für seine Aufgabe in Ludwigshafen bringt er umfangreiche Berufserfahrung mit: Von 2002 bis 2008 war er Intendant der Philharmonie in Essen, seit 2009 ist er als Intendant des Kurt Weill Festes und Direktor des Kurt-Weill-Zentrums in Dessau tätig. Zuvor war er u.a. Leiter des Künstlerischen Betriebsbüros der Ludwigsburger Schlossfestspiele und Orchesterdirektor beim Gürzenich-Orchester in Köln. Für sein Engagement für Nachwuchskünstler und im Education-Bereich erhielt er unter anderem den „Würth Preis“ der Jeunesses Musicales Deutschland, seine organisatorische Leistung bei der MusikTriennale Köln wurde durch die Deutsche Phono-Akademie 1996 mit dem „ECHO Klassik“-Sonderpreis ausgezeichnet.

„Kultureller Austausch macht Integration möglich.“

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Der erste ist Prof. Wolfgang Gönnenwein. Er hatte hohe Qualitäts-ansprüche, an die Ludwigsburger Schlossfestspiele und daran, wie unsere Selbstverpflichtung aussehen sollte. Auch wenn Musik und Kunst schön sein sollten – Kunst und Musik waren ihm kein Selbstzweck. Er hat jeden Seitenaspekt in seine Arbeit miteinbezogen: Was muss hinter den Kulissen geleistet werden, um ein bestmögliches Ergebnis für Künstler und Publikum zu erzielen? Was muss man tun, um die für die Realisierung von Träumen erforderlichen Mittel von öffent-lichen Geldgebern und von Sponsoren zu bekommen? Das war für mich eine unglaubliche Ausbildung.

Der zweite ist James Conlon, langjährig GMD des Kölner Gürzenich-Orchesters. Ich war gerade einmal 29 Jahre alt, als er mir die Position des Orchesterdirektors anvertraute – und das in einer Phase eines großen Umbruchs des Klangkörpers, der letzt-lich zu einem großen Aufbruch wurde. Die Art, wie er sich als GMD weit über das Maß, das er musste, an der Zukunft des Orchesters beteiligte, wie er mit seinen Musikern und manch-mal auch gegen den Widerstand der Musiker über mehrere Jahre eine Perspektive für ein Orchester entwickelt und auch durch-gehalten hat, hat mich tief beeindruckt.

Auch Franz Xaver Ohnesorg, Gründungsintendant der Kölner Philharmonie hat mich stark geprägt. Das Qualitätsbewusstsein und den unbedingten Willen zum Erfolg, den er für sein Haus, seine Künstler und sein Publikum erreichen wollte, hat mich fasziniert und sehr gefordert. Ich bin beschenkt worden durch wunderbare Kontakte zu vielen Künstlern – ohne die Zusam-menarbeit mit Ohnesorg hätte ich keine Chance gehabt, in Essen so zu erfolgreich arbeiten, wie ich es letztlich tun konnte.

Und Kurt Weill fasziniert mich als Komponist und als Vertreter einer auf spannende und dramatische Weise geprägten Zeit! Weill hat mit großem handwerklichem Können Musik kom-poniert, die immer nah bei den Menschen war – „U“ und „E“ sind bei ihm überwunden. Das finde ich großartig! Zudem: Die Frage, ob Kunst nur die Gesellschaft spiegelt oder ob die Musik gleichsam seismographisch gesellschaftliche Entwicklungen vorweg beschreibt, lässt sich in der ersten Hälfte des 20. Jahr-hunderts besonders eindrucksvoll erörtern.

Was macht heutzutage ein erfolgreiches Orchestermanage-ment aus?Fleiß, Disziplin, Aufrichtigkeit, Kenntnis des internationalen und nationalen Musikmarktes. Dem Orchester zu jeder Tages und Nachtzeit Rede und Antwort zu stehen. Ein verständnis-voller und auf Kooperation angelegter Umgang mit Veranstal-tungspartnern und Agenturen. Ich glaube, man muss den Grundsätzen der Musik und dem Ethos der Musiker folgen: Wer auf eine Bühne geht und dort sein Bestes gibt darf von seinem Intendanten das Selbe erwarten. Und nicht zuletzt: Unverzicht-bar ist die Liebe zur Musik und zu den Menschen, die sie machen. Ohne sie fehlt der Motor, die Energiequelle, um sich den teilweise ganz und gar unlustigen Prozessen auszusetzen, denen man sich aussetzen muss, damit ein künstlerischer Betrieb erfolgreich arbeiten kann.

Chefdirigent Karl-Heinz Steffens’ Doppelfunktion als GMD der Staatsphilharmonie, Künstlerischer Leiter der Oper Halle und GMD der Staatskapelle Halle hat den RING als großes länder-übergreifendes Kooperationsprojekt hervorgebracht. Sie sind seit 2009 Intendant des Kurt Weill Festes in der Ludwigshafener Partnerstadt Dessau. Eine Basis für Kooperationsprojekte?Der RING Halle Ludwigshafen ist deshalb machbar, weil Karl-Heinz Steffens in beiden Städten selbst Teil des künstleri-schen Prozesses ist und damit eine unverzichtbare Klammer für ein so großes und fantastisches Projekt. Das kann man nicht ohne Weiteres auf meine Situation übertragen, auch wenn es Möglichkeiten der Zusammenarbeit sicher geben kann. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, als erstes klingendes Zeichen der Kooperation die Eröffnung des Kurt Weill Festes 2013 durch die Staatsphilharmonie zu bestreiten. Dass mich vor einigen Tagen einer unserer Musiker darauf ansprach, dass man ja auch Kammermusik-Ensembles der Staatsphilharmonie in Dessau präsentieren könnte, hat mich sehr gefreut.

Stichwort Kooperation: Gibt es den Wunsch, sich stärker mit anderen Häusern in der Metropolregion Rhein-Neckar zu vernetzen? Den Wunsch nach Kooperation gibt es bei mir ohnehin ja sehr grundsätzlich. Wenn man sich meine Programme seinerzeit in Essen oder jetzt in Dessau anschaut, sieht man, dass ich mit großer Leidenschaft mit Partnern zusammenarbeite. Jeder Kulturbetrieb verfügt über begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen, die man sozusagen erweitern kann durch strate-gische Zusammenarbeit. Kooperationen fördern zudem den kreativen Austausch, setzen besondere Kräfte frei. So hielte ich ein stärkeres Zusammendenken von Mannheim und Ludwigs-hafen für sehr erstrebenswert – und das nicht nur wegen der gemeinsamen Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2020. Das Schlag-wort des „Europa der Regionen“ macht sich jedenfalls sehr stark daran fest, dass sich Regionen stärker miteinander vernetzen. Kultur ist da immer in einer Vorreiterrolle. Sie sehen: Ideen gibt es viele – es ist aber noch zu früh, etwas Konkretes zu sagen.

Die Saison 2012-2013 ist mitten in der Planung. Inwiefern wird die neue Spielzeit schon die gemeinsame Handschrift von Karl-Heinz Steffens und Ihnen tragen? Die Saison 2012-2013 ist ja stark von den Aufführungen des „Rings“ geprägt und damit natürlich sehr eng mit Karl-Heinz Steffens verbunden. Dass ich es nicht für richtig hielte, zwang-

Indendant Prof. Michael Kaufmann und GMD Karl-Heinz Steffens

„Den Wunsch nach Kooperation gibt es bei mir grundsätzlich.“

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haft eigene Vorstellungen zu realisieren und noch mit Gewalt in schon bestehende Planungen einzugreifen, habe ich ja vorhin schon angedeutet: dass man auf Dauer eine prägende Hand-schrift entwickeln möchte, muss man nicht gleich in den ersten Tagen unter Beweis stellen. Allerdings haben Karl-Heinz Steffens und ich die ernste Absicht, ab der Spielzeit 2013-2014 bei den Sinfoniekonzerten klarere programmatische Linien als bislang erkennbar zu machen. Das täte in der Entwicklung nicht nur dem Orchester selbst sondern auch unseren Bemühungen um eine bessere Wahrnehmung und Wertschätzung im nationalen und internationalen Musikbetrieb gut.

Die Staatsphilharmonie ist musikalischer Repräsentant des Landes Rheinland-Pfalz und konzertiert regelmäßig auf vielen internationalen Konzertpodien – hat aber auch einen Bildungs-auftrag in der Region. Wo sehen Sie den Schwerpunkt? Es gibt drei Schwerpunkte in der Arbeit des Orchesters. Unmittel-bar ist da die Stadt Ludwigshafen, obwohl wir ein Landesbetrieb sind. Ich möchte deutlicher erkennen lassen, dass wir hier veran-kert sind, hier arbeiten und uns am Leben in der Stadt beteiligen und noch mehr beteiligen möchten. Auch wenn es vielleicht ein nicht ganz stimmiger Vergleich ist, so bildet unser Orchester-Baum seine Wurzeln doch vor allem dort, wo die alltägliche Arbeit stattfindet – das würde ich gern spürbarer machen.

Zweitens haben wir einen klar umrissenen, historisch gewachse-nen Regionalauftrag, den ich für absolut essentiell halte und der uns ja auch trägt: Das Orchester für ein Land zu sein ist eine phantastische Aufgabe, die wir mit Freude erfüllen wollen, auch wenn sie den Musikern, den Orchesterwarten und auch der Planung viel abverlangt. Die Partner in den einzelnen Kommu-nen haben zu Recht ihre Vorstellung davon, was sie gerne hätten und doch müssen wir aus den vielen individuellen Wünschen ein Gesamtkonzept entwickeln. Ein wahrnehmbares künstlerisches Gesicht kann das Orchester nur entwickeln, wenn wir das Pro-gramm als eine – wenn auch farbenreiche – Einheit präsentieren. Da darf die Staatsphilharmonie nicht als Gemischtwarenladen daher kommen, sonst verlöre sie zwangsläufig auch für die Spiel-stätten im eigenen Bundesland an Attraktivität. Auch möchte ich aus „ökonomischen“ Gründen effektiver werden im Wechsel-spiel zwischen unseren örtlichen Partnern und uns: wir bekom-men ja die Gelder für das Orchester nicht dafür, mit möglichst vielen Proben möglichst wenige Auftritte zu haben, sondern sollen doch möglichst viele Konzerte für die Menschen geben.

Die dritte Ebene ist – völlig nachvollziehbar – diejenige, die das Orchester am meisten reizt und interessieren muss: Sich auf dem nationalen und internationalen Parkett mit anderen zu messen. Wenn ein künstlerisches Kollektiv das Interesse ver-liert, sich auch international zu profilieren, gibt es sich auf. So muss dieses Bemühen um Profilierung auch der unbedingte Wunsch und Anspruch des Landes sein; Nur so können wir ein guter Botschafter sein, ein im besten Sinne des Landes agieren-der Repräsentant und Imageträger in und für Rheinland-Pfalz – es wäre wirklich fatal, wenn es diese Ambitionen nicht gäbe. Dafür muss man im Zweifel auch selbstbewusst einstehen. Diese Spiel-räume brauchen wir, um das Qualitätsniveau des Orchesters zu steigern. Und dass Musiker und Land wollen, dass Karl-Heinz Steffens bleibt um seine ambitionierte Arbeit fortzusetzen, ist der beste und schönste Beweis für diese Ambition.

„Kultur muss etwas mit dem Leben der Menschen zu tun haben“ – gerade für ein Reiseorchester wie die Staatsphilharmonie ist das nicht einfach zu realisieren. Wie kann man Philharmonie und Orchester stärker in der Stadt und der Bevölkerung verankern?Dieses Gefühl, dass da etwas fehlt in der Wahrnehmung, wird mir gegenüber sowohl von Musikern als auch von Menschen außer-halb des Orchesters zugetragen und auch ich nehme da ein Vakuum wahr. Trotzdem findet ja schon wirklich sehr viel statt: Die konzertpädagogischen Aktivitäten von Jochen Keller, die Philharmonischen:Konzerte im Pfalzbau, die Kammermusik-reihe in der Philharmonie, das Klassik Open Air als fester Bestandteil des Ludwigshafener Stadtfestes, vieles anderes. Möglicherweise fehlt da der „Rote Faden“ und die innere Stringenz, möglicherweise fehlt eine klarere Strategie in der Kommuni kation und der Darstellung unserer Aktivitäten – wir machen für Vieles Werbung, verkaufen aber nach meiner Wahr-nehmung vor allem Einzel aktionen. Ich möchte gern erreichen, dass das Orchester noch viel mehr in der Stadt präsent ist, aber wir müssen das auch zeigen wollen. Dazu braucht es konzer-tierte Aktionen und sicher helfen da auch Kooperationen. Wenn ich zum Beispiel daran denke, mit welcher Selbstverständlich-keit wir in Dessau mit der Ernst Bloch Gesellschaft kooperieren und wir hier das Ernst Bloch Zentrum vor Ort haben, liegen Anknüpfungspunkte klar auf der Hand. Ich könnte mir aber

Prof. Michael Kaufmann ist Kulturmanager, Honorarprofessor der Folkwang Hochschule Essen und Gründungsintendant der Philharmonie Essen. Bereits während seines Studiums der Germanistik, Rhetorik und Ethnologie in Tübingen organisierte er Musikprojekte des Landesmusikrates Baden-Württemberg. Nach Stationen bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen/ Internationale Festspiele Baden-Württemberg, dem Süddeut-schen Madrigalchor, dem Deutschlandfunk und dem Gürzenich Orchester Köln war er als Koordinator der MusikTriennale Köln und Betriebsdirektor der KölnMusik GmbH tätig, bevor er im Frühjahr 2000 die Michael Kaufmann Concepte GmbH gründete. Im März 2002 wurde er zum Gründungsintendanten der Phil-harmonie Essen berufen. Innerhalb weniger Jahre erlangte das Haus internationale Anerkennung und erhielt für die Spielzeit 2007-2008 die Auszeichnung „Konzertprogramm des Jahres“ des Deutschen Musikver leger-Verbandes. Das von ihm als Kooperationsprojekt der Philharmonie Essen und der Universität Mozarteum in Salzburg initiierte Spiel- und Lernprojekt „ReSonanz & AkzepTanz“ erhielt den Preis „Soziale Stadt“ und wurde mit dem „ECHO Klassik“ 2009 ausgezeichnet.

Seit 2009 ist Michael Kaufmann Intendant des Kurt Weill Festes und Direktor des Kurt-Weill-Zentrums Dessau. Ende 2012 nahm er zudem seine Tätigkeit als Intendant der Deutschen Staats-philharmonie Rheinland-Pfalz auf.

Michael Kaufmann ist Mitglied im Beirat des Deutschen Musik-wettbewerbes und der Jury des „ECHO Klassik“. Für seine Arbeit im Kulturmanagement wurde ihm 2008 durch den Bundes-präsidenten der Republik Österreich das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kultur verliehen. 2009 ehrte ihn die Republik Frankreich mit der Verleihung des Ordens eines Chevalier des Arts et Let tres (Orden für Kunst und Literatur, Grad eines Rit ters) für sein Engagement für die französische Kultur und den deutsch-französischen Dialog.

Biografie

„Das Orchester für ein Land zu sein ist eine phantastische Aufgabe …“

Page 4: Prof. Michael Kaufmann

auch vorstellen „Partisanen“-Aktivitäten zu starten: Beispiels-weise könnte man sich in Ludwigshafen mehrere Spielorte aussuchen, um von morgens bis abends philharmonische Stadtmusiktage zu inszenieren; Ob Mozart-Serenaden oder „Brandenburgische Konzerte“ – da könnten sich die Musiker der Staatsphilharmonie sehr gut präsentieren und wir wären unüberhörbar in der Stadt präsent.

Seit 2005 ist die Staatsphilharmonie mit „Listen To Our Future“ intensiv im Bereich Konzertpädagogik aktiv. Wo sehen Sie Ent-wicklungsmöglichkeiten, wie kann das Educationprogramm stärker mit dem Konzertalltag des Orchesters verzahnt werden? Diese fehlende Verzahnung der unterschiedlichen Aktivitäten und die offenkundig fehlende Einbindung des gesamten Orches-ters durch sinfonische Kinder-, Jugend- und Familienkonzerte wird nach meiner Überzeugung zu Recht bemängelt und da müssen wir dringend etwas ändern. So wunderbar die Arbeit von Jochen Keller und von Eric Trümpler auch ist, so wenig dürfen wir als ganzes Orchester die Hände in den Schoss legen und die Verantwortung für diesen wichtigen Bereich von uns weg delegieren. Ich möchte künftig gerne zwei entsprechende Konzerte in unseren Spielplan integrieren und von da aus eine Klammer über alle Schul-, Familien- und Educationaktivitäten entwickeln – und ich freue mich, dass wir noch in diesem Mai einen tollen Auftakt dazu bieten können.

Sie haben in Essen höchst erfolgreich das Schulprojekt „ReSonanz & AkzepTanz“ initiiert. Wäre so ein Modell auch in Ludwigshafen möglich? Das fände ich ganz wunderbar! Aber man muss berücksichtigen: In Essen hatten wir ja kein eigenes künstlerische Personal und ich musste mir etwas ausdenken, was ohne eigene Musiker funktioniert. So ist ein Projekt entstanden, das auf einer weiter-entwickelten Orff-Thematik basiert. Weiterentwickelt deshalb, da bei Carl Orff weder die Gewaltprävention noch die Sozialisie-rung noch die Integration von Kindern mit Migrationshinter-grund eine Rolle spielte. Die orffsche Pädagogik löste musika-lische Aktivitäten in verschiedene Säulen auf und man kann zwischen Melodie, Rhythmus, Tanzen und Sprache unterschied-liche Gewichtungen vornehmen. Damit kann man auch sehr heterogen zusammengesetzte Schulklassen gut betreuen und die Kinder in ihrer Entwicklung fördern.

Wahrscheinlich würde es ja zumindest teilweise als befremd-lich empfunden, wenn ich nun als Intendant der Staatsphilhar-monie ein Projekt ohne Instrumente propagiere. Wenn es aber Partner gäbe für ein Modell wie „ReSonanz & AkzepTanz“ würde ich mich gern engagieren. Im Interesse des Orchesters wäre daher sicher besser vorstellbar und übertragbar etwas wie die „Phil-harmonie für Kinder“ zu machen, ein Konzept, dass ich in Essen ebenfalls erfolgreich umgesetzt habe: Moderierte Konzerte, Instrumentenvorstellung, Projekte, bei denen sich Kinder

direkt auf der Bühne als Akteure beteiligen können. Da stand ich dann auch oft genug selbst auf der Bühne und übernahm neben der Rolle des Projekt-Erfinders auch die Rolle des Erzählers oder Märchenonkels.

Welche Schwerpunkte wir letztlich auch setzen: Die Sozialisie-rung von Kindern durch die Kraft der Musik ist für mich ein sehr wichtiger Punkt in meiner Arbeit. Es ist leider zu einer Phrase verkommen, dass Kultur für die Gesellschaft eine große Bedeutung hat. Da müssen wir noch viel mehr daran arbeiten, diese ja zutreffende Erkenntnis nachvollziehbar mit Leben zu füllen. Wir müssen raus zu den Menschen und diese Botschaft auch leben. Tut man das nicht, ist klar, dass es immer mehr Menschen gibt, die an unserer „Behauptung“ zweifeln. Wenn in der Folge die Finanzierung von kultureller Versorgung in Städ-ten und Ländern auf die schiefe Bahn gerät, dann tragen wir da leider auch eine gewisse Mitverantwortung. Ich halte da ein be-kenntnishaftes Arbeiten von Menschen, die mit einem Arbeits-platz wie dem meinen beschenkt sind, für eine wichtige Selbst-verpflichtung. Das ist nicht immer leicht, damit macht man sich nicht nur Freunde – aber ich sehe da keine Alternative.

Sie sind nun schon rund zwei Monate in Ludwigshafen, sind zu Konzerten und Gesprächen viel im Land unterwegs gewesen. Haben Sie schon einen Lieblingsort in der Region?Nein, bisher nicht. Ich war zwar viel unterwegs, bin zum Bei-spiel zu unseren Konzerten meist ganz bewusst mit den Musi-kern im Bus gefahren und habe mich deshalb auch schon viel im Land bewegt. Die wirklichen Erkundungstouren werde ich sicher ab dem Frühling mit meiner Frau unternehmen; wir pfle-gen – wenn Sie so wollen – insbesondere zu den wunderbaren Weinen der Region schon lange eine intensive Freundschaft und haben ein Faible dafür, Kurzreisen in schöne Weinbauregionen zu unternehmen. Darauf freuen wir uns schon sehr und finden dann sicher auch unsere Lieblingsplätze. Schöne Musik, gutes Essen und guter Wein sind ja ideale Lebensbegleiter und da kann man sich ja nicht viele schönere Arbeitsplätze vorstellen als beim Landesorchester von Rheinland-Pfalz!

Das Interview führte Sabine Köhler

Freitag, 11. Mai 2012, 17.00 Uhr Ludwigshafen, Konzertsaal im PfalzbauJUGENDKONZERTBruno Weil, Dirigent Felix Mendelssohn-Bartholdy „Ein Sommernachtstraum“ op. 21

Weitere Informationen auf www.staatsphilharmonie.de

Konzert-Tipp

Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und GMD Karl-Heinz Steffens

„Die Sozialisierung von Kindern durch die Kraft der Musik ist mir sehr wichtig.“