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Fachdidaktische Forschungsergebnisse 13 PdN-PhiS 5/59. Jg. 2010 1 Einleitung Der naturwissenschaftliche Unterricht stand in den letzten Jahren verstärkt im Fo- kus sowohl nationaler als auch internatio- naler Schulleistungsvergleichsstudien und Gutachten (vgl. z. B. [1]; [2]; [3]; [4]; [5]; [6]; [7]). Zwei der wichtigsten Ergebnisse dieser Analysen waren: (i) die mangelnde Fähigkeit deutscher Schüler 1 , erworbenes naturwissenschaftliches Wissen in neuen Kontexten anwenden zu können, eine mit bester Datenlage und Methodik erbrachte Bestätigung des bekannten Transferpro- blems, und (ii) die sich daraus als Konse- quenz ergebende zentrale Bedeutung einer neuen ‚Aufgabenkultur’ [2] i. S. systemati- schen Aufbaus und Einübung anwendbaren Wissens. Zur Transferproblematik kommt die ebenfalls wohlbekannte und empirisch bestens belegte Motivationsproblematik, d. h. die geringe Motivation, wenn nicht Aversion der Schüler gegen Physik als Schulfach, Inhalt und Beruf. Als Ursachenlage für diese Problematik wird sowohl von der Physikdidaktik als auch der pädagogischen Psychologie ins Feld geführt, dass die systematisch aufbereiteten und nach sachlogischen Kriterien strukturierten Lerninhalte alleine ‚träges Wissen’ erzeugen (‚inert knowledge’; vgl. [8]; [9]; [10]): Die Schüler können die erworbenen Kenntnisse nur unzureichend auf konkrete Alltagspro- bleme übertragen und diesbzgl. Anwen- dungs- und Transferaufgaben in neuen Situ- ationen nur defizitär lösen. Dies gilt insbe- sondere dann, wenn der Wissenserwerb vom Anwendungskontext abgelöst erfolgt [11]. Auch für die Motivation wird dies über- einstimmend aus fachdidaktischer wie lern- psychologischer Perspektive als abträglich angesehen, beginnend mit dem von den Schülern ja selbst wahrgenommenen gerin- gen Lernerfolg. Es liegt daher auf der Hand, im Folgenden die beiden Perspektiven nicht als konkurrierende, sondern als sich ergän- zende, sich wechselseitig beeinflussende und miteinander verzahnte Ansätze zur Pro- blemanalyse und -lösung heranzuziehen. Zum Verständnis des Folgenden nun noch vier Bemerkungen zur Vorgehensweise. Eine quantitative Orientierung liegt der Dar- stellung der Ergebnisse zugrunde, wo im- mer dies möglich ist, d. h. es wird nicht nur deren Aussage verbal beschrieben, sondern es werden auch Anhaltspunkte gegeben, die eine Einschätzung und Bewertung von deren Größe erlauben. Methodische Werk- zeuge sind dabei sog. Effektstärkemaße 2 (Cohen d und Anteil der erklärten Varianz η 2 bzw. ω 2 ), die ein heute wohletabliertes Maß für die praktische Relevanz von Ergeb- nissen darstellen. Dies geht über die statis- tische Signifikanz hinaus, die – wenn sie denn gegeben ist 3 – vom Zahlenwert her ei- gentlich für eine Bewertung für die Praxis zweitrangig ist. Ohne Effektstärken könn- ten manche didaktisch wichtige Aussagen gar nicht getroffen werden 4 . Inhaltlich ist die Hauptperspektive auf Moti- vation und Lernen von Schülern gerichtet. Weitere Themen wie Implementation, Leh- rerperspektive u. a. m werden nur verein- zelt da angeführt (Bsp. [14], 4.1.2), wo sie für die Hauptperspektive eine besonders wichtige Ergänzung bedeuten (mit Blick auf die Begrenzungen in Umfang und Zeit; auch die quantitative Orientierung wird hierbei nicht verfolgt). Ergebnisse aus Nachbardidaktiken werden für eine Reihe von Aspekten berücksichtigt, wenn diese natürlicher Bestandteil der Fra- gestellung sind (z.B. fächerübergreifende Kontexte 4.2) oder aufschlussreiche Ergän- zungen zum Fokus ‘Physik’ erlauben. Mit Blick auf den für diesen Beitrag be- grenzt vorgesehenen Umfang können hier nur Schwerpunkte des Themenbereichs vor- gestellt werden. Andere wichtige Bereiche im Rahmen von KO, wie außerschulische Lernorte sowie historische und philosophi- sche Kontexte, mussten deshalb für diesen Beitrag ausgespart werden, werden aber in anderem Rahmen vorgestellt [15]. 2 Theoretischer und konzeptioneller Hintergrund 2.1 Kontextorientierung in der Physik- didaktik Zur Lösung der Problematik des ‚trägen Wissens’ wird in den naturwissenschaft- lichen Fachdidaktiken verstärkt ein Lehren und Lernen in unterschiedlichen Kontexten mit authentischen Problemstellungen im Rahmen einer neuen ‚Aufgabenkultur’ dis- kutiert (s. z. B. [16]; [17]; [18]; [19]; [20]; [21]. Dabei entstand die Forderung einer stärkeren KO des naturwissenschaftlichen Unterrichts nicht erst durch die Aufde- ckung der Defizite deutscher Schüler bei internationalen Analysen. Vorschläge für die Einbindung naturwissenschaftlicher, speziell physikalischer Unterrichtsthemen in alltägliche und gesellschaftlich relevan- te Inhalte wurden bereits in Arbeiten aus der Mitte der 1970er Jahre ([22]; [23]) dar- gestellt und erfuhren Mitte der 1990er Jah- re einen starken Schub mit dem ‚Salters Advanced Chemistry Project’ in Chemie [24] sowie dem ‚Lernen in sinnstiftenden Kontexten’ in Physik [25]. Dabei umfasst der Begriff ‚Kontext’ v. a. zwei Aspekte, ei- nen inhaltlichen durch die genannte Ein- bindung in alltägliche, authentische und gesellschaftlich relevante Zusammenhän- ge sowie einen unterrichtsmethodischen durch die Einbindung des Inhaltes in eine lernförderliche Lernumgebung. Während die Vertreter in der ersten Phase der Ent- wicklung kontextorientierter Unterrichts- materialien und -choreographien beide As- pekte häufig isoliert voneinander betrach- tet haben, werden seit der kontextorien- tierten ‚Renaissancebewegung’ beide As- pekte berücksichtigt und versucht, diese aufeinander abzustimmen. Dabei stellt sich vor der Entscheidung für ei- nen naturwissenschaftlichen Unterrichts- kontext als erstes die Frage, welcher Inhalt geeignet ist, zunächst einmal überhaupt Interesse bei den Schülern zu wecken. Wichtige empirische Hinweise dazu liefert die IPN-Interessenstudie ([26]; [27]), wel- che die Themenbereiche ‚Mensch und Na- Kontextorientierter Physikunterricht Konzeptionen, Theorien und Forschung zu Motivation und Lernen J. Kuhn, A. Müller, W. Müller, P. Vogt 1 Mit der männlichen Form ist stets das weibliche Äquivalent mitgemeint 2 Effektstärken wurden, soweit in den Veröffentlichungen nicht angegeben, von den Autoren mit Hilfe von Standardformeln berechnet (für nützliche Berechnungsprogramme: s. [12] und [13]). 3 In allen Fällen mit quantitativen Angaben in dieser Arbeit liegt Signifikanz i. S. von p < 0.05 vor, die einzelnen p-Werte werden nicht angegeben. 4 Eine Einführung zu diesen Größen bietet der Informations- kasten auf S. 25. s05_49.qxp 20.06.2010 10:00 Seite 13

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Fachdidaktische Forschungsergebnisse 13PdN-PhiS 5/59. Jg. 2010

1 ❙ Einleitung

● Der naturwissenschaftliche Unterrichtstand in den letzten Jahren verstärkt im Fo-kus sowohl nationaler als auch internatio-naler Schulleistungsvergleichsstudien undGutachten (vgl. z. B. [1]; [2]; [3]; [4]; [5];[6]; [7]). Zwei der wichtigsten Ergebnissedieser Analysen waren: (i) die mangelndeFähigkeit deutscher Schüler1, erworbenesnaturwissenschaftliches Wissen in neuenKontexten anwenden zu können, eine mitbester Datenlage und Methodik erbrachteBestätigung des bekannten Transferpro-blems, und (ii) die sich daraus als Konse-quenz ergebende zentrale Bedeutung einerneuen ‚Aufgabenkultur’ [2] i. S. systemati-schen Aufbaus und Einübung anwendbarenWissens. Zur Transferproblematik kommtdie ebenfalls wohlbekannte und empirischbestens belegte Motivationsproblematik,d. h. die geringe Motivation, wenn nichtAversion der Schüler gegen Physik alsSchulfach, Inhalt und Beruf. Als Ursachenlage für diese Problematik wirdsowohl von der Physikdidaktik als auch derpädagogischen Psychologie ins Feld geführt,dass die systematisch aufbereiteten undnach sachlogischen Kriterien strukturiertenLerninhalte alleine ‚träges Wissen’ erzeugen(‚inert knowledge’; vgl. [8]; [9]; [10]): DieSchüler können die erworbenen Kenntnissenur unzureichend auf konkrete Alltagspro-bleme übertragen und diesbzgl. Anwen-dungs- und Transferaufgaben in neuen Situ-ationen nur defizitär lösen. Dies gilt insbe-sondere dann, wenn der Wissenserwerbvom Anwendungskontext abgelöst erfolgt[11]. Auch für die Motivation wird dies über-einstimmend aus fachdidaktischer wie lern-psychologischer Perspektive als abträglichangesehen, beginnend mit dem von denSchülern ja selbst wahrgenommenen gerin-

gen Lernerfolg. Es liegt daher auf der Hand,im Folgenden die beiden Perspektiven nichtals konkurrierende, sondern als sich ergän-zende, sich wechselseitig beeinflussendeund miteinander verzahnte Ansätze zur Pro-blemanalyse und -lösung heranzuziehen. Zum Verständnis des Folgenden nun nochvier Bemerkungen zur Vorgehensweise. Eine quantitative Orientierung liegt der Dar-stellung der Ergebnisse zugrunde, wo im-mer dies möglich ist, d. h. es wird nicht nurderen Aussage verbal beschrieben, sondernes werden auch Anhaltspunkte gegeben,die eine Einschätzung und Bewertung vonderen Größe erlauben. Methodische Werk-zeuge sind dabei sog. Effektstärkemaße2

(Cohen d und Anteil der erklärten Varianzη 2 bzw. ω2), die ein heute wohletabliertesMaß für die praktische Relevanz von Ergeb-nissen darstellen. Dies geht über die statis-tische Signifikanz hinaus, die – wenn siedenn gegeben ist3 – vom Zahlenwert her ei-gentlich für eine Bewertung für die Praxiszweitrangig ist. Ohne Effektstärken könn-ten manche didaktisch wichtige Aussagengar nicht getroffen werden4.Inhaltlich ist die Hauptperspektive auf Moti-vation und Lernen von Schülern gerichtet.Weitere Themen wie Implementation, Leh-rerperspektive u. a. m werden nur verein-zelt da angeführt (Bsp. [14], 4.1.2), wo siefür die Hauptperspektive eine besonderswichtige Ergänzung bedeuten (mit Blick aufdie Begrenzungen in Umfang und Zeit;auch die quantitative Orientierung wirdhierbei nicht verfolgt).Ergebnisse aus Nachbardidaktiken werdenfür eine Reihe von Aspekten berücksichtigt,wenn diese natürlicher Bestandteil der Fra-gestellung sind (z. B. fächerübergreifendeKontexte 4.2) oder aufschlussreiche Ergän-zungen zum Fokus ‘Physik’ erlauben.Mit Blick auf den für diesen Beitrag be-grenzt vorgesehenen Umfang können hiernur Schwerpunkte des Themenbereichs vor-gestellt werden. Andere wichtige Bereicheim Rahmen von KO, wie außerschulischeLernorte sowie historische und philosophi-sche Kontexte, mussten deshalb für diesenBeitrag ausgespart werden, werden aber inanderem Rahmen vorgestellt [15].

2 ❙ Theoretischer und konzeptionellerHintergrund

2.1 Kontextorientierung in der Physik-didaktik

● Zur Lösung der Problematik des ‚trägenWissens’ wird in den naturwissenschaft-lichen Fachdidaktiken verstärkt ein Lehrenund Lernen in unterschiedlichen Kontextenmit authentischen Problemstellungen imRahmen einer neuen ‚Aufgabenkultur’ dis-kutiert (s. z. B. [16]; [17]; [18]; [19]; [20];[21]. Dabei entstand die Forderung einerstärkeren KO des naturwissenschaftlichenUnterrichts nicht erst durch die Aufde-ckung der Defizite deutscher Schüler beiinternationalen Analysen. Vorschläge fürdie Einbindung naturwissenschaftlicher,speziell physikalischer Unterrichtsthemenin alltägliche und gesellschaftlich relevan-te Inhalte wurden bereits in Arbeiten ausder Mitte der 1970er Jahre ([22]; [23]) dar-gestellt und erfuhren Mitte der 1990er Jah-re einen starken Schub mit dem ‚SaltersAdvanced Chemistry Project’ in Chemie[24] sowie dem ‚Lernen in sinnstiftendenKontexten’ in Physik [25]. Dabei umfasstder Begriff ‚Kontext’ v. a. zwei Aspekte, ei-nen inhaltlichen durch die genannte Ein-bindung in alltägliche, authentische undgesellschaftlich relevante Zusammenhän-ge sowie einen unterrichtsmethodischendurch die Einbindung des Inhaltes in einelernförderliche Lernumgebung. Währenddie Vertreter in der ersten Phase der Ent-wicklung kontextorientierter Unterrichts-materialien und -choreographien beide As-pekte häufig isoliert voneinander betrach-tet haben, werden seit der kontextorien-tierten ‚Renaissancebewegung’ beide As-pekte berücksichtigt und versucht, dieseaufeinander abzustimmen. Dabei stellt sich vor der Entscheidung für ei-nen naturwissenschaftlichen Unterrichts-kontext als erstes die Frage, welcher Inhaltgeeignet ist, zunächst einmal überhauptInteresse bei den Schülern zu wecken.Wichtige empirische Hinweise dazu liefertdie IPN-Interessenstudie ([26]; [27]), wel-che die Themenbereiche ‚Mensch und Na-

Kontextorientierter PhysikunterrichtKonzeptionen, Theorien und Forschung zu Motivation und Lernen

J. Kuhn, A. Müller, W. Müller, P. Vogt

1 Mit der männlichen Form ist stets das weibliche Äquivalentmitgemeint 2 Effektstärken wurden, soweit in den Veröffentlichungen nichtangegeben, von den Autoren mit Hilfe von Standardformelnberechnet (für nützliche Berechnungsprogramme: s. [12] und[13]).3 In allen Fällen mit quantitativen Angaben in dieser Arbeit liegtSignifikanz i. S. von p < 0.05 vor, die einzelnen p-Werte werdennicht angegeben.4 Eine Einführung zu diesen Größen bietet der Informations-kasten auf S. 25.

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tur’ sowie ‚Physik und Gesellschaft’ alsInteressenbereiche herausstellt, die von80 % deutscher Schüler als bedeutsam an-gesehen werden. Somit ist die Eignung vonUnterrichtsinhalten z. B. aus Bereichen wie‚Physik und Medizin’, ‚Physik und dermenschliche Körper’, Physik und Sport’ so-wie ‚Physik und Gesellschaft’ für einen kon-textorientierten Unterricht empirisch be-gründet und abgesichert. Die Berücksichtigung dieser Interessenbe-reiche allein stellt jedoch noch nicht sicher,dass die KO zu der gewünschten Lernwirk-samkeit führt. Die Verwendung authenti-scher Problemstellungen im Rahmen sol-cher Themenbereiche für kontextorientier-tes Lernen setzt voraus, dass darüber hin-aus ‚vorgebliche Kontexte’ vermieden wer-den müssen ([19], S. 109). Die Authenti-zität der Problemstellung darf nicht vorge-täuscht werden, wobei der Begriff ‚Authen-tizität’ sowie das Adjektiv ‚authentisch’ oftsehr unspezifisch verwendet werden: „ImAllgemeinen wird unter Authentizität dieQualität des Bezuges zur realen Welt ver-standen. Allerdings gibt es verschiedene Fa-cetten von Authentizität.“ ([28], S. 38). Sowird authentisches Problemlösen nachReusser u. Stebler [29] durch ein Eigen-schaftsbündel aus Selbststeuerung und Si-tuiertheit sowie Handlungs-, Prozess-, Phä-nomen- und Anwendungsbezug charakte-risiert. Zur Vermeidung von Lernproblemenbeim kontextorientierten Erschließen neu-er Lerninhalte soll der Lerninhalt in einengrößeren Zusammenhang eingebettetwerden, um diesen in multiplen Kontextenbehandeln zu können. Dadurch soll verhin-dert werden, dass das in einem isoliertenKontext erworbene Wissen punktuell undunvernetzt bleibt.Diese Forderungen stellen zweifellos hoheAnsprüche an kontextorientierten Unter-richt. Trotzdem oder gerade deshalb nahmdie Anzahl groß angelegter und geförder-ter Projekte zur KO in den letzten Jahrenstark zu (z. B. ‚Physik/Chemie/Biologie imKontext’, s. 3.1.1). Eine wichtige lehr-lerntheoretische Basisvon KO ist dabei in dem Ansatz der Situier-ten Kognition bzw. des Situierten Lernenszu finden.

2.2 Situierte Kognition und SituiertesLernenAls Reaktion auf die aus den rein kognitivis-tisch orientierten Lehr-Lern-Ansätzen re-sultierenden Defizite entwickelten sich seitEnde der 1980er Jahre als Gegenposition

und Alternative dazu eine Reihe von For-schungsansätzen und Theorierichtungen inder pädagogischen Psychologie, die stärkerkonstruktivistische Positionen von Lehrenund Lernen vertraten [30]. Sie plädiertendafür, beim Lernen die Eigenaktivität sowieden Kontextbezug in den Vordergrund zustellen und Lernumgebungen entspre-chend offen und situiert zu gestalten. Wis-sen wird von diesen Ansätzen – im Gegen-satz zum Kognitivismus – demnach nichtals Kopie der Wirklichkeit oder als äußererGegenstand angesehen, der sich auchgleichsam vom Lehrenden auf den Lernen-den ‚transportieren’ lässt. Vielmehr ist Wis-sen eine individuelle Konstruktion von Men-schen, und Lernen ein aktiver, konstruktiverProzess, der in bestimmten Handlungskon-texten stattfindet und sich „in situ“ in derRelation zwischen Person und Situationkonstituiert [31]. Dies hat zur Folge, dassWissen immer situativ gebunden und die Si-tuation, in der das Lernen stattfindet, fürden Lernprozess von entscheidender Be-deutung ist. Theoretische Erklärungsansät-ze, die Wissen in dieser Art als situativ ge-bunden verstehen, werden unter dem(Sammel-)Begriff der Situierten Kognition(engl.: Situated Cognition5) zusammenge-fasst. Diese Ansätze fordern im Hinblick aufdie Gestaltung von Lernumgebungen, dasseine solche grundsätzliche Situiertheit desWissenserwerbs beachtet werden müsse.Auf diesen Auffassungen basierende Vor-stellungen von Lehren, Lernen und Unter-richt werden unter dem Überbegriff des Si-tuierten Lernens zusammengefasst [32]. Wie der Begriff ‚Authentizität’ ist auch derTerminus ‚Situiertes Lernen’ nicht eindeu-tig definiert. Die verschiedenen Positionenüberdecken ein Spektrum von der kogniti-ven Anthropologie nach Lave [33] und Ro-goff [34] über die ökologische Psychologienach Greeno ([35]; [36]) bis zur sozio-kog-nitiven Position nach Resnick ([37]; [38]).Obwohl die Situierte Kognition somit alslose Gruppierung durchaus verschiedenerTheorien angesehen werden muss [39],sind sich die Vertreter dieser Positionen[40] in einem Kernpunkt einig: Um trägesWissen zu verhindern und Wissenstransferzu ermöglichen, sowie gleichzeitig Interes-se zu wecken und zu stärken, muss Wissenin situierten Lernumgebungen erworben

werden, die dadurch gekennzeichnet sind,dass sie selbstständiges, aktives Lernen inauthentischen Kontexten ermöglichen([34]; [38]; [36]; [41]). Mit Blick auf den Unterricht beziehen sichdie im Rahmen des Situierten Lernens seitEnde der 1980er Jahre entwickelten Ansät-ze insbesondere auf die theoretischen An-nahmen zur Situiertheit von Wissen undLernen nach Greeno ([35]; [36]). Neue In-formations- und Kommunikationsmedienwerden dabei als besonders gut geeigneteMöglichkeiten zur Verbesserung des Leh-rens und Lernens angesehen ([42]; [43]).Führende Ansätze sind Cognitive Apprenti-ceship ([44]; [45]), Cognitive Flexibility[46], Goal-Based-Scenarios [47], Model-Centered Learning and Instruction ([48];[49]; [50]) und Anchored Instruction ([51];[52]; s. 3.1.3). Infolge von Unflexibilität,Komplexität und geringer Lernerunterstüt-zung werden die ersten beiden Ansätzeheute – softwaretechnisch – nicht mehrweiterverfolgt. Anchored Instruction (AI)hebt sich dabei aus mehreren Gründen vonden restlichen Ansätzen zum Situierten Ler-nen ab: Es ist einerseits einer der führendentheoriegleiteteten Ansätze für offene, ler-nerzentrierte und lernergesteuerte Unter-richtsformen [53]. Darüber hinaus ist AI dereinzige Ansatz zum Situierten Lernen, dergroßflächig in der Unterrichtspraxis einge-setzt und durch empirische Arbeiten theo-retisch sowie auf Effektivität hin geprüftwurde [54] und auch heute noch verstärktweiterentwickelt wird [55]. Aus diesemGrund wird dieser Ansatz in 3.1.3 detail-lierter dargestellt.

2.3 Gesellschaftliche, politische. ethi-sche Kontexte: STS-Ansatz und Scien-tific LiteracyDer STS-Ansatz (Science, Technology andSociety) ist eine (nicht streng definierte)Sammelbewegung zu einer Form von KO, inder die Zusammenhänge von Naturwissen-schaft und Technik mit Gesellschaft und Kul-tur in den Fokus gerückt werden. FührendeVertreter sind u. a. Aikenhead ([56], [57]), Bybee [58], Fensham [59], Solomon [60].Interessant sind die gedanklichen Bezie-hungen, die STS mit anderen didaktischeinflussreichen Positionen verbinden. Er-stens ist hier der Bildungsbegriff Klafkis zunennen (aus der Erziehungswissenschaft),dabei insbesondere die inhaltliche Setzungeinerseits durch die sog. epochaltypischenSchlüsselprobleme (Technikfolgen, Um-welt, Frieden, um nur die mit offensichtli-

5 Terminologisch eingebürgerte Anglizismen und Fremdwortemögen z. T. unnötig/unschön erscheinen, werden auch hier be-nutzt, um den Anschluss an die Fachliteratur zu erleichtern.6 Ein Überblick über die Merkmale Situierten Lernens ist in [15]dargestellt.

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Fachdidaktische Forschungsergebnisse 15PdN-PhiS 5/59. Jg. 2010

chem Bezug zu STS zu nennen), und diedidaktische Strukturierung andererseitsdurch Vorgabe von Leitperspektiven wieGegenwartsbedeutung und Zukunftsbe-deutung: „Allgemeinbildung bedeutet (...) eingeschichtlich vermitteltes Bewusstsein vonzentralen Problemen der Gegenwart und – so-weit vorhersehbar – der Zukunft zu gewinnen,Einsicht in die Mitverantwortlichkeit Aller an-gesichts solcher Probleme und Bereitschaft, anihrer Bewältigung mitzuwirken“ ([61], S.56).Angewandt auf Unterricht in Physik und Na-turwissenschaften ist eine große Nähe zumSTS-Ansatz erkennbar.Zweitens ist STS wiederum eine der Quel-len des Scientific Literacy-Ansatzes mit sei-ner großen Bedeutung in der aktuellen Bil-dungsdebatte (internationale Vergleichs-studien, Bildungsstandards). Die Überset-zung von Scientific Literacy als „naturwis-senschaftliche Allgemein- oder Grundbil-dung“ wird z. T. kontrovers diskutiert, dader deutsche Bildungsbegriff (etwa nachKlafki, s. o.) teilweise noch umfassender ge-sehen wird. Unabhängig davon ist jedochweitgehender Konsens auch im deutsch-sprachigen Raum ([62]; [63]), sich auf dieBildungsziele dieser internationalen (imWesentlichen nordamerikanischen) Ent-wicklung zu beziehen und dabei ScientificLiteracy insbes. als Weg zur gesellschaft-lichen Partizipation zu sehen. Die für dasBMBF erstellte Expertise zu Bildungsstan-dards etwa führt das „Common frameworkof science learning outcomes“ des Rates derkanadischen Bildungsminister [64] explizitals Referenzquelle an. Darin heißt es:„Scientific literacy is an evolving combination

of the science-related attitudes, skills, andknowledge students need to develop inquiry,problem-solving, and decision-making abili-ties, to become lifelong learners, and to main-tain a sense of wonder about the worldaround them.“ ([62], S. 157). Konkretisiertwird dies in Bildungszielen (s. Tab. 1), in de-nen die Nähe zum STS-Ansatz bis in dieWortwahl (Foundation 1) hinein deutlichwird (und übrigens quasi auch über „Per-sonalunion“ von z. B. R. Bybee, einer derführenden Vordenker von Scientific Litera-cy; s. [51]). Während die inhaltliche, begriffliche undpersonale Verwandtschaft offensichtlichist, geht Scientific Literacy doch auch inwichtigen Aspekten über STS hinaus, indemu. a. affektive Ziele stärker betont werden(„a sense of wonder about the worldaround“), und ein systematisches, auf ku-mulative Kompetenzentwicklung ausge-richtetes Verständnis von Bildung (bis hinzum lebenslangen Lernen) verfolgt wird.Auch diese Aspekte sind wiederum gera-dezu durchtränkt vom Gedanken der KO.Während die begriffliche Einordnung uner-lässlich ist, wird hier aus Platzgründen vonder Darstellung der Forschung zur KO undScientific Literacy (als eigenes riesiges For-schungsgebiet) Abstand genommen. EinenEinstieg hierzu bietet [65].

3 ❙ Beispiele für Unterrichtsmodelleund Entwicklungsprojekte

● Zur Initiierung von Situiertem Lernensind kontextorientierte Lernumgebungenmit den in 2.2 beschriebenen Aspekten er-

forderlich. Dabei unterscheiden sich dieLernumgebungen der verschiedenen An-sätze u. a. auch in deren Umfang und An-spruch an Unterrichtsgestaltung. Somitwurde im Laufe der Zeit im Rahmen vonProjekten zum Situierten Lernen zwischenAnsätzen mit Mikrokontexten und Ansät-zen mit Makrokontexten unterschieden.Makrokontexte sind reichhaltig authenti-sche Lernumgebungen, die zur Schaffungder beabsichtigten Lerngelegenheit vielfäl-tige, umfangreiche Aspekte in den Unter-richt integrieren (lebensweltliche Frage-stellungen aus Alltag, Technik und Gesell-schaft, außerschulische Kontexte), auf eineBandbreite von Kompetenzförderungenabzielen (Förderung des eigenständigenDenkens, Arbeitens und Reflektierens) undeine projektspezifisch methodische und or-ganisatorische Unterrichtsgestaltung er-fordern. Die Einsatzdauer im Unterricht isthäufig auf mehrere Monate und mehr an-gelegt.Mikrokontexte sind Lernumgebungen, diezur Schaffung der beabsichtigten Lerngele-genheit ein besonderes Design aufweisen.Sie werden theoriegeleitet, basierend aufgemäß den Theorien des Situierten Lernensausgewiesenen Kriterien konstruiert undkönnen in einzelnen Unterrichtsstundeneingesetzt werden. Sie erfordern keine we-sentlichen zusätzlichen methodischen undorganisatorischen Bedingungen für denUnterricht und sind zum Einsatz im alltäg-lichen Unterricht angelegt.Im Folgenden sollen verschiedene Projekteaus diesen beiden Bereichen vorgestelltwerden.

Foundation 1: Science, technology, society, and the environment (STSE)

Students will develop an understanding of the nature of science and technology, of the relationships between science and

technology, and of the social and environmental contexts of science and technology.

Tab. 1: Bildungsziele von Scientific Literacy („Foundation statements for scientific literacy“)“ und ihre inhaltliche und begriffliche Nähe zu STS. ([64], als Referenz-quelle)

Foundation 2: Skills

Students will develop the skills required for scientific and technological inquiry, for solving problems, for communicating

scientific ideas and results, for working collaboratively, and for making informed decisions.

Foundation 3: Knowledge

Students will construct knowledge and understandings of concepts in life science, physical science, and Earth and space science,and apply these understandings to interpret, integrate, and extend their knowledge.

Foundation 4: Attitudes

Students will be encouraged to develop attitudes that support the responsible acquisition and application of scientific and technological knowledge to the mutual benefit of self, society, and the environment.

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Fachdidaktische Forschungsergebnisse PdN-PhiS 5/59. Jg. 201016

3.1 Makrokontexte3.1.1 PiKo, ChiK, BiKMit die wichtigsten Projekte zur KO imdeutschsprachigem Raum sind „Physik imKontext“ [66], Chemie im Kontext ([14];[67]; [20]; [21]) und Biologie im Kontext[68], sämtlich mit dem Institut für die Pä-dagogik der Naturwissenschaften (IPN) alsTräger. Zwei wichtige Gemeinsamkeitendieser Projekte sind: • die Orientierung am Grundgedanken

der Scientific Literacy (s. 2.3),• die Kombination von Materialentwick-

lung und Unterrichts-/Schulentwick-lung (sowie Begleitforschung) nachdem Vorbild des SINUS-Projektes.

Die KO wird in den verschiedenen Projektenjeweils mit einer etwas anderen didakti-schen Schwerpunktsetzung verstanden.PiKo: Es gibt drei Aspekte von KO: The-men, Lernumgebungen, außerschulischeKontexte (Thematische Kontexte werdendabei hergestellt über lebensweltliche Fra-gestellungen aus Alltag, Technik und Ge-sellschaft). Darüber hinaus wird hier be-wusst die Lernumgebung als Kontext auf-gefasst, mit ausdrücklichen didaktischenZielen (Förderung des eigenständigenDenkens, Arbeitens und Reflektierens).Schließlich sollen als außerschulische Kon-texte (als besonderer Typus von Lernum-gebungen) „authentische Erfahrungen

aus Forschung und Arbeitswelt“ ermög-licht werden. ChiK: Die Realisierung von KO ist hier ge-kennzeichnet durch folgende Gesichts-punkte, die sich z. T. von den bei PiKo ge-nannten unterscheiden: Themen, System-orientierung durch Basiskonzepte, Unter-richtsaufbau. Kontexte werden verstandenals „persönlich oder gesellschaftlich rele-vante Themen“ (z. B. Wasserstoffauto,„Säuren in der Speisekammer“, „EnergyDrinks“; das ist didaktisch ähnlich zu PiKo).Durch den Lebensweltbezug dieser Kon-texte sollen Schüler erfahren, dass Chemieund die Beschäftigung damit eine Bedeu-tung für sie und ihren Alltag hat. Man be-

Beschreibung Bemerkungen, Querverbindungen (→)

Tab. 2: Charakteristika und Querverbindungen (nicht vollständig) des Iowa-STS-Ansatzes

inhaltlicher Rahmen: dezidiert integrativer Ansatz in doppeltem Sinne,nämlich sowohl Fächer- (Naturwissenschaften, Mathematik) wie Jahr-gangsübergreifend [69]: Klasse 6 - 8; insgesamt sogar Kl. 4 – 10: [70] und[71].

organisatorischer Rahmen: Gesamtzeitraum über 20 Jahre ([71]; Yager &Akcay, 2010); Gesamtförderung u.a. durch National Science Foundation(USA) über 10 Mio. $ (Yager u. Akcay, 2008)

Themenbeispiele: i. S. von STS Umgang mit Abfall, Zerstörung der Ozon-schicht, „Fast Food“-Ernährung u. a. m ([72], [73)]

Gestaltungsmerkmale: zitiert nach [71]

identification of problem with local (and personal) interest / impact

active involvement of students [bei der Bearbeitung dieser Probleme, bishin zu] students performing in citizenship roles as they attempt to resolveissues they have identified

science teaching going beyond a given series of class sessions, instructio-nal place, educational structure;

focus upon career awareness

science as experience students are encouraged to have

focus upon the future and what it may be like

Konzepte

Prozeduren (i. S. naturwissenschaftlicher Arbeitsweisen)

Anwendungen, Transfer (Verwendung von gelernter Konzepte und Proze-duren in neuen Situationen)

Kreativität (Verbesserung von Quantität und Qualität von Fragen, Erklä-rungen, Textproduktionen von Schülern)

Einstellungen zu Naturwissenschaften (Nutzen, Lernen, Lehrer, Berufs-wahl)

Weltbild (einschl. Rolle und Entwicklung der naturwissenschaftlicher Er-kenntnis)

→ fächerübergreifender Unterricht→ integrativer Unterricht→ problemorientierter Unterricht

Projektzeitraum von Yager u. Weld (1999): 1994 –1997, N = 6590 (!)

→ problemorientierter Unterricht

→ problemorientierter Unterricht→ außerschulische Lernorte; der lokale Kontext gehörthier zu Kern ([72], [73]) und Definition von STS [71]

→ konstruktivistische Perspektive(n) [74]→ Kompetenzerfahrung, Soziale Einbindung

→ außerschulische Lernorte (u. a.)

i. S. von breiterer STS-Perspektive (z. B. Umweltbera-ter), nicht nur auf klassische F& E-Berufe; zusätzlich his-torische Vorbilder, insbes. von Frauen→ Scientific Literacy→ historische Kontexte (u. a.)

→ Scientific Literacy

→ Scientific Literacy

→ Scientific Literacy→ historisch-philosophische Kontexte

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Fachdidaktische Forschungsergebnisse 17PdN-PhiS 5/59. Jg. 2010

achte bei ChiK die Berücksichtigung derschon i. S. von Muckenfuß [25] getroffenenUnterscheidung zwischen persönlicher undgesellschaftlicher Relevanz. Komplementärzur KO wird aber auch auf einen systemati-schen Wissensaufbau geachtet. Dieser wirdgesichert durch eine Vernetzung mit Basis-konzepten (z. B. Donator-Akzeptor-Kon-zept, Stoff-Teilchen-Konzept). Sie bilden diefachliche Grundlage, von der aus wiederumweitere Kontexte erschlossen werden sol-len. Die Integration von KO und System-orientierung über Basiskonzepte soll ge-währleistet werden durch einen besonde-ren Unterrichtsaufbau (Begegnungsphase,Planungsphase, Erarbeitungsphase, Ver-netzungsphase). BiK: Das Verständnis von KO ist hier cha-rakterisiert durch Themen, außerschulischeLernorte und Kompetenzorientierung. The-matische Kontexte werden dabei in dop-peltem Sinne verstanden (ähnlich wie beiChiK), zum einen die Einbindung in subjek-tive Kontexte der Schüler (Anknüpfen anVorwissen und Alltagserfahrungen), zumanderen die Ausrichtung auf Kontexte so-wohl lebensweltlicher Art, wie wissen-schaftliche Anwendungskontexte der Bio-logie. Darüber hinaus sind auch die Mög-lichkeiten der Kontextualisierung durchaußerschulische Lernorte einbezogen (ähn-lich wie bei PiKo). Als thematische Kontext-bereiche wurden „Leben und Gesundheit“,„Erde und Umwelt“, „Technologie“ und„Wissensgenese“ ausgewählt. DidaktischesZiel ist die Unterstützung der Kompetenz-entwicklung der Schüler in dem Sinne einerVerbindung kognitiver Aspekte mit Moti-vationsaspekten.

3.1.2 Das STS-Entwicklungsprogrammin IowaUnter den Entwicklungsprojekten und Be-gleitstudien zu STS ragt das Entwicklungs-programm (von Yager und Kollegen) inIowa sowohl dem Umfang als auch der Grö-ße der erzielten Effekte und der methodi-schen Qualität der Begleitforschung nachheraus ([69]; s.a. 4.3). Es ist auch als inter-national anerkanntes Beispiel von „BestPractice“ ausgewiesen. Dies legt einen ge-naueren Blick darauf nahe (s. Tab. 2), der inForm eines kurzen „Steckbriefes“ zum ei-nen wesentliche Charakteristika des STS-Programms wiedergibt, zum anderen auchdie engen Querverbindungen (und damitdefinitorische Abgrenzungsschwierigkei-ten) zu anderen Ansätzen erkennen lässt.Als Gesamteindruck wird klar, dass es sich

um ein deutliches Beispiel für Makrokon-texte handelt, und dass ein solches Ver-ständnis von Orientierung auf Kontextenicht ohne sehr weitgehende Anpassungder Orientierung in der Unterrichtsgestal-tung möglich ist.

3.1.3 Anchored Instruction Der AI-Ansatz wurde von der Cognition andTechnology Group at Vanderbilt University(CTGV) Anfang der 1990er Jahre entwickelt(vgl. 2.2; [51]; [52]; [75]). Sein Ausgangs-punkt ist die Überzeugung, dass es wichtigist, Lehren und Lernen in möglichst au-thentischen Kontexten zu verankern, die

von den Lernenden das Lösen bedeutungs-haltiger Probleme erfordern ([76]; Stich-wort ‚verankerte Instruktion’). Der grund-legende Gedanke besteht somit darin, dassder entscheidende Punkt jedes Lernens derAufbau kognitiver Strukturen ist. Es kommtauf den ‚Ankergrund’ für die Verankerungneuen Lernstoffes an. Situiertheit wird beiAI durch das Bereitstellen eines medialenKontextes simuliert, der als ‚Interesseanker’dient, von dem aus Problemlösefähigkeitenentwickelt werden sollen.Kurz gesagt, könnte AI als multimediale,komplexe Textaufgabe bezeichnet werden:Die Schüler sehen zunächst eine Videose-

Tab. 3: Übersicht zu den Designprinzipien der Anchored Instruction ([77], S. 46)

Design Principle Hypothesized Benefits

1. Video-based format A. More motivating.B. Easier to searchC. Supports complex comprehensionD. Especially helpful for poor readers

yet it can also support reading

2. Narrative with realistic problems A. Easier to remember.(rather than a lecture on video) B. More engaging.

C. Prime students to notive the relevance of mathematics and reasoning for everyday events.

3. Generative format A. Motivating to determine the ending.(i.e. the stories and students must B. Teaches students to find and define generate the problems to be solved) problems to be solved.

C. Provides enhanced opportunities forreasoning

4. Embedded data design A. Permits reasoned decision making.(e.e. all the data needed to solve the B. Motivating to find.problems are in the video) C. Puts students on an ‘even keel’ with

respect to relevant knowledge.D. Clarifies how relevance of data

depends on specific goals.

5. Problem complexity A. Overcomes the tendency to try for(i.e. each adventure involves a a few minutes and then give up.problem of least 14 steps) B. Introduces levels of complexity

characteristics of real problems.C. Helps students deal with complexity.D. Develops confidence in abilities.

6. Pairs of related adventures A. Provides extra practice on core schema.

B. Helps clarify what can be transferred and what cannot.

C. Illustrates analogical thinking.

7. Links across the curriculum A. Helps extent mathematical thinkingto other areas (i.e. history, science).

B. Encourages the integration of knowledge.

C. Supports information finding and publishing.

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quenz, in der eine Geschichte von realenPersonen in einer realen Umgebung darge-stellt wird. Der ca. 15-20-minütige Film en-det mit einer komplexen Problemstellung,die die Schüler in der Klasse bzw. in Klein-gruppen vorwiegend selbstständig lösen.Dabei können sie auf einzelne Episoden undspeziell arrangierte Themen im Filmmate-rial zugreifen. Diese interaktiven, multime-dialen Videodisketten (bzw. heute CD-ROModer DVD) sind somit das zentrale Mittelvon AI, das Ankermedium – oder kurz der‚Anker’. Dieser bildet den Makrokontext (s.u.) und muss als reichhaltig authentischeLernumgebung zur Schaffung der beab-sichtigten Lerngelegenheit ein besonderesDesign haben (s. u.). Idealerweise ist derAnker so interessant, dass er das motivier-te Arbeiten an den Problemen leitet undherausfordert. Die Schüler sollen sich in dieLage der Hauptfigur des Kurzfilmes hinein-versetzen und das vorgestellte Problem lö-sen. Das explorative Lernen ist durch dienarrative Struktur der Darstellungen einge-bettet. Die Schüler sollen Einsichten erfah-ren und durch eigenes Handeln die not-wendigen Problemlösekompetenzen aktiverwerben. Das erlernte Wissen soll somitüber den schulischen Bereich hinaus flexi-bel aufgebaut werden. Die Lernenden sollenSinnhaftigkeit, Bedeutungsgehalt und Rele-vanz des Lerninhaltes erkennen, sodass dieLösung der Problemstellung nicht nur alswichtig für einen guten Leistungsnachweisoder das Erreichen des Klassenziels erkanntwird. Die Entwicklung von Ankermediensoll sich insbes. an sieben Designprinzipienorientieren ([77], S. 45ff; s. Tab. 3). Es ist offensichtlich, dass die Entwicklungdieser AI-Ankermedien sehr hohe Kostenund sehr hohen Aufwand für Lehrkräfte und

Schule bedeutet (s.a. 3.2). Dies sind kritischeFaktoren für die Implementation solcherLernumgebungen in den Unterricht [78].

3.2 Mikrokontexte: Modified Anchored Instruction (MAI)Zwar nahm in den vergangenen Jahren dieBedeutung eines Lernens in sinnstiftendenKontexten im Rahmen einer neuen ‚Aufga-benkultur’ immer mehr zu (s. 1;[79]; [17];[80]; [81]; [82]; [18]), die lehr-lerntheore-tische Verankerung der KO in den Rahmendes Situierten Lernens, speziell der AI, unddie damit verbundene gemäßigt konstruk-tivistische Auffassung von Unterricht machtaber auch deutlich, dass mit den ge-wünschten positiven Effekten dieses An-satzes auch Schwächen verbunden sind, aufdie reagiert werden muss:• Empirischer Forschungsbedarf: Trotz

zahlreicher Analysen kann kein kohä-renter empirischer Befund angeführtwerden, der eine Überlegenheit einesAnsatzes aus dem Theorierahmen desSituierten Lernens gegenüber anderenFormen des Lehrens und Lernens auf-weist. (bzgl. AI: [83]; Überblick zum Si-tuierten Lernen: [84]; [85]; [86]).

• Mangelnde Flexibilität: Zum einen bringtjede fortgeschrittene Technologie einetechnische Unflexibilität mit sich (Fest-legung von Hardware, Betriebssystem,anderer Software), die Printmediennicht kennen. Zum anderen kommteine oft ungenügende didaktisch-in-haltliche Variabilität der Programmeselbst hinzu. Dadurch können die Vide-odisks bzw. die Multimedia-Softwaremeist nur unzureichend auf die drin-gend zu berücksichtigenden, indivi-duellen Bedürfnisse des Unterrichts vor

Ort angepasst werden (z. B. Anpassungan unterschiedliche Lernvoraussetzun-gen, insbes. in Bezug auf Komplexität,Inhalte, Sprache usw.).

• Mangelnde Praktikabilität: Die aufwän-dige Entwicklung situierter Ankerme-dien und der daraus resultierende Auf-wand an Geld und Zeit sowie der hoheAnspruch an die Lehrkräfte (Organisa-tion, Anpassung der alltäglichen Unter-richtsgestaltung an die Projektcharak-teristika, neue Lehrerrolle usw.) ma-chen eine Implementation und Weiter-entwicklung solcher Lernumgebungenaußerhalb von Großprojekten wenigpraktikabel.

Ausgehend von dieser Bedarfsanalyse wur-de ein Modifizierter Anchored Instruction-Ansatz (MAI-Ansatz) entwickelt ([17];[83]),der die Gestaltung von Ankermedien fürden Physikunterricht propagiert, die sicheinerseits an den Designprinzipien des ori-ginären AI-Ansatzes orientieren (s. Tabelle3), diese allerdings unter den Leitlinien‚Praktikabilität’ und ‚Flexibilität’ modifizie-ren (s. Abb. 1). Orientiert an einer fachdidaktisch gemä-ßigten Interpretation dieses Prinzips wer-den den o. g. Schwierigkeiten originärer An-kermedien ([54];[87]; [88]) dadurch ent-gegengewirkt, dass im Rahmen von MAIauch solche Medien als Lernanker zulässigsind, die allgemein ein affektives Formataufweisen, jedoch praktikabler und flexib-ler in der Verwendung sind und allen ande-ren AI-Designprinzipien entsprechen. Zusammenfassend unterscheidet sich MAIvon dem originären AI-Ansatz nur primärim Präsentationsformat, das im Rahmenvon MAI allgemeinere Formen haben kann.Somit behält MAI die Vorzüge des originä-ren AI-Ansatzes bei und soll seine Schwie-rigkeiten in Bezug auf spezifische Unter-richtsanwendungen zumindest vermin-dern. Anders als multimediale Ankerme-dien sind Text- bzw. Bildmedien (natürlichheute auch als Dateien) nämlich ver-gleichsweise leicht zu erstellen und zu ver-ändern. So kann, mit vertretbarem Auf-wand, die erforderliche Flexibilität in Bezugauf Unterrichts- und Personenparameter(Themen, Niveau, Länge, Offenheitsgrad,um nur die wichtigsten zu nennen) und aufsich zeitlich ändernde technische undunterrichtliche Bedingungen verwirklichtwerden. Dabei fügen sich die Vorzüge derSelbsttätigkeit und Authentizität von AInahtlos in die Charakteristika einer neuen‚Aufgabenkultur’ ein ([89]; [17]), die im

Abb. 1: MAI-Designprinzipien

vertikale und horizontaleVerknüpfung

affektivesAnkermedium

sachgleicheAufgaben

regelbare Problem-komplexität

eingebetteteDaten

aktive, selbsttätigeProblemlösung

narrative Struktur mitrealistischen Problem-

stellungen

MAI

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Rahmen von MAI eine hervorgehobene Be-deutung einnimmt. Entscheidend wird einesolche Flexibilität des MAI-Ansatzes für dasCharakteristikum der ‚sinnvollen Komple-xität’ des ursprünglichen AI-Ansatzes undsoll dadurch die Problemlösefähigkeit för-dern.Basierend auf diesem Theorierahmen bie-tet MAI aus physikdidaktischer Sicht einefür KO sinnvolle Möglichkeit der Balancevon zentraler authentischer Problemstel-lung und fachsystematischer Entwicklungder Inhalte und Arbeitsweisen.

4 ❙ Forschungsstand

● Die folgende Darstellung beginnt mit denErgebnissen aus dem Bereich des SituiertesLernens, weil es hier zum einen in Bezug aufdie Theorie der führende einschlägige An-satz aus der pädagogischen Psychologie ist,und zum anderen eine vergleichsweise brei-te empirische Basis vorliegt. Anschließendfolgt die Darstellung der Ergebnisse fachdi-daktischer Ansätze, die grob nach deren All-gemeinheitsgrad geordnet ist.

4.1 Situiertes Lernen: Thematische und soziale Kontexte

4.1.1 AI und MAIEiner der am umfangreichsten empirischuntersuchten Ansätze zum Situierten Ler-nen ist Anchored Instruction (AI; s. 3.1.3),dessen Stärke zweifelsohne die theoriege-leitete Verbindung von Kognition und Moti-vation darstellt: Bei der Bearbeitung der AI-Ankermedien soll die motivationale undkognitive Aktivierung der Lernenden Handin Hand gehen. Tatsächlich untersuchtenseit den 1990er mehr als ein Dutzend Stu-dien die Effektivität des AI-Ansatzes. In einerumfangreichen und detaillierten Meta-analyse ermittelte Blumschein eine erklärteVarianz von ω2 ≈ 0,14 (mittelgroßer Effekt4)für die Lernwirkung (gewichtetes Mittelnach [54]2). Aktuellere Untersuchungen zuAI-Ankermedien der 2. Generation (s. 3.1.3)weisen darüber hinaus ebenfalls große po-sitive Einflüsse auf die Lernleistung vonSchülern beim Lösen kontextorientierterProblemstellungen aus, mit Werten der er-klärten Varianz bis zu 0,6 [55].Trotz der umfangreichen Analysen zu AIund den damit verbundenen, auf den er-sten Blick größtenteils positiven Ergebnis-sen sind jedoch im Detail neben den in 3.2bereits genannten physikdidaktischen Kri-tikpunkten insbesondere auch empirisch-

methodologische Probleme bei den AI-Stu-dien zu erkennen. Neben der Ergebnis-heterogenität zeigen die Untersuchungenweder ein vergleichbares Studiendesignnoch vergleichbare psychometrische Mes-sinstrumente, die zudem nur unzureichendzuverlässig waren ([90]; [91]; Cronbachsα < 0.65). Außerdem zeigte sich, dass einTeil der positiven Wirkung des AI-Ansatzesnicht auf die Qualität des Ankermediums,sondern vielmehr auf die Lehrerpersönlich-keit zurückzuführen ist. Allerdings wurdedieser Faktor weder durch ein Testinstru-ment noch durch den Einsatz gleicher Lehr-kräfte kontrolliert, sodass hier auch eine Er-gebniskonfundierung vorliegt.Die empirisch-methodischen Unzuläng-lichkeiten der AI-Studien wurden in denMAI-Untersuchungen ausgeräumt. In qua-si-experimentellen Interventionsanalysenmit großem Stichprobenumfang (N >2000), sorgfältigen Kontrollmaßnahmenund aufwändigen Auswerteverfahren(Mehrebenenanalyse, Strukturgleichungs-modelle) konnten große, positive undnachhaltig andauernde Effekte auf Motiva-tion und Lernwirkung mit Zeitungsaufga-ben als MAI-Ankermedium nachgewiesenwerden (Motivation: d > 1,7; Lernleistung:d > 0,9; s. [83]). Die Verwendung von Wer-beaufgaben als MAI-Ankermedium zeigteebenfalls große positive Effekte auf die Mo-tivation der Lernenden (d = 0,4 – 1,0, jenach Zahl der verwendeten Aufgaben; vgl.[92]). Methodisch schließen die Studien zu

MAI essentielle Lücken im Theorierahmender originären ‚Anchored Instruction’: Dieverwendeten Ankermedien wurden theo-riegeleitet operationalisiert und darauf auf-bauend Tests für die entsprechende inter-venierenden Variablen entwickelt (Stich-wort „Manipulation Check“; [83]). Darüberhinaus schließen die Studien zu MAI essen-tielle Lücken im Forschungsstand zur origi-nären ‚Anchored Instruction’: Die weiterenErgebnisse reichen von der Beeinflussungder Lernwirkung durch die Schwierigkeitdes Aufgabeninstruktionstextes und dieÜberprüfung der subjektiv wahrgenom-menen Authentizität (u. a. Designprinzi-pien des Ankermediums) durch die Lernen-den („Manipulation Checks“, s. o.; [83]) bishin zu Dosis-Wirkungs-Beziehungen zwi-schen der Anzahl der verwendeten Aufga-ben und dem daraus resultierenden Effekt[92]. Somit erlauben die Untersuchungenzu MAI als eine der wenigen Arbeiten wirk-lich auch evidenzbasierte Entscheidungenzur Unterrichtsgestaltung auf Grundlagevon Ursache-Wirkungsstudien.

4.1.2 Chemie im KontextChiK ist unter den drei Geschwisterprojek-ten (s. 3.1.1) wohl empirisch am bestenuntersucht ([14]; [93]). Theoretisch wirddie KO dabei in Verbindung zum SituiertenLernen ([94]; [21]) gesehen, und die Er-gebnisse werden deshalb als Unterab-schnitt dieses Kapitels vorgestellt. Es seiaber betont, dass darüber hinaus eine Ver-

Aufgaben

1. Hältst du den Bau des Staudammesfür sinnvoll und rentabel? Schreibt ei-nen Leserbrief, in dem ihr die resultie-rende Betriebsdauer und die mit der ge-planten elektrischen Energien zu versor-genden Haushalte gegen die damit ver-bundenen Eingriffe in Umwelt und Le-benswelt abwägt.2. Verdeutlicht die Energieumwandlungam Drei-Schluchten-Staudamm durchein Modellexperiment und durch einEnergieflussdiagramm.

Abb. 2: Zeitungsaufgaben zum Themenbereich ‚Energie’ als Beispiel für ein MAI-Ankermedium

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bindung von KO und Systemorientierung(durch Basiskonzepte, s. 3.1.1) zu den Ent-wicklungsprinzipien von ChiK gehört. In Be-zug auf die Ergebnisse werden nacheinan-der folgende Aspekte behandelt: Motiva-tion, Lernen, Unterricht, Kurs- und Berufs-wahl, Implementation ([14]; [21]).Motivation: Durch ChiK konnte gegenüberherkömmlichen Unterricht für das FachChemie sowohl eine Verbesserung der all-gemeinen Lernmotivation (d = 0,32) wieder persönlichen Bedeutsamkeit (d = 0,27;Berechnung unter Berücksichtigung vonVortestunterschieden2) nachgewiesen wer-den. Zwei mögliche Einwände zu diesen Er-gebnissen sollen hier aufgegriffen werden:• Zur Methodik merken die Autoren

selbst an, dass ein Vergleich mit „her-kömmlichem Unterricht“ problema-tisch ist, da dies ein undefinierter, sehrheterogener Sammelbegriff ist, derganz verschiedene Arten von Lehrern,Klassen und Unterricht umfassen kann.Dies ist richtig, aber zum ersten wurdedie Vergleichbarkeit der Stichproben inBezug auf das sozio-ökonomische Um-feld gesichert. Zum zweiten ist es jaauch der herkömmliche Unterricht in sei-ner ganzen Bandbreite, der von demz. T. dramatischen Desinteresse derSchüler betroffen ist. Wenn gegenübereiner solchen allgemeinen Lage eine Ver-besserung belegt werden kann, so istdies sehr wohl ein Fortschritt.

• Zur Effektgröße: die o. g. Werte könn-ten für eine Unternehmung vom Um-fang von ChiK als unbefriedigend ange-sehen werden. Dies wird aber relativiertdurch merkliche Verbesserungen imWahlverhalten (s. u.).

Lernen (Selbstbeurteilung!): Auch in derBeurteilung des Lernerfolgs konnte ChiKgegenüber herkömmlichen Unterricht eineVerbesserung in Bezug auf die Fachsyste-matik (d = 0,49) und Anwendbares Wissen(ein Hauptziel von ChiK; d = 0,51) erzielen(kein signifikanter Effekt für fachüberge-ordnete Kompetenzen wie Lern- und Ar-beitsstrategien, naturwissenschaftlichesDenken). Die Effekte liegen im mittlerenGrößenbereich, sind also größer als bei derMotivation. Allerdings sind diese AussagenSelbstbewertungen der Schüler und nichtdurch eine Leistungsüberprüfung validiert(ein mit vielen Studien zur KO geteiltes Pro-blem, s. Abschnitt 5).Unterricht: Hier gab es in der Entwicklungzwischen Vor- und Nachtest keine signifi-kanten Unterschiede zur Kontrollgruppe:

• weder in der Wahrnehmung der Schwie-rigkeit und möglicher Disziplinproble-me (was wünschenswert ist; wederÜberforderung noch mögliche Schwie-rigkeiten mit offenem Unterricht kom-men hier also zum Tragen),

• noch in Bezug auf Wahrnehmung derMöglichkeit der Selbststeuerung undder Vielfalt der eingesetzten Unter-richtsmethoden (was unerwartet ist, dadies Kernelemente der Unterrichtskon-zeption von ChiK sind).

Die ChiK-Vertreter deuten dies so, dassLehrkräfte, die sich für die Teilnahme amProjekt und damit für eine KO entscheiden,schon vorher Aspekte guten Unterrichteswie die o. g. verwirklicht hatten (zumindestin der Wahrnehmung ihrer Schüler), sodasszwar schon die Möglichkeit z. B. der Selbst-steuerung in den ChiK-Klassen höher ein-gestuft wurde, aber eben schon vor derIntervention; das ist dann nicht deren Ef-fekt, sondern der Lehrerkompetenz. Kurs und Berufswahl: Schließlich wollenSchüler nach dem ChiK-Unterricht deutlichhäufiger einen Grund- oder Leistungskursin Chemie belegen als nach herkömmlichenUnterricht (d = 0,6; Berechnung nach Häu-figkeiten nach der konservativeren Logit-Methode2). Projekte vom Typus „Naturwissenschaftenim Kontext“ werden durch Politik und Wirt-schaft mit dem erklärten (und nachvoll-ziehbaren) Ziel gefördert, qualifizierte Ar-beitskräfte (bis hin zur Forschung) in die-sem Bereich zu gewinnen, gegen das satt-sam bekannte Desinteresse von Schülern indiesem Bereich. Sowohl für Studium wieBeruf mit Verbindung zur Chemie hat ChiK[14] ähnliche Erfolge wie bei der Kurswahlvorzuweisen.Für langfristige Optionen in der Lebenspla-nung scheint ChiK doch wichtiger zu sein,als die relativ kleinen Effektstärken bei derMotivation (s. o.) vermuten lassen. Dies istein interessanter – und durch weitere For-schung – erklärungsbedürftiger Umstand:ist hier u. U. eine weitere Differenzierungdes Motivationsbegriff verborgen?

4.2 Fächerübergreifende KontexteFächerübergreifender Unterricht (FU) wirdhier nach Labudde [95] als Oberbegriff (fürfächerverbindend, -überschreitend etc.)benutzt. Einer der wichtigsten Gründe, diefür FU angeführt werden, ist der Reichtuman Kontexten, die damit erschlossen wer-den können, und die damit verbundenenVorteile für Lernen und Motivation. Mit die-

sem thematischen Reichtum verbunden istaber auch die methodische Schwierigkeiteiner großen Heterogenität von FU ([95];[96]), sodass die Generalisierung von For-schungsbefunden und Schlussfolgerungendaraus nur in begrenztem Umfang möglichsind. Einige aufschlussreiche Allgemein-aussagen in Bezug auf die Förderung vonInteresse und Lernen, sowie auf den wis-senschaftstheoretischen Hintergrund derKO durch fächerübergreifenden Unterrichtwerden im Folgenden angeführt.

Förderung von Interesse und LernenDie wohl größte und aussagekräftigsteUntersuchung zu dieser Frage liegt mit derIPN-Interessenstudie [26] vor. Sie weistüberzeugend nach, dass sich durch Wahlgeeigneter fächerübergreifender Kontextedas Physik-Interesse auch der Schülerinnenüber die Klassen 5 bis 10 wecken oder so-gar steigern lässt. Abb. 3 belegt einen ge-radezu durchschlagenden Erfolg (am Bsp.des Themas ‘Druck’): Mit einem medizini-schen Kontext steigert sich das Interessespeziell der Schülerinnen für Physik sogar,und dies gegen die bekannte starke Ten-denz abnehmenden allgemeinen Schulin-teresses mit Beginn der Pubertät! Gleich-zeitig ist das Interesse der Schüler an die-sem Kontext mit dem der Schülerinnen ver-gleichbar und über den Erhebungszeitraumstabil. Auf sehr guter Datenbasis (Längsschnitt-studie über 6 Jahre, Stichprobengrößeknapp 10000) wurden drei Kontext-Berei-che mit dieser günstigen Wirkung ausge-macht, die sämtlich in den Bereich des FUfallen:a) Lebenswissenschaften ( z. B. „Wärme-

haushalt der Tiere“ , s. a. Abb. 3); b) Geowissenschaften (Naturphänomene

wie „Himmelsfarben“, „Gewitter“);c) Astronomie, Astrophysik.Der FU sieht sich mit der berechtigten Fra-ge konfrontiert, ob das rein fachliche Lernenmindestens ebenso gut gelingt wie im kon-ventionellen Unterricht. Hierzu gibt es eineVielzahl von Studien mit widersprechendenAntworten. In dieser empirisch unklaren Si-tuation können aber immerhin zwei sichereAussagen gemacht werden [97]:• Auch rein fachlich erfolgreiches Lernen

im FU ist unzweifelhaft möglich, s. etwaAbschnitt 4.3 zum STS-Ansatz. Gute Be-lege hierfür bieten auch die Arbeitender Gruppe von Wiesner (z. B. [98]; [99];auch mit überzeugenden Daten zurInteressenförderung). Eine Besonder-

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heit dieser Gruppe ist, dass gemeinsammit der empirischen Prüfung auch einesehr umfangreiche und in der Praxis äu-ßerst positive fachdidaktische Entwick-lungsarbeit geleistet wurde.

• Erfolg und Misserfolg haben häufigmehr mit anderen, nicht FU-spezifi-schen Faktoren zu tun, als mit dem fä-cherübergreifenden Ansatz als sol-chem. Zu solchen Faktoren erfolgrei-chen Unterrichtes liegt zunehmend ei-gene, sehr bedeutsame Forschung undevidenzbasierte Literatur für die Praxisvor [100].

In Bezug auf die Förderung übergeordneteraußerfachlicher und innerwissenschaft-licher Kompetenzen ist die empirische Lagenoch schlechter [97]. Unter den wenigensystematischen Untersuchungen hierzusind wiederum die Arbeiten zum STS-An-satz besonders zu nennen (s. 4.3).

Wissenschaftstheoretischer HintergrundKontexte und deren Komplementarität.Zwei renommierte Fachgesellschaften fürNaturwissenschaften (GdNÄ, Gesellschaftdeutscher Naturforscher und Ärzte) undNaturwissenschaftsdidaktik (MNU) habeneine aufschlussreiche Untersuchung überkonzeptionelles und methodisches Reper-toire der verschiedenen Naturwissenschaf-ten in Auftrag gegeben [101]. Nach derenErgebnissen entfällt bei gemeinsamengrundlegenden naturwissenschaftlichen Be-griffen und Arbeitsweisen (N = 107 inkl.Mehrfachnennungen; z. B. ‘Energie’, ‘Inva-rianz’) auf die Physik ein größerer Anteil, alsauf alle anderen Naturwissenschaften zu-sammen (Physik: 59 %, Chemie: 30 %, Bio-logie: 10 %, Geowissenschaften: 1 %). Um-gekehrt verhält es sich bei den wichtigstenallgemeinwissenschaftlichen (und z. T. all-tagsweltlichen) Begriffen und Arbeitswei-sen (N = 184 inkl. Mehrfachnennungen; z. B.‘Leben’, ‘Umwelt’), wo die Biologie mehrBeiträge liefert als Physik und Chemie (Phy:23 %, Che: 24 %, Bio: 30 %; Differenz zu100 % durch andere Fächer).Dies weist – durch eine quantitative Be-griffsanalyse gestützt! – auf die komple-mentären Funktionen der Naturwissen-schaften auch in den Bezug auf die KO: Zumeinen eine Grundlagenfunktion der Physik,die sie für das Verständnis von Grundbe-griffen und Grundformen wissenschaft-lichen Denkens und Arbeitens wichtigmacht. Zum andern eine Einbettungsfunk-tion der Biologie, die für die Naturwissen-schaften den größten Beitrag zu Allge-

meinwissen und allgemeinen Zusammen-hängen liefert. Die Physik dominiert also inBezug auf den gemeinsamen konzeptio-nellen und theoretischen Kontext der Na-turwissenschaften, die Biologie in Bezugauf den Kontext ‘Lebenswelt/Alltagsbezug’.Diese „Komplementarität der Kontexte“ istauch ein für den FU zu beachtender (und zunutzender) Sachverhalt.

4.3 Gesellschaftliche, politische, ethi-sche Kontexte: Der STS-AnsatzEine Auswertung zu den ersten 1½ Deka-den zum STS-Ansatz als besondere Formder KO durch fächerübergreifenden Unter-richt und zu einem breiten Spektrum vonFragestellungen durch Aikenhead ([56];[57]) kommt u. a. zu folgenden Ergebnissen(ausführlicher und mit weiterer Literatur in[97]): Es gibt • positive Einflüsse auf das Fachwissen

und die beabsichtigte Einsicht in Zu-sammenhänge von Naturwissenschaft,Technik und Gesellschaft. Vorausset-zung ist, dass im Unterricht auch aufden ersten (konventionellen) BereichWert gelegt wird und geeignete Unter-richtsmaterialien vorliegen.

• positive Einflüsse auf Einstellungen(Selbstvertrauen, Verantwortlichkeit)und Fachinteresse

• keinen negativen Einfluss auf die Stu-dierfähigkeit.

Ein aktueller Review-Artikel (mit meta-ana-lytischem Einschlag [103]) belegt diesegrundsätzlich positive Tendenz, präzisiertaber auch Anlässe zur kritischen Bewertung(s. a. 5). Die Ergebnisse von 17 ausgewer-teten Vergleichsstudien (STS/KO vs. kon-ventioneller Unterricht) mit mindestensmittlerer methodischer Qualität (darin ent-halten 12 Ergebnisse zu Verständnis, neunzu Einstellungen) lauten wie folgt: Verständnis („understanding“): Vergleich-bare Ergebnisse berichten ca. acht Studien,vier Untersuchungen eine Verbesserung.Nur bei zwei (!) der letzteren liegen statisti-sche Angaben vor, die eine Berechnung vonEffektstärken erlauben (das ist hinfällig beiersteren, d. h. bei einem 0-Ergebnis). Wint-her u. Volk [104] finden einen mittleren Ef-fekt (d = 0,63), Yager u. Weld [69] einen sehrgroßen Effekt (d = 1,52). Einstellungen („attitudes“): Vergleichba-re Ergebnisse von STS- und Kontrollgrup-pen berichtet eine Studie, eine Untersu-chung diagnostiziert eine Verschlechte-rung, sieben eine Verbesserung. Wiederumnur bei einer einzigen (!) der letzteren lie-

gen statistische Angaben vor, die eine Be-rechnung von Effektstärken erlauben, näm-lich ein mittlerer Effekt (d = 0,67 [69]). An-zumerken ist noch, dass die methodischeQualität bzgl. Verständnis und Einstellun-gen lediglich für diese einzige Studie durch-wegs mit „hoch“ bewertet wurde.

5 ❙ Kritische Diskussion

● Anhand der konkreten Beispiele und Er-gebnisse (Abschnitte 3 und 4; insbes. dergut untersuchte Iowa-STS-Ansatz [69]) las-sen sich mehrere wichtige Probleme her-ausarbeiten, mit welchen eine Ausein-andersetzung für eine erfolgreiche Umset-zung und Weiterentwicklung von KO un-umgänglich ist. Sie sind praktischer, me-thodischer und konzeptioneller Art undwerden im Folgenden diskutiert (grob indieser Reihenfolge, die Probleme sind nichtganz unabhängig voneinander).

Makrokontexte vs. MikrokontexteDiese Problematik umfasst einen prakti-schen (mit dem vorgenannten Punkt ver-bundenen) Aspekt, aber auch methodischeund konzeptionelle Gesichtspunkte. In derÜbersichtsarbeit von Bennett et al. [103]etwa betreffen 15 der 17 ausgewertetenArbeiten die Entwicklung von Gesamtent-würfen mit einer Unterrichtsdauer von min-

Abb. 3: Entwicklung des Interesses (Anteil derSchülerinnen mit großem oder sehr großem Inter-esse) für verschiedene Anwendungsbereiche derPhysik (Thema Druck) über die Klassen 5 bis 10hinweg. Kurve 2: Anwendungsbereich Technik:Förderpumpe für Erdöl; Kurve 7: Anwendungsbe-reich Medizin: Herz als „Blutpumpe“ ([102]; dortauch Diskussion der anderen Kurven)

100

90

80

70

60

50

40

30

20

10

04 5 6 7 8 9 10 11

Schülerinnen

Klassenstufe

1

1

2

2

33

6

6

7

7

99

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destens einem Jahr, und nur zwei kürzereEntwicklungen i. S. von Anreicherungsma-terialien („enrichment modules“). Die Stu-die von Yager und Weld [69] zeigt aber sehrdeutlich, dass die Entwicklung solcher Ge-samtentwürfe (Makrokontexte) eine weit-gehende Anpassung der alltäglichen Unter-richtsgestaltung an die jeweilige Projekt-charakteristika erfordern (s. Tab. 2). Darausresultiert, dass eine KO durch die Umset-zung von Makrokontexten einen z. T. mas-siv erhöhten Aufwand an Organisation undRessourcen für Lehrkraft und Schule dar-stellt (s.a. 3.1.3, 3.2), und darüber hinausnoch an die Kompetenz der Lehrkraft. So-mit wird auch plausibel, dass der Erfolg ei-nes solchen kontextorientierten Unter-richts nicht selten mehr von der Lehrerper-sönlichkeit abhängt und weniger vom Lern-medium selbst (s. 3.1.3). Selbstverständ-lich soll mit solchen Unterrichtsprojektengerade auch eine Förderung ganz verschie-dener Kompetenzbereiche erreicht werden.Methodologisch folgt aber daraus sofort,dass ein Treatment-Mix vorliegt, der me-thodisch gut kontrolliert sein muss, wennvalide Aussagen und Empfehlungen durchdamit durchgeführte empirische Studiengetroffen werden sollen.Demgegenüber stehen Mikrokontexte, diesich organisatorisch einfach in den alltäg-lichen Unterricht einbinden lassen und zu de-nen eindeutige, theoretisch fundierte undempirisch belegte Ergebnisse vorliegen, dieder Lehrkraft evidenzbasierte Entscheidun-gen ermöglichen. Ebenso plausibel ist aberauch, dass mit der Verwendung einzelnerMikrokontexte kein Anspruch auf eine brei-te Förderung von Kompetenzen aus jedemKompetenzbereich beansprucht werdenkann. Demnach ist es erforderlich und mög-lich, durch den Einsatz ausgewählter Mikro-kontexte die Lerngruppe kompetenzspezi-fisch zu fördern. Insgesamt dürfen Makro-und Mikro-Kontexte nicht konkurrierend be-trachtet werden, sondern die Lehrkraft kannsich je nach Intention und Zielstellung ihresUnterrichts für Projekte aus der einen oderder anderen Gruppe entscheiden.

II. KO vs. Fachwissen/-systematikWährend nun einerseits der Lebensweltbe-zug in einem streng fachsystematisch aus-gerichteten Unterricht nicht selten zu kurzkommt und dadurch „träges Wissen“ er-zeugt wird, werden andererseits kontext-orientierten Unterrichtsansätzen eine nuroberflächliche, unsystematische Analysedes Unterrichtsthemas und eine Vernach-

lässigung physikalischer Inhalten und Ar-beitsweisen unterstellt. Eine wesentlicheGrundlage von Kompetenz ist aber geradeSachwissen und Fachwissen. Das heißt eineKO, die diesem Faktor nicht gerecht wird,verspielt – theoretisch vorhersagbar undempirisch nachprüfbar – die bestehendeChance zur Steigerung der Motivation.Es wird schnell klar, dass eine Verbesserungnaturwissenschaftlichen Unterrichts nichtdurch die Dominanz oder gar den Absolut-heitsanspruch eines der Ansätze erreichtwerden kann. Vielmehr gilt es sowohl in derFachdidaktik als auch in der Lehr-Lern-For-schung mittlerweile als unbestritten, dassnur eine Verzahnung beider Ansätze ziel-führend sein kann ([26]; [105]). Für denPhysikunterricht bedeutet dies, dass einer-seits authentische Problemstellungen alsAusgangspunkt dienen und ins Zentrumdes Unterrichtsgeschehens rücken. Ande-rerseits müssen die Kompetenzen der Schü-ler während des Erschließens der authenti-schen Problemstellung orientiert an der ge-gliederten Struktur des fachsystematischphysikalischen Wissensnetzes entwickeltwerden.

III. Mangel an Empirie, MethodischeMängel: Schwerwiegender noch als die vorgenann-te methodische Schwierigkeit ist ein echterMangel an quantitativ-empirischen, me-thodisch sauberen Ergebnissen. Zunächsteinmal gibt es überhaupt absolut und rela-tiv zu wenig solche Arbeiten, was z. B. beiBennett et al. [103] als der aktuellsten Über-sichtsarbeit zu KO und STS deutlich her-auszuhören ist, und mit den Daten zur de-ren Studienstichprobe quantitativ nochdeutlicher gemacht werden kann: sukzessi-ve ergibt sich eine „Ausdünnung“ von 1) ca.2500 Arbeiten zum Themenbereich KO/STSim naturwissenschaftlichen Unterricht ausdem anfänglichen Suchergebnis über Stan-dard-Literaturdatenbanken, zu 2) 17(!!) Ar-beiten mit geplantem experimenteller Vor-gehensweise („Design“) hoher methodi-scher Qualität, 3) davon 3 mit statistischerAnalyse zu Motivationseffekten, 2 zu Lern-effekten, und eine einzige zu beiden Effek-ten und schließlich 4) keine einzige Arbeit (!!)mit der Angabe von Effektstärken. Man stel-le sich dies in der Medizin vor: 2500 Arbei-ten zu einer Maßnahme, in denen entwi-ckelt, propagiert oder kritisiert und ange-wendet wird, und eine Handvoll (!!!) in de-nen Heilungs- und Gesundheitseffekte mitanerkannten Standardmethoden doku-

mentiert werden. Wo auch immer man sichin der Debatte qualitativ-quantitativ posi-tioniert: ein Anteil in der Größenordnungvon Promille von Arbeiten mit statistischerAnalyse zu einem Thema von so hoher Be-deutung wie KO kann nur als katastrophalbezeichnet werden. Es scheint undenkbar,bei den bestehenden und künftigen For-schungsfragen (s. Abschnitt 6) ohne solcheArbeiten weiterkommen zu können.

6 ❙ Zusammenfassung und Ausblick

● Die Ergebnisse der vorliegenden Über-sichtsarbeit können wie folgt zusammen-gefasst werden. Zum Ersten, dass u. E. Kon-textorientierung inhaltlich so reichhaltigeund didaktisch so aussichtsreiche Möglich-keiten der Unterrichtsentwicklung mit z. T.so interessanten Aspekten umfasst, dass dieBeschäftigung damit auch für viele Lehr-kräfte selbst motivierend und intellektuellbereichernd sein kann (und nicht allein fürihre Schüler). Wir hoffen, dass dies anhandder vorgestellten Beispiele und Ergebnisseüberzeugend nachvollziehbar wird.Zum Zweiten der Schluss, sich hier nichtmehr auf althergebrachte Scheinalternati-ven und -debatten („Kontext- oder Sys-temorientierung“, „Makro- vs. Mikrokon-texte“) einzulassen; es gibt jeweils erfolg-reiche Beispiele über sehr (!) weite Bereichedieser polaren Übergänge (z. B. STS bei Ma-krokontexten, MAI bei Mikrokontexten). Eskommt darauf an, dass diese Möglichkeitenin ihrer thematischen und methodischen Viel-falt ver- und untersucht werden, damitmöglichst viele Lehrer mit ihren unter-schiedlichen Präferenzen Gewinn für ihrenUnterricht davon haben, und dass dies mitmethodisch guter Empirie, damit dabei auchdie bestmögliche Verlässlichkeit und Ver-allgemeinerbarkeit gegeben ist. Dies führt zu den nächsten Punkten: ZumDritten der Umstand, dass für ein Themawie Kontextorientierung (stellvertretend fürdie anderen Themen z. B. in diesem Heft)die Verbindung von Forschungsansätzenaus der Fachdidaktik und aus der Pädagogi-schen Psychologie (u. a. Motivation, Lernenund Methodik!) sehr weiterführend und so-gar (wie die Autoren glauben) unentbehr-lich ist. Dies mag für viele heute selbstver-ständlich erscheinen, spiegelt sich aber z. B.in der Literatur zur KO keineswegs durch-gängig wider; hier bleiben noch viele Chan-cen ungenutzt (s. 5). Viertens und letztensschließlich theoretisch interessante undpraktisch wichtige Forschungsdesiderate

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zum Thema KO. Mit den heute bekanntenErgebnissen (s. 4) muss man hier ja keines-wegs mehr „im Trüben stochern“, sondernsolche Forschungsdesiderate können rechtgenau benannt werden (und sie gewinnensehr von der Verbindung von Fachdidaktikund Pädagogischer Psychologie), etwa:• Können Lern- und Motivationsförde-

rung durch Weltbild-bezogene Kon-texte (z. B. Astronomie, s. 4.2) empi-risch nachgewiesen werden?

• Wie verhalten sich KO und „CognitiveLoad“? Kann man Hinweise für ein sinn-volles „Austarieren“ der beiden Fakto-ren finden? (erste Ergebnisse dazu: s.[83])

• Wie lassen sich KO und andere bekann-te, förderliche Unterrichtsmaßnahmen(Schülerexperimente, Kleingruppenar-beit u. a. m) kombinieren und die in derKombination analysieren?

Die Autoren sehen in solchen Fragen fach-didaktischer Forschung und Entwicklung einoffensichtliches, hohes Interesse, und auchden Wert der Verbindung zur pädagogi-schen Psychologie. Eine Weiterentwicklungder KO im Wechselspiel zwischen Forschungund praktischer Anwendung scheint unsdeshalb als sehr lohnenswertes Ziel.

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Anschrift der VerfasserPD Dr. habil. J. Kuhn, Prof. Dr. A. Müller, Prof. Dr. W.Müller, Dr. P. Vogt, Universität Koblenz-Landau, Cam-pus Landau, Institut für Naturwissenschaften undnaturwissenschaftlichen Bildung (INnB)/LehreinheitPhysik, Fortstr. 7, 76829 LandauE-Mail: [email protected]

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Page 13: PdN-PhiS 5/59. Jg. 2010 13 Kontextorientierter ... · PdN-PhiS 5/59. Jg. 2010 Fachdidaktische Forschungsergebnisse 13 1 Einleitung Der naturwissenschaftliche Unterricht stand in den

Fachdidaktische Forschungsergebnisse 25PdN-PhiS 5/59. Jg. 2010

Kasten Effektstärken

Zur Beurteilung der Größe und Bedeutsamkeit eines empirisch analysierten Ergebnisses haben sich in der Lehr-Lern-Forschung Effektstärkemaße eta-bliert. An dieser Stelle sollen die gängigsten und in diesem Beitrag verwendeten Maße übersichtlich erläutert werden:

• Ein vielfältig verwendetes Effektstärkemaß, z. B. zur Ermittlung der praktischen Bedeutsamkeit von Unterschieden zwischen Mittelwerten (MW)von Experimentalgruppen (EG) und Kontrollgruppen (KG), ist das sog. Cohen’s d (vgl. [1, S. 568]):

mit

(N: Stichprobenumfang SD: Standardabweichung)(SDP ist dabei die beste Schätzung der Standardabweichung der Gesamtstichprobe aus den Werten SDKG, SDEG der Teilstichproben, unter der An-nahme, dass diese der gleichen Normalverteilung unterliegen).Anschaulich kann dieses Maß als Signal-Rausch-Verhältnis interpretiert werden, in Anlehnung an die entsprechende Größe in der Technik. Ein-schlägige Ergebnisse sind die sog. „Bloom-Benchmark“, die die Lernwirksamkeit von Einzelunterricht verglichen mit Klassenunterricht mit einemEffekt von d ≈ 2,0 ausweist sowie der Unterschied zwischen Lernenden aus Deutschland und Singapur bzgl. naturwissenschaftlicher Arbeitswei-sen bei TIMSS 1999 mit einem Effekt von d ≈ 0,8. Als konventionelle Richtwerte auf Grundlage einer großen Anzahl von Studien in Sozial- und Er-ziehungswissenschaften werden dabei nach [2] die Effekte in kleine (0,2 ≤ d < 0,5), mittlere (0,5 ≤ d < 0,8) und große Effekte (0,8 ≤ d) eingeteilt.

• Beim Einsatz von Varianzanalysen sollte sinnvollerweise das auf die Population korrigierte Effektstärkemaß ω2 verwendet werden [3]:

Nach [2] werden die Effekte in kleine (0,01 < ω2 ≤ 0,06), mittelgroße (0.06 < ω2 ≤ 0.14) und große Effekte (0.14 < ω2) eingeteilt. Anschaulichwird diese Größe auch als Anteil an aufgeklärter Varianz interpretiert.

Die beiden Effektstärkemaße können für N � 1 wie folgt ineinander übergeführt werden:

Literatur:[1] J. Bortz u. H. Döring: Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler (3. Auflage), Springer Verlag, Berlin, Heidel-

berg, New York 2002).[2] J. Cohen: Statistical Power Analysis for the Behavioral Sciences, Lawrence Erlbaum, Hillsdale(NJ) 1988.[3] B. Wolf: Effektstärkenmaße, in D. Rost (Hrsg.): Handwörterbuch der Pädagogischen Psychologie (S. 96-102), Beltz Psychologie VerlagsUnion,

Weinheim 2001.

ω22

2 41=

+>>d

dN( )für

ω2 = erklärte VarianzGesamtvarianz

SDN SD N SD

N NpEG EG KG KG

EG KG

=−( ) + −( )

+ −1 1

2

2 2

dMW MW

SD=

−EG KG

p

groß ( = 0,8)

mittel (0,5 = < 0,8)

klein (0,2 = < 0,5)

d

d

d

Bloom-Benchmark(Einzelunterricht)

TIMSSSingapur vs.Deutschland

2,0

1,5

0,5

0,0

Effektstärke Cohens d

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