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H. Wiese, Potsdam 2015H. Wiese, Potsdam 2015
Heike WieseUniversität Potsdam
Deutsch ist vielseitig:Materialien zu
Sprachwahrnehmung und Sprachvariation in der Schule
H. Wiese, Potsdam 2015H. Wiese, Potsdam 2015
Zentrum für Sprache,Variation und Migration
SFB 632 InformationsstrukturT1 “Urbane Sprachvariation”
Katharina Mayr, Philipp Krämer, Patrick Seeger, Lydia Gornitzka, Stella Krüger, Karin Schmidt, Hans G. Müller, Philip Bracker, Verena Mezger, Till Wörfel, Jessica Peter
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Ein sprachbezogenesAntibias-Programm
www.deutsch-ist-vielseitig.de
Wiese et al. (2015)
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Antibias-Curriculum
fokussiert EinstellungenZiel: Sensibilisierung für Vorurteile
“any attitude, belief and feeling that results in, and helps to justify, unfair treatment of an individual because of his or her identity”
(Derman-Sparks 1989:3; Derman-Sparks & Ramsey 2006)
z.B.Fachstelle Kinderwelten (Preissing 2003, Wagner 2013); Anti-Bias-Werkstatt & Europahaus Aurich (2007)
Übertragung auf Erwachsene als Zielgruppe (vgl. auch Gramelt 2010)
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Probleme von Vorurteilenim Bildungsbereich
negative Effekte z.B. durch Self-fullfilling Prophecies Stereotype Threat
„Reproduktion sozialer Ungleichheit durch Schule“
sozialer Hintergrund der Familie „Migrationshintergrund“ der Familie
(Kolbe 1998; vgl. auch Bourdieu 1985)
Baumert & Schümer (2001), Geißler & Weber-Menges (2008),Steinbach (2009), Fereidooni (2011)
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Fallbeispiel (Hollstein 2008)
Nachteile für „Kinder mit geringem Sozialkapital“bei gleichen schulischen Leistungen
„Sie [Neuköllner Lehrerin] achte bei der Beurteilung fur die Empfehlung dezidiert auf verschiedene Aspekte des Umfelds: Erstens darauf, ob die Eltern bildungsinteressiert sind, zweitens darauf, ob zuhause überhaupt Platz zum arbeiten sei (so wohnten
manchmal sieben Personen in zwei Zimmern), drittens darauf, ob bereits ältere Geschwister auf dem Gymnasium sind, die
helfen können. Ganz wichtig sei, viertens, ob überhaupt jemand im sozialen Umfeld ist,
der die deutsche Sprache beherrscht.Wenn diese Kriterien nicht erfüllt seien, würde sie, um den Kindern spätere Enttäuschungen zu ersparen, keine Gymnasialempfehlung geben.“
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Wer hat „Sprachförderbedarf“?„Migrationshintergrund“ als zu behandelndes Problem
Monitoring Soziale Stadtentwicklung Berlin:Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund geht als negativer Status-Indikator, d.h. ein höherer Anteil führt, bei ansonsten gleichen Daten,zu einem niedrigeren Entwicklungsindexfür einen Stadtteil
Scarvaglieri & Zech (2013)enge Verknüpfung von„Migrationshintergrund“mit „Sprachförderbedarf“
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Mehrsprachigkeit, soziale Schicht und „wir“-Gruppe
Kognitive Vorteile von Mehrsprachigkeit kognitive Kontrolle, Aufmerksamkeitssteuerung geistige Flexibilität Arbeitsgedächtnis späterer geistiger Abbau im Alter Verarbeitung sprachlicher Muster
Wilburn Robinson (1998),Bialystok (2009),Diamond (2010) u.a.
vs. lange vorherrschender Perspektive von „Förderbedürftigkeit“ im Bildungssystem
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Mehrsprachigkeit, soziale Schicht und „wir“-Gruppe
Herkunftssprachen mit niedrigem sozialen „Marktwert“ „monolingualer Bias“ (Gogolin 2005)
Abwertung des Sprachgebrauchs vermeintlich sozial Schwächerer „doppelte Halbsprachigkeit“
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Mehrsprachigkeit, soziale Schicht und „wir“-Gruppe
„Zweisprachigkeit als Ergebnis eines doppelspracherwerbs heißt, dass das Kind von Geburt an zwei Sprachen gelernt hat, weil z. B. die Mutter Französin, der Vater Deutscher ist. Hier kann nach dem Motto "Eine Person - Eine Sprache" mit dem Kind gesprochen werden.Bei Eltern aus einem Sprachbereich (Mutter und Vater sprechen z. B. Türkisch) funktioniert das natürliche Erlernen der zweisprachigkeit nicht. Gerade Familien aus dem Bereich der MigrantInnen, Aussiedler und Flüchtlinge kommen meistens aus einem Land. Hier wird dann oft ausschließlich die Muttersprache gesprochen.Viele Kinder in Kindertageseinrichtungen sind von der doppelten Halbsprachigkeit betroffen. Doppelte Halbsprachigkeit, auch Semilingualismus oder subtrakte Zweisprachigkeit genannt, bedeutet, dass weder Muttersprache noch die Zweitsprache richtig gesprochen werden .“
GEW Schleswig-Holstein, Vertrauensleutebrief Nr. 2–2002
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Mehrsprachigkeit, soziale Schicht und „wir“-Gruppe
Wer gehört zu „uns“? „Migrationshintergrund“ als Ersatz für „Ausländer/in“
Scarvaglieri& Zech (2013)
Ius sanguinis-Restriktion von „Deutsche/r“
‘Deutschtürk/inn/en’ vs. ‘Russlanddeutsche’, ‘Deutschamerikaner/innen’
Tagesspiegel vom 23.2.2013:„Der afghanischstämmige Österreicher und der Deutschtürke …“
Phoenix vom 10.10.2014 („Das Jahrhundert der Frauen“):„Türkin mit deutschem Pass“ („in Berlin geboren und sozialisiert“)
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„… Regisseur Yilmaz Erdogan [sic] ist entzückt. ‚[…] Ich liebe die Berliner und merke, dass die Berliner uns Türken lieben.‘ Zumindest seine Landsleute mit Berliner Wohnsitz – denn der Film wurde nur in Originalfassung mit Untertiteln gezeigt.“
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Tagesspiegel vom 7.12.2013, „Klassenkampf in Berlins Lehrerzimmern“:
„Trotz aller Anstrengungen, von massiver Sprachförderung bis zur Früheinschulung, ist Berlin aber kaum vorangekommen. Die Gefahr ist nicht gebannt, dass die Probleme schneller wachsen, als es Lösungen gibt.Dazu tragen die wieder steigende Schülerzahl und ein demografischer Wandel bei: Beim ersten Pisa-Bericht 2000 kam jeder fünfte Grundschüler aus einer nicht-deutschen Familie, jetzt ist es schon jeder dritte. Das problemfamilienbelastete Berlin wird nie Bildungsspitzenreiter wie Bayern werden“
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„In der Schule wurden wir Schüler aus türkischen Familien immer für unser Deutsch kritisiert, uns wurde von den Lehrern immer gesagt, dass wir schlecht Deutsch sprechen. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass sie uns immer als Ausländer angesehen haben, obwohl wir fast alle schon unser ganzes Leben in Deutschland waren. Wir hatten auch ein paar Russlanddeutsche in der Klasse, die nicht in Deutschland geboren, sondern erst später herkommen waren und deren Deutsch eigentlich viel schlechter war als unseres. Deren Deutsch wurde von den Lehrern aber nie bemängelt, und sie wurden immer als Deutsche gezählt.“
Studentin der Translationswissenschaft (in Deutschland geboren und aufgewachsen, türkisch-deutsch mehrsprachig, Familie stammt aus der Türkei)über ihre Schulzeit in Berlin
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Interventionsprogramm:Motivation
soziale und ‚ethnische‘ Abwertung und Ausgrenzung, auch und gerade in Bezug auf Sprache
Ziel:Unterstützung bei Reflexion und Abbau von Vorurteilen,die im Bildungsbereich den Blick auf die tatsächlichen sprachlichen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen verstellenund eine sinnvolle Sprachbildung verhindern
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InterventionsprogrammInterventionsprogramm: Konzeption
Fokus:
Vorurteile gegenüber Sprachgebrauch außerhalb der Standardsprache (Mehrsprachigkeit, Dialekte, Jugendsprache, SMS, …)
negative Stereotype zu Sprecher/inne/n
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InterventionsprogrammInterventionsprogramm: Konzeption
3 Module
17 Bausteineindividuell
kombinierbar
Multi-mediale
Materialen
FortbildungErzieher-/
Lehrer/innen
AnwendungKita
Schule
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InterventionsprogrammInterventionsprogramm:Projektpartner
Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Werkstatt „Integration durch Bildung“
Hector-Peterson-Sekundarschule
Nürtingen-Grundschule
Kita Komşu
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Sprachwahrnehmung: „Ich höre, wer du bist“ Einstellungen gegenüber Sprechweisen und Sprechergruppen
Sprachgebrauch: „Wer spricht was?“ Das Repertoire von Sprecher/inne/n
Sprachsystem und Sprachentwicklung: „Was ist Deutsch?“ Das Spektrum einer Sprache
Interventionsprogramm:Module
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• Trainerhandbuch• Arbeitsblätter mit konkreten Anweisungen,
Lösungsvorschlägen• Folien mit Kommentaren• Audios, Videos• Vorlagen für Freiarbeitsmaterialien• Merkblätter mit Hintergrundinformationen• detaillierte Ablaufpläne (Format wie in Schule)
Organisation nach Themen / Phasen / Schulform & Jahrgangsstufen / Fortbildung vs. Schulanwendung
Interventionsprogramm:Materialien
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Interventionsprogramm:Website
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Fortbildungendurchgeführt an
– Grundschule– Sekundarschule– Gymnasium– OSZ
Kita-/Schulanwendungen erprobt mit Kooperationspartnern
– Hector-Peterson-Sekundarschule
– Nürtingen Grundschule– Kita Komşu
9 Workshops mit86 Lehrer/inne/n von12 Einrichtungen
Testung, Überarbeitung, Evaluation
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19 Statements auf 4-stufiger Skala
Evaluation FortbildungenEvaluation: Design
+ Erfassung vonAlterGeschlechtLehrfächernSprachen, Dialekten
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6 thematische Bereiche: Mehrsprachigkeit Traditionelle Dialekte Nicht-Standard-Sprache Sprachwandel Repertoire & Register Soziale Schicht
Evaluation FortbildungenEvaluation: Design
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Evaluation FortbildungenEvaluation: Design
3 Erhebungen:prä-Test: unmittelbar vor dem Workshoppost-Test: unmittelbar nach dem Workshoppost-post-Test: mehrere Monate nach dem Workshop
2 Gruppen:Testgruppe (N=86)Kontrollgruppe (N=73; gleiche Institutionen)
81/68
8125/13
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Evaluation FortbildungenEvaluation: Ergebnisse*
positive, anhaltende Effekte bei Testgruppe, keine signifikante Veränderung bei Kontrollgruppe
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Evaluation FortbildungenEvaluation: Ergebnisse
Effekte der Personenvariablen (Regressionsanalyse):
Prä-Test:keine signifikanten Unterschiede für Alter, Geschlecht, Lehrfachpositivere Einstellungen bei mehr Sprachen/Dialekten
Einstellungsveränderung (Prä → Post):geringe negative Effekte von Alter
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Evaluation FortbildungenEvaluation: Ergebnisse
Effekte der Module (Regressionsanalyse):
D3 > D2 > D1[D3: SprachstrukturD2: SprachgebrauchD1: Sprechergruppen]
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Evaluation FortbildungenEvaluation: Ausweitung
Test in Lehrerausbildung (Uni)
ebenfalls signifikante positive Veränderung ähnlicher Anstieg wie in der Lehrerfortbildung aber auf höherem (= positiverem) Ausgangsniveau
58,9 → 62,8
Pilotstudie mit 14 Datensätzen
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Evaluation FortbildungenFazit: Evaluationsergebnisse
positive Einstellungsveränderungen durch sprachliches Antibias-Programm, über Personenvariablen hinweg
sprachliche Lehrfächer beeinflussen Einstellungen nicht positiv; gesprochene Sprachen und Dialekte haben dagegen einen positiven Einfluss
auch in der universitären Lehrerausbildung einsetzbar größte Effekte durch Modul zu Einstellungen
gegenüber Sprachstruktur
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Evaluation FortbildungenFazit: Wichtige Merkmale
indirekte und inklusive Methoden authentische Beispiele Materialien, die eine aktive Auseinandersetzung
fördern Verbindung von weniger „bedrohlichen“ Themen, die
sich auf Einstellungen gegenüber sprachlichen Strukturen beziehen, mit solchen, die die Diskrimierung von Sprecher/inne/n behandeln und daher eine größere Herausforderung darstellen
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Evaluation FortbildungenAusblick
weitere Dissemination
Integration in Schulbücher (Schroedel Abitur III)
Kooperation mit Österreich
DaF
Anpassungen für andere Länder (Kamerun)