mobilität in den kulturen der antiken mittelmeerwelt · mobilità tra grecia e sporadi...

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Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.) Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 11, 2011 Alte Geschichte Franz Steiner Verlag Geographica Historica – 31

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  • Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.)

    Mobilität in den Kulturen der antiken MittelmeerweltStuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 11, 2011

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    VSWGwww.steiner-verlag.de

    Franz Steiner Verlag

    Das 11. Internationale Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums in Stuttgart galt der Mobilität in den Kul-turen der antiken Mittelmeerwelt. Die Beiträge der Kolloquiumsakten gehen zum einen den Bedingungen und den Nachwirkungen von Mobilität nach, zum andern fragen sie nach Zusammenhän-gen zwischen Mobilität und Herrschaft, zum dritten thematisieren sie, wie sich Mobilität in literarischen Quellen spiegelt. Der erste Themenkreis beleuchtet unter anderem die Motive für Mobilität und die Wechelwirkung zwischen Mobilität und kulturellem Wandel. Beim zweiten The-

    menkreis geht es beispielsweise um (ver-meintliche) Einschränkung von Mobilität als Herrschaftsinstrument. Beiträge des dritten Themenkreises befassen sich etwa mit Mobilität als literarischem Topos oder mit dem Einfluss der Erweiterung des geo-graphischen Horizonts der griechischen Welt auf Mythengestaltung und Mythen-interpretation. Insgesamt wird sowohl die Mobilität bestimmter Einzelpersonen (Aelius Aristides, Cicero, Dion von Prusa) thematisiert, als auch die Mobilität un-terschiedlicher Personengruppen (z. B. Gelehrte, Künstler, Händler, Pilger, Sena-toren, Frauen, Völker, Armeen).

    Alte Geschichte

    Franz Steiner Verlag

    Geographica Historica – 31

    ISBN 978-3-515-10883-6

  • Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.)Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt

  • geographica historicaBegründet von Ernst Kirsten,

    herausgegeben von Eckart Olshausen und Vera Sauer

    Band 31

  • Franz Steiner Verlag

    Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.)

    Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt

    Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 11, 2011

  • Satz: Vera Sauer

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen

    Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    abrufbar.

    Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

    Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes

    ist unzulässig und strafbar.

    © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014

    Druck: Laupp & Göbel, Nehren

    Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier.

    Printed in Germany.

    ISBN 978-3-515-10883-6 (Print)

    ISBN 978-3-515-10891-1 (E-Book)

    Gedruckt mit Unterstützung der Ernst-Kirsten-Gesellschaft. Internationale

    Gesellschaft für Historische Geographie der Alten Welt und des

    Vereins der Freunde des Historischen Instituts der Universität Stuttgart

  • Inhalt

    Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

    Mariachiara AngelucciReiseliteratur im Altertum: die periegesis in hellenistischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

    Tønnes Bekker-NielsenDie Wanderjahre des Dion von Prusa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

    Serena BianchettiMobilità di sapienti e di saperi nell’Alessandria dei primi Tolemei . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

    John BintliffMobility and Proto-Capitalism in the Hellenistic and Early RomanMediterranean . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

    Iris von BredowWandernde Handwerker zwischen Ost und West in der früharchaischen Zeit? . . . . . . 55

    Veronica BucciantiniVerschiebungen eines Mythos im Mittelmeerraum. Aiaia, die Insel der Kirke . . . . . . . 71

    Floriana CantarelliMobilità tra Grecia e Sporadi nordorientali. Lemno, Halonnesos e una nuovainterpretazione di riferimenti alla contemporaneità nel Filottete di Sofocle . . . . . . . . . 81

    Michele R. CataudellaTracce di itinerari greci nel Mediterraneo orientale dal Tardo Bronzoall’Arcaismo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

    Frank DaubnerMakedonien I bis IV. Verhinderte Mobilität oder Forscherkonstrukt? . . . . . . . . . . . . . 113

    Jan DreßlerÜberlegungen zu den Reiseberichten bei Diogenes Laertios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

    Kerstin Droß-KrüpeRegionale Mobilität im privaten Warenaustausch im römischen Ägypten.Versuch einer Deutung im Rahmen der Prinzipal-Agenten-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . 137

    Peter EmbergerTruppen- und Gerätetransporte zur See in der römischen Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

    Johannes EngelsReisen und Mobilität späthellenistisch-augusteischer Universalhistoriker . . . . . . . . . . 159

  • 6 Inhalt

    Josef FischerDas Artemision von Ephesos. Ein antikes Pilgerziel im Spiegel derliterarischen und epigraphischen Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

    Christian FronDer Reiz des Nil. Die Reise des Aelius Aristides nach Ägypten undihr Einfluss auf seine Reden und Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

    Klaus GeusMobilität am und auf dem Roten Meer im Altertum: naturräumlicheBedingungen, lokale Netzwerke und merkwürdige Inseln. Interpretationenzum Periplus Maris Erythraei und zu Ptolemaios’ Geographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

    Anna Ginestí RosellΤηλοῦ πατρίδος. Die Sprache der Grabinschriften von Ausländern in Athen . . . . . . . . 241

    Herbert GraßlArbeitsmigration in den römischen Grenzprovinzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

    Linda-Marie GüntherÜberlegungen zur sozialen Mobilität von Metöken in hellenistischen Poleis . . . . . . . . 267

    Andreas HartmannTekmeria. Die Wanderungen der Heroen als Problem der antikenHistoriographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

    Matthäus HeilSenatoren auf Dienstreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

    Andreas KlingenbergDie ›Iranische Diaspora‹. Kontext, Charakter und Auswirkungpersischer Einwanderung nach Kleinasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

    Peter KritzingerVom Niederrhein ins Vercellese. Neue Überlegungen zur letztenEtappe der Kimbern und Teutonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

    Ivan A. LadyninAn Egyptian Priestly Corporation at Iran. A Possible Case of ›Forced Mobility‹ on the Eve of the Macedonian Conquest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

    Ergün LaflI, Eva ChristofDie Basaltgrabstele des Zabedibolos für Gennaios und Zebeis in Edessa/Şanlıurfa . . . 355

    Margit LinderZum Wirkungsraum antiker Künstler. Grenzenlose Mobilität odernationale Verhaftung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367

    Giuseppe MariottaAn example of mobility in mythology. Heracles’ journey on theoccasion of the Tenth Labour . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

  • 7Inhalt

    Eckart OlshausenDer bewegte Alltag des M. Tullius Cicero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389

    Angela PabstMobilität und Stabilität in der griechischen Welt der römischen Kaiserzeit . . . . . . . . . 401

    Michael RathmannOrientierungshilfen für antike Reisende in Bild und Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411

    Hélène Roelens-FlouneauDie Überquerung von Wasserläufen durch das Militär im Spiegel derantiken literarischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425

    Jonas ScherrMobilität und Kulturtransfer in den Tres Galliae um die Zeitenwende . . . . . . . . . . . . . 455

    Klaus TausendZur Mobilität von Berufsgruppen im mykenischen Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . 469

    Sabine TausendDie Verlockung der Fremde? Mobilitätsmotivation im archaischenGriechenland zwischen Abenteuerlust und Notwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479

    Maria TheotikouZur Bedeutung des ekecheiria-Personenschutzes für die Pilger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489

    Isabella TsigaridaAuf den Spuren der Salzhändler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

    Heinz WarneckeRaumbewältigung und Geschwindigkeiten in der Odyssee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

    Nicola ZwingmannReisen von Frauen im literarischen Diskurs der Antike unter besondererBerücksichtigung der loca-sancta-Pilgerin der christlichen Spätantike . . . . . . . . . . . . . 531

    Register

    Menschen, Heroen, Götter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553Geographica und Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563

  • Vorwort

    Das 11. Internationale Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums fand vom23. bis 26. Juni 2011 an der Universität Stuttgart statt. Es wurde dankenswerter Weise vonder Deutschen Forschungsgemeinschaft, von der Vereinigung von Freunden der Universi-tät Stuttgart und vom Verein der Freunde des Historischen Instituts der Universität Stutt-gart unterstützt. Ganz im Sinn von Ernst Kirsten, dem Initiator dieser Kolloquien, diente esdem interdisziplinären Diskurs. Es fand sowohl in der Fachwelt, insbesondere bei Althisto-rikern, Archäologen, Klassischen Philologen und Mediävisten, als auch in der interessiertenÖffentlichkeit großen Zuspruch. Das Kolloquium stand unter dem Dachthema »Mobilitätin den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt«. Damit schloss es an die Kolloquien von 1999»Zu Wasser und zu Land. Verkehrswege in der antiken Welt« (GH 17) und 2002 »›Troianersind wir gewesen‹. Migrationen in der antiken Welt« (GH 21) an.

    Dem bewährten Grundsatz der Stuttgarter Kolloquien zur Historischen Geographie fol-gend, den Kolleginnen und Kollegen unter dem ›Dach‹ des gegebenen Themas große Frei-heit bei der Wahl der Fragestellung ihrer Beiträge zu lassen und sie weder in theoretischer,noch in methodischer oder thematischer Hinsicht in eine bestimmte Richtung lenken zuwollen, hatte auch dieses Kolloquium nicht den Anspruch, eine völlig ›runde Sache‹ mit›griffigem‹ Ergebnis zu sein. Ziel war es vielmehr, ein Forum dafür zu bieten, zwar demDachthema zuordenbare, im einzelnen aber ganz individuelle Forschungen vorstellen zukönnen. Im Sinn der so verstandenen Offenheit des Kolloquiums und der Eigenständigkeitder Beiträge sehen wir es nicht als unsere Aufgabe an, die Ergebnisse der Kolleginnen undKollegen in einem Vor- oder Nachwort zu dem vorliegenden Band auszuschreiben unddaraus ein Fazit des Kolloquiums insgesamt abzuleiten. Es sei aber auf Schwerpunkte desForschungsinteresses hingewiesen, die im Rahmen des Kolloquiums erkennbar wurden.

    Viele Beiträge widmen sich der Frage, wie sich Mobilität in literarischen Quellen spie-gelt. So untersuchen T. Bekker-Nielsen, J. Dreßler und J. Engels Schilderungen vonMobilität im Spannungsfeld ›Realität – Topos‹, N. Zwingmann den literarischen Diskursüber Reisen von Frauen, P. Emberger und H. Roelens-Flouneau, wie antike AutorenAspekte des Mobilitätsmanagements als Kriterium der Beurteilung von Feldherren undHerrschern nutzten, V. Bucciantini und G. Mariotta den Einfluss der Erweiterungdes geographischen Horizonts auf Mythengestaltung und -interpretation, A. Hartmann,wie Mobilität als Erklärung für vermeintliche Relikte von Heroen und für die Multilokalitätbestimmter Kulte und M. Angelucci, wie Bewegung im Raum als historisch-literarischesOrdnungsprinzip genutzt wurde. Chr. Fron geht dem Einfluss von Reisen auf das Werkdes Aelius Aristides nach, H. Warnecke der in der Odyssee geschilderten Mobilität.

    Besondere Aufmerksamkeit galt den Bedingungen und den Nachwirkungen von Mobili-tät. So wird die Frage nach den Motiven, die zu Mobilität führten, nahezu in jedem Beitraggestellt, besonders aber von S. Tausend und J. Fischer. So befasst sich K. Geus mit na-turräumlichen Bedingungen für Mobilität, M. Rathmann mit der Orientierung im Raum.

  • 10 Vorwort

    Dem Zusammenhang von Mobilität und kulturellem Wandel, Technik- und Kulturtransfergehen J. Scherr und I. von Bredow nach. A. Ginestí Rosell nimmt den Zusammen-hang von Sprache und Identität von Migranten und deren Nachkommen in den Blick, L.-M. Günther die soziale Mobilität von Metöken, A. Klingenberg die ›iranische Diaspo-ra‹ in Kleinasien. A. Pabst schließlich widmet sich mit dem Phänomen des ›griechischbleiben‹ einer Form von Stabilität und damit gleichsam einem Gegenpol von Mobilität.

    Als weiterer Schwerpunkt des Forschungsinteresses erwiesen sich die Themenfelder›Mobilität und Herrschaft‹ bzw. ›Mobilität und Politik‹. Mobilität von Amtsträgern alsGrundprinzip römischer Herrschaft thematisiert M. Heil, die vermeintliche Einschrän-kung von Mobilität als Instrument römischer Herrschaft in Makedonien F. Daubner, De-portation als Instrument achaimenidischer Herrschaft in Ägypten I. A. Ladynin. Die Be-deutung von Lemnos für die Vorherrschaft Athens beleuchtet F. Cantarelli, M. Catau-della die Herrschaft von Griechen im östlichen Mittelmeerraum von mykenischer bis inarchaische Zeit. S. Bianchetti geht der Kulturpolitik der Ptolemäer nach, E. Lafli undE. Christof der Ausstrahlung römischen Einflusses auf Edessa. M. Linder arbeitet her-aus, dass in vielen Fällen politische Konflikte im klassischen Griechenland nicht zur Ein-schränkung der Mobilität von über die Polisgrenzen hinweg arbeitenden Künstlern führ-ten.

    Dabei fand die Mobilität bestimmter Einzelpersonen – Aelius Aristides (Chr. Fron),Cicero (E. Olshausen), Dion von Prusa (T. Bekker-Nielsen) – v.a. aber folgender Per-sonengruppen großes Interesse: Gelehrte (vgl. die Beiträge von T. Bekker-Nielsen, S.Bianchetti, J. Dreßler, J. Engels, Chr. Fron), ›Agenten‹ im Rahmen der Verwal-tung privaten Landbesitzes bzw. des privaten Warenaustausches (J. Bintliff bzw. K.Droß-Krüpe), diverse Berufsgruppen (K. Tausend), speziell Künstler (M. Linder)und Händler (H. Graßl, K. Geus, I. Tsigarida), pagane wie christliche Pilger (M.Theotikou bzw. N. Zwingmann), Senatoren – sei es als Amtsträger (M. Heil), sei esim Rahmen der peregrinatio (E. Olshausen), Frauen (N. Zwingmann), Völker (P.Kritzinger) und Armeen (P. Emberger, P. Kritzinger, H. Roelens-Flouneau).

    Da sich die meisten Beiträge gleich mehreren dieser Rubriken zuorden lassen, schien unsderen gleichsam neutrale alphabetische Anordnung geraten.

    Aus verschiedenen Gründen konnten folgende Beiträge nicht abgedruckt werden: Pe-ter Kehne, Vertrieben, verschleppt, versklavt – zur Zwangsmobilität militärisch unterle-gener Stadtbevölkerungen in Hellas und zu alternativen Behandlungsformen; Mark Mer-siowsky, Das Fortdauern der Antike – Mobilität im Ostgotenreich; Christian Mileta,Indigene Binnenwanderungen bei Städtegründungen im hellenistischen Kleinasien und Sy-rien; Karl Strobel, Intellektuelle Mobilität: Soldaten, Offiziere, Söldner, foederati – dasrömische Heer als Ebene von Mobilität in den und in die Kulturen des Mittelmeerraumes;Christian Winkle, Die Mobilität von Pilgern in Latium Vetus – Ursachen für die ›über-regionale‹ Bedeutung von Heiligtümern in republikanischer Zeit.

    Den Mitveranstaltern des Kolloquiums, den Herren Professoren Dr. Peter Scholz (Stutt-gart) und Dr. Klaus Geus (Berlin), den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im HistorischenInstitut der Universität Stuttgart und besonders Herrn Dr. Frank Stini danken wir herzlichfür ihre Hilfe bei der Vorbereitung und Durchführung des Kolloquiums.

    Vera Sauer, Eckart Olshausen

  • Mariachiara Angelucci

    Reiseliteratur im Altertum:die periegesis in hellenistischer Zeit

    1. Die Entwicklung der antiquarischen Forschung in hellenistischer Zeitund der Ursprung der periegetischen Schriften:

    das literarische Schaffen von Polemon, Diodoros und AnaxandridesAus Sicht der heutigen Forschung stellt sich der Hellenismus als eine Zeitspanne dar, dievon einer dynamischen Konzeption des Wissens und einem intensiven kulturellen Aus-tausch zwischen Orient und Okzident geprägt war, deren wechselseitige Annäherung undDurchdringung eine von der griechischen Sprache getragene Kultur entstehen ließ.

    Waren in klassischer Zeit die griechischen poleis, allen voran Athen, von einer inten-siven Befassung mit Politik gekennzeichnet, deren Grundlage der lebendige und partizipa-torische Zusammenhalt der Gemeinschaft war und die sich in Literaturgenres widerspie-gelt, welche das ganze Volk einbezogen, z.B. Rede und Tragödie, verlieren die Städte in hel-lenistischer Zeit an Einfluss und politischer Bedeutung und der rhetorische Impetus räumtgelehrsamer Reflexion das Feld. Athen wird gleichsam zur Pilgerstätte, die man aufsucht,um einer uralten Tradition zu huldigen und die Weihen der Wissenschaft zu empfangen:voll Eleganz und Raffinement, um immer neue Monumente reicher, lebt Athen von seinerGeschichte und wird zum Inbegriff griechischer Kultur und Zivilisation.

    Die Intellektuellen sind nicht länger die Männer, die sie in der Vergangenheit gewesenwaren, die auch mit gerichtlichem und politischem Handeln befasst waren, die im Heerkämpften und an den Volksversammlungen teilnahmen. Nun betätigen sie sich zum größ-ten Teil nur mehr als Schriftsteller in den kulturell immer noch führenden Städten oder imDienste mächtiger Mäzene.

    In alexandrinischer Zeit entwickelt sich die Philologie aus dem dringenden Bedürfnis,Ordnung in das gewaltige Erbe der klassischen Literatur zu bringen. Ausgehend von Ho-mer, über die Lyriker, die Tragödien- und Komödiendichter bis zu den Prosaautoren, wer-den deren Werke in ›Bücher‹ gegliedert, herausgegeben und kommentiert. Es ist gewisser-maßen eine Atempause, in der man die Notwendigkeit spürt, all das zu katalogisieren, wasdie Vergangenheit hinterlassen hat, um es der Nachwelt möglichst vollständig weiterzuge-ben. Nun wird eingehend untersucht, gesammelt, geordnet – und selbst das Schaffen folgtstets einem vorwiegend gelehrten Ansatz. Analog dazu scheint es den Intellektuellen dasGebot der Stunde, ein Inventar der Denkmäler, Traditionen, Kulte und historischen odermythisch-historischen Ereignisse zu erstellen, an denen die griechischen Städte so über-reich waren. Stadt für Stadt, Ort für Ort sammeln und ordnen sie eine große Anzahl von In-

  • Mariachiara Angelucci12

    formationen und folgen dabei einem bald realen, bald ideellen Plan, der sie zu sämtlichenMonumenten und Überresten als greifbare Zeichen einer ruhmreichen Vergangenheit lei-tet.

    Die hellenistische periegesis ist nicht Geographie, sie ist vielmehr Lokalgeschichte undantiquarisches Interesse, mag auch der Leitfaden immer ein topographischer sein. Der Er-zählfluss verläuft nicht zielstrebig und rasch, weil man versucht, das zu Berichtende so aus-zuwählen, dass ein homogener Überblick möglich wird, sondern geht da und dort maßlosin die Breite – mit der Technik des nichts weglassenden Excursus jagt man einem Vollstän-digkeitsideal nach.

    Indem sich der antiquarische Perieget zum Sprachrohr von Traditionen macht, die miteiner Landschaft oder oft winzigen Teilen einer solchen verbunden sind, auf die er seineminutiöse und fast schon zwanghafte, bis ins kleinste Detail gehende antiquarische Auf-merksamkeit richtet, qualifiziert er sich eben als Lokalgeschichtsexperte. So erweist es sichoft als schwierig zu entscheiden, ob von antiquarischer periegesis, von Lokalgeschichte oderschlicht von Antiquarischem zu sprechen ist.1

    Der Ursprung der periegetischen Schriften liegt in der Neugier, welche die ionischen Lo-gographen ausgezeichnet und auch Herodots Schaffen durchdrungen hatte. Eben in helle-nistischer Zeit wird dem Werk des Hekataios der Name Περιήγεσις gegeben, um dem Be-dürfnis, das gesamte literarische Erbe zu katalogisieren und mit Gattungsnamen zu verse-hen, Genüge zu tun. Aber das Schaffen der ionischen Logographen lag nun, obzwar leben-dig erinnert, zeitlich weit zurück und so war es vor allem die Gelehrsamkeit des Peripatos,in dem die Aktivität der Periegeten ein fruchtbares Betätigungsfeld fand.2

    Unter den in hellenistische Zeit fallenden Autoren haben einige eine äußerst geringeZahl von Bruchstücken hinterlassen, von anderen ist mehr erhalten geblieben. Obwohl dieZahl der erhaltenen Fragmente nicht gerade groß ist, geben sie aber eine Vorstellung vonder periegetisch-antiquarischen Literatur dieser Epoche.

    Ich werde mein Augenmerk besonders auf drei zu dieser Bewegung gehörende Autorenrichten – Polemon aus Ilion, Diodoros und Anaxandrides aus Delphi. Diese haben bedeu-tende Werke geschaffen und ihre Aufmerksamkeit gilt vor allem zwei Städten: Athen undDelphi.

    Wie man aus der Anzahl der Namen ersehen kann, die die Tradition überliefert hat, gibtes viele andere Autoren, die dieser Bewegung sowohl in hellenistischer Zeit als auch in derfolgenden Epoche zuzurechen sind.3 Leider sind uns nur die Titel ihrer Werke und wenigeFragmente erhalten und ihre zeitliche Bestimmung kann außerdem nicht immer mit Si-cherheit erfolgen. Die von mir ausgewählten Autoren sind also nur gleichsam Stellvertreterund bilden nur einen kleinen, wenn auch bedeutenden, Querschnitt der periegetischen Li-teratur der hellenistischen Zeit.

    1 Was die antiquarische Forschung generell betrifft: A. Momigliano, L’origine della ricerca anti-quaria, in: ders., Le radici classiche della storiografia moderna, Firenze 1992 (Sather Classical Lec-tures), 59–83. Siehe auch E. Gabba, True History and False History in Classical Antiquity, in: JRS71, 1981, 50–62.

    2 Vgl. A. Dihle, Eraclide e la periegesi ellenistica, in: F. Prontera (Hg.), Geografia storica dellaGrecia antica, Roma/Bari 1991, 67–77, hier: 68.

    3 H. Bischoff, s.v. Perieget, in: RE 19.1, 1937, 726–742.

  • Reiseliteratur im Altertum 13

    Der bedeutendste dieser drei ist ohne Zweifel Polemon aus Ilion, sowohl aufgrund derAnzahl der Fragmente als auch wegen der Vielfalt und Fülle seiner Schriften. Seine Lebens-zeit kann zwischen dem Ende des 3. und der Mitte des 2. Jh. v.Chr. angesiedelt werden, diesauf der Grundlage von Angaben, die aus literarischen Quellen, seinen eigenen Fragmentenund vor allem einer Inschrift aus dem Jahr 177/6 v.Chr. stammen, worin ihm die del-phische Proxenie verliehen wird. Dies stellt einen gesicherten zeitlichen Referenzpunkt zurBestimmung der Blütezeit seines literarischen Schaffens dar: Die Verdienste, die er sich mitseinen Schriften über die Stadt, die bekannteste Orakelstätte der griechischen Welt, erwor-ben hatte, und sein Ruhm als Schriftsteller mussten groß genug gewesen sein, um eine sol-che Ehrung zu rechtfertigen.4 Im Anschluss an seine zahlreichen Reisen verfasste er, nebenvielen anderen, seine periegetischen Schriften, Episteln und polemische Schriften, von de-nen rund hundert Bruchstücke erhalten sind.5 Erwähnenswert sind vor allem die erstge-nannten Schriften als die für den Autor repräsentativste Gruppe, der er den Namen ›Perie-get‹ verdankt. Das periegetische Werk Polemons wird teilweise zu unrecht als περιήγησιςκοσμικὴ ἤτοι γεωγραφία bezeichnet.6 Der Ausdruck περιήγησις κοσμική, der nie in denSchriften Polemons zitiert wird, bezieht sich nicht auf ein einziges Werk, sondern auf ver-schiedene einzeln herausgegebene Schriften. Was den Ausdruck ἤτοι γεωγραφία betrifft,darf man auf keinen Fall an eine geographische Beschreibung im eigentlichen Sinn desWortes denken: ἤτοι γεωγραφία ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine von der Suida hin-zugefügte Glosse, die nicht zwischen der geographischen und antiquarischen περιήγησιςunterscheidet.7 Auch wenn Polemon Städte, Flüsse oder Berge erwähnt, ist die Absicht im-mer antiquarisch und nichts gibt uns Grund zu glauben, dass er eigentlich geographischeForschungen betreibt.

    Polemon beschäftigt sich nicht mit der ganzen oikumene, sondern mit Griechenlandoder mit den Gebieten griechischer Kultur und zeigt eine besondere Vorliebe für Athen.

    Unter den periegetischen Schriften lassen sich, auf der Basis der Titel, die in den Frag-menten erhalten sind und auf Grundlage der Suida, welche nur einige Titel wiedergibt, vierGruppen identifizieren: (1) Griechenland, mit Attika, Argolis, Sikyon, Lakonien, Elis, Ar-kadien, Böotien, Fokis und Epirus; (2) das Gebiet um Ilion; (3) die Städte von Pontos, Kari-en und die Inseln; (2) die Städte in Italien und auf Sizilien. Von den 38 seinen periege-tischen Schriften zugeordneten Fragmenten beziehen sich 11 auf Attika, eine Region, diedie Aufmersamkeit des Periegeten besonders anzieht.

    In Bezug auf Attika, insbesondere auf Athen sind es die Schriften περὶ τῶν δήμων undπερὶ μνημάτων von Diodoros,8 einem Autor der zweiten Hälfte des 3. Jh. v.Chr., von dem

    4 M. Angelucci, Polemone di Ilio: fra ricostruzione biografica e interessi antiquari, in: Studi Clas-sici e Orientali 49, 2003, 165–184.

    5 L. Preller, Polemonis Periegetae Fragmenta, Leipzig 1838, ND Amsterdam 21964; FHG III, 108–148. Über Polemon: G. Pasquali, Polemone di Ilio, in: Enciclopedia italiana 27, 1935, 617; K.Deichgräber, Polemon, in: RE 21.2, 1952, 1288–1320.

    6 Suida s.v. Πολέμων … ἔγραψε περιήγησιν Ἰλίου ἐν βιβλίοις γʹ, κτίσεις τῶν ἐν Φωκίδι πόλεων καὶπερὶ τῆς πρὸς Ἀθηναίους συγγενείας αὐτῶν, περὶ τῶν ἐν Πόντῳ πόλεων, περὶ τῶν ἐν Λακεδαίμονιπόλεων, καὶ ἄλλα πλεῖστα, ἐν οἷς καὶ κοσμικὴν περιήγησιν ἤτοι γεωγραφίαν.

    7 G. Pasquali, Periegesi, in: Enciclopedia italiana 26, 1935, 751; F. De Angelis, Pausania e i perie-geti. La guidistica antica sulla Grecia, in: E. Vaiani (Hg.), Dell’antiquaria e dei suoi metodi, Pisa1998, 1–14, hier: 2–4.

    8 Diodoros: FGrH 372; FHG II, 353–359.

  • Mariachiara Angelucci14

    uns vierzig Fragmente erhalten geblieben sind, wovon dreiunddreißig aus dem zuerst ge-nannten Werk stammen. Die Fragmente der Schrift περὶ μνημάτων sind zwar weniger zahl-reich, aber länger und aus inhaltlicher Sicht interessanter. Ich werde mich in diesem Beitragvor allem auf diese beziehen.

    Das Problem, das sich beim Studium des Polemon und des Diodoros stellt – wie im Üb-rigen bei allen Schriftstellern, die sich den antiquarischen Periegeten zuordnen –, ist dieUnmöglichkeit, sich ihre Werke in vollständiger Form vorzunehmen. Die Aufmerksamkeitfür Athen beweist noch einmal die kulturelle Zentralität der Stadt und das Interesse, das ihrdie Periegeten aus dieser Epoche entgegenbrachten.

    Die erhaltenen Bruchstücke lassen auf jeden Fall erahnen, dass das Interesse des Autorsfür bestimmte Regionen oder Städte nicht zufällig, sondern von der speziellen politischenund kulturellen Situation der jeweiligen Epoche bestimmt ist. Man sieht während der helle-nistischen Zeit eine rege kulturelle Aktivität. Diese wird begünstigt von den Zentren Alex-andria, Pergamon und Rhodos und führt zur Entwicklung der Wissenschaften. Man beob-achtet auch Umwälzungen auf internationaler Ebene, welche die Auflösung der früherenpolitischen Realitäten und das Auftauchen neuer Mächte herbeiführen. Dadurch wird eineallgemeine Verunsicherung erzeugt, auf welche die Intellektuellen damit reagieren, dass siegroßen Wert auf die Verbindung mit der Vergangenheit legen, die gesichert ist durch my-thische Überlieferungen, den Kult und die Baudenkmäler. Diese ist somit die Garantie ei-ner kulturellen Überlegenheit, auf welche die griechische Welt damals noch den Erban-spruch erhob. Man versteht deshalb die besondere Aufmerksamkeit für Athen, das Zen-trum der Intellektuellen, den Ort, an dem die unterschiedlichsten Strömungen zusammen-fließen, der an Gemälden, Skulpturen und Baudenkmäler überreich ist.

    Unter diesem Gesichtspunkt werden die großen Heiligtümer gleichsam zu einer obliga-torischen Etappe sowohl der Periegeten als auch der Pilger: Delphi, heilige Stätte seit ältes-ter Zeit, war ein erstrangiges religiöses und politisches Zentrum. Delphis Weihegaben undSchätzen widmet Polemon eine ganze Schrift mit dem Titel περὶ τῶν ἐν Δελφοῖς θησαυρῶν.Analog dazu ist Anaxandrides von Delphi,9 Adressat einer Schrift des Polemon und folg-lich sein Zeitgenosse oder etwas älter als er, Verfasser eines wohl περὶ τῶν συληθέντων ἐνΔελφοῖς ἀναθημάτων betitelten Textes,10 der aus mehreren Büchern bestand, von denenuns nur acht Fragmente erhalten sind. Die Beschreibung der Thesauroi der Tempel warvon Anekdoten begleitet, die an die Ereignisse erinnern sollten, welche zur Weihe der Op-fergaben geführt hatten. Die Heiligtümer waren überreich an Inschriften, die für antiqua-rische Studien sehr bedeutsam wurden. Die unermesslichen Reichtümer des Heiligtumswurden von den Phokern unter Philomelos 356 v.Chr., von den Galatern 279 v.Chr. undletzten Endes 66–67 n.Chr. von Nero geplündert, der 500 Bronzestatuen nach Rom brach-te, wie Pausanias berichtet.11 Die Beschreibung des Anaxandrides, der nach den Raubzügender Phoker und Galater, aber vor Nero lebte, muss sehr kenntnisreich und gewiss ausführ-licher als jene des Pausanias gewesen sein, der die großen Verluste beklagt, die das Heilig-tum erlitten hat. Leider gibt uns die ziemlich geringe Zahl erhalten gebliebener Fragmentenur eine Ahnung von den tatsächlichen Dimensionen dieses Werkes. Man kann vermuten,

    9 Anaxandrides: FGrH 404; FGH III, 106f. 10 Der Titel der Schrift des Anaxadrides ist tatsächlich umstritten: Jacoby, FGrH 404 Komm. S. 218.11 Paus. 10,7,1; 10,19,1; 10,19,5f.

  • Reiseliteratur im Altertum 15

    dass die Schrift des Anaxandrides von den Führern verwendet wurde, welche die Weihega-ben und die vorhandenen Bauten des Heiligtums erläuterten.

    Gewiss war es nicht nur das Heiligtum von Delphi, welches das Interesse der Periegetenweckte. Wieder ist es Polemon, der am eingehendsten über Dodona und Olympia schreibtund in Bezug auf das bekannte Heiligtum in Elis interessante Informationen hinterlässt, diePausanias Werke ergänzen, welcher der einzige Perieget ist, dessen Werk uns vollständigüberliefert ist.

    2. Gelehrte Forschung, Bestandsaufnahme und Gebrauch des Excursus:drei Schlüsselelemente der hellenistischen periegesis

    Bedauerlicherweise erschwert die Bruchstückhaftigkeit der uns zugänglichen Texte das Zie-hen von Parallelen. Es ist auch schwierig festzustellen, ob die drei Autoren wechselseitigKenntnis voneinander hatten. Es ist jedoch möglich, einige Themenbereiche zu identifizie-ren, aus denen sich offenkundige gemeinsame Interessen und eine analoge Herangehens-weise an das antiquarische Metier ableiten lassen, so dass diese drei Schriftsteller als Vertre-ter der besonderen Richtung der hellenistischen periegesis angesehen werden können, auchim Bewusstsein der Problematik, hier von einem Literaturgenre zu sprechen,12 und trotz al-ler Komplexität und Heterogenität der Autoren, die sich dieser Richtung zuordnen lassen.

    Das Augenmerk Polemons ist auf die griechische Antike gerichtet, auf die Monumente,die Mythen, die Traditionen all jener Städte, welche sich in Griechenland, wie auch in Sizi-lien, in Großgriechenland und in Kleinasien in der Vergangenheit durch ihre besonderepolitische, religiöse und kulturelle Rolle hervorgetan hatten. Die in seinen Schriften behan-delten Argumente sind vielfältig: es sind Aufzeichnungen mit mythologischem Charakterüberliefert, Anekdoten und Informationen über Maler, Hetären und Olympiasieger; derPerieget hatte zudem ein besonderes Interesse für die Herkunft der Orts-, Völker- undWettkampfnamen sowie für das Variieren bestimmter Namen von einer Region zur ande-ren; des weiteren bemerkenswert ist die Vorliebe Polemons für Kulte, Feste und deren my-thologische Hintergründe.13 Verbreitet ist das Motiv des πρῶτος εὑρετής. Ihn zieht allesan, was besonders, charakteristisch und ungewöhnlich ist.

    Dasselbe Interesse an der antiquarischen Forschung findet sich bei Diodoros und Ana-xandrides. Der Umfang der von ihnen behandelten Themen mag zwar, auch aufgrund der

    12 S. L. E. Rossi, I generi letterari e le loro leggi scritte e non scritte nelle letterature classiche, in: BICS18, 1971, 69–94. Zu den Problemen der Klassifizierung der Autoren anhand der antiken geogra-fischen Terminologie: H. Berger, Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen,Leipzig 1890, 74–77; C. van Paassen, The Classical Tradition of Geography, Groningen 1957, 1–32; D. Marcotte (Hg.), Géographes grecs. Pseudo Scymnos: Circuit de la terre, Paris 2000, LV–LXXIII; P. Cappelletto (Hg.), I frammenti di Mnasea. Introduzione, testo e commento, Milano2003, 29–31.

    13 Berücksichtigt man nicht nur die periegetischen Schriften, sondern auch seine anderen Werke, diesich im Übrigen, was ihre Inhalte betrifft, nicht so sehr von jenen unterscheiden, wirkt die Vielfaltder behandelten Themen, mögen sie auch stets antiquarischen Charakter haben, noch beeindru-ckender: Der Schriftsteller erstellt Aufzeichnungen über Botanik und Zoologie, er beschäftigt sichmit Epitheta und Homonymie und er liebt den Gebrauch und die Deutung von Sprichwörtern; ergeht der Bedeutung wenig gängiger Termini der griechischen Sprache nach, was fast schon an einelexikographische Arbeit denken lässt.

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    geringeren Anzahl der uns erhaltenen Fragmente, die einen nur partiellen Überblick zulas-sen, geringer sein, folgt aber der von Polemon vorgegebenen Richtung. Insbesondere zeigtsich bei den drei Autoren das gleiche Interesse für die Herkunft von Namen, für Götter-und Heroenkulte und den damit verbundenen Monumenten und Ereignissen.

    Sowohl Polemon als auch Anaxandrides halten besondere Tages- und Monatsnamen festund erklären deren Herkunft. Harpokrations Angaben zufolge versichert der Perieget vonIlion,14 dass der letzte Tag des Monats, in Athen ἕνη καὶ νέα genannt, von den Athenern zuEhren des Demetrios Poliorketes ›Demetriades‹ genannt und dem zehnten Monat des at-tischen Jahres, dem Mounichion (April), der Beiname ›Demetrion‹ gegeben wurde.15Wenn Harpokration die Erklärung des Ausdrucks ἕνη καὶ νέα dem Hypereides zuschreibt,kann man durchaus annehmen, dass auch der Perieget sich damit beschäftigt und die zurZeit des Poliorketes gebräuchliche Bezeichnung angegeben und erläutert hat: die Athenerbetrachteten den letzten Tag des Mondmonats als eine Übergangsperiode zwischen dem al-ten und dem neuen Mond, weil er, wenn diese Phase mit den astronomischen Mondphasenzusammenfiel, nicht sichtbar war. Daher der Name ›alter und neuer Tag‹, mit dem manohne Unterschied den neunundzwanzigsten oder den dreißigsten Tag des Monats bezeich-nete, je nachdem ob dieser neunundzwanzig oder dreißig Tage dauerte.16

    In einem Abschnitt der Αἴτια Ἑλληνικά, einer Schrift antiquarischen Charakters,17 be-schäftigt sich Plutarch mit Berufung auf Anaxandrides mit der Frage, warum der in AthenAnthesterion genannte Monat (Februar/März) in Delphi Βύσιος heißt, und berichtet, dassdie Pythia in alter Zeit nur einmal im Jahr das Orakel ausgab, und zwar am siebenten Tagdieses Monats.18 Anaxandrides kann, zusammen mit Kallisthenes, der mit ihm erwähnt

    14 Polemon F 7 Preller : Harpocr. ε 54 s.v. ἕνη καὶ νέα· Ὑπερείδης ἐν τῷ Πρὸς Ὑγιαίνοντα (fr. 168Jensen) τὴν ὑφ’ ἡμῶν τριακάδα καλουμένην ἕνην καί νέαν καλοῦσιν Ἀθηναῖοι ἀπὸ τοῦ τὴν τελευ-τὴν ἔχειν τοῦ προτέρου μηνὸς καὶ τὴν ἀρχὴν τοῦ ὑστέρου. Πολέμων δέ φησιν ὅτι ἐκάλεσάν ποτεαὐτὴν Ἀυηναὶοι Δημητράδα ἐπὶ τιμῆ Δημητρίου τοῦ Μακεδόνος.

    15 Philochoros, FGrH 328 F 166; Plut. Demetrios 12,2. L. S. Amantini u.a. (Hg.), Plutarco, Vita diDemetrio, Milano 1995, 336f. Es handelt sich um Ehrungen, die aller Wahrscheinlichkeit nach aufdas Jahr 294 v.Chr. zurückgehen und von kurzer Dauer waren – wie auch andere Ehren, welche dieAthener dem Poliorketes zuteil werden ließen. Zu den Ehrungen des Poliorketes: Plut. Demetrios10–13; Diod. 20,46,1–3. Vgl. W. Dittenberger, s.v. Demetrion (3), RE 4, 1900, 2767; O. An-drei, R. Scuderi (Hg.), Plutarco, Vite parallele: Demetrio, Antonio, Milano 21994, 150 Anm. 86;B. Virgilio, Lancia, diadema e porpora. Il re e la regalità ellenistica, Pisa 22003, 66, 88–91.

    16 Aristoph. Nub. 1134. Vgl. G. Guidorizzi, D. Dal Corno (Hg.), Aristofane, Nuvole, Milano1996, 320. Für eine reichhaltige Bibliographie zum attischen Kalender vgl. J. A. Walsh, The Omit-ted Date in the Athenian Hollow Month, in: ZPE 41, 1981, 107–124, hier: 107 Anm. 1.

    17 I. Gallo, I generi letterari in Plutarco, in: I. Gallo, C. Moreschini (Hg.), Berichte des VIII.Kongresses der International Plutarch Society – italienische Abteilung (Pisa, 2–4 giugno 1999), Na-poli 2000, 9–17, hier: 17; ders., Forma letteraria nei Moralia di Plutarco: aspetti e problemi, in:ANRW II 34.4, Berlin/New York, 3511–3540, hier: 3527.

    18 Anaxandrides, FGrH 404 F 3: Plut. qu.Gr. 9,292 Τίς ὁ παρὰ Δελφοῖς ὁσιωτὴρ καὶ διὰ τί Βύσιον ἕνατῶν μηνῶν καλοῦσιν; … Ὁ δὲ Βύσιος μήν, ὡς μὲν οἱ πολλοὶ νομίζουσι, φύσιός ἐστιν· ἔαρος γὰρ ἄρ-χει καὶ τὰ πολλὰ φύεται τηνικαῦτα καὶ διαβλαστάνει· τὸ δ’ ἀληθὲς οὐκ ἔχει οὕτως· οὐ γὰρ ἀντὶ τοῦφ τῷ β χρῶνται Δελφοὶ, καθάπερ Μακεδόνες, βίλιππον καὶ Βαλακρόν καὶ Βερονίκην λέγοντες,ἀλλ’ ἀντὶ τοῦ π καὶ γὰρ τὸ πατεῖν βατεῖν, καὶ τὸ πικρὸν βικρὸν ἐπιεικῶς καλοῦσιν. Ἔστιν οὖν Πύ-σιος ὁ Βύσιος, ἐν ᾧ πυστιῶνται καὶ πυνθάνονται τοῦ θεοῦ. Τοῦτο γὰρ ἔννομον καὶ πάτριον. Ἐν τῷμηνὶ γὰρ τούτῳ χρηστήριον ἐγίγνετο, καὶ ἑβδόμην ταύτην νομίζουσι τοῦ θεοῦ γενέθλιον, καὶ πο-λύφθοον ὀνομάζουσιν, οὐ διὰ τὸ πέττεσθαι φθοῖς, ἀλλὰ πολυπευθῆ καὶ πολυμάντευτον οὖσαν.

  • Reiseliteratur im Altertum 17

    wird, zu Recht zu Plutarchs Quellen gezählt werden, wenn es um die Erklärung des Termi-nus Βύσιος geht, der richtig Πύσιος zu lesen wäre, da man im Delphischen den Buchstabenπ wie β aussprach, zum Unterschied vom mazedonischen Dialekt, in dem φ wie β gelesenwurde. Die etymologische Herkunft des Terminus fände sich demnach im Stamm des Ver-bums πυνθάνομαι und nicht von φύειν, wie man aufgrund der Parallelität zwischen demMonat Anthesterion, in dem man das Blütenfest feierte,19 und dem delphischen Monat,den man als den Zeitraum verstand, in dem Blumen und Pflanzen keimen, allgemein an-nahm. Das etymologische Augenmerk auf Namen wie auch auf die unterschiedlichen Be-zeichnungen von einer Region zur anderen ist nicht allein für Anaxandrides charakteris-tisch, sondern für alle Periegeten hellenistischer Zeit.

    Plutarch fährt in seiner Erörterung mit der Behauptung fort, dass so, wie Βύσιος der Mo-nat der Orakelverkündung ist, der siebente Tag dieses Monats πολύφθοος nicht deshalb sogenannt wird, weil man die heiligen Opferkuchen zu Ehren des Apollon bäckt, sondernweil er der Tag ist, an dem man dem Gott Fragen stellt und die Antworten empfängt:20 οὐδιὰ τὸ πέττεσθαι φθοῖς, ἀλλὰ πολυπευθῆ καὶ πολυμάντευτον οὗσαν. Die Passage vonπολύφθοος bis πολυπευθῆς ist tatsächlich eher schwer aufrechtzuerhalten. Hier beruft sichPlutarch explizit auf Anaxandrides, der ja bezeugte, dass die Pythia in alter Zeit nur einmalim Jahr, an eben diesem Tag, ihr Orakel verkündete.21 Anaxandrides, der in antiquarischenAngelegenheiten als glaubwürdige Autorität gelten musste, wird am Ende der plutarch-schen Ausführung zur Unterstützung einer schwer aufrechtzuerhaltenden These ausdrück-lich als Referenz genannt.

    Auch bei Diodoros lässt sich, trotz der geringen Bruchstücke die uns erhalten gebliebensind, eine Stelle finden, in der er sich mit der Herkunft eines Terminus befasst.22 Unter Be-rufung auf Hellanikos23 erklärt er den Ursprung des Ortsnamens Mounichia, Halbinselund Hafen von Athen: Die von den Thrakern geschlagenen Einwohner von Orchomenos inBöotien sind zur Zeit des Königs Mounichos nach Athen gewandert; der König gestatteteihnen, den Ort zu bewohnen, der später ihm zu Ehren benannt wurde.

    Die Aitiologie stellt das Hauptmotiv vieler Stellen bei den antiquarischen Periegeten dar.Auch in den Fragmenten, die Informationen über Kulte und Feste liefern, fehlen niemalsNachforschungen was die Ursachen für Ehren betrifft, die bestimmten Göttern und Heroenerwiesen wurden.

    18 Ὀψὲ γὰρ ἀνείθησαν αἱ κατὰ μῆνα μαντεῖαι τοῖς δεομένοις πρότερον δὲ ἅπαξ ἐθεμίστευεν ἡ Πυθίατοῦ ἐνιαυτοῦ κατὰ ταύτην τὴν ἡμέραν, ὡς Καλλισθένης καὶ Ἀναξανδρίδης ἱστορήκασι.

    19 A. Carrano (Hg.), Plutarco, Questioni greche, Napoli 2007, 108.20 Apollon wurde insbesondere am siebenten Tag des Monats verehrt: Hes. erg. 770f.; Hdt. 6,57,2;

    Aischyl. Sept. 800–803; Kall. h. 4,249–254; Plut., Quaestiones convivales 8,1,2 717D.21 Der Übergang von einmal jährlichen zu monatlichen Orakelbefragungen ist nicht gut belegt. Siehe

    dazu H. W. Parke, The Days for Consulting the Delphic Oracle, in: CQ 37, 1943, 19–22.22 Diodoros FGrH 372 F 39: Schol. Demosth. 18,107b ἐκλήθη δὲ Μουνύχια, ὥς φησιν ὁ Διόδωρος πα-

    ραφέρων τὰ Ἑλλανίκου λέγοντος ὅτι Θραῖκές ποτε στρατεύσαντες κατὰ τῶν οἰκούντων τὸν Μινύ-ειον Ὀρχομενὸν τὸν τῆς Βοιωτίας ἐξέβαλον αὐτοὺς ἐκεῖθεν· οἱ δὲ ἐξαναστάντες ἦλθον εἰς Ἀθήναςἐπὶ Μουνύχου βασιλέως· ὁ δὲ ἐπέτρεψεν αὐτοῖς οἰκῆσαι τὸν τόπον τοῦτον, τὴν Μουνυχίαν, ὅστιςοὕτως ὠνομάσθη, παρ’ αὐτῶν πρὸς τιμὴν τοῦ βασιλέως.

    23 Hellanikos, FGrH 4 F 42.

  • Mariachiara Angelucci18

    Diodoros24 berichtet, dass man Theseus25 in Athen nicht nur am Achten des MonatsPyanepsion ehrt, dem Tag, an dem er mit den jungen Leuten von Kreta heimkehrte, son-dern auch am Achten jedes Monats, sei es weil er am achten Tag des Monats Hekatombaionerstmals von Troizen ankam, sei es weil man diese Zahl mehr als jede andere mit ihm ver-band, seitdem man ihn den Sohn des Poseidon nannte, der ebenso am Achten jedes Monatsgeehrt wurde.26 Nicht zu vergessen, dass Diodoros der Verfasser nicht nur von Περὶ μνημά-των, sondern auch der Schrift Περὶ τῶν δήμων war und sich daher mit lokalen Kulten undTraditionen gut auskannte.

    In ähnlicher Weise liefert Polemon die Erklärung eines Kults und erhellt den del-phischen Brauch, nach dem derjenige, der bei den Theoxenien der Leto die größte γηθυλ-λίς27 brachte,28 am rituellen Mahl teilnehmen durfte: die Göttin hatte nämlich, als sie vonApollon schwanger war, Appetit auf γηθυλλίς gehabt.29 Es handelte sich also um eine kuri-

    24 Diodoros FGrH 372 F 38: Plut. Theseus 36,4f. καὶ κεῖται μὲν (sc. ὁ Θησεύς) ἐν μέσῃ τᾐ πόλει παρὰτὸ νῦν γυμνάσιον, ἔστι δὲ φύξιμον οἰκέταις καὶ πᾶσι τοῖς ταπεινοτέροις καὶ δεδιόσι κρείττονας, ὡςκαὶ τοῦ Θησέως προστατικοῦ τινος καὶ βοηθητικοῦ γενομένου καὶ προσδεχομένου φιλανθρώπωςτὰς τῶν ταπεινοτέρων δεήσεις. θυσίαν δὲ ποιοῦσιν αὐτῷ τὴν μέγιστην ὀγδόη Πυανεψιῶνος, ἐν ᾗμετὰ τῶν ἠιθέων ἐκ Κρήτης ἐπανῆλθεν. οὐ μὴν ἀλλὰ καὶ ταῖς ἄλλαις ὀγδόαις τιμῶσιν αὐτόν, ἢ διὰτὸ πρῶτον ἐκ Τροιζῆνος ἀφικέσθαι τῇ ὀγδόῃ τοῦ Ἑκατομβαιῶνος, ὡς ἱστόρηκε Διόδωρος ὁ περιη-γητής, ἢ νομίζοντες ἑτέρου μᾶλλον ἑκείνῳ προσήκειν τὸν ἀριθμὸν τοῦτον ἐκ Ποσειδῶνος γεγονέ-ναι λεγομένῳ.

    25 Über die Theseia: A. Mommsen, Feste der Stadt Athen im Altertum, Leipzig 1898, 288–290; L.Deubner, Attische Feste, Hildesheim/New York 21969, 224; J. D. Mikalson, The Sacred andCivil Calendar of the Athenian Year, Princeton 1975, 70–79; H. W. Parke, Festivals of the Athen-ians, London 1977, 81f.

    26 Plutarch notiert für Poseidon das Epitheton Γαιήοχος, das zu verstehen ist als ›der die Erde hält‹.Der vor Erdbeben schützende Gott wurde am Achten jedes Monats verehrt, weil die Acht als Zahlder Stabilität und der Solidität galt. Das Epitheton kann jedoch auch in ganz gegensätzlichem Sinneverstanden werden, als ›der die Erde erschüttert‹, worauf andere Beinamen des Gottes, Ἐνοσίχθωνund Ἐννοσίγαιος, hindeuten. Vgl. W. Burkert, Griechische Religion der archaischen und klas-sischen Epoche, Stuttgart/Berlin 1977, 203 und Anm. 21 mit Bibliographie. Über den Zusammen-hang zwischen Poseidon und dem achten Tag: R. Flacelière, Sur quelques Passages des Vies dePlutarque I Thésée – Romulus, in: REG 61, 1948, 67–103, hier: 84f.

    27 Der Terminus γηθυλλίς, Verkleinerungsform von γήθυον/γήτειον (lat. pallacana, vgl. Plin. nat.19,105.), bezeichnet die Zwiebel (Allium cepa; so A. Carnoy, gethyllis, in: Dictionnaire étymologi-que des noms grecs de plantes, Louvain 1959, 130) oder den Schnittlauch (Allium schoenoprasum;so S. Amigues (ed.), Théophraste. Recherches sur les plantes, I, Paris 1988, 86).

    28 F. Pfister, Theoxenia, RE 5A2, 1934, 2256–2258; M. P. Nilsson, Geschichte der griechischenReligion, I, München 31967, 160–162; A. D. Nock, The Cult of Heroes, in: id. (Hg.), Essays on Re-ligion and the Ancient World, Oxford 1972, 582–602, bes. 585–587; D. Flückiger-Guggen-heim, Göttliche Gäste. Die Einkehr von Göttern und Heroen in der griechischen Mythologie,Frankfurt 1984, 25–27, 164f.; M. H. Jameson, Theoxenia, in: R. Hägg (Hg.), Ancient Greek CultPractice from the Epigaphical Evidence. Proceedings of the Second International Seminar on An-cient Greek Cult (22–24 November 1991), Stockholm 1994, 35–57; D. Gill, Greek Cult Tables,Oxford 1991, 11–15; B. Kowalzig, Xenia, in: DNP 12.2, 2003, 610–612; L. Canfora (Hg.), IDeipnosofisti: i dotti a banchetto, Roma/Salerno 2001, II, 932 Anm. 3 und 7.

    29 Polemon F 36 Preller : Athen. 9,372a–b Πολέμων δ’ ὁ περιηγητὴς ἐν τῷ περὶ Σαμοθρᾴκης καὶκιττῆσαί φησι τῆς γηθυλλίδος τὴν Λητώ, γράφων οὕτως· ›διατέτακται παρὰ Δελφοὶς τῇ θυσίᾳ τῶνΘεοξενίων, ὃς ἂν κομίσῃ γηθυλλίδα μεγίστην τῇ Λητοῖ, λαμβάνειν μοῖραν ἀπὸ τῆς τραπέζης. ἑώρα-κα δὲ καὶ αὐτὸς οὐκ ἐλλάτω γηθυλλίδα γογγυλίδος καὶ τῆς στρογγύλης ῥαφανῖδος. ἱστοροῦσι δὲτὴν Λητὼ κύουσαν τὸν Ἀπόλλωνα κιττῆσαι γηθυλλίδος· διὸ δὴ τῆς τιμῆς τετυχηκέναι ταύτης.‹

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    ose und eigenartige – vom Periegeten präzise festgehaltene – Gepflogenheit; die in Delphigefeierten Theoxenien unterschieden sich darin von jenen, welche in anderen poleis Grie-chenlands stattfanden. In der bedeutenden Orakelstätte waren sie Apollon und Leto ge-weiht und fanden im Monat Theoxenios statt, der dem attischen Monat Elaphebolion(März/April) entsprach.

    Die Bürger der poleis kamen anlässlich der Feste zusammen, die ihren Kalender mar-kierten und wichtige Zusammenkünfte darstellten. Es ist daher nicht schwer nachzuvollzie-hen, warum die Periegeten sich für diese Feiern interessierten, die städteübergreifend seinkonnten oder auch ganz eigene und exklusive Ausprägungen hatten.

    So verwundert es nicht, wie aufmerksam Polemon die herakleischen Feste von Thebenbeobachtet hat – er widmet ihnen eine ganze Schrift. Feste zu Ehren des Herakles fandenauch in Attika, Sikyon, Syros, Kos, Agyrion auf Sizilien und in vielen Städten Kleinasiensstatt,30 aber jene von Theben, wo der Heros besonders verehrt wurde, waren die bekanntes-ten im griechischen Kulturkreis. Polemon betont, dass der dem Sieger überreichte Preis je-nem bei den uralten Lykaia31 gleich war, die Pausanias zufolge32 sogar den Panathenäenvorausgingen,33 und von einem anderen bedeutenden zivilisatorischen Heros, Lykaon,dem Sohn des Pelasgos, eingeführt worden waren.

    Zum Fackellauf in Athen merkt er an, dass dieser bei drei Festen stattfand: bei den Pan-athenäen, den Hephaistia und den Festen des Prometheus.34 Tatsächlich gab es ihn auch beianderen Gelegenheiten, aber Polemon nennt die drei wichtigsten Anlässe. Das Fragment istzu kurz, um erahnen zu können, wie der Perieget seine Schilderung fortgesetzt hat. Mandarf vermuten, daß er mit der Beschreibung des Wettkampfs und der Erinnerung seinesUrsprungs fortfuhr. Er kann zu Ehren des Prometheus entstanden sein, der dem Menschendas Feuer gebracht hatte, oder auch weil es nötig war, das Feuer so rasch wie nur möglichvon einem Altar zum nächsten zu tragen.35 In diesem Zusammenhang sei an das Schicksal

    30 L. Couve, Herakleia, in: EAA 3, 1905, 78; P. Stengel, s.v. Herakleia, in: RE 8.1, 1912, 439f.;Deubner (wie Anm. 25), 226. Über den Herakleskult generell: L. R. Farnell, Greek Hero Cultsand Ideas of Immortality, Oxford 1921, 134–137; F. Graf, A. Ley, Herakles, in: DNP 5, 1998, 387–394 mit Bibliographie. Unter den zahlreichen Autoren, die die Feste Herakleia zitieren, sind Plut.,De fraterno amore 492c; Aristoph. Ach. 867; Diod. 4,39; Paus. 9,11,4; 9,322; Schol. Pind. P. 9,156b;I. 1,79b; 4,117; N. 4,32.

    31 Polemon F 26 Preller : Schol. vet. Pind. O. 7,153d. Πολέμων ἐν τῷ περὶ τῶν Θήβῃσιν Ἡρακλείωνφησὶ χαλκὸν τὸ ἆθλον εἶναι τοῖς ἐν Ἀρκαδίᾳ Λυκαίοις, ὥστε ἀπὸ κοινοῦ τὰ ἔργα καὶ τὸ χαλκὸνληπτέον, ὅταν φησὶν ὁ Πίνδαρος· ὅ τ’ ἐν Ἄργει χαλκὸς ἔγνω νιν τά τε ἐν Ἀρκαδίᾳ ἔργα καὶ Θέβαις.δίδοται γὰρ ἐν ταύταις τρίπους χαλκοῦς …

    32 Paus. 8,2,1.33 Hinsichtlich der chronologischen Reihenfolge der Einführung der verschiedenen Feste ist Aristote-

    les (fr. 637 Rose) anderer Ansicht und setzt die Eleusinischen Spiele und die Panathenäen auf denersten bzw. den zweiten Rang und die Lykaia auf den vierten, gefolgt von den Olympischen Spielen,die auf Rang sieben stehen. Wahrscheinlich rührt die Überzeugung vom höheren Alter der Eleusi-nischen Spiele und der Panathenäen daher, dass diese beiden Feste göttlichen Ursprungs sind, dasie von Demeter bzw. Athena eingeführt wurden; dem steht der heroische Charakter der Lykaia ge-genüber.

    34 Polemon F 6 Preller : Harpocr. s.v. λαμπάς· … τρεῖς ἄγουσιν Ἀθηναῖοι ἑορτὰς λαμπάδος, Παν-αθηναίοις καὶ Ἡφαιστίοις καὶ Προμηθείοις, ὡς Πολέμων φησὶν ἐν τῷ περὶ τῶν ἐν τοῖς προπυλαίοιςπινάκων.

    35 N. Wecklein, Der Fackelwettlauf, in: Hermes 7, 1873, 437–452.

  • Mariachiara Angelucci20

    des Euchidas erinnert,36 der nach dem Sieg bei Plataiai nach Delphi lief, am selben Tag dasFeuer zum Entzünden der Altäre nach Athen brachte und dann vor Erschöpfung starb.

    Die Periegeten werden zum Sprachrohr des Lebens in den Städten, das sich nicht in po-litischen Fakten erschöpfte, sondern auch die alltäglichen Ereignisse umfasste, wie auch zuBerichterstattern der Feste, die damals wie heute den Lebensrhythmus bestimmten, undden kleinen und großen Erfolgen, deren sich die Bürger rühmen konnten. Siegte ein Bürgerbei Wettkämpfen, galt das als Grund für Stolz der ganzen Stadt und trug dazu bei, diese inden Augen von ganz Griechenland groß zu machen.

    Im Zusammenhang mit dem delphischen Heiligtum erwähnt Polemon in F 2737 denSchatz der Sikyonier und das Weihegeschenk der Dichterin Aristomache von Erythrai, Sie-gerin bei den Isthmischen Spielen. Es handelt sich hierbei um ein wertvolles Zeugnis, ist esdoch die einzige Erwähnung der Dichterin, die sonst nicht bekannt wäre.38 F 28 wiederumerzählt eine Anekdote von einem Besucher, der, in eine Statue verliebt, sich in der Schatz-kammer der Stadt Spina hatte einschließen lassen.39

    Die Ereignisse, deren Protagonisten die poleis gewesen waren, konnten an den Weihega-ben in den großen Heiligtümern abgelesen werden. So wurde die detaillierte Beschreibungder dort zur Schau gestellten Votivgeschenke keine reine und kalte Katalogisierung alsSelbstzweck, sondern diente der Erinnerung an die Geschichte der Städte und ihrer Größe.Die Annäherung der Periegeten an die Weihegaben ist zweigeteilt: einerseits beschreibensie minutiös die Weihegeschenke im Sinne der Bestandsaufnahmepraxis von Exegeten,40andererseits aber auch die Ereignisse, die Anlass der Opfergabe gewesen waren, Letzteresunter Einsatz der Technik des excursus.

    Polemons Bericht über die Thesauroi von Olympia41 ist deshalb besonders interessant,weil keine einzige der Weihegaben, die sich darin befanden, erhalten ist42 und weil der Be-

    36 Plut., Aristeides 20.37 Polemon F 27 Preller : Plut., Quaestiones convivales 5,675b. Καὶ ›Τοῦτο μέν, ἔφην, τὸ ἀνάγνωσμα

    τῶν οὐκ ἐν μέσῳ ἐστίν· τοῖς δὲ Πολέμωνος τοῦ Ἀθηναίου περὶ τῶν ἐν Δελφοῖς θησαυρῶν, οἶμαι,πολλοῖς ὑμῶν ἐντυγχάνειν ἐπιμελές ἐστι καὶ χρή … πολυμαθοῦς καὶ οὐ νυστάζοντος ἐν τοῖς Ἑλλη-νικοῖς πράγμασιν ἀνδρός· ἐκεῖ τοίνυν εὑρήσετε γεγραμμένον ὡς ἐν τῷ Σικυωνίων θησαυρῷ χρυ-σοῦν ἀνέκειτο βιβλίον Ἀριστομάχης ἀνάθημα τῆς Ἐρυθραίας ἐπικῷ … ποιήματι δὶς Ἴσθμια νενικη-κυίας.‹

    38 Vgl. O. Crusius, s.v. Aristomache, in: RE 2.1, 1895, 943f.39 Polemon F 28 Preller : Athen. 13,606a-b Πολέμων δὲ ἢ ὁ ποιήσας τὸν ἐπιγραφόμενον Ἑλλαδι-

    κόν· ›ἐν Δελφοῖς, φησίν, ἐν τῷ Σπινατῶν θησαυρῷ παῖδές εἰσιν λίθινοι δύο, ὧν τοῦ ἑτέρου Δελφοίφασι τῶν θεωρῶν ἐπιθυμήσαντά τινα συγκατακλεισθῆναι καὶ τῆς ὁμιλίας καταλιπεῖνστέφανον. φωραθέντος δ’ αὐτοῦ τὸν θεὸν χρωμένοις τοῖς Δελφοῖς συντάξαι ἀφεῖναι τὸν ἄνθρω-πον· δεδωκέναι γὰρ αὐτὸν μισθόν.‹

    40 Was die Aktivität der Exegeten und das Inventar der Heiligtümer betrifft, vgl. S. Reinach, Exege-tae, in: Dictionnaire des antiquités greques et romaines 2, 1892, 883–886; O. Kern, Ἐξηγηταί, in:RE 6.2, 1909, 1583f.; M. Guarducci, Epigrafia greca, vol. II: Epigrafi di carattere pubblico, Roma1970; T. Linders, The Purpose of Inventories: a close Reading of the Delian Inventories of the In-dependance, in: D. Knoepfler (Hg.), Comptes et Inventaires dans la cité grecque, Actes du collo-que international d’épigraphie tenu a Neuchâtel du 23 au 26 septembre 1986 en l’honneur de Jac-ques Tréheux, Neuchâtel 1988, 37–47; De Angelis (wie Anm. 7), 4.

    41 Polemon F 22 Preller : Athen. 11,479f–480a Κρατάνιον· μήποτε τὸ νῦν καλούμενον κρανίον ἔκ-πωμα οὕτως ὠνόμαζον οἱ ἀρχαῖοι. Πολέμων γοῦν ἢ ὅστις ἐστὶν ὁ ποιήσας τὸν ἐπιγραφόμενον Ἑλ-λαδικὸν περὶ τοῦ ἐν Ὀλυμπίᾳ λέγων Μεταποντίνων ναοῦ γράφει καὶ ταῦτα· ›ναός Μεταποντίνων,

  • Reiseliteratur im Altertum 21

    richt die Angaben, die uns von Pausanias überliefert sind, ergänzen hilft, insbesondere anden Stellen, wo diese vage oder lückenhaft sind. Dies gilt für den Schatz der Byzantiner,43den Pausanias nur kurz erwähnt.44 Durch Zusammenführen der Informationen, die wirvon Polemon und von Pausanias haben, ist es daher möglich, ein vollständigeres Bild dergroßen Anzahl und der Art der Wertgegenstände in den Thesauroi zu gewinnen.

    Aus dem Schatz der Metapontier45 erwähnt Pausanias46 das teilweise elfenbeinerneStandbild des Endymion;47 Polemon hingegen lässt den Blick auf der großen Menge kost-barer Gefäße ruhen, die sich darin befanden: φιάλαι ἀργυραῖ ἑκατὸν καὶ τριάκοντα καὶ δύο,οἰνοχόαι ἀγυραῖ δύο, ἀποθυστάνιον ἀργυροῦν, φιάλαι τρεῖς ἐπίχρυσοι. Analog dazu listetPolemon im Zusammenhang mit dem imposanten Hera-Tempel – Pausanias beschreibtnur die Statuen und andere Votivgegenstände –48 die verschiedenen Arten von Gefäßenauf: φιάλαι ἀργυραῖ τριάκοντα, κρατάνια ἀργυρᾶ δύο, χύτρος ἀργυροῦς, ἀποθυστάνιονχρυσοῦς, κρατηρ χρυσοῦς, Κυρηναίων ἀνάθημα, βατιάκιον ἀργυροῦν. Diese Passage zitiertAthenaios anlässlich der Erklärung des Terminus κρατάνιον, Trinkgefäß ungewisser Her-kunft und von unbekannter Form, wofür Polemon die einzige schriftliche Quelle dar-stellt.49 Aus dem Kontext der Deipnosophisten heraus, woraus diese Stelle des Periegetenvon Ilion genommen ist, ergibt sich, dass sie offensichtlich vornehmlich Gefäße betrifft:Athenaios überliefert sie nämlich im Zusammenhang mit der Beschreibung verschiedener

    41 ἐν ᾧ φιάλαι ἀργυραῖ ἑκατὸν καὶ τριάκοντα καὶ δύο, οἰνοχόαι ἀργυραῖ δύο, ἀποθυστάνιον ἀργυ-ροῦν, φιάλαι τρεῖς ἐπίχρυσοι. ναὸς Βυζαντίων, ἐν ᾧ Τρίτων κυπαρίσσινος ἔχων κρατάνιον ἀργυ-ροῦν, σειρὴν ἀργυρᾶ, καρχήσια δύο ἀργυρᾶ, κύλιξ ἀργυρᾶ, οἰνοχόη χρυσῆ, κέρατα δύο. ἐν δὲ τῷναῷ τῆς Ἥρας τῷ παλαιῷ φιάλαι ἀργυραῖ τριάκοντα, κρατάνια ἀργυρᾶ δυό, χύτρος ἀργυροῦς,ἀποθυστάνιον χρυσοῦν, κρατῆρ χρυσοῦς, Κυρηναίων ἀνάθημα, βατιάκιον ἀργυροῦν.‹

    42 U. Jantzen, Olimpia, in: EAA 5, 1963, 635–656, hier: 647f.; A. Mallwitz, Olympia und seineBauten, Darmstadt 1972, 163–166; U. Sinn, Olimpia, in: EAA Suppl. 4, 1996, 69. Zu Olympia vgl.auch F. W. Hamdorf, Olimpia, in: EAA Suppl. 1970, 560–566.

    43 Zum Schatzhaus von Byzantion und seiner möglichen archäologischen Identifizierung: Mall-witz (wie Anm. 42), 170; K. Hermann, Beobachtungen zur Schatzhaus-Architekture Olympias,in: U. Jantzen (Hg.), Neue Forschungen in griechischen Heiligtümern, Tübingen 1976, 339–343;ders., Die Schatzhäuser in Olympia, in: W. Coulson, H. Kyrieleis (Hg.), Proceedings of an In-ternational Symposium on the Olympic Games, Athen 1992, 25–32, hier: 29; G. Maddoli u.a.(Hg.), Pausania, Guida della Grecia, VI. L’Elide e Olimpia, Milano 1999, 322f.

    44 Paus. 6,19,9. Pausanias erwähnte vielleicht den Schatz der Metapontier in Abschnitt 6,19,8 wo eseine Lücke gibt.

    45 Siehe Mallwitz (wie Anm. 42), 174; A. Mallwitz, H. V. Hermann, Die Funde aus Olympia.Ergebnisse hundertjähriger Ausgrabungstätigkeit, Athen 1980, 148; A. Moustaka, Großplastikaus Ton in Olympia, in: OlF 22, 1993, 98–103, hier: 99; 118–125, hier: 120, 122–124; 158–165, hier:158f.

    46 Paus. 6,19,11.47 Bedeutende mythologische Figur in den Gründungsmythen der Wettkämpfe. Ihr Grab befand sich

    am Rand des Stadions (Paus. 6,20,9). Vgl. A. Mallwitz, Das Stadion, in: Bericht über die Ausgra-bungen in Olympia 8, 1967, 16–82, hier: 21f.; T. Scheer, Endymion, in: DNP 3, 1997, 1027; Mad-doli, Nafissi, Saladino (wie Anm. 43), 326.

    48 Paus. 6,16,1; 6,17–20. Vgl. W. Dörpfeld, Alt-Olympia: Untersuchungen und Ausgrabungen zurGeschichte des ältesten Heiligtums von Olympia und der älteren griechischen Kunst, II, Berlin1935, 35f., 137–189; U. Jantzen, Olimpia, in: EAA 5, 1963, 643–645; Mallwitz (wie Anm. 47),137–149.

    49 L. Couve, Kratanion, in: Dictionnaire des antiquités greques et romaines 3.1, 1900, 869.

  • Mariachiara Angelucci22

    Arten von Trinkgefäßen. Wir wissen jedoch nicht, wie der Perieget seine Beschreibungfortgesetzt hat, dürfen aber vermuten, dass er auch die von Pausanias aufgezählten Statuenund Weihegeschenke erwähnt hat.

    Demselben Interesse an Weihegaben begegnen wir bei Anaxandrides. Den Weihege-schenken in Delphi widmet er eine eigene Abhandlung, aus der hier ein Fragment erwäh-nenswert scheint: jenes über das Schatzhaus von Brasidas und der Akanthier, in dem Ly-sanders Weihegeschenke zu sehen waren:50 eine Trireme aus Gold und Elfenbein, die ihmvon Kyros anlässlich eines seiner Siege gesandt worden war, und ein Depot im Wert voneinem Talent, zweiundfünfzig Minen und elf Silberstateren. Das Verzeichnis der Gaben,das Polemons detailgenaue und den Wert der Gegenstände berücksichtigende Darstel-lungspraxis widerspiegelt, muss man sich um die historischen Begebenheiten bereichertvorstellen, die die Weihung veranlaßt hatten. Mangels näherer Hinweise bei Plutarch, derja Anaxandrides als Quelle benützt, sind sich die heutigen Forscher nicht einig, um welchenSieg es sich gehandelt hat. Manchen zufolge bezieht sich die Weihegabe auf die Schlacht beiAigospotamoi, da Plutarch in dem Kapitel, dem die Stelle entnommen ist, die darauf fol-genden Geschehnisse behandelt;51 andere wiederum meinen, die Gabe müsse mit derSchlacht von Notion in Zusammenhang gebracht werden, und zwar aufgrund von Plut-archs Bemerkung,52 Kyros habe Kleinasien vor der Schlacht bei Aigospotamoi, im Frühlingdes Jahres 405 v.Chr. verlassen.53

    Der Rekurs auf den excursus veranlaßte die Periegten dazu, sich in diesem Fall, wie invielen anderen, die man hier auch anführen könnte – wie etwa die Erwähnung der Grabmä-ler des Thukydides bei Polemon54 oder jener des Hyperides und des Themistokles bei Dio-doros55 –, mit Episoden und historischen Gestalten aufzuhalten, mögen wir auch keinespezifische Dokumentation diesbezüglich besitzen.

    Abschließend gesagt, erhebt die in diesem Beitrag vorgenommene Analyse der Tätigkeitder untersuchten Autoren keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ist vielmehr alsein Querschnitt durch die periegetische Literatur aus hellenistischer Zeit zu verstehen. Eszeigt sich, dass der antiquarische Perieget mehr auf Vollständigkeit denn auf Synthese ab-zielt und alle Elemente ins Licht rücken will, die dazu beigetragen haben, die betreffendeStadt oder Region groß zu machen. Gegenüber einer universeller werdenden Sichtweisetritt er als derjenige auf, der sich die Bewahrung der griechischen Kultur auf die Fahnen ge-

    50 Anaxandrides FGrH 404 F 2: Plut., Lysandros 18 ὁ δὲ Λύσανδρος ἔστησεν ἀπὸ τῶν λαφύρων ἐνΔελφοῖς αὑτοῦ χαλκῆν εἰκόνα καὶ τῶν ναυάρχων ἐκάστου καὶ χρυσοῦς ἀστέρας τῶν Διοσκούρων,οἳ πρὸ τῶν Λευκτρικῶν ἠφανίσθησαν. ἐν δὲ τῷ Βρασίδου καὶ Ἀκανθίων θησαυρῷ τριήρης ἔκειτοδιὰ χρυσοῦ πεποιμένη καὶ ἐλέφαντος δυεῖν πηχῶν, ἣν Κῦρος αὐτῷ νικητήριον ἔπεμψεν. Ἀναξαν-δρίδης δ’ ὁ Δελφὸς ἱστορεῖ καὶ παρακαταθήκην ἐνταῦθα Λυσάνδρου κεῖσθαι τάλαντον ἀργυρίουκαὶ μνᾶς πεντήκοντα δύο καὶ πρὸς τούτοις ἕνδεκα στατῆρας, οὐχ ὁμολογούμενα γράφων τοῖς περὶτῆς πενίας τοῦ ἀνδρὸς ὁμολογουμένοις.

    51 D. Hamilton, Lysander, Agesilaus, Spartan imperialism and the Greeks of Asia Minor, in: TheAncient World 23, 1992, 43 Anm. 55.

    52 Plut., Lysandros 9,1f.53 J.-F. Bommelaer, Lysandre de Sparte. Histoire et traditions, Paris 1981, 10 Anm. 10; M. G. An-

    geli Bertinelli u.a. (Hg.), Plutarco, Le vite di Lisandro e di Silla, Milano 1997, 261.54 Polemon F 4 Preller.55 Diodoros FGrH 372 F 34 und F 35.

  • Reiseliteratur im Altertum 23

    schrieben hat und sich zum Hüter einer Welt macht, deren Größe er auf der einen Seite er-kennt und deren Niedergang er auf der anderen Seite vorausahnt und fürchtet.

    Mariachiara AngelucciVia Montorfano 28, I-21100 Varese

    [email protected]

  • Tønnes Bekker-Nielsen

    Die Wanderjahre des Dion von Prusa

    EinleitungIn seiner 13. Rede berichtet Dion von Prusa, wie er in eine Intrige am Hof Domitians ver-wickelt wurde und Rom verlassen musste. Er ist nach Griechenland gegangen, um in Del-phi den Rat des Orakels zu suchen. Apollon hat ihm gesagt, er solle sich »bis an das äußersteEnde der Erde« (ἐπὶ τὸ ὕστατον τῆς γῆς)1 begeben; diesem Rat folgend ist Dion »überall«(πανταχοῦ)2 als armer Philosoph umhergewandert, bis er schließlich nach dem Tod Domi-tians rehabilitiert wurde.

    Alle Angaben über Dions Exil, die uns überliefert sind, gehen direkt oder indirekt aufseine eigenen Aussagen zurück. Leider ist gerade sein größtes Werk aus den Wanderjahren,die Getika, verloren. Was in den erhaltenen Texten über die Umstände seines Exils zu lesenist, bleibt ziemlich dürftig. Die meisten Details bietet uns die bereits zitierte 13. Rede περὶφυγής. Hier sind die Ursachen seiner Abreise in deutlich ironisierender Weise dargestellt:

    Als es geschah, dass ich in die Verbannung ging wegen der mir nachgesagten Freundschaft zueinem Mann,3 der nicht schlecht war, und der den damals Glücklichen und Mächtigen besondersnahe stand; er kam aus eben diesem Grunde ums Leben, aus dem er den meisten, ja beinahe allen,glückselig schien, nämlich wegen seiner Nähe und Verwandtschaft zu jenen. Gegen mich wurdedie Beschuldigung erhoben, dass ich dem Manne Freund und Ratgeber sei; denn so wie man beiden Skythen mit den Königen auch Mundschenke, Köche und Konkubinen begräbt, so ist esBrauch der Tyrannen, den von ihnen ums Leben Gebrachten noch viele andere hinzuzufügenohne jeglichen Grund. Damals also, als meine Verbannung beschlossen war …4

    Eine etwas andere Auslegung der Umstände, die zu Dions Wanderungen führten, bietetPhilostratos im Leben der Sophisten:

    Seine Fahrt zu den getischen Völkern darf ich nicht ›eine Verbannung‹ nennen, denn die Abreisewurde ihm nicht befohlen; aber auch nicht ›eine Reise‹, weil er außer Sicht kam, den Augen und

    1 Dion Chrys. or. 13,9.2 Dion Chrys. or. 13,11.3 Dieser Mann lässt sich nicht sicher identifizieren; wahrscheinlich handelt es sich um Flavius Sabi-

    nus, Vetter des Kaisers, oder L. Salvius Otho Cocceianus, den Neffen des ehemaligen Kaisers Otho.Beide kamen in den frühen achtziger Jahren in den Verdacht, nach dem Purpur zu trachten, undbeide mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen (Suet. Dom. 10). Hierzu auch H. J. Klauck, Dionvon Prusa. Olympische Rede, Darmstadt 2000, 13f.

    4 Dion Chrys. or. 13,1, Übers. nach C. Krause, Strategie der Selbstinszenierung. Das rhetorische Ichin den Reden Dions von Prusa, Wiesbaden 2003 (Serta Graeca 16), 38.

  • Tønnes Bekker-Nielsen26

    Ohren der Menschen entwich und hier Dieses, dort Jenes gemacht hat, aus Furcht vor dem Ty-rannen der Stadt Rom, durch welchen alle Philosophie geächtet wurde.5

    Philostratos’ Versuch, Dions Exilgeschichte verdächtig zu machen, wird von der Mehrheitder Forscher abgelehnt: »Dio [nahm] unter echten Bedingungen das unstete Leben eineswandernden Philosophen als das ihm von den Göttern bestimmte Geschick auf sich«;6 »onthe basis of Dio’s own works and his frequent and very bitter references to Domitian it isplain that the exile was real enough and that Dio was barred from his own province«;7»there is little reason to doubt the fact of the exile’s wanderings«;8 »a technical measure ofbanishment was in fact taken«.9 Einige stehen der Selbstdarstellung Dions jedoch skep-tischer gegenüber: »it is clear that the exile was not unmitigated hardship … in any event,the ›conversion‹ of Dio Chrysosotomos is a fraud‹;10 »a self-constructed aitology for Dio’sreputation as a brave and outspoken purveyor of Greek ideas in the face of Roman author-ity«;11 »aus den Aussagen, die Dion in dieser Rede macht, lässt sich allerdings nicht eindeu-tig auf ein vom Kaiser befohlenes Exil schließen«.12 Heinz Bellen schließlich verwirftganz und gar die Berichte Dions zu Gunsten der Darstellung des Philostratos und schließtdaraus, dass Dions Exil nur von 93 bis 96 dauerte.13

    Exil oder Flucht?Das griechische Wort φυγή kann sowohl ›Flucht‹ als auch ›Verbannung‹ bedeuten. Deshalbwird aus Dions eigenem Bericht nicht klar, ob er förmlich exiliert, also vor Gericht verur-teilt wurde oder einfach entwichen ist, um seine Haut zu retten. Im Bericht des Philostratosdagegen ist die Sache ganz klar: Dions φυγή war freiwillig, wurde ihm nicht auferlegt, waralso kein wirkliches Exil. Wenn letzteres der Fall gewesen sein sollte, würde es aber schwerfallen zu verstehen, warum Dion sich nicht einfach in seine bithynische Heimatstadt bege-ben hat, wo er Haus und Land besaß. In seinen späteren Reden hebt er gerade hervor, wiesein bithynisches Besitztum durch seine lange Abwesenheit gelitten hat, seine Sklaven ge-flohen seien usw.14

    Nach römischem Recht gab es mehrere Formen des Exils, mit oder ohne Konfiskationdes eigenen Vermögens,15 und man hat versucht, auf der Grundlage von Dions Angabenfestzustellen, welche Form seine Exilierung hatte. Dies setzt aber voraus, dass Dion in

    5 Philostr. soph. 488.6 E. L. Grasmück, Exilium. Untersuchungen zur Verbannung in der Antike, Paderborn 1978, 141.7 S. Swain, Hellenism and Empire. Language, Classicism, and Power in the Greek World AD 50–

    250, Oxford 1996, 189.8 J.-M. Claassen, Displaced Persons. The Literature of Exile from Cicero to Boethius, London

    1999, 164.9 P. Desideri, Dio’s Exile. Politics, Philosophy, Literature, in: J. F. Gaertner (Hg.), Writing Exile.

    The Discourse of Displacement in Greco-Roman Antiquity and Beyond, Leiden 2007, 193–207,hier 193.

    10 J. Moles, The Career and Conversion of Dio Chrysostom, in: JHS 98, 1978, 79–100, hier 95, 100.11 T. Whitmarsh, Greece is the World. Exile and Identity in the Second Sophistic, in: S. Goldhill

    (Hg.), Being Greek under Rome, Cambridge 2001, 269–305, hier 290.12 Krause (wie Anm. 4), 40.13 H. Bellen, Grundzüge der römischen Geschichte II, Darmstadt 1998, 93.14 Or. 40,2; 45,11.

  • Die Wanderjahre des Dion von Prusa 27

    einem formalen Prozess vor Gericht oder in camera verurteilt wurde. Es war dem Kaiser je-doch auch möglich, auf Grund eines administrativen Aktes jemandem das Exil anzuord-nen, oder aber ein vom Gericht verhängtes Exil zu mildern. Bei solchen Maßnahmen warder Monarch wohl nicht an die Kategorien des amtlichen Strafkatalogs gebunden.16

    Einen neuen Weg hat Gianluca Ventrella eröffnet mit seiner Hypothese, Dion seizwar formell angeklagt worden, aber nie vor Gericht erschienen.17 Um zu verhindern, dassVerdächtige sich durch Flucht der Justiz entzogen, gab es nach römischem Recht die Mög-lichkeit, einen abwesenden Angeklagten als requirendus in die amtliche Liste einzutragen,adnotare, und ihn gleichzeitig per Steckbrief vor Gericht zu laden. Der Besitz eines solchenrequirendus adnotatus wurde vom Gericht beschlagnahmt; hat der adnotatus sich nicht in-nerhalb eines Jahres dem Gericht gestellt, fiel sein Besitz dem Fiskus zu. Es war Aufgabe desProvinzstatthalters und der Gemeindevorsteher nach dem adnotatus innerhalb ihres Amts-bezirks zu fahnden, um ihm die Vorladung zu verkünden. Wenn Dion ein solcher requiren-dus adnotatus gewesen wäre, würde es einleuchten, dass er nicht in seine Heimatprovinz Bi-thynia et Pontus zurückkehrte – dort wäre er schnell von den Behörden gefaßt worden.Verständlich würde so auch, dass er in seinen späteren Reden die Umstände seiner Abwe-senheit nur ungenau beschrieb, denn ein geflohener requirendus zu sein, war wohl nicht ge-rade ehrenhaft. Gegen diese Hypothese spricht, dass wir in der 45. Rede, wo Dion die Schä-den auflistet, die sein Vermögen erlitten hat,18 nichts von einer förmlichen Beschlagnahmedurch die Behörden hören. Doch hat Eugenio Amato in der sehr kurzen 54. Rede überSokrates eine mögliche Anspielung auf die Konfiskation von Dions Güter gefunden: »EinVermögen, das man, wie es bei Verurteilten üblich ist, von Staats wegen hätte einziehenkönnen, besaß er [Sokrates] nicht«.19

    Die Forschung hat sich intensiv mit den juristischen und philosophischen Aspekten vonDions Exil beschäftigt, d.h. mit dessen Ursachen und mit dessen Folgen für seine geistigeEntwicklung. Man hat sich weniger damit beschäftigt, was zeitlich dazwischen liegt, dieWanderjahre als solche: wann, wohin, wie weit ist Dion gewandert? Es gibt zwei Kategorienvon konkreten Angaben zu dieser Frage im dionischen Corpus. Erstens werden einzelneReisen von A nach B beschrieben. Diese Reiseberichte sind natürlich Teil der Selbstinsze-nierung des Verfassers und als solche sorgfältig literarisch-rhetorisch ausgearbeitet. Zwei-tens gibt es die Möglichkeit, alle Ortsnamen, die in irgendeiner seiner Reden genannt sind,kartographisch zu erfassen. Dadurch erhält man ein, wenn auch sehr ungenaues, Bild vonden geographischen Kenntnissen Dions und auch vom Umfang seiner Reisen.

    15 Zu den verschiedenen Formen des Exils, F. Stini, Exil in der römischen Kaiserzeit, in: E. Olshau-sen, H. Sonnabend (Hg.), »Troianer sind wir gewesen« – Migrationen in der antiken Welt. Stutt-garter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 8, 2002, Stuttgart 2006 (Geographi-ca Historica 21), 300–309, bes. 301; ders., Plenum Exiliis mare, Untersuchungen zum Exil in derrömischen Kaiserzeit, Stuttgart 2011 (Geographica Historica 27), 36–48, 203–206.

    16 Grasmück (wie Anm. 6), 147; Stini (wie Anm. 15), 117–128.17 G. Ventrella, Dione di Prusa fu realmente esiliato? L’orazione tredicesima tra idealizzazione let-

    teraria e ricostruzione storico-giuridica, in: Emerita 77, 2009, 33–56.18 Or. 45,10f.19 Or. 54,4, übers. von W. Elliger, Dion Chrysostomos: sämtliche Reden, Stuttgart 1967; E. Ama-

    to, Datierung und Vortragsort, in: H.-G. Nesselrath (Hg.), Dion von Prusa: Der Philosoph undsein Bild, Tübingen 2009 (SAPERE 13), 41–51, bes. 50f.

  • Tønnes Bekker-Nielsen28

    ReiseberichteDion beschreibt in seinen Reden vier Reisen, die er während seiner Wanderjahre unter-nahm. Aus der 13. Rede erfahren wir, wie er Rom verlassen musste und nach Griechenlandging. Da die Route über Brundisium kürzer und bequemer war als der Landweg über Aqui-leia, und Dion im Übrigen in seinen überlieferten Werken keinen einzigen Ort auf demwestlichen Balkan nennt, können wir davon ausgehen, dass er über die Via Appia nachBrundisium gelangt ist, von dort per Schiff entweder nach Dyrrhachium oder direkt in denGolf von Korinth.

    Eine zweite Reise unternahm er nach Kyzikos an der Marmaraküste, um sich mit seinenbithynischen Freunden zu treffen. Dion betont ausdrücklich, er wollte sich nicht dicht andie Grenze seiner Heimatprovinz begeben, sondern nur bis nach Kyzikos.20

    In der ersten seiner vier Reden peri basileias, die er kurz nach der Jahrhundertwende inRom vor Kaiser Trajan gehalten hat, erzählt Dion, wie er auf der Peloponnes herumreiste,als armer Bettler gekleidet, die großen Städte scheuend, und wie er unweit Olympia eineralte Frau begegnete, die ihm den baldigen Tod Domitians und das Ende seines Exils pro-phezeit hat.21 Damit muss diese Reise also in seine letzten Wanderjahre fallen.

    Schließlich hören wir in der 12. Rede von Dions Besuch bei den römischen Truppen ander Donaugrenze22 und in der 36. Rede von seiner Fahrt ins Land der Geten und seinemBesuch in der alten griechischen Kolonie Olbia an der Nordküste des Schwarzen Meeres,vielleicht im Lauf derselben Reise. Letztere ist die einzige Fahrt jenseits der Grenzen desImperium Romanum, die in den Werken Dions erwähnt wird. Ihre Datierung ist umstrit-ten: Im ersten Satz sagt Dion, er sei in Borysthenes im Sommer μετὰ τὴν φυγήν gewesen. Istdies als ›der Sommer nach seiner Flucht von Rom‹ (84 oder 85 n.Chr.)23 oder als ›der Som-mer nach dem Ende seines Exils‹ (97 n.Chr.) zu verstehen?24

    Eine fünfte Reise lässt sich nur unsicher in die Exilszeit datieren, und dies auch nur unterder Voraussetzung, dass sie überhaupt stattgefunden hat. In der Einleitung von Dions sieb-ter Rede berichtet der Ich-Erzähler von seinem Schiffbruch während einer Fahrt von Chiosnach Euboia, wo er sich an Land gerettet habe und von einem armen Jäger auf freundlichsteWeise empfangen worden sei. Der Jäger hat ihn eingeladen, seine einfache Unterkunft und

    20 Or. 19,1.21 Or. 1,55.22 Or. 12,17–20; cf. Philostr. soph. 488. C. P. Jones, The Roman World of Dio Chrysostom, Cam-

    bridge, Mass. 1978, 53 plädiert für eine Datierung der Donaureise ins Jahr 101; seine Hypothese,Dion sei in der Entourage des Kaisers mitgereist, verträgt sich aber schlecht mit Dions Behauptung(or. 12,19f.), er sei allein und unbemerkt unter den Soldaten herumgegangen. Auch das Jahr 105 istvorgeschlagen worden, vgl. Klauck (wie Anm. 3), 27 mit weiteren Literaturhinweisen. Vgl. hierzuauch Anm. 24.

    23 So Whitmarsh (wie Anm. 11) 293 Anm. 109; T. Bekker-Nielsen, G. Hinge, Dio Chrysostomin Exile: Or. 36,1 and the Date of the Scythian Journey, in: CQ 65, 2015 (im Druck).

    24 So Jones (wie Anm. 22), 52: Dion hat während seines Aufenthalts am nördlichen Schwarzmeer imSommer 97 die Nachricht vom Tod Domitians und seine eigene Rückberufung erhalten. Demge-genüber argumentiert H.-G. Nesselrath, Dion von Prusa. Menschliche Gemeinschaft und gött-liche Ordnung: Die Borysthenes-Rede, Darmstadt 2003, 13f. mit Hinweis auf or. 36,25 für einenBesuch Dions in Borysthenes im Jahre 96, also noch während der Exilszeit; die Angabe μετὰ τὴνφυγήν wird für eine spätere Interpolation gehalten: Nesselrath, op.cit., 66 Anm. 4; H. v. Ar-nim, Leben und Werk des Dion von Prusa, Berlin 1898, 302.

  • Die Wanderjahre des Dion von Prusa 29

    seine Mahlzeit zu teilen. Hieran knüpfen sich mehrere Erzählungen moralisch-philoso-phischer Art an, die ineinander verschränkt sind, sowie eine längere Darlegung der Sozial-philosophie des Verfassers. Die Rede muss zehn Jahre oder noch länger nach dem Ende desExils verfasst worden sein, da sich Dion eingangs als alten, geschwätzigen Mann darstellt.Die vielen Ähnlichkeiten zwischen Dions Jäger-Idylle und dem homerischen Bericht vonder Landung des Odysseus auf Ithaka und dessen Empfang durch Eumaios wecken denVerdacht, Dion habe seine Erlebnisse auf Euboia stark literarisch bearbeitet, wenn nichtgänzlich erfunden.25 Sei es, dass der Bericht teilweise authentisch ist, sei es dass er reineFiktion ist, in jedem Fall spielt sich die Geschichte dicht an der geographischen Mitte Grie-chenlands ab und ändert damit nichts an der Tatsache, dass wir in Dions Werken nur füreine einzige Reise jenseits der Grenzen des Imperiums sichere Belege finden.

    Geographische KenntnisseEine Aufzählung der geographischen Namen in Dions Werken – mit Ausschluss derWerke, die nachweislich oder mit großer Wahrscheinlichkeit vor der Exilszeit abgefasstsind26 – führt zu einem ähnlichen Ergebnis:

    25 Zu dieser Frage Krause (wie Anm. 4); D. Reuter, Untersuchungen zum Euboikos des Dion vonPrusa, Weida 1932, bes. 20f.; A. Milazzo, Dimensione retorica e realtà politica. Dione di Prusanelle orazioni III, V, VII, VIII, Hildesheim 2007 (Spudasmata 115), 161–226.

    26 Nur etwa ein Drittel der dionischen Reden lassen sich auf Grund ihrer Inhalte (z.B. Erwähnungeines Kaisers oder Statthalters) einwandfrei datieren. Die übrigen hat die Forschung versucht, aufverschiedene Weise zeitlich einzureihen: philosophisch (eine Entwicklung Dions vom Sophistenzum Philosophen widerspiegelnd); thematisch (Reden verwandten Inhalts sind etwa gleichzeitig);oder literarisch (Reden, die dieselben stilistischen Merkmale aufweisen, gehören zeitlich zusam-men). Oft überschneiden sich aber die Ergebnisse der verschiedenen Methoden. Um nur ein Bei-

    WestlichesMittelmeer

    GriechischesFestland

    Ägäis WestlichesKleinasien

    Propontis undSchwarzes Meer

    Levante

    KrotonMetapontumRomSybarisSyrakusSyrteTarentThurii

    AmphipolisAthenDelphiDionEleusisEpidaurosHeraiaKorinthMegaraOlympiaPellaPiräusPisa bei

    OlympiaPlataiaSounionSpartaStageiraTegeaThebenThermopylai

    AndrosAthosChiosEuboiaIosKalymnaKarpathosKarystosKnidosKretaKytheraKythnosMykonosMytileneSalamisSamosSeriphosTenedosThasos

    BomosChrysês

    DidymaEphesosHellespontKaunosKelainaiKolophonPergamonSmyrnaTroia

    Apameia inBithynia

    ApolloniaBorysthenesByzanzChersonesosKyzikosNikaiaNikomediaProkonnesosPrusaSinopeSoloi

    AdanaAigaiAntiochia a.O.Apameia a.O.SidonTarsosTyrosZypern