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61Mieterland oder Hauseigentümernation?
Die Frage, ob man mieten oder kaufen soll, stellt sich nicht nur für Wohnungssuchende,
sondern scheidet ganze Länder voneinander: Während in angelsächsisch geprägten Län
dern die Mehrheit von mehr als sechzig Prozent der Haushalte in den eigenen vier Wän
den lebt, ist dies in deutschsprachigen Ländern eine Minderheit von weniger als fünfzig.
Waren in den USA kurz vor der Finanzkrise fast siebzig Prozent Hauseigentümer, lagen
vergleichbare Werte für Deutschland in der Nähe von vierzig. Mehr noch: Über das letzte
Jahrhundert kann man eine relativ stabile Diskrepanz von zwanzig Prozentpunkten zwi
schen den Wohneigentumsquoten dieser beiden Länder ausmachen (Abb. 1). Angesichts
zahl reicher gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Umbrüche im letzten Jahrhundert
Deutschland weist im internationalen Vergleich eine hohe Quote von Mieterhaushalten auf, wo hin
gegen insbesondere in angelsächsisch geprägten Ländern bereits seit dem frühen zwanzigsten
Jahr hun dert in erster Linie Hauseigentümer wohnen. oft werden diese Unterschiede durch anders
gela gerte kulturelle Präferenzen oder verschiedenartige Wohnungspolitiken der Staaten in den
Nach kriegs jahren erklärt. Es zeigt sich jedoch, dass Staaten bereits im ausgehenden neunzehnten
Jahr hun dert in städtischer organisation, Wohnungsfinanzierung und der Bauwirtschaft Wege ein
schlugen, die die bis heute geltenden Unterschiede erklären können.
Mieterland oder Hauseigentümernation? Wohnungsmärkte in Deutschland und den USA SEBAStIAn KoHl
Aus der Forschung62
überraschen diese stabilen Unterschiede; umso
mehr jedoch, als dass diese Länder ansonsten ver
wand te ökonomische Hintergrundbedingungen
haben. Darüber hinaus äußern sich deutsche wie
USamerikanische Haushalte in Umfragen zu ihren
Wohnvorstellungen ähnlich: Der Wunsch nach
Eigentum ist in beiden Ländern gleich ausgeprägt.
Unterschiede in Wohneigentumsquoten betreffen nicht nur die Frage, in welcher Rechts
form Menschen letztlich leben, sondern haben auch erhebliche Auswirkungen auf die
Ge sell schaft. In der letzten Finanzkrise zum Beispiel ist die Sprengkraft deutlich geworden,
die von einem hypothekenfinanzierten Wohneigentum ausgehen kann. So kam es zu einem
dramatischen Verfall von Hauspreisen, zu Zwangsversteigerungen und zur Erschütterung
des Finanzsystems gerade in solchen Ländern, die zuvor durch Versprechungen hinsicht
lich Altersabsicherung, finanzieller Sicherheit und der Erfüllung von Mittelklasseträumen
Hauseigentum besonders gefördert hatten. Wohneigentum wird zudem mit einer höheren
Arbeitslosigkeit wegen größerer Immobilität und einer Verbürgerlichung von Lebensstil
und Wahlverhalten in Verbindung gebracht: Auch scheint es mit konservativen politischen
Einstellungen und einem entsprechenden Wahlverhalten einherzugehen.
Wohneigentumsquoten angelsächsischer und kontinentaler Länder Abb. 1
1900
20
30
40
50
60
70
80
1919
1936
1945
1949
1954
1960
1964
1967
1970
1973
1976
1980
1983
1986
1989
1992
1995
1998
2001
2004
2007
2010
Prozent
Quelle: UN und Nationale Statistikämter.
Kanada
Neuseeland
Australien
Irland
USA
Großbritannien
DeutschlandSchweiz
Die Wohneigentumsquote in
Deutschland und den USA unter
scheidet sich seit rund einhundert
Jahren um zwanzig Prozentpunkte.
63Mieterland oder Hauseigentümernation?
Bisherige wissenschaftliche Erklärungen
Wie lassen sich diese Unterschiede in den Wohneigentumsquoten wissenschaftlich er klä
ren? Am populärsten sind Auffassungen, die die Unterschiede in kulturell bedingten
Präferenzen sehen: Zum amerikanischen Traum gehört demnach einfach das Eigenheim.
Dies ist nicht von der Hand zu weisen; es erklärt aber nur bedingt, warum es innerhalb der
beiden Länder eine sehr starke regionale Varianz von Eigentumsquoten gibt und warum
sich die Eigentumsquoten historisch sehr stark verändert haben.
Sozioökonomische und demografische Analysen
hingegen, die sich wie ein Großteil aller wissen
schaft lichen Untersuchungen auf Daten nach
1980 stützen, führen Wohn eigen tums unterschiede
auf Faktoren wie wirtschaftliches Wachstum, Ein
kom men, den Anteil an Haushalten mit älte
ren Bewohnern oder mit Familien mit Kindern
zurück. Über raschend ist der Befund, dass gerade wirtschaftlich fortschrittliche Länder
wie Deutschland, die Schweiz oder Schweden höhere Mieterquoten haben. Obwohl Stu
dien mit diesen Variablen gut jährliche Änderungen von Wohneigentumsquoten erklären
können, lassen sie offen, warum Länder permanente Niveauunterschiede auch schon vor
1980 aufweisen. Deutsche und USStädte hatten jedoch bereits vor dem Ersten Weltkrieg
signi fikant unterschiedliche Zahlen an Eigenheimbesitzern (Abb. 2).
Politologische Ansätze verweisen auf die stärkere politische Förderung von Wohneigentum
in den USA seit dem New Deal in den 1930erJahren. Angesichts eines nur fragmentären
Wohlfahrtsstaates nach europäischem Vorbild fing die USRegierung unter Franklin D.
Roosevelt an, Sozialpolitik durch die Subventionierung und Ermöglichung günstiger
Hypotheken zu betreiben. Deutschland dagegen unterstützte den mietlastigen sozialen
Wohnungsbau, Neubauten privater Vermieter und ein mieterfreundliches Recht. Die
These, dass es einen tradeoff zwischen Wohlfahrtsstaatsausgaben einerseits und privatem
Hauseigentum andererseits gibt, ist in der Tat für die Zeit nach 1980 mit Daten gut bestä
tigt worden.
Aber auch mit diesen Ansätzen gelingt es nicht zu erklären, warum deutsche und USame
ri ka nische Städte bereits vor dem Auftreten der ersten dezidierten Wohnungspolitiken
ähn lich deutliche Unterschiede hinsichtlich der Quote an Wohn eigen tümern aufwiesen
wie ein Jahrhundert später – so verschieden Wohnungspolitik und Wohl fahrts insti tu tio
nen auch gewirkt haben mochten. Die langfristig bestehende Lücke zwischen den Wohn
eigentumsquoten in beiden Ländern haben die Wohnungspolitiken zumindest nicht zu
reduzieren gewusst.
Wie historisch gewachsene Institutionen die Länderunterschiede erklären
Die gängigen Antworten weisen also vor allem eine historische Schlagseite auf: Sie ver
nach lässigen, dass die Diskrepanz zwischen der deutschen und USamerikanischen
Wohn eigentumsquote bereits mehr als ein Jahrhundert überdauert hat (Abb. 2). Sie lassen
Gerade wirtschaftlich fortschritt
liche Länder wie Deutschland, die
Schweiz oder Schweden haben
höhere Mieterquoten.
Aus der Forschung64
Einfamilienhaus- und Wohneigentumsquoten in deutschen und US-amerikanischen Städten um 1900 Abb. 2
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
0
30
35
40
45
Familien mit Wohneigentum in Prozent
Einfamilienhäuser in Prozent
25
20
15
10
5
Quelle: Tygiel, J.: Housing in Late Nineteenth-Century: American Cities: Suggestions for Research. Historical Methods 12(2), 84–97 (1979). RWZ: Reichswohnungszählung. Höbbing, Berlin 1918. Baron, A.: Der Haus- und Grundbesitzer in Preußens Städten einst und jetzt. Fischer, Jena 1911.
Deutschland Vereinigte Staaten
A 6
C E
B DF
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Berlin
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12
3 45
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A KasselB NürnbergC BochumD KielE BarmenF GelsenkirchenG Frankfurt a.M.H Halle a.S.I MagdeburgJ KönigsbergK DresdenL Danzig
1 Omaha2 Washington3 Kansas City4 Philadelphia5 San Francisco6 New Orleans
ins beson dere drei zentrale, angebotsseitige Institutionenbereiche des Wohnungsmarktes
außer Acht: die städtische Organisation von Bauland, den organisierten Hauskredit und
den Bausektor der Einfamilienhäuser.
65Mieterland oder Hauseigentümernation?
Städtische organisation. USamerikanische Städte sind im neunzehnten Jahrhundert meist
als „private Städte“ aufgebaut und erweitert worden, wohingegen deutsche Städte auf eine
jahrhundertealte öffentliche Organisation des Stadtlebens zurückblicken konnten. Die priva
te Organisation städtischen Baulands, des Transports und der Infra struktur führte schon früh
zu schnelleren Stadterweiterungen, zu einem leichteren Zugang zu urbanem Bauland sowie
zu deutlich weniger Auflagen für Neubauten. Schon früh etablierten sich USamerikanische
Städte als suburbanisierte Ansammlungen von Einfamilienhäusern, begünstigt durch
größere Baufirmen und den weit verbreiteten Hausbau in Eigenverantwortung. Deutsche
Städte expandierten dagegen um ihren kompakten frühneuzeitlichen Stadtkern in dichteren
Geschossbauten.
Wohnfinanzierung. Ein wichtiger Faktor hinter diesen verschiedenen Bauformen war die
unterschiedliche Organisation von Hypothekenbanken. In den USA entwickelten sich im
neunzehnten Jahrhundert Bausparvereine, sogenannte savings and loan associations. Als
nachbarschaft liche Kredit hilfeinstitutionen gaben sie auf Einlagebasis kleinere Hauskredite
aus, deren Höhe meist nicht mehr als die Finanzierung eines Einfamilienhauses zuließ. In
Deutschland hingegen entwickelten sich ab den 1860erJahren große überregionale
Hypothekenbanken. Durch den Verkauf von Pfandbriefen finanzierten sie sich auf dem
Kapitalmarkt und gaben vorzugsweise Kredite für Mieteinkommen generierende, mehrge
schossige Gebäude aus. Parallel entwickelten sich profitbeschränkte Wohnungs bau
genossenschaften, die für die städtischen unteren Mittelschichten ebenfalls vermehrt
Geschosswohnungen zur Miete an Mitglieder bauten. Die die deutschen Eigenheime
finanzierenden Bausparkassen allerdings entstanden nicht früher als in den 1920erJahren
und wurden erst in der Nachkriegszeit relevant. Staatliche Wohnungspolitik setzte in bei
den Ländern folglich erst ein, nachdem diese institutionellen Strukturen im Wohnungssektor
entstanden waren. Die finanzzentrierte USWohnungspolitik verstärkte dabei nur noch
die Eigenheimtendenz der savings and loans, während die deutsche Wohnungspolitik in
den Wohnungsgenossenschaften einen Adressaten für subventionszentrierte Politik fand.
Bausektor. Gleichzeitig blieb der deutsche Ein
fami lienhausbau ein ziemlich traditionell organi
siertes Geschäft: Private Bauherren beauftragten
mittelständische Handwerksfirmen für den Bau
eines individuell zugeschnittenen Eigenheims im
Massivbau; Fertighausanbieter hatten es schwer,
spürbare Marktanteile zu gewinnen. In den USA
entwickelte sich stattdessen eine fordistische
Form der Massenproduktion von Eigenheimen
im Leichtbau, die in relativ standardisierter Form
in kompletten Vororten durch überregionale
Baufirmen für den Markt hergestellt wurden. Diese unterschiedlichen Produktionsformen
im Bausektor führten in den USA zu wesentlich günstigeren HauspreiszuEinkommens
Verhältnissen als in Deutschland.
Die finanzzentrierte USWoh nungs
politik verstärkte die Eigenheim
tendenz, während die deutsche
Wohnungspolitik in Wohnungs
genos senschaften einen Adressaten
für subventionszentrierte Politik
fand.
Aus der Forschung66
Sebastian Kohl ist seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPIfG. Er studierte
Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Philo sophie in Köln und Paris und wurde
2014 an der Universität zu Köln und der Sciences Po in Paris im Rahmen eines
bi natio nalen Promotionsverfahrens (Cotu telle) promoviert. Für seine Arbeit
erhielt er 2014 den Dissertationspreis der DeutschFranzösischen Hochschule in
Saarbrücken.
Forschungsinteressen: Wirtschaftssoziologie; Wohnungsmärkte; Politische Ökono
mie; Sozialphilosophie; Philosophie der Sozialwissenschaften.
Zum Weiterlesen HARLoE, M.: The People’s Home? Social
Rented Housing in Europe and America.
Blackwell, Oxford 1995.
KEMENy, J.: The Myth of Home Ownership:
Private Versus Public Choices in Housing
Tenure. Routledge, London 1981.
KoHL, S.: The Power of Institutional Legacies:
How Nineteenthcentury Housing Associations
Shaped Twentiethcentury Housing Regime
Differences between Germany and the US.
European Journal of Sociology 56(2), 2015
(im Erscheinen).
SEBAStIAn KoHl
Wohneigentumsquoten historisch bedingt
Frei zugängliches städtisches Bauland, frei erhält
liche Eigenheimkredite sowie die stan dar di sierte
Massenproduktion begünstigten den Bau von
Einfamilienhäusern in den USA. Diese historisch
gewachsenen Bau und Stadtstrukturunterschiede
schreiben sich bis in die heutige Zeit fort: Sind
Städte historisch als Miets und nicht dominant
als Ein fami lien hausstädte gewachsen, so haben
sie auch heute noch niedrigere Wohn eigen tums quoten. Waren Einfamilienhäuser in
USStädten vor dem Ersten Weltkrieg noch zu einem Großteil vermietet, kam es jeweils
während und nach den Weltkriegen wegen Mietpreiskontrollen, Konsumregulierungen und
aufgeschobenen Familiengründungen zu massiven Verkäufen derselben. In Deutschland
führte die wenig verbreitete Institution des Stockwerkeigentums, aber auch ein ständig
neu verhandelter rechtlicher Kompromiss zwischen Vermietern und Mietern dazu, dass
städtische Geschosswohnungen weiterhin zum Großteil Mietwohnungen blieben. Bis
in die 1980erJahre bestimmten daher etablierte Interessengruppen wie die savings and
loans und Maklerverbände in den USA sowie die gemeinnützige Wohnwirtschaft und
Grundbesitzervereine in Deutschland maßgeblich das Verbleiben auf dem einmal einge
schlagenen Weg in der Wohnungswirtschaft.
Sind Städte historisch als Miets und
nicht dominant als Ein fami lien
hausstädte gewachsen, so haben
sie auch heute noch niedrigere
Wohneigentumsquoten.