moderne in brasilien: lina bo bardi, texte zu ausge ... · pdf filewahlpflichtfach moderne in...

46
Moderne in Brasilien: Lina Bo Bardi, Texte zu ausge- wählten Werken

Upload: vungoc

Post on 07-Feb-2018

215 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Moderne inBrasilien:

Lina Bo Bardi,Texte zu ausge-wählten Werken

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

2

Inhalt

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

4

Vorwort ...6

Lina Bo Bardi, biographische Notizen ...10

Thomas Kastl: Casa de Vidro ...16

Sabine Schertler: Casa Valéria Cirell ...20

Alexander Welsch: Museu de Arte de São Paulo ...24

Daniel Wall: Igreja do Espírito Santo do Cerrado ...28

Lisa Frank: SESC Fábrica Pompeia ...32

Bärbel Haas: SESC Fábrica Pompeia ...36

Gaby Ebner: SESC Fábrica Pompeia ...40

Simone Mehltretter: Capela Santa Maria dos Anjos ...44

Dominik Schmidt: Capela Santa Maria dos Anjos ...48

Jakob Bindhammer: Ateliê Bo Bardi ...52

Marian Prifling: Ladeira da Misericórdia ...56

Franziska Metzger, Andrea Ledesma Pnce

Casa de Vidro, Zeichnungen ...58

Sarah Nussbaumer, Dominik Plass

Museu de Arte de São Paulo, Zeichnungen ...68

Lektüre ...86

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

6

Vorwort

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

98

Ein Seminar zur Entwicklung der modernen Architektur in Brasilien kann im zeitlichen Rahmen eines Semesters nur Ausschnitte aus dieser facettenreichen Geschichte beleuchten. Um der Enge einer zu spezifischen Grundausrichtung des Seminares zu entgehen, ist es in voneinander unabhängigen Fortsetzungen gedacht, in denen unterschiedliche Aspekte dieser Entwicklung mit zeichne-rischen, bildnerischen und sprachlichen Werkzeugen untersucht werden. Dies kann zu einem Gesamtbild führen, so ist zumindest der Anspruch formuliert.

Nach einer horizontalen, am Zeitlauf orientierten, zeichnerisch vergleichenden Auseinandersetzung mit sogenannten „Meilensteinbauwerken“ der brasilia-nischen Architektur seit den Dreißiger Jahren folgt nun im vorliegenden Heft eine erste textliche Annäherung in der Vertikalen, am Beispiel des Werkes der brasilianischen Architektin Lina Bo Bardi.

Lina Bo Bardi verkörpert wie keine andere Figur der brasilianischen Gegen-wartsarchitektur eine Immigrantin und Exilantin aus Europa, die mit einem gewichtigen architekturtheoretischen Gepäck beladen Brasilien berührt, sich von diesem Land, seinen Menschen und deren Eigenheiten aber auch selbst be-rühren lässt, um schließlich ganz mit ihm und seiner vielfältigen Kultur, seinen Traditionen unterschiedlichster Herkunft zu verschmelzen.

Wenn wir an unsere heutige Situation in Europa denken, gerade in diesen Tagen, so sollten uns Lebensgeschichten wie jene Lina Bo Bardis noch einmal mehr nachdenklich stimmen und uns die vielen positiven Möglichkeiten und Chancen bildhaft vor Augen führen, die in der Einwanderung und der Zuwande-rung von Menschen aus anderen Kulturen liegen.

Die Studierenden aus den Studiengängen Bachelor und Master Architektur an der OTH Regensburg sind anhand weniger Projektrezensionen unvoreingenom-men an ihre Aufgabe der textlichen Auseinandersetzung mit dem einzelnen Werk herangegangen. Beschreibend und interpretierend haben sie begonnen, sich das jeweilige Bauwerk zu erschließen. In den Zusammenkünften des Semi-nares haben sie schließlich begonnen, ihre Texte miteinander zu verknüpfen und dabei die Fühler weit über das übliche Maß der Beschreibung und Analy-se hinausgestreckt. Sie haben sich neue Quellen außerhalb der Fachliteratur erschlossen, sind auf den Fährten von Zitaten und Liedertexten gewandelt, die ihnen dabei halfen, das Werk Bo Bardis auf eine ganz persönliche Weise für sich selbst zu verstehen zu lernen.

Die eigenen Textfragmente haben die Studierenden aber auch im gegensei-tigen Vortrag inspiriert, sich in den Bereich der analytischen Unschärfe hinein-zubegeben, jenen Bereich, in dem man das „Philosophieren“ beginnt. Hier prägt die Vermutung den Ausdruck, die Interpretation wird gewagt, macht aber Lust auf mehr, führt zu einer ganz persönlichen, begeisterten und begeisternden Rezeption des Werkes der Architektin Lina Bo Bardi, dieser Wandlerin zwischen den Welten des italienischen „rationalismo“ und des brasilianischen „jeito“.Jedenfalls haben die Werke und ihre Architektin so im Laufe des Seminars alle, die daran teilhatten, sichtbar berührt. Die Texte bringen wie selbstverständlich eine hohe innere Wertschätzung gegenüber dem Werk und seiner Architektin bildhaft zum Ausdruck, deshalb übergeben wir sie den Leserinnen und Lesern ohne jedes Bildmaterial.

Regensburg, im September 2015Prof. Andreas Emminger

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

10

Lina Bo Bardi, biographische Notizen

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

1312

Lina Bo Bardi wird am fünften Dezember 1914 als Achilina di Enrico Bo, ältere Tochter der Genueser Eltern Giovanna Adriana Grazia und Enrico Bo im Viertel Prati in Rom geboren. Nach ihrem Architekturstudium am Liceu Artistico in Rom von 1935 bis 1939 geht Lina Bo unter dem Eindruck des wachsenden Fa-schismus in Rom nach Mailand. Dort begründet sie mit dem Architekten Carlo Pagani das Büro Bo und Pagani, arbeitet aber gleichzeitig an der von Go Ponti betriebenen Zeitschrift „Domus“ mit.

1946 kehrt sie zurück nach Rom, wo sie gemeinsam mit Bruno Zevi die Zeit-schrift „A - Cultura della Vita“ begründet. Nach ihrer Heirat mit dem Kunst-kritiker und Kunsthändler Pietro Maria Bardi besucht das Paar Rio de Janeiro. Im darauffolgenden Jahr wird Pietro Maria Bardi von Assis de Chateaubriand, einem einflussreichen brasilianischen Journalisten und Politiker nach Brasilien eingeladen, um dort ein Museum der Modernen Kunst zu begründen und zu leiten.

Das Paar nimmt die Einladung an, wandert nach Brasilien aus und lässt sich in São Paulo nieder. Dort entsteht 1951, im gleichen Jahr, in dem Lina Bo Bardi die brasilianische Staatsangehörigkeit annimmt, ihr erstes Projekt: die Casa de Vidro, heute Sitz des „Instituto Line Bo e P.M. Bardi“

Lina Bo Bardi folgt 1958 einer Einladung der Escola de Belas Artes da Univer-sidade da Bahia in Salvador, dort Kurse in der Architektur zu geben. Sie wird auch gebeten, die Leitung des Museums der Modernen Kunst in Bahia zu über-nehmen. In der Folge entsteht ihr zweites Werk, das „Solar do Unhão“, als Sitz des MAM-BA.Die Erfahrung im Nordosten Brasilien stellt einen Schlüsselmoment in Linas Biographie dar. Dort kommt sie ebenso in Kontakt mit den handwerklichen Techniken der Region am Wendepunkt zur Industrialisierung, wie mit dem Schmelztiegel der unterschiedlichen Kulturen, die den Nordosten prägen.

Zurück in São Paulo realisiert sie das Projekt des Museu de Arte Moderna de São Paulo (MASP), das bereits kurz nach der Einweihung im Jahr 1968 zu einer Ikone der brasilianischen Architektur wird.

Nach der Einweihung des SESC Pompeia im Jahr 1982 tritt Lina in den letzten Abschnitt ihres Lebenswerkes ein. Von ihren jungen Parnern Marcelo Ferrza, André Vainer und Marcelo Suzuki unterstützt, arbeitet sie an Projekten, die der

brasilianischen Architektur neues Leben nach den langen, kulturlosen Jahren der Militärdiktatur einhauen sollten.Nach ihrem Tod im Jahr 1992 wird die internationale Öffentlichkeit auf ihr Werk aufmerksam. Die von Lina in ihren letzten Lebensjahren bearbeiteten Themen werden zu zentralen Diskussionspunkten in den Debatten über Kultur, Nachhaltigkeit, das bauhistorische Erbe und die Prozesse zur Entstehung von Architektur.

Quelle: Instituto Lina Bo e P.M. Bardi, „Biografia Lina“www.institutobardi.com.br

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

14

Texte

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

1716

Casa de Vidro, São Paulo 1950-5Text: Thomas Kastl

Lina Bo Bardi und ihr Mann Pietro Maria Bardi wanderten 1947 nach Sao Paulo aus. Dort plante und realisierte Lina Bo Bardi in den Jahren 1950-51 ihr erstes eigenes Wohnhaus, die Casa de Vidro. In ihr spiegeln sich internationale wie nationale Architekturtendenzen der damaligen Zeit wieder. Das Haus ist unver-kennbar geprägt von der weißen Moderne der Vorkriegsjahre. Assoziationen an die Villa Savoye oder das Haus Tugendhat sind unvermeidlich. Der Einfluss der brasilianischen Moderne, die mit dem Erziehungs- und Gesundheitsministerium in Rio de Janeiro in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihren Durchbruch feierte, fällt auf den ersten Blick nicht ins Auge. Charakteristische Merkmale wie tiefe Fassaden, Brise-Soleils und betonsichtige Elemente fehlen. Vergleichbar ist jedoch die gemeinsame Beeinflussung durch traditionelle Bau-ten und deren Materialien. Auf diesen und andere Aspekte wird in der Beschrei-bung des Werkes später im Text genauer eingegangen.

Sao Paulo liegt im Süden Brasiliens, auf ca. 795 m in der subtropischen Klima-zone. Gegenüber anderen Regionen Brasiliens ist das Wetter dort eher gemäßi-gt. Die Maximaltemperaturen bewegen sich um 30° C im Sommer, die Mini-malwerte über 10° C im Winter. Die Casa de Vidro befindet sich im Stadtviertel Morumbi (port. für „grüner Hügel“), einer bewegten und durchgrünten Land-schaft, die zur damaligen Zeit noch von Urwaldteilen umgeben war. Morumbi ist trotz der angrenzenden Favelas heute noch ein wohlhabender und äußerst angesehener Stadtteil Sao Paulos.

Pietro Maria Bardi, der 1947 zum Direktor des Museu de Arte de Sao Paulo berufen worden war, hatte ursprünglich die Idee, Atelierhäuser für Gastkünstler in den grünen Hügeln Morumbis zu errichten. Als deren Finanzierung 1949 scheiterte, entschlossen sich die Bardis, ihr eigenes Haus auf einem der Hügel zu errichten. Der Entwurf sah eine Komposition aus drei Volumina auf einem teilweise in den Hang eingegrabenen Sockelgeschoss vor. Dieser Sockel ist an der Südseite, zu welcher der Hang abfällt, zugänglich und enthält einen nach außen geöffneten, sowie einen geschlossenen Lagerraum. Diese wurden wohl hauptsächlich zur Aufbewahrung von Skulpturen genutzt. Auf diesem Sockel-geschoss entlang der Nordkante des Hanges befindet sich ein geschlossenes Volumen. Es beherbergt sowohl Nebenräume wie auch den Bereich der Haus-

angestellten und hat nur wenige, nach Norden gerichtete Fenster. Ein zweites Volumen verbindet den Nebentrakt mit dem Hauptvolumen des Hauses. Dieses beinhaltet die Küche, die über ein nach Westen ausgerichtetes Bandfenster belichtet wird.Das Hauptvolumen kragt nach Süden auf mehr als zwei Drittel seiner Länge über das Sockelgeschoss aus und wird von filigranen Betonstützen getragen. Im Gegensatz zu den anderen Teilen des Hauses ist seine Fassade nach Süden, Osten und Westen komplett verglast. Die drei Volumina bilden zusammen einen dreiseitig umschlossenen Hof auf dem Sockelbau. Zu ihm hin besitzt das Hauptvolumen ebenfalls nur kleine Öffnungen, analog zu jenen des Neben-traktes. Dahinter befinden sich die Individualräume des Hauses, während die Gemeinschaftsräume an den Glasfassaden liegen. Ein kleines verglastes Atrium durchstößt das Hauptvolumen im Bereich der Gemeinschaftsräume, ein schl-anker Baum wächst hindurch. Die Kombination der Volumina erzeugt zwei ver-schiedene Motive in einem Haus. Zum einen durch den verglasten aufgestän-derten Teil des Hauptvolumens ein Bild der Moderne, das eines schwebenden, raumverdrängenden Körpers. Zum anderen durch die Hofsituation mit seinen Lochfassaden im hinteren Bereich ein traditionelles Bild, eine raumbildende Situation. Diese Kombination zeigt, dass sich Lina Bo Bardi nicht sklavisch modernen Formen unterwarf, sondern historische wie moderne Motive nutzt, entsprechend der jeweiligen Funktion. Im Falle eines Wohnhauses bietet es sich an, die kleinteiligen Strukturen der Individualräume mit Lochfassaden zu versehen, um die nötige Privatheit im Inneren zu gewährleisten. Dementgegen öffnet sich das Haus mit den großzügigen Fassaden der Gemeinschaftsräume in die Umgebung, zeigt sein Inneres. Über die Funktion des zwischenliegenden Hofes ist nichts Näheres bekannt. Es ist davon auszugehen, dass seine Haupt-funktion darin bestand, das Haupthaus vom Nebentrakt zu trennen und sowohl Belichtung wie auch eine gut temperierte Belüftung für Individual- und Neben-räume zu ermöglichen.

Erschlossen wird das Haus von Süden her, die Autogarage befindet sich in Stra-ßennähe. Von dort aus führt ein landschaftlich geprägter Fußweg zum Haus, urig wirkende Waschbetonstützmauern begleiten ihn. Man gelangt durch den stark bewachsenen und naturbelassenen Garten unter das Haupthaus, dessen grün gestrichenen Stützen wie ein Zitat von Bäumen wirken. Man betritt das Haus von unten über eine Treppe, von deren Podest aus der Blick noch einmal in die Ferne schweift, bevor man von unten in den Baukörper eintaucht. Am Ende des zweiten Laufes befindet sich links die Eingangstür. Die Treppenein-

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

1918

hausung, nicht breiter als der Lauf selbst, erzeugt als Engstelle einen be-wussten Übergang zwischen der Weite des Außen- und des Innenraumes. Der Wohnraum, in dem man ankommt, wird durch das bereits erwähnte Atrium, ei-nen freistehenden Kamin und das Volumen der Treppeneinhausung gegliedert. Die dreiseitige Verglasung schafft starke Bezüge zum Grün des Außenraums sowie zur weiteren Umgebung. An der Rückwand befinden sich drei Türen, welche zur Küche bzw. zum Flur führen. Von dort aus werden die Individual-räume erschlossen. Der Nebentrakt wird separat von Norden betreten, er ist im Inneren einhüftig erschlossen.

Im Gegensatz zu manch anderen Bauten der Moderne wird das Ankommen in der Casa de Vidro nicht funktionalistisch gestaltet, indem man mit dem Auto-mobil soweit vordringt wie nur möglich (vgl. die Villa Savoye). Das Ankommen wird inszeniert, das Auto, Dreh und Angelpunkt des Städtebaus der dama-ligen Zeit, früh zurückgelassen. Auf den letzten Metern erlebt man die Natur, Pflasterung und begleitende Mauern erscheinen eher wie Relikte vergangener Bebauung, welche bereits eins geworden sind mit der Umgebung, bevor sich das „Raumschiff“ Casa de Vidro mit seiner fast sterilen Optik über alles erhebt. Die separate Dienstbotenerschließung zeugt wie die Gebäudekomposition vom elitären Charakter des Hauses und dem Anspruch seiner Bewohner.

Bei der Materialisierung griff Bo Bardi auf den ersten Blick auf modernistische Elemente zurück: weißer Putz, Betonstützen, filigrane Glasfassaden. Erst im De-tail erkennt man wieder traditionelle Elemente. Das Dach ist leicht geneigt und mit Mönch- und Nonne-Ziegeln gedeckt. Die Fensterläden der Lochfassaden im hinteren Bereich sind traditionell gefertigt und gestrichen. Die Waschbeton-mauern im Außenbereich wurden bereits erwähnt. Der Boden im inneren ist mit kleinteiligen Fliesen belegt. Hinzu kommt, dass das Gebäude mit vielen antiken Möbeln, fast museal, ausgestattet wurde. All diese Elemente zeigen erneut das Interesse Bo Bardis, traditionelle und moderne Elemente miteinander zu kombinieren.

Die Casa de Vidro als Erstlingswerk einer später international renommierten Architektin weist in diesem Kontext viele interessante Merkmale auf. Sie zeu-gen sowohl von Widersprüchen als auch von zukunftsweisenden Tendenzen im Gesamtwerk Bo Bardis. Erst seit kurzem in Brasilien tätig, ist ihr erster realisier-ter Entwurf noch eher von der europäischen Moderne geprägt, als von der sich selbstbewusst entwickelnden brasilianischen. Selbst das Thema Sonnenschutz

wurde zu Gunsten einer gläsern-modernistischen Optik nicht beachtet, was in den Anfangsjahren, als der Baumbestand noch keinen Schatten spendete, sicher zu Problemen führte. Ein weiterer Widerspruch bei dieser elitär anmu-tenden Gestaltung ist die Tatsache, dass Lina Bo Bardi Kommunistin war. Mit der Casa de Vidro schuf sie jedoch einen gesellschaftlichen Treffpunkt für die intellektuelle Oberschicht São Paulos. Ihrer Überzeugung verlieh sie nur durch die moderne, transparente Gestaltung Ausdruck. Während die Oberschicht aus Industriellen und Plantagenbesitzern in Villen im Kolonialstil residierten, wählt das Architekten- und Kunsthändlerpaar einen modernen, avantgardistischen Stil.

Schwerpunkte für ihre Zukunft setzte sie in der teilweisen Verwendung alther-gebrachter Materialien und Motive, das Interesse für diese Haltung entstand bereits in Italien.Brasilien, das Land, in dem von Anfang an Moderne und Tradition einher-gingen, war für sie der ideale Ort, um sich als Architektin in diese Richtung weiterzuentwickeln.

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

2120

Casa Valéria Cirell, São Paulo 1958, 1964Text: Sabine Schertler

“But when I first came here, São Paulo, I didn’t understandthe concrete poetry of all the corners and streets here. […] I wrote it all off as just more of the city’s bad taste […] And so with that start out no way I’d let you take my heart out I had another dream of what it takes for a city“„Sampa“, Caetano Veloso (translation Zach Rogow, Joana Darezzo)¹

Von der Schwierigkeit, als Zugezogener (sei es aus einem anderen Teil Bra-siliens oder gar aus Europa kommend) die Stadt São Paulo verstehen, ihre Andersartigkeit als Schönheit erkennen und sie letztendlich als Heimat aner-kennen zu können, singt der brasilianische Sänger Caetano Veloso in seiner Hymne an São Paulo, auch „Sampa“ genannt, und beschreibt damit wohl genau den Eindruck, den Lina Bo Bardi von der Stadt haben muss, als sie 1946 mit ihrem Mann Pietro Maria Bardi nach Brasilien kommt. Nach ihrer Architek-turausbildung in Italien erscheint ihr São Paulo hässlich und fremd, da ihre Vor-stellung einer Stadt eine ganz andere war. Dennoch versucht sie einen Weg zu finden, das Land und insbesondere São Paulo zu verstehen, indem sie sich mit der dortigen Kultur, der gesellschaftlichen und politischen Situation beschäf-tigt. Diese Auseinandersetzung mit den Bedingungen vor Ort wird zur Grundla-ge ihrer Arbeit und führt zu einer andersartigen, differenzierten Interpretation der modernen brasilianischen Architektur.

Diese Andersartigkeit ihrer modernen Architektur spiegelt sich in einem ihrer frühen Werke, der 1958 in São Paulo erbauten Casa Valéria Cirell, wider, da diese doch auf den ersten Blick alles andere als modern anmutet. Auch hier studiert Lina Bo Bardi zunächst die Gegebenheiten vor Ort und so wird die Form und Position des Baukörpers durch die Topographie des Grundstücks sowie eine Nord-Süd-Achse bestimmt.Sie entwirft ein Ensemble aus zwei Volumina, ein Wohnhaus mit acht Metern Länge, acht Meter Breiten und sechs Metern Höhe, sowie ein kleineres recht-eckiges Gebäude für Bedienstete mit 3,40 Meter auf 7,30 Meter und 4 Meter Höhe, getrennt durch einen Innenhof mit 15 Quadratmetern. Eine sehr ähnliche Organisation der Volumen, die jeweils eine unterschiedliche Funktion erfüllen,

findet man bei der sieben Jahre zuvor erbauten Casa de Vidro. Dieser Trennung von Hauptwohngebäude und dem Trakt der Bediensteten begegnet Bo Bardi erstmals in Brasilien, wo eine solche Struktur weit verbreitet war, und über-nimmt sie in ihre Planung.Beim Betreten des Grundstücks im Norden fällt die Casa Cirell zunächst kaum ins Auge, da man hier aufgrund der Geländebeschaffenheit auf der Höhe des Obergeschosses steht und somit von oben auf das Gebäude blickt. Zudem ver-steckt es sich durch das begrünte Dach und seine Fassade in der umliegenden Landschaft. Hier wendet Bo Bardi ihr Wissen über die vor allem im Norden Brasiliens praktizierte Handwerkskunst des Mosaiks an, lässt in die Außen-wände kleine Steine, farbige Glasscherben sowie lebende Pflanzen einmauern und führt dadurch eine starke Eingliederung in die Umgebung herbei. Es wirkt beinahe, als habe die Natur das Gebäude für sich beansprucht und in sich aufgenommen.Da die Casa Cirell im Norden von der Landschaft umschlossen wird und auch in der Fassade kaum Öffnungen vorhanden sind, entsteht der Eindruck eines massiven, schweren Baukörpers. Dies ändert sich jedoch, sobald man dem sch-malen Weg im Westen des Gebäudes bis hin zur Südseite folgt. Dort wandelt sich das Erscheinungsbild hin zu einem leichten Pfahlbau, da die schmalen Holzstützen des umlaufenden „Säulengangs“ bis ins Wasser des Schwimmteichs reichen und dort einbetoniert sind. Auch diese Fundamente gehen auf das bra-silianische Handwerk zurück, welches Bo Bardi im Norden des Landes kennen-lernte. Die Lage des Badeteiches ergibt sich ebenfalls aus dem Nord-Süd-Ge-fälle des Grundstücks, wodurch das Wasser natürlicherweise nach Süden fließt und schließlich im Schwimmbecken aufgefangen wird.Darüber hinaus ändert sich auch das Öffnungsverhalten des Hauses beim Entlanggehen des nach Süden führenden Weges. Findet man im Nord- und Süd-osten lediglich kleine Fenster zur Belüftung der übereinanderliegenden Räume für Küche und Bad sowie mittelgroße Fenster, die der Belichtung von Schlaf- und Essbereich dienen, so öffnet sich das Haus zur südwestlichen Seite hin mit großen Terrassentüren. Zusätzlich enthält das Dach ein Oberlicht im Westen, das dem Teil des Innenraumes mit doppelter Höhe Licht spendet, als auch dem Besucher, vom Norden auf der Obergeschossebene ankommend, den Einblick in das Gebäude durch ein mittelgroßes Fenster im Nordosten eröffnet.Um daraufhin in das Innere des Hauses zu gelangen, durchschreitet man die Eingangstür an der nordöstlichen Seite. Beim Betreten der sechs Meter hohen Gebäudehälfte erblickt man links eine Treppe, die nach oben auf eine Galerie führt, und geradeaus einen Kamin, der als raumbildendes Element fungiert.

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

2322

Die kompakte, homogene „Kiste“ von außen wandelt sich beim Eintreten in ein System aus verschiedenen Bereichen, die in ihrer Nutzung unabhängig sind und zum freien Grundriss (keine vertikalen Wände bis auf die Trennwände zu Küche und Bad) der Casa Cirell gehören.Hier wird ihr Bezug zur modernen Architektur deutlich. Der gesamte Innen-raum organisiert sich um drei Punkte: die Treppe, den Kamin und das Halb-geschoss, welches den quadratischen Grundriss diagonal teilt. Durch diese Teilung entlang der Nord-Süd-Achse entsteht die Figur eines gleichschenkligen Dreiecks, dessen Katheten die Nordost- und Südostfassaden bilden. Dabei wird der Innenraum in zwei Hälften unterteilt, die prismenförmige, doppelthohe Sei-te beherbergt das Wohnzimmer, während auf der anderen Seite unterhalb der Galerie ein Essplatz sowie die Küche und oberhalb eine Bibliothek mit Schlafge-legenheit und Bad untergebracht sind. Immer noch im Westen des Gebäudein-neren stehend und nach Osten blickend, lässt der tragende Holzbalken des Halbgeschosses eine horizontale Achse entstehen. Die runde Stange, um die sich die Wendeltreppe „schlängelt“, bildet die erste vertikale Achse im Innen-raum. Sobald die Treppe oben ankommt, geht sie in einen Steg über und trifft schließlich auf die zweite vertikale Achse, in Form von Kaminrohr und Mittel-stütze. Der Kamin als strukturierender Bestandteil befindet sich im Mittelpunkt des Grundrisses.Diese Position kann man erst nachvollziehen, sobald sich der Kamin im Ober-geschoss in 2 Elemente auflöst, in das Abzugsrohr und eine Stütze, wodurch ersichtlich wird, dass die Lage dem Tragwerk geschuldet ist. Die diagonal gestellte Wand zur Küche im Erdgeschoss und zum Bad im Obergeschoss hat nicht nur eine raumtrennende und tragende Funktion, sondern lässt den fünfeckigen Hauptraum zentralisiert erscheinen. Das dritte Hauptelement des Innenraums, die Treppe, bildet eine Besonderheit der Arbeit von Lina Bo Bardi. Im Vergleich mit der Treppe des Museo de Arte Moderno de Bahia wirkt sie zwar eher weniger für eine Inszenierung gedacht, dennoch steuert auch hier die Architektin das Hinaufgehen und lässt dadurch eine Choreographie entste-hen. Durch die nur 80 Zentimeter breiten, dreieckigen Stufen und den dünnen, aus nur einer geschwungenen Stange bestehenden Handlauf wird der Benutzer der Treppe dazu gezwungen, langsam und bedächtig hinauf- oder herabzu-schreiten.Allein durch diese Einzelheit wird deutlich, wie intensiv sich Lina Bo Bardi mit den Details eines eher kleinen Auftrags zum Bau eines Ferienhauses beschäf-tigt und auch hier nichts dem Zufall überlässt. Sie hinterlässt ihre ganz eigene Handschrift in der Casa Valéria Cirell, vielmehr noch hier, bei ihrem ganz

alleinigen Projekt als beim Casa de Vidro, bei dem auch ihr Ehemann seine architektonischen Vorstellungen einfließen ließ. Durch ihr eigenes Studium der brasilianischen Vergangenheit und im Versuch, sich diesem Land zu nähern, findet sie eine neue, andersartige Schönheit in ihrer neuen Heimat.

“And so with that start out No way I’d let you take my heart out I had another dream of what it takes for a city It took me so long to see what makes you so pretty You’re the reverse of the reverse of the reverse of the reverse”„Sampa“,Caetano Veloso (translation Zach Rogow, Joana Darezzo)¹

Durch diese Auseinandersetzung mit der Kultur Brasiliens entstand für sie eine völlig andere, neue Herangehensweise an die moderne Architektur. So versteht Lina Bo Bardi die Moderne nicht als komplett Neues, vom Alten abge-schnitten, sondern als eine Methode mit Bezug zu vorangegangenen und auch traditionellen Formen der Architektur. Sie sucht die Verbindung zum Ort, zur Gesellschaft, zur Kultur und entwickelt dadurch eine andere, ihre ganz eigene Moderne, sozusagen the reverse of the reverse of the reverse of the reverse.

¹ Übersetzung von Zach Rogow, Joana Darezzo: Caetano Veloso “Sampa” http://www.worldliteraturetoday.org/translating-sampa-caetano-veloso#.Va3pzfnrl1H

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

2524

MASP, Museu de Arte de São Paulo, 1957-68Text: Alexander Welsch

„Unvergesslich die Szene, als der tropische Regen Sao Paulo überschwemmte und ich mit Dutzenden Menschen unter dem MASP Schutz suchte. Dieser kollektive Moment erinnert mich an die ikonisch gewordenen Bilder von Men-schenmengen anlässlich einer Kunstperformance oder eines Konzerts, an eben-diesem Ort und doch waren wir nur wegen dem Wetter hier…“ (1, Seite 116)

Während der Bauarbeiten 1964, zum Museu de Arte de Sao Paulo, kam es zu einem Militärputsch mit Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA. Die Visi-onen des amtierenden Präsidenten Joao Goulart, 2 Millionen Menschen lesen und schreiben bei zu bringen und einer Boden- und Landreform stimmten das Militär und die USA ängstlich gegenüber einem aufblühenden Kommunismus. Nachdem Joao Goulart gestürzt war und sein Nachfolger Humberto Castelo Branco das Präsidentenamt übernahm verliefen die Bauarbeiten an der Avenida Paulista äußerst stockend.

Das MASP im Außenbezirk von Sao Paulo auf der Aussichtsterrasse des abgeris-senen Trianons zu errichten war der Architektin und Wahlbrasilianerin Lina Bo Bardi zu verdanken. Dieser, bis dahin unbedeutende Stadtteil war nur für statt-liche Herrschaftshäuser und -gärten von Kaffeeplantagenbesitzern vorbehalten und sollte durch die Realisierung des MASP an kulturellen Wert gewinnen und damit belebt werden. Vielleicht war es aber auch ein Zeigefinger-heben in Richtung dieser Kaffeeplantagenbesitzer, da diese das Militärregime finanziell unterstützten.

Das MASP, basierend auf den Projektentwurf für das Museuà Beira do Oceana in Sao Vincente, besteht aus zwei Teile: ein Sockelbau im Hang und einen von Pfeilern und Trägern hochgestemmter Museumskörper über der Belvedere. Die im Sockelbau, des früheren Trianon, untergebrachten Funktionen können den gesellschaftlichen Anlässen zugewiesen werden. Die skulpturale x-förmige Treppe im öffentlichen Foyer führt die Besucher zu unterirdisch liegenden Aus-stellungsfläche, einem kleinen und großen Theatersaal, sowie zu den Werkstät-ten. Im Rücken des Sockels befindet sich eine Treppe die durch das Unterge-schoss auf die Aussichtsterrasse an der Avenida Paulista führt. Dieser aus einer Vorgabe der Stadt heraus entwickelte öffentliche Raum unter der Betonplatte

und zwischen den vier massigen Betonpfeiler hat die Ausmaße von 74 x 29 x 8 Metern. Die gewaltigen Pfeiler und Träger aus Stahlbeton zeigen den notwen-digen statischen Einsatz um die offene Struktur des MASP daran aufzuhängen. Der über der Belvedere liegende Teil des Museums beinhaltet ein Geschoss mit Büros und Wechselausstellungen sowie das Hauptausstellungsgeschoss für die Kunstsammlung des MASP. Die Einheit des Gebäudes wird durch die Verwen-dung von Stahlbeton bei den Pfeilern und Träger deutlich. Dabei wird der raue Beton mit den anderen Materialien kombiniert wie z.B. mit dem Fassadenglas, dem einheitlichen lokalem Stein im Fußbodenbereich in der Veranstaltungshal-le und dem Platz oder dem schwarzen Bodenbelag aus Industriegummi in der Gemäldegalerie. Durch den Verzicht auf exklusive und kostspielige Materialen wird deutlich das Lina Bo Bardi versucht die elitären Fesseln eines Museums zu sprengen. Die Ausstellungsobjekte sollen dadurch allen zugänglichen gemacht werden und auf Akzeptanz stoßen.

Auch Ihrer Präsentation der Ausstellungsobjekte spiegelt Lina Bo Bardis Hal-tung für eine freie politische und künstlerische Entwicklung der Gesellschaft wieder. Es kommt zu einem schlichten Einsatz von Beton und Glas, wie bei der Architektur des MASP selbst. Dabei werden die Gemälde auf Augenhöhe an Glasständer montiert. Die Ständer sind in einen Betonquader eingespannt und dadurch stabilisiert. Für die Ausstellung platziert Lina Bo Bardi die Gemälde in mehreren Reihen, horizontal zu den verglasten Längsseiten des Museums. Die Reihen sind zueinander verschoben. Dies diente zum einen dem freien Blick durch den Ausstellungsraum. Zum anderen kann dies ebenso als Zeichen gegen das Regime gedeutet werden. Die Glasständer mit den Gemälden stehen wie Menschen fest am Boden aber frei in einem großen Raum. Ebenso spiegeln die verschiedenen Ausstellungsobjekte mit ihren verschiedenen Größen die Individualität der Bevölkerung da. Ein weiterer Hinweis ist die möglich Betrach-tung der Gemälde von allen Seiten. Diese ungewöhnliche Präsentation der Kunststücke verdeutlicht ihre antiautoritäre Haltung gegenüber dem Militärre-gime. Als eine gebildete Frau die in Europa den Krieg miterlebte, versuchte sie Brasilien Hoffnung zu geben für eine bessere Welt.

Während der Fertigstellung des MASP kam es im Jahre 1968 im ganzen Land zu Studentenunruhen und Streiks. Das Ende des Militärregimes und der Diktatur dauerte aber noch bis Ende 1985 an. Doch hierbei spielte der Platz unter dem Museu de Arte de Sao Paulo an der Avenida Paulista eine wichtige Rolle. Dieser war Ausgangs- und Sammelpunkt für Demonstrationen gegen das Regime und

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

2726

für die Freiheit Brasiliens.

Bei der Ausarbeitung des Konzepts für das Museum und des Raumes an der Avenida Paulista war Lina Bo Bardi wahrscheinlich noch nicht klar das diese einen Einfluss auf die Studentenunruhen und Streiks nehmen wird. Doch sie stellte das Örtliche und Volkstümliche ihrer Architektur über dem Globalen und Allgemeinen was das MASP bis heute zu einem Wahrzeichen für Sao Paulo macht. Wie das subtropische Klima Architekten aus anderen Klimazonen immer dazu anregt Konzepte eines fließenden Übergang von innen und außen zu ent-wickeln, versucht das Lina Bo Bardi bei dem Museu de Arte de Sao Paulo nicht. Das Museum sucht nicht nach einer baulichen Schwellenlosigkeit sondern versucht die Kunst allen Gesellschaftsschichten näher zu bringen, sich kulturell auszutauschen und kritisches Denken zu fördern.

Ein scheinbar grenzenloser Raum, für eine grenzenlose Freiheit, aber an man-chen Tagen auch nur ein Schutz vor Unwetter.

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

2928

Igreja do Espírito Santo do Cerrado, 1975-1982Text: Daniel Wall

„Es ist wichtig, dass Architektur am Fundament beginnt und nicht bei der Kup-pel. Zuerst kommt die Auseinandersetzung mit dem konkreten Kontext, dann kann der Bau beginnen.“Lina Bo Bardi

Die Arbeit an der Igreja do Espírito Santo do Cerrado ist ein klares Statement von Lina Bo Bardi zur vernakulären Architektur und gleichzeitig ein Beispiel für die brasilianische Moderne. Die „Kirche des Heiligen Geistes“ in Zentralbrasi-lien wurde 1975 in Auftrag gegeben, jedoch waren die Finanziellen Mittel sehr knapp, so arbeitete Lina Bo Bardi 6 Jahre lang ohne Bezahlung an dem Projekt. Um mit dem geringen Budget auszukommen musste das Konzept so klar und einfach wie möglich sein. Die Materialien für das Gemeindezentrum kommen aus der unmittelbaren Umgebung, die Konstruktion ist einfach gehalten und die Helfer waren Einwohner des kleinen Vororts Bairro Jaraguá, in dem das Gemeindezentrum errichtet wurde. Der Entwurf besteht hauptsächlich aus drei kreisförmigen Baukörpern welche sich überschneiden und so geschwun-gene Linien erzeugen. Welche nach Oscar Niemeyer aus der brasilianische Moderne nicht mehr wegzudenken sind. Die drei Körper sind sowohl in ihrer Ausdrucksweise, der Materialität als auch in ihrer Konstruktion verschieden. Bei genauerer Betrachtung fällt dies auch relativ schnell ins Auge. Doch warum wählte Lina Bo Bardi unterschiedliche Konstruktionen und Materialien bei einem Projekt mit drei gleichen Grundformen?

Als erste Entscheidung wurde das Hanggrundstück in drei Ebenen terrassiert. Somit gibt die Topographie eine Hierarchie vor, welche im Projekt übernom-men wird und die Anordnung und Ausrichtung der einzelnen Gebäudeteile bestimmt. Jede Ebene erfüllt eine andere Funktion, die unterste die Gemein-schaft, die mittlere das Wohnen und die oberste das Beten. Die obere Ebene schließt an das Gelände an und bietet direkten Zugang zur Kirche. Das runde Kirchenschiff hat ein Zeltdach mit innenliegenden Holzstützen aus heimischem Aronia-Holz und außenliegende Betonkonstruktion mit einem Betonkranz. Die Außenwand ist mit Lehmziegel ohne Putz komplett ausgefüllt. Das Baumaterial bestimmt so das Erscheinungsbild des Gebäudes. Die Holzstützen schaffen eine assoziative Verbindung zu einem traditionellen länglichen Kirchenschiff

und richten den runden Innenraum auf den Alter aus. Direkt darüber befindet sich ein dreieckiges Fenster aus Glasziegeln, welches die Dreieinigkeit symbo-lisieren könnte. Das Fenster schafft als einzige Lichtquelle eine auf den Altar ausgerichtete Atmosphäre.Auf der zweiten, mittleren Ebene befinden sich die Wohnräume der Nonnen und der Kreuzgang. Ein Ort der Ruhe, der Besonnenheit und der Einkehr. Hier ändert sich die Fassade von einer vollständig geschlossenen Wand aus Lehm-ziegeln in eine Lochfassade mit Fenster und Türen. Ein umgedrehtes Zeltdach formt einen Innenhof welcher als Kreuzgang für die dort wohnenden Nonnen dient. Gleichzeitig sind alle Räume nach innen zum Innenhof orientiert und schotten so die Außenwelt ab. Die Fläche der Überschneidung mit den anderen kreisförmigen Volumen wird immer den anderen Gebäudeteilen zugegeben.Auch an der Dachform erkennt man dass das mittlere Gebäudeelement sich zurückzieht, das umgedrehte Zeltdach wirkt wie ein Negativ zu den anderen Dachformen und lässt das Volumen introvertiert erscheinen.Auf der untersten Ebene befindet sich ein Gemeindesaal für Tagungen oder Fei-erlichkeiten. Dass dieser der Öffentlichkeit zugeschrieben ist zeigt sich schon in der Fassade welche nur aus stehenden Bambusrohren besteht und somit relativ durchlässig ist. Das dient natürlich der Belüftung, aber es wirkt auch viel einladender als das geschlossene Mauerwerk der anderen Gebäudeteile. Auch der Boden lädt hier zum eintreten ein, denn er gleicht sich mit der Umge-bung um keinen Übergang von Innen nach Außen zu zeigen. Die Konstruktion funktioniert hier, im Gegensatz zum Kirchenschiff, mit keinen innenliegenden, sondern nur mit außenliegenden Holzstützen in der Fassade. Somit kann der Festsaal verschieden genutzt werden und ist im Grundriss frei, wohingegen das Kirchenschiff durch die Stützen und den Altar in eine Richtung ausgerichtet werden.

Lina Bo Bardi zeigt wie in drei gleichen Grundformen verschiedene Nutzungen funktionieren und wie diese sich auch in der Konstruktion und der Materialität nach außen zeigen können ohne das Gesamtbild zu stören. Die unterste Ebene als weltlicher Bezugspunkt, ein öffentlicher Raum für Feste und Feierlichkeiten. Die mittlere als ein Verbindungsstück, ein dienendes Element um die zwei an-deren zu versorgen und gleichzeitig den Nonnen Privatsphäre bieten. Die ober-ste Ebene als die heilige Ebene, an der man Gottesdienste feiert, ein Ort für die Besinnung und der Anbetung. Bo Bardi versteht es bei diesem Projekt auf alle Bedürfnisse und Anforderungen einzugehen, gegebenenfalls die Konstruktion oder das Material zu ändern, ohne aber das Gesamtbild oder den Kontext aus

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

3130

den Augen zu verlieren. Sie vereint traditionelle Materialien und Bautechniken mit der modernen Architektur.So entsteht ein Gemeindezentrum für eine kleine Gemeinde, ohne große finan-zielle Mittel, nur aufgrund der Sehnsucht nach Glaubensgemeinschaft. Eine Kirche mit der sich die Anwohner identifizieren können, und die gleichzeitig dem Ort eine Identität verleiht. Ohne diesen klaren Willen der Anwohner und von Lina Bo Bardi wäre so ein Projekt wahrscheinlich nicht umsetzbar gewe-sen. Vielleicht gehört zu der Auseinandersetzung mit dem Kontext nicht nur das Studieren der Topographie oder der Himmelsrichtung sondern auch der Umgang und das Integrieren der Anwohner, welche am Ende mit dem Projekt leben müssen.

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

3332

SESC Fábrica Pompeia, São Paulo 1977-86Text: Lisa Frank

„I want the SESC to be even uglier than the MASP!”

in Zitat von der aus Italien stammenden, aber in Brasilien heimisch gewordenen Architektin, Designerin, Künstlerin, Ausstellerin, etc. Lina Bo Bardi, welches den Leser zunächst verwirrt. Warum sollte ein Architekt etwas bauen wollen, das hässlich ist bzw. welcher Architekt bezeichnet seine eigenen Werke als häss-lich? Dieses Zitat lässt sich nur begreifen, wenn man sich mit der einerseits kraftvollen und resoluten, andererseits sehr behutsamen und einfühlsamen Person auseinandersetzt. „Ugly“ bezieht sich hier nicht auf die Ästhetik der Ar-chitektur, sondern auf die Art und Weise, wie sie gemacht ist, nämlich einfach, ärmlich, aber auch ehrlich.

Das SESC Pompeia entstand durch den Auftrag an Lina Bo Bardi für den Neubau eines Sport- und Kulturzentrums im Arbeiterviertel Palmeira, einem Industrie-gebiet in Sao Paulo. Auf dem Grundstück befindet sich zu dem Zeitpunkt eine alte, mittlerweile geschlossene Fassfabrik, die die Auftraggeber bereits nach dem Prinzip „Tabula rasa“ als abgerissen betrachten. Lina Bo Bardi sieht dies jedoch anders und begeistert sich bereits beim ersten Besichtigungstermin für die Atmosphäre, die auf dem verlassenen Grundstück herrscht. Spielende Kin-der mit ihren Familien haben sich das Gebiet zu Eigen gemacht und begreifen den Ort als Versammlungs-, Treff- und Spielstätte.Genau diese Atmosphäre wollte die Architektin erhalten und beabsichtigte deshalb eine Reaktivierung und Sanierung des alten Fabrikgebäudes mitsamt seinen Materialien. Dem internationalen Stil konnte Bo Bardi nichts abgewin-nen, jedoch ist sie auch nicht eindeutig einer bestimmten Schule zuzuordnen. Sie arbeitet sowohl mit Elementen des Brutalismus, als auch des Regionalismus und wird beeinflusst von traditioneller, brasilianischer Kultur, wobei sie den Be-zug zu Kontext, Ort und Geschichte als stil- und gestaltgebend für ihre Werke begreift. Trotzdem steht hinter dem Vorsatz der Erhaltung des Bestandes nicht unbedingt ein nostalgischer Hintergrund, sondern eher die Möglichkeit zu einer inhaltlichen Uminterpretation bei Beibehaltung der äußeren Form.Das Image der Fabrik, die für Arbeit, raue Atmosphäre und Gewalt steht wird umgewandelt in ein Zentrum der Freiheit, Fantasie und Kreativität. Sie nutzt das, was bereits da ist und erzeugt die Vergangenheit damit neu.

Dies schafft sie aber mit sehr sparsamen Eingriffen. Sie verändert nur Kleinig-keiten, lässt die Hallenkonstruktion freilegen, öffnet die Dächer und lässt einen Steinboden verlegen, welchen man bei städtischen Plätzen vorfindet. Die neue Lagerhalle wird mit neuen Funktionen aufgewertet, nämlich einem Theater, einem Restaurant, das abends zur Bar wird, einer Bibliothek, temporären Aus-stellungsflächen, Werkstätten und verschiedensten Aufenthaltsräumen.Die Möblierung ist kompakt und aus einfachen Materialien wie Holz. Ebenso sind die Räume offen und alle frei zugänglich, was eine besonders angenehme und heimische Atmosphäre schafft und durch einige Elemente wie die Feuer-stelle, die ein Gefühl von Zuhause sein vermittelt oder den amorphen Was-serlauf noch verstärkt wird. Faszinierend dabei ist die Tatsache, dass diese ganzen Funktionen und Aufenthaltsräume gleichzeitig, nebeneinander in einer großen Halle stattfinden und sich gegenseitig nicht stören, da die Flächen durch Höhenunterschiede, möbelartige Trennwände oder den Wasserlauf definiert sind. Eingerahmt wird diese belebte Situation von unterschiedlichen Lichtstimmungen im Gebäude, die durch die Holzgitter, die Spiegelung auf der Wasserfläche und die Ziegelobergarden entsteht. Helles, gedämpftes und diffuses Licht wechseln sich ab und lassen Innen- und Außenraum ineinander überfließen.Im extremen Gegensatz dazu die drei neu errichteten Betontürme. Im großen Hallenturm befinden sich vier Sportfelder, die mit unterschiedlichen Farbge-staltungen versehen sind, welche die vier Jahreszeiten darstellen sollen, sowie ein Schwimmbad. Bei den beiden Kleineren handelt es sich zum einen um einen Wasserturm, zum anderen um einen zum Hallenturm zugehörigen Teil, der Umkleiden und sämtliche Nebenfunktionen enthält. Verbunden werden sie durch sogenannte Himmelsbrücken, d.h. Betonstege, welche die Erschließung im Außenbereich gewährleisten und dadurch zu Begegnungsorten werden. Diese modern angehauchte Funktionstrennung und die außenliegende, für Bra-silien typische Erschließung zeigen die unbedingte Notwendigkeit der Verbin-dung: Der eine Turm kann nicht ohne den anderen und verliert dadurch seine Funktion. Diese Zusammengehörigkeit wird auch in der Fassade ausgedrückt, die beim Öffnungsverhalten des Hauptturms eine freie Form in orthogonaler Anordnung und beim Nebenturm eine regelmäßige Kontur in freier Anordnung aufweist. Durch das Aufgreifen der Elemente des anderen, aber einer anderen Umsetzung, wird das Zusammenspiel deutlich.Die Absicht Lina Bo Bardis wird vor allem im SESC Logo erkennbar: Ein Kamin, aus dem Blumen statt Rauch herausquillen. Beinahe ironisch wird das Sym-bol der ehemaligen Fabrik uminterpretiert in eine positive Aussage. Genauso

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

3534

betrachtet sie die restlichen Elemente ihres Entwurfs. Ein Solarium oder eine riesige Sonnenterrasse entlang des Wasserkanals erschafft plötzlich eine Ruhe-zone, Erholung und Entspannung, wo früher hektisch geschuftet und gerannt wurde. Die Betonbrücken, die als Zeichen für die Industrialisierung stehen, schaffen nun Raum für das bewegte und fröhliche Hin und Her der Menschen. Das Gebäude, das für unangenehme, repressive und anstrengende Fabrikarbeit steht, wird zum Zentrum der Freizeit, des Sports und der Bildung. Die rohe und plakative Ausdrucksform verleiht dem Entwurf aber zusätzlich eine sozialkri-tische Note, die den technischen Fortschritt und das damit einhergehende Konsumdenken darstellen und in Frage stellen sollen. Möglicherweise kann hier auch eine Verbindung zum gleichzeitig entstandenen Centre Pompidou bestehen, welches dieses High-Tech-Image in höchstem Maß feiert, während Lina Bo Bardi zwar ebenfalls die Konstruktion und Technik sichtbar macht, aber durch den Einsatz von einfachen Materialien relativiert.

Ausschlaggebend für die bevölkerungsnahe Architektin war vor allem die Berücksichtigung von Menschen, die sonst vergessen werden, als Verlierer gelten oder als hässlich beschimpft werden. Diese sollen im SESC Pompeia ein Zentrum und ein Zuhause finden, welches nicht nur für die wohlhabende und erfolgreiche Bevölkerungsschicht geschaffen wurde. Damit setzt sie ein Zei-chen gegen die Benachteiligung bestimmter Bevölkerungs- oder Randgruppen. Dementsprechend soll auch ihre Architektur einfach und ärmlich sein. Man ordnet ihre Projekte oft der „Arquitetura pobre“ zu, einer armen Architektur im Sinne von Hand gemacht und mit bescheidenen Mitteln geschaffen. Diese ist vergleichbar mit der zeitgleichen Kunstrichtung der „Arte povera“ in Italien, welche dasselbe mit Kunstwerken vermitteln möchte.Ihr ging es nicht um die Schaffung eines ästhetisch beeindruckenden Gebäu-des, sondern um die Erzeugung einer Gebrauchsarchitektur, die ihre Atmo-sphäre und ihre Schönheit erst erhält, wenn sie sich vom Menschen aneignet wurde und durch ihn bespielt wird.Der Mensch ist der Mittelpunkt ihrer Architektur!

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

3736

SESC Fábrica Pompeia, São Paulo 1977-86Text: Bärbel Haas

Mit dem Jahr 1982 gewann die Stadt São Paulo in Brasilien eine neue, mar-kante Architektur. Linda Bo Bardi bekam den Auftrag auf dem Gelände einer still gelegten Fassfabrik einen Erholungsort mit Kultur- und Sportzentrum zu entwerfen, in Zusammenarbeit mit dem Träger SECS. Das SECS (Serviço Social do Comércio= sozialer Dienst des Handels, dt.) ist Träger von verschiedenen Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen in Brasilien und agiert ohne Profit. Allein in São Paulo gibt es mittlerweile 35 dieser Einrichtungen. Finanziert wer-den sie durch eine Abgabe aller Handelsunternehmen in Brasilien, da sie vor allem für ihre Angestellten gedacht sind. Mit einem geringen Eintritt kann man die Zentren nutzen und für wenig Geld täglich eine warme Mittagsmahlzeit zu sich nehmen.Die Fabrik sollte ursprünglich abgerissen werden, wie auch viele andere Ge-bäude in ihrer Umgebung, um das Viertel aufzuwerten. Lina Bo Bardi entschied sich anstatt dessen sie zu erhalten, samt aller Materialien und Eigenschaf-ten, die an die vergangene Zeit erinnern. Dies allerdings nicht aus Nostalgie, sondern um die früheren Arbeitsverhältnisse zu untergraben. Sie wollte den Arbeitsplatz nicht länger als Verbündeten der Belastung und Ermüdung zeigen, sondern ganz im Gegensatz als Erholungszone. Alles Unangenehme, Hem-mende und Schmerzhafte der vergangenen Jahre, sollte nun durch Freiheit und Förderung der Fantasie kompensiert werden. Sehr treffend zeichnete die Ar-chitektin hierzu das Markenzeichen des Zentrums: ein Kamin der nicht länger Rauch ausstieß, sondern Blumen.In den Bestandsgebäuden hat Bo Bardi eine Bibliothek, einen Workshop-Bereich mit Werkstatt, ein Theater, eine Küche mit Kantine, ein Ausstellungsbereich, eine Mehrzweckfläche und die Verwaltung eingerichtet. Die Fassaden aus rotem Backstein und das Dach der Fabrik wurden erhalten und die Tragstruk-tur freigelegt. Sie erinnern noch immer an den Stil britischer Fabriken. Um die Einteilung des neuen Raumprogramms trotzdem umsetzen zu können, wurden rücksichtsvoll Elemente wie begehbare Raumboxen und eine Möblierung aus Holz im Inneren eingestellt. Die letztere wurde nicht in modernen sterilen Ele-menten gewählt, sondern bodenständig, der Region angepasst. Die Besucher sollen sich in dem Gebäude wohl fühlen und sich trauen ihren Bedürfnissen nach Erholung nachzugehen. Es soll für sie kein fremder Ort sein, sondern Teil ihrer Nachbarschaft. Durch die dezente Aufteilung der offenen Halle entsteht

eine wertvolle Gemeinschaft und bildet keine Grenzen. Die drei neuen Türme bilden auf eine unkonventionelle Weise das Kontrast-programm zum Bestand. Sie stehen schon eher für den zeitgemäßen brutalis-tischen Baustil in Brasilien. In rauem Beton ragen sie aus dem Boden heraus und fallen durch ihre Höhe schon von weitem den Betrachtern ins Auge, wäh-rend sich die ehemalige Fabrik eher in die breite entwickelt. Neben dem neuen Wasserturm, befinden sich in dem massigeren Turm vier Turnhallen, welche in bunten Farben für die Jahreszeiten stehen, sowie eine Schwimmhalle. Im kleineren Turm befinden sich die Vertikalerschließung und die Nebenräume für die Sportler, wie z.B. die Umkleiden. Beide Türme sind abhängig voneinander, ohne den jeweils anderen funktioniert keiner von ihnen. Der eine kann nicht begangen werden, dem anderen fehlt die Hauptnutzung. Dies kann für die Wichtigkeit von Gemeinschaft und Hilfsbereitschaft stehen. Um diese Verbun-denheit zu zeigen, wurden zwischen den Gebäuden Luftbrücken in verschie-denen Richtungen errichtet. Nur durch sie ergibt die Aufteilung des Raum-programmes Sinn, nur mit ihr funktioniert das Zusammenspiel zwischen den Nutzungen. Während man von Innen das System als eins wahrnimmt, erschei-nen die Neubauten von außen trotz gleichem Material in unterschiedlicher Art und Weise. Durch ihre verschiedenen Öffnungen der Fensterdurchbrüche wird die differenzierte Nutzung sichtbar. Während der als zweites genannte Turm viereckige Fenster ohne Ordnung vorweist, haben die Sporthallen geradlinig aufgeteilte Durchbrüche, diese allerdings in der Form von Amöben. Fensterlä-den aus rot angestrichenem Holz schlagen wieder die Brücke zu den regional genutzten Materialien.

Lina Bo Bardi entschied sich, die Bestandsgebäude mit großen Öffnungen zum Außenraum auszustatten. Auch die Materialität des Bodens in Stein erinnert an eine öffentliche Platzgestaltung. Eine Feuerstelle und ein Wasserlauf laden zum Verweilen ein, auch wenn man keiner Aktivität nachgehen will. Die Besucher sind bei allen Schwerpunkten des Programms willkommen und werden eingela-den und animiert sich zu beteiligen. Das Facettenreichtum des Zentrums bietet für jedermann eine Zone, wo er sich zurückziehen, oder in Gesellschaft seine Freizeit verbringen kann. Sei es um sich beim Sport auszupowern, oder in der Werkstatt sein Handwerk zu üben. Im Gegensatz zu kostenintensiven Frei-zeitaktivitäten mit entstehenden Monatsbeiträgen, finden hier alle Mitglieder einer Familie ein passendes Angebot. Abgerundet wird das Projekt mit dem ehemaligen Regenwasserkanal, welcher unterhalb der Luftbrücken als Verbindung zwischen den einzelnen Gebäuden

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

3938

dient. Er wurde zu einem Liegebereich im Freien umfunktioniert, wodurch das Programm der Kultur-, Sport und Freizeiteinrichtung komplett war.

Lina Bo Bardi hat es mit einem dezenten Eingriff in den Bestand einer Konkurs gegangenen Firma und der Addition von neuen Gebäuden geschafft, einen einladenden Ort für die Bevölkerung São Paulo zu errichten. Mit einem ge-ringen finanziellen Aufwand, wurde ein Ort geschaffen, der vielen Menschen aus ärmeren Verhältnissen das Leben erleichtert, wenn nicht gar lebenswert macht. Sie haben in ihrem oft schweren Alltag mit Ängsten und Sorgen einen Lichtblick, der sie stärkt und neuen Lebensmut gibt. Man erkennt, dass es nicht unbedingt viel Geld braucht, um für ein besseres Gleichgewicht in der Gesell-schaft zu sorgen. Dass das architektonische Konzept Bo Bardis zu hundert Prozent richtig entschieden war, bestätigt die heutige Zeit:Nach über 30 Jahren ist das SECS immer noch von ihren Besuchern hoch fre-quentiert und selbst google-streetview war es wert, das Innere zu erkunden.

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

4140

SESC Fábrica Pompeia, São Paulo 1977-86Text: Gaby Ebner

An welche Namen denkt man, wenn man nach den großen Architekten und Baumeistern gefragt wird? Le Corbusier, Frank Lloyd Wright und noch weiter in der Geschichte zurück an Vitruv. Doch wo bleiben die weiblichen Vertre-ter der Architektur? Bewahrheitet sich das Klischee der Männerdomäne? Bei ge¬nauerer Recherche stößt man auf zeitgenössische Namen wie Zaha Hadid, Kazuyo Sejima, dem weiblichen Part von Sanaa oder Anne Lacaton. Doch weiter zurück in der Geschichte, etwa zu den Anfängen der Modernen Archi¬tektur, werden die weiblichen Namen auf der Liste der "Berühmtheiten" weni¬ger. Lilly Reich (1885-1947, Leiterin der Ausbau-Werkstatt des Bauhauses, Lebenspart-nerin von Ludwig Mies van der Rohe) oder Margarete Schütte-Lihotzky (1897-2000, Entwurf Frankfurter Küche) können als nationale Vertreterinnen genannt werden. Bei Erweiterung der Suche auf internationale Ebene kommt man aber um einen Namen nicht herum: Lina Bo Bardi. Diese brasilianische Baumeiste-rin erlangte zwar erst viele Jahre nach ihrem Tod den verdienten Ruhm, hat es aber dennoch schon zu Lebzeiten mit bekannten Architekten wie Oscar Niemeyer oder Lúcio Costa aufgenommen. Sie macht die Liste der wichtigsten Architekten der südamerikanischen Nachkriegsmoderne komplett. Die gebürtige Italienerin wurde nach ihrer Emigration nach Brasilien mit dem Gebäude Casa Vidro bekannt. Dieses neuartige Wohnhaus, ein aufgeständertes Glashaus, entwarf sie für sich und ihren Mann. Unter Einbeziehung der brasilianischen Bautraditionen interpretierte sie in ihrer Arbeit die Moderne in den Tropen radikal neu. Der bodenständige Ansatz indi-viduelle Architektur vor Ort auf der Baustelle mit Handwerkern und Bauherrn zu entwerfen unterscheidet sie dabei völlig von ihren namhaften Kollegen. Lina Bo Bardi versuchte mit dem Vorhandenen und Vorgefundenen zu entwerfen und schuf folglich ein vielfältiges Werk. Ihr lag viel daran eine soziale Architektur zu schaffen, die im Dialog mit den Bedürfnissen der Nutzer steht und mit der Nutzung erst lebendig wird. Mit dem Kulturzentrum SESC Pompeia in Sao Paulo wird eine solche soziale Architektur geschaffen. Menschen aller Berufsgruppen und jeden Alters sollen hier Sport betreiben, in Theatervorstellungen oder Ausstellungen gehen, die Bibliothek besuchen, zusammen essen oder durch das Kulturzentrum flanieren. Für die Errichtung dieses Freizeit-, Sport- und Kulturzentrums wurde Lina Bo Bardi das Gelände einer ehemaligen Fassfabrik vorgeschlagen. Diese alte Fassfabrik

sollte abgerissen werden und das großzügige freigelegte Grundstück einem neuen Entwurf zugrunde liegen. In der Fassfabrik aber, die 1938 östlich des Zentrum von Sao Paulo erbaut wurde, sah die Architektin mit ihren innovativen Ideen bereits einen großen Teil des Kultur- und Sportzentrums. Ihre Absicht war, das alte Fabrikgebäude umzunutzen und es als Symbol für eine gegenwär-tige Vergangenheit zu erhalten. Den Bewohnern sollte diese gewohnte Gestalt der Fabrikhallen als polarisierendes Zeichen erhalten bleiben. Die Umnutzung von alten Fabriken zu "Freizeitparks", wie es heute zum Beispiel im Ruhrgebiet mit der Neugestaltung von Kohlekraftwerken zu finden ist, war damals ein Experiment, eine neuartiger Versuch. Mit einer lockeren, unvoreingenommenen Art programmierte sie aus der bestehenden, industriellen Ausstrahlung heraus eine Freizeitstätte. Der gemeinsame Faktor der alten und neuen Nutzung bleibt jedoch das Miteinander von Menschen in der Gebrauchsarchitektur. So war die-ses Miteinander früher durch Firmenchefs erzwungen, nach den Eingriffen Lina Bo Bardis wird es zum Selbstverständnis.Diese erste Phase bei der Errichtung, beziehungsweise bei der Umnutzung zu einem Kulturareal, bezieht sich aber nicht nur auf Änderungen in der Wahrnehmung, sondern es werden auch kleine, ausschlaggebende bauliche Veränderungen vorgenommen. Um die robuste Materialität des Backsteins in der Fassade unverkleidet zu zeigen, wurde der helle Putz abgeschlagen und somit auf die natürliche Erscheinung des Materials zurückgeführt. Die bereits modernen Tragkonstruktionen in den Sheddach-Hallen werden sichtbar, Dächer und Wände werden an bestimmten Stellen geöffnet und perforiert. Die dadurch möglich gewordene offene und lichtdurchflutete Atmosphäre lässt eine rege Durchlüftung zu, was in den Tropen für ein angenehmes Raumklima sehr wich-tig ist. Typische auflockernde Elemente eines Platzes oder Weges werden auch ins Innere der Gebäude verlegt. Man findet dort beispielsweise einen flächigen Steinboden, eine Feuerstelle und einen Wasserlauf. Sowohl Außenraum als auch Innenraum sind für die Öffentlichkeit bestimmt.

Im Kontrast zu diesen flächigen, bodennahen und horizontalen Fabrikhallen wurde dem Areal in einer zweiten Bauphase durch drei massive Türme eine gewisse Monumentalität verliehen. Diese Vertikalität des Wasserturms und der beiden gegeneinander verdrehten "Sporttürme" stehen für die Beständigkeit des Ensembles, was durch die raue und rohe Materialität des Beton unter-stri-chen wird. Die beiden Sporttürme bedingen sich gegenseitig. Obwohl Sporthal-len und die dienenden Funktionen des Lagerns und Umziehens unumgänglich zusammengehören werden sie in zwei Türmen separiert und nicht in einem

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

4342

dargestellt. Mit dieser Trennung zeigt Lina Bo Bardi zum einen deutlich die Funktionen, zum anderen wird aber durch das Hin- und Herlaufen auf den sogenannten "Himmelsbrücken" die ungezwungene Bewegung in der Freizeit sichtbar.Der Dialog zwischen Alt und Neu wird mit diesen zwei Bauphasen ausfor-muliert. Die bestehenden Fabrikgebäude und die neuen Türme stellen aber keinerlei Kontrast dar, sondern zeigen vielmehr ein Zusammenspiel. Das Er-gänzen des Fabrikensembles mit vertikalen Türmen verkörpert eigentlich einen typischen Industriebau. , Mit diesen Türmen präsentiert sich auch das Logo des SESC. Dieses zeigt ei-gentlich eine Antithese: Blumen, die wie qualmender Rauch aus einem Schorn-stein emporsteigen. Doch genau dieses Symbol zeigt die Offenheit der Trans-formierung. Aus einer ehemaligen Fabrik wird eine Freizeitstätte für alle. Mit solchen Thematiken will Lina Bo Bardi Konflikte nicht abschwächen, sondern vielmehr unverblümt zeigen.

Lina Bo Bardis Anliegen war also primär die sozial motivierte Architektur. Eine Architektur zu generieren, die den Menschen bessere Lebensumstände bietet, war ihr wichtigster Ansatzpunkt. Die kommunikative und offene Atmosphäre gewährt einen langfristigen Erfolg für ihr Werkes SESC Pompeia. Lina Bo Bardi löst somit den oft nicht erfüllten Anspruch vieler Architekten ein. Dort wo Kunst produziert wird, wird diese parallel ausgestellt und diskutiert. Überra-schendes und Unvorhergesehenes beim täglichen Zusammenleben erzeugten und erzeugen diese Energie in Lina Bo Bardis Werk. Mit ihrer Begabung und Gespür für bodenständige, dem Menschen gewidmeten Architektur wird sie zweifellos in die Liste der namhaften Architekten aufgenommen und in einem Atemzug mit Namen wie Oscar Niemeyer genannt werden.

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

4544

Capela Santa Maria dos Anjos,Vargem Grande Paulista 1978Text: Simone Mehltretter

Nach vier Jahrhunderten unter der Herrschaft Portugals gelang es Brasilien 1889 ein demokratisches System zu gründen. Dieses wurde immer wieder durch soziale und politische Unruhen instabil. Getulio Vargas, welcher 1945 zum Präsidenten gewählt wurde, hat von 1930 bis zu seiner Wahl eine Diktatur geführt. Nach 1945 herrschte in Brasilien ein kontinuierliches Wirtschafts-wachstum. Aufgrund der Industrialisierung wanderten viele Menschen in die Großstädte, demzufolge gab es eine hohe Arbeitslosigkeit und Übervölkerung. Unter Vargas Regierung entstanden zahlreiche neue öffentliche Gebäude, und die Ära der Moderne zog in die brasilianische Baugeschichte ein.

1964 kam in Brasilien eine Militärdiktatur an die Macht. Der Hochpunkt dieser Diktatur unter Emílio Garrastazu Médici war in den 1970er und 1980er Jahren. Aufgrund der brutalen Durchsetzung der Innenpolitik, stellte sich ein wach-sender Teil der Christengemeinde auf die Seite der um Befreiung ringenden Bevölkerung. Jedoch blieb die Kirche zwiespältig auf beiden Seiten vertreten. Ein Teil stand eng in Verbindung mit dem jeweiligen Machthaber, der andere entwickelte starke Solidarität gegenüber der armen Bevölkerungsschicht. Dies führte zwangsläufig zu Kritik an den Besitz- und Herrschaftsverhältnissen im Lande. Die Bischofskonferenz, 1968 in Kolumbien prangerte die gewaltigen sozialen Ungerechtigkeiten in Lateinamerika an und verurteilte das momentane Gesellschaftssystem. Der sogenannte „Dritte Weg“ soll zur Befreiung der Gesell-schaft beitragen. Gewaltlos und reformistisch soll das Prinzip der „Option für die Armen“, eine lateinamerikanische Befreiungstheologie, umgesetzt werden. Leonardo Boff, ein brasilianisch katholischer Theologe, veröffentlichte 1971 seine Schrift, die als das Fundament der Theologie der Befreiung galt. Demnach wurde er als Hauptvertreter der Befreiungstheorie in Brasilien angesehen.Danach sind zwar immer noch rund 123 Millionen der mehr als 192 Millionen Brasilianer katholisch, doch ihr Bevölkerungsanteil ist seit 1970 von 92 Prozent auf 65 Prozent gesunken. Im selben Zeitraum stieg der Anteil der Protestanten von fünf auf 22 Prozent, der Nichtreligiösen von ein auf acht Prozent und der Anhänger andere Religionen von zwei auf fünf Prozent.Pietro Maria Bardi erhielt 1947 den Auftrag für das Kunstmuseum in Sao Paulo. Durch die finanzkräftigen Kontakte in Sao Paulo erhielt auch Lina Aufträge.

Nach einigen verwirklichten Projekten sollte sie, 1978 für Bruna Sarcelli, die Capela Santa Maria dos Anjos bauen.Der Bauort der Kapelle liegt in einem Wohnviertel der Stadt Ibiuna in Sao Paulo. Diese Region ist von einem subtropischen Klima geprägt. Die Temperaturen sind im Winter oft bei unter 5°C und Frost am Morgen. Im Sommer ist es sehr heiß und regnerisch bei Temperaturen bis zu 38°C. Die Kleinstadt liegt sehr ländlich und ist von Wäldern umgeben. Der Baumbestand ist auch an dem Bau-ort, welcher in leichter Hanglage liegt, vorhanden.Aufgrund der knappen Geldmittel und dem Wunsch eine “arm” wirkende Ka-pelle zu bauen, entschied sich Lina für einen klaren und reduzierten Entwurf. Linas Forschung über die vernakuläre Architektur steht bei dieser Kapelle im Einklang mit diesem Gedanken. Sie vertiefte den Bezug zu den lokal ansässigen traditionellen handwerklichen Arbeiten und bezog die heimischen Materialien mit ein.

Im Gegensatz zu traditionellen sakralen Bauten ist die Kapelle von Lina Bo Bardi nicht nach Osten, dem “tatsächlichen” Aufgangspunkt der Sonne ausgerichtet, sondern nach Norden.Die Kapelle spiegelt mit ihrer horizontalen Teilung die zwei Schöpfungsebenen in der katholischen Religion wider. Die Erde, die Welt der Menschen wird von dem Bauplatz gebildet. Der Hügel stellt das irdische Leben dar. Er kann aber auch mit Golgota, dem Hügel der außerhalb von Jerusalem gelegen ist assozi-iert werden. Den neutestamentlichen Evangelien zufolge wurde dort Jesus von Nazareth gekreuzigt. Die Kapelle selbst ist über einen Sockel zu erreichen, wel-cher diesen Gottesort von der irdischen Ebene abhebt. Dieser Sockel, welcher an den “Alpendre”, eine breite Veranda der barocken Bauform anknüpfen soll, ist überdacht. Die originale Strohbedeckung wurde aufgrund der Verwitterung durch ein Ziegeldach ersetzt. Diese Veranda ist, wie die Kapelle als Quader gehalten und erstreckt sich über eine Seitenlänge von fast 14,5 Metern. Das begrünte Dach liegt ca. 6,5 Meter über der Sockelebene und ist mit einem dem Himmel entgegen ragendem Kreuz versehen. Das Firmament ist der eigentliche Ort Gottes, der die endzeitliche Herrlichkeit darstellt. Zwischen diesen beiden Ebenen ist die von Lina gebaute Kapelle platziert.Die umlaufende Veranda ist sehr niedrig überdacht. Dieses bedrückende Ge-fühl der Enge und Unbehaglichkeit verschwindet sobald man über die einfache Holztür die Kapelle betritt. Die Raumhöhe von über 6 Metern lässt den Körper und den Geist aufatmen. Sie ist als etwa 10 Meter breiter und 7 Meter hoher Quader ausgebildet und vermittelt mit seinen vier Fensteröffnungen, welche

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

4746

nach Nord-Osten und Nord-Westen ausgerichtet sind, einen sehr kompakten Eindruck. Die Ecken Im Norden und Süden wurden abgeschrägt.Sofort fällt das mittig platzierte Kreuz auf. Um das Bildhaftigkeitsverbot im katholischen Glauben zu respektieren wird hier metaphorisch gearbeitet. Zwei der vier Fensteröffnungen sind zur Linken und zur Rechten an das Kreuz im Innenraum angeordnet. Der erste Eindruck lässt auf ein Triptychon schließen. Die direkt unter der Holzdecke sitzenden Fenster stellen den Vater, den Sohn und den heiligen Geist dar, welche im katholischen Glauben als der “eine” Gott verstanden wird.Das Sonnenlicht wird an der Decke reflektiert und breitet sich fließend an der Unterseite des Daches im Raum aus.

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

4948

Capela Santa Maria dos Anjos,Vargem Grande Paulista 1978Text: Dominik Schmidt

Betrachtet man die Beziehungen und Verkettungen verschiedener Architekten und Lina Bo Bardi bzw. ihres Mannes Pietro Maria Bo Bardi, so fällt das enge, freundschaftliche Verhältnis P. M. Bo Bardis mit Guiseppe Terragni auf, der zusammen mit Gio Ponti sicherlich einen wesentlichen Einfluss auf die zukünf-tigen Werke Linas hatte. Terragni war Mitbegründer und Mitglied der Gruppo 7 (Ubaldo Castagnoli, Luigi Figini, Guido Frette, Sebastiano Larco, Gino Pollini, Carlo Enrico Rava). Sie veröffentlichten ab 1926 in der halbjährlich erschei-nenden Zeitschrift „La rassegna italiana“ ihr vierteilges Manifest über den Rationalismus in Italien. Sie schwelgen über den neuen Geist in Europa, mit Corbusier, Mendelsohn,Behrens, Mies van der Rohe oder Gropius als Protago-nisten.

„Wir wollen keinen Traditionsbruch: Die Tradition selbst ändert sich, sie nimmt neue Züge an, unter denen sie kaum einer erkennt.“ (vgl.: „4 note“ Teil 1. Ar-chitettura der Gruppo 7 1926). Die Rationalisten lehnten die Tradition nicht ab, im Gegenteil beschäftigten sie sich mit ihr, und bewunderten antike Bauwerke. Auch bei der Capela Santa Maria Novella zeigt sich die Auseinandersetzung mit der brasilianischen Tradition, ebenso wie die Wurzeln Lina Bo Bardis selbst.

„Besonders bei uns existiert so ein klassisches Substrat, der Geist der Tradition (nicht der Formen das macht einen Unterschied). […] die neue Architektur kann gar nicht anders, als eine für uns typische Prägung zu erhalten.“ (vgl.: Teil 1. Architettura der Gruppo 7 1926).

Diesen „Geist der Tradition“ bekam auch Lina vermittelt. Die Lehren von Vitruv bis Vignola, geometrisches Zeichnen, Schattenlehre und vieles mehr wurden am Liceo Artistico di Roma vermittelt. Entgegen dem Willen ihrer Eltern schlug sie nach ihrem Abschluss am Liceo Artistico, 1934 die Architekten-Laufbahn ein und ging auf die facolta di architettura, unter der Leitung von Giovanni Gi-ovannoni und Marcello Piacentini. Giovannini, Stadtplaner, Historiker und Befür-worter der behutsamen Stadterweiterung (ambientisimo) lehrte Denkmalpflege und die Ideen von Camillo Sitte mit wissenschaftlicher Strenge. Obwohl Lina sich nicht der traditonalistischen Denk- und Bauweise Giovanninis anschloss,

war sie dennoch sehr erfolgreich in seinen Kursen und lernte von seinen Me-thoden mit den Umgang der Historie. Ihr zweiter Lehrmeister Piacentini positio-nierte sich zwischen Novecento und den Rationalisten und avancierte während ihrer Studienzeit zu “Mussolinis Architekten“.Wie also entwickelt man sich, wenn man zum einen eine sehr theoretische und traditionelle Architekturausbildung unter Giovannini und Piacentini erhält, andererseits jedoch bei einem „rationalisierten“ Gio Ponti in die Lehre geht und einen mit den Rationalisten liebäugelnden Ehemann hat?

1978 BrasilienVargem Grande Paulista, die seit der Fertigstellung von der Kapelle „Capela Santa Maria dos Anjos“ auf ca. 47000 Einwohner anwuchs, gehört zur Meso-region São Paulo. Es befindet sich im subtropischen Klima. Im Winter fällt die Temperatur morgens bis unter 5℃, im Sommer steigt sie bis auf heiße und feuchte 38℃. Den Waldrand der ländlichen Kleinstadt im Hintergrund, präsen-tiert sich die marinegeweihte Kapelle in ihrem erdtonroten Kleid in leichter Hanglage. Um den Hügel zu überwinden, entscheidet man sich entweder für die aus Betonplatten errichtete Rampe oder die in die Topographie eingeschnit-tene Betontreppe. Wählt man die Rampe, erreicht man den Eingang des roten Quaders von zehn Metern Seitenlänge und sieben Metern Höhe von Süden aus. Entscheidet man sich für die von geländerhohen Stützmauern flankierten Betonstufen, richtet sich der Blick zuerst westlich und wendet sich dann auf die perforierte zwei-flügelige Holztür. Diese sehr offen und leicht wirkende Eingangstür ist für eine katholische Kapelle, mit der man normalerweise schwe-re und undurchlässige Holztüren assoziiert, sehr ungewöhnlich. Sie wollte eine „arm“ wirkende Kapelle bauen, vielleicht war die Eingangstür nur einer materialsparenden Konstruktion und den Klimaverhältnissen geschuldet. Eine einladende Tür, die Neugierde weckt. Für die Bewohner, für Jung und Alt, Arm und Reich.Bevor man jedoch diese betritt, muss erst eine weitere Schwelle überwunden werden. Das umlaufende Vordach mit Ziegeldeckung (ehemals Stroh) wird von 15 entrindeten Baumstämmen gestützt. Diese scheinen mit den umliegenden Bäumen zu verschwimmen. Durch die niedrigere Höhe und Tiefe des Vordaches erhält man ein bedrückendes Gefühl, von dem man nach Betreten der weitaus höheren Kapelle wieder befreit wird.

Durch die diagonale Anordnung des Eingangs und des Innenraumes wird die-ses befreiende Gefühl noch verstärkt, da nun die zweite Diagonale als größte

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

5150

Raumausdehnung erfahrbar ist. Vorallem in barocken Kirchen wurde dieses Mittel der Kompression und Dilatation verwendet. Der Grundriss erinnert sehr stark an einen antiken Tempel. Die umlaufenden Baumstämme entsprechen der Säulenreihe eines Peripteros, die Kapelle der einer Cella (Hauptraum eines Tempels). Klassische Themen, wie die Verwendung eines einfachen Volumens, einer formalen Symmetrie und einer Axialität finden sich ebenfalls in der Kapelle wider. Die Entwurfsskizzen Linas zeigen auch Varianten mit anderen Grundformen und Volumina, angelehnt an andere Tempelformen und antike Vorbilder.

Der Innenraum der Kapelle wird von einfachen Materialien dominiert. Verputzte Wände, glatter Zementboden und eine orthogonal zur Eingangsachse verlau-fende Holzlattung als Decke wurden verwendet. Direkt gegenüber dem Eingang befindet sich der steinerne Altar, begleitet wird dieser von zwei rechteckigen Fenstern. Im Gegensatz zu vielen mittelalterlichen Kirchen orientierte Lina die Kapelle nicht nach Osten, sondern nordete den Altar. Ost oder West, Sonne beleuchtet somit den Altar und die Bestuhlung. Ein bepflanzter Erdaufwurf schmückt mit einem in der Mitte angeordneten Kreuz das aus Stahlbetonträ-gern konstruierte Dach. Fügt man dem Dachgarten in den Ansichten noch zwei weitere Kreuze hinzu, erinnert das Gesamtbild an Golgatha. Ob der Dachgarten nun diesem christlichen Motiv, als Teil der Moderne oder Linas Verbundenheit zur Natur entwuchs, bleibt interpretierbar. Ein Gotteshaus mit irdischer De-ckung erscheint jedoch rebellisch.

Linas Prägung durch ihre römische Ausbildung ist klar erkennbar. Die von Gio Ponti auch. Jedoch verknüpft sie auf ihre eigene Art Gelerntes mit Neuem, Tra-dition mit Moderne und fügt Mensch und Natur hinzu.Eine traditionelle katholische Kapelle? Nein, ein Ort für Menschen, egal welchen Glaubens.

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

5352

Ateliê Bo Bardi, São Paulo 1986Text: Jakob Bindhammer

„In einer Zeit der Idealisierung, in der Architektur nicht mehr ist, als eine kon-krete Bewältigung einer leeren und idealen Matrix ist, produziert Lina Bo Bardi eine Architektur, die vom bauen/machen lebt.“Das 1986 von Lina Bo Bardi mit einigen Handwerkern errichtete Atelier, das heute das Instituto Lina Bo Bardi beherbergt befindet sich im Garten ihres eigenen Zuhauses, der Casa de Vidro in Sao Paulo. Dabei stellt die Casa de Vidro und der Ort Sao Paulo den Anfang ihrer Karriere dar. Sao Paulo stellte nach Mexico-City und Tokio zur Entstehungszeit des Gebäudes den drittgröß-ten Ballungsraum der Erde dar. Bedingt durch den Kaffeeanbau und der damit einhergehenden Industrialisierungsmöglichkeit entwickelte sich ein enormer Anstieg der Bevölkerungszahl, wobei vor allem Zuwanderer aus dem trocken-heitsgeplagten Nordosten Brasiliens und den Küstenstädten, die nur wenig Arbeitsplatzmöglichkeiten vorweisen könnten, kamen.

In einer Zeit also, in der bereits über 8,5 Millionen Menschen in der Megastadt Sao Paulo lebten und die Hochhauskulisse schon unabdingbar war, „entwarf“ Bo Bardi nicht im herkömmlichen Sinn. Über den Grund für den Bau des Ateliers könnte man streiten. Aus simplen Platzgründen könnte die einfachste Antwort lauten. Gerade für eine Architektin wie Lina Bo Bardi, die die meiste Zeit ihrer Karriere ihre Vorstellung von Architektur am liebsten unmittelbar am Bauort mit den am Bau Beteiligten durchführte und nie an einem festen Arbeitsort verweilte, wäre dies ein naheliegender Gedanke. So legte sie zum Beispiel ihr Büro neun Jahre lang direkt auf das Gelände ihres vermeintlich repräsenta-tivsten Projektes, des SESC Pompeia, in einen simplen Baucontainer. Vielleicht war aber genau dies der Grund für die Errichtung des Ateliers. Eine Frau, die 1914 in Rom geboren wird, 1939 in Mailand ihre Karriere bei Gio Ponti, dem Gründer der Architektur- und Designzeitschrift DOMUS, beginnt und 1946 mit ihrem Mann nach Brasilien reist, um dort ihre wahre, selbstgewählte Heimat zu finden. Für Lina Bo Bardi, die Frau in der damaligen Architekturszene, beginnt die eigentliche Reise erst hier. Sie studierte die brasilianische Kultur sehr inten-siv, reiste dabei durch ganz Brasilien und ist stets bemüht, die landeseigene Kultur in ihren Projekten zu berücksichtigen und mit ihrer eigenen Architektur zu verbinden. Ein Leben auf Reisen könnte man sagen. Bo Bardi hat die großen Strömungen der Architektur des 20. Jahrhunderts selbst miterlebt, vom Ratio-

nalismus ihres Geburtsortes, des International Style, der Postmodern, usw. Und war ihrer Lebzeiten selbst stets unterwegs und forschte. Auf der Suche nach ihrer ganz eigenen, brasilianischen Architektur.Und vielleicht ist die einfache, auf den ersten Blick unscheinbare Hütte in der Natur genau deshalb nur umso nachvollziehbarer. So wurde diesem Spätwerk, dieser einfachen Hütte in der Natur, auch deshalb nicht die Aufmerksamkeit geschenkt wie anderen Projekten ihrer bedeutend einflussreichen Schaffens-zeit.

Umso mehr Erkenntnisse in das Werk Bo Bardis erhält man jedoch, wenn man das Gebäude sorgfältig hinsichtlich seiner Entstehung und der Situation der Architektur zu jener Zeit analysiert. So kann man die Architektur des Ateliers als Anti-„Monument“, (monument lat.: things that remain“) begreifen. Das Atelier spiegelt eben nicht diese Sehnsucht nach Zeitlosigkeit wieder, welche sich die Menschen oft erhoffen. Im Gegenteil: die Leichtigkeit, die temporäre Wirkung die man verspürt, wenn man Bilder des Ateliers betrachtet, ist die prä-zise Intention der Architektin. Eine Leichtigkeit, wie sie schon bei der Casa de Vidro, dem Baumhaus aus Glas inmitten der Natur zum Vorschein kommt und wahrscheinlich auch nur an Orten wie Sao Paulo, an denen ein fast tropisches Klima herrscht, möglich ist. Und diese Leichtigkeit oder Einfachheit scheint schon bei der Entstehung des Baus die Intention gewesen zu sein. Zum einen hinsichtlich des Bauprozesses. So fertigte Bo Bardi so gut wie keine Bauzeich-nungen für das Atelier an, nur das nötigste. Alles sollte vor Ort durch direkte Kommunikation und Interaktion mit den fähigen Handwerkern, der Architektin und den vorhandenen Mitteln unter Berücksichtigung des Bauortes entstehen. Ein einfacher Bauprozess also, der durch das Zusammenbringen der einzelnen Handwerksbereiche dem Gebäude seine Besonderheit verleiht. Ein wiederent-deckte Kooperation, für welche sich auch Joao Vilanova Artigas als Gründer der Escola Paulista aussprach.

Zum anderen verrät die aufgeständerte Konstruktion uns dabei mehr von der Auffassung Bo Bardis zur Architektur. Inmitten einiger Bäume in Ihrem Garten, berührt die aufgeständerte Hütte nur punktuell das Gelände, sodass sich die Natur darunter fortsetzen kann. Der menschliche Eingriff in die Natur ist durch dieses abheben vom natürlichen Gelände deutlich erkennbar. Es ist eben nicht das herauswachsen oder das künstliche einbetten des Menschen in die Natur, welches Bo Bardi anstrebt, sondern das sichtbar andersartige des Menschen.Die Konstruktion zeigt sich als klassische Holzskelettbauweise, wobei die Stüt-

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

5554

zen im Innenraum aus unbehandelten, einheimischen Holzstämmen gefertigt sind. Durch die filigranen, verschiebbaren Holzwände, welche den Stützen vorgelagert sind, öffnet sich der gesamte Innenraum auf den zwei Längsseiten unmittelbar in die üppig wuchernde Natur. Der in olivgrün gehaltene Anstrich der Außenwände soll das Verhältnis des Ateliers als Arbeitsort in der Natur zusätzlich stärken. Dabei wirken die Holzwände durch ihre geringe Dimensi-on wie Vorhänge, die es ermöglichen, den Arbeitsraum der Hütte in die Natur hinaus zu tragen und bei Bedarf wieder zu trennen.Die Geometrie der Hütte stellt ein großes, längsgestrecktes offenes Rechteck, mit Außenmaßen von 10,5 m x 5,4 m dar. Ein großer Raum, welcher lediglich durch die Holzstützen eine Aufteilung erhält. Ein weiteres Beispiel für die Pra-xis Bo Bardis; das Miteinander, die Kooperation in einer kleinen gemeinschaft-lichen Gruppe, in welcher ein reger Austausch herrscht waren für Sie stets wichtig, vielleicht auch wichtiger als viele Zeichnungen.

Die Radikalität und die Auffassung Lina Bo Bardis, Architektur als Erfüllung eines einfachen Bedürfnisses, des menschengerechten Bauens, des möglichst geringen Eingriffs in die Natur sowie die Möglichkeit das Gebäude – trotz der deutlichen Abgrenzung – bestmöglich mit der Natur kommunizieren zu lassen, kommen hier eindeutig zur Geltung.

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

5756

Ladeira da Misericórdia, Salvador, 1987 - 1988Text: Marian Prifling

Seit der Errichtung des Schnellaufzuges „Lacerda“ 1873 in Salvador, der den toporafischen Höhenunterschied von Oberstadt (cidade alta) und Unterstadt (cidade baixa) ausgleicht, verlor die historische Verbindungsstraße Ladeira da Misericórdia sukzessiv an Bedeutung - soziale Konflikte, Verelendung der Ge-gend waren das Ergebnis. Um dieser negativen Entwicklung entgegenzutreten entschied sich die Stadt Salvador ein Pilotprojekt zu formen. Sie wählte hierfür fünf Grundstücke am oberen Ende der Straße aus.Den vier unbewohnten, renovierungsbedürftigen Herrenhäuser aus der Kolo-nialzeit und einem noch unbebauten Grundstück sollte in Zukunft eine kom-merzielle und private Nutzung zugeführt werden. Lina Bo Bardi sah enormes Potential in den Gegebenheiten vor Ort - im Aufbau und Anordnung der Gebäu-degruppen, der umgebenen Vegetation, die sich allmählich Teile der Substanz zurückeroberte und einem Mangobaum, der später das Zentrum ihres Entwurfs bildete. Ihren Gegenvorschlag, die bestehenden Gebäude mit Werkstätten, klei-nen Läden, günstigen bedarfsgerechten Wohnungen zu füllen und im südlichen Bereich des Grundstücks einen Ort der Belebung mit Restaurant und Open-Air-Bar zu generieren, war ihre Ausgangssituation, um den dort ansässigen Menschen einen neuen Ort der Identifikation und keine weitere folkloristisches Attrappe für Touristen zu entwickeln. Salvadors Gutachterkommission der Stadtverwaltung stimmte dieser Idee zu.Knappe finanzielle Mittel erforderten eine universelle und kostengünstige Methode die instabilen Gebäudestrukturen zu ertüchtigen und durch Erweite-rungen den neuen Nutzungen anzupassen. Zusammen mit dem brasilianischen Architekten João Filgueiras Lima entwickelte Bo Bardi ein ökonomisches Bau-system auf Stahlbetonbasis, das eine Transformation ihrer urbanen Vision in ein präfabrizierbares modulares System ermöglichte.

Ergebnis war eine Synthese von Neu und Alt, von Natur und Urbanität in einem interessanten Wechselspiel. Lina Bo Bardis Intention, einen Impuls für das Pel-ourinho-Viertel zu setzen, der Stadt Salvador aufzeigen, welche Möglichkeiten mit kleinen, sinnvoll überlegten Eingriffen in die jeweilige Substanz erreicht werden können, sollte Modellcharakter für weitere Bereiche innerhalb des Vier-tels haben. Dieser aber wurde von der Stadtverwaltung nicht fortgeführt. Auch sie konnte mit ihrem Projekt kein Umdenken in den Menschen hervorrufen

- die Umgebung blieb stets ein sozialer Brennpunkt. Zu viele negative Einflüs-se machten es unmöglich die Gastronomie und den Einzelhandel aufrecht zu erhalten. Es war zum Scheitern verurteilt.

War es der falsche Zeitpunkt, hätte die Stadt Salvador nicht nur ein Projekt die-ser Art in die Wege leiten sollen, lag es an der Akzeptanz der Einwohner oder eben an den sozialen Umständen? Sicherlich lassen sich noch weitere dieser Fragen formulieren, letztendlich kann dies keiner wirklich beantworten - es spielt immer alles zusammen. Heutzutage ist die Fundação Gregório de Matos im Besitz des Grundstücks. Wertschätzung von Lina Bo Bardis Arbeit - Fehlan-zeige! Die Gebäude sind laut Jane Hall, Bloggerin für British Council, mittlerwei-le in einem sehr schlechten Zustand, sie beschreibt es mit den Worten „pos-sibly Jumanji going on inside“.

Lässt sich dieser Ort nochmal aus der Versenkung holen? Ich denke ja, wenn diejenige Person den Sinn hinter Lina Bo Bardis Arbeit versteht, ihre Absichten nachvollziehen und daraus neues Potenzial schöpfen kann. Oft reicht auch nur eine kleine Pop-Up Aktion aus, um die Menschen, bzw. Einwohner aufmerksam zu machen und jenen zu zeigen, was es für Potentiale gibt. Die vorhandenen Räumlichkeiten liefern eine sehr gute Ausgangssituation für Kunst und Kultur. Dinge, die die Menschen verbinden.

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

58

Casa de VidroZeichnungen im Sommersemester 2013:Franziska Metzger, Andrea Ledesma Ponce

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

60

GSEducationalVersion

0 2 5 10 20 m

1 The Glass House2 Bo Bardi Studio3 Parter's accomodation4 Pond5 Garden paths6 Garage

2

1

3

4

4

6

5

Lina Bo Bardi _ Casa de Vidro _ Lageplan M1/500

1 Casa de Vidro2 Atelier Lina Bo Bardi3 Pforte4 Teich5 Gartenwege6 Garage

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

62

2

1 Entrace2 Library3 Lounge4 Rose Patio5 Fireplace6 Dining room7 Bedroom8 Dressing room9 Kitchen10 Maid's room11 Service room12 Laundry room13 Porch14 Patio

3

5 6

4

1

9

7 13

8

7

7

12

11

10

10

14

0 5 10

Lina Bo Bardi _ Casa de Vidro _ Grundriss Obergeschoss 1/100

1 Eingang2 Bibliothek3 Lounge4 Rosenpatio5 Kamin6 Essbereich7 Schlafen8 Ankleide9 Küche10 Angestellte11 Hausarbeit12 Wäsche13 Vorbereich14 Hof

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

64

0 5 10

Lina Bo Bardi _ Casa de Vidro _ Schnitt 1/100

15 Store room16 Technical room17 Garage

15

15

16

17

0 5 10

Lina Bo Bardi _ Casa de Vidro _ Grundriss Erdgeschoss M1/100

15 Lager16 Technik17 Parken

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

66

2

1 Entrace2 Library3 Lounge4 Rose Patio5 Fireplace6 Dining room7 Bedroom8 Dressing room9 Kitchen10 Maid's room11 Service room12 Laundry room13 Porch14 Patio

3

5 6

4

1

9

7 13

8

7

7

12

11

10

10

14

0 5 10

Lina Bo Bardi _ Casa de Vidro _ Grundriss Obergeschoss 1/100

1 Eingang2 Bibliothek3 Lounge4 Rosenpatio5 Kamin6 Essbereich7 Schlafen8 Ankleide9 Küche10 Angestellte11 Hausarbeit12 Wäsche13 Vorbereich14 Hof

0 5 10

Lina Bo Bardi _ Casa de Vidro _ Schnitt 1/100

2

1 Entrace2 Library3 Lounge4 Rose Patio5 Fireplace6 Dining room7 Bedroom8 Dressing room9 Kitchen10 Maid's room11 Service room12 Laundry room13 Porch14 Patio

3

5 6

4

1

9

7 13

8

7

7

12

11

10

10

14

0 5 10

Lina Bo Bardi _ Casa de Vidro _ Grundriss Obergeschoss 1/100

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

68

Museu de Arte Sao PãuloZeichnungen im Wintersemester 2013:Sarah Nussbaumer, Dominik Plass

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

70

GSEducationalVersion

Lageplan

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

72

GSEducationalVersion

Querschnitt

GSEducationalVersion

Längsschnitt

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

74

GSEducationalVersion

Längsschnitt

GSEducationalVersion

Längsschnitt

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

76GSEducationalVersion

2. Untergeschoss

2. Untergeschoss

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

78GSEducationalVersion

1. Untergeschoss

1. Untergeschoss

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

80GSEducationalVersion

Erdgeschoss

Erdgeschoss

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

82GSEducationalVersion

1. Obergeschoss

1. Obergeschoss

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

84GSEducationalVersion

2. Obergeschoss

2. Obergeschoss

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien, SoSe 2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

86

Lektüre

Wahlpflichtfach Moderne in Brasilien SoSe2015Lina Bo Bardi: Texte zu ausgewählten Werken

8988

Architektur Zentrum Wien: Katalog zur AusstellungLina Bo Bardi Retrospektive. Konkrete Poesie. Architektur ohne GrenzenAzW, 2. Juni - 06. Juli 1995, Ausstellungskurator: Marcello Ferraz, Instituto Lina Bo e. P.M. Bardi, São PauloRedaktion: Birgit Seissl, Andrea Nussbaum

Lina Bo Bardi 100. Brasiliens alternativer Weg in die ModerneHrsg. Andres Lepik, Vera Simone BaderHatje Cantz, Ostfildern 2014

Brazil Builds. Architecture new and old 1652-1942Philip L. GoodwinThe Museum of Modern Art, New York 1943

Lina Bo Bardi. Obra construídaOlivia de OliveiraEditorial Gustavo Gili, São Paulo 2014

Architektur beginnt im Kopf. The Making of ArchitectureElke Krasny, Architekturzentrum WienBirkhäuser, Basel 2008

Wahlpflichtfach ArchitekturtheorieModerne in Brasilien

Fakultät Architektur, Prof. Andreas EmmingerRegensburg, Sommersemester 2015