nutzung der verglasung zur aussteifung von gebäudehüllen

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677 Stahlbau 75 (2006), Heft 8 J. Ndogmo · Doppelverbundbrücken im Bau- und Endzustand Dissertationen Nutzung der Verglasung zur Aussteifung von Gebäudehüllen Dr.-Ing. Frank Wellershoff (RWTH Aachen) Das Streben nach immer transparenteren Gebäudehüllen mit immer filigraneren Tragstrukturen weckt den Wunsch, die Verglasung als aussteifendes Element zu nutzen und Kräfte in der Scheibenebene abzutragen. Besonders geeignet erschei- nen hierfür Stabgitterschalen. Bei die- sem Tragwerkstyp werden ebene oder gekrümmte Flächen durch ein Netz aus Stäben gebildet. Zur Minimierung der Stabquerschnitte und der Montagekosten können die Stäbe in der Schalenebene gelenkig aneinander geschraubt werden. Selbst bei einer mehrachsigen Krümmung der Schale ist es geometrisch möglich, die einzelnen Gittermaschen mit ebenen Glasscheiben einzudecken. Nach dem heutigen Stand der Technik werden beliebig gekrümmte Stabgitter- schalen mit viereckigen Gittermaschen durch diagonale Stäbe oder vorgespannte Seile in ihrer Ebene stabilisiert, die ent- fallen könnten, wenn die Aussteifung von der Verglasung übernommen würde. Für zwei Systeme, bei denen die Ver- glasung zur Stabilisierung genutzt wird, werden Nachweiskonzepte entwickelt, die auf die Besonderheiten der verwen- deten Werkstoffe eingehen: – Glasdicke Zug-, Druck- und Schubbeanspruch- barkeit von Floatglas und thermisch vor- gespanntem Floatglas Schubsteifigkeit von Verbundfolien in Verbundsicherheitsglas Da Verbundfolien aus Polymeren mit rheologischen Materialeigenschaften be- stehen, ist ihr Schubmodul von der Werk- stofftemperatur und der Belastungszeit abhängig. Für zeitinvariante Stabilitäts- und Spannungsnachweise wurden Be- messungswerte für den PVB-Schubmo- dul bestimmt, die für typische Lastfälle wie Wind und Schnee alle Zeit- und Temperatureffekte implizieren. Für die Überlagerung von Lastfällen mit unter- schiedlichen Bemessungsschubmodul- werten wurden Überlagerungsmethoden entwickelt. Zur Bestimmung der Bemessungs- schubmodulwerte wurden Korrelations- analysen der Belastungen und der Werk- stofftemperaturen durchgeführt. Diese quantifizieren den offensichtlichen Ef- fekt, daß bei einem Sturmereignis die Lufttemperatur und die solare Strahlung und somit auch die Baustofftemperatur in der Gebäudehülle wesentlich geringer sind als an sonnigen Tagen. Die Ergeb- nisse der Korrelationsanalysen sind in der Art aufbereitet, daß sie zur Bemessung beliebiger rheologischer Werkstoffe in Gebäudehüllen genutzt werden können. Bezugsquelle: Shaker Verlag Aachen 2006. ISBN 10: 3-8322-5046-8; ISBN 13: 978-3-8322-5046-1 Im ersten System werden die Vergla- sungselemente als Schubfelder aktiviert. Hierzu werden die Glasscheiben um- laufend mit den viereckigen Stabgitter- maschen verklebt. Im zweiten System werden Druckkräfte über die Scheibendiagonalen übertragen. Hierzu werden die Ecken derVergla- sungselemente kraftschlüssig mit den Knotenpunkten der viereckigen Stab- gittermaschen verklotzt. Beide Systeme wurden zunächst im Detail konzipiert. Das Tragverhalten der Anschlüsse zwischen den Gittermaschen und der Verglasung wurde experimentell und analytisch untersucht. Traglastversu- che wurden an repräsentativen Vergla- sungen durchgeführt und Verformungen sowie Spannungen der Glasscheiben ge- messen, so daß eine weiterführende Pa- rameterstudie mit an den Versuchen ve- rifizierten FE-Modellen möglich war. Für beide Aussteifungssysteme wur- den allgemeingültige Nachweiskonzepte mit folgenden Bestandteilen entwickelt: Tragfähigkeit der Anschlüsse Stabilität der Glasscheiben unter Be- lastungen in der Scheibenebene Tragfähigkeit der Glasscheiben unter Plattenlasten Tragfähigkeit der Glasscheiben unter gleichzeitigen Scheiben- und Platten- lasten Die Nachweiskonzepte beruhen auf der heute üblichen semi-probabilisti- schen Vorgehensweise. Hierzu wurden folgende Basisvariablen statistisch er- faßt:

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Page 1: Nutzung der Verglasung zur Aussteifung von Gebäudehüllen

677Stahlbau 75 (2006), Heft 8

J. Ndogmo · Doppelverbundbrücken im Bau- und Endzustand

Dissertationen

Nutzung der Verglasung zurAussteifung von Gebäudehüllen

Dr.-Ing. Frank Wellershoff(RWTH Aachen)

Das Streben nach immer transparenterenGebäudehüllen mit immer filigranerenTragstrukturen weckt den Wunsch, dieVerglasung als aussteifendes Element zunutzen und Kräfte in der Scheibenebeneabzutragen. Besonders geeignet erschei-nen hierfür Stabgitterschalen. Bei die-sem Tragwerkstyp werden ebene odergekrümmte Flächen durch ein Netz ausStäben gebildet. Zur Minimierung derStabquerschnitte und der Montagekostenkönnen die Stäbe in der Schalenebenegelenkig aneinander geschraubt werden.Selbst bei einer mehrachsigen Krümmungder Schale ist es geometrisch möglich,die einzelnen Gittermaschen mit ebenenGlasscheiben einzudecken.

Nach dem heutigen Stand derTechnikwerden beliebig gekrümmte Stabgitter-schalen mit viereckigen Gittermaschendurch diagonale Stäbe oder vorgespannteSeile in ihrer Ebene stabilisiert, die ent-fallen könnten, wenn die Aussteifung vonder Verglasung übernommen würde.

Für zwei Systeme, bei denen die Ver-glasung zur Stabilisierung genutzt wird,werden Nachweiskonzepte entwickelt,die auf die Besonderheiten der verwen-deten Werkstoffe eingehen:

– Glasdicke– Zug-, Druck- und Schubbeanspruch-barkeit von Floatglas und thermisch vor-gespanntem Floatglas– Schubsteifigkeit von Verbundfolien inVerbundsicherheitsglas

Da Verbundfolien aus Polymeren mitrheologischen Materialeigenschaften be-stehen, ist ihr Schubmodul von derWerk-stofftemperatur und der Belastungszeitabhängig. Für zeitinvariante Stabilitäts-und Spannungsnachweise wurden Be-messungswerte für den PVB-Schubmo-dul bestimmt, die für typische Lastfällewie Wind und Schnee alle Zeit- undTemperatureffekte implizieren. Für dieÜberlagerung von Lastfällen mit unter-schiedlichen Bemessungsschubmodul-werten wurden Überlagerungsmethodenentwickelt.

Zur Bestimmung der Bemessungs-schubmodulwerte wurden Korrelations-analysen der Belastungen und der Werk-stofftemperaturen durchgeführt. Diesequantifizieren den offensichtlichen Ef-fekt, daß bei einem Sturmereignis dieLufttemperatur und die solare Strahlungund somit auch die Baustofftemperaturin der Gebäudehülle wesentlich geringersind als an sonnigen Tagen. Die Ergeb-nisse der Korrelationsanalysen sind in derArt aufbereitet, daß sie zur Bemessungbeliebiger rheologischer Werkstoffe inGebäudehüllen genutzt werden können.

Bezugsquelle: Shaker Verlag Aachen2006. ISBN 10: 3-8322-5046-8; ISBN 13: 978-3-8322-5046-1

– Im ersten System werden die Vergla-sungselemente als Schubfelder aktiviert.Hierzu werden die Glasscheiben um-laufend mit den viereckigen Stabgitter-maschen verklebt.– Im zweiten System werden Druckkräfteüber die Scheibendiagonalen übertragen.Hierzu werden die Ecken der Vergla-sungselemente kraftschlüssig mit denKnotenpunkten der viereckigen Stab-gittermaschen verklotzt.

Beide Systeme wurden zunächst imDetail konzipiert. Das Tragverhalten derAnschlüsse zwischen den Gittermaschenund der Verglasung wurde experimentellund analytisch untersucht. Traglastversu-che wurden an repräsentativen Vergla-sungen durchgeführt und Verformungensowie Spannungen der Glasscheiben ge-messen, so daß eine weiterführende Pa-rameterstudie mit an den Versuchen ve-rifizierten FE-Modellen möglich war.

Für beide Aussteifungssysteme wur-den allgemeingültige Nachweiskonzeptemit folgenden Bestandteilen entwickelt:– Tragfähigkeit der Anschlüsse– Stabilität der Glasscheiben unter Be-lastungen in der Scheibenebene— Tragfähigkeit der Glasscheiben unterPlattenlasten– Tragfähigkeit der Glasscheiben untergleichzeitigen Scheiben- und Platten-lasten

Die Nachweiskonzepte beruhen aufder heute üblichen semi-probabilisti-schen Vorgehensweise. Hierzu wurdenfolgende Basisvariablen statistisch er-faßt: