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[Muster der Wiederholung in den Arbeiten von Sophie Calle] juttafranzen | 2004

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Talk:Interdisziplinäres Kolloquium "Wiederholung" BerlinStudienstiftung des Deutschen Volkes[2004-12]Erweiterte Fassung in:Flaßpöhler, Svenja /Rausch, Tobias /Wald, Christina (eds.) Kippfiguren der WiederholungInterdisziplinäre Untersuchungen zur Figur der Wiederholungin Literatur, Kunst und WissenschaftenFrankfurt am Main u.a.[2007]ISBN 978-3-631-55955-0

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Page 1: Muster der Wiederholung in den Arbeiten von Sophie Calle

[Muster der Wiederholung in den Arbeiten von Sophie Calle]

juttafranzen | 2004

Page 2: Muster der Wiederholung in den Arbeiten von Sophie Calle

juttafranzen 2004| Muster der Wiederholung in den Arbeiten von Sophie Calle

Thesen Interdisziplinäres Kolloquium „Wiederholung“ Deutsche Studienstiftung, Berlin

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CC BY-NC-ND

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Sophie Calle (*1953 in Paris) zählt zu den international bekanntesten und

bedeutendsten Künstlerinnen aus Frankreich. In ihrem Werk geht es um das Sehen

und Gesehenwerden und dabei auch immer um das Abwesende, das, was nicht,

nicht mehr oder noch nicht gesehen werden kann.

Die umfassende Werkschau von Sophie Calle mit dem Titel „M’as-tu-vue – Hast du

mich gesehen“- ist noch dieses Wochenende, bis zum 13. Dez. im Martin-Gropius-

Bau zu sehen.

Sophie Calle arbeitet mit Installationen aus Fotografie und Text, die sie assoziativ

zu Geschichten verknüpft, die persönlich und intim wirken und dennoch die Frage

offen lassen, „M’as-tu-vue“. Im Plakat zur Ausstellung ist es Jean-Baptiste Mondino

gelungen, kennzeichnende Merkmale von Sophie Calles Arbeiten mit dem Szenario

eines Sehtests zu visualisieren.

Die Fotografie zeigt Sophie Calle, die den Regeln einer solchen Untersuchung

folgend, ein Auge zuhält, während sie mit dem anderen konzentriert nach außen

sieht. In einem weißen Rechteck ist wie auf einer Tafel (beim Augenarzt) als Text

ihr eigener Name zu lesen. Nach präzise definierten Regeln, denen sie gehorsam

folgt, inszeniert Sophie Calle ihre Projekte als Anordnungen des Sehens, des

Protokollieren des Sehens und einer nahezu obsessiven Beschwörung des

Abwesenden. Sie beobachtet, beschattet, verfolgt, überwacht und dokumentiert.

Ihr Blick nach außen bleibt verschränkt mit dem Blick auf die eigene Person.

Gerade im Sehen des Anderen trifft Sophie Calle immer wieder auf sich selbst.

Ihre Arbeiten sind oft um persönliche, autobiografische Rituale angelegt. Sophie

Calle bekennt sich als Autorin. „M’as-tu-vue“ ist auch eine Anspielung auf die eitle

Frage, das „show-off“ der Künstlerin, die sich zur Schau stellt und mit ihrem Namen

signiert, weil sie den bestätigenden Blick des Anderen begehrt.

Die Ausstellung „M’as-tu-vue“ vereint frühe Arbeiten und Installationen, die von

Sophie Calle eigens für diese Ausstellung erstellt wurden. Doch nicht nur der äußere

Rahmen der Werkschau verbindet die Arbeiten über einen Zeitraum von nahezu 25

Jahren miteinander, sondern es ist das Muster der Wiederholung, das auf vielfältige

Weise die Werke Sophie Calles durchzieht. Wiederholung steht bei Sophie Calle für

eine Praktik, nicht die Werke eines anderen anzueignen, sondern die eigenen

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Arbeiten wieder zu holen und in ein Raster der Differenzen zu stellen, das Innen

und Außen, Gegenwärtiges und Abwesendens in ein Spiel der Unterschiede und

Verschränkungen verwickelt.

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Eine erste Form der Wiederholung ist die Wiederholung von Abläufen zu einer

anderen Zeit (Die Beschattung 1981/ Zwanzig Jahre später 2001)

Ihr Projekt „Die Beschattung“ (1981) führt Sophie Calle „Zwanzig Jahre später“

(2001) nochmals durch. Sophie Calle lässt jeweils eine Detektei beauftragen, sie

einen Tag lang in Paris zu beschatten. Zu der zeitlichen Wiederholung kommt die

Dopplung in der Wahrnehmung hinzu: Texte und Bilder dokumentieren diesen Tag

im Bericht des Detektivs und aus der Wahrnehmung von Sophie Calle. Die

Wiederholung wird von Sophie Calle als eine persönliche Erinnerung erlebt, die die

beiden zeitversetzten Ereignisse für sie verbindet und zugleich ihre Unterschiede

zeigt. Das Vergangene, das die Wiederholung wieder holt, wird im Gegenwärtigen

nicht als ein Identisches reproduziert und erlebt, sondern nur als ein Gleiches

erinnert. Es bleibt ein Unterschied, der auf ein Abwesendes verweist, das für immer

vergangen ist und das auch in der Wiederholung vergangen, verloren bleibt. Für

den Detektiv ist die Aktion eine Wiederholung seines täglichen Arbeitsablaufes, den

er nach Vorschrift protokolliert. Die Wiederholung weckt bei ihm kein Erinnern,

sondern die notwendige Distanz für seinen Blick von außen auf das Geschehen und

die Person. Die Wiederholung als eine Form der Alltagsroutine, holt das wieder, was

seine Handlungen zweckrational optimiert und den Blick nach innen, das Erinnern,

ausblendet.

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„Die Schläfer“ (1979) und „Die Reise nach Kalifornien“ (2000-2003) sind ebenfalls

durch die Wiederholung der Handlungen und des Ortes aufeinander bezogene

Projekte. Sophie Calle bittet andere Personen, Bekannte wie Fremde, in ihrem Bett

zu schlafen. Im Sommer 1999 wiederholt sich die Aktion als „Reise nach

Kalifornien“ (2000-2003) gleichsam spiegelbildlich. Ein ihr unbekannter Mann aus

Kalifornien bittet Sophie Calle in ihrem Bett schlafen zu dürfen, das sie ihm

daraufhin in die USA schickt und im folgenden Jahr von ihm zurück erhält. Doch

nicht die Wiederholung auf der Zeitlinie verleiht diesen Projekten ihre eigentümliche

Spannung. Es ist die Wiederholung der persönlichen, privaten Handlung des

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Schlafens von verschiedenen Personen am selben, ebenfalls privaten Ort. Durch

dieses Raster der seriellen Wiederholung tritt als Differenz zum Privaten das

Gemeinsame der Alltagspraktik des Schlafens hervor, während die Personen und

ihre Besonderheiten dahinter eher abwesend bleiben.

Auch der intime Ort, das Bett gibt, obwohl er zum öffentlichen Ort wird, nichts von

der Person SC preis. In Folie eingehüllt steht das Bett als Objekt in der Installation.

Es wird öffentlich zugleich gesehen und nicht gesehen. Das Bett symbolisiert so das

Spiel der Differenz und der Verschränkung des Persönlichen mit dem Allgemeinen,

das die Serie der Wiederholung wieder (hervor) holt.

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Einen zentralen Platz in der Ausstellung und auch hier unter dem Aspekt der

Wiederholung nimmt das eigens für die Ausstellung fertig gestellte Projekt

„Stechender Schmerz“ (1984-2003) ein.

„Douleur exquise“- so der französische Originaltitel- ist der medizinische Begriff für

einen eindeutig lokalisierbaren Schmerz. In drei Kapiteln erzählt Sophie Calle von

dem schmerzhaftesten Moment in ihrem Leben (gleichfalls vor fast 20 Jahren), als

ein Geliebter sie verlassen hat. Das persönliche und intime Empfinden inszeniert

Sophie Calle in einem selbst auferlegten Ritual, durch das ihr Schmerz nach außen

verlagert und schließlich in ihr abwesend wird.

„Vor dem Schmerz“ ist es das Begehren nach dem abwesenden Geliebten, das sie

regelmäßig und wiederholt täglich in Fotos, Briefen und anderen Schriftstücken

dokumentiert und durch das Zählen der Tage bis zum Wiedersehen zugleich lustvoll

steigert und objektiviert.

Im wiederholten Blick zurück erscheint das Zeitraster indes als ein „Count-down-to-

unhappiness“, den Sophie Calle jeweils mit einem Stempel auf die Dokumente

kennzeichnet und ihnen so den Ausdruck eines unpersönlichen Protokolls

vergangenen und abgelegten Geschehens verleiht.

Der Ort des Schmerzes wird von Sophie Calle präzise benannt, nämlich ein

Hotelzimmer in Neu Delhi. Bereits im schmerzhaftesten Moment ist mit diesem Blick

nach außen und dem Wegsehen von der eigenen Person das Kapitel „Nach dem

Schmerz“ eingeleitet.

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Sophie Calle wiederholt die Erfahrung ihres Schmerzes, indem sie sich das Ritual

auferlegt, anderen Personen hiervon wiederholt zu erzählen und in einem täglichen

Bericht zu protokollieren, der aus dem Foto des Hotelzimmers und einem gestickten

Text besteht.

Gleichzeitig lässt Sophie Calle die anderen Personen vom Erleben ihres stärksten

Schmerzes berichten, was sie ebenfalls in Text und Bild festhält.

Jeden Tag wird ihr eigener Text kürzer bis nur noch wenige Stiche (des Schmerzes)

bleiben und der „count-up-to-happiness“ mit einem knappen „Enough – Genug“

endet. Das eigene Leiden wird um so abwesender, je mehr das Leiden der anderen

sichtbar wird.

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Auch dieses Projekt Sophie Calles wird durch verschiedene Muster der

Wiederholung getragen. Da ist zum einen das Zeitraster einer bestimmten Anzahl

von Tagen, das auf die Stelle der „douleur exquise“ hinführt und gleichsam

spiegelbildlich wiederholt von ihr fortführt. In das Zeitraster ist jeweils eine

Handlung eingebunden, die wie ein Ritual nach bestimmten Regeln und in

festgelegten Formen wiederholt wird. Wiederholung in dieser Form stellt eine

Distanz zum Blick nach innen auf das eigene Empfinden, Begehren und Leiden her,

indem sie Fixpunkte wieder holt, die den Blick nach außen richten.

Eine weitere Form der Wiederholung ist die Anordnung von Bild und Text, Bild und

Sprache. Das Kapitel „Vor dem Schmerz“ ist noch stärker durch die Bilder und ihre

weniger strenge Ausrichtung bestimmt.

Erst der vom Ort des Schmerzes aus wiederholte Blick zurück auf die Ereignisse

prägt die Bilder mit dem Text „x days to unhappiness“. Dieser Text wird seriell und

mechanisch wiederholt, mit dem Stempel über die Bilder und die Vielfalt der

Erlebnisse und Eindrücke gesetzt, die sie vermitteln. Die Wiederholung nivelliert, sie

zeigt nicht dasselbe, aber sie lässt die Erinnerungen gleich gültig werden vom Ort

der „Douleur exquise“ aus.

Das Bild des Hotelzimmers, in dem Sophie Calle den Schmerz lokalisiert, wird im

Kapitel „Nach dem Schmerz“ wiederholt zu ihren täglichen Texten gestellt. Trotz

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seiner beständigen Präsenz gegenüber den immer kürzer werdenden Texten, erzielt

die Wiederholung des Bildes auch hier eine zunehmende Gleichgültigkeit.

Die Wiederholung wirkt wie das Symbolische der Sprache, das in den Erzählungen

und Texten vermittelt wird, als die trennende Instanz gegenüber den

selbstreflexiven Verstrickungen des Imaginären, das die Bilder transportieren. Die

Wiederholung gibt den Bild- Narrationen Sophie Calles die Kraft, über den

persönlichen Ausgangspunkt der (fiktiven) Erinnerung hinaus auf eine

überindividuelle Ebene zu verweisen. Subjektives Erleben und Allgemeine

Strukturen treten in der Wiederholung in ein Spannungsfeld der kontrollierten

subjektiven Abgabe von Kontrolle an einen gleichsam mechanischen, seriellen

Ablauf.

Die Geschichte der „Douleur exquise“, die so intim mit der Person Sophie Calles

verbunden schien, lässt offen, „M‘as-tu-vue“: der Betrachter ist Sophie Calle

begegnet, aber hat er sie gesehen oder eine Geschichte von Schmerz, Begehren,

Abwesenheit und Verlust? Die Autorin Sophie Calle legt die Regeln ihrer

Erzählungen, die Muster der Wiederholungen fest. Doch dann verschwindet sie und

überlässt ihre Person den Ritualen und Abläufen, in denen „Sophie Calle“ zur

Signatur für eine Spurensuche nach dem Selbst wird, das sich nur über die

Differenz erschließen lässt, die Wiederholung und Sprache setzen.

juttafranzen | Berlin 2004-12-10