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O EKUMENISCHER I NFORMATIONS D IENST Weltkirchenrat: Atomwaffenverbot - ein Erfolg Seit Jahrzehnten setzt sich der OeRK auf internationaler Ebene für kooperati- ve Bemühungen um ein Verbot der Entwicklung, Erprobung und des Einsatzes von Atomwaffen ein und arbeitet mit den Kirchen zusammen, um ihren Regierungen die Unmoral von Atomwaffen und die Notwendigkeit ihrer vollständigen Abschaffung aufzu- zeigen. Nachdem Honduras als 50. Staat den UN-Vertrag zum Verbot von Atom- waffen (TPNW) ratifiziert hat, sind nun ab dem 22. Januar 2021 Atomwaffen völkerrechtlich geächtet. “Die Ratifizierung ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur vollständi- gen Abschaffung von Atomwaffen", erklärt Peter Prove von der OeRK-Kom- mission der Kirchen für internationale Angelegenheiten. "Jetzt ist ein neuer normativer Standard im internationalen Recht geschaffen.” Kritiker des TPNW - vor allem die Regierungen der neun Länder, die wei- terhin Atomwaffen besitzen und entwi- ckeln, und die Regierungen der Länder, die sich unter dem "Schirm" atomar bewaffneter Staaten geschützt sehen - versuchen, seine Bedeutung zu minimie- ren: Sie weisen darauf hin, dass die Staaten, die den Vertrag ratifiziert haben, ohnehin keine Atomwaffen besit- zen. Obwohl der TPNW die Staaten, die ihm nicht beigetreten sind, nicht bindet, schafft er dennoch eine neue globale Norm zur Ablehnung von Atomwaffen. Wie Emily Welty vom OeRK erklärt: "Ein Blick zurück in die Geschichte anderer Verträge, die Waffen wie Streumunition, Landminen, chemische und biologische Waffen verboten haben, zeigt, wie ein gesetzliches Verbot das Verhalten aller Staaten beeinflussen kann. Als diese Waffen weltweit zuneh- mend delegitimiert wurden, reagierten die Regierungen auf den wachsenden Druck, und verpflichteten sich schließ- lich zu einem vollständigen gesetzlichen Verbot solcher Waffen. Die Regierungen der neun nuklear bewaffneten Staaten sehen sich einem zunehmenden innerstaatlichen Unmut gegenüber wegen der enormen Sum- men, die sie jedes Jahr für die Unterhal- tung und Entwicklung ihrer Kernwaffen ausgeben. Die anglikanischen Bischöfe in England haben mittlerweile ihre Regierung in einem offenen Brief aufge- fordert, sich dem Vertrag anzuschließen. OID Nr. 123 3/2020 Eine junge Pilgergruppe in De Glind, Niederlanden, erprobt, was es heißt, auf dem Pilgerweg für Gerechtigkeit, Frieden (und Bewahrung der Schöpfung) zu sein. Der Vertrag über ein Atomwaffenverbot zählt dabei zu den Erfolgen. Photo (c) Albin Hillert/OeRK AUS DEM INHALT Neue Papstenzyklika: “Fratelli Tutti” Interreligiöses Treffen: “Niemand wird allein gerettet” Philippinen: Kirchenkritik wegen Menschenrechtsverletzungen Zugang zu Wasser: Ein Grundrecht Islamistische Anschläge: Keine legitime religiöse Rechtfertigung Interreligiöser Dialog: Harte Fragen Irak: Junge Muslime setzen Kirchen instand Aus Netzen und Bewegungen Oekumenischer Ratschlag: Kirchentag und OeRK-Vollversammlung Bayern: Klimawandel - Wen kümmert’s? Württemberg: Wir haben ein Handlungsproblem Rhein-Mosel-Saar: Kirchenasyl - Solidarität mit Äbtissin Thürmer Kairos Europa: Globale Steuergerechtigkeit jetzt! Erlassjahr: Klimagerechtigkeit braucht Entschuldung Weltgebetstag der Frauen: Worauf bauen wir? Aktion Aufschrei: Vorrang für Menschenrechte OID 3 2020 20201121_OID 123 21.11.2020 10:27 Seite 1

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OEKUMENISCHERINFORMATIONSDIENST

Weltkirchenrat:Atomwaffenverbot - ein Erfolg

Seit Jahrzehnten setzt sich der OeRKauf internationaler Ebene für kooperati-ve Bemühungen um ein Verbot derEntwicklung, Erprobung und desEinsatzes von Atomwaffen ein undarbeitet mit den Kirchen zusammen, umihren Regierungen die Unmoral vonAtomwaffen und die Notwendigkeitihrer vollständigen Abschaffung aufzu-zeigen. Nachdem Honduras als 50. Staat denUN-Vertrag zum Verbot von Atom-waffen (TPNW) ratifiziert hat, sind nunab dem 22. Januar 2021 Atomwaffenvölkerrechtlich geächtet. “Die Ratifizierung ist ein wichtigerMeilenstein auf dem Weg zur vollständi-gen Abschaffung von Atomwaffen",erklärt Peter Prove von der OeRK-Kom-mission der Kirchen für internationaleAngelegenheiten. "Jetzt ist ein neuernormativer Standard im internationalenRecht geschaffen.”Kritiker des TPNW - vor allem dieRegierungen der neun Länder, die wei-terhin Atomwaffen besitzen und entwi-ckeln, und die Regierungen der Länder,die sich unter dem "Schirm" atomarbewaffneter Staaten geschützt sehen -

versuchen, seine Bedeutung zu minimie-ren: Sie weisen darauf hin, dass dieStaaten, die den Vertrag ratifizierthaben, ohnehin keine Atomwaffen besit-zen. Obwohl der TPNW die Staaten, dieihm nicht beigetreten sind, nicht bindet,schafft er dennoch eine neue globaleNorm zur Ablehnung von Atomwaffen.Wie Emily Welty vom OeRK erklärt:"Ein Blick zurück in die Geschichteanderer Verträge, die Waffen wieStreumunition, Landminen, chemischeund biologische Waffen verboten haben,zeigt, wie ein gesetzliches Verbot dasVerhalten aller Staaten beeinflussenkann. Als diese Waffen weltweit zuneh-mend delegitimiert wurden, reagiertendie Regierungen auf den wachsendenDruck, und verpflichteten sich schließ-lich zu einem vollständigen gesetzlichenVerbot solcher Waffen.Die Regierungen der neun nuklearbewaffneten Staaten sehen sich einemzunehmenden innerstaatlichen Unmutgegenüber wegen der enormen Sum-men, die sie jedes Jahr für die Unterhal-tung und Entwicklung ihrer Kernwaffenausgeben. Die anglikanischen Bischöfein England haben mittlerweile ihreRegierung in einem offenen Brief aufge-fordert, sich dem Vertrag anzuschließen.

OIDNr. 1233/2020

Eine junge Pilgergruppe in De Glind, Niederlanden, erprobt, was es heißt, aufdem Pilgerweg für Gerechtigkeit, Frieden (und Bewahrung der Schöpfung) zusein. Der Vertrag über ein Atomwaffenverbot zählt dabei zu den Erfolgen.

Photo (c) Albin Hillert/OeRK

AUS DEM INHALT

Neue Papstenzyklika:“Fratelli Tutti”

Interreligiöses Treffen:“Niemand wird allein gerettet”

Philippinen: Kirchenkritik wegenMenschenrechtsverletzungen

Zugang zu Wasser: Ein Grundrecht

Islamistische Anschläge: Keine legitime religiöseRechtfertigung

Interreligiöser Dialog: Harte Fragen

Irak:Junge Muslime setzen Kircheninstand

Aus Netzen und Bewegungen

Oekumenischer Ratschlag:Kirchentag und OeRK-Vollversammlung

Bayern:Klimawandel - Wen kümmert’s?

Württemberg:Wir haben ein Handlungsproblem

Rhein-Mosel-Saar:Kirchenasyl - Solidarität mit ÄbtissinThürmer

Kairos Europa:Globale Steuergerechtigkeit jetzt!

Erlassjahr:Klimagerechtigkeit brauchtEntschuldung

Weltgebetstag der Frauen:Worauf bauen wir?

Aktion Aufschrei:Vorrang für Menschenrechte

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Interreligiöses Treffen:‘Niemand wird allein gerettet’

Zu einem weiteren interreligiösenFriedenstreffen in diesem Jahr unterdem Motto “Niemand wird allein geret-tet - Frieden und Geschwisterlichkeit”trafen sich am 20. Oktober 2020 inRom rund um die Kirche Santa Maria inAra Coeli und der Piazza del Campi-doglio Vertreterinnen und Vertreten ausaller Welt. Organisiert hatte es wiederdie Gemeinschaft St.Egidio.Neben Papst Franziskus, nahmen derOekumenische Patriarch Bartholomäusaus Konstantinopel teil sowie jüdische,muslimische und buddhistische Persön-lichkeiten. Aus Deutschland reiste derEKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohmnach Rom. Neben Franziskus undBartholomäus ergriffen der Oberrabbi-ner von Frankreich, Haim Korsia, derGeneralsekretär des muslimischen Hoh-en Komitees der menschlichen Brüder-lichkeit, Mohamed Abdelsalam Abdel-latif sowie der Buddhist Shoten Mine-gishi auf der Piazza das Wort.Vor dem gemeinsamen Treffen aufder Piazza del Campidoglio, trafen sichdie einzelnen Religionsgemeinschaften‚unter sich’ jeweils zum Gebet, diechristlichen Vertretungen in der KircheSanta Maria in Ara Coeli, einer für dieVolksfrömmigkeit Roms wichtigen Kir-che, deren Gründungserzählungenschon in mittelalterlichen Legenda Au-rea zu finden sind. Muslime und Bud-dhisten waren in Räume der Kapitolini-schen Museen eingeladen, die jüdischenTeilnehmenden trafen sich in der Syna-goge von Rom. Wie in den Jahren zuvor unterzeich-nen die Religionsvertreter(innen) einenFriedensappell. Gott werde sie danachrichten, inwieweit sie sich für Friedeneingesetzt oder Zwietracht gesät hätten,

Neue Papst-Enzyklika: “Fratelli Tutti”

Am 3. Oktober 2020 hat Franziskus inAssisi mit ‚Fratelli tutti’ seine dritteEnzyklika unterzeichnet. Er mahnt an,die uneingeschränkte Würde desMenschen zu respektieren. DieEntfremdung von religiösen Wertensieht er als Hauptursache für die Krisender modernen Welt. Mit welchen gro-ßen Idealen, aber auch auf welchemkonkreten Weg lässt sich eine gerechte-re und geschwisterlichere Welt aufbau-en, was die privaten, die sozialen, aberdie politischen oder die internationalenBeziehungen betrifft? Das sind dieFragen, auf die ‚Fratelli tutti’ zu ant-worten versucht. Der Titel des Schreibens ist denErmahnungen des Franz von Assisi ent-lehnt, der sich mit diesen Worten “analle Brüder und Schwestern” wandte,“um ihnen eine dem Evangelium gemä-ße Lebensweise darzulegen”. Für dieEnzyklika habe er sich auch vom Groß-imam Ahmad Al-Tayyeb aus Kairo an-regen lassen, dem er im Februar 2019in Abu Dhabi begegnet war, so Franzis-kus. Damit beruft er sich erstmals aufeine nicht-christliche Stimme.Der nachfolgende zusammenfassendeDurchgang lehnt sich an einen vomVatikan zur Verfügung gestellten Textan, die in Klammern stehenden Num-mern verweisen auf die einzelnenAbschnitte der Enzyklika.

“Von einer einzigen Menschheit träu-men”

Es geht dem päpstlichen Lehrschreibendarum, das weltweite Verlangen nachGeschwisterlichkeit und sozialer Freund-schaft zu fördern. Im Hintergrund stehtdie Corona-Pandemie, die, wieFranziskus formuliert, “unerwartet aus-brach, als ich dieses Schreiben verfasste”(7). Der globale Gesundheitsnotstandhabe einmal mehr gezeigt, dass niemandsich allein rette und dass jetzt wirklichdie Stunde gekommen sei, um “voneiner einzigen Menschheit zu träumen”(8), in der wir “alle Geschwister” sind.

Gegen eine “Kultur der Mauern”

“Die Schatten einer abgeschottetenWelt” - so heißt das erste der insgesamtacht Kapitel, in dem das Dokument sichmit den negativen Seiten unserer Epo-che beschäftigt. Da geht es um Mani-pulation und Entstellung von Begriffenwie Demokratie, Freiheit oder Gerech-tigkeit; um Egoismus und Des-interesseam Gemeinwohl; um das Vorherrscheneiner Logik des Marktes, die auf Profitaus ist und vermeintlich unnützeMenschen an den Rand drängt; um

hatte der römische Pontifex gemahnt,der zu diesem Ereignis erstmals seitBeginn der Pandemie den Vatikan ver-lassen hatte. Ob solche Treffen, derenKraft ja auch in den Bildern liegt, etwasbewirken? Marco Impagliazzo, Präsi-dent von Sant’Egidio, meint, er seidavon überzeugt, dass nicht nur Ge-spräche und Diplomatie wichtig seien.“Viele Menschen spüren, dass es ihnenhilft, wenn man für sie betet.” EKD-Ratsvorsitzender Bedford-Strohmbeschwor die Entschlossenheit derGläubigen mit einem Psalmvers:“‘Friede und Gerechtigkeit werden sichumarmen.’ Und keine Pandemie wirdsie stoppen.”

Vatikan:Dreizehn neue Kardinäle

Papst Franziskus sorgt für seine Nach-folgeregelung. Er hat ein Konsistoriumzur Erhebung von 13 Geistlichen in denKardinalsrang angekündigt. Er wähltedarunter neun im Alter von unter acht-zig Jahren für das Kardinalsamt aus. Siewerden bei einem Konklave zur Wahleines neuen Oberhauptes der römischenKirche wahlberechtigt sein, die vieranderen Geistlichen nicht.Unter den neuen Kardinälen sindneben Bischöfen aus der vatikanischenKurie, den USA, den Philippinen,Ruanda und Brunei auch der Aposto-lische Administrator von Santiago deChile, Celestiono Aós, der sich in sei-nem Land beonders bei derAufarbeitung von Mißbrauchsfällen ein-gesetzt hat.

Insgesamt gibt es damit 232Kardinäle, 130 von ihnen sind dannweniger als 80 Jahre alt und damit beieiner Papstwahl stimmberechtigt. 73wurden von Franziskus ernannt.

2 OEKUMENEPhoo: © Ivars Kupcis/OeRK

OEKUMENISCHER INFORMATIONSDIENST 3/2020

Der Oekumenische Rat der Kirchen hat sich stets prominent für das Verbot vonAtomwaffen eingesetzt. Hier die Pressekonferenz anlässlich der Verleihung desFriedensnobelpreises an ICAN im Genfer Gebäude des OeRK.

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Arbeitslosigkeit, Rassismus, Armut; umrechtliche Ungleichheit, Sklaverei, Men-schenhandel, Zwangsabtreibungen undOrganhandel (10-24). Franziskus unter-streicht, dass diese globalen Problemeauch ein globales Handeln erforderlichmachen, und wendet sich gegen eine“Kultur der Mauern”, die zu einer Blütedes organisierten Verbrechens, zu Angstund Einsamkeit führen (27-28).

“Wir sind für die Liebe geschaffen”

All diesen Schatten stellt die Enzyklikadann ein leuchtendes Beispiel entgegen:das des barmherzigen Samariters, mitdem sich das zweite Kapitel (“EinFremder auf dem Weg”) beschäftigt. Erarbeitet heraus, dass in einer krankenGesellschaft, die dem Schmerz denRücken kehrt und sich um die Schwach-en und Verletzlichen nicht besorgt (64-65), wir alle dazu aufgerufen sind, unsum unsere Nächsten zu kümmern (81)und dabei Vorurteile und Privatinter-essen beiseite zu lassen.

“Eine offene Welt denken und schaf-fen”

Die Vorstellung, dass Liebe “eine uni-versale Dimension” (83) haben sollte,wird im dritten Kapitel weiterentwickelt.Franziskus ruft dazu auf, aus uns heraus-zugehen, “um eine vollere Existenz ineinem anderen zu finden” (88), und unsfür andere zu öffnen, sodass eine “uni-versale Gemeinschaft” denkbar wird.Das menschliche Leben wird, wie dieEnzyklika formuliert, in spiritueller Hin-sicht daran gemessen, ob uns die Liebedazu antreibt, das Beste für die anderenzu suchen (92-93). Niemandem kann das Recht auf einLeben in Würde verweigert werden,fährt der Text fort, und weil Rechtekeine Grenzen kennen, darf keiner aus-geschlossen werden, ganz egal wo erherkommt (121). Darum ruft Franzis-kus nach einer “Ethik der internationa-len Beziehungen” (126) und erinnertdaran, dass kein Land sich gegen Frem-de abschotten oder Fremden, diebedürftig sind, Hilfe verweigern darf.Nachgeordnet nennt er das Recht aufPrivatbesitz dem Prinzip der “universel-len Bestimmung der geschaffenen Güt-er” (120). Auch in Sachen Auslands-schulden wird die Enzyklika deutlich:Natürlich müssten diese Schulden prin-zipiell bezahlt werden, doch dürfe dasnicht Wachstum und Erhalt der ärmerenLänder gefährden (126).

Migranten nicht abweisen

Dem Thema Migration sind ein Teil deszweiten und das ganze vierte Kapitelgewidmet: “Zerrissene Leben” (37) auf

der Flucht vor Krieg, Verfolgung,Naturkatastrophen, skrupellosen Men-schenhändlern. Migranten sollen aufge-nommen, geschützt, gefördert und inte-griert werden, fordert der Papst. Dabeigilt es, in den Ankunftsländern die rich-tige Balance zwischen dem Schutz derRechte der Bürger und einer Aufnahmeund Hilfe für Migranten zu finden (38-40). Was Menschen, die vor schwerenhumanitären Krisen fliehen, betrifft,zählt der Papst einige wesentlichePunkte auf: eine vereinfachte Visa-Erteilung; das Öffnen humanitärer Kor-ridore; ein Bereitstellen von Wohnraum,Sicherheit und Basis-Dienstleistungen;Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten;Familienzusammenführungen; Schutzvon Minderjährigen und die Garantieder Religionsfreiheit. Vor allem aber hältdas Dokument eine Global Governanceim Migrationsbereich für dringlich, dieim Namen einer solidarischen Entwick-lung aller Völker über die einzelnenNotlagen hinausgehen und langfristigeProjekte auf den Weg bringen sollte(129-132).

“Menschenhandel ist eine Schande fürdie Menschheit”

Um “Die beste Politik” kreist das fünfteKapitel. Gemeint ist eine Politik, dieman als eine Form der Nächstenliebebezeichnen kann, weil sie sich in denDienst am Gemeinwohl (180) stellt undeinen offenen, dialogischen Begriff von‚Volk’ hat (160). Darüber hinaus ist es Aufgabe derPolitik, Antworten auf alles zu finden,was die grundlegenden Menschenrechtebeeinträchtigt: soziale Ausschließung,Organ-, Waffen- und Drogenhandel,sexuelle Ausbeutung, Sklavenarbeit,Terrorismus und organisierte Krimina-lität. Mit Verve ruft Franziskus dazu auf,dem Menschenhandel, dieser “Schandefür die Menschheit”, und dem Hunger(der angesichts des Rechts jedes Men-schen auf Ernährung als “ein Verbrech-en” gekennzeichnet wird) endlich einEnde zu machen (188-189).

“Der Markt allein löst nicht alleProbleme”

Die Politik, die wir heute brauchen, istnach Ansicht von Franziskus einePolitik, die sich auf Menschenwürdekonzentriert und sich nicht demFinanzsektor beugt. Denn “der Marktallein löst nicht alle Probleme”, wie dasvon den Finanzspekulationen ausgelöste“Vernichtungswerk” gezeigt hat (168).Umso größere Bedeutung kommtdarum Bürgerbewegungen zu: Dieser“Strom moralischer Energie” muß aufkoordinierte Weise in die Gesellschaftmit einbezogen werden - sodaß wir von

einer Politik “gegenüber” den Armen zueiner Politik “mit” und “der” Armengelangen (169).

Für eine Reform der UNO

Angesichts der Vorherrschaft der wirt-schaftlichen Komponente sollten sie dasBild einer “Familie der Nationen” kon-kret werden lassen, indem sie für dasGemeinwohl, für eine Ausrottung derArmut und den Schutz derMenschenrechte eintreten. Durch uner-müdlichen Rückgriff auf Verhandelnund Vermitteln sollten sie außerdemdafür sorgen, dass die Stärke des Rechtsdie Oberhand über das Recht desStärkeren gewinnt (173-175).

“Niemand ist nutzlos”

Das sechste Kapitel zeichnet schließlichdas Leben als “Kunst der Begegnung”mit allen, auch mit den Menschen ander Peripherie des Planeten und mitindigenen Völkern, denn “man kannvon jedem etwas lernen, niemand istnutzlos” (215).

Die Shoa niemals vergessen

Das siebte Kapitel hingegen kommt aufden Wert und die Förderung desFriedens zu sprechen: Friede ist, wieFranziskus unterstreicht, “proaktiv”, ein“Handwerk”, bei dem jeder das Seinebeiträgt und das nie an ein Ende kommt(227-232). Mit dem Frieden hängt dasVergeben zusammen: Alle verdienenLiebe, ohne Ausnahme, so die Enzykli-ka, aber die Liebe zu einem Unterdrüc-ker bedeutet in dieser Lesart, ihm nichtzu erlauben, dass er die Menschen nochlänger unterdrückt (241-242). Vergeb-ung bedeutet nicht Straflosigkeit, son-dern Gerechtigkeit und Erinnerung; esbedeutet nicht Vergessen, sondernVerzicht auf die zerstörerische Kraft desBösen und auf die Rache. Nie dürfe manGräuel wie die Shoah, die Atombom-benabwürfe, die ethnischen Verfolg-ungen und Massaker vergessen, fordertFranziskus. (246-252)

Keine Rede mehr von gerechtem Krieg

Auch auf den Krieg (“eine ständigeBedrohung”) kommt das siebte Kapitelzu sprechen: Er stelle eine “Negierungaller Rechte” dar, “ein Versagen derPolitik und der Menschheit”, “eineNiederlage gegenüber den Mächten desBösen”. Angesichts von nuklearen, che-mischen und biologischen Waffen, diesich gegen Unschuldige richten, lassesich heute nicht mehr, wie das in derVergangenheit der Fall war, von einem“gerechten Krieg” sprechen, sonderndem muß ein “Nie wieder Krieg!” ent-

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gegenhalten. Die völlige Vernichtungaller Atomwaffen ist “eine moralischeund humanitäre Pflicht” - mit demGeld, das jetzt für Rüstung ausgegebenwird, sollte eher ein Weltfonds zurAusrottung des Hungers eingerichtetwerden (255-262).

Nein zur Todesstrafe

Nicht weniger entschieden äußert sichFranziskus zur Todesstrafe: Sie ist nichtakzeptabel und sollte weltweit abge-schafft werden. “Nicht einmal derMörder verliert seine Personenwürde,und Gott selber leistet dafür Gewähr”(263-269). Er betont, dass die “Heilig-keit des menschlichen Lebens” (283) zuachten sei, wo auch immer “Teile derMenschheit geopfert werden zu kön-nen” scheinen, etwa Ungeborene,Arme, Behinderte, alte Menschen (18).

“Religionen sollten für den Friedenzusammenarbeiten”

Das achte und letzte Kapitel (“DieReligionen im Dienst an der Geschwis-terlichkeit in der Welt”) bekräftigt, dassTerrorismus sich nicht auf Religionberufen darf, sondern in Wirklichkeit aufirrtümlichen Interpretationen religiöserTexte beruht und auch mit Hunger,Armut, Ungerechtigkeit und Unterdrü-ckung zu tun hat (282-283). Also ist einWeg des Friedens unter den Religionenmöglich. Dafür muß aber die Religions-freiheit, die für alle Glaubenden funda-mental ist, respektiert werden (279).Die Enzyklika geht auch auf die Rolleder Kirche ein: Sie verlegt ihre Missionnicht in den privaten Bereich, und auchwenn sie selbst nicht Politik macht, ver-zichtet sie doch nicht auf die politischeDimension, auf die Aufmerksamkeit fürdas Gemeinwohl und auf die Sorge füreine integrale menschliche Entwicklung,so wie es den Prinzipien des Evange-liums entspricht (276-278).Zu guter Letzt zitiert Franziskus das

“Dokument über die Brüderlichkeit allerMenschen”, das er am 4.2.2019 zusam-men mit dem Großimam der al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tayyib, in AbuDhabi unterzeichnet hat. Diesem grundle-genden interreligiösen Text entnimmt erden Appell, dass um der Geschwister-lich-keit aller Menschen willen immer grund-sätzlich auf Dialog und Zusammenarbeitgesetzt werden solle (285).

Lob und Kritik von Frauen

Die großen katholischen Frauenver-bände Deutschlands haben die ein-dringliche Mahnung zur Solidarität undGeschwisterlichkeit von Papst Franzis-kus in “Fratelli tutti” einhellig gewür-

NCCP ist eine von vielen Organisatio-nen, die als “rot markiert” und solchenSchikanen ausgesetzt sind”.Vor einem Jahr beauftragte derMenschenrechtsrat den UN-Hoch-kommissar für Menschenrechte, dieSituation zu untersuchen. Ihr Berichtbeschrieb eine schreckliche Situationund berichtete, dass selbst nach denkonservativsten Schätzungen auf derGrundlage von Regierungsdaten über8.500 Menschen getötet worden waren.Andere Schätzungen gehen von einerdreifachen Anzahl aus.Der Bericht der Hochkommissarinforderte den Menschenrechtsrat auf, ihrBüro mit der laufenden Überwachungund Berichterstattung zu beauftragen,und der Oekumenische Rat der Kirchenschloss sich den Forderungen desNCCP und anderer Partner nach einemunabhängigen internationalen Mechan-ismus zur Weiterverfolgung des Berichtsan. Während der 45. Tagung desMenschenrechtsrates gab der OeRKzwei Erklärungen zur Lage auf denPhilippinen ab, in denen er dieAufmerksamkeit auf die Menschen-rechtsverletzungen lenkte, unter denenindigene Gemeinschaften leiden, undseine Trauer über die jüngste Ermor-dung der Menschenrechtsverteidigerin,Kirchenmitarbeiterin Zara Alvarez zumAusdruck brachte.

Regierung nicht rechenschaftspflichtig

Wie Direktor Prove vom OeRK jedocherklärt, “gab es keine ausreichende poli-tische Unterstützung für eine Resolu-tion, um die philippinische Regierungzur Rechenschaft zu ziehen”. “DieMitgliedstaaten des Menschenrechts-rates haben sich dafür entschieden, dieMen-schenrechtsverletzungen nicht zuverurteilen, die innerhalb der Grenzeneines Landes geschehen, das im Allge-meinen in Frieden mit anderenMitgliedern der internationalenGemeinschaft lebt”.Stattdessen wurde eine Resolutionverabschiedet, die das Büro desHochkommissars lediglich beauftragte,“technische Zusammenarbeit” und “Ka-pazitätsaufbau” zu leisten, um die Be-mühungen der Regierung um die Ver-besserung der Menschenrechte zuunterstützen. Die philippinische Menschenrechts-kommissarin Karen Gomez-Dumpit hatjedoch darauf hingewiesen: “KeinBetrag an technischer Hilfe und Kapa-zitätsaufbau kann die Situation vor Ortverbessern, wenn es keine Änderung derPolitik gibt. Es muss eine deutlicheVerbesserung vor Ort mit innerstaatli-chen Mechanismen der Rechenschafts-pflicht geben”.

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digt. Kritik übten sie an einer mangel-haften Benennung von Ungerechtig-keiten insbesondere gegenüber Fraueninnerhalb der katholischen Kirche.Außerdem habe Franziskus in seinemLehrschreiben keine einzige Frauzitiert. Auch Mitarbeiterinnen des Weltge-betstages der Frauen sehen eine großeLücke in der Enzyklika. Frauen tauch-ten bei Papst Franziskus nicht auf,weder mit ihren Anliegen noch wegenihrer Ausgrenzung.

Philippinen:Mangelhafter SchutzDer Nationalrat der Kirchen auf denPhilippinen (NCCP) hat seine Enttäus-chung über die Unzulänglichkeit einerkürzlich vom UN-Menschenrechtsrat(UNHCR) verabschiedeten Resolutionzu den Menschenrechten auf denPhilippinen zum Ausdruck gebracht.Dennoch brachte der NCCP in einerErklärung vom 8. Oktober seineEntschlossenheit zum Ausdruck, “jedendurch diese Resolution eröffneten Ortzu maximieren, der die Verfolgung derGerechtigkeit für die Opfer undÜberlebenden von Menschenrechts—verletzungen voranbringen kann.“Die UNHRC-Resolution über tech-nische Zusammenarbeit und Kapa-zitätsaufbau zur Förderung und zumSchutz der Menschenrechte auf denPhilippinen bleibt hinter unseren Er-wartungen zurück”, heisst es in derErklärung. “Um die Wahrheit zu sagen,sie spiegelt nicht die Erkenntnisse undEmpfehlungen des Berichts des UN-Hochkommissars für Menschenrechtewider. Dies wird am deutlichsten, wennman bedenkt, dass er nicht unserer glü-henden Forderung nach einer unabhän-gigen internationalen Untersuchungentspricht”.

Willkürliche Hinrichtungen

Seit Präsident Duterte seinen “Krieggegen die Drogen” begann, kurz nach-dem er 2016 an die Macht gekommenwar, haben Tausende von Menschen ihrLeben durch zunehmend gewaltsameStrafverfolgungsmaßnahmen verloren,zu denen außergerichtliche und willkür-liche Hinrichtungen gehören. DerOeRK-Direktor für InternationaleAngelegenheiten, Peter Prove, erklärte:“Aktivisten der Zivilgesellschaft, diesich gegen diese Situation aussprechen,werden als Terroristen oder Kom-munisten bezeichnet und sehen sichSchikanen, Drohungen und in einigenFällen sogar dem Tod ausgesetzt. Indi-gene Gemeinschaften wurden beson-ders ins Visier genommen, und auch dieKirchen wurden nicht verschont. Der

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Zugang zu Wasser:Ein Menschenrecht

Der Zugang zu Wasser und Sanitätsver-sorgung ist ein Menschenrecht. Aberviele Staaten und ihre Kommunen über-tragen den Bau oder Betrieb von Wass-er- und Abwasseranlagen privaten Firm-en. Etwa weil die öffentlichen Trägerdas aus unterschiedlichsten Gründennicht leisten können oder in der Hoff-nung, dass private Konzerne effektiveroder billiger arbeiten. Solche Privatisie-rungen bergen Risiken in Bezug auf dieEinhaltung des Menschenrechts, erklärtLeo Heller, der UNO-Sonderberichter-statter für das Menschenrecht auf Was-ser und Sanitätsversorgung, in einemBericht zum Abschluss seiner Amtszeit In der Vergangenheit hätten interna-tionale Finanzinstitutionen und multila-terale Organisationen wie der Inter-nationale Währungsfonds oder die EU-Kommission die Privatisierung derWasserversorgung befürwortet – unddafür finanzielle Anreize für die Staatengeschaffen. Während der 1990er Jahrehätten viele Regierungen diese Prozesseeingeleitet in der Hoffnung, dass derprivate Sektor mehr investieren und dieTechnologien verbessern würde. Dochdiese Hoffnung habe sich nicht immererfüllt. Anstatt erzielte Profite in bessereVersorgung zu investieren, verteiltenKonzerne diese lieber auf die Anteils-eigner. Teilweise gebe es auch korruptePraktiken, und Kostensteigerungenführten oft dazu, dass sich die Ärmstendie Wasserversorgung nicht mehr leistenkönnten. Das Wassernetzwerk des OeRKschickte am 31. Oktober einen Dank anLeo Heller zum Abschluss seiner Amts-zeit als UN-Sonderberichterstatter fürdas Menschenrecht auf sauberes Trink-wasser und sanitäre Grundversorgung.Der Brief dankt Heller insbesonderefür seinen jüngsten Bericht über dieFolgen der Privatisierung von Wasser.

Vertraglich alles genau regeln

Leo Heller empfiehlt den Staaten, voreiner Privatisierung alle möglichenAlternativen zu beleuchten. Zudem solleder Entscheidungsprozess transparentablaufen – unter Einbeziehung der Zivil-gesellschaft und der am meisten betrof-fenen vulnerablen Gruppen. Vertraglichgeregelt werden sollte dann unter ande-rem die Verantwortlichkeiten, die Be-dingungen für Kostensteigerungensowie Möglichkeiten der Kontrolle undSanktionen durch die Behörden. Das al-les soll darauf abzielen, dass dasMenschenrecht auf Wasser nicht gefähr-det wird und selbst die Ärmsten nocheinen Zugang haben, den sie sich leistenkönnen.

Die Corona-Pandemie mache deutlich,dass die Staaten im Wassersektor ein-greifen müssen, indem sie für Bedürf-tige die Zahlung von Wasserrechnungenaussetzen, vorübergehend die Unter-brechung von Anschlüssen verbietenund die Menschen wieder an die Versor-gung anschließen, auch um Wasser zumHändewaschen sicherzustellen.

Islamistische Anschläge:Keine legitime religiöseRechtfertigung

Der Oekumenische Rat drückte nachden extremistischen Anschlägen in Parisund vom 29. Oktober in Nizza seineSolidarität mit den Kirchen und demfranzösischen Volk aus und sprach denFamilien der Opfer sein Beileid aus.Drei Menschen wurden bei einemMesserangriff in Notre Dame de Nizzagetötet.“Nach der schrecklichen Ermordungdes Lehrers Samuel Paty Anfang diesesMonats erfordern diese Gräueltaten eineerneute Suche nach einer wirksamenAntwort auf das Phänomen des gewalt-tätigen religiösen Extremismus, nichtnur in Frankreich, sondern in den vielenLändern der Welt, die weiterhin täglichdavon betroffen sind”, heißt es in einerErklärung von OeRK-GeneralsekretärSauca. “Es kann keine legitime religiöseRechtfertigung für diese Brutalitätgeben, und alle Versuche, solche Angrif-fe aus religiösen Gründen zu rechtferti-gen, müssen kategorisch angeprangertwerden”.Sauca fügte hinzu: “Wir sind dankbarfür die Zusammenarbeit unserer interre-ligiösen Partner - auch durch das Höhe-

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re Komitee für menschliche Brüderlich-keit - bei der Verfolgung dieser gemein-samen Überzeugung.

Reaktionen in Deutschland

Auch Margot Käßmann wandte sichentschieden gegen religiösen Funda-mentalismus. Die liberalen Kräfte in denReligionen hätten die Notwendigkeitverstanden, sich für Glaubensfreiheiteinzusetzen, sagte Käßmann am 8.November in der Freiburger Ludwigs-kirche. “Wir dürfen den Fundamentalis-en, die die Freiheit hassen, das Feldnicht überlassen”. Käßmann äußerte sich schockiertdarüber, dass inzwischen sogar Men-schen in Europa um ihr Leben fürchtenmüssten, wenn sie sich als Christen zeig-ten. “Wer hätte sich vor Wochen nochvorstellen können, dass in einer Kirchein Nizza drei Menschen brutal miteinem Messer erstochen werden?”, frag-te sie. Fundamentalismus bedrohe alle,die die eigene Wahrheit nicht teilten.

Erfahrungen aus dem Schulalltag

In den hiesigen Schulen gebe es nichtimmer eine klare Haltung der Lehrerzum Islamismus, wird von epd berich-tet. Dass das islamische Rechtssystemder Scharia Frauen benachteilige undnicht mit der freiheitlich-demokrati-schen Rechtsordnung in Einklang zubringen sei, sei zwar vielen Lehrkräftenklar. Konkret falle es ihnen aber oftschwer, gegen die Scharia zu argumen-tieren, da viele Schüler sofort die vomGrundgesetz garantierte Religionsfrei-heit einforderten. "Wir müssen unserenAuftrag ernst nehmen und erziehen imAuftrag des Grundgesetzes", sagt etwaPeter Stolz, Landesvorsitzender des Ber-liner Geschichtslehrerverbandes. Esbrauche deshalb verpflichtende Lehrer-fortbildungen zu Islam und Islamismus.Für dringend notwendig hält Stolzdies auch mit Blick auf das Alltags-geschehen auf den Schulhöfen."Ich habe es erlebt, dass muslimischeMädchen eingeschüchtert werden vonmuslimischen Jungen. Da heißt es dann:'Senke Deinen Blick, Schwester' oder:'Bei der Diskussion um Gleichberech-tigung hältst du die Klappe!' Da lebtenjunge Männer patriarchale Machtstruk-turen im Namen des Islam aus. Dies alsExtremismus zu erkennen, sei einegroße Herausforderung für Lehrer.

"Peergroups zerschlagen"

Organisationen wie Milli Görüs oder dieMuslimbruderschaft versuchten, die isla-mistische Ideologie in staatliche Schulenzu tragen, sagt Heiko Heinisch, Islamis-mus-Experte und Mitglied des wissen-

© ORK/I

Ki

Eine Frau in Oldonyosamb/Tansaniabeim Wasserholen

Phoo: © Gregg Brekke/OeRK

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schaftlichen Beirats der neu geschaffe-nen Dokumentationsstelle für politi-schen Islam in Österreich. Milli Görüs,aus der Türkei gesteuert und vom Ver-fassungsschutz beobachtet, unterhalteislamische Privatschulen. Dort würdenmuslimische Kinder indoktriniert undeingeschworen auf die Formel: 'WirMuslime gegen den Rest der Welt.'Diese Kinder wiederum trügen die isla-mistische Ideologie in die öffentlichenSchulen und terrorisierten gezielt ein-zelne SchülerInnen."Diese Jugendlichen verfügen dortüber eine große Autorität, weil sieimmer mit dem Islam argumentieren",sagt Heinisch. Um dem Islamismus anSchulen beizukommen, müssten ent-sprechende Peergroups zerschlagenund einzelne Schüler, wenn nötig, ver-setzt werden.

Interreligiöser Dialog:Harte FragenNach islamistisch motivierten Terror-anschlägen in Nizza und dann in Wienhat der dortige Theologieprofessor Jan-Heiner Tück, in einer Stellungnahmegegenüber Kathpress dazu aufgefordert‚harte Fragen zu stellen’. Es sei Zeit,dem Dschihadismus endgültig dietheologische Grundlage zu entziehenund vom Koran und anderen normati-ven Texten der islamischen Überliefe-rung her klar zu machen, dass Gewaltim Namen Gottes ein Akt derBlasphemie sei. “Die guten Verbindun-gen, die zwischen den Kirchen und derIslamischen Glaubensgemeinschaft inÖsterreich bestehen, sind eine guteBasis, nun über freundliche Dialogehinaus die harten, unbequemen Fragenanzugehen.” Darüber hinaus wäre es“wünschenswert, wenn islamischeAutoritäten über Solidaritätsbekun-dungen mit den Opfern hinaus nocheinmal klarstellen würden: Die TötungUnschuldiger ist ein Verbrechen.”Mord im Namen Gottes sei “keinGottesdienst, sondern Blasphemie”, soTück. Dies müsse offen angesprochenund auch vor dem Hintergrund desKoran und anderer normativer Quellendes Islam diskutiert werden - und zwarohne einen Konflikt zwischen Christenund Muslime heraufzubeschwören, soTück.

Islam soll Terrorakte im NamenAllahs unzweideutig verurteilen

Die wichtigste, im interreligiösenDialog zu klärende Frage sei, wie derIslam selbst “solche Terrorakte imNamen Allahs theologisch klar undunzweideutig verurteilen kann”. DieBeteuerung, dass der Islam eine Reli-gion der Barmherzigkeit sei, sei zwar

gehören, dass sie hier eine reicheGeschichte haben”.Das historische Gotteshaus dersyrisch-katholischen Gemeinde geht aufdie Mitte des 18. Jahrhunderts zurückund war Gegenstand von Plünderungenund Zerstörungen durch die Milizionäredes “selbsternannten Kalifats”, die imSommer 2014 die Kontrolle überMossul und einen Großteil der Ebenevon Ninive erlangt hatten und Christensowie Jesiden und andere Muslime zurFlucht nach Irakisch-Kurdistan zwan-gen. Der sogenannte “Islamische Staat”errichtete eine Herrschaft, die bis zumSommer 2017 andauerte und mitGewalt und Terror sowie mit derVerwüstung symbolischer Orte wie deral-Nouri-Moschee und der Kirche vonAl-Saa (“Unsere Liebe Frau derStunde”) verübt wurde.Seit der Befreiung hat die GruppeHilfe und Unterstützung geleistet,Nahrungsmittel und lebensnotwendigeGüter an die Bedürftigsten verteilt undHäuser, insbesondere die der Ärmsten,wiederaufgebaut. Durch die Säuberungder Kirche wollen sie die Bemühungender örtlichen christlichen Gemeinschaftunterstützen, Gebäude, Strukturen,Güter und historisches Eigentum wiederaufbauen und den Boden für dieRückkehr derjenigen vorbereiten, die inder Vergangenheit wegen ethnischerund konfessioneller Gewalt geflohenseien. Bisher sind nur etwa fünfzigchristliche Familien nach Mossulzurückgekehrt, obwohl jeden TagHunderte aus der Ebene von Niniveund den christlichen Dörfern zumStudium und zur Arbeit in dieMetropole kommen.

Norwegen: Christlicher Zionismus ist“theologisch inakzeptabel”.

In einer Erklärung zum christlichenZionismus sagte die Bischofskonferenzder Kirche von Norwegen, der christli-che Zionismus sei “theologisch inakzep-tabel und mit den Menschenrechtenunvereinbar”.Ein gerechter und nachhaltigerFrieden in Israel und Palästina müsse dasVölkerrecht respektieren und dieSicherheit und Rechte beider Völkergewährleisten, heißt es in der Erklärungvom 30. Oktober.“Es besteht Uneinigkeit darüber, wiedie Landversprechen in der Bibel auszu-legen sind”, heißt es in der Erklärung.“Aber wir finden es inakzeptabel, dieBibel ohne Rücksicht auf die ethischenKonsequenzen auszulegen”.

wichtig, “reicht hier aber kaum aus”, soTück unter Verweis auf Suren aus demKoran, die eine “Sprache der Gewalt”transportierten und daher “historischkontextualisiert und deutend entschärftwerden” müßten. Als weitere religions-politische Probleme ortete Tück außer-dem unter Verweis auf entsprechendeStudien die “Integrationsunwilligkeit”von bis zu einem Drittel der inÖsterreich lebenden Muslime, diedadurch begünstigte Ausbildung von“Parallelgesellschaften mit gefährlichenEigendynamiken”, den “Import einesmuslimischen Antisemitismus” sowieneuerdings auch einen “Antichristianis-mus” unter Islamisten. Diese Problememüßten offen angegangen und genau sokritisch bearbeitet werden wie islam-feindliche Einstellungen in der österrei-chischen Mehrheitsgesellschaft.

Großimam verurteilt brutalen Mord

Die Enthaupttung des französischenLehrers Samuel Paty, der in seinemUnterricht zu Fragen der Meinungs-freiheit auch Mohammed-Karikaturengezeigt und mit den Schülern bespro-chen hatte, durch einen Islamisten istauch von dem bei Sunniten führendenGroßimam Ahmad al-Tayyeb (Kairo)verurteilt worden. Es sei ein “kriminellerAkt”, der aus einer “perversen und fal-schen Ideologie heraus” erfolgt sei, hießes in einer in seinem Namen verlesenenRede während des interreligiösenFriedenstreffens im Oktober in Rom.

Irak:Junge Muslime setzen KircheninstantMuslimische Freiwillige der Gruppe“Sawaed al Museliya” (“Die HändeMossuls”) arbeiten derzeit daran, diechristlichen Kirchen in Mossul zu säu-bern, damit sie wieder zugänglich sind.Wie die italienische Nachrichtenagentur‚AsiaNews’ schreibt, wolle die Organi-sation “die Spuren des islamischenStaates damit verschwinden lassen undMenschen in Not Hilfe bringen”. DieGruppe arbeitet an der Restaurierungbestimmter historischer Gebäude inMossul (Nordirak), darunter auchchristliche Kirchen, in dem Versuch, dieWunden zu heilen, die durch die jahre-lange Herrschaft des sog. islamischenStaates (IS) entstanden sind. Einer vonihnen ist Mohammed Essam,Mitbegründer der Gruppe. Die Freiwil-ligen säubern die syrisch-katholischeKirche St. Thomas. Die Arbeit verstehensie, so Essam, auch als einen Appell andie geflohenen Familien, eine Botschaft,die besagt: “Kommt zurück, ohne euchist Mossul nicht vollständig (...) Wirwollen sagen, dass die Christen hierher

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Bei Meldungen aus der internationalen Oekumene wurden inErgänzung zu eigenen Recherchen Agentur mel dungen vonOeRK, LWI, RWF, CEC, RNA, RV und KIPA ausgewertet.

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Aus oekumenischen NETZEN

® Oekumenischer Ratschlag

Oekumenischer Kirchentag 2021 undVollversammlung des OeRK 2022

Mit dem bevorstehenden Oekumeni-schen Kirchentag in Frankfurt 2021 undder Vollversammlung des OeRK 2022befasste sich der Oekumenische Rat-schlag von Basisinitiativen in einer virtu-ellen Konferenz am 14.November. Ab-gestimmt wurden die vorgesehenen undvom OeKT angenommenen Stände,Ausstellung, Podien und Workshops derbeteiligten Gruppen aus dem Ratschlag.Impulse kamen von Fernando Enns,Professor für Friedenstheologie inHamburg und Mitglied des OeRK-Zen-tralausschusses, und Marc Witzenba-cher, Beauftragter für die Vollversamm-lung in Karlsruhe. Ein Ergebnis desRatschlags wurde in einem Petitum anden OeRK zugunsten einer Dekade fürGerechtigkeit, Frieden und Bewahrungder Schöpfung zusammengefasst. Darinheißt es: “Wir bitten den Oekumeni-schen Rat der Kirchen für den Zeitraum2021 bis 2030 eine Dekade zu Gerech-tigkeit, Frieden und Bewahrung derSchöpfung auszurufen.” Die christlichenKirchen mögen angesichts der einmali-gen Herausforderungen unserer Zeit ineinem Zehn-Jahres-Zeitraum für Ge-rechtigkeit, Frieden und Bewahrung derSchöpfung zusammenwirken. Dabei sol-len sie auch die Nachhaltigen Entwick-lungsziele der Agenda 2030 aufgreifenund die Zusammenarbeit mit nichtkirch-lichen Akteuren von der kommunalenbis zur internationalen Ebene suchen.

Für eine Dekade zu Gerechtigkeit,Frieden und Bewahrung derSchöpfung 2021 – 2030

In einer Begründung wird u.a. ausge-führt: Die Kirchen sollen eingeladenwerden, auf allen ihren Ebenen neueSchritte zu Gerechtigkeit, Frieden undBewahrung der Schöpfung zu gehen.Diese Begriffe zählen zu den zentralenbiblischen und theologischen Themen.Ihre Relevanz für kirchliches Denkenund Handeln muss in einer Zeit derKrise wiederentdeckt werden. Die Krisestellt übliche Verhaltensweisen in Frage;sie öffnet aber auch den Horizont für

ein neues Denken. Der notwendigeNeubau der Gesellschaft kann nur aufdem Fundament von Gerechtigkeit,Frieden und der Bewahrung derSchöpfung gelingen. Für christlicheWeltsicht ist der Ausdruck „Schöpfung“von Bedeutung, weil er den Anthropo-zentrismus von „Umwelt“ überwindet.Der 1983 begonnene konziliare Pro-zess, der ökumenische Lernweg gegen-seitiger Verpflichtung auf Gerechtig-keit, Frieden und Bewahrung der Schö-pfung, fasst die grundlegenden Über-lebens- und praktischen Glaubenfragenkonkret und verbindlich zusammen. Die Vereinten Nationen haben eineAgenda 2030 beschlossen, die 17 ZieleNachhaltiger Entwicklung mit 169Unterzielen umfasst. Die Umsetzungdieser Ziele braucht die Unterstützungmöglichst vieler Menschen. Zu ihrerbreitenwirksamen Vermittlung eignensich die drei Begriffe Gerechtigkeit,Frieden und Schöpfung am besten. Siesind sowohl in den Kirchen als auch inder weiteren Öffentlichkeit vertraut. Bereits die Schlusserklärung derKonferenz der Vereinten Nationen zurUmwelt und Entwicklung von Rio deJaneiro 1992 endet: „Frieden, Entwik-klung und Umweltschutz hängen vonei-nander ab; sie lassen sich nicht trennen.“Das war eine Ausgangsbasis für die spä-teren Nachhaltigen Entwicklungsziele(Sustainable Development Goals, SDGs).Papst Franziskus bekräftigte: „Friede,Gerechtigkeit und Bewahrung der Schö-pfung sind drei absolut miteinander ver-bundene Themen, die nicht getrenntund einzeln behandelt werden können,ohne erneut in Reduktionismus zu ver-fallen.“ (Laudato Si, Rom 2015, Abs.92)Diese Begriffstrias findet sich bereitsz.B. in Deutschland in Gesangbüchern,in der Bezeichnung von kirchlichenDienststellen ebenso wie etwa in derPräambel der Verfassung des FreistaatsSachsen oder im Schulgesetz vonMecklenburg-Vorpommern. Die Oeku-menische Versammlung 2014 in Mainzhat sie erneut entfaltet.Mit der vorgeschlagenen Dekadewürde ein Zusammenwirken vonKirchen mit Zivilgesellschaft, Kommu-nen und staatlichen Institutionen mitBlick auf die Nachhaltigen Entwick-lungsziele erleichtert.

Statt Börsennachrichten täglicheBerichte zur Umsetzung der SDGs

Kirchliche Presseagenturen (z.B. epdund kna) werden gebeten, alternativ zu

den täglichen Börsennachrichten in derARD, hinter denen Anreize zumWachstum mit materiellem Ressourcen-verbrauch für eine Minderheit derMenschheit stehen, statt dessen täglichüber die Entwicklung bei derErreichung der Nachhaltigkeitsziele zuberichten. Hier soll auch der systemischübergreifende Hoffnungshorizont derChristen sichtbar werden. Mit solchenSchritten kann die Einheit der christli-chen Kirchen verdeutlicht werden.Kontakt: Oekumenisches Netz in Deutschland,Geschäftsstelle der kommunalen Oekumene Treptow-Köpenick, Rudower Str. 23, 12557 Berlin, Tel.:030/46734594, E-Mail: Roek_trep_koep@@gmx.de

® ARGE Schöpfungsverant-wortung (Österreich)

Umfrage zu den NachhaltigenEntwicklunsgzielen

Die österreichische ARGE Schöpfungs-verantwortung führte zur Erhebung desBekanntheitsgrades der SDGs und derWahrnehmung in Kirche undGesellschaft bis 25. November 2020eine Umfrage durch. Sie ist Teil des Projektes „mit denSDGs den Wandel mitgestalten“, dasauf Kompetenz und eigenverantwortli-ches Handeln zielt. Mit der österreich-weiten Herausgabe von zahlreichenBehelfen und Umsetzungskonzepten(Ökologischer Fußabdruck, Bilanzender Gerechtigkeit) wird erwartet, demverbleibenden Zeitraum bis 2030 für dieErfüllung des UN „Welt-Zukunftspla-nes“ die nötige Dynamik zu verleihen.Der spürbare Wandel in der Gesell-schaft verursacht Unsicherheit, wenn-gleich die Option besteht, diesen nichtpassiv zu erleiden, sondern mutig neueWege zu gehen. Die ARGE Schöpfungsverantwortungsieht in der Synergie der 17Nachhaltigkeitsziele und des „Konzili-aren Prozesses für Frieden – Gerechtig-keit - Bewahrung der Schöpfung“ mitden sich überschneidenden Themen eineoptimale Möglichkeit, der drohendenKlimakatastrophe sowie Verarmung undBiodiversitätseinbruch verantwortlichwirksam entgegentreten zu können.Die ARGE Schöpfungsverantwortungist Mitglied von SDG-Watch Austriaund führt einschlägige Projekte durch,die sich mit einem Internationalen Sym-posium und Workshops, einer Exper-ten-Veranstaltungsreihe und SDG-Jour-Fixen bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie bewährten. Das laufendeProjekt erfolgt über die digitalen Me-dien und entwickelt sich kontinuierlich.

Kontakt: ARGE Schöpfungsverantwortung, IsoldeSchönstein, 1010 Wien, Peterskirche, Petersplatz 1,Tel.: 0043 660 76 000 08, E-Mail: office@arge

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® BayernKlimawandel - wen kümmert’s?

„Klimawandel! Wen kümmert’s?“ wardas Thema eines StudiennachmittagsMitte Oktober in München. DasÖkumenische Netz Bayern vertiefte seinWissen über die Ursachen und dieEntwicklung des Klimawandels.Referentin war Frau Dr. Maiken Winter,Gründerin und Vorsitzende vonWissenLeben e.V. Seit 2008 hält sieVorträge und Workshops über denKlimawandel, seine Konsequenzen undLösungsmöglichkeiten. Eindringlichund drastisch schilderte sie die Folgender Zunahme der Klimaveränderung. Sie erklärte die Zusammenhänge vonKlimaerwärmung, Armut, Krieg undNaturkatastrophen. Es wurde erneutüberdeutlich, wie wichtig es ist, sich fürCO2-Neutralität einzusetzen.Im zweiten Teil des Nachmittags wur-den die großen und kleinen möglichenSchritte in Richtung CO2--Neutralitätausgetauscht und Anregungen zumWeitergeben gesammelt.Deutlich dabei wird, dass es nichtgenügt, wenn Kirche und GemeindeEinsparungen vornehmen. Dringendnotwendig ist, dass Kirche Einfluss aufdie Politik nimmt und deutlichesHandeln fordert. Beispiele: effektiver Preis auf CO2,Überprüfung der Geldanlagen, Ver-pachtung und Weitergabe von Grund-stücken nur wenn ökologisches Wirt-schaften gewährleistet ist, Hinterfragendes Glaubens an ein ewiges Wachstum.Kontakt: OeNB, Michael Kappus, Tölzer Str. 7,

81379 München, www.oekumenisches-netz-bayern.de

® Württemberg

„Wir haben ein Handlungsproblem“

75 Jahre nach der StuttgarterSchulderklärung: Forum Oekumenefragt nach Schuld von heute. ZumForum Oekumene hatten „Pro Oeku-mene – Initiative für Württemberg“,Mitglied im Oekumenischen NetzWürttemberg, der DiMOE und dieEvangelische Mission in Solidarität(ems) eingeladen. Ohne diese Schuld-erklärung von 1945, nach der die deut-schen Kirchen wieder in die internatio-nale Gemeinschaft der Kirchen aufge-nommen wurden, würde es 2022 keineVollversammlung des OekumenischenRates der Kirchen in Karlsruhe alsogeben. Was bedeutet diese Schulderklärung ausheutiger Sicht? Wo werden Kirche undGesellschaft heute schuldig? WelcheEinheit sucht die Kirche heute? DieseFragen stellte das württembergischeForum Oekumene in der StuttgarterMarkuskirche.

„Wir gehen den Konflikten aus demWeg“

Boniface Mabanza von der KirchlichenArbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) inHeidelberg lenkte den Blick auf dieaktuellen globalen Herausforderungenund Ungerechtigkeiten. „Wir habenkein Erkenntnisproblem in der Welt, wirhaben ein Handlungsproblem und einUmsetzungsproblem“, betonte er. „Wirgehen den Konflikten aus dem Weg, dienotwendig sind, um etwas zu verän-dern.“ Auf die Kirchen würde wenigergehört als früher, aber: „Wir könnenmehr bewegen, als wir es gegenwärtigtun.“ Die Stimmen der Kirchen würdenerwartet und gebraucht.Im Blick auf die aktuelle Debatte umein Lieferkettengesetz kritisierte Maban-za: „Es gibt eine imperiale Lebensweise,die auf einem privilegierten Zugang zuden Rohstoffen des globalen Südensberuht und mit Umweltzerstörung ein-hergeht.“ Wie geschieht positive Veränderung?„Wir müssen an die Wirtschaftsstruktu-ren ran“, forderte ein Teilnehmer derengagierten Diskussion, die folgte.Ebenso deutlich war der Vorschlag, dieKirchen mögen Allianzen mit anderenAkteuren der Zivilgesellschaft bilden,etwa mit „Fridays for Future“. Mabanzaermutigte die Kirchen, ihre Aktionsfor-men zu prüfen: „Denkschriften gibt esgenug.“

Weiterarbeit von Pro Oekumene

Bei der anschließenden Pro Oekumene-Mitgliederversammlung, die wurde derPOe-Vorstand, bestehend aus HaraldWagner (Vorsitzender), Reinhard Hauffund Bernhard Dinkelaker (stellvertreten-de Vorsitzende), wiedergewählt.Außerdem wurde das jahrzehntelangeökumenische Engagement von WernerGebert gewürdigt mit seiner Wahl zumPOe-Ehrenvorsitzenden, dem zweitennach dem verstorbenen früheren OeRK-Generalsekretär Philip Potter.Das Forum Oekumene zum Thema"Für eine gerechte internationaleFinanz- und Wirtschaftsarchitektur" sollmit Martin Gück am 4. Februar 2021durchgeführt werden.

Neuer OeNW-NetzschwerpunktOeRK-Vollversammlung

Das Oekumenische Netz Württembergsetzt seinen Arbeitsschwerpunkt auf die2022 stattfindende Vollversammlungdes OeRK in Karlsruhe mit Blick auf dieVorbereitung als auch Nacharbeit inWürttemberg bzw. in Deutschland. Esgeht mehr denn je darum, wie eine sozi-al, ökonomisch, ökologisch gerechteTransformation aus dem Konziliaren

Beim Gottesdienst am Vormittag hieltider EKD-Ratsvorsitzende, BischofHeinrich Bedford-Strohm die Predigt.Wegen Corona konnte der geschäfts-führende Generalsekretär des OeRK,Ioan Sauca, nicht anreisen. Seine ein-drückliche Rede wurde von BenjaminSimon, OeRK-Beauftragter für Kirchen-beziehungen, vorgetragen. „Ziehen Sienicht den Stecker“, bat Sauca. Er erin-nerte damit an das Jahr 1975. Damalsforderte ein Teil der württembergischenLandessynodalen wegen des umstritte-nen OeRK-Sonderfonds zur Rassismus-bekämpfung den OeRK-Austritt. Als Gegenreaktion entstand dieInitiative „Pro Oekumene“. Ein Plakatwarb damals dafür, den Stecker derLandeskirche nicht aus der OeRK-Steckdose zu ziehen, sonst gehe inWürttemberg das Licht aus.Kirchen würden mit den Spaltungender Welt konfrontiert, daher werde dieOeRK-Gemeinschaft nie ohne Spannun-gen sein, sagte Sauca, aber sie werde im-mer als Energiequelle dienen. „1945waren die Kirchen in Deutschland tat-sächlich in Gefahr, keinen Anschluss andie ökumenische Gemeinschaft zu be-kommen, nicht wieder an die Steckdoseangeschlossen zu werden.“ In derStuttgarter Schulderklärung bedauertedie Kirche, im Angesicht des Naziterrors„nicht mutiger bekannt, nicht treuergebetet, nicht fröhlicher geglaubt undnicht brennender geliebt zu haben“. Die Erklärung hat eine langeVorgeschichte. „Bereits 1940 sprachDietrich Bonhoeffer über die Schuld derdeutschen Kirchen, offenbar aufgrundseiner tiefen Enttäuschung über dasSchweigen der Kirchen angesichts derDeportation und Ermordung vonMillionen von Juden und Jüdinnen inden Todeslagern der Nazis“, sagteSauca. Das Bekenntnis erwähne dieseErmordung allerdings nicht ausdrück-lich. „Viele Menschen haben dies alsden entscheidenden Schwachpunkt derErklärung angesehen.“

Eine ausgestreckte Hand

Auf Saucas Rede antworten in derMarkuskirche Podiumsgäste. SusanneSchenk, Fachreferentin für Oekumeneim Evangelischen OberkirchenratStuttgart, unterstrich: Ja, die StuttgarterSchulderklärung enthalte kein direktesWort über die Shoah, kein Wort überdie Verfolgung und Ermordung vonMenschen, die der nationalsozialisti-schen Ideologie zum Opfer fielen. „Dasfehlt schmerzhaft.“ Deshalb liege dieGröße des Ereignisses nicht im Text derErklärung, sondern in der ausgestreck-ten Hand der Ökumene, mit der dasunvollkommene Bekenntnis angenom-men wurde.

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Prozess erwachsen und weiterentwickeltwerden kann.Die SprecherInnen des Oekumeni-schen Netzes Württemberg, SylviaDieter und Christof Grosse, tauschtensich hierzu im Lauf des Jahres 2020mehrfach mit der InitiatorInnen-Gruppedes "Offenen Briefs" vom Februar 2020im Rahmen des Projekts "OekumenischeVernetzung" aus, das eine kritische Teil-habe im Rahmen des Begleitpro-gramms an der Vollversammlung plant.Kontakt:Oekumenisches Netz Württemberg, c/oSylvia Dieter, Nahe Weinbergstr. 12, 74348 Lauffenam Neckar

® Rhein-Mosel-Saar

Kirchenasyl bedroht

Die Äbtissin eines Klosters muss sich vorGericht verantworten, weil sie in ihremKonvent Kirchenasyl gewährt hat. DieStaatsanwaltschaft Bamberg erhebtgegen die Ordensfrau den Vorwurf der"Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt",weil sie im Herbst 2018 durch "einsogenanntes Kirchenasyl" dieRücküberstellung einer ausreisepflichti-gen Asylbewerberin aus Eritrea nachItalien "verhindert" habe, wie es imStrafbefehl an die Benediktinerin heißt.Da sich Mutter Mechthild Thürmer - sieist Oberhaupt der Abtei Maria Friedenim oberfränkischen Kirchschletten - wei-gert, die im Strafbefehl auf 2500 Eurofestgesetzte Geldstrafe zu zahlen, soll esvor dem Amtsgericht Bamberg zumProzess kommenDie Äbtissin selbst meint, einKirchenasyl diene in erster Linie dazu,dass die Fälle vom Bundesamt fürMigration und Flüchtlinge (BAMF)erneut geprüft werden.Aus Sicht vieler Kirchenasyl-Befür-worter bewirkte die 2015 erfolgte Ver-einbarung des BAMF mit den großenKirchen durchaus Gutes, wurden durchsie zahlreiche Flüchtlinge letztlich dochals Asylbewerber anerkannt. Aber dieZeiten haben sich geändert, "spätestensseit das BAMF 2018 einseitig dasÜbereinkommen erweiterte", sagt derMünchner Rechtsanwalt Franz Bethäu-ser, der die Äbtissin vor Gericht vertritt.Seine Mandantin habe sich voll an dieVorgaben von 2015 gehalten.Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor,durch die Gewährung von Unterkunftund Verpflegung "wissentlich und wil-lentlich" eine Durchsetzung der Ausrei-sepflicht verhindert zu haben - zu ahn-den mit 50 Tagessätzen von jeweils 50Euro.Rechtsanwalt Bethäuser hält dagegen:"Das bloße Betreuen, Beherbergen undVerpflegen eines ausreisepflichtigenAusländers stellt auch keine Beihilfe-handlung zum unerlaubten Aufenthalt

dar." Mit dieser Argumentation hatteder Anwalt erst vor Kurzem in einemKirchenasyl-Verfahren gegen einenevangelischen Geistlichen den Direktordes Amtsgerichts Landau überzeugenkönnen.

Solidarität mit Äbtissin MechthildThürmer

Das „Oekumenische Netz Rhein-Mosel-Saar“ erklärt sich solidarisch mitMechthild Thürmer, der Äbtissin derAbtei Maria Frieden in Kirchschletten,die sich wegen der Gewährung vonKirchenasyl vor Gericht verantwortenmuss. Die Gewährung von Kirchenasyl füreine eritreische Asylbewerberin durchdie benediktinische Klostergemeinschaftist ein Akt der Menschlichkeit. Durchdie Abschiebung der Mutter nach Italienwürde eine Familie auseinander gerissen,die bereits unfreiwillig ihre Heimat ver-lassen musste. Ein Staat, der angesichtsdes Elends und der Verzweiflung dieserMenschen nur auf die Durchsetzungvon formalem Recht pocht, untergräbtmit solch inhaltsleerem Rechtsformalis-mus das humane Verhalten seinerBürgerInnen und die humanitärenGrundlagen des Zusammenlebens.„Wer Hilfe zu kriminalisieren versucht,der braucht sich über die Entsolidarisie-rung der Gesellschaft an anderer Stellenicht zu wundern“ (Pirmin Spiegel,Misereor). Die zunehmende Missacht-ung der Argumente von Kirchenasylgewährenden Gemeinden in den vergan-genen beiden Jahren leistet zudem frem-denfeindlichen Tendenzen Vorschub. Menschen, deren Lebensgrundlagenund Perspektiven durch Gewalt undstrukturelles Unrecht zerstört werdenund die in ihrer Verzweiflung keinenanderen Ausweg sehen, als ihre Heimatzu verlassen, brauchen unsere Solidari-tät. Konkreter Ausdruck dieserSolidarität ist die Praxis des Kirchen-asyls. Sie geht zurück auf eine biblischeTradition, in der Gottes Sorge nichtdenjenigen gilt, die formal im Rechtsind, sondern dem Schutz von Verfolg-ten und Flüchtenden. Wenn Christenund Christinnen heute GeflüchtetenKirchenasyl gewähren, nehmen sie dasRecht auf Religionsfreiheit in Anspruch.Christliche Religion äußert sich nichtnur im Kult, sondern vor allem undwesentlich in einer humanitären Praxis. Das Kirchenasyl der Klostergemein-schaft Maria Frieden in Kirchschlettenist in diesem Sinne ein wichtigesZeichen der Humanität und Solidaritätund der praktischen Ausübung vonReligionsfreiheit in einer Zeit zuneh-mender Inhumanität, die in Form vonApathie und Gleichgültigkeit sowie inder Politik durch Abschottung und

Abwehr von Menschen in Not zumAusdruck kommt.Kontakt: Oekumenisches Netz Rhein – Mosel – Saare.V., Dominik Kloos, Fröbelstr. 9, 56073 Koblenz,Tel. 0261-89926284, E-Mail: [email protected],www.oekumenisches-netz.de

® Freundeskreis des Plädoyersfür eine ökumenische Zukunft

Der Freundeskreis des Plädoyer für eineökumenische Zukunft hat die Beiträgezur Stuttgarter Schulderklärung bei derVeranstaltung zu 75 Jahre nach derStuttgarter Schulderklärung im ForumÖkumene (siehe oben) veröffentlicht,ergänzt durch das Darmstädter Wortvon 1947. Gert Rüppell hat in seinerEinleitung die positiven und negativenWirkungen des halbherzigen StuttgarterSchuldbekenntnisses beschrieben undkritische Fragen an das anschließende,recht fragwürdige politische Verhaltender Kirche bis in die heutige Zeit hineingestellt.Das 28-Seiten-Heft ist zum Preis von

€ 2.- plus Porto erhältlich über dieKontaktadresse.Kontakt: Werner Gebert, Banweg 14, 72131Ofterdingen, Tel: 07473 - 95 98 98, euw.gebert@t-

online.de

® Kairos Europa

Globale Steuergerechtigkeit jetzt (erstrecht)! - Die Zachäus-Kampagne derweltweiten Ökumene im Brennglasder Corona-Pandemie

Nachdem die letztjährige Zachäus-Bro-schüre von Kairos Europa die weltweiteökumenische Kampagne für soziale undökologische Steuergerechtigkeit mitihrer theologischen Grundlegung sowie(wirtschafts-, sozial- und umwelt-)poli-tischen Ausrichtung recht allgemein vor-gestellt hatte, stellt ein neues Heftdarauf ab, die dringliche Notwendigkeitder sozialethischen und politischenBerücksichtigung und Anwendung des„Zachäus-Prinzips“ in Anbetracht aus-gewählter, durch die Corona-Pandemiestärker akzentuierte Krisenherde kon-kret(er) zu exemplifizieren und zuzu-spitzen. Die Publiaktion umfasst ca. 60

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schung zu umgesetzter Klimapolitikuntersuchten die Autoren, inwieweitRegierungen mit Klimaschutz zugleichpositive soziale Ergebnisse erzielt haben.„Schlecht konzipierte Klimapolitik, diesoziale Probleme verschärft, ist einGeschenk für die Kohle- undÖlindustrie“, sagt William Lamb,Forscher in der MCC-ArbeitsgruppeAngewandte Nachhaltigkeitsforschungund Leitautor der Studie. „Dies gilt esunbedingt zu vermeiden – sonst nutzenderen Lobbyisten solche Fehlleistungen,um die Klimapolitik zurückzudrehenund die eigenen Folgekosten gering zuhalten.“Die Studie untersucht verschiedeneFormen der Klimapolitik, wie etwahöhere Spritsteuern, CO2-Bepreisungim Energiesektor, Subventionen fürSolarzellen, Hilfsprogramme für dieVerbesserung von Energieeffizienz,Einspeisevergütungen für Grünstromsowie Staudammbauten und andereGroßprojekte. Für jedes Politikinstru-ment gibt es Beispiele für sozial unbe-denkliche Umsetzung – etwa das„Warm Front Home Energy EfficiencyScheme“ in Großbritannien, das dieBrennstoffkosten für Haushalte mitniedrigem Einkommen senkte. Aberauch von gescheiterten Projekten – etwagroße Wasserkraft-Installationen inSüdostasien mit schwerwiegendenAuswirkungen auf Lebensgrundlagenund Armut.„Insgesamt ist unsere Studie Anlasszur Zuversicht“, bilanziert MCC-Forscher Lamb. „Denn wo der Kampfgegen die Erderwärmung nicht nur gutgemeint, sondern auch gut gemacht ist,lassen sich die vielzitierten Co-Benefitsder Klimapolitik gut nachweisen. Wirkönnen also ambitionierte Klima-Maßnahmen unterstützen, die auchsoziale Fragen direkt angehen.“ Kontakt: MCC, Mercator Research Institute onGlobal Commons and Climate Change (MCC),EUREF Campus 19, Torgauer Straße 12-15, 10829Berlin, Tel.: 030/3385537 0, E-Mail: contact(at)mcc-berlin.net

® Evangelische Friedensarbeit

Deutschland muss jetzt demAtomwaffenverbotsvertrag beitreten

Nachdem der Internationale Vertragzum Verbot von Atomwaffen von 50Staaten ratifiziert und damit im Januarin Kraft treten kann, hat der Friedens-beauftragte des Rates der EvangelischenKirche in Deutschland (EKD), RenkeBrahms, die Bundesregierung aufgefor-dert, konkrete Schritte zu unternehmen,

Seiten mit Beiträgen von AthenaPeralta, Rogate Reuben Mshana, PhilipVinod Peacock, Jörg Alt, GiselherHickel, Lorenz Jarass, Christian Zeller,Heike Knops, Franz Segbers und MartinGück. Sie ist für 5,- € zzgl. Versandkos-ten erhältlich.Zur Vorbereitung auf die Vollver-sammlung des OeRK 2022 engagiertsich Kairos Europa in einer neuen öku-menichen Vernetzung. Geplant sind ein‘Casa Commun’ zur Beförderung desAustauschs von Delegierten mit Basis-initiativen während der Vollversamm-lung und neue Websites.Kontakt: Kairos Europa im WeltHaus, Willy-Brandt-Platz 5, 69115 Heidelberg, Tel.: 06221/800255, E-mail: [email protected], www.kairoseuropa.de

® Erlassjahr

Klimagerechtigkeit braucht Entschul-dung

Das deutsche Entschuldungsbündniserlassjahr.de fordert von der Bundes-regierung, sich für eine Entschuldungder von Klimakatastrophen am härtestenbetroffenen Staaten einzusetzen. ImRahmen der Kampagne „Klimagerech-tigkeit braucht Entschuldung“ teilenMitträger und UnterstützerInnen einezentrale Botschaft: Klimakatastrophendürfen nicht zu Schuldenkrisen führen.Nothilfe und Wiederaufbau müssenunbedingten Vorrang vor Schuldenrück-zahlungen haben. Gerade die kleinsten und ärmstenStaaten, die kaum etwas zumKlimawandel beitragen, sind besondersdramatisch von Klimakatastrophenbetroffen: 2017 fegte Hurrikan „Maria“über die Karibikinsel Dominica hinwegund verwüstete sie vollständig. Nichtnur humanitär, auch finanziell war dasein Desaster für den Inselstaat: DieSchäden entsprachen 225 Prozent seinergesamten jährlichen Wirtschaftsleistung.Kristina Rehbein, politische Referen-tin von erlassjahr.de, mahnt: „Hoch ver-schuldete Länder wie Dominica geratendurch solche Klimakatastrophen immertiefer in eine Schuldenfalle: Mit jederSchuldenrückzahlung an ihre Gläubigerverlieren sie Geld, das dringend fürNothilfe und Wiederaufbau gebrauchtwird. Sie müssen auf Hilfszusagen ausdem Ausland warten oder sogar neueKredite aufnehmen, die ihre Schuldenweiter in die Höhe treiben.“Im Fall einer solchen Katastrophemuss verhindert werden, dass weiterGeld aus dem Staatshaushalt abfließt:

Ein automatischer Zahlungsstopp derlaufenden Schuldenrückzahlung setztdringend benötigtes Geld zur sofortigenVerwendung für Nothilfe und Wieder-aufbau frei. In einem zweiten Schrittmuss der betroffene Staat mit allen sei-nen Gläubigern verhandeln können, wiedie Verschuldung auf ein tragfähigesMaß gesenkt werden kann.Einen solchen Mechanismus aussofortigem Moratorium und einer alleSchulden einbeziehenden Umschuldunghatten zuletzt sowohl das karibischeEntschuldungsnetzwerk Jubilee Carib-bean als auch der Zusammenschluss derkleinen Inselentwicklungsstaaten AOSISgefordert.Rehbein weiter: „Die Hauptverurs-acher des Klimawandels – reiche Länderwie Deutschland – müssen endlich auchfinanziell Verantwortung für seine ver-heerenden Folgen übernehmen! Dochdie Bundesregierung verhindert schonseit Jahren gemeinsam mit anderenIndustriestaaten eine multilateraleVereinbarung über die Entschädigungfür Schäden und Verluste, die durch denKlimawandel entstehen. Die berechtig-ten Forderungen aus dem GlobalenSüden werden dabei einfach ignoriert!“Das deutsche Entschuldungsbündnis„erlassjahr.de – Entwicklung brauchtEntschuldung e. V.“ setzt sich dafür ein,dass den Lebensbedingungen vonMenschen in verschuldeten Ländernmehr Bedeutung beigemessen wird alsder Rückzahlung von Staatsschulden.erlassjahr.de wird von derzeit über 600Organisationen aus Kirche, Politik undZivilgesellschaft bundesweit getragenund ist eingebunden in ein weltweitesNetzwerk nationaler und regionalerEntschuldungsinitiativen.Kontakt: Erlassjahr.de, Elise Kopper, erlassjahr.de,Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Bildung,[email protected], Tel.: 0211 / 4693-211,www.erlassjahr.de

Klimaschutz lässt sich sozialverträg-lich gestalten

Die Klima- und Energiepolitik war bis-her oft nicht optimal, was die sozialenFolgen angeht – also etwa die Lebens-qualität des Einzelnen, die Verteilungdes Wohlstands und der lokale Zusam-menhalt. Das liegt nicht in der Naturder Sache, sondern lässt sich vermeiden,wie jetzt eine aufwendige Metastudieunter Leitung des Berliner Klimafor-schungsinstituts MCC (MercatorResearch Institute on Global Commonsand Climate Change) belegt. Demnachgibt es inzwischen soziale Erfolgsstoriesfür alle wichtigen Politikinstrumente,sowohl in Industrie- als auch inEntwicklungsländern. Mit einer syste-matischen Methode der Suche, Auswahlund Durchsicht der gesamten For-

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und danach handeln, wird das ReichGottes Wirklichkeit. Wo wir uns daranorientieren, haben wir ein festesFundament – wie der kluge Mensch imbiblischen Text. Unser Handeln ist ent-scheidend“, sagen die Frauen in ihremGottesdienst. Ein Ansatz, der in Vanuatu in Bezugauf den Klimawandel bereits verfolgtwird. Denn die 83 Inseln im pazifischenOzean sind vom Klimawandel betroffen,wie kein anderes Land, und das, obwohles keine Industrienation ist und auchsonst kaum CO2-ausstößt. Die steigen-den Wassertemperaturen gefährdenFische und Korallen. Durch derenAbsterben treffen die Wellen mit vollerWucht auf die Inseln und tragen sieStück für Stück ab. Steigende Tempe-raturen und veränderte Regenmusterlassen Früchte nicht mehr so wachsenwie früher. Zudem steigt nicht nur derMeeresspiegel, sondern auch die tropi-schen Wirbelstürme werden stärker. Sozerstörte zum Beispiel 2015 der ZyklonPam einen Großteil der Inseln, 24Menschen starben im Zusammenhangmit dem Wirbelsturm. Um dem entge-genzuwirken, gilt seit zwei Jahren inVanuatu ein rigoroses Plastikverbot. DieNutzung von Einwegplastiktüten,Trinkhalmen und Styropor ist verboten.Wer dagegen verstößt muss mit einerStrafe von bis zu 900 Dollar rechnen.

Keine Frau im Parlament

Doch nicht alles in dem Land ist so vor-bildlich. So sitzt im vanuatuischen Parla-ment keine einzige Frau, obwohl sich 15im Jahr 2020 zur Wahl stellten. Frauensollen sich „nur“ um das Essen, die Kin-der und die Pflege der Senioren küm-mern. Auf sogenannten Mammas-Märkten verkaufen viele Frauen das, wassie erwirtschaften können: Gemüse,Obst, gekochtes Essen und einfacheNäharbeiten. So tragen sie einen Groß-teil zum Familieneinkommen bei. DieEntscheidungen treffen die Männer,denen sich Frauen traditionell unterord-nen müssen. Machen Frauen das nicht,drohen ihnen auch Schläge. Das belegtdie einzige Studie über Gewalt gegenFrauen in Vanuatu, die 2011 durchge-führt wurde: 60 Prozent der befragten2.300 Frauen gaben demnach an, dassihr Mann schon einmal gewalttätiggeworden sei. Mit seiner Projektarbeit unterstütztder Weltgebetstag Frauen und Mädchenweltweit: Zum Beispiel im pazifischenRaum, auch auf Vanuatu. Dort lernenFrauen sich über Medien eine Stimmezu verschaffen, damit ihre Sichtweisenund Probleme wahrgenommen werden.Oder in Indonesien, wo Frauen nebenökologischem Landbau lernen, welcheRechte sie haben und wie sie um deren

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um den Vertrag zu unterzeichnen. „Esist höchste Zeit, dass die deutscheAußen- und Sicherheitspolitik aufhört,diesen Vertrag zu ignorieren“, so RenkeBrahms.Der Atomwaffenverbotsvertrag war imSommer 2017 von 122 Staaten in derUN-Vollversammlung verabschiedetworden, 84 Länder sind ihm seitdembeigetreten. Die Atomwaffenmächte,aber auch Deutschland, hatten an denVerhandlungen nicht teilgenommenund den Vertrag auch nicht unterzeich-net. Mit der Ratifizierung durchHonduras als 50. Staat kann der Vertrag90 Tage später nun in Kraft treten.„Dies zeigt, dass die Mehrheit derStaatengemeinschaft den Besitz und dieDrohung mit Atomwaffen entschiedenablehnt“, ist der EKD-Friedensbeauf-tragte überzeugt. Da dürfe Deutschlandnicht länger abseitsstehen, fügt RenkeBrahms mit Nachdruck hinzu. „Das Zielist Global Zero, eine Welt ohneAtomwaffen. Nach der völkerrechtlichenÄchtung von biologischen und chemi-schen Massenvernichtungswaffen ist dieinternationale Ächtung von Atomwaffenlängst überfällig“, macht der Theologedeutlich. Dass der Internationale Vertrag zumVerbot von Atomwaffen nun völker-rechtliche Anerkennung erfahre, sei aberauch das Verdienst der Friedensbewe-gung. „Ohne die damalige Initiative derinternationalen Kampagne ICAN hättees diesen Vertrag wohl nicht gegeben.Und dafür hat ICAN 2017 auch zu-recht den Friedensnobelpreis erhalten“,betont der EKD-Friedensbeauftragte.Kontakt: Bundesgeschäftsstelle, Endenicher Straße 4,53115 Bonn, Tel.: 0228 249 99-0, E-Mail:[email protected], www.eak-online.de

®Weltgebetstag der Frauen

Weltgebetstag 2021 aus VanuatuWorauf bauen wir?

Felsenfester Grund für alles Handelnsollten Jesu Worte sein. Dazu wollen dieFrauen aus Vanuatu in ihremGottesdienst zum Weltgebetstag am 5.März 2021 ermutigen. „Worauf bauenwir?“, ist das Motto des Weltgebetstagsaus Vanuatu, in dessen Mittelpunkt derBibeltext aus Matthäus 7, 24 bis 27 ste-hen wird. Denn nur das Haus, das auffestem Grund stehe, würden Stürmenicht einreißen, heißt es in derBibelstelle bei Matthäus. Dabei gilt esHören und Handeln in Einklang zubringen: „Wo wir Gottes Wort hören

Einhaltung kämpfen. Auch hier inDeutschland will der Weltgebetstag fürdas Klima tätig werden. Deshalb sindbienenfreundliche Samen im Vertriebs-sortiment der Geschäftsstelle. Sie sollendazu beitragen, Lebensraum für Bienenzu schaffen und die Artenvielfalt zuerhalten.

Der Weltgebetstag

Über Länder- und Konfessionsgrenzenhinweg engagieren sich Frauen seit über100 Jahren für den Weltgebetstag undmachen sich stark für die Rechte vonFrauen und Mädchen in Kirche undGesellschaft. Kontakt: Weltgebetstag der Frauen, Deutenbacher Str.1, 90547 Stein, Tel.: 0911 6806-301, E-Mail: [email protected]

® Aktion Aufschrei

Vorrang für Menschenrechte

Deutschland gehört seit Jahren zu denTop 5 der größten Waffenexporteureder Welt. Im Jahr 2019 erreichten dieRüstungsexporte mit einem Genehmi-gungswert von über acht MilliardenEuro ihren bisherigen traurigen Höhe-punkt. Ein großer Teil der Kriegswaffenund sonstigen Rüstungsgüter werden anLänder geliefert, die an Kriegen beteiligtsind, massiv Völkerrecht und Menschen-rechte verletzen oder sich in Krisenre-gionen befinden. Die “Aktion Aufschrei” bittet darum:“Fordern Sie die Bundestagsabgeord-neten in Ihrem Wahlkreis auf, sich fürein Rüstungsexportkontrollgesetz ein-zusetzen.” Material siehe “Kontakt”.Kontakt: pax christi Deutsche Sektion e.V., Feldstr. 4,13355 Berlin, Tel.: 030 2007678-0,E-Mail: [email protected], www.aufschrei-waffenhandel.de

Das Gottesdienstplakat aus Vanuatu fürden Weltgebetstag 2021

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Oekumenische Netze im Konziliaren ProzessDer OEKUMENISCHE INFORMATIONSDIENST bietet unter anderem den hier aufgeführten oekume -nischen Netzen eine Austauschplattform.

BayernOekumenisches Netz in Bayernc/o Michael KappusTölzer Str. 7, D-81379 Münchenwww.oekumenisches-netz-bayern.de

BerlinBüro der kommunalen OekumeneTreptow-KöpenickDr. Klaus WazlawikRudower Straße 23, D-12557 BerlinTel.: 0 30/467345 [email protected]

INKOTAChrysanthemenstr. 1–3, D-10407 BerlinTel.: 0 30/4208202-0Fax: 0 30/4208202-10

Bremenforum KircheHoller Allee 75, D-28209 BremenTel.: 04 21/34615-36Fax: 04 21/34615-38

HamburgSolidarische Kirche in NordelbienHeike Schoon c/o Pauluskirche AltonaBei der Pauluskirche 1, D-22769 [email protected]

HessenOekumenisches Netz Nord- undOsthessenDieter Lomb, Baunsbergstr. 7D-34131 [email protected]

NiedersachsenArbeitskreis Konziliarer ProzeßHermann de BoerMasurenstr. 9bD-31832 Springe

OldenburgOekumenisches Zentrum Oldenburg e.V.Kleine Kirchstr. 12, D-26122 OldenburgTel./Fax: 04 41/2489524

PfalzArbeitsstelle Frieden und Umwelt derEvangelischen Kirche in der Pfalz(Protestantische Landeskirche)Referat Konziliarer ProzessGroße Himmelsgasse 3, D-67346 SpeyerTel.: 0 62 32/6715-0Fax: 0 62 32/[email protected]

Nördliches Rheinland-Pfalz und Saarland Oekumenisches Netz Rhein-Mosel-Saar Dominic Kloos c/o Pfarrgemeinde St. FranziskusFröbelstr. 9, D-56073 Koblenzwww.oekumenisches-netz.de

Rheinland

Solidarische Kirche im Rheinlandc/o Rita Horstmann, Deutz-Mülheimer-Str. 199, 51063 Köln,[email protected], www.solidarische-kirche.de

Sachsen-AnhaltLothar-Kreyssig Oekumene-ZentrumAm Dom 2D-39104 MagdeburgTel.: 03 91/5346-4 93Fax: 03 91/5346-4 90

SachsenOekumenisches InformationszentrumDresdenElisabeth Naendorf, Kreuzstr. 7D-01067 DresdenTel.: 03 51/[email protected]

WestfalenOekumenisches Netz in WestfalenMÖWe,Annette Muhr-Nelson, Olpe 35 D-44135 DortmundTel.: 02 31/5409-72Fax: 02 31/5409-21

Solidarische Kirche Westfalen-LippeMichael Nelson, GeschäftsführerGraf-Adolf-Str. 61, D-58730 FröndenbergTel.: 0 23 73/[email protected]

WürttembergOekumenisches Netz WürttembergSylvia Dieter, Nahe Weinbergstr. 12D-74348 Lauffen am NeckarTel.: 0 7133/21068

Oekumenisches Netz in DeutschlandGeschäftsstelle der kommunalen OekumeneTreptow-Köpenick Dr. Klaus Wazlawik, Rudower Str. 23D-12557 Berlin, Tel.: 0 30/467345 [email protected]

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