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MARKET FLASH IST EUROPA WIRKLICH ZUM SCHEITERN VERURTEILT? 18 APRIL 2019 Wenn ein legendärer Investor einen Brief an die proeuropäische Mehrheitschreibt und die Europäer mahnt, innere und äußere Feindezu bekämpfen, mag man an eine unmittelbar bevorstehende Gefahr denken. George SorosKommentar zu Europa kommt nicht überraschend, denn er hängt Karl Poppers Idee einer offenen Gesellschaft an, d. h. einer auf freiheitlichen Werten basierenden Gesellschaft. Die Europäische Union hält diese hoch, sieht sich jedoch vertrauten Feinden gegenüber: schwaches Wachstum, stagnierender Lebensstandard und fehlende Einigkeit unter ihren Mitgliedern und somit begrenzt effiziente Entscheidungsprozesse. Die gemeinsamen Werte und das Ziel Europas sind in Gefahr, denn die Angst, mit der Union schlechter dran zu sein, hat unter ihren Bürgern zugenommen. Die populistische Phase in Europa ist ein Spiegelbild für die Schwierigkeiten der unnahbaren traditionellen politischen Parteien und die Skepsis der Menschen gegenüber weiterer Integration und supranationalen Institutionen. ERRUNGENSCHAFTEN Die EU ist nach China die größte Wirtschaftsregion. Ihr Anteil an der weltweiten Wirtschaftsleistung liegt, ausgedrückt in Kaufkraftparität, bei 16,5 %. Sie ist überdies eine wichtige Handelsmacht mit einem Anteil von 15 % am Welthandel. Den Startschuss für die Union markierte die Schuman-Erklärung aus dem Jahr 1950, die zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) führte. Die Gründung der Zollunion 1968 und des Binnenmarktes 1993 ließen den Traum der Väter Europas von einer immer engeren Union der Völker Europasund den vier Freiheiten, dem freien Waren-, Kapital-, Dienstleistungs- und Personenverkehr, Wirklichkeit werden. Neben dieser wirtschaftlichen Zusammenarbeit wurde zudem eine Währungsunion aufgebaut. Der Euro feierte im Januar 2019 seinen 20. Geburtstag, und die Eurozone besteht derzeit aus 19 Mitgliedern. Die Entwicklung der Eurozone scheint jedoch trotz der immer engeren wirtschaftlichen Bande am Scheideweg zu stehen. Aus wirtschaftlicher Sicht entwickelt sich Deutschland viel besser als jedes andere Land. Dies gilt besonders seit der weltweiten Finanzkrise von 2008. Was die Politik anbelangt, sind die Mitgliedstaaten nicht mehr begierig darauf, gemeinsame Regeln zu haben. Die Bilanz des Euro ist bei der Inflation positiv, bei Wachstum und Arbeitslosigkeit ist er jedoch keine Erfolgsgeschichte Quelle: KBL Epb & Bloomberg DAS VERLORENE JAHRZEHNT Die Herausforderungen für die EU spitzten sich nach der Wirtschaftskrise von 2007/2008 zu, welche die Schwächen der Union verdeutlichte. Was ursprünglich als Krise im US- Häusermarkt, dem Subprime-Markt, begann, traf die Eurozone besonders schwer. Der Unterschied beim Umfang der Mittel zur Krisenbewältigung, das Fehlen einer glaubwürdigen Risikoteilung und asymmetrische Mechanismen zur Abfederung von Schocks waren die Hauptgründe für dieses Paradoxon. Als anschauliches Beispiel sei genannt, dass sich die US-Konjunkturanreize auf 831 Milliarden US-Dollar beliefen, während das von der Kommission für Europa vorgeschlagene Anreizprogramm ein Volumen von 200 Milliarden US-Dollar hatte. Insgesamt wurde deutlich, dass das EU-Rahmenwerk für den Umgang mit einer schweren weltweiten Krise unterentwickelt war. Die Unfähigkeit, das Vertrauen in einem Umfeld mit hohen Haushaltsdefiziten und rasch steigenden Schuldenniveaus nach der Großen Rezessionwiederzustellen, löste die europäische Staatsschuldenkrise aus. Mehrere Länder der Eurozone waren plötzlich nicht mehr imstande, ihre Staatsschulden zu begleichen oder zu refinanzieren und die beschädigten Bilanzen ihrer Banken neu zu strukturieren. Die Frage nach der Schuldentragfähigkeit führte vier Mitgliedstaaten der Eurozone in ein Rettungsprogramm, das von der sog. Troikaaus IWF, EZB und Europäischer Kommission aufgelegt wurde.

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Page 1: Market Flash - Is Europe Really Doomed to Fail · Wachstum in Europa der Normalzustand. Die „Japanisierung“ der europäischen Wirtschaft macht die künftigen Herausforderungen

MARKET FLASH

IST EUROPA WIRKLICH ZUM SCHEITERN VERURTEILT? 18 APRIL 2019

Wenn ein legendärer Investor einen Brief an die„proeuropäische Mehrheit“ schreibt und die Europäer mahnt,„innere und äußere Feinde“ zu bekämpfen, mag man an eineunmittelbar bevorstehende Gefahr denken. George Soros‘Kommentar zu Europa kommt nicht überraschend, denn erhängt Karl Poppers Idee einer offenen Gesellschaft an, d. h.einer auf freiheitlichen Werten basierenden Gesellschaft. DieEuropäische Union hält diese hoch, sieht sich jedochvertrauten Feinden gegenüber: schwaches Wachstum,stagnierender Lebensstandard und fehlende Einigkeit unterihren Mitgliedern und somit begrenzt effizienteEntscheidungsprozesse. Die gemeinsamen Werte und das ZielEuropas sind in Gefahr, denn die Angst, mit der Unionschlechter dran zu sein, hat unter ihren Bürgern zugenommen.Die populistische Phase in Europa ist ein Spiegelbild für dieSchwierigkeiten der unnahbaren traditionellen politischenParteien und die Skepsis der Menschen gegenüber weitererIntegration und supranationalen Institutionen.

ERRUNGENSCHAFTEN

Die EU ist nach China die größte Wirtschaftsregion. Ihr Anteilan der weltweiten Wirtschaftsleistung liegt, ausgedrückt inKaufkraftparität, bei 16,5 %. Sie ist überdies eine wichtigeHandelsmacht mit einem Anteil von 15 % am Welthandel. DenStartschuss für die Union markierte die Schuman-Erklärung ausdem Jahr 1950, die zur Gründung der EuropäischenGemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) führte. Die Gründungder Zollunion 1968 und des Binnenmarktes 1993 ließen denTraum der Väter Europas von einer „immer engeren Union derVölker Europas“ und den „vier Freiheiten“, dem freien Waren-,Kapital-, Dienstleistungs- und Personenverkehr, Wirklichkeitwerden.

Neben dieser wirtschaftlichen Zusammenarbeit wurde zudemeine Währungsunion aufgebaut. Der Euro feierte im Januar2019 seinen 20. Geburtstag, und die Eurozone besteht derzeitaus 19 Mitgliedern. Die Entwicklung der Eurozone scheintjedoch trotz der immer engeren wirtschaftlichen Bande amScheideweg zu stehen. Aus wirtschaftlicher Sicht entwickeltsich Deutschland viel besser als jedes andere Land. Dies giltbesonders seit der weltweiten Finanzkrise von 2008. Was diePolitik anbelangt, sind die Mitgliedstaaten nicht mehr begierigdarauf, gemeinsame Regeln zu haben.

Die Bilanz des Euro ist bei der Inflation positiv, beiWachstum und Arbeitslosigkeit ist er jedoch keine

Erfolgsgeschichte

Quelle: KBL Epb & Bloomberg

DAS VERLORENE JAHRZEHNT

Die Herausforderungen für die EU spitzten sich nach derWirtschaftskrise von 2007/2008 zu, welche die Schwächen derUnion verdeutlichte. Was ursprünglich als Krise im US-Häusermarkt, dem Subprime-Markt, begann, traf die Eurozonebesonders schwer. Der Unterschied beim Umfang der Mittelzur Krisenbewältigung, das Fehlen einer glaubwürdigenRisikoteilung und asymmetrische Mechanismen zurAbfederung von Schocks waren die Hauptgründe für diesesParadoxon. Als anschauliches Beispiel sei genannt, dass sichdie US-Konjunkturanreize auf 831 Milliarden US-Dollar beliefen,während das von der Kommission für Europa vorgeschlageneAnreizprogramm ein Volumen von 200 Milliarden US-Dollarhatte. Insgesamt wurde deutlich, dass das EU-Rahmenwerk fürden Umgang mit einer schweren weltweiten Kriseunterentwickelt war.

Die Unfähigkeit, das Vertrauen in einem Umfeld mit hohenHaushaltsdefiziten und rasch steigenden Schuldenniveausnach der „Großen Rezession“ wiederzustellen, löste dieeuropäische Staatsschuldenkrise aus. Mehrere Länder derEurozone waren plötzlich nicht mehr imstande, ihreStaatsschulden zu begleichen oder zu refinanzieren und diebeschädigten Bilanzen ihrer Banken neu zu strukturieren. DieFrage nach der Schuldentragfähigkeit führte vierMitgliedstaaten der Eurozone in ein „Rettungsprogramm“, dasvon der sog. „Troika“ aus IWF, EZB und EuropäischerKommission aufgelegt wurde.

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MARKET FLASH

18 APRIL 2019

Die in Schieflage geratenen Länder der Eurozone stellenseitdem aufgrund der eng miteinander verwobenenBankensysteme und des Ansteckungsrisikos eine Bedrohungfür den gesamten Kontinent dar. Diese Geschehnisseoffenbarten mehrere institutionelle Mängel im Konzept desEuro: Er ist „eine Währung ohne Staat“. Einige Mitgliedstaatenzeigten nur widerstrebende Bereitschaft zu Solidarität undbefürchteten, es könnte ein „Präzedenzfall“ geschaffen werden.

Seitdem leidet Europa unter der Gefahr einerSchuldendeflation. Dies erfordert, die Zinssätze auf sehrniedrigen Niveaus zu halten – der EZB-Einlagesatz ist mit -0,40 % nach wie vor negativ – und in diesem weltweitenErholungszyklus sind gedämpfte Inflation und kraftlosesWachstum in Europa der Normalzustand. Die „Japanisierung“der europäischen Wirtschaft macht die künftigenHerausforderungen für die Währungsunion deutlich. DerBegriff bezieht sich auf eine Situation, in der ein Landdauerhaft in einer „Liquiditätsfalle“ gefangen ist. Diesbezeichnet eine Lage, in der eine konventionelleZentralbankpolitik vor dem Hintergrund einer schwachenBinnennachfrage nicht mehr für Inflation undVollbeschäftigung sorgen kann.

GROSSE CHANCE FÜR EUROPA

Das letzte Jahrzehnt war für die EU besonders herausfordernd.Dennoch wuchs Europa in der Vergangenheit an seinen Krisen,und dieses Mal dürfte es nicht anders werden. „Europa wird inKrisen geschmiedet“, sagte Jean Monnet einmal. Auf Ebeneder Institutionen gab es tatsächlich einige Verbesserungen. Sosind beispielsweise der Einheitliche Aufsichtsmechanismusund der Einheitliche Abwicklungsmechanismus, die 2014beziehungsweise 2016 eingeführt wurden, wichtige Schritte hinzu einer effizienten Bankenunion. Hierzu gehören auch daseinheitliche Regelwerk und die gemeinsameEinlagensicherung, wobei die letzten und wichtigstenMaßnahmen jedoch noch ausstehen. Die Stärkung derKapitalmarktunion zur Verringerung der wirtschaftlichenAbhängigkeit der Banken und die Festigung der Wirtschafts-und Währungsunion stehen nach dem traumatischenabgelaufenen Jahrzehnt in Europa nun auf der Tagesordnung.Trotz der zunehmenden Europhobie gibt es weiterhinFortschritte in Richtung einer tieferen Integration.

Die künftigen Herausforderungen für den Kontinent sindmannigfach. Tatsächlich muss Europa seine Unabhängigkeit inden Bereichen Energie, Technologie und Finanzwesensicherstellen. Die Erreichung dieser Ziele auf europäischerEbene ist die Begründung für den Verlust von Souveränität aufeinzelstaatlicher Ebene.

Entkopplung auf die falsche Art für Europa

Quelle: KBL, Bloomberg, Gesamtrendite seit Jan. 09

ZUM ERFOLG VERURTEILT

In gewissem Maße befindet sich Europa wieder in einer Lagewie Anfang der 1950er Jahre, als es sich noch von einemverheerenden Krieg erholen musste und zwischen zweiSupermächten (USA/UdSSR) eingeklemmt war. Heute ist es derHandelskrieg zwischen den USA und China. Zur Überwindungdieser Krise sollte die EU mit dem Ziel, neue Impulse zu gebenund den Wohlstand zu fördern, eine echte Wachstumsstrategieverfolgen. Das Erfordernis, in wichtigen Bereichen wie Energieund Technologie, aber auch Sicherheit die UnabhängigkeitEuropas sicherzustellen, ist ein weiteres Argument für solchePläne. Dies ist wichtiger als die Vollendung einer politischenUnion, für die es in der Bevölkerung derzeit offenbar nichtgenug Unterstützung gibt.

Die Chance, die eine unumgängliche Energiewende birgt,sollte auf EU-Ebene nicht verpasst werden. Schließlich beganndas gesamte Europa-Projekt mit Energie (Kohle). Die EUbenötigt einen Erfolg bei weiteren Kooperationsvorhaben, umwieder an Attraktivität zu gewinnen. Es gibt ein gutes Beispielaus der Geschichte: Anfangs war das Vereinigte Königreichsehr skeptisch und bettelte dann bei den Mitgliedern dieganzen 1960er Jahre hindurch um Aufnahme in dieEuropäische Wirtschaftsgemeinschaft. Europas Führerscheinen nicht mehr an einem Strang zu ziehen. Dies istjedoch nicht zum ersten Mal in der Geschichte der EU derFall. Man denke nur an die „Politik des leeren Stuhls“ vonCharles de Gaulle in den 1960er Jahren, als Frankreichnicht mehr an den Sitzungen des Ministerrats teilnahm.Schließlich führten die starken gemeinsamen Interessen zueiner Einigung. Auch heute sind die gemeinsamenInteressen sehr groß und die äußeren Herausforderungenfür die Union noch größer.

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MARKET FLASH

18 APRIL 2019

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