polystyrol – ein toxischer brandbeschleuniger?

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Zbl Arbeitsmed 2014 · 64:122–123 DOI 10.1007/s40664-014-0024-6 Online publiziert: 5. März 2014 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 M. Schwarzer · A. Gerber Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin, Goethe-Universität Frankfurt am Main Polystyrol – ein toxischer  Brandbeschleuniger? Pünktlich zum einsetzenden Winter und der damit einhergehenden Heizperio- de greift die Presse wieder das Thema der Wärmedämmung und die von den verwendeten Materialien ausgehenden Gefahren auf [9]. Polystyrol, besser be- kannt unter dem Handelsnamen Styro- por, welches von der BASF vertrieben wird, ist das meist verwendete Wärme- dämmmittel im Hausbau und in Zeiten der Energiewende gefragter denn je. Vor allem seit energieeffiziente Sanierungen subventioniert werden [7]. Polystyrol, das in vielen Hausfassaden verbaut ist, steht seit einiger Zeit im Ver- dacht als Brandbeschleuniger zu fungie- ren. Die Thematik ist nach einem Haus- brand in Frankfurt am Main erstmals deutlich in den Fokus gerückt [6]. Seither häufen sich die Berichte über Styropor- brände. Das wahrscheinlich verheerends- te Feuer, das der brandentfachenden Wir- kung des Polystyrol zugeschrieben wird, hatte sich am Flughafen Düsseldorf ereig- net. Bei diesem sind 17 Menschen ums Le- ben gekommen, 62 weitere sind teilweise schwer verletzt worden. Bei Schweißar- beiten hatten entstehende Funken die mit Polystyrol ausgekleidete Zwischendecke entfacht [2]. Zusätzlich angeregt wird die Diskussion durch einen Beitrag des NDR-Fernsehens „Brandgefährlich: Wärmedämmung aus Polystyrol“ [1]. Der vom NDR eigenstän- dig durchgeführte Brandversuch mit Po- lystyrolplatten, welcher nicht den stan- dardisierten Bedingungen des DIBt ent- sprach [4], ist bereits nach kurzer Zeit ab- gebrochen worden, da die Versuchswand zu schnell und stark entflammte [8]. Neben der brandbeschleunigenden Wirkung stehen auch die bei der Verbren- nung freigesetzten toxischen Stoffe im Mittelpunkt der Kritik am Wärmedämm- stoff Polystyrol. Bei der Verbrennung jeg- lichen Kunststoffs entstehen CO, CO 2 und weitere Kohlenstoffe in Form von Ruß. Zusätzlich dazu wird bei der Pyrolyse von Polystyrol der aromatische Kohlenwasser- stoff Styrol freigesetzt [10]. Styrol Polystyrol wird mittels Polymerisierung aus dem Monomer Styrol hergestellt. Bei Temperaturen >90°C schmilzt das Poly- mer und beginnt zu tropfen. Die sich da- bei bildenden Pfützen bergen die Gefahr, Brände weiter forttragen zu können. Bei der Verbrennung, die stark rußend abläuft, werden Styrolmonomere freige- setzt. Der Siedepunkt von Styrol liegt bei 145°C und es kann in gasförmiger Form sehr leicht über den Atemtrakt aufgenom- men werden. Dies stellt auch gleichzeitig den wichtigsten Aufnahmeweg für den Menschen dar. Die inhalative Retentions- rate liegt zwischen 60 und 90%. Die Re- sorptionsrate über den Verdauungstrakt ist ausschließlich aus Tierversuchen be- kannt und kann für den Menschen nur abgeschätzt werden; sie beträgt etwa 90%. Eine orale Aufnahme ist beim Menschen bisher nicht beschrieben. Die Menge, die über die Haut aufgenommen werden kann, ist vernachlässigbar gering [3, 5]. Styrol kann bereits ab 0,05 ppm als an- genehm süßlicher Geruch wahrgenom- men werden und bildet ein Charakteristi- kum im Verbrennungsgeruch des Polysty- rols. Styrol ist bei Inhalation gesundheits- schädlich. Es wirkt akut reizend auf Au- gen, Atemwege und Haut. Weitere schädi- gende Einflüsse sind . Infobox 1 zu ent- nehmen. Die LD 50 nach inhalativer Auf- nahme bei Ratten liegt bei 12 mg/l/4 h oder 2650 mg/kg nach oraler Applikation [3, 5]. Beim Verdacht der Styrolinhalation nach einem Brand sollten die allgemei- nen intensivmedizinischen Maßnahmen nach einer Rauchgasintoxikation getrof- fen werden. Dazu gehören die soforti- ge Einleitung einer Sauerstoffzufuhr, die Lungenödemprophylaxe, die Gabe von Glukokortikoiden sowie allgemeine sup- portive Therapien der zentral-nervösen Symptome. Kernaussagen für Polystyrol und Styrol: F Polystyrol kann bei unsachgemäßem Einbau als Brandbeschleuniger fun- gieren und somit zu verheerenden Hausbränden führen. F Bei der Verbrennung von Polysty- rol werden neben den bekannten Ver- brennungsprodukten CO, CO 2 und diversen anderen Kohlenstoffverbin- dungen Styrolmonomere freigesetzt. Infobox 1 Styrol – Wirkungen auf den Organismus Wichtig F Narkotisierend F Atemdepression Weitere F Übelkeit F Kopfschmerzen F Schwäche F Schwindel Möglich F Lungenschädigung Übersichten 122 | Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 2 · 2014

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Page 1: Polystyrol – ein toxischer Brandbeschleuniger?

Zbl Arbeitsmed 2014 · 64:122–123DOI 10.1007/s40664-014-0024-6Online publiziert: 5. März 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

M. Schwarzer · A. GerberInstitut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Polystyrol – ein toxischer Brandbeschleuniger?

Pünktlich zum einsetzenden Winter und der damit einhergehenden Heizperio-de greift die Presse wieder das Thema der Wärmedämmung und die von den verwendeten Materialien ausgehenden Gefahren auf [9]. Polystyrol, besser be-kannt unter dem Handelsnamen Styro-por, welches von der BASF vertrieben wird, ist das meist verwendete Wärme-dämmmittel im Hausbau und in Zeiten der Energiewende gefragter denn je. Vor allem seit energieeffiziente Sanierungen subventioniert werden [7].

Polystyrol, das in vielen Hausfassaden verbaut ist, steht seit einiger Zeit im Ver-dacht als Brandbeschleuniger zu fungie-ren. Die Thematik ist nach einem Haus-brand in Frankfurt am Main erstmals deutlich in den Fokus gerückt [6]. Seither häufen sich die Berichte über Styropor-brände. Das wahrscheinlich verheerends-te Feuer, das der brandentfachenden Wir-kung des Polystyrol zugeschrieben wird, hatte sich am Flughafen Düsseldorf ereig-net. Bei diesem sind 17 Menschen ums Le-ben gekommen, 62 weitere sind teilweise schwer verletzt worden. Bei Schweißar-beiten hatten entstehende Funken die mit Polystyrol ausgekleidete Zwischendecke entfacht [2].

Zusätzlich angeregt wird die Diskussion durch einen Beitrag des NDR-Fernsehens „Brandgefährlich: Wärmedämmung aus Polystyrol“ [1]. Der vom NDR eigenstän-dig durchgeführte Brandversuch mit Po-lystyrolplatten, welcher nicht den stan-dardisierten Bedingungen des DIBt ent-sprach [4], ist bereits nach kurzer Zeit ab-gebrochen worden, da die Versuchswand zu schnell und stark entflammte [8].

Neben der brandbeschleunigenden Wirkung stehen auch die bei der Verbren-nung freigesetzten toxischen Stoffe im

Mittelpunkt der Kritik am Wärmedämm-stoff Polystyrol. Bei der Verbrennung jeg-lichen Kunststoffs entstehen CO, CO2 und weitere Kohlenstoffe in Form von Ruß. Zusätzlich dazu wird bei der Pyrolyse von Polystyrol der aromatische Kohlenwasser-stoff Styrol freigesetzt [10].

Styrol

Polystyrol wird mittels Polymerisierung aus dem Monomer Styrol hergestellt. Bei Temperaturen >90°C schmilzt das Poly-mer und beginnt zu tropfen. Die sich da-bei bildenden Pfützen bergen die Gefahr, Brände weiter forttragen zu können.

Bei der Verbrennung, die stark rußend abläuft, werden Styrolmonomere freige-setzt.

Der Siedepunkt von Styrol liegt bei 145°C und es kann in gasförmiger Form sehr leicht über den Atemtrakt aufgenom-men werden. Dies stellt auch gleichzeitig den wichtigsten Aufnahmeweg für den Menschen dar. Die inhalative Retentions-rate liegt zwischen 60 und 90%. Die Re-sorptionsrate über den Verdauungstrakt ist ausschließlich aus Tierversuchen be-kannt und kann für den Menschen nur abgeschätzt werden; sie beträgt etwa 90%. Eine orale Aufnahme ist beim Menschen bisher nicht beschrieben. Die Menge, die über die Haut aufgenommen werden kann, ist vernachlässigbar gering [3, 5].

Styrol kann bereits ab 0,05 ppm als an-genehm süßlicher Geruch wahrgenom-men werden und bildet ein Charakteristi-kum im Verbrennungsgeruch des Polysty-rols. Styrol ist bei Inhalation gesundheits-schädlich. Es wirkt akut reizend auf Au-gen, Atemwege und Haut. Weitere schädi-gende Einflüsse sind . Infobox 1 zu ent-nehmen. Die LD50 nach inhalativer Auf-

nahme bei Ratten liegt bei 12 mg/l/4 h oder 2650 mg/kg nach oraler Applikation [3, 5].

Beim Verdacht der Styrolinhalation nach einem Brand sollten die allgemei-nen intensivmedizinischen Maßnahmen nach einer Rauchgasintoxikation getrof-fen werden. Dazu gehören die soforti-ge Einleitung einer Sauerstoffzufuhr, die Lungenödemprophylaxe, die Gabe von Glukokortikoiden sowie allgemeine sup-portive Therapien der zentral-nervösen Symptome.

Kernaussagen für Polystyrol und Styrol:

F Polystyrol kann bei unsachgemäßem Einbau als Brandbeschleuniger fun-gieren und somit zu verheerenden Hausbränden führen.

F Bei der Verbrennung von Polysty-rol werden neben den bekannten Ver-brennungsprodukten CO, CO2 und diversen anderen Kohlenstoffverbin-dungen Styrolmonomere freigesetzt.

Infobox 1 Styrol – Wirkungen auf den Organismus

WichtigF NarkotisierendF Atemdepression

WeitereF ÜbelkeitF KopfschmerzenF Schwäche F Schwindel

MöglichF Lungenschädigung

Übersichten

122 |  Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 2 · 2014

Page 2: Polystyrol – ein toxischer Brandbeschleuniger?

Zusammenfassung · Abstract

F Styrol ist gesundheitsschädlich, wirkt reizend auf die Augen und Schleim-häute und kann in hohen Konzentra-tionen narkotisch bis hin zur Atem-depression wirken.

F Die Behandlung einer Styrolinhala-tion unterscheidet sich von der Be-handlung zu jeder anderen Rauchgas-intoxikation.

Fazit für die Praxis

Es bleibt festzuhalten, dass bei der Ver-brennung des Dämmmaterials Polystyrol zusätzlich zu den bekannten Rauchgasen wie CO und CO2 weitere toxische Subs-tanzen wie Styrol freigesetzt werden. Es gelten bei einer Rauchgasvergiftung mit Styroldämpfen die notfallmedizinischen Algorithmen von Inhalationstraumata. Zusätzliche zentral-nervöse Störungen werden so weit möglich symptomatisch behandelt [5]. Das DIBt hat in seiner Stel-lungnahme zu den Medienberichten er-neut darauf hingewiesen, dass von Poly-styrol bei sachgemäßer Handhabung kei-ne erhöhten Brandgefahren ausgehen und es deshalb weiter als  Dämmmaterial eingesetzt werden kann [4]. Werde das Material unter genormten Bedingungen getestet, ließen sich die Ergebnisse des NDR [1] nicht wiederholen und seien des-halb auch nicht auf die Realität zu über-tragen.

Korrespondenzadresse

M. SchwarzerInstitut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Umweltmedizin, Goethe-Universität Frankfurt am MainTheodor-Stern-Kai 760590 Frankfurt am [email protected]

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. M. Schwarzer und A. Gerber ge-ben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

1. NDR (2012) Brandgefährlich: Wärmedämmung aus Polysterol. http://www.ndr.de/ratgeber/verbrau-cher/haushalt_wohnen/waermedaemmung191.html

2. National Fire Protection Association (1996) Fire In-vestigation Summary Düsseldorf. http://www.nfpa.org/~/media/files/research/fire investigati-ons/dusseldorf.pdf

3. GESTIS-Stoffdatenbank. Polystyrol. Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfall-versicherung. http://gestis.itrust.de/nxt/gateway.dll/gestis_de/011450.xml?f=templates$fn=do-cument-frameset.htm$q=%5Bfield,schnell-suche%3A%5Borderedprox,0%3Apolysty-rol%5D%5D $x=server$3.0 - LPHit1

4. DIBt (2011) Stellungnahme des DIBt zu „brand-gefährlichen Polystyrol-Fassaden“. Baulinks.de. http://www.baulinks.de/webplugin/2011/1926.php4

5. GESTIS-Stoffdatenbank. Styrol. Institut für Arbeits-schutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallver-sicherung. http://gestis.itrust.de/nxt/gateway.dll/gestis_de/010110.xml?f=templates$fn=do-cument-frameset.htm$q=%5Bfield,schnellsu-che%3A%5Borderedprox,0%3Astyrol%5D%5D $x=server$3.0 - LPHit1

6. Frankfurter Neue Presse (2012) Tödliche Gefahr an der Wand? http://www.fnp.de/lokales/frankfurt/Toedliche-Gefahr-an-der-Wand;art675,334246

7. Focus online (20 Wärmedämmung: Förderung – Stattliche staatliche Hilfe. 02.12.2009. http://www.focus.de/immobilien/energiesparen/tid-16388/waermedaemmung-foerderung-stattliche-staatli-che-hilfe_aid_457968.html

8. ARD (2012) Wärmedämmung: Wie aus Häusern Brandfallen werden. http://daserste.ndr.de/pano-rama/archiv/2012/waermedaemmung193.html

9. Frankfurter Allgemeine Zeitung (2014) Aufge-schäumt und abgebrannt. 25.01.2014. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/menschen-wirt-schaft/styropor-im-wandel-der-zeit-aufgescha-eumt-und-angebrannt-12766148.html?printPage-dArticle=true

10. Ortner J, Hensler G (1995) Beurteilung von Kunst-stoffbränden. http://www.lfu.bayern.de/luft/doc/kunststoffbraende.pdf

Polystyrene, one of the most common insula-tion materials, is criticized for its property to accelerate fires in buildings. Due to the Ger-man energy revolution Polystyrene is more popular than ever, although doubts to its in-nocuousness arise. Its fire-boosting feature is not the only critical point, the toxic gases arousing during its pyrolysis are in focus. Be-side CO, CO2 and carbon black the aromat-ic carbon hydride styrene is discharged. If exposed to high concentrations this harm-ful monomer can lead to respiratory depres-sion. The treatment of an intoxication via in-halation of styrene concentrates on the treat-

ment of the smoke-inhalation with its com-plications.

The discussion about the hazardousness of polystyrene is aggravated by a report from “Norddeutsche Rundfunk” (NDR) television. The “Deutsche Institut für Bautechnik” (DIBt, German institute for building techniques) de-clared that there is no higher danger poten-tial caused by the appropriate use of poly-styrene.

KeywordsStyrofoam · Intoxication · Styrol · Fire hazards · House facades

Polystyrene – a toxic accelerant?

Abstract

Durch Berichte der Presse von Bränden ver-stärkt durch Polystyrol, das besser unter dem Handelsnamen Styropor bekannt ist, steht das Dämmmaterial in der Kritik. Obwohl das Material in Zeiten der Energiewende und ener gieeffizienter Sanierung gefragter ist denn je, mehren sich Bedenken zu dessen Unbedenklichkeit. Dabei steht nicht nur die Brandgefahr im Mittelpunkt sondern auch giftige Gase, die bei der Verbrennung entste-hen. Neben Kohlenmonoxid (CO), Kohlen-dioxid (CO2) und Ruß wird dabei Styrol ab-gegeben. Dieses Monomer ist gesundheits-schädlich und kann in hohen Konzentratio-nen bis hin zur Atemdepression führen. Die

Behandlung einer solchen Intoxikation kon-zentriert sich auf die Rauchgasinhalation mit den daraus resultierenden Schädigungen.

Die Kritik an der brandbeschleunigenden Wirkung waren durch Berichte des Norddeut-schen Rundfunks (NDR) verstärkt worden. Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) hat in einer Stellungnahme noch einmal aus-drücklich darauf hingewiesen, dass von sach-gemäß verbautem Polystyrol keine erhöhte Brandgefahr ausgeht.

SchlüsselwörterStyropor · Intoxikation · Styrene · Brandgefahr · Hausfassaden

Polystyrol – ein toxischer Brandbeschleuniger?

Zusammenfassung

Zbl Arbeitsmed 2014 · 64:122–123 DOI 10.1007/s40664-014-0024-6© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

M. Schwarzer · A. Gerber

123Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 2 · 2014  |