observatives lernen im sport

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Die Couch-Trainierer Die wettkampffreie Zeit eignet sich besonders gut für die Verfeinerung Ihrer motorischen Fertigkeiten in den Teildisziplinen des Triathlons. Einiges davon können Sie sogar auf dem heimischen Sofa erledigen. von Holger Lüning H aben Sie sich schon einmal dabei ertappt, wie Sie bei einer span- nenden Live-Sportreportage buchstäblich „mitgehen“? Wie sich all Ihre Muskeln anspannen und Sie im Sprint- finale der Tour de France den Oberkörper nach vorn werfen, wie es die Fahrer tun? Oder wie Sie bei einer packenden Entschei- dung im Hochsprung den Rücken über- strecken, als müssten Sie selbst die Stange überqueren? In diesen Momenten erleben Sie die Effekte des observativen, also des beobachtenden Lernens. Die Erwartung bestimmter Bewegungsabläufe führt nicht nur dazu, dass Sie als Beobachter in Gedan- ken mitarbeiten, sie löst sogar Muskelkon- traktionen aus. UNKONTROLLIERTE ZUCKUNGEN Dass die intensive Vorstellung einer Be- wegung oſt zu ihrer angedeuteten Ausfüh- rung führt, haben Gelehrte schon vor rund 200 Jahren beschrieben. Mit der Hilfe von Verfahren, die die mit Muskelbewegungen einhergehenden elektrischen Impulse auf- zeichnen (Elektromyographie, EMG), wur- de der wissenschaſtliche Beweis dafür er- bracht. Seitdem trägt das Phänomen den Namen seiner Entdecker: Carpenter-Effekt. Die daraus abgeleiteten Verfahren werden in der modernen Sportwissenschaſt auch als Ideomotorisches Training bezeichnet und sind ein Baustein des sehr komplexen Mentalen Trainings. Das Lernen durch Beobachtung ist also kei- ne beliebige Methode, sondern lässt sich ganz gezielt herbeiführen und einsetzen. Voraussetzung dafür ist die visuelle Darstel- lung eines Bewegungsablaufs in seiner mo- torischen Idealform. Sei es in Form einer Videoaufzeichnung oder indem Sie einen technisch hochqualifizierten Sportler „bei der Arbeit“ beobachten. Seien Sie also ruhig mal Zaungast, wenn gute Athleten Ihres Foto: dreamstime service techniktraining 84 triathlon

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Die wettkampffreie Zeit eignet sich besonders gut für die Verfeinerung Ihrer motorischen Fertigkeiten in den Teildisziplinen des Triathlons. Einiges davon können Sie sogar auf dem heimischen Sofa erledigen: mit den Methoden und Eigenschaften des observativen Lernens.

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Die Couch-TrainiererDie wettkampffreie Zeit eignet sich besonders gut für die Verfeinerung Ihrer motorischen Fertigkeiten in den Teildisziplinen des Triathlons. Einiges davon können Sie sogar auf dem heimischen Sofa erledigen. von Holger Lüning

Haben Sie sich schon einmal dabei ertappt, wie Sie bei einer span-nenden Live-Sportreportage

buchstäblich „mitgehen“? Wie sich all Ihre Muskeln anspannen und Sie im Sprint-finale der Tour de France den Oberkörper nach vorn werfen, wie es die Fahrer tun? Oder wie Sie bei einer packenden Entschei-dung im Hochsprung den Rücken über-strecken, als müssten Sie selbst die Stange überqueren? In diesen Momenten erleben Sie die Effekte des observativen, also des beobachtenden Lernens. Die Erwartung bestimmter Bewegungsabläufe führt nicht nur dazu, dass Sie als Beobachter in Gedan-

ken mitarbeiten, sie löst sogar Muskelkon-traktionen aus.

Unkontrollierte ZUckUngenDass die intensive Vorstellung einer Be-

wegung oft zu ihrer angedeuteten Ausfüh-rung führt, haben Gelehrte schon vor rund 200 Jahren beschrieben. Mit der Hilfe von Verfahren, die die mit Muskelbewegungen einhergehenden elektrischen Impulse auf-zeichnen (Elektromyographie, EMG), wur-de der wissenschaftliche Beweis dafür er-bracht. Seitdem trägt das Phänomen den Namen seiner Entdecker: Carpenter-Effekt. Die daraus abgeleiteten Verfahren werden

in der modernen Sportwissenschaft auch als Ideomotorisches Training bezeichnet und sind ein Baustein des sehr komplexen Mentalen Trainings.

Das Lernen durch Beobachtung ist also kei-ne beliebige Methode, sondern lässt sich ganz gezielt herbeiführen und einsetzen. Voraussetzung dafür ist die visuelle Darstel-lung eines Bewegungsablaufs in seiner mo-torischen Idealform. Sei es in Form einer Videoaufzeichnung oder indem Sie einen technisch hochqualifizierten Sportler „bei der Arbeit“ beobachten. Seien Sie also ruhig mal Zaungast, wenn gute Athleten Ihres Fo

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örtlichen Vereins trainieren. Zeichnen Sie Wettkämpfe auf Video auf oder erwerben Sie Lehrmaterial, in dem die Bewegungs-abläufe, die Sie erlernen wollen, sehr gut

und möglichst aus verschiedenen Blick-winkeln dargestellt sind. Damit haben Sie die besten Quellen für Ihr „Obser-vatives Training“ bereits zur Hand.

emotionen als ankerSie müssen sich nicht zwangsläufig in

einem ruhigen Raum befinden, um Lern-effekte zu erzielen. Kombinieren Sie Ihre Beobachtungsdurchgänge mit emotiona-len Eindrücken, können Sie sich damit so-gar zusätzliche Erinnerungsanker schaffen. Je intensiver Sie sich in die Situation Ihres Bewegungsvorbilds hineinversetzen, des-to besser wird Ihnen später der Transfer in die konkrete Bewegung gelingen. Konzen-

trieren Sie sich zum Beispiel als Zuschauer eines Schwimmwettkampfs auf einen be-stimmten Athleten, beobachten Sie seine Bewegungen genau! Dabei entstehen bei Ihnen selbst tatsächlich kleinste muskulä-re Kontraktionen, die Sie quasi eins werden lassen mit Ihrem Beobachtungsobjekt. Das Gleiche passiert, wenn Sie beispielsweise die Armpendelbewegung eines Läufers stu-dieren oder den Krafteinsatz eines Zeitfah-rers genau verfolgen. Die kleinen Kontrak-tionen prägen in Ihrem Gehirn ein Muster, das der idealen Bewegungsausführung zu-mindest nahekommt. Je häufiger Sie die Übungsform anwenden, desto präziser und sicherer wird dieses Bewegungsabbild. Und umso leichter fällt Ihnen nachher die Um-setzung des Bewegungsablaufs beziehungs-weise die Integration der neuen Elemente in die Gesamtbewegung.

Wie jedes andere Training sollten Sie das Observative Training regelmäßig durch-führen. Nehmen Sie sich immer wieder die Zeit, um sich die Idealvorstellung der Be-wegung in Ihr Gedächtnis zurückzurufen. Notieren Sie die für Sie wichtigen Beobach-tungen von Schlüsselpassagen wie Winkel-stellungen oder den Zeitpunkt und Verlauf des muskulären Einsatzes. Mit Hilfe die-ser Aufzeichnungen kommen Sie bei Ihrer nächsten Sitzung schneller wieder ins The-ma und können diese Lernhilfe zudem nut-zen, wenn Sie die bewegten Bilder einmal nicht zur Hand haben sollten. Formulie-ren Sie sich vielleicht sogar eigene prägnan-te Merksätze!

Feedback von aUssenMöchten Sie noch einen Schritt weiter-

gehen, dann lassen Sie Ihre eigenen Aus-führungen mit einer Videokamera auf-zeichnen. Damit sind Sie an einem Punkt

angelangt, an dem Sie einen ersten Soll-/Ist-Vergleich durchführen können. Sie bekom-men so einen noch besseren Eindruck von Ihrer eigenen Bewegung und können Ihre Empfindungen (zum Beispiel über Druck-verhältnisse, Armposition oder Muskelspan-nung) mit der objektiven Darstellung der Bewegung vergleichen und verbinden.

Nutzen Sie diese Möglichkeit des Feed-backs, wann immer Sie sie haben! Sie kann zu einem Meilenstein in Ihrer sportlichen Entwicklung werden: Wie weit sind Sie in der Praxis von Ihrer im Kopf gespeicherten Idealvorstellung entfernt? Wie nahe liegen Ihr Bewegungsempfinden und die tatsäch-liche Ausführung beieinander? Sie werden feststellen, dass Sie mit Hilfe des optischen Feedbacks ihre technische Weiterentwick-lung noch präziser steuern können. Zu-sätzlich können Sie natürlich die Hinwei-se eines Spezialisten oder Trainers in diesen Vorgang einfließen lassen. Somit erlangen Sie durch fortlaufende Trainingseinheiten des Observativen Lernens ein immer feine-res Gespür für sich selbst.

Je vertrauter Sie mit der Methode sind und je häufiger Sie diese angewandt haben, des-to variabler können Sie die gedanklichen Anker, die Sie sich im Laufe der Zeit gesetzt haben, abrufen. Eine kurze Konzentrations-phase in den letzten Minuten vor dem Start wird Sie sofort wieder auf die „richtige Spur“ bringen – nämlich jene, die Ihr Ob-servatives Training im motorischen Ge-dächtnis hinterlassen hat. Auch in Stress-situationen wird Ihre Leistung damit immer stabiler. Die Vereinskollegen wer-den über Ihre Leistungssprünge staunen – erst recht, wenn Sie ihnen verraten, wo Sie Ihr Techniktraining absolviert haben: zu Hause auf dem Sofa.

observatives lernen – wichtige voraUssetZUngen

1. Wählen Sie zur Beobachtung nur hochqualitative Vorbilder!

2. Nutzen Sie Videoquellen für Standbild- und Zeitlupeneinstellungen!

3. Erzeugen Sie eine motivierende Atmosphäre (z. B. live)!

4. Konzentration! Versetzen Sie sich in Ihr Beobachtungsobjekt!

5. Nehmen Sie verschiedene Beobachtungswinkel ein!

6. Regelmäßigkeit hilft: Beobachten Sie, wo immer es Ihnen möglich ist!

7. Nehmen Sie ab und zu einen Spezialis-ten hinzu, der erklärende Worte spricht!

8. Notizen: Schreiben Sie sich die technischen Schlüsselelemente der Bewegung auf!

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