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One-way Ticket to Detroit Sport, Spaß, Sex und Gewalt in 17 True Stories. Österreichs legendärer Leichtathlet erzählt aus seinem bewegten Leben in den USA Ernst Soudek Falter Verlag

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One-way Ticketto Detroit

Sport, Spaß, Sex und Gewalt in 17 True Stories.

Österreichs legendärer Leichtathlet erzählt

aus seinem bewegten Leben in den USA

Ernst Soudek

Falter Verlag

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Ernst Soudek

One-way Ticket to Detroit

Sport, Spaß, Sex und Gewalt in 17 True Stories. Österreichs legendärer Leichtathlet

erzählt aus seinem bewegten Leben in den USA

Mit Illustrationen von PM Hoffmann

Falter Verlag

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ISBN 978-3-85439-492-1© 2013 Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.1011 Wien, Marc-Aurel-Straße 9Tel. +43/1/536 60-0, Fax +43/1/536 60-935E-Mail/Verlag: [email protected]/Bestellungen: [email protected]: faltershop.atAlle Rechte vorbehalten.

Autor: Ernst SoudekCover und Illustrationen: PM HoffmannFotos: CORBIS/Bettmann (Seite 9 unten, 17 unten); Privatarchiv Ernst Soudek (Seite 8, 9 oben, 10, 12, 13, 14, 15 oben, 16, 17 oben, 18); Foto Sündhofer (Seite 11, 15 unten); University of Michigan (Seite 7) Lektorat: Helmut GutbrunnerGrafik und Layout: Marion GroßschädlProduktion: Susanne SchwameisGedruckt in der EU

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 20

One-way Ticket to Detroit 25

Joanna und ihr Wrestler. Als ich meine Muse an Dick the Bruiser verlor 33

Der Überfall in der Unterführung 41

Sandra von V. und der Abtreibungsarzt 49

Studentenleben in Michigan 63

Ein Sommer in Toronto: Totschlag aus Notwehr 75Der Mann, der keine Feinde hatte 87

Intermezzo in Tokio 103

Zwei Fäuste wie Waffen 119

Als Lester Bird keinen Haarschnitt bekommen konnte 127

Bill Adams: Polizist und Rassist aus Alabama 139Der rassistische Schäferhund Gustav 145

Der gute Kamerad. Oder: Der unsinnige Tod des Leutnants George Canamere 151

Der Selbstmord des deutschen Literaturprofessors Robert Kahn in Texas. Eine Klarstellung 161

Terror am Turner Mountain 175

Der gefährdete Fußballschiedsrichter Edgar Soudek 183

Der hilfreiche „Kaiser von Wien“. Wie Helmut Zilk es für mich richtete 193

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Zwei Fäuste wie Waffen

“A policeman could fire a Bubba Bullet, penetrate thick layers of glass or a metal car door. In a recent test in Virginia, a standard .223 Bubba Bullet inf licted a wound cavity in a soap block that was equal to the size of a baseball.” (Onlinebericht von GoUpstate.com, Spartanburg, 2007)

(Ein Polizist könnte ein Bubba-Beal-Geschoß abfeuern und mit ihm eine dicke Glasplatte oder die Metalltüre eines Autos durchschlagen. Bei einem kürzlich durchgeführten Test in Virginia verursachte ein gängiges .223-(Zoll-)Bubba-Geschoß in einem Seifenblock eine Aushöhlung, die einer Fleischwunde in der Größe eines Baseballs entsprach.)

„Bubba“ Harold Beal war der potenziell gefährlichste Mensch, den ich jemals kennenlernte, und ich war immer froh darüber, dass er vielleicht Zwangsneurotiker, aber im Grunde genom-men ein sozial gut integrierter, gutmütiger Mensch war, der großzügig allerlei Tiere in Zoos sponserte, wohltätige Organi-sationen finanziell unterstützte und sich im Allgemeinen sehr altruistisch benahm. Und trotzdem symbolisierte er für mich immer die dualistische, zwiespältige Natur des konservativen Amerikaners per se.

Ich lernte Bubba 1966 beim „Jesse Owens Memorial Track and Field Meeting“ in Columbus, Ohio kennen, bei dem ich das Diskuswerfen in den drei vorangegangenen Jahren gewonnen und einen gewissen Celebritystatus erreicht hatte. Bubba war ein guter Diskuswerfer, doch betrieb er diesen Sportzweig nur als Nebenhobby. Sein Haupthobby, eigentlich seine Berufung,

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war Kyokushin-Karate, und darin war er Träger des Schwarzen Gürtels fünften (und somit höchsten im Wettkampf erreich-baren) Dan-Grades. Bei mir war das Gegenteil der Fall: Ich hatte im Dojo Kobayashi in Ann Arbor, wo ich an der Univer-sity of Michigan Anglistik studierte, zwei Jahre lang Karate als Beweglichkeits- und Ausgleichstraining für mein sportliches Hauptinteresse, das Diskuswerfen, ausgeübt.

Vom Aussehen her hätte Bubba ein Filmstar sein können: einsneunzig groß, muskulöse, aber schlanke Figur, neunzig Kilo Gewicht, mit einem fast knabenhaft wirkenden, zu seinem kan-tigen, durchtrainierten Körper in scharfem Kontrast stehenden Gesicht. Manche nannten ihn „Babyface Bubba“. Er entsprach dem Idealtyp des „heiteren und friedlichen, aber wehrhaften Menschen“, wie ihn der Großmeister Oyama Masutatsu in sei-nem Hauptwerk „Der Kyokushin-Karate-Weg“ beschreibt.

Was meine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte, waren die Wur-zelknochen seiner beiden Mittelfinger. So etwas hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen: Sie waren mit einer dicken, knochenharten Schwiele überzogen und ragten circa einein-halb Zentimeter über die anderen Knöchel seiner Hände hin-aus. Sie zögen – so versicherte er mir – nicht nur bei Leicht-athletikmeetings die Blicke der Anwesenden auf sich, sondern überall, wo er sich gerade befände.

Waren sie die Folge einer Krankheit, fragte ich ihn. Nein, antwortete er, nur das Resultat eines Spezialtrainings. Er hatte ein langes, zwanzig Zentimeter breites und entsprechend dickes Brett mit Bast bespannt und an einer Wand seines Trai-ningsraumes befestigt. Auf dieses schlug er täglich mehrere tausend Male mit jeder Hand in der Art eines „straight jab“ ein, wie die Boxer diesen Schlag nennen. Anfangs blutete er stark, aber mit der Zeit bildete sich auf den Mittelfingerknöcheln Schwielen, die immer größer und härter wurden, sodass seine Hände schließlich zu „bionic brass knuckles“, Schlagringen aus Lebendmasse, wurden. Im Zusammenhang mit seinem Ruf als

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Karateka musste er sie in seiner Heimatstadt Charleston, South Carolina bei der Polizei als Waffen registrieren lassen.

Ich forderte Bubba auf, mir einen leichten Schlag auf die Brust zu geben, in der Meinung, dass ich als Abgehärteter diese in einem Knöchel konzentrierte Kraft wohl leicht „verdauen“ würde, aber er weigerte sich: “No, Ernie, you would be dead.” Damals lachte ich, aber später verstand ich, was er meinte, und erkannte, dass er nicht übertrieb.

Bubba war zu diesem Zeitpunkt vierundzwanzig Jahre alt, hatte bereits ein Technikstudium an der University of Ten-nessee in Knoxville abgeschlossen und arbeitete an einem MBA-Diplom. Sein Vater besaß eine gutgehende Fabrik, in der hauptsächlich Nylonstrümpfe hergestellt wurden. Dement-sprechend hatte mein Freund ein relativ sorgenfreies Leben, das es ihm ermöglichte, Studium, Sport und auch so manche etwas seltsam anmutende Hobbys auszuüben.

Da wir bei dem Meeting in Columbus im gleichen Hotel über-nachteten, lud er mich und meinen Bruder Edgar, der extra aus Wien angereist war, um seinen „kleinen Bruder“ bei einem mög-lichen Rekordwurf zu filmen, auf ein Bier in sein Zimmer ein. Als wir eintraten, Edgar zuerst, dann ich, und die Tür hinter uns schlossen, hörte ich nur ein „Ernie, hold still!“ und dann ein Zischen und einen Aufprall an der Tür. Wir, Edgar und ich, dreh-ten uns um und erblassten: im hölzernen Türblatt, circa zwan-zig Zentimeter neben der Stelle, an der kurz zuvor noch meine linke Schulter war, steckte bis zur Hälfte ein Silberdollar, dessen Kante rundherum rasiermesserscharf geschliffen war.

„Bubba, are you out of your fucking mind?“, brachte ich sto-ckend gerade noch hervor, während meines Bruders Gesicht langsam wieder Farbe annahm. „Ah, come on, Ernie, I practice this a lot, a Shinobi Master taught me, and I am very accurate, never miss the target by more than a couple inches“, versuchte der jetzt etwas verlegen grinsende Bubba uns zu beruhigen. Er nahm eine Zange aus einer Sporttasche, zog den Silberdol-

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lar aus der Türe, malte dann mit einem Farbstift einen roten Kreis mit circa zwanzig Zentimetern Durchmesser auf diese und holte weitere fünf Silberdollar-Waffen aus seiner Tasche. Dann ging er an das andere Ende des Zimmers.

„Watch this“, sagte er, klemmte sich eines der Silberstü-cke zwischen Zeige- und Mittelfinger und warf es mit einer unglaublichen Schnelligkeit und mit einer aus der Verdre-hung des Handgelenks resultierenden Schleuderwirkung in den aufgemalten Kreis. Innerhalb weniger Sekunden landeten die anderen Silberdollar ebenda; keiner verfehlte das Ziel. Das beruhigte Edgar und mich einigermaßen, doch konnte ich in den Augen meines Bruders und an seiner gerunzelten Stirn die stille Frage ablesen: Bruder, zu welchem Psychopathen hast du mich da geführt?

Wir übten das Münzenschleudern dann auch, schnitten uns dabei aber in die Finger und trafen nur die Zimmerdecke, nicht aber die Tür, geschweige denn den kleinen aufgemalten Kreis. Was würde passieren, fragte ich Bubba, wenn du die geschlif-fene Münze gezielt auf einen Menschen werfen würdest? „If I’d throw it at his neck, the coin would go right through it and possibly sever the spine“, antwortete er. Edgar wollte sich ver-abschieden, aber ich hielt ihn zurück. „But I would never do that“, beruhigte Bubba, „I am a Zen-Buddhist. We are defensi-vely oriented and would never hurt anybody on purpose.“

Möglicherweise war Bubba wirklich ein Psychopath, sicher war er einigermaßen paranoid veranlagt, ohne es zu wissen. Er hätte bestimmt im besten Zirkus der Welt auftreten können, aber wie ich schon sagte, solange ich ihn kannte, und das waren immerhin fast dreißig Jahre, initiierte er keinerlei kriminelle oder aggressive Handlungen. Bei einem Gericht in Toledo, Ohio, musste er sich aber doch einmal verantworten, weil er dort in einen schier unglaublich wirkenden Vorfall verwickelt war.

Er erzählte mir, dass er nach einem Karateturnier in der zweitgrößten Stadt Ohios in einem Lokal an der Theke saß, die

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Hände mit den vernarbten, stark hervortretenden Knöcheln deutlich sichtbar, und ein Budweiser-Bier trank, als ihn ein kleiner Latino, wahrscheinlich mexikanischer Abstammung, anrempelte und zu ihm sagte: “Man, you think you are tough? I fight you anytime, you chickenshit. Even my mother can kick your ass!” Bubba – mit sich, seinem Bier und der Welt in Frie-den – versuchte den kleinen Mann zu ignorieren, doch dieser gab nicht auf: “Ah, you afraid of me, eh? I kick shit out of you right now!” Er begann auf Bubba loszudreschen, und als dieser leichte Abwehrbewegungen machte, kam der Kellner dazwi-schen: “No fights in here, gentlemen! Go outside!”

Der Latino provozierte Bubba so lange, bis dieser schließ-lich mit ihm vor das Lokal ging. Dort erkannte er, dass er in eine Falle getappt war. Jemand hatte es auf ihn abgesehen. Zu dem kleinen Provokateur gesellten sich nämlich vier weitere Männer, die draußen auf der Lauer lagen, jeder Einzelne mit Messer, Eisenrohr oder Kette bewaffnet. Bubba versicherte mir, dass er keine andere Möglichkeit sah, dem sicheren Tod zu ent-rinnen, als eine drastische Maßnahme zu ergreifen.

Er packte den Provokateur, der noch neben ihm stand, an den Haaren, hämmerte in Sekundenschnelle mehrere Male mit seiner verknöcherten Hand gegen dessen Schläfe, was deren sofortige Zertrümmerung bedeutete, stieß dann mit der gestreckten Hand in den Schädel hinein und riss die Schädeldecke herunter. Dann griff er mit der bloßen Hand in die Schädelschale hinein, riss das Gehirn heraus und schleuderte es in das Gesicht des ersten herannahenden Kumpanen des eben getöteten Mannes. Der Getroffene sank bewusstlos nieder, wahrscheinlich mehr aus Entsetzen als wegen der Wucht des Geschoßes; die anderen drei ergriffen die Flucht.

So weit Bubbas Beschreibung des Vorfalls. Ich sagte dazu nur: “Bubba, I don’t believe you. I know you are tough and pro-bably a bit insane, but this you made up.”

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Schweigend griff Bubba in seine Sporttasche und holte einen Zeitungsartikel hervor, den er mir überreichte. Es war der Bericht einer Toledoer Zeitung über das Gerichtsverfahren, in dem Bubba wegen „excessive self-defense“, also Überschrei-tung der Notwehr unter Einsatz registrierter Waffen (seine Hände!), mit tödlicher Folge angeklagt war. Bubba wurde frei-gesprochen, vielleicht weil sein wohlhabender Vater die besten Rechtsanwälte und psychologischen Gutachter Ohios anheu-erte, was, wie wir wissen, später ja auch bei O. J. Simpson funk-tionierte, aber wohl auch, weil in Amerika noch immer große Sympathien für den „Lone Ranger“ herrschen, der sich allein gegen eine böse Übermacht behaupten kann.

Allerdings musste Bubba einer Auflage zustimmen: drei Jahre lang müsse er wöchentlich einmal zum psychologischen Counseling gehen und sich von jeglicher Bar fernhalten. Sein Karate und anderes „Selbstverteidigungstraining“ einschließ-lich Münzenschleudern wurde ihm allerdings nicht verboten. Er freute sich wahnsinnig, als ich ihm später einmal einen Maria-Theresien-Taler mit den Worten schenkte: “Try this one, Bubba. It is harder than a silver dollar.”

In Bubba schlummerten verschiedene Talente, die aber alle, seinem ostentativen Streben nach „innerer Gelassenheit“ zum Trotz, irgendetwas mit Krieg oder Jagen, also potenziell mit Töten, zu tun hatten. So erfand er als überzeugter Pat-riot einige Jahre nach der Attacke vom 11. September 2001 auf das World Trade Center eine jedem Pazifisten und Nichtjäger grässlich anmutende „frangible bullet“, eine zerbrechliche Gewehrkugel, die sogenannte „Bubba Bullet“, die einem Lebe-wesen riesige, kraterartige Wunden zufügen kann, aber an harten Wänden zerschellt, was in der Antiterrorbewegung der Bush-Administration und bei den Fluglinien anscheinend auf großes Interesse stieß.

Bubba genoss einen mir etwas verdächtig anmutenden Wohl-stand, der ihm den Kauf mehrerer wertvoller Flugzeug-Muse-

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umsstücke aus dem Zweiten Weltkrieg, sogenannter „Warbirds“, ermöglichte, obwohl die Fabrik seines Vaters nach der Erfindung der Strumpfhose in den Konkurs geschlittert war. Irgendwann hatte er auch mit dem Dreschen auf das mit Bast umwundene Brett aufgehört, denn als ich ihn im Jahr 1998 zum letzten Mal persönlich traf, hatten sich die Schwielen auf seinen Mittelfin-gerknöcheln stark zurückgebildet. Das „geschliffene Münzen-schleudern“ hat er im höheren Alter wahrscheinlich ebenfalls reduziert, aber sicher nicht ganz aufgegeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er auf Darts umgesattelt hätte.

Nach 1998 verlor sich der Kontakt zwischen Bubba Beal und mir. Ich war schon längst in mein Heimatland Öster-reich zurückgekehrt und Bubba, der immer schon politisch konservativ eingestellt war, reagierte auf meine Kritik an der amerikanischen Außenpolitik mit zunehmender Irritation. Irgendwann schrieb er mir, „Ernst, you have turned into a European-type socialist, and that’s almost as bad as being a communist, and I don’t talk to communists“.

Schluss, Ende einer Freundschaft. Hin und wieder habe ich im Internet nachgeforscht, wie es Bubba wohl weiter ergan-gen sein mag, aber die Spuren seines Privatlebens verliefen im Sand. Menschen wie die Präsidenten Reagan, Bush I und II, die meisten republikanischen Präsidentschaftskandida-ten, die Mitglieder der sogenannten Tea Party und leider auch Bubba Beal, die die Welt nur in Schwarz oder Weiß sehen und schlussendlich Dialogverweigerer sind, streicheln Babys und Tiere und geben sich menschenfreundlich, fördern aber im irren Glauben, der Menschheit zu dienen, die Erfindung und Produktion der grässlichsten Waffen. Die Testberichte über das Bubba-Bullet-Geschoß sagen nichts über die fürchterli-chen Möglichkeiten, die einem psychopathischen Mörder wie Anders Breivik gegeben wären, hätte er sich Geschoße vom Typ einer „Bubba Bullet“ aneignen können.