links! ausgabe 12/2012

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Der Leipziger Oberbürgermeis- ter-Wahlkampf läuft gefühlt schon eine Ewigkeit – auch wenn er eigentlich gerade erst so richtig losgeht. In bestimm- ten Stadtteilen ist der Aus- spruch »Da macht Horst wieder Wahlkampf« beim Anblick ei- ner der häufigen »verdachtsun- abhängigen Personenkontrol- len« schon so alltäglich, dass sich sein Zynismus abgetragen hat. Tatsächlich herrscht unter Linken in der Zivilgesellschaft ernsthaft Sorge vor dem Tag, an dem Law and Order ins Leip- ziger Rathaus einziehen könn- ten. Eigentlich schon seit der ersten Komplexkontrolle im Sommer 2011 kursierten relativ offen Vermutungen, dass die CDU bzw. ihr in Sympathie verbun- dene Erfüllungsgehilfen hier die Stadtgesellschaft für den Auftritt ihres OBM-Kandidaten sturmreif schießen. Damals galt Bernd Merbitz selbst als der wahrscheinliche Kandidat. Die Chuzpe, selbst anzutreten, hätte Wawrzynski noch nie- mand zugetraut. Dabei war er längst dafür be- rüchtigt, sich gerne und auslas- send zu »ordnungs- und sicher- heitspolitischen« Themen zu äußern, allen voran zur Drogen- politik der Stadt, die er etliche Male öffentlichkeitswirksam attackieren konnte. Adjutiert wurde er dabei zuverlässig und engagiert durch mehrere, sei- tenfüllende Interviews in Bild und LVZ. Dort konnte die ge- neigte Leserschaft etwa von ei- nem »Drogenfall« in Wawrzyns- kis Verwandtschaft erfahren, davon, wie die Stadt »ihn« (d. h. die Polizei) vom drogenpoli- tischen Arbeitskreis ausschlie- ße, sowie den Grund für seine chirurgische Gesichtshaut- straffung zum Auftakt seiner Kampagne. Wawrzynski war immer da, wenn es darum ging, Dinge zu skandalisieren und die erregte Bürgerseele zu streicheln. Als etwa aufgebrachte Einwohne- rinnen und Einwohner gegen die Unterbringung von Geflüch- teten in ihrem Stadtteil mobil machten, war der Polizeipräsi- dent der Stadt Leipzig zur Stel- le, um sich für runde Tische anzudienen. Ebenso lieferte er wunderbar griffige Parolen, die die Sorgen und Ängste der Leipziger aufgriffen: Die Krimi- nalität, die in Leipzig so furcht- bar hoch liegt und über die es sich so gut erschauern lässt in der guten Stube bei der Sonn- tagszeitung – Produkt der la- schen Drogenpolitik der Stadt! Diesem Versagen setzte der tatkräftige Polizeipräsident nun endlich etwas entgegen: sei- ne stadtweiten, ungezielten Großeinsätze (»Komplexkont- rollen« genannt), die öffentlich Präsenz beweisen wollten und hundertschaftenweise Beamte damit beschäftigten, mangeln- de Fahrradbeleuchtung, Ver- kehrssünden oder Kleinstmen- gen illegalisierter Substanzen zu ahnden. Drei Tütchen Gras wurden da in polizeilichen Pres- sekonferenzen schnell zum er- folgreichen Schlag gegen die »Drogenszene« – ungeachtet, ob überhaupt Strafverfahren im Anschluss stattfanden oder aufgrund der geringen Men- ge eingestellt wurden. Gan- ze Stadtteile verwandeln sich in polizeiliche Sonderzone, wenn Wawrzynskis Wahlhel- fer in grün ausrücken, um ein Wohnhaus im alternativen Kiez Connewitz zu durchsuchen. Er- klärtes Ziel war dabei, »das Si- cherheitsgefühl der Leipziger Bevölkerung zu stärken« – nicht etwa, die immer gerne ange- führte Kriminalstatistik positiv zu beeinflussen. Der Wahlkampf um das Leipzi- ger Rathaus ist seit anderthalb Jahren auf den Straßen von Leipzig und in der Lebensrea- lität vieler Menschen spürbar, die sich hier gewisse kulturelle Freiräume erstritten haben und das Bild Leipzigs damit präg- ten. Relativ ungeniert konnte Wawrzynski die Jahre, die er als Angestellter des sächsischen Innenministeriums verbrach- te, dafür nutzen, sich als politi- scher Akteur zu profilieren und »aus Polizeisicht« auf städti- sche Politik einzuprügeln. Die- se gewisse Outsider-Rolle, sein Ruf als »Starker Mann« und seine offene Forderung nach Law and Order machen ihn aus Sicht Vieler gefährlich. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, linke Ansätze offensiv in den Wahlkampf zu tragen und den ressentiment- getragenen Antworten eines Horst Wawrzynski klare Absa- gen zu erteilen. Steffen Juhran OBM-Wahl in Leipzig Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Dezember 2012

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Ausgabe Dezember 2012 inklusive aller Beilagen.

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Page 1: Links! Ausgabe 12/2012

Der Leipziger Oberbürgermeis-ter-Wahlkampf läuft gefühlt schon eine Ewigkeit – auch wenn er eigentlich gerade erst so richtig losgeht. In bestimm-ten Stadtteilen ist der Aus-spruch »Da macht Horst wieder Wahlkampf« beim Anblick ei-ner der häufigen »verdachtsun-abhängigen Personenkontrol-len« schon so alltäglich, dass sich sein Zynismus abgetragen hat. Tatsächlich herrscht unter Linken in der Zivilgesellschaft ernsthaft Sorge vor dem Tag, an dem Law and Order ins Leip-ziger Rathaus einziehen könn-ten.Eigentlich schon seit der ersten Komplexkontrolle im Sommer 2011 kursierten relativ offen Vermutungen, dass die CDU bzw. ihr in Sympathie verbun-dene Erfüllungsgehilfen hier die Stadtgesellschaft für den Auftritt ihres OBM-Kandidaten sturmreif schießen. Damals galt Bernd Merbitz selbst als der wahrscheinliche Kandidat. Die Chuzpe, selbst anzutreten, hätte Wawrzynski noch nie-mand zugetraut.Dabei war er längst dafür be-rüchtigt, sich gerne und auslas-send zu »ordnungs- und sicher-heitspolitischen« Themen zu äußern, allen voran zur Drogen-politik der Stadt, die er etliche Male öffentlichkeitswirksam attackieren konnte. Adjutiert wurde er dabei zuverlässig und engagiert durch mehrere, sei-tenfüllende Interviews in Bild und LVZ. Dort konnte die ge-neigte Leserschaft etwa von ei-nem »Drogenfall« in Wawrzyns-kis Verwandtschaft erfahren, davon, wie die Stadt »ihn« (d. h. die Polizei) vom drogenpoli-tischen Arbeitskreis ausschlie-ße, sowie den Grund für seine chirurgische Gesichtshaut-straffung zum Auftakt seiner Kampagne.Wawrzynski war immer da, wenn es darum ging, Dinge zu skandalisieren und die erregte Bürgerseele zu streicheln. Als etwa aufgebrachte Einwohne-rinnen und Einwohner gegen die Unterbringung von Geflüch-teten in ihrem Stadtteil mobil machten, war der Polizeipräsi-dent der Stadt Leipzig zur Stel-le, um sich für runde Tische anzudienen. Ebenso lieferte er wunderbar griffige Parolen,

die die Sorgen und Ängste der Leipziger aufgriffen: Die Krimi-nalität, die in Leipzig so furcht-bar hoch liegt und über die es sich so gut erschauern lässt in der guten Stube bei der Sonn-tagszeitung – Produkt der la-schen Drogenpolitik der Stadt! Diesem Versagen setzte der tatkräftige Polizeipräsident nun endlich etwas entgegen: sei-ne stadtweiten, ungezielten Großeinsätze (»Komplexkont-rollen« genannt), die öffentlich Präsenz beweisen wollten und hundertschaftenweise Beamte damit beschäftigten, mangeln-de Fahrradbeleuchtung, Ver-kehrssünden oder Kleinstmen-gen illegalisierter Substanzen zu ahnden. Drei Tütchen Gras wurden da in polizeilichen Pres-sekonferenzen schnell zum er-folgreichen Schlag gegen die »Drogenszene« – ungeachtet, ob überhaupt Strafverfahren im Anschluss stattfanden oder aufgrund der geringen Men-ge eingestellt wurden. Gan-ze Stadtteile verwandeln sich in polizeiliche Sonderzone, wenn Wawrzynskis Wahlhel-fer in grün ausrücken, um ein Wohnhaus im alternativen Kiez Connewitz zu durchsuchen. Er-klärtes Ziel war dabei, »das Si-cherheitsgefühl der Leipziger Bevölkerung zu stärken« – nicht etwa, die immer gerne ange-führte Kriminalstatistik positiv zu beeinflussen. Der Wahlkampf um das Leipzi-ger Rathaus ist seit anderthalb Jahren auf den Straßen von Leipzig und in der Lebensrea-lität vieler Menschen spürbar, die sich hier gewisse kulturelle Freiräume erstritten haben und das Bild Leipzigs damit präg-ten. Relativ ungeniert konnte Wawrzynski die Jahre, die er als Angestellter des sächsischen Innenministeriums verbrach-te, dafür nutzen, sich als politi-scher Akteur zu profilieren und »aus Polizeisicht« auf städti-sche Politik einzuprügeln. Die-se gewisse Outsider-Rolle, sein Ruf als »Starker Mann« und seine offene Forderung nach Law and Order machen ihn aus Sicht Vieler gefährlich. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, linke Ansätze offensiv in den Wahlkampf zu tragen und den ressentiment-getragenen Antworten eines Horst Wawrzynski klare Absa-gen zu erteilen. Steffen Juhran

OBM-Wahl in Leipzig

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Dezember 2012

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»Die Spielekultur der DDR ist eigentlich völlig unbeleuchtet«

Links! im Gespräch

Familienleben wird auch von den gesellschaftlichen Um-ständen geprägt. Ein Bereich, an dem das gut nachvollzo-gen werden kann, sind Gesell-schaftsspiele. Martin Thiele (im Bild links) und Michael Geit-hner haben es sich zur Aufgabe gemacht, Gesellschaftsspiele aus ihrer Kindheit zu sammeln und zu bewahren. Ihre Ausstel-lung »Nachgemacht – Spieleko-pien aus der DDR« zeigt Spie-le, die damals nachgefertigt wurden – oft nach westlichem Vorbild. Ihre Premiere erlebte sie im Spielemuseum Chem-nitz. »Links!« sprach mit Mar-tin Thiele (27) über das Projekt und die Spielekultur der DDR.

Herr Thiele, Ihre Ausstel-lung ist noch bis Januar in der Dresdner Johannstadt-halle zu sehen. Wie ist die Idee entstanden?Wir hatten anfangs gar nicht gedacht, dass das alles so weit gehen würde – mit Ausstellun-gen, mit unserem Blog. Das ist während einer Spielerunde aus einer fixen Idee entstanden, als mein Partner und ich über-legt haben, was eigentlich un-sere Eltern damals so gespielt haben. Da haben wir beide festgestellt, dass wir nachge-bastelte Spiele hatten, als wir noch klein waren, zu DDR-Zei-ten. Teilweise waren die auch noch da, und wir haben uns entschlossen, rumzufragen, ob es noch weitere solche Spie-le-Unikate gibt, die in der DDR handgemacht wurden. Wir ha-ben kurzerhand einen Blog ins Leben gerufen und dann inner-halb kurzer Zeit tatsächlich vie-le Zuschriften bekommen.

Sie haben dann angefan-gen, diese Spiele zu sam-meln. Wie viele sind es jetzt insgesamt?Zunächst war noch gar nicht daran zu denken, dass daraus eine Forschung zur Alltagskul-tur der DDR werden würde. Wir wollten mit einer kleinen Sammlung beginnen, vielleicht ein paar Bilder schießen. In-nerhalb kürzester Zeit hatten wir dann einige Spiele zusam-men, und mit den Pressebe-richten kamen immer mehr da-zu. Momentan haben wir 123 Spiele in unserer Sammlung, dazu eine Menge an dokumen-tarischem Material – handge-schriebene Aufzeichnungen über Spiele, Fotos, Audiobei-träge, Videos und sogar eine Stasi-Akte zu einem der Spiele.

Haben Sie die Menschen, die Spiele zur Verfügung

gestellt haben, auch getrof-fen? Es geht ja sicher um ganz persönliche Erfahrun-gen, wenn sogar die Stasi involviert war. Die Spiele sind der Zugang zu den Leuten gewesen. Wir le-gen einen großen Fokus auf die einzelnen Personen, und wir würden über die Spiele gern etwas zu ihrer persön-lichen Geschichte erfahren. Man trifft so zum Beispiel ein junges Mädchen, das damals ein Spiel gebastelt und damit ihre persönlichen Erfahrungen verarbeitet hat. Ein anderer Spieler hat seine gesamte Hei-matstadt auf einem Monopoly-Brett aufgearbeitet. Das geht bis hin zu politisch brisanten Themen, dazu, dass jemand unter anderem wegen eines Spieles bespitzelt worden ist. Die Geschichten der Leute in-teressieren uns in erster Linie, und die versuchen wir auch im-mer auf unserem Blog zu veröf-fentlichen.

„Monopoly“ scheint ja ei-ner der Favoriten gewesen zu sein. Auf jeden Fall. Wir wurden neu-lich in einem Interview gefragt, welches Spiel in der DDR am häufigsten gespielt wurde, und wir mussten halbernst antwor-ten: wahrscheinlich Monopo-ly. Unter den Spielekopien, die wir haben, ist ein überwiegend großer Teil Monopoly-Kopien, vielleicht ein Viertel. Das Inte-ressante ist dabei, dass Mo-nopoly mit den Feldern, den Ereigniskarten eine sehr gute Möglichkeit bietet, ein Spiel auf die eigene Lebensrealität zu münzen. Da haben wir zum Beispiel eine ganz brisante Er-eigniskarte, auf der steht: »Du hast einen politischen Witz ge-rissen. Deswegen musst Du jetzt ins Z3 und den Plan er-

füllen.« Mit Z3 war das lokale Zementwerk gemeint, wo die kurzzeitig Inhaftierten hinka-men. Das Spannende dabei ist, dass das auf wahren Ereig-nissen beruhte – der Nachbar des Bastlers hatte das selbst erlebt.

Monopoly ist ja auch ein sinnbildlich kapitalisti-sches Spiel. Wie erklären Sie sich, dass gerade das so oft nachgebaut wurde?Zu diesem Thema bin ich selbst noch ein bisschen un-entschieden, denn wir wis-sen bis heute nicht, wie die Rechtslage dazu war. Es ist wohl so gewesen, dass das Spiel in mehreren Fällen weg-genommen wurde, wenn es zum Beispiel offen in bestimm-ten Kreisen kursierte, also zum Beispiel bei der NVA. Wir wis-sen auch, dass es ein Einfuhr-verbot dafür gab. Trotzdem ha-ben es die Leute nachgebaut. Das liegt auch daran, dass Monopoly damals ein sehr gu-tes Spiel war – man konnte es zum Beispiel mit vielen Leu-ten spielen. Dass man darin eine Kapitalismus-Sehnsucht erkennen kann, würde ich auf jeden Fall verneinen. Es ist na-türlich naheliegend, dass die-se Frage auftaucht, weil man mit dem Spiel in eine andere Lebensrealität als den Sozia-lismus eintritt. Man muss aber auch sagen, dass man spätes-tens nach dem ersten Mono-poly-Spiel erkennen müsste, dass es eigentlich das beste Lehrstück gegen den Kapitalis-mus ist. Denn am Ende ist es ja ganz so, wie Karl Marx prophe-zeit hat: Einer, der Monopolist, ist reich, und zwar auf Kosten von allen anderen, die bank-rott sind.

Warum ist es für junge

Menschen wichtig, sich mit der (Alltags-)Geschichte der DDR zu beschäftigen?Wir bemerken bei diesem Pro-jekt und auch in der Zusam-menarbeit immer wieder, dass wir ganz vorsichtig sein müs-sen. Wir müssen eine Grat-wanderung zwischen zwei Po-len hinbekommen: Der eine Pol sind Leute, die uns gerne in eine Ostalgie-Schiene drän-gen würden, die andere Sei-te sind diejenigen, die DDR-Bashing betreiben, also immer vom »Unrechtsstaat« reden und sich über den segensrei-chen Kapitalismus freuen, der Monopoly nicht mehr verbie-tet. In diesem Spannungsfeld betrachten wir das Projekt in-zwischen als ein Stück Aufar-beitung von Alltagskultur. Das Thema Spielekultur in der DDR ist eigentlich völlig unbeleuch-tet. Was uns persönlich an-geht, so begeben wir uns sehr gerne in die Rolle der Zuhörer, nicht der Erzähler. Dadurch ha-be ich auch eine ganze Men-ge über meine DDR-Herkunft entdeckt. Es hat also auch ei-ne private Bedeutung für uns DDR-Kinder, die sich an Weni-ges erinnern, aber eben an die Spiele.

Was kann man allgemein zur Spielekultur in der DDR sagen? Die Produktionsbedingun-gen waren relativ schlecht, es wurden Spiele produziert, aber mit einer Qualität, an der man schnell den Spaß verlo-ren hat. Darüber hinaus waren die Spiele relativ simpel. In den 80er Jahren wurden die Spie-le im Westen komplexer, stra-tegischer, aber die DDR blieb auf diesem Feld zurück. Das ist eigentlich komisch, weil die Spieleindustrie in der DDR sub-ventioniert wurde. Einige Spie-

lebastler gaben ihre eigenen Ideen sogar an die Verlage, an die VEB weiter, und erhielten überwiegend ablehnende Ant-worten, etwa weil die Herstel-lung zu kompliziert gewesen wäre. Der Gründer des Deut-schen Spielemuseums, Peter Lemcke, hat die These aufge-stellt, dass die DDR-Führung die Bürger ganz bewusst vom Querdenken abhalten wollte, weswegen man die Entwick-lung von Spielen nicht voran-getrieben habe. Das halte ich für Quatsch, es gibt zumindest keine validen Beweise dafür. Die DDR war sehr gut bei Spie-len mit pädagogischem Hinter-grund, das war sehr wichtig. Freies Spielen wurde weniger stark gefördert. Das Nachma-chen von Spielen war nicht ver-boten, nicht verpönt, ganz im Gegenteil.

Welche Materialien hat man denn zum Nachbau-en verwendet, etwa für die Spielfiguren?Das hing davon ab, zu welchen Materialien die Leute über-haupt Zugang hatten. Wir ha-ben zum Beispiel einen Bastler, der alles aus Aluminium herge-stellt hat, weil er in einer Alu-miniumfabrik gearbeitet hat. Ein anderer hat immer kleine Holzelemente eingebaut, weil er in einer Möbelfabrik tätig war. Ganz interessant ist auch, dass wir zum Teil Materialien entdecken, die wir selbst heu-te gar nicht mehr kennen, zum Beispiel Suralin.

Welche Planungen gibt es für den Fortgang der Aus-stellung? Nach Dresden stehen weitere Museen auf dem Plan, genaue Termine stehen aber noch nicht fest. Im nächsten Jahr wird die Ausstellung auf jeden Fall im DDR-Museum in Berlin zu Gast sein, auch im Spiele-archiv Nürnberg.

Ist eine Publikation zum Thema geplant?Das DDR-Museum in Berlin bringt ein Buch von Michael Geithner und mir heraus, das wird voraussichtlich im März erscheinen. Das ist eher nied-rigschwellig, mit vielen Bildern, Anekdoten, Zitaten, aber auch einigen Fachtexten. Nächstes Jahr werde ich auch meine Pro-motionsarbeit zu diesem The-ma beginnen.

Die Fragen stellten Anja Eich-horn und Rico Schubert. Infos zur Ausstellung gibt es unter www.nachgemacht.de

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Seite 3 12/2012 Links!

... da sucht er seine Freude – der Jägersmann. Man mag zu der »Freude« unterschiedlich stehen. »Die Forsten treu zu he-gen«, kann man nur loben. »Das Wildbret zu erlegen«, mag bei manchen Widerspruch provo-zieren. Als einst die Brüder Ja-cob und Wilhelm Grimm ihre Zeitschrift »Altdeutsche Wäl-der« aus der Taufe hoben, dach-ten sie daran, dass unsere Vor-fahren diese Wälder belebten, mit den Tieren teilten und Ge-fahr wie Lebensquell gleicher-maßen von dort kamen. In den Märchen war der Jäger immer dabei. Er schnitt das Rotkäpp-chen samt Großmutter dem Wolf aus dem Bauch, genau-so wie die Geißlein. Der Wolf plumpste dafür in den Brunnen.

Nicht zuletzt Wälder wie der Hambacher Forst waren den Gebrüdern dafür Vorbild.Neuerdings geht es dort aber anders zu. Da wird plötzlich auf Menschen zur Jagd geblasen. Die Ursache liegt tief unter dem Wald und in zerstörerischer Gier nach Profit. Über Millio-nen von Jahren, vom Menschen unberührt, immer wieder ab-gestorben, untergegangen und von neuem Baumbestand über-wuchert, schlummert der alte Wald als Braunkohle unter der Oberfläche des neuen. Die Kohle ist das Objekt der Begierde. Der Wald ist im Weg. Er ist des-halb schon auf ein Fünftel geschrumpft. Die Menschen, die dort wohnen, wollen darü-ber nicht mehr schweigen und es wollen andere nicht mehr zu-sehen, weil sie erkannt haben, dass damit Schaden angerich-tet wird, den nichts sonst auf-wiegen könnte. Braunkohlege-winnung zerstört Landschaft und verbrennt Heimat im Kraft-werk. Energiekonzernen wie RWE ist das egal. Willfährige

Politiker unterstützen sie. Muti-ge Menschen versuchen es zu verhindern. Sie haben sich des-halb Häuschen in den Bäumen gebaut, fünfzehn Meter hoch oben und höher. Sie haben sich in die Erde eingegraben, sechs, sieben, acht Meter und tiefer. Und sie haben sich eingerich-tet im Wald. Man lebte ein ein-faches, aber schönes Leben – beispielhaft. »Kein n Heller in der Tasche, ein Schlückchen

in der Flasche, ein Stückchen schwarzes Brot.« Die Unterstüt-zung der Anwohnerinnen und Anwohner des Forstes kam da-zu. Es geht auch ohne Braun-kohle. RWE jedoch schickt die Polizei. Die hat die Leute von den Bäumen geholt und aus der Erde gegraben. Die Zer-störer von Natur sind im Recht und die, die sie erhalten wol-len und auf den Frevel aufmerk-

sam machen, haben angeblich 200 Straftaten begangen. Der Mensch wurde des Menschen Wolf, und gerade ist kein guter Jägersmann in Sicht, der die di-rekt aus ihren Betten vom Kapi-talismus Gefressenen schnell wieder aus dessen Bauch be-freit.Verlassen wir also den Wald. Wir haben ja noch die Heide – z. B. die Colbitz-Letzlinger Heide. Dort werden doch tatsächlich

keine Häuser eingeris-sen und keine Bewohner von den Bäumen geholt. Nein, dort wird gebaut. Es wird gebaut um 100 Millionen Euro. Aber was und wozu wird gebaut?

Es wird »Schnöggersburg« ge-baut. Das soll ein Ballungsge-biet werden, sagt ein Spre-cher der Bundeswehr, denn die Bundeswehr ist Bauherr. Un-ter ihrer Hoheit entstehen ei-ne Altstadt, eine Vorstadt, eine Neustadt. Es entstehen Indus-trieanlagen, ein Flugplatz, ein Stück Autobahn, eine U-Bahn, ein Fluss. Von einer Kirche ha-be ich nichts gehört. Ausdrück-

lich wurde jedoch noch auf ein Elendsviertel hingewiesen, wo Menschen »hausen«, wie der Sprecher am 2.11. im MDR ver-meldete. Wozu das Ganze? Blei-ben wir bei dem Wort »hausen«. Mit dem Wort bezeichnet man nicht nur die ärmlichste Art zu wohnen, sondern auch die schlimmste Art, selbst dieses Wohnen unmöglich zu machen. »Sie hausten wie die Vandalen«, findet man dafür als Beleg im Wörterbuch. Wie die Vandalen zu hausen in beliebigen Städten der Welt und selbst die Ärms-ten noch aus ihren Wohnstät-ten zu jagen, das soll dort geübt werden. Wem zum Nutzen? Es kann nur zum Nutzen derer sein, denen alles und auch Wald und Heide zur Ware geworden ist, und die zerstören wollen, wer und was sich ihnen in den Weg stellt. Sie behaupten, den Frieden zu si-chern, indem sie den Krieg vor-bereiten. Das Dümmste, was ich jemals gehört habe, auch wenn es über Jahrtausende überliefert ist!Peter Porsch

oder: Der Irrtum eines AmtsinhabersEs hätte (aus linker Sicht) wirk-lich schlimmer kommen kön-nen. Aber er hatte die Mehr-heit der Wählenden auf seiner Seite: Die Mehrheit der Afro-amerikaner (93 Prozent), der Latinos (71 Prozent), der Asi-aten (73 Prozent), der Frauen (55 Prozent), der Jungen (60 Prozent der 18- bis 29-Jähri-gen) und sogar die Mehrheit der Katholiken (50 Prozent – für Romney stimmten 48 Pro-zent). Der wichtigste und be-deutendste Stimmenanteil für Obama aber kam von den Li-beralen: 86 Prozent.Warum der letzte Anteil, der der Liberalen, am bedeu-tendsten ist? Ganz einfach: Liberal heißt in den USA: ge-bildet, reich, gemischtrassig, elitär und städtisch. Auch die Nachfahren der jüdischen Ein-wanderer aus Ost- und Mit-teleuropa gelten als wichtige Pfeiler des liberalen weltoffe-nen Amerika, das es ja auch gibt. Gott sei Dank! Der Kelch ist also noch einmal vorbei ge-gangen, könnte man meinen. Dem ist aber nicht so.Wer wählte die Republikaner? Die Weißen (59 Prozent), die Männer (52 Prozent), die Seni-oren (56 Prozent bei den über 65-Jährigen), die Protestan-ten (57 Prozent) und die Kon-servativen (82 Prozent). Nicht schlimm? Wer so denkt, liegt

entweder weit daneben und hat keine Ahnung von den USA und ihrer Geschichte – oder ignoriert sie ganz bewusst, wie Obama. Denn die Führung des Landes liegt traditionell in den Händen der WASP – White Anglo Saxon Protestant Male (weiße Englisch sprechende protestantische Männer). Es ist exakt diese Gruppe, die massenhaft auf der Strecke bleibt. Zwar können deren Kin-der noch studieren, aber sie kriegen danach keinen Job wie den, der ihren Eltern – wenn auch keinen Reichtum – so doch ein überaus auskömmli-ches Leben in den weißen Vor-

städten ermöglichte. Die Demokraten haben keine großen Ideen, die der Verlie-rer-Masse eine Zukunft geben könnten. Selbst Obamas Ge-sundheitsreform entstammt einem alten Programm der Re-publikaner – woran diese sich freilich genau so wenig erin-nern möchten wie die (west-deutsche) CDU an ihr sozialis-tisches Programm von Ahlen. Als nach 1994 die gleiche Situ-ation in Südafrika eintrat, flo-hen viele Kinder der ehema-ligen weißen Herrscher aus ihrem Heimatland und nah-men so den Druck aus dem Kessel. Das ist bei den Kin-

dern der weißen amerikani-schen Protestanten jedoch nicht zu erwarten. In Texas, Georgia, Carolina oder Alaba-ma werden nun die Messer gewetzt. Die Waffenlager der Paramilitärs werden ausge-baut, die Prediger in den Kir-chen werden noch mehr auf den Feind einschwören. Die Eltern haben noch das Geld, die Kinder eine Weile durch-zufüttern – doch Obama hat in den weißen konservativen protestantischen Vorstädten keine Anhänger. Dort warten Kugeln auf ihn. Man träumt hier von alten Zeiten, doch die USA befinden sich in einem gi-

gantischen Umbruch. Die Zahl der Weißen nimmt langsam, aber sicher ab, und so ist es überhaupt kein Widerspruch, wenn die Mehrheit der Jun-gen Obama wählte: Die Mehr-heit der 18- bis 29-Jährigen ist nicht weiß, nicht protestan-tisch und (noch) nicht konser-vativ. Es ist aber nicht anzu-nehmen, dass die weiße, von Obama sich verraten fühlen-de konservative Mittelschicht klein beigeben wird. Es wird zu Anschlägen und Rebellio-nen kommen. Geld und Waf-fen sind genügend vorhan-den. Die Republikaner haben auch ihre eigenen Medien, die das Land spalten: Ihr stärks-ter Sender ist Fox News, von dort beziehen sie ihre Nach-richten. Umfragen haben er-geben, dass die Zuschauer von Fox News eine niedrige-re Allgemeinbildung haben als CNN- oder NBC-Zuschauer. Besonders frappierend: Auch die Personen, die überhaupt keine Nachrichten sehen, wis-sen mehr von der Welt als die Fox News-Zuschauer. Man wird also dumm und konser-vativ gesendet und weiß am Ende weniger als vorher. Mit diesen Leuten wird Obama keinen gemeinsamen Nen-ner finden. Die Spaltung des Landes kommt – das Beste ist längst vorbei. Nach seiner Sie-ges-Rede herrschte eisiges Schweigen. Keine Hand rührte sich zum Applaus. Es wird kalt in den USA.Ralf Richter

Die dritte Seite

Obama: „Das Beste kommt noch!“

»Im Wald und auf der Heide ...«

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Doppelzüngigkeit gegenüber Sinti und Roma

Hintergrund

»Des Friedrichs Lügen«

Am 24. Oktober wurde endlich das Mahnmal für die 500.000 Sinti und Roma, die unter der deutschen NS-Herrschaft in Konzentrationslagern und durch Massenerschießungen ermordet wurden, eingeweiht. Ein Mahnmal 67 Jahre nach dem Völkermord! Wovon waren diese 67 Jahre geprägt?Bezogen auf das bundesdeut-sche Establishment – Behör-den, Gerichte, Politik – waren es zunächst eine erschüttern-de Respektlosigkeit gegenüber den überlebenden Opfern und die Leugnung des rassistischen Völkermordes. Sinti und Roma, die aus den KZ zurückkehr-ten, erhielten weder ihr durch die Nazis geraubtes Eigentum zurück, noch wurde ihren An-trägen auf Entschädigung ent-sprochen. Die Begründung der Beamten – mitunter dieselben Personen, die an ihrer Verfol-gung mitgewirkt hatten – lau-tete zumeist, Sinti und Roma seien nicht rassisch Verfolgte, sondern wegen »Asozialität« oder »Kriminalität« ins KZ ver-

bracht worden. Auch die bun-desdeutsche Justiz versagte in diesem Zusammenhang, denn sie bestätigte in allen Instanzen diese diskriminierenden Behör-denentscheidungen. Zwar stell-te der BGH 1963 in einem Urteil fest, dass bei verfolgten Sinti und Roma »im Einzelfall rassi-sche Gründe für die Verfolgung ursächlich gewesen sein kön-nen«. Auf die Entschädigungs-praxis der bundesdeutschen Behörden gegenüber den Sinti und Roma hatte dies zunächst jedoch keine Auswirkungen.Respektvoller – aber gleichfalls nicht ohne Defizite – war der Umgang mit den überleben-den Sinti und Roma in der DDR. Hier erfolgte zumeist unverzüg-lich die Anerkennung als »Op-fer des Faschismus«. Allerdings konnte diese Entscheidung nach den hierfür erlassenen Richtlinien revidiert werden, wenn kein fester Wohnsitz bzw. keine Beschäftigung nachge-wiesen werden konnte oder keine »antifaschistisch-demo-kratische Haltung« bewahrt

wurde. Dem diskriminierungs-freien Zugang der Sinti und Ro-ma zu allen in der DDR existie-renden Bildungseinrichtungen und Berufsfeldern standen Fälle der Behinderung bei der freien Pflege ihrer tradierten Lebensform gegenüber. Eine offizielle Anerkennung der ca. 300 bis 400 in der DDR leben-den Sinti und Roma als – neben den Sorben – zweite nationale Minderheit ist gleichfalls nicht erfolgt. Im April 1990 erkannte die Volkskammer die NS-Ver-brechen an den europäischen Roma als Völkermord an.Eine Veränderung der La-ge in der Bundesrepublik trat erst Anfang der 1980er Jah-re durch eine Intensivierung der Bürgerrechtsarbeit durch die Sinti und Roma selbst, ins-besondere den Zentralrat der deutschen Sinti und Roma, ein. 1982 erkannte die Bundesre-gierung unter Helmut Schmidt den Völkermord an den Sinti und Roma an. Daraufhin setz-te ab 1985 eine Änderung der Entschädigungspraxis gegen-

über den verfolgten Sinti und Roma ein. Für viele Betroffene kam dies jedoch zu spät, nur in etwa 3200 Fällen erfolgte eine Neuentscheidung der Entschä-digungsbehörden. Für das Verhältnis staatlicher Institutionen zu den Sinti und Roma blieben jedoch Tenden-zen der Diskriminierung, der Rechtsverweigerung, der Heu-chelei und der Doppelzüngig-keit weiterhin prägend. Nach wie vor sind Sinti und Roma hierzulande eine zum Beispiel im Bildungsbereich oder auf dem Arbeitsmarkt benachtei-ligte Randgruppe. Bis in die jüngste Zeit wurden durch Justiz- und Polizeibehörden, die zum Teil aus dem »Dritten Reich übernommen Methoden der rassistischen Sondererfas-sung« von Sinti und Roma fort-gesetzt. Unter Bundeskanzler Helmut Kohl wurde nicht nur die Aufnahme eines Minderhei-tenschutzartikels in das Grund-gesetz vereitelt, sondern auch versucht, den Sinti und Roma die Anerkennung als autoch-

thone nationale Minderheit zu verweigern, um sie hierzulande aus dem Anwendungsbereich europäischer Minderheiten-schutznormen auszuschließen. Dieses hinterhältige Ansinnen scheiterte an dem konsequen-ten Widerstand der Dänen, Friesen und Sorben. Auf der Fahrt zur Einweihung des Mahnmals für die ermor-deten Sinti und Roma hörte ich im Radio Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich über den »Asylmissbrauch« durch Ro-ma aus Serbien und Mazedo-nien schwadronieren. In Berlin selbst sah ich wenige hundert Meter vom Mahnmal entfernt, wie die Polizei gegen demons-trierende Asylbewerber vor-ging, darunter auch Roma. Ich hatte das Gefühl, als würde das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma gleich am Tag seiner Einweihung entweiht – durch eine fortdauernde Ten-denz staatlicher Heuchelei und Doppelzüngigkeit gegenüber dieser Minderheit. Heiko Kosel

Ich ärgere mich immer wieder, dass Minister wegen erlogener Doktorarbeiten aus dem Amt fliegen, aber nicht wegen ihrer täglichen Lügen. Dabei wäre Bundesinnenminister Friedrich einer, der wegen der Behaup-tung, aus Serbien oder Mazedo-nien stammende Roma kämen wegen »Asylmissbrauchs« nach Deutschland, aus dem Amt ge-jagt werden müsste. Sein Argu-ment, in diesen Ländern seien Roma »sicher«, daher müssten Serbien und Mazedonien »ih-re Staatsbürger« davon abhal-ten, in die EU auszureisen, sonst entzöge man ihnen die Visafrei-heit, lässt jeden Nazi neidisch werden. Als ich vor 14 Tagen in Serbien war, konfrontier-ten mich die Behörden damit, dass sie sich erpresst fühlen. Die Androhung von EU-Mit-gliedsstaaten wie Deutschland, Schweden und Österreich, die Visafreiheit zu entziehen, wenn weiterhin Roma in die EU strö-men, hat dazu geführt, dass an den serbischen Grenzen abson-derlichste Praktiken eingeführt wurden. Da Roma als Minder-heit in Serbien nicht anerkannt und im Pass nicht als Ethnie ver-merkt sind, schauen serbische Grenzbeamte, wer Roma ähn-lich sieht. Wenn »verdächtige« Familien die Grenze überschrei-ten wollen, werden sie zurück-geschickt – mit dem Argument des Kindeswohles. Obwohl ser-bische Roma wie alle anderen

in Serbien lebenden Bürger das verbriefte Recht haben, seit der Visaliberalisierung ungehindert in die EU zu reisen, gibt es die Lex Roma. Das verstößt gegen EU-Recht, die mit Serbien ge-schlossenen Verträge und das Diskriminierungsverbot. Fried-rich aber ist Einpeitscher sol-cher Lösungen. Er verwies auf die steigenden Asylbewerber-zahlen in Deutschland aus die-sen Ländern. Im September 2012 kamen 1395 Roma aus Serbien und 1040 aus Mazedo-nien – eine Zahl, die kaum von massenhafter Zuwanderung zeugt. Friedrichs These vom Asylmissbrauch fiel auf frucht-baren Boden: Den der NPD. Ich habe in Belgrad ein Roma-Lager besucht. Das Lager, mit-ten in der Stadt, bestand aus Holzkaten, spärlich mit Pap-pe bedeckt, ohne Wasser und Strom, ohne soziale Unterstüt-zung. Die Hütten stehen auf ei-ner Müllhalde. Die dort lebende Familie, Flüchtlinge aus Maze-donien, die Frau hochschwan-ger, lebt von Abfällen. Das Lager wird bewacht von einem Be-amten, der uns verbot, mit den Bewohnern zu sprechen. Sol-che »wilden Lager«, wie sie in Serbien genannt werden, sind überall entstanden, weil Roma aus ihren Wohnungen vertrie-ben wurden oder als Flüchtlinge nach Serbien kamen. Mit Bull-dozern hat die serbische Regie-rung dann zu räumen begonnen,

ohne Ersatz. Daraufhin hat die EU interveniert und Mittel be-reitgestellt, um Häuser zu bau-en. Entstanden sind Container außerhalb Belgrads. Eine sol-che Containersiedlung besuch-ten wir mitten im Nichts, ohne Infrastruktur, abgestellt auf ei-nem Feld. Die Container sehen freilich besser aus als die La-ger in der Stadt. So wunderten wir uns, dass nahezu alle Roma zurück in die Stadt wollen. Der Grund ist, dass sie abseits der Stadt keinerlei Lebensgrund-lage haben. In Belgrad gab es kleinere Arbeiten, und das Be-sorgen von Nahrung aus den Mülleimern gewährte ihnen, we-nigstens nicht zu verhungern.

Ich wusste von meinen Beglei-tern, dass in der Stadt nicht wenig Leute Essensreste drau-ßen ablegen, wohl wissend, dass diese nachts geholt wer-den. Mitten in unser Gespräch platzte ein Mann herein und rief: »Schnell raus hier, der Spit-zel kommt«. Von den Behörden werden Spitzel gekauft, damit sie Leute im Lager melden, die »verbotene Dinge« tun. Mit uns zu reden sei verboten, erzählte er. Alle hätten Angst, gemeldet und vertrieben zu werden.Zukunftschancen hat in den Lagern, egal ob serbische Ro-ma oder Roma aus anderen Ländern Ex-Jugoslawiens, nie-mand. Nach Deutschland ge-

hen, um wenigstens den Winter zu überstehen – ist das Asyl-missbrauch? Der Kern von Asyl-begehren ist es, menschenun-würdigen Lebensbedingungen, die die Existenz des Einzelnen bedrohen, zu entgehen. Gründe dafür sind politische Verfolgung oder existentielle Bedrohung. Letzteres können Roma auf dem Westbalkan für sich reklamie-ren. Statt wegzuschauen, soll-te für den Beitritt dieser Länder in die EU die Roma-Frage eine zentrale sein. Dafür brauchen sie aber Unterstützung statt die Aufforderung zum Bruch von EU-Recht, bevor sie Mitglieder der EU sind. Cornelia Ernst

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Mit einem großem Interview mit Dr. Barbara Höll auf Sei-te 5 gehen wir auf den Oberbürger-meisterwahlkampf in Leipzig am 27. Janu-ar 2013 ein. Bereits am 13. Janu-ar wird in Thalheim gewählt. DIE LINKE in Thalheim nomi-nierte kurz vor Re-daktionsschluss als ihren Bürgermeis-

terkandidaten den parteilosen LINKEN Stadtrat Wolfgang Haehnel.»Wichtig ist für mich,« so Haehnel, »ein gutes Mitein-ander von Stadtrat, Verwaltung und Ge-

werbetreibende, denn nur so können wir etwas in Thal-heim bewegen.Ich wohne seit 1980 in Thalheim und ken-ne das Schöne ,aber auch die Probleme von Thalheim.«

Dialog für SachsenDie Onlinedebatte hat begonnen.

SachsensLinke

Dezember 2012

Ein ganz normaler Vorgang

Mach mit, mach’s nach, mach’s besser……könnte der interne Aufruf und Ansporn für die anste-henden Wahlkämpfe lauten. Dabei sollten alle Genossin-nen und Genossen einbezo-gen werden und nach ihren eigenen Möglichkeiten mit-machen. Wir wollen aber auch Menschen, die uns nahe ste-hen oder DIE LINKE gut finden, für die Wahlkämpfe gewinnen, denn zu keiner anderen Zeit ist die politische Auseinander-setzung in der Gesellschaft so intensiv und somit auch die Möglichkeit, neue Mitstrei-terInnen zu gewinnen. Vie-le Menschen nehmen Partei-en als etwas Abstraktes wahr, wo »die da oben« entscheiden und niemand wirklich was ver-ändern kann. Lasst uns das Ganze vom Kopf auf die Füße stellen und ganz offensiv ums MITMACHEN bei Veränderung werben. Lasst uns Menschen gewinnen, die uns helfend zur Hand gehen, und lasst uns Menschen ansprechen, die Partei ergreifen wollen.Innerparteilich sind wir dafür größtenteils so gut vorberei-tet, wie noch nie. Nun wird es konkret. Wir suchen in den Kreisver-bänden und auf Landesebene

Mitstreiterinnen und Mitstrei-ter, die mitmachen wollen:Beim Hängen und Abhän-gen/Wechseln von Plakaten im ländlichen Raum, bei der Organisation von Veranstal-tungen, beim Verteilen von Wahlkampfmaterialien, bei Aktionen im Zuge des Wahl-kampfes, bei der Betreuung unserer Websites, beim Fin-den von MitstreiterInnen, bei der Durchführung von Telefon-aktionen, bei der Erstellung unserer Materialien, sowohl inhaltlich als auch technisch, beim Bespielen der neuen Me-dien (Blogs, facebook, twitter u.a.), beim Begleiten unseres Wahlkampfes durch die Erstel-lung von Film- und Fotomateri-al und Erledigen von ganz viel Organisationskram im Hinter-grund.Wenn Ihr selbst Lust habt, Auf-gaben zu übernehmen oder Leute kennt, die gern dabei sein wollen, dann redet mit ih-nen, gebt ihnen unsere Kon-taktdaten oder bringt sie am besten mit. Wenn Ihr nicht aktiv am Wahl-kampf teilnehmen könnt, dann würden wir uns über logisti-sche, aber auch finanzielle Un-terstützung von Euch freuen.

Habt Ihr im ländlichen Raum ei-ne Datsche, die wir für die Un-terbringung von Wahlkämpfe-rInnen nutzen können? Könnt Ihr Euch vorstellen, mal für ei-nen Tag Wahlkampftrupps zu versorgen? Kennt Ihr Menschen in un-serem Umfeld, die uns mit Wahlkampffahrzeugen weiter-helfen können, die in Tagungs-objekten oder mittelständi-schen Unternehmen arbeiten?Auch solche Hinweise und An-gebote Eurerseits helfen uns weiter. Zumal wir im Gegen-satz zu allen anderen Partei-en nicht durch Unternehmen und Konzerne finanziell unter-stützt werden - das ist auch gut so. Eure Kreisgeschäftsstellen, aber auch die WahlFabrik in Dresden sind dafür Ansprech-partnerInnen. Und nicht nur organisato-risch stehen wir in den Start-löchern. Mit dem »Dialog für Sachsen« versuchen wir ne-ben den klassischen Formen des Wahlkampfs in der unmit-telbaren Zeit vor den Land-tagswahlen ein beteiligungs-orientiertes Angebot für die Bürgerinnen und Bürger zu schaffen. Dies soll verschie-

dene Möglichkeiten eröff-nen, Menschen in die Debatte um die politische Gestaltung Sachsens zeitnah einzubezie-hen. Das ist eine Neuerung, denn anders als in der Ver-gangenheit wollen wir diesmal nicht einfach den Menschen in Sachsen die inhaltlichen Angebote fertig präsentieren, sondern mit ihnen zusammen erarbeiten. Dieses Dialogangebot wird sich auch zentral im Wahl-kampf wiederfinden, als Slo-gan, Angebot und Mitmach-möglichkeit. Schon jetzt könnt ihr beim Dialog für Sachsen (www.dialog-fuer-sachsen.de) mitdiskutieren und vor allem Freunde und Be-kannte dazu einladen. Ab Fe-bruar werden wir zu verschie-denen Themen auch Aktionen im Rahmen des Dialogs durch-führen. Ab 1. Januar findet ihr auf www.diel inke -sachsen.de Mitmachangebote, und ab diesem Zeitpunkt wird auch das Wahlkampfpferd sein Un-wesen treiben und vieles noch konkreter werden.Antje Feiks, Landeswahl-kampfleiterin, Lars Kleba, Wahlkampfmanager

Die schwarz-gelbe Bundesre-gierung hat etwas gegen Ar-mut und Ungerechtigkeit in Deutschland. Sinkende Löh-ne und schwindenden sozia-len Zusammenhalt mag sie gar nicht! Deshalb geht die Regie-rung Merkel dagegen vor. Das scheint sehr löblich.Aber so ist es nicht ganz. Denn diese Regierung geht die Prob-leme gar nicht in der Wirklich-keit an. Sondern sie überar-beitet einfach ihren jährlichen Armuts- und Reichtumsbericht. Ein Beispiel gefällig? Im Entwurf hieß es: »Während die Lohnent-wicklung im oberen Bereich po-sitiv steigend war, sind die unte-ren Löhne in den vergangenen zehn Jahren preisbereinigt ge-sunken. Die Einkommenssprei-zung hat zugenommen.« Diese verletze »das Gerechtigkeits-empfinden der Bevölkerung« und könne »den gesellschaft-lichen Zusammenhalt gefähr-den«.In der neuen Fassung ist das al-les schöner, denn da heißt es stattdessen: sinkende Reallöh-ne sind »Ausdruck struktureller Verbesserungen« am Arbeits-markt.Zwei Sachverhalte werden dar-an deutlich. Erstens: diese Bun-desregierung beurteilt z.B. sin-kende Löhne als notwendig und richtig. Sie seien strukturelle Verbesserungen im Standort-wettbewerb. Zweitens: dieser Bundesregierung ist klar, dass genau das möglichst wenige bemerken sollen. Daher schönt sie den Bericht.Das neoliberale Perpetuum mo-

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Seite 2Sachsens Linke! 12/2012

Meinungen Glosse

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der Linken in SachsenHerausgeber: DIE LINKE. SachsenVerleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wie-der. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Re-daktionssitzungen bitte erfra-gen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Aufla-

ge von 16050 Exp. gedruckt.Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Ralf Richter, Stathis SoudiasBildnachweise, wenn nicht ge-sondert vermerkt:Archiv, iStockphoto, pixelioInternet unter www.sachsens-linke.de

Kontakt: [email protected]. 0351-8532725Fax. 0351-8532720

Redaktionsschluss 26.1012012Die nächste Ausgabe erscheint am 31.1.2013.

Von Stathis Soudias

Anja Oehm Come Together – was für ein linkes Poten-tial in Ost und West!Auch 2012 ist uns im Kreis-verband Sächsische Schweiz-Osterzgebirge wieder eine starke Ost-West-Begegnung gelungen. Im Oktober besuch-ten uns fünf GenossInnen und SympathiesantInnen der Part-ner-Linken aus Reutlingen (Baden-Württemberg). Neben gemeinsamer Schulung un-serer Kommunalpolitiker und Besichtigungen der Gedenk-stätte Sonnenstein sowie der Festung Königstein saßen wir wieder abendelang zusam-men und hörten einander zu. Wir stellten fest: Die West-Lin-ke definiert sich über die Be-wegungen, die Ost-Linke über Parlamente und Vereine. Was uns alle miteinander verbin-det, ist der Wille, gegen diese unsoziale Gesellschaft aufzu-begehren, und sie zu verän-dern. Einige unserer Reutlinger Ge-nossInnen berichteten von ihrem Werdegang über DKP, SPD, Grüne. Sie waren Sozi-alarbeiter oder Anwalt, einer hatte für seine Gesinnung mit Haft bezahlt. Heute, sozial ab-gesichert, könnten sie sich zu-rücklehnen, ihre Altersteilzeit oder Rente genießen. Aber nein, sie sind bei der LINKEN aktiv. Hier ist uns bewusst ge-worden, welch große Hoff-nung diese MitstreiterInnen mit unserer Partei verbinden, und welch Riesen-Verantwor-tung wir tragen, diese nicht zu enttäuschen. Da hat einer ein Leben lang gekämpft, nie auf-gegeben, hat tief enttäuscht wegen der Agenda 2010 oder der Bomben auf Belgrad sei-ner damaligen Partei den Rü-cken gekehrt. Er sagte sich: das kann’s noch nicht ge-wesen sein und kam zu uns. Welch ein großes Potential ha-ben wir in diesen erfahrenen, klugen, kämpferischen Men-schen!

Wilfried Trompelt aus Dresden Europa ja, aber anders

Der ver.di-Ortsverein Dres-den hatte Anfang November Heiko Kosel, MdL und Spre-cher für Europa-, Friedens- und Minderheitenpolitik in der

Uwe Schnabel aus Cos-wig zu »10 Jahre Afgha-nistankrieg - Einblicke und Ausblicke« (Links! 11/2012, S.4)

Selbst der damalige Bundes-präsident Köhler musste zuge-ben, dass die Bundesregierung in Afghanistan wirtschaftliche und machtpolitische Ziele ver-folgt. Da ist es kein Wunder, wenn die angeblichen Ziele nie angestrebt und somit auch nicht erreicht wurden. Dass die Bundeswehr gegen den Willen der BRD-Bevölkerung in Afghanistan ist, zeigt außer-dem, dass auch bei uns keine Demokratie (Herrschaft der Bevölkerung) erreicht ist. Kriti-sche Parlamentsdebatten die-nen da nur als Feigenblatt. Alle aufgezeigten Probleme lassen

Rita Kring aus Dresden zu »Ein neues Vergabege-setz« (Links! 11/2012, S.1) und »Vergabegesetz wird novelliert« (Kommunal-In-fo 9/2012, S.3f.) Ohne breiten öffentlichen Druck haben weder der Ent-wurf von LINKEN und SPD, noch der Entwurf von Bündnis 90 / Die Grünen eine Chance. Glücklicherweise setzen sich aber viele Menschen schon seit vielen Jahren für eine fai-re öffentliche Beschaffung ein. Dies geschieht teilwei-se innerhalb der Kampagne »Sachsen kauft fair!«, teilwei-se aber auch von anderen Gruppen oder Einzelpersonen in Zusammenarbeit mit dieser Kampagne. Trotz fehlenden Landesgesetzes, aber unter Berufung auf entsprechende Regelungen im EU- (Richtlini-en 2004/17/EG (Art. 38) und 2004/18/EG (Art. 26)) und Bundesrecht (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 2009), wurden so in vie-len Kommunen, z.B. in Leipzig, Chemnitz, Zwickau und Dres-den, entsprechende Beschlüs-se gefasst und teilweise be-reits umgesetzt. Aktuell kann z.B. auf http://www.sachsen-kauft-fair.de/ bis zum 15. De-zember 2012 eine Petition für ein neues Vergabegesetz, das Arbeits- und Menschenrechte sowie Umweltstandards be-achtet, unterstützt werden.

Regina Schulz aus Dresden zu »Umfairteilen«: Starke Aktion, in Sachsens Linke 11/2012Zum Beitrag von Tilo Kieß-ling möchte ich folgendes er-gänzen: Ziel des bundeswei-ten Bündnisses »Umfairteilen – Reichtum besteuern« sind nicht nur eine dauerhafte Ver-mögensabgabe und eine ein-malige Vermögenssteuer, son-dern auch der konsequente Kampf gegen Steuerflucht und Steueroasen sowie eine Steu-er auf Finanzmarktgeschäfte. Damit sollen öffentliche und soziale Ausgaben finanziert und die weltweite Armut be-kämpft werden. Die reichsten zehn Prozent der Deutschen verfügen über mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens, das ca. 10 Billionen Euro be-trägt, der unteren Hälfte der Haushalte bleibt gerade mal ein Prozent. Attac Deutschland als einer der Akteure des Bündnisses hatte seine Regionalgruppen darin bestärkt, vor Ort eigene Aktionsbündnisses zu grün-den. Attac Dresden, wo ich mitarbeite, knüpfte daraufhin Kontakte zur örtlichen GEW, zu ver.di sowie zur Montags-demonstration, und mehrere Mails gingen auch an Tilo Kieß-ling. Leider konnten wir uns nicht auf eine gemeinsame Aktion einigen, was wohl dar-an lag, dass auch im bundes-weiten Bündnis keine einheit-liche Position hinsichtlich der Einbindung von Parteien be-steht. Da das Bündnis fortge-führt werden soll, besteht die Möglichkeit, bei weiteren Ak-tionen gemeinsam zu agieren.Attac Dresden und die genann-ten Partner veranstalteten am 29.09.12 eine Kundgebung am Dr.-Külz-Ring mit etwa 100 Teilnehmern. In mehreren Re-debeiträgen und mit einer Bo-denzeitung warben wir damit für die Forderungen des Bünd-nisses.

Fraktion DIE LINKE, zum The-ma »Europa sozial begründen« eingeladen. Wir diskutierten, was Gewerkschaften für die Gestaltung eines sozialen Eu-ropas tun müssen. Seine Ant-wort fußte auf konkreten Er-fahrungen im Dreiländereck, wo es auf die grenzüber-schreitende Solidarität der Arbeitnehmer ankommt. Mit dem Internationalen Gewerk-schaftsrat Elbe-Neiße (IGR) gibt es ein Gremium, in dem sich der DGB Sachsen mit Ge-werkschaftern der Solidar-nosc aus Niederschlesien und vom CMKOS aus Nordböh-men über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen aus-tauscht. Es stehen zahlreiche Fragen auf der Tagesordnung, die nur gemeinsam gelöst werden können. Dazu gehö-ren der Kampf um Mindestlöh-ne (die es in Polen und Tsche-chien schon gibt), der Umgang mit Fördermitteln von der EU oder die Schaffung eines eu-ropäischen Arbeits- und So-zialrechts. Das Potential der Gewerkschaften im Dreilän-dereck noch besser auszunut-zen erfordert aber dringend, die Kräfte der verschiedenen Strömungen in konkreten Ak-tionen zu vereinen. Ein ge-meinsames Europa braucht gerade hier in einer Kernregi-on in der Mitte des Kontinents einen starken sozialen Integ-rationsprozess.

sich nur mit dem vollständigen Abzug der Bundeswehr aus Af-ghanistan lösen. Wenn dies nicht durch einen Parlaments-beschluss geschieht, müssen die Soldat(inn)en den Einsatz verweigern. Darauf sollte auch bei den Trauerfeiern immer wieder hingewiesen werden. Außerdem ist die Bundesre-gierung für den Ausgleich der von ihr in Afghanistan verur-sachten riesigen Schäden, nicht nur für die deutschen Soldat(inn)en, verantwortlich.

bile funktioniert weiter. Wurden Anfang des Jahrtausends Lohn-senkungen (geschönt: »Lohn-zurückhaltung«) hierzulan-de damit begründet, dass die deutsche Wirtschaft ansonsten nicht mehr wettbewerbsfähig sei, wirkt nun genau diese Tat-

sache genau so auf die umge-benden europäischen Länder

und treibt deren Bevölkerung in den Ruin.Margaret Thatcher sagte einst: »So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht!« Wird der neoliberalen Politik nicht Einhalt geboten, könnte dieser Satz auf furcht-bare Weise wahr werden.

Fortsetzung von vorheriger Seite

Die Nachricht platzte während der Beratung der »Geldgeber« von EU und IWF. Nachdem drei vorhergehende Beratungen ohne Beschluss vertagt wer-den mussten, haben die »Wei-sen« sich schnell geeinigt. Grie-chenland soll in Tranchen etwa 44 Milliarden »Hilfe« erhalten, wenn das Land den eingeschla-genen Weg weiterhin konse-quent verfolgt.Um das mal zu verstehen: Nach drei Kürzungen der Löhne, Ge-hälter und Renten; nachdem die Rentnerinnen keine kosten-lose Medikamente mehr erhal-ten; nachdem das Land in den vergangenen zwei Jahren seine Ausgaben um 140 Milliarden ge-kürzt hat; nachdem die Arbeits-losigkeit die 25 Prozent Marke überschritten hat, wobei die der unter 25Jährigen schon auf 55 Prozent angestiegen ist; nach-dem die Wirtschaftsleistung des Landes im vergangen Jahr sich um 16 Prozent verringerte, haben unsere Freunde immer noch keine Lust, den Hellenen zu helfen. Bis gestern. Mitten in der, nunmehr vier-ten, mitternächtlichen Sitzung, platzte die Nachricht wie eine Bombe: Der größte Bordellbesit-zer des Landes hat Konkurs an-gemeldet. Das hat Finanzminis-ter, IWF und Gefolge alarmiert, das ging zu weit, die Grundsäu-len der westlichen Zivilisation waren in akuter Gefahr. Und so kam es, gegen den Willen der Kanzlerin, ... Also jetzt muss ich das erklären: Die Kanzlerin der Bundesrepublik ist ja Phy-sikerin. Und weil sie von Finan-zen keine Ahnung hat, hat sie sich eine kompetente Berate-rin ins Kanzleramt geholt: Die schwäbische Hausfrau in Ge-stalt eines als Transvestiten ver-kleideten Rollstuhlfahrers. Von dessen Qualifikation hat schon der Dichter gesagt: »Jurist und im Übrigen vom mäßigen Ver-stand«! Die Kanzlerin also ver-kündet mittels schwäbischer Hausfrau, dass kein Schulden-schnitt möglich ist. Nicht vor den Wahlen. Billigte deswegen widerwillig, dass auch die Bun-desrepublik auf ihren Gewinn, den sie für die Kreditvermittlung gen Griechenland verdient, ver-zichtet; Kredite, die Helles auf-genommen hat, um die Töchter der deutschen Banken zu ret-ten... Ja, ich weiß, es klingt kom-pliziert, ist es auch. Deswegen wiederhole ich noch mal, was ich vor einem Jahr schon pro-phezeit habe: Griechenland wird wie eine Zitrone ausgequetscht, Großaktionäre, Banken, Versi-cherungen werden ihre Dividen-den ins Unermessliche steigern und der deutscher Steuerzahler wird doch zur Kasse gebeten. Kommt es anders, ist der Kapi-talismus tot.

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Seite 3 12/2012 Sachsens Linke!

Am 27. Januar 2013 wählt Leipzig ein neues Stadtober-haupt. Für die LINKE geht er-neut Barbara Höll, Bundes-tagsabgeordnete aus Leipzig, ins Rennen. »Links!« sprach mit der promovierten Philoso-phin über ihre Motivation und darüber, was sie in den kom-menden sieben Jahren für ihre Stadt erreichen will.

Frau Höll, in drei Sätzen: Warum sollten die Leipzige-rinnen und Leipziger Ihnen ihre Stimme geben?Ich bin Leipzigerin mit Herz und Verstand und weiß um die Sor-gen und Nöte der Menschen unseres Leipzigs. Seit über dreißig Jahren lebe ich in Leip-zig und teile somit viele Erfah-rungen, die gesellschaftlichen Umbrüche und bin mir der Pro-bleme der Menschen vor Ort bewusst. Es ist Zeit für einen Wechsel, hin zu einer Politik, die die Bürger und Bürgerinnen mit ihren Sorgen aber auch ih-ren Vorschlägen endlich wieder ernst nimmt. Mein Stil: zuhö-ren, beraten, entscheiden und handeln. Gemeinsam entschei-den, wohin wir wollen und da-nach anpacken und umsetzen.

Schon Ihrer Kampagne ist sehr Dialog orientiert. Wie geht das weiter?Ein erster Schritt wäre, die Kompetenz der Stadtbezirks-beiräte zu stärken, indem sie mit den Ortschaftsräten recht-lich gleichgestellt werden. Denn hier entscheiden die Bür-gerinnen und Bürger über je-ne Anliegen, die sie selbst be-treffen. Zweitens werde ich als Oberbürgermeisterin gemein-sam mit dem Stadtrat Bürge-rentscheide zu strategischen Fragen initiieren. Der Bürge-rentscheid vor knapp fünf Jah-ren gegen die Privatisierung der Stadtwerke hat gezeigt, dass die Menschen sich für die Belange ihrer Stadt interessie-ren und mitbestimmen wollen. Als Oberbürgermeisterin wer-de ich mehrmals im Jahr in je-dem Stadtbezirk präsent sein, um Projekte und Unzulänglich-keiten im Stadtteil selbst in Au-genschein zu nehmen.

Leipzig ist eine klamme Kommune, das schränkt den Handlungsspielraum ein. Wie wollen Sie Akzente setzen, die über die Verwal-tung des Mangels hinaus-gehen?Leipzig ist einerseits eine Stadt mit einem hohen Schulden-stand – mehr als 700 Millionen Euro –, anderseits eine Stadt mit einem Vermögen von etwa 3,4 Milliarden Euro. Wir hatten und haben seit 2011 eine recht gute Einnahmesituation, das schafft Handlungsspielräume. Einige Probleme werden wir je-doch nicht aus eigener Kraft lösen können. Deswegen sind neue und frische Ideen gefor-

dert, die es mit den Menschen vor Ort zu entwickeln gilt. Die Rede von einer Neuord-nung der kommunalen Aus-gleichssysteme durch den Bund ist mittlerweile ein Allge-meinplatz, sie ist jedoch not-wendiger denn je. Verweigert sich die Bundesregierung hier weiter, handelt sie grob fahr-

lässig und gefährdet die Hand-lungsfähigkeit der Kommunen – auch die von Leipzig.

Vor kurzem hat die Böck-ler-Stiftung eine Studie über die ärmsten Großstäd-te Deutschlands veröffent-licht, und Leipzig hat er-neut einen unrühmlichen Spitzenplatz eingenom-men. Ein Viertel der Bevöl-kerung lebt am oder unter dem Existenzminimum. Ist man als Oberbürgermeiste-rin nicht relativ hilflos? Das ist ein Problem, für das wir als Stadt nicht allein ver-antwortlich sind. Aber in je-der Kommune bestehen Mög-lichkeiten, gegenzusteuern. Ich werde eine verlässliche Richtlinie zur Berechnung der Kosten der Unterkunft [für Hartz-IV-Betroffene, d. Red.] vorlegen. Die LeipzigPassMo-bilCard sichert Mobilität auch für einkommensarme Men-schen. Darüber hinaus werde ich jedoch neue Modelle der Preisgestaltung mit den Leip-ziger Verkehrsbetrieben und mit dem Mitteldeutschen Ver-kehrsverbund diskutieren. Die Ticketpreise in Leipzig sind derzeit eindeutig zu hoch. Drit-tens brauchen Arbeitslose die Chance auf einen Job, und zwar zu vernünftigen Löhnen. Die von Ihnen genannte Studie

belegt zudem eindeutig, dass Arbeit keine Garantie dafür ist, frei von Armut zu leben. Des-wegen geht kein Weg an Min-destlöhnen vorbei.

Das Thema KiTa-Plätze steht ziemlich hoch auf der Agenda vieler Leipziger Fa-milien. Hier steuern wir auf

ein Problem zu, zumal es ab August 2013 einen Rechts-anspruch auf einen KiTa-Platz geben wird. Leipzig hat eine niedrige Be-treuungsquote bei bis zu 3-Jäh-rigen. Die Bauvorhaben für Kitas werde ich als Oberbür-germeisterin so schnell als möglich umsetzen. Die der-zeitige Planung reicht da nicht aus. Daher muss dringend ei-ne Sonderarbeitsgruppe »Kita« gebildet werden, um den Miss-stand zu beseitigen.Darüber hinaus sollte der An-teil der Plätze in kommunaler Trägerschaft, bei dem Leipzig weit hinter anderen sächsi-schen Großstädten liegt, wie-der beträchtlich erhöht wer-den. Es sind aber auch Mittel nötig, um vorhandene Kitas zu sanieren. Das darf nicht unter den Tisch fallen, sonst droht der nächste Investitionsstau.

Letztlich hängt also wieder vieles am Geld. Momentan schiebt Leipzig mehr als 700 Millionen Euro Schul-den vor sich her. Wo und wie soll man da anfangen?Selbstverständlich brauchen wir ein Entschuldungskonzept. Aber Schuldenfreiheit ist kein Wert an sich. Wir brauchen ebenso Spielraum für notwen-dige Investitionen. Unterblei-ben diese, entstehen neue

Lasten für zukünftige Genera-tionen. Nicht die Entschuldung darf der zentrale Wert sein, sondern gute Bildung für Kin-der und Jugendliche sowie eine vernünftige Infrastruktur. Auch finanzpolitisch ist es unerläss-lich, Leipzigs mittelständige Wirtschaft zu stärken. Es muss gelingen, Leipzig finanziell wei-testgehend auf eigene Füße zu stellen. Die Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können. Dann fließen auch Einnahmen in den städtischen Haushalt, von denen wir dann die öffent-lichen Aufgaben finanzieren können.

Sie sind Steuerexpertin der Bundestagsfraktion. Kann Ihre parlamentarische Tä-tigkeit Ihre Arbeit als Ober-bürgermeisterin berei-chern?Natürlich. Ich bin im Bundestag im Finanz- und im Haushalts-ausschuss tätig, kein Kämme-rer wird mich vor sich hertrei-ben. Als Oberbürgermeisterin werde ich nicht mehr hinneh-men, dass Mittel, die vom Bund für die kommunale Aufgaben-erfüllung bereitgestellt wer-den, von der sächsischen Re-gierung nicht in voller Höhe an die Städte und Gemeinden durchgereicht werden.

Das liegt vielleicht auch daran, dass Leipzig einen SPD-Oberbürgermeister hat und die CDU hier weni-ger Einfluss ausüben kann. Deren Kandidat für das Amt, Ex-Polizeipräsident Horst Wawrzynski, ist bis-her vor allem mit seinem Versuch aufgefallen, die Anti-Drogen-Politik der Stadt zu beeinflussen.Sicherheit ist wichtig, aber nur ein Teil der Gesamtaufgabe ei-nes Oberbürgermeisters bzw. einer Oberbürgermeisterin. Die städtischen Angebote der Suchthilfe sind fachlich über-regional geachtet. Die Instru-mentalisierung von Ängsten, wie sie die CDU diesbezüglich mit ihrer Law- and Order-Po-litik zuweilen betreibt, lehne ich ab. Es war im Übrigen der Polizeipräsident Horst Wawr-zynski, der den Stellenabbau bei der Leipziger Polizei befür-wortet und umgesetzt hat. Der-zeit fehlen etwa 170 Polizistin-nen und Polizisten auf Leipzigs Straßen. Ab nächstem Jahr werden es noch weniger sein.

Rechnen Sie im Januar mit einem zweiten Wahlgang?Ich gehe fest davon aus, dass keiner der Kandidierenden im ersten Wahlgang die absolu-te Mehrheit erreichen wird. Ich werde in Kenntnis des Aus-gangs der ersten Runde und in Abstimmung mit der LINKEN entscheiden, wie ich dann agie-ren werde. Die Fragen stellten Rico Schu-bert und Kevin Reißig.

»Nicht Entschuldung ist der zentrale Wert, sondern gute Bildung«

Die Leipziger OBM-Kandida-tin der Partei DIE LINKE hat am 26. November ihr Wahlpro-gramm vorgestellt. Dr. Barba-ra Höll unterstrich ihren An-spruch: »Ich möchte die erste Oberbürgermeisterin in der Geschichte Leipzigs werden.« In öffentlichen Stadtteilforen und Diskussionsrunden hat die Kandidatin mit den Bürge-rinnen und Bürgern den Ent-wurf des Wahlprogramms dis-kutiert. »Das Ergebnis dieser Dialogphase ist ein alternati-ves Programm für die Politik unserer Stadt. Der enorme Rücklauf hat mich in meiner Kandidatur gestärkt,« so Höll. Im Programm fordert sie unter anderem Schluss mit Niedrig-löhnen, Armut bei Kindern und Rentnerinnen und Rentnern. »Die Zeit der Großansiedlun-gen ist vorbei, jetzt ist Kärr-nerarbeit bei der Stärkung der regionalen Wirtschaft ge-fragt.« Dazu hatte bereits am 17. November die Leipziger LINKE auf einem Stadtpartei-tag nach einem fast zweijäh-rigen Diskussionsprozess das Positionspapier »Linke Mittel-standspolitik in Leipzig« ver-abschiedet. Das Wahlprogramm listet zahl-reiche konkrete Maßnahmen zu den vier Themenbereichen Solidarstadt, Wirtschafts-stadt, Bürgerstadt und Kultur-stadt auf. Einen Vorschlag stellt Dr. Bar-bara Höll besonders heraus. »Die Stadt schlägt aktuell vor, Kinder und Jugendliche bis zum 19. Lebensjahr freien Ein-tritt in die Museen zu gewäh-ren. Wir sind eine Kulturstadt, daran gibt es keinen Zweifel. Aber gehört nicht auch der Sport dazu? Als Oberbürger-meisterin werde ich allen Kin-dern und Jugendlichen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr ei-ne kostenlose Mitgliedschaft in Sportvereinen ermögli-chen.« Zudem stellte Dr. Bar-bara Höll die Wahlkampfplaka-te vor, die die OBM-Kandidatin als dialogbereite Bürgerin auf Augenhöhe zeigen. Stadtver-bandsvorsitzender Dr. Volker Külow erläuterte den Finanz-plan des OBM-Wahlkampfs seiner Partei einschließlich der Spendeneinnahmen und der Unterstützung durch Bun-des- und Landespartei. www.obm2013.de Skadi Jennicke

Höll stellt Wahlpro-gramm vor

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Seite 4Sachsens Linke! 12/2012

Zahlen oder nicht zahlen – das ist keine Frage mehr

Soziales

Nicht lange fackeln – Nazis blockieren!

Mit kollektiver Klugheit gegen Kriminalisierung von Anti-Nazi-Protest in Dresden Die europaweit größten Nazi-aufmärsche in Dresden schei-nen zurzeit Geschichte zu sein. Dazu hat zivilgesellschaftli-cher Widerstand geführt, der die Justiz auf den Plan rief. Die-ses Kapitel ist noch nicht ab-geschlossen, auch wenn das Amtsgericht das Verfahren gegen André Hahn wegen der Blockade 2010 ohne Auflagen und auf Kosten der Staatskas-se eingestellt hat. 2010 war die Lage überschau-bar: Es standen 12.000 Men-schen rund um den Bahnhof Dresden-Neustadt, mit dem Effekt, dass die Nazis keinen Meter marschieren konnten. Die Polizei forderte die Nazi-Gegner nicht auf, die Straßen freizugeben, und die Staatsan-waltschaft dachte sich zwecks Eingrenzung von Strafverfol-gung scheinbar Schlaues aus: Man griff die vier Fraktions-vorsitzenden der LINKEN her-aus, den Sachsen, den Thürin-ger und die beiden aus Hessen, schließlich gab es die »öffent-liche Fraktionssitzung unter

freiem Himmel« auf der Hansa-straße … Das »Angebot«: Ihr lasst euch als verantwortlich für die rechtswidrige Verhinderung ei-ner angemeldeten Versamm-lung erklären, und wir stellen gegen Zahlung von 500 Euro das Verfahren ein. Das »An-gebot« wurde nicht angenom-men, weil im Schreiben der Staatsanwaltschaft teilweise Unrichtiges stand (die Polizei habe zum Gehen aufgefordert) und weil es eine Anmaßung ge-wesen wäre, so zu tun, als hät-

ten vier LINKE zwölftausend Leute dirigiert. Im Jahr 2011 war die Ausgangs-lage vertrackter. Mittlerweile hatte das Verwaltungsgericht den, salopp gesagt, blockade-freundlichen Polizeieinsatz für unzulässig erklärt. Das säch-sische Innenministerium kam seiner Fürsorgepflicht für die Polizei nicht nach und ging nicht in Berufung. Stattdessen wurde von den Sicherheitsbe-hörden eine härtere Gangart gegen Gegendemonstranten für den 19. Februar 2011 an-

gekündigt. Die Polizei konzen-trierte sich darauf, Nazigegner vom Erreichen der geplanten Nazi-Marschroute abzuhalten. Diejenigen, die trotz Polizei-sperren ihren Protest gegen die Nazis in Sicht- und Hör-weite zum Ausdruck brach-ten, wurden von der Polizei aufgefordert zu verschwinden, andernfalls begingen sie ei-ne »Ordnungswidrigkeit«. Im Nachgang wurden Hunderte Menschen mit Verfahren über-zogen. Das »Angebot« zur Ein-stellung des Verfahrens gegen

Zahlung einer Geldauflage nah-men die einen an, die anderen wiesen es zurück. In wechsel-seitiger Abstimmung und im Einvernehmen. Denn es nicht sinnvoll, sich in Hunderten von Verfahren zu verstricken; die Klugheit gebie-tet, sich auf Musterprozesse zu beschränken. Diese führen – mit solidarischer Unterstüt-zung nicht nur der Landtags- bzw. Bundestagsfraktion – z.B. Falk Neubert, Klaus Bartl, Ca-ren Lay und Michael Leutert. Zweitens ist festzuhalten, dass die Polizei von einer Ordnungs-widrigkeit sprach, die Staats-anwaltschaft nun aber eine Straftat sieht, das passt nicht zusammen. Aber auch eine Ordnungswidrigkeit würde et-was kosten, was jeder Falsch-parker aus eigener Erfahrung weiß. So haben u. a. Annekat-rin Klepsch und Rico Gebhardt ihre Geldauflage bezahlt. Nicht ohne darauf hinzuweisen, was sie von diesen Verfahren der Staatsanwaltschaft halten: nämlich nichts. 2012 kamen die Nazis wieder nicht zum Zug, diesmal von LINKEN bis CDU gemeinsam in die Schranken gewiesen. Ohne Ärger mit Polizei und Staatsan-waltschaft. Deshalb sollte die juristische Farce aus den Vor-jahren möglichst bald unauf-geregt zu Grabe getragen wer-den. Marcel Braumann

So lautet der Titel des Aufrufs, den das Bündnis »Nazifrei! - Dresden stellt sich quer« ver-öffentlicht hat, um für die Be-teiligung an den Vorhaben des Bündnisses am 13. Februar 2013 in Dresden zu werben. Denn es gilt, wie in den Jahren zuvor, sich dem sogenannten »Trauermarsch« der Vertreter der Ideologie der Ungleichwer-tigkeit, der alten und neuen Na-zis, Geschichtsrevisionisten und Revanchisten in Dresden mit möglichst vielen Menschen entgegen zu stellen. Dabei dürfte dem Bündnis auch der Aufwind zugute kommen, den es durch die Auszeichnung mit dem Sächsischen Förderpreis für Demokratie Anfang Novem-ber erfahren hat.Mit einer Aktivierungskonfe-renz startete das nun verstärkt regional aufgestellte Bündnis »Nazifrei! - Dresden stellt sich quer« am 12. Oktober 2012 die Mobilisierungskampagne für den Februar 2013. Der Presse-

sprecher des überparteilichen Bündnisses Silvio Lang fasst die Konferenz mit den Worten zusammen: »Wir betrachten die Aktivierungskonferenz als Auftakt für die Kampagne 2013 und bereiten uns bereits jetzt auf alle möglichen Szenarien vor. Wir laden besonders die Menschen in und um Dresden ein, bei dem geplanten Nazi-aufmarsch im Februar 2013 mit uns gemeinsam auf die Straße zu gehen und diesen zu blockie-ren«.Im Aufruf heißt es: Auch nach den erfolgreichen Blockaden der letzten Jahre gilt es weiterhin, aufmerksam zu bleiben. Das Bündnis »Nazifrei! - Dresden stellt sich quer«, wird wieder einschreiten, falls Na-zis am 13. Februar 2013 erneut versuchen, die NS-Geschichte zu verklären. Bisher wurden die Kampagnen umfassend euro-paweit unterstützt. 2013 liegt die Verantwortung mehr denn je in Dresden. Unsere Strate-

gie bleibt dabei das Erfolgskon-zept der Blockade. Umfragen (DNN, 19.6.12) zeigen: Die gro-ße Mehrheit der Stadtbevölke-rung befürwortet es, wenn wir Nazis in Dresden blockieren. Fasst Mut: Stellen wir uns ge-gen Rassismus und Geschichts-revisionismus! Stoppen wir die Nazis in dieser Stadt weiterhin gemeinsam!

Dem großen Engagement tau-sender Antifaschist_innen steht bis heute staatliche Re-pression entgegen. Immer noch laufen Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, noch im-mer werden neue Strafbe-fehle erstellt. Diese Krimina-lisierung erwächst aus der Extremismusdoktrin, welche antifaschistisches Engagement mit Naziaktivitäten gleichsetzt. Diese Ideologie ist umso skan-dalöser vor dem Hintergrund des Versagens des sogenann-ten Verfassungsschutzes und weiterer staatlicher Institutio-nen. Antifaschismus dürfen wir nicht dem Staat überlassen! Wir [das Bündnis] stehen wei-terhin zusammen gegen jeden Versuch autoritärer Einschüch-terung.Sagen, was man tut und tun, was man sagt – dadurch war das Handeln des Bündnis-ses »Nazifrei! – Dresden stellt sich quer« die letzten Jahre ge-prägt. Dabei bleibt es! Wir wol-

len auch im Februar 2013 jeden Aufmarschversuch der Nazis blockieren. Von uns wird da-bei keine Eskalation ausgehen. Wir sind solidarisch mit allen, die das Ziel teilen, den Nazi-aufmarsch zu verhindern. »Un-sere Vielfalt ist unsere Stärke« – das war unser Credo der letz-ten Jahre. Dabei bleibt es! Und es bleibt auch dabei: Ziviler Un-gehorsam ist unser Recht, Blo-ckaden sind legitim. Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!«Erfolgreiche Blockaden und staatliche Repressionen kos-ten Geld. Daher die Bitte an alle, die das Anliegen und die Arbeit des Bündnis »Nazifrei! - Dresden stellt sich quer« fi-nanziell unterstützen wollen und können, spendet an:Bund der Antifaschisten e.V. / Konto: 7431721010 / BLZ: 85095004 / Volksbank-Raiffeisenbank Mei-ßen / Kennwort: Dresden Na-zifrei Jens Thöricht

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Kommunal-Info 10-2012

ÖPNV in SachsenKommunale Spitzenverbände kritisieren Wirtschaftsministerium

Seite 3

WasserwirtschaftEnergiepotenziale der Wasserwirt-schaft besser nutzen

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Spekulative SWAPsZwischenbericht zu Schadenersatzprozessen

Seite 4

Publikationen KFSNeuauflagen und Neuerscheinungen

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K o m m u n a l p o l i t i s c h e s F o r u m S a c h s e n e . V .K F S

Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

28. November 2012

Änderungen im Baurecht 2013Bereits mit dem am 30. Juli 2011 in

der Folge der „Fukushima-Katastro-phe“ in Kraft getretenen „Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes bei der Entwicklung in den Städten und Ge-meinden“ wurde das Baugesetzbuch (BauGB) in einer ersten Stufe novel-liert.

Nunmehr befindet sich mit dem „Ge-setz zur Stärkung der Innenentwick-lung in den Städten und Gemeinden und zur weiteren Fortentwicklung des Städtebaurechts“ eine zweite BauGB-Novelle mit Anpassungen der Baunut-zungsverordnung (BauNVO) in Vorbe-reitung und soll spätestens am 1. Juli 2013 in Kraft treten.

Welche Ziele?Mit der zweiten BauGB-Novelle sol-

len folgende Zielstellungen verbunden werden:

Die Innenstädte und Ortskerne sind als Schlüsselfaktoren für die Stadt-entwicklung anzusehen, da sie für die Identifikation der Bürger mit ihren Städten und Gemeinden unverzichtbar seien.

Die Vernutzung von Flächen auf der „Grünen Wiese“ und eine damit ein-hergehende Zersiedlung sind weitest-gehend zu vermeiden.

Die Attraktivität von Städten und Gemeinden ist durch den Erhalt der Baukultur zu wahren und zu stär-ken. Im Einzelfall seien „auch Kul-tur-, Bau- und Bodendenkmäler sowie historische Kulturlandschaften und –landschaftsteile von besonders cha-rakteristischer Eigenart, insbesonde-re die auf der Grundlage des Überein-kommens vom 16. November 1972 zum Schutz des Kultur und Naturerbes der Welt als Weltkulturerbe geschützten Stätten, zu erhalten.“

Zur Umsetzung dieser Ziele sind eine Reihe von Veränderungen in der Ge-setzgebung vorgesehen wie

die Verstärkung des Bodenschutzes, Stärkung von Mediationsverfahren

bei der Bürgerbeteiligung, Darstellung zentraler Versorgungs-

bereiche im Flächennutzungsplan,Einschränkungen bei der Intensiv-

tierhaltung im Außenbereich, erleichterte Abbruchmöglichkeiten

für verwahrloste Gebäude, verbesserte Steuerung von Vergnü-

gungsstätten, Kindertagesstätten in den reinen

Wohngebieten, die Zulässigkeit von Solaranlagen

sowie die Flexibilisierung der baulichen

Nutzung.

BodenschutzDie bisher schon seit dem BauGB

von 1987 geltende Bodenschutzklausel „Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden“ und in späteren Gesetzesnovellen wei-ter inhaltlich ausgestaltet wurde, erhält nun eine zusätzliche Bedingung

Die bisher bereits geltende Fassung lautet:

„Dabei sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Wie-dernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maß-nahmen zur Innenentwicklung zu nut-zen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen. Landwirtschaftlich, als Wald oder für Wohnzwecke genutzte Flächen sollen nur im notwendigen Umfang umge-nutzt werden.“

In der BauGB-Novelle für 2013 soll hinzugefügt werden:

„Die Notwendigkeit der Umwand-lung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Flächen soll begründet wer-den; dabei sollen Ermittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung zugrunde gelegt werden, zu denen ins-besondere Brachflächen, Gebäudeleer-stand, Baulücken und andere Nach-verdichtungsmöglichkeiten zählen können.“

Der Deutsche Städte- und Gemeinde-bund hält von einer derartig verschärf-ten Begründung wenig, da sie effektiv „keinen Gewinn für eine richtige Redu-zierung der Flächeninanspruchnahme“ bringen werde, aber „durch die vorge-sehene und von der Gemeinde vorzu-nehmende Ermittlung zu den Möglich-keiten der Innenentwicklung, zu denen insbesondere Brachflächen, Gebäude-leerstand, Baulücken und andere Nach-verdichtungsmöglichkeiten zählen können, ein kaum leistbarer finanziel-ler und personeller Aufwand zulasten der Kommunen ausgelöst“ werde.1

BürgerbeteiligungMit der BauGB-Novelle soll das Me-

diationsverfahren2 aufgewertet wer-den, dass bereits bisher in der kom-munalen Bauleitplanung fakultativ als außergerichtliches Verfahren zur Kon-fliktbeilegung genutzt wurde.

Dabei geht es darum, mit Hilfe eines unparteiischen Vermittlers (Media-tors) unterschiedliche Konfliktparteien (Medianten) an einen Tisch zu bekom-men und im Rahmen eines Diskussi-onsprozesses eine einvernehmliche Lö-sung zu erreichen. Der Grundgedanke ist, die Sichtweisen, Hintergründe und Handlungszwänge des jeweils anderen zu verstehen und diese in einem Lö-

sungsvorschlag zu berücksichtigen. Die Mediation zielt darauf ab, ei-

ne für jede Konfliktpartei vertretbare und interessengerechte Übereinkunft zu treffen, ohne weitere (gerichtliche) und unter Umständen sehr kostspieli-ge Wege der Streitbeilegung gehen zu müssen. Gerade eine professionelle und frühzeitige Mediation kann zu ei-ner „Win-Win-Situation“ beitragen, die den Interessen aller Parteien gerecht werden kann.

Die Kontroversen um „Stuttgart 21“ haben mit dazu beigetragen, um über eine verstärkte Nutzung von Konflikt-lösungsverfahren in der Praxis nach-zudenken. Dem trägt auch das vom Bundestag im Juli 2012 verabschiede-te Mediationsgesetz Rechnung, in dem das Mediationsverfahren bestimmt wird als ein „vertrauliches und struk-turiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediato-ren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben.“

Im Mediationsgesetz werden förmli-che Regeln für das Mediationsverfah-ren vorgeschrieben.

Danach müssen die Mediatoren un-abhängig und neutral sein und sind grundsätzlich zur Verschwiegenheit verpflichtet.

Eine Person scheidet zum Beispiel als förmlicher Mediator im Sinne dieses Gesetzes aus, wenn sie als Bauplaner im Zusammenhang mit dem Bauleit-planverfahren oder einem nachfolgen-den Bauvorhaben bereits für eine Par-tei tätig gewesen ist oder beabsichtigt, nach der Mediation für eine Partei in diesem Sinne tätig zu werden.

Fortsetzung auf Seite 2

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Seite 2Kommunal-Info 10/2012

ImpressumKommunalpolitisches

Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99

01127 DresdenTel.: 0351-4827944 oder 4827945

Fax: 0351-7952453info@kommunalforum-sachsen.dewww.kommunalforum-sachsen.de

V.i.S.d.P.: A. Grunke

Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des

Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.

Zentrale VersorgungsbereicheDie geplante Neuregelung im BauGB

sieht zur Stärkung des Innenbereichs vor, dass im Flächennutzungsplan künftig „zentrale Versorgungsberei-che“ dargestellt werden können. Da-durch könnten die von vielen Städten und Gemeinden aufgestellten Einzel-handels- und Zentrenkonzepte bereits auf der Ebene des Flächennutzungs-plans klarer rechtlich abgesichert wer-den. Damit könnten die Gemeinden für die Steuerung ihres gesamten Gemein-degebiets bereits auf der Ebene des Flä-chennutzungsplans eine legitimierte Basis für Standortentscheidungen der Einzelhandelsunternehmen schaffen können.

Die Erhaltung und die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche in den Städten und Gemeinden hat heraus-ragende Bedeutung für die Stärkung der Innenentwicklung und Urbanität der Städte, aber besonders auch für die Sicherstellung einer wohnortna-hen Versorgung, die angesichts der de-mografischen Entwicklung besonde-rer Beachtung bedarf, vor allem auch wegen der geringeren Mobilität älterer Menschen.

IntensivtierhaltungGegenwärtig gehören Großanlagen

der Intensivtierhaltung zu „privilegier-ten Bauvorhaben“ im Außenbereich, für die kein qualifizierter Bebauungs-plan erforderlich ist und die zulässig sind, sofern sie außerhalb zusammen-hängt bebauter Ortsteile liegen. Ihre Zulässigkeit steht lediglich unter dem Vorbehalt des Entgegenstehens öffent-licher Belange und einer ausreichenden Erschließung.

Diese Privilegierung führt insbeson-dere bei Großanlagen der Geflügelhal-tung und der Schweinemast, die nicht landwirtschaftlich, sondern gewerb-lich beziehungsweise industriell betrie-ben werden, zu einer Zersiedelung des Außenbereichs und zu weiteren Proble-men (Geruchsbelästigung).

Deshalb will die Neuregelung in der BauGB-Novelle diese Privilegierung künftig begrenzen. Diese sollen künf-tig nur noch dann privilegiert zuläs-sig sein, wenn sie unter einer bestimm-ten Größe liegen und nicht der Pflicht zur Durchführung einer Umweltver-träglichkeitsprüfung unterliegen, was von der Dimension eines Betriebes ab-hängt. Damit werden den Kommunen mehr Möglichkeiten an die Hand ge-geben, die Ansiedlung großer gewerb-licher Tierhaltungsbetriebe zu steuern. Unberührt bleibt davon die bäuerliche Landwirtschaft.

Verwahrloste GebäudeVerwahrloste, nicht mehr wirtschaft-

lich nutzbare Gebäude („Schrottimmo-bilien“) sind aufgrund ihrer negativen Ausstrahlung auf die Umgebung ein ernstes stadtentwicklungspolitisches Problem, das dem Ziel einer qualitäts-vollen Innenentwicklung der Städte und Gemeinden zuwiderläuft. Betrof-fen davon sind insbesondere Kommu-nen in strukturschwachen Regionen. Eine Modernisierung oder Instandset-zung der Gebäude wäre zumeist unren-tabel. Einem solchen städtebaulichen

Missstand kann dann, wenn sonstige Belange (z. B. Denkmalschutz) nicht entgegenstehen, ggf. nur durch seine Beseitigung abgeholfen werden.

Deshalb soll nach der künftigen Neu-regelung im BauGB das „Rückbauge-bot“ nach § 179 BauGB auch im nicht beplanten Innenbereich möglich sein, wo sich die „Schrottimmobilien“ zu-meist befinden.

Die betroffenen Städte und Gemein-den sind oftmals finanziell selbst nicht zur Beseitigung derartiger Immobilien in der Lage, andererseits besteht hierzu eine primäre Pflicht des Eigentümers. Daher bestehe eine weitere kommunale Forderung darin, den Eigentümer einer verwahrlosten Immobilie bei einem von der Gemeinde angeordneten Rück-bau zur eigenverantwortlichen Über-nahme der Kosten (Ersatzvornahme) heranzuziehen.3

VergnügungsstättenIn manchen Städten und Gemeinden

schossen in den vergangenen Jahren Vergnügungsstätten zum Teil wie Pilze aus dem Boden.

Mit der BauGB-Novelle sollen die Kommunen nunmehr ein Instrument erhalten, um einem weiteren Wild-wuchs an Vergnügungsstätten Einhalt zu gebieten. Durch eine neue Regelung sollen die Möglichkeiten der Gemein-den erweitert werden, die Ansiedlung von Vergnügungsstätten, insbesondere von Spielhallen zu verhindern. Danach kann die Gemeinde für zusammenhän-gend bebaute Ortsteile in einem Be-bauungsplan im „vereinfachten Ver-fahren“ auch für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans festsetzen, dass Vergnügungsstätten oder bestimmte Arten von Vergnü-gungsstätten zulässig oder nicht zuläs-sig sind oder nur ausnahmsweise zuge-lassen werden können.

Aus städtebaulicher Sicht wird das damit begründet, eine Beeinträchti-gung von Wohnnutzungen oder an-deren schutzbedürftigen Anlagen wie Schulen, Kindertagesstätten oder Kir-chen oder eine Beeinträchtigung der sich aus der vorhandenen Nutzung insgesamt ergebenen städtebaulichen Funktion des Gebiets nicht zumuten zu können.

Vergnügungsstätten sind Gewerbe-betriebe besonderer Art, bei denen die kommerzielle Unterhaltung des Besu-chers im Vordergrund steht und bei de-nen in unterschiedlicher Ausprägung der Spiel und/oder der Geselligkeits-trieb für eine gewinnbringende Frei-zeitunterhaltung angesprochen oder auch ausgenutzt wird.

Beispiele für Vergnügungsstät-ten sind u.a. Spielhallen und ähnliche Unternehmen, Diskotheken, größere Tanzlokale, Nachtlokale jeglicher Art, Varietés, Swingerclubs.

Nicht hierzu zählen jedoch u.a. kul-turelle Einrichtungen wie Theater, Konzerthallen und Museen, Anlagen für sportliche Zwecke (z. B. Tennishal-len, Kegel- und Bowlingbahnen, Fit-nessstudios, aber auch Paintballanla-gen), Schank- und Speisewirtschaften (soweit diese nicht durch einen damit verbundenen Vergnügungsbetrieb ge-prägt sind).

KindertagesstättenIm jetzigen Entwurf der Baunut-

zungsverordnung (BauNVO) wird vor-

gesehen, dass Kindertagesstätten in reinen Wohngebieten nicht mehr wie derzeit noch nur ausnahmsweise zuge-lassen werden können, sondern Anla-gen zur Kinderbetreuung, die den Be-wohnern des Gebiets dienen, allgemein zulässig sein sollen.

Endlich wird nunmehr nach über 20 Jahren deutscher Einheit ein anachro-nistischer Zustand westdeutscher Pro-venienz auch im Baurecht überwun-den.

Auch der Deutsche Städte- und Ge-meindebund begrüßt diese längst über-fällige Entscheidung:

„Dies ist aus kommunaler Sicht zu begrüßen. Kinderlärm ist der Ausfluss natürlicher und sozial adäquater Äuße-rungen, deren Gleichstellung mit an-deren Arten von Lärm (etwa Bau oder

Verkehrslärm) sowie deren Orientie-rung an der TA Lärm sich verbietet. Auch darf die BauNVO mit ihrer ge-genwärtig nicht geregelten allgemei-nen Zulassung von Kindertagesstätten für reine Wohngebiete nicht Anlass für (Gerichts-) Streitigkeiten sein. Hinzu kommt, dass es auch bereits heute der gängigen Praxis in den Städten und Ge-meinden entspricht, Kindertagesstät-ten, die überwiegend den Bewohnern des Gebietes dienen, auch im reinen Wohngebiet im Wege der Ausnahme zuzulassen.“4

Zulässigkeit von SolaranlagenMit dem bereits in Kraft getretenen

„Gesetz zur Förderung des Klima-schutzes bei der Entwicklung in den Städten und Gemeinden“ vom 22. Juli 2011 ist eine Privilegierung von Solar-anlagen in, an und auf Dach- und Au-ßenwandflächen von zulässig genutzten Gebäuden im Außenbereich eingeführt worden. In Konsequenz wurde nun im Entwurf der zweiten BauGB-Novelle die Zulässigkeit von Solaranlagen auch an oder auf Gebäuden in bestehenden Baugebieten (also im Innenbereich) er-leichtert, ebenso wie auch die Zulässig-keit von Kraft-Wärme-Kopplungsanla-gen innerhalb von Gebäuden.

Bisher waren diese Anlagen wegen der Einspeisung in das öffentliche Netz nur als gewerbliche Anlagen zu behan-deln, so dass eine Befreiung nur über

eine Ausnahmeregelung nach 31 Abs. 2 BauGB zulässig war. Die Neuregelung hat den Vorteil, dass zum Zwecke der verstärkten Nutzung der erneuerbaren Energien - anders als bei sonstigen Ne-benanlagen auf das Merkmal der funk-tionalen Unterordnung verzichtet wird. Nicht erfasst von der Neuregelung sind jedoch Anlagen, deren Fläche über die Größe der Dachfläche beziehungswei-se die Wandfläche des Gebäudes hin-ausgeht.

Flexibilisierung der baulichen Nutzung.

Eine kompakte Stadt und Gemeinde, die schon aus Gründen einer Reduzie-rung der Flächeninanspruchnahme an-zustreben ist, lässt sich besser verwirk-lichen, wenn auch im Innenbereich eine größere Verdichtung ermöglicht wird.

Die gegenwärtige Vorschrift in der BauNVO schreibt vor, dass die festge-legten Obergrenzen für das Maß der baulichen Nutzung in den verschie-denen Baugebietstypen (Zahl der Ge-schosse, Geschossflächenzahl) nur aus besonderen städtebaulichen Gründen überschritten werden dürfen.

Nach der künftigen Neuregelung in der BauNVO soll es ausreichend sein, dass die Obergrenzen schon aus städ-tebaulichen Gründen überschritten werden dürfen, wenn die zusätzlichen Voraussetzungen in des § 17 Abs. 2 BauNVO eingehalten werden. Hierzu gehören der Ausgleich und die Sicher-stellung, dass die allgemeinen Anfor-derungen an gesunde Wohn- und Ar-beitsverhältnisse nicht beeinträchtigt und nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt vermieden werden. Eine unter diesen Voraussetzungen erfolgte an-gemessene Ausweitung beim Maß der baulichen Nutzung, die stets aus städte-baulichen Gründen gerechtfertigt sein muss, kann deshalb zukünftig in hoch-verdichteten Siedlungsbereichen zu ei-ner Flexibilisierung der baulichen Nut-zung beitragen.

AG

1 Vgl. Norbert Porz, Zweite Stufe der Städtebaurechtsnovelle, in: Stadt und Gemeinde, Nr. 11/2012, S.483.2 Mehr zum Mediationsverfahren in:

Zur Bürgerbeteiligung in der kommu-nalen Politik. Ein Leitfaden, hrsg. Vom Kommunalpolitischen Forum Sachsen e.V., 2009, S. 27 ff. 3 Vgl. Norbert Porz, Zweite Stufe der

Städtebaurechtsnovelle, ebenda, S. 485.4 Ebenda, S. 485f.

Fortsetzung von Seite 1

... Baurecht 2013

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Seite 3 Kommunal-Info 10/2012

Städte, Gemeinden und Landkrei-se kritisieren die Vorstellungen des Wirtschaftsministeriums zur künf-tigen Finanzierung des ÖPNV

Der Sächsische Städte- und Gemein-detag (SSG) sowie der Sächsische Landkreistag (SLKT) sprechen sich gegen den Entwurf einer Verordnung des SMWA zur Änderung der Verord-nung zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNVFinVO) aus. Dies haben die kommunalen Spit-zenverbände anlässlich der Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Sächsischen Landta-ges am 9. November deutlich gemacht.

Mischa Woitscheck, Geschäftsfüh-rer des SSG, sagte dazu: „Mit dem vorliegenden Entwurf inszeniert das Wirtschaftsministerium einmal mehr Potemkinsche Dörfer. Es verteilt an die ÖPNV-Zweckverbände angeblich steigende Regionalisierungsmittel des Bundes, die der Freistaat noch gar nicht hat, weil der Bund diese Mittel 2014 ei-ner Überprüfung unterziehen wird. Mit eigenen Mitteln will sich das Land da-gegen nicht mehr am ÖPNV beteiligen.

Bleiben die Bundesmittel aus oder wer-den geringer als vom SMWA prognos-tiziert, fällt die ÖPNV-Finanzierung wie ein Kartenhaus zusammen. Die von den Landkreisen und Kreisfreien Städten getragenen ÖPNV-Zweckver-bände werden jedenfalls das alleinige finanzielle Risiko nicht übernehmen können.“

Der SSG fordert mindestens eine Re-visionsklausel, die Zuschüsse des Lan-des vorsieht, wenn die vom Land er-hofften Bundesmittel ausbleiben oder niedriger als vom SMWA prognosti-ziert ausfallen.

Ähnlich äußerte sich auch der SLKT. André Jacob, Geschäftsführer des SLKT, sagte: „Der Freistaat verschiebt jegliche Finanzierungsrisiken auf die Zweckverbände und stellt sich selbst von jeglichem Risiko frei. Man könn-te auch sagen, der Freistaat steigt heu-te noch schnell aus dem bisher gemein-sam von kommunaler und staatlicher Seite gesteuertem Boot aus, da nicht si-cher ist, ob es im Jahr 2015 in schwie-riges Fahrwasser gerät“. Auch er mach-te deutlich, dass die Landkreise nicht

ÖPNV-Finanzierung auf der Kippe bereit sein werden, die finanziellen Risiken allein zu tragen, wo doch die Entscheidungen über Infrastruktur-maßnahmen bzw. Verkehrsangebote bisher in gemeinsamer Verantwortung von Freistaat und Kommunen getroffen wurden.

Ein weiterer Kritikpunkt steht im Zusammenhang mit der Annahme des Landes, dass mittelfristig alle Zweck-verbände besonders nachfrageschwa-che Schienen-Personen-Nahverkehrs-Leistungen in Busverkehre umwandeln müssen, um die nachfragestarken Ver-kehre absichern zu können. Während der Freistaat den Aufgabenträgern in der Verordnung Vorgaben für Bestell-leistungen bei nachfragestarken Stre-cken insbesondere in den Ballungs-räumen macht, lässt er den ländlichen Raum bei der Problematik der Um-wandlung von Angeboten sprichwört-lich im Regen stehen.

Der Geschäftsführer des Sächsischen Landkreistages sagte dazu: „Damit wird der ländliche Raum von der Ent-wicklung abgehängt.“

In diesem Zusammenhang kritisier-ten beide Verbände außerdem, dass sich der Freistaat trotz dieser Annah-men zugleich aus der Busförderung zu-rückzieht. Zurzeit stehen dafür jährlich nur noch 5 Mio. Euro zur Verfügung, die Hälfte dessen, was in der Vergan-genheit für neue Busse ausgereicht wurde. Zudem ist das Antragsverfah-ren sehr komplex, die Fördersätze sind niedriger als bisher. „Die Kürzung der Busförderung ist inakzeptabel, das Land lässt die Zweckverbände auf alten Bussen sitzen. Das Verhalten des Wirt-schaftsministeriums steht im krassen Widerspruch zu den schönen Konzep-ten der Staatsregierung, die der Mobili-tät im Freistaat Sachsen hohe Priorität einräumen.“, kritisierte Woitscheck.Pressemitteilung SSG, Nr. 28/2012,

Dresden, 09.11.2012

Die Allianz der öffentlichen Wasser-wirtschaft e.V. (AöW) fordert von der Bundesregierung und den Bundeslän-dern die Einbindung in die Energie-politik und mehr Unterstützung für die Wasserwirtschaft zur Nutzung der Energiepotenziale in der Wasserwirt-schaft. Die dafür vorhandenen Be-schränkungen müssen endlich weg-fallen. Die AöW weist auf die Vorteile dieser regenerativen dezentralen Ener-giegewinnung für die Bürger, die Um-welt und den Klimaschutz hin.

Anlässlich der Sitzung des Präsidi-ums der AöW im Oktober 2012 in Ber-lin forderte Dr. Jochen Stemplewski, Präsident der AöW und Vorstandsvor-sitzender der Emschergenossenschaft/Lippeverband, dass in der Diskussion über die Energiewende und die Kosten der Nutzung erneuerbarer Energie end-lich die Energiepotenziale der Wasser-wirtschaft stärker beachtet werden.

„Die Wasserwirtschaft betreibt schon lange Eigenenergieerzeugung aus klimafreundlichen, regenerativen Energieträgern und trägt zur Energie-versorgung in Form von Strom und Wärme bei. Abwasserbetriebe nutzen die in den Kläranlagen anfallenden Klärschlämme und das Klärgas ener-

getisch zur Strom- und Wärmeerzeu-gung. Damit werden nennenswerte An-teile des eigenen Eigenenergiebedarfs bei der Abwasserreinigung gedeckt, die Ressourcen geschont und der CO2-Ausstoss reduziert. Zudem sichern wir damit stabile Gebühren“, so Dr. Stem-plewski.

Die AöW hatte bereits vor zwei Jah-ren auf die energiewirtschaftliche Be-deutung der Wasserwirtschaft hin-gewiesen. Zwar seien nun weitere Forschungsprogramme zur Hebung der Potenziale angelaufen und auch verschiedene Projekte in Angriff ge-nommen worden, dies reiche aber bei Weitem nicht aus, konstatierte das AöW-Präsidium.

Dabei liegen die Vorteile auf der Hand. Die Wasserwirtschaft ist ein wesentlicher Faktor der kommuna-len Daseinsvorsorge, dezentral ange-siedelt und langfristig angelegt. Wo Menschen leben, wird beständig Was-ser gebraucht und Abwasser entsorgt werden müssen. So kann ein Teil der Grundlast allein in der Eigenenergie-nutzung mit den Energiepotenzialen der Wasserwirtschaft abgedeckt wer-den. Durch die Ortsnähe bestehen zu-dem Chancen, die Kläranlagen für die Speicherung der zeitweiligen Über-schüsse aus den Schwankungen in der aus Wind- und Photovoltaikanlagen er-zeugten Energie zu nutzen und bei Be-darf schnell regional zu verteilen. Da

die Anlagen bereits an die örtlichen Stromnetze angebunden sind, kön-nen sie auch leicht in Verteilnetze in-tegriert werden. Überschüssige Wär-me aus Kläranlagen und Kanälen kann durch direkte Anbindung für die Hei-zung von Wohnungen, Schulen, Muse-en und Verwaltungen genutzt werden. In Pilotanlagen wird sogar aus der Ab-wasserreinigung Wasserstoff als Ener-gierohstoff gewonnen.

Verfahren zur Covergärung von un-terschiedlicher Biomasse und Abfäl-len in Kläranlagen können durch Be-schränkungen jedoch derzeit nicht voll ausgenutzt werden, obwohl dies für die Umwelt mehr bringen würde. Der Be-trieb von Kläranlagen und die Entsor-gung von Restklärschlamm erfüllen sehr hohe Umweltauflagen, die sogar weit über die Standards für Biogasan-lagen hinausgehen. Trotzdem wird die Klärgasnutzung nach dem EEG gerin-ger vergütet als Biogas. Dies bedeutet für die Wasserwirtschaft eine struktu-relle Benachteiligung und Ungleichbe-handlung. Die AöW betrachtet es daher als Fehlentwicklung, dass der Bau von Biogasanlagen auf der grünen Wiese gefördert wurde, die Energiepotenzia-le in der Wasserwirtschaft aber über-sehen werden. Auch in der Wasser-versorgung schlummern noch weitere Potenziale.

„Es war schon immer unser Bestre-ben, die Energiequellen, die in Wasser und Abwasser liegen, zu nutzen. Wir stehen bereit, unsere Möglichkeiten noch weiter auszuschöpfen. Bisher wer-den wir dabei aber durch die Ungleich-behandlung gegenüber anderen erneu-erbaren Energien gebremst. Statt über die EEG-Umlage und den Netzausbau zu streiten und die Energiewende im-mer wieder in Frage zu stellen, fordern wir die Einbeziehung in die energie-wirtschaftlichen Entscheidungen“, war die einhellige Feststellung des AöW-Präsidiums.

Deshalb fordert die AöW:Rechtliche Gleichstellung der En-

ergie aus der Wasserwirtschaft mit anderen Erneuerbaren Energien und adäquate Erhöhung der Einspeisever-gütungen für Strom aus der Wasser-wirtschaft, insbesondere aus Klärgas und Wasserkraft,

Gleichstellung der Klärgasnutzung mit Biogas,

Förderung der Erstellung von En-ergiekarten für die Erschließung der Energiepotenziale in der Wasserwirt-schaft,

Einbeziehung der öffentlichen Was-serwirtschaft in ein regionales Ener-giemanagement und Energienetze.

Informationen über Beispiele sind zu finden unter:

www.allianz-wasserwirtschaft.de/pages/themen/energie-und-wasser-wirtschaft/beispiele-von-mitgliedern.php

oder auch vor Ort bei den Abwasser-betrieben oder Wasserversorgern.

(Pressemitteilung AöW 10/31/2012)

Energiepotenziale der Wasserwirtschaft nutzen

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Seite 4Kommunal-Info 10/2012

Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute für das neue Jahr 2013 !

Publikationen des KFS

Rechte und Pflichten kommunaler Vertreter in Aufsichtsräten privat-rechtlicher Unternehmen. Ein Leit-faden; April 2012; 57 S.; 4,50 Euro.

Kinder und Jugendliche in die Stadt-planung einbeziehen; Dezember 2011; 58 S.; 4 Euro.

Spekulative Swapgeschäfte

Schäden aus spekulativen Swapge-schäften. Zwischenbericht zu den von Schadensersatzprozessen be-troffenen Kommunen

Die Schadensersatzprozesse „Swap-geschädigter“ Kommunen sind nach wie vor in aller Munde. Kommunen und Kommunalunternehmen stehen immer noch vor der Herausforderung des richtigen Umgangs mit toxischen Derivaten. Dabei schwindet die Hoff-nung, dass sich die verlustreichen Fol-gen des Abschlusses solcher Geschäfte schon irgendwie „regeln“ lassen, im-mer mehr. Die Schäden werden größer und können auch nicht mehr „ausge-sessen“ werden. Nach den Erhebungen des Zentralen Kreditausschusses sind möglicherweise 2 660 Kommunen oder kommunale Unternehmen betroffen. Das Nominalvolumen der Geschäfte betrug allein im Jahr 2011 63 Milliar-den Euro. Kämmerer und Geschäfts-führer kommunaler Unternehmen se-hen sich in Entscheidungszwang.

Vergleichen oder verklagen?Auseinandersetzungen um spekulati-

ve Finanzderivate im Zusammenhang mit den in der Vergangenheit abge-schlossenen sogenannten „Spread Lad-der Swaps“ wurden mittlerweile vergli-chen. Dabei hat die Bank, nicht zuletzt gezwungen durch das erste Swap-Ur-teil des Bundesgerichtshofes (BGH) (Urteil vom 22. März 2011; Az.: XI ZR 33/10), Entgegenkommen gezeigt. Häufig allerdings erst im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung. Laut Presseberichten sahen die Ver-gleiche mit der Deutschen Bank hin-sichtlich der „Spread Ladder Swaps“ eine überwiegende Kompensation der mit diesen Swaps erlittenen Schäden und Kosten vor. Aktuell laufen zahl-reiche Verfahren, insbesondere gegen die LBBW und die ehemalige WestLB (jetzt Portigon AG).

Nachdem zunächst überwiegend mit-telständische Unternehmen erfolgreich gegen Banken geklagt hatten, folgen nun die Klagen der Kommunen oder der kommunalen Versorgungsunter-nehmen. Wer klagen will, braucht ei-nen langen Atem und muss sich über das Prozesskostenrisiko im Klaren sein. Denn trotz der BGH-Rechtspre-

chung gibt es keine Garantie. Wenn-gleich die Entscheidung des BGH zu Swaps auch für die Kommunen enor-me Auswirkungen hat. Ein Kurzleitfa-den zu der Bedeutung des Urteils ist bei Rössner Rechtsanwälte, München, ab-zufragen ([email protected]).

Ausgangspunkt des BGH-UrteilsAusgangspunkt für viele Kommu-

nen zur Beschreitung des Rechtswegs war die Entscheidung des BGH vom 22. März 2011. In diesem Verfahren war die Deutsche Bank vollumfänglich zum Schadensersatz verurteilt worden. Der BGH sah es als eine Pflichtverlet-zung an, dass die Deutsche Bank das mittelständische Unternehmen nicht über den sogenannten anfänglich nega-tiven Marktwert aufgeklärt hatte. Dies ist ein von der Bank berechneter Betrag, vergleichbar mit einem Börsenkurs, mit dem das Produkt zum Abschluss-zeitpunkt bereits im Minus war. Da die originären Kenntnisse über die Funk-tionsweise und die Bepreisung derarti-ger Swaps ausschließlich auf Seiten der Bank liegen, war für die Kunden selbst dieses Minus nicht erkennbar. Insbe-sondere bemängelte der BGH, dass die Bank als Berater des Kunden durch die Strukturierung zulasten des Kunden in einen schwerwiegenden Interessen-konflikt gerät.

Bei den aktuell geschädigten Kom-munen und kommunalen Versorgungs-unternehmen sind die abgeschlossenen Swaps zwar anders bezeichnet. Von ih-rer Struktur her sind sie allerdings ver-gleichbar. Auch die im kommunalen Bereich von den Banken angebotenen Swaps sind – allerdings für Kunden nicht erkennbar – hoch spekulativ. Sie haben überwiegend einen anfänglichen negativen Marktwert, der von den Ban-ken bewusst im eigenen Interesse – und damit zulasten der Kommunen – ein-strukturiert wurde.

Mittlerweile liegt ein erstes Urteil des Landgerichts Düsseldorf vor, durch das die WestLB zum Schadensersatz ge-genüber der klagenden Stadt Ennepe-tal verurteilt wurde. Hier ging das LG Düsseldorf ebenfalls von einem Bera-tungsverschulden aus. Allerdings ist dieses Urteil noch nicht rechtskräftig.

Die Landgerichte Dortmund und

Köln gingen in den ersten mündlichen Verhandlungen noch einen Schritt wei-ter. Die Produkte, die von der ehemali-gen WestLB an die Städte Hückeswa-gen und Bergkamen verkauft wurden, wurden als so spekulativ eingestuft, dass deren Abschluss als ein Han-deln außerhalb des kommunalen Wir-kungskreises angesehen wurde. Dies hätte deren Unwirksamkeit und damit die Rückabwicklung zur Folge. Ein Urteil in diese Richtung würde einen „Meilenstein“ in der deutschen Recht-sprechung darstellen. Der Vorteil ei-ner derartigen Rechtsprechung liegt auf der Hand. Bei einer Rückabwick-lung wegen Unwirksamkeit der abge-schlossenen Geschäfte kommt es auf die tatsächliche Beratungssituation vor Abschluss der Geschäfte nicht mehr an. Dies stellt insofern einen prozessualen Vorteil dar, weil die Banken regelmä-ßig im Nachhinein eine sehr umfassen-de, zutreffende und unmissverständli-che Beratung geltend machen und den kommunalen Kunden „auf Augenhö-he“ mit den Spezialisten der Bank ha-ben wollen. Hierfür werden regelmäßig die Berater als Zeugen angeboten, die wiederum ein eigenes Interesse daran haben, nicht als schlechte Berater da-zustehen.

Die Tendenz in der Rechtsprechung ist im kommunalen Bereich daher positiv. Bereits nach dem Urteil des BGH vom 22. März 2011 ist die Vergleichsbereit-schaft in den anhängigen Verfahren ge-stiegen, um eine weitere Verurteilung zu vermeiden. Aktuell ist allerdings davon auszugehen, dass insbesonde-re die Frage nach der Unwirksamkeit der abgeschlossenen Swapgeschäfte durch die Instanzen gehen und schließ-lich den BGH beschäftigen wird. Die Auswirkungen bei einem höchstrich-terlichen Urteil in diese Richtung wä-ren sowohl für die Kommunen als auch für die Banken immens. Die Kommu-nen würden von drohenden Schäden in Milliardenhöhe freigestellt, sofern sie sich gegenüber der beratenden Bank auf die Nichtigkeit berufen. Die Ban-ken müssten diese Produkte auf eigene Kosten auflösen.

Aber selbst bei einer Wirksamkeit der Verträge bestehen Schadensersatzan-sprüche. Hier kommt den Kommunen oder den kommunalen Unternehmen nicht nur die genannte Swap-Recht-sprechung entgegen, sondern auch die bisherige Rechtsprechung des BGH, nach der einem risikoscheuen Kunden riskante Produkte gar nicht erst ange-boten werden dürfen. Da sämtlichen Banken das risikoaverse Kundenprofil einer Kommune oder eines kommuna-len Unternehmens positiv bekannt ist, liegt bereits im Angebot eines spekula-tiven Produktes ein Pflichtverstoß der Bank. Bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist hier al-lerdings die Verjährungsproblematik zu beachten. Eine dreijährige Verjäh-rungsfrist beginnt am Ende des Jahres

zu laufen, in dem die Kommune oder das kommunale Unternehmen Kennt-nis von der Falschberatung erhalten hat. Teilweise findet noch die mittler-weile aufgehobene Sondervorschrift des § 37 a WpHG Anwendung, nach der Schadensersatzansprüche (aller-dings aus fahrlässiger Falschberatung) stichtagsbezogen drei Jahre nach Ab-schluss des Geschäfts verjähren. Hier ist eine sorgfältige Prüfung zwingend erforderlich, um nicht selbst Vorwür-fen wegen unterlassener Geltendma-chung von möglichen Schadensersatz-ansprüchen ausgesetzt zu sein.

Von Jochen Weck, Dr. Jochen Weck ist Rechtsanwalt in der Kanzlei Röss-ner Rechtsanwälte in München, die auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezia-lisiert ist (aus: Stadt und Gemeinde, Ausgabe 10/12)

Page 13: Links! Ausgabe 12/2012

ParlamentsrePort

Liebe Leserinnen und Leser,

wer nichts für einen Existenz sichern-den Mindestlohn tut, sollte über Altersarmut schweigen. Das gilt auch für Sachsens Ministerpräsident Til-lich. Zwar verweist dieser zutreffend darauf, dass viele Menschen im Os-ten Deutschlands „unverschuldete“ Lücken bei der Rentenbeitragszah-lung haben, weil sie nach 1990 durch das Verschwinden ihrer Betriebe oft langfristig in die Erwerbslosigkeit gedrängt wurden – und dass eben dieser Umstand bei der Berechnung der Rente berücksichtigt werden müsse. Was Tillich jedoch nicht sagt: Künftig werden immer mehr Menschen gerade in der Niedriglohn-Hochburg Sachsen im Alter trotz ununterbrochener Erwerbstätigkeit den Gang zum Amt antreten müssen, weil ihre Rente nicht zum Leben reichen wird.

Leider steht beim Thema gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn, der heute die Existenz und morgen eine auskömmliche Rente sichert, die sächsische CDU ebenso auf der Bremse wie bei der seit Jahrzehnten überfälligen Ost-/West-Angleichung der Renten. Nun hat Tillich auf dem jüngsten CDU-Landesparteitag eine Reihe von Wünschen an Bundeskanz-lerin Merkel, seine Parteifreundin, ge-richtet. Doch Merkel war für Tillichs Wünsche taub. Deshalb wird Sach-sen auch zur besseren Anerkennung der Lebensleistung der Menschen im Osten bei der Rente so lange nichts Wirksames beitragen, bis die CDU/FDP-Koalition durch eine Landtags-Mehrheit abgelöst worden ist, die in Wort und Tat gegen Armut von Jung und Alt vorgeht.

Rico GebhardtFraktionsvorsitzender

November 2012 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

Platzhirsche keine Chance haben!“. Beim Für und Wider, ob Parlamente Sinn machen, waren sich alle einig, dass es so, wie es ist, nicht weiter gehen kann und dass Parlamente erst dann Sinn ergeben, wenn sie alle Menschen an ihren Entscheidun-gen teilhaben lassen. Dafür jedoch muss insgesamt mehr für politische Bildung und mehr für direkte Demo-kratie getan werden.

Persönlich nehme ich von diesem Fraktionsjugendtag die Erkenntnis mit, dass es Menschen in der Politik gibt, die Jugendlichen wirklich zuhö-ren und ihren Problemen eine Platt-form geben. Und mir wurde klar, dass es für einen wirklichen Wandel einen Regierungswechsel braucht. Hierfür ist DIE LINKE gut beraten, besonders auf junge Menschen wei-ter einzugehen.

Dave Schmidtke (23)

verlauf nicht kommen. Kon - s truktives Miteinander stand im Vordergrund, das änderte sich zum Glück auch in den Intensiv-Workshops nicht.

Mit MdL Enrico Stange, dem Fraktionssprecher für Infrastruk-tur und Landesentwicklung, wur-den beispielsweise Möglichkei-ten für einen bezahlbaren und für jeden erreichbaren Öffentlichen Nahverkehr entwickelt. Freya-Maria Klinger erklärte kreative Möglichkeiten, wie aktiv gegen Neonazis vorgegangen werden kann oder wo „mensch“ ansetzt, um Mig-rantinnen und Migranten in Sachsen zu helfen, in der neuen Umgebung klarzukommen. In den Workshops ging es freundlich, aber konstruktiv zu. Ich empfand es angenehm, dass darauf verzichtet wurde, uns als Gäste „zu verhätscheln“ und dass wir allesamt als Dialogpartner ernst genommen wurden.

Auch und vor allem in der Fishbowl-Diskussion kurz vor Ende der Ver-anstaltung wurde deutlich, dass alle Teilnehmenden auf Augenhöhe waren und ein gemeinsames Ziel haben: Die Parlamentsarbeit wie-der für die Bevölkerung und nicht an ihr vorbei zu gestalten. Selbst der frühere langjährige Fraktions-vorsitzende der LINKEN, Prof. Peter Porsch, bemerkte deshalb: „Endlich mal eine Diskussionsform, in der

Am Samstag, einem grauen Novem-bervormittag, Jugendlichen einen Einblick ins politische Alltagsge-schäft zu gewähren und am Ende Begeisterung auszulösen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit. Dass es dennoch geht, bewies der 2012er Jahrgang des Fraktionsjugendtages der LINKEN im Sächsischen Land-tag. An den zufriedenen Gesich-tern der fast 50 Teilnehmer/innen konnten die neun gastgebenden Landtagsabgeordneten ablesen: Sie hatten diese Mammutaufgabe geschafft. Ich war dabei, ich muss es wissen – und will hier davon berichten:

Nach einer Ausstellungseröffnung begann alles mit den World Cafés, die für mich ein Novum darstellten. Hierbei wanderten die Teilnehmer/innen in kleinen Gruppen an die über die Gänge verteilten Tische der Abgeordneten, die dort sich und ihr jeweiliges Fachgebiet vorstell-ten. Das kurze Beackern aller Poli-tikfelder schien mehr als praktisch, da ich mich nach dem Mittages-sen ja für einen Intensiv-Workshop entscheiden musste. Nach kurzer „Abtastphase“, in der die Jugend-lichen herausfanden, wer da mit ihnen sprach, folgten der Verhal-tenheit meist kritische Nachfragen, was den Politikerinnen und Poli-tikern die Möglichkeit zur blanken Selbstdarstellung nahm. Doch dazu sollte es auch im restlichen Tages-

Politik macht Sinn – und muss sich ändern!

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Sorgte beim Fraktionsjugendtag für berührende Momente: Musiker Esteban Orellana aus Ecuador

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PARLAMENTSREPORTSeite 2 November 2012

Die Landtagsfraktionen von LINKE und SPD haben einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Neufassung des Vergaberechts im Freistaat Sach-sen erarbeitet und in den Landtag eingebracht. Der Deutsche Gewerk-schaftsbund unterstützt das Anlie-gen unserer Gesetzesinitiative mit seiner Kampagne „Billig: Kommt teurer – Öffentliche Aufträge gesetz-lich fair regeln!“ Vor diesem Hin-tergrund fand kürzlich in Dresden auf Einladung der Linksfraktion das 4. Kommunalpolitische Gespräch statt. Als kompetente Ansprech-partner standen mein Fraktions-kollege Karl-Friedrich Zais als wirt-schaftspolitischer Sprecher, Markus Schlimbach, Vize-DGB-Vorsitzender und ich als Fraktionssprecherin für Kommunalpolitik Rede und Antwort. Gemeinsam informierten wir über die Ziele und den aktuellen Stand der Gesetzesinitiative und beantwor-teten zahlreiche Fragen der Kommu-nalpolitikerinnen und -politiker.

Mit unserem „Gesetz zur Neufas-sung des Vergaberechts“ wollen wir den Weg frei machen für einen fai-ren Wettbewerb um das wirtschaft-lichste Angebot unter gleichzeitiger Berücksichtigung von Sozialverträg-lichkeit, Umweltschutz und Energie-effizienz. Dazu gehört vor allem die Tariftreue und die Garantie eines Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde – wobei wir diese Summe als ersten Schritt verstehen und an der 10-Euro-Zielmarke festhalten. Nach unserem Gesetz würden öffentliche Auftraggeber verpflichtet, kleine und mittlere Unternehmen ange-messen am Bieterwettbewerb zu beteiligen sowie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ökologische

und soziale Kriterien anzusetzen. Die Entscheidung über den Zuschlag eines Angebots würde auch davon beeinflusst, ob und inwieweit der Bieter Maßnahmen zur Gleichstel-lung von Frauen und Männern und zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie durchführt.

Die Frage der Kontrolle und Sankti-onsfähigkeit im Vergabeverfahren löst immer wieder Diskussionen in den Kommunalvertretungen aus. In unserem Gesetzentwurf haben wir deshalb Kontroll- und Sankti-onsmöglichkeiten festgeschrie-ben. Neben einem anspruchsvollen Vergabebericht muss es Nachprü-fungen des Vergabeverfahrens unabhängig von Schwellenwerten sowie Kontrollen der öffentlichen Auftraggeber geben. Paragraf 22 legt zudem verbindliche Vertrags-

strafen fest. Die Verantwortung für die Umsetzung des Vergabeverfah-rens liegt beim Gemeinderat oder

Kreistag, weshalb das Thema „Ver-gabe“ in den Gemeindevertretungen zunehmend hinterfragt wird. Darauf wollen wir reagieren und bereiten einen Antrag für die Kommunal-ebene vor.

Vor Ort sind öffentliche Veranstal-tungen zum Vergabegesetz sicher ein gutes Mittel, um direkt mit Unternehmen, Verwaltung und Kom-munalpolitiker/innen ins Gespräch zu kommen. Dazu sollten Sachver-ständige und Politiker/innen zur Diskussion eingeladen werden, um zum neuen Vergabegesetz zu infor-mieren oder auch Streitgespräche zu führen. Immerhin gibt es unter-dessen insgesamt drei Entwürfe zur Reformierung des Vergaberechts in Sachsen: von LINKE/SPD/DGB, von B90/Grüne und der CDU/FDP-Koa-lition. Also: Vergleichen lohnt sich!

MdL Marion Junge,Kommunalpolitische Sprecherin

Für Fairness bei der Auftragsvergabe – LINKE, SPD und Gewerkschaft üben Schulterschluss

Gewerkschafter und LINKE (MdL Marion Junge, 3.v.li.) kämpfen gemeinsam für Fairness bei der Vergabe öffentlicher Aufträge

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Raus aus dem Landtag und rein in die Kita – LINKE beim Bundesvorlesetag„Danke für Ihre schöne Lesung. Durch Sie wurde das Buch bei unse-ren Kindern besonders beliebt.“ Diese Worte nebst Bild flatterten der Löbauer Landtagsabgeordneten der LINKEN Heiderose Gläß kürzlich ins Haus. Absender war der Kindergar-ten „Krümelkiste“ in Berthelsdorf, wo die Sprecherin für Gleichstellungs-politik Mitte November zur Freude der anwesenden Knirpse aus dem Kinderbuch „Antonella und ihr Weih-nachtsmann“ vorlas.

So wie Gläß nutzten zahlreiche wei-tere Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE den 9. bundesweiten Vorlese-tag, um in verschiedenen Kinderein-richtungen Sachsens reinzuschauen und Kinderbücher vorzustellen. Frak-tionsvorsitzender Rico Gebhardt z.B. las für Vorschulkinder im „Kinder-

land“ in Aue aus dem Buch „Erzähl mir vom kleinen Angsthasen“, Landtags-vizepräsident Horst Wehner war im Kindergarten „Wirbelwind“ in Werdau

zu Gast und präsentierte: „Oma und Frieder“. Jana Pinka (Foto) las in der Freiberger Mittelschule „Clara Zet-kin“ aus der Kinderkrimi-Buchreihe

„1000 Gefahren“, Heike Werner war bei der Tagesgruppe der Kinderar-che in Großdalzig zu Gast, Sebastian Scheel las im Kinderhaus Naundorf aus „Der kleine Ritter Trenk“, Heiko Kosel besuchte die Grundschule in Guttau, Falk Neubert stellte in der Johann-Gottlieb-Fichte-Mittelschule in Mittweida das Kästner-Buch „Kon-ferenz der Tiere“ vor, Kerstin Lau-terbach überraschte die Kinder im Kalkreuther „Zwergenland“ mit „Der kleine Drache Kokosnuss“ und Vol-ker Külow präsentierte „Alarm im Kasperletheater“ in der Kita von Out-law in Leipzig.

Vom Vorlesetag profitier(t)en beide Seiten: Kinder und Politiker/innen. Ganz sicher sind die LINKEN Vorle-serinnen und Vorleser auch im kom-menden Jahr wieder mit dabei.

Kompetente Ansprechpartner in Sachen Vergaberecht (v.li.): MdL Karl-Friedrich Zais, MdL Marion Junge (beide DIE LINKE) und Gewerkschafter Markus Schlimbach

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PARLAMENTSREPORTNovember 2012 Seite 3

Etat 2013/2014: „Generation billig mit Tillich“ – Proteste gegen CDU/FDP-Koalition

Sicherheit und Schutz gibt’s nicht umsonst – Sachsens Landesbedienstete machen ihrem Frust Luft

Im Rahmen der Kampagne „Weil Kinder Zeit brauchen“ wurden große „Wunsch-Uhren“ an die Landtagsfraktionen überreicht.

Page 16: Links! Ausgabe 12/2012

PARLAMENTSREPORTSeite 4 November 2012

Der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Rico Gebhardt reiste Ende Oktober gemeinsam mit MdL Enrico Stange, Fraktionspressesprecher Marcel Braumann und Mitarbeiter Stefan Hartmann zum „Antrittsbesuch“ zur Linksfraktion im Thüringer Landtag. In Erfurt wurde die kleine sächsische Abordnung vom Frak-tionsvorsitzenden Bodo Ramelow, dem Landesvorsitzenden der Thü-ringer LINKEN Knut Korschewsky,

Fraktionspressesprecherin Diana Glöckner und Fachberater Andreas Schuster begrüßt.

Die LINKS-Politikerinnen und -Poli-tiker vereinbarten u.a., bei der Auf-klärung des Behördenversagens im Komplex „Nationalsozialistischer Untergrund“ weiter eng zusam-menzuarbeiten. Soweit rechtlich möglich, soll der Informationsaus-tausch auf der Arbeitsebene fort-gesetzt und erweitert werden. In

dem Zusammenhang kündigten die Thüringer an, im Mai 2013 ihr Buch-projekt zu Nazi-Terror und Verfas-sungsschutzskandal fortsetzen zu wollen.

Beim zweiten länderübergreifen-den Themenkomplex der Arbeits-beratung ging es um Landesent-wicklung und Raumordnung. Beide Landtagsfraktionen waren sich darin einig, bei Fragen zur Lan-desentwicklungs- und Raumord-nungspolitik künftig enger zusam-menzuarbeiten. Als Bereiche für eine vertiefte Länderkooperation wurden u.a. Wirtschaft, Staat und öffentliche Verwaltung benannt. Angeregt wurde hierbei auch, die Verbindung zu den LINKEN in Sach-sen-Anhalt enger zu gestalten, um den gesamten mitteldeutschen Raum mit einzubeziehen. Geplant ist, auf Arbeitskreisebene Konzep-tionen für bi- und trilaterale Staats-verträge zum Abbau rechtlicher und verwaltungsrechtlicher sowie -technischer „Schranken“ zu erar-beiten.

Im weiteren Gesprächsverlauf wur-den Möglichkeiten und Strategien zur Weiterentwicklung einer mittel-deutschen Metropolregion disku-

tiert und für 2013 die Konzipierung einer länderübergreifenden Metro-polregionen-Konferenz angeregt. Zudem sollen Eckpunkte für ein mit-teldeutsches Verkehrskonzept für die drei Länder erarbeitet werden.

Als kulinarischer Gruß aus Sachsen wechselten übrigens – passend zum bevorstehenden Fest – ein original Dresdner Stollen und eine Flasche Meißner Wein die Besitzer (Foto).

ImpressumFraktion DIE LINKE im Sächsischen LandtagBernhard-von-Lindenau-Platz 101067 Dresden

Telefon: 0351/493-5800Fax: 0351/493-5460

E-Mail: [email protected]

www.linksfraktion-sachsen.de

V.i.S.d.P.: Marcel BraumannRedaktion: Elke Fahr

Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens psychisch zu erkranken, liegt zwischen 16 und 20 Prozent. See-lische Erkrankungen sind auf dem Weg, zum Hauptgrund für vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben zu werden. Trägt die medizinische Versorgung dem Rechnung? Gibt es die niederschwelligen Angebote, die diese Erkrankungsform braucht? Und wie steht es um die Zusammen-arbeit von Patient, Psychologe, Psy-chotherapeut, Beratungsstelle, Kran-kenkasse usw.? Um Fragen wie diese ging es beim gesundheitspolitischen Fachgespräch, zu dem die Fraktion DIE LINKE Ende Oktober in den Säch-sischen Landtag eingeladen hatte.

In Sachsen arbeiteten Ende 2011 insgesamt 901 Psychotherapeutin-nen und Psychotherapeuten. Wäh-rend die Einwohner-Arzt-Relation in den Großstädten weit unter 3.000 lag, betrug sie in den ländlichen Krei-sen das über Drei- bis Vierfache. Die Kassenärztliche Vereinigung kon-statiert für Sachsen dennoch eine Überversorgung im ambulanten-psychotherapeutischen Bereich. Dabei ist bekannt, dass psychische Erkrankungen sehr vielfältig sind, die Behandlung individuell erfolgen muss und zudem meist langwierig ist. Wichtig für den Behandlungser-folg ist, dass es ortsnahe Beratungs-stellen und schnelle Termine gibt.

Bei beidem liegt in Sachsen einiges im Argen. Wir müssen hier auch auf parlamentarischem Weg mehr Druck machen. Mit meinen Kleinen Anfra-gen zur Versorgung mit Psycho-therapeuten (Drs 5/9686) und zur Nachwuchsgewinnung im Bereich der Psychotherapie (Drs 5/9685) ist der Anfang gemacht.

Betrachtet man die vielfältigen Pro-blemlagen der Menschen, ist man

freilich versucht, zuerst die Gesell-schaft umzukrempeln. Nun gut, das wird von heute auf morgen nicht gehen, also müssen wir die Gesell-schaft so umgestalten, dass leben weniger krank macht. Fangen wir in der Arbeitswelt an! Der LINKE Slo-gan „Gute Arbeit, gute Löhne, gutes Leben“ gibt die Richtung vor. Auch der medizinische Bereich braucht Veränderung. Bei den derzeitigen Bestellzeiten kann kein Mensch

gesund werden. Abhilfe könnten Vernetzungen der Verantwor-tungsträger und eine Stärkung des Gemeindepsychiatrischen Diens-tes schaffen. Das ließe sich mit der anstehenden Haushaltplanung durchaus lösen. Und: Mit nur einer (!) Krankenkasse hätten es Netzwerke leichter, würde Bürokratie abgebaut.

MdL Kerstin Lauterbach,Sprecherin für Gesundheitspolitik

Werben für LINKE Kooperation in Mitteldeutschland

Seelische Erkrankungen werden Massenphänomen – Was macht die Politik?

Auf dem Podium beim gesundheitspolitischen Gespräch (v. li.): Landtagsvizepräsident Horst Wehner, MdL Kerstin Lauterbach, Andrea Mrazek, Präsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer

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Seite 5 12/2012 Sachsens Linke!

Schluß mit der Preistreiberei bei den StromkostenDie Energiepreise steigen seit Jahren, während die Re-aleinkommen vieler Haus-halte zurückgehen und der Stromkostenanteil im Hartz IV-Regelsatz stagniert. Vorläu-figer Höhepunkt sind die zum 1. Januar 2013 wirksam wer-denden Preissteigerungen der Energieversorger. Die Stadtwerke Leipzig bei-spielsweise heben für ihre 280.000 Privatkunden den Preis pro Kilowattstunde von derzeit rund 20 Cent auf et-wa 24 Cent an. Zu den gut 3 Cent kommt natürlich noch die Mehrwertsteuer hinzu. Für einen durchschnittlichen Haushalt mit einem Jahresver-brauch von 3.500 Kilowatt-stunden macht das im Jahr zu-sätzlich rund 140 Euro aus. Als Grund der Verteuerung wird von den Stromanbietern immer wieder der politisch gewollte Ausstieg aus der Atomenergie nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima und die gestiegene Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Ener-gien angegeben. In Wahrheit resultieren die steigenden Strompreise je-doch aus einem komplexen Zusammenwirken verschie-dener Faktoren. Ein etwas ge-nauerer Blick auf die Zusam-mensetzung des Strompreises zeigt, daß nicht einmal die Hälf-te der Preissteigerung den Kos-ten der Energiewende geschul-det ist.Die Stadtwerke Leipzig ge-ben an, daß nur ca. 29 Prozent

des Strompreises auf Kosten für Strombeschaffung, Ver-trieb und Service entfallen. Die Netzentgelte schlagen mit ca. 24 Prozent zu Buche, Steuern, Abgaben und Umlagen sind mit ca. 47 Prozent beteiligt. Dazu zählen im Detail:Umsatzsteuer – auch Mehr-wertsteuer genannt, der aktu-elle Steuersatz liegt bei 19 Pro-zent.Stromsteuer – Steuer auf die Entnahme bzw. den Verbrauch elektrischer Energie.Konzessionsabgabe – Abgabe an Gemeinden für das Recht des Netzbetreibers, öffentli-che Verkehrswege für Strom-leitungen zu nutzen.KKW-Umlage – Aufschlag zur

Förderung von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen.§19 StromNEV-Umlage – Un-ternehmen mit sehr hohem Stromverbrauch werden von Netzentgelten vollständig be-freit. Diese Kosten müssen von allen anderen Verbrauchern getragen werden.Erneuerbare Energien(EEG)-Umlage – Umlage zur Förde-rung der erneuerbaren Energi-en.Offshore-Umlage – Entschä-digung von Betreibern von Offshore-Anlagen, wenn Übertragungsnetzbetreiber betriebsbereite Anlagen nicht rechtzeitig an das Netz an-schließen können.Der größte Skandal ist die Be-

freiung energieintensiver Un-ternehmen sowohl von den Netzentgelten als auch von der EEG-Umlage, zumal die Bun-desnetzagentur dabei offenbar ausgesprochen großzügig ver-fährt. Kann man die Befreiung eines kommunalen ÖPNV-Un-ternehmens noch nachvollzie-hen, hört bei der Allianz-Versi-cherung, dem Erzbischöflichen Ordinariat Erfurt oder diversen Golfklubs jegliches Verständ-nis auf.In der Energierechnung eines Privathaushaltes schlagen ne-ben dem Anstieg der Strom-preise aber in noch viel grö-ßerem Umfang die höheren Preise für Wärme und Treib-stoff zu Buche. Dies hängt ins-

besondere mit dem gestie-genen Ölpreis zusammen. Die »wahren Kosten« der fos-sil-nuklearen Energieversor-gung sind dabei noch wesent-licher höher. So profitieren Atomenergie, Steinkohle und Braunkohle seit Jahrzehnten in erheblichem Umfang von direkter und indirekter staatli-chen Förderungen im dreistel-ligen Milliardenbereich. Wür-de man diese Kosten als eine »Konventionelle Energien-Um-lage« auf den Strompreis umle-gen, wäre diese heute mit etwa zehn Cent pro Kilowattstunde fast dreimal so hoch wie die ge-genwärtige EEG-Umlage. Dies macht deutlich: Die größte Kostenfalle für die Zukunft wä-re ein Festhalten an der fossil-nuklearen Energieversorgung.Das Fazit kann also nur lauten: Das Problem ist nicht die Ener-giewende, sondern das durch die schwarz-gelbe Bundesre-gierung noch zusätzlich geför-derte Profitstreben der Ener-giekonzerne!Wer die Energiewende will, muß die soziale Frage als integ-ralen Teil des ökologischen Um-baus der Energieversorgung begreifen und die Energiewirt-schaft demokratisch umbau-en. Die Willkür der Stromwirt-schaft bei der Preisgestaltung und unberechtigte Privilegien der Industrie zu Lasten der Pri-vathaushalte müssen beendet, die Stromversorgung auch für Menschen mit geringem Ein-kommen garantiert werden. Angela Müller, ADELE

»Mietrechtsänderungsgesetz« - das hört sich neutral an, ist es aber nicht. Der Titel des Gesetzentwurfs heißt korrekt: »Entwurf eines Gesetzes über die energetische Modernisie-rung von vermietetem Wohn-raum und« – darauf kommt es an – »über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungs-titeln«. Die energetische Moderni-sierung ist wichtig und rich-tig. Nur leistet der Gesetz-entwurf der Regierung dazu keinen Beitrag. Bei der ener-getischen Sanierung wird das Recht auf Mietminderung in den ersten drei Monaten aus-geschlossen. Der Einwand ge-gen die Modernisierung, dass die zu erwartende Mieterhö-hung eine Härte darstellen würde, kann nicht mehr sofort geltend gemacht werden, son-dern erst im Mieterhöhungs-

verfahren, und das dann auch nur noch einen Monat lang. Mieterinnen und Mieter haben keine Chance mehr, im Vorfeld Einspruch zu erheben, son-dern müssen sich nachträg-lich in kürzester Zeit ihr Recht verschaffen. Neu dazu kommt jetzt noch die Sicherungsanordnung. Da-mit sollen die Vermieter vor Mieterinnen und Mietern ge-schützt werden, die ihre Miet-zahlungen nicht mehr leisten können. Diese können jetzt noch einfacher auf die Straße gesetzt werden.

Mietnomadentum – ein Problem, das man lösen muss?Der Gesetzentwurf ist eine einzige Mogelpackung: Unter dem Deckmantel der notwen-digen energetischen Moderni-

sierung wird das Pseudo-Pro-blem Mietnomadentum auf Kosten von Mieterinnen und Mietern »gelöst«. Was heißt Mietnomadentum eigentlich? Dass von Anfang an, also mit Unterzeichnung des Mietvertrages, jemand die Absicht (!) hat, niemals Miete zu zahlen – ein Problem, das es in einer relevanten Grö-ßenordnung überhaupt nicht gibt. Und das könnte die Re-gierung sogar wissen. Die FDP hat in der 16. Legislatur-periode in einer Kleinen An-frage von den »drängendsten wohnungswirtschaftlichen und mietrechtlichen Proble-men« gesprochen und mal bei der Bundesregierung nachge-fragt, was zu tun sei. Und was sagte die Bundesregierung (damals CDU/CSU und SPD)? »Die der Bundesregierung vor-liegenden Zahlen bestätigen

diesen Eindruck nicht«. Im Rahmen einer Studie der Universität Bielefeld hat der Hausbesitzerverband seine Mitglieder, die 24 Millionen Mietwohnungen besitzen, ge-beten, über Fälle von Miet-nomadentum zu berichten. Rückmeldung: 400 Fälle von echtem Mietnomadentum. Damit liegt die Zahl im Promil-lebereich.

LINKE LösungenWir finden, bei bestehenden Mietverhältnissen soll ohne wohnwertverbessernde Maß-nahmen eine Mietsteigerung nur im Rahmen des Inflati-onsausgleichs möglich sein. Und wir wollen eine Umla-ge der Modernisierungskos-ten von höchstens 5 Prozent. Auch das rechnet sich, denn die Modernisierungskosten

sind im Rahmen der Abschrei-bungsfristen zu refinanzieren. Mieterhaushalte, deren Ein-künfte unterhalb des bundes-durchschnittlichen Haushalts-nettoeinkommens liegen, sollen maximal 30 Prozent ih-res Nettoeinkommens für alle anfallenden Wohnkosten auf-wenden müssen. Wir fordern, dass das Wohngeld an die tat-sächliche Miet- und Einkom-mensentwicklung angepasst wird, dass Sanierungen nur duldungspflichtig sind, wenn sie keine unzumutbare Här-te bedeuten. Und wir fordern, dass gesetzlich sichergestellt wird, dass die ersatzlose Räu-mung von Wohnungen unzu-lässig ist. Wohnungen sind ein Zuhau-se für Mieterinnen und Mieter und nicht dafür da, Reibach zu machen.Halina Wawzyniak

Angriff auf Mieterrechte

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Seite 6Sachsens Linke! 12/2012

Termine4.Dezember

19:00 Dresden: »Umgang mit politischen Denkmalen aus der DDR-Zeit«

14.Dezember14:30 - Dresden: Dialogkon-ferenz »Neonazismus in Sach-sen«

18. Dezember19:00 Pfingstcamp-Ideentref-fen Region Dresden in der WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, Dresden

19. Dezember 201219:00 Pfingstcamp-Ideen-treffen für Region Leipzig im linXXnet, Bornaische Straße 3 d, Leipzig

20. Dezember 201220:00 Pfingstcamp-Ideentref-fen für Region Chemnitz im Rothaus, Lohstraße 2, Chem-nitz

Das war die Herbst-akademie der linksjugend

Viel zu kurzer Nachruf für Lisa-Marie

Die Herbstakademie ist ne-ben dem Pfingstcamp, der Provinzparade und ande-ren Projekten der linksju-gend [‘solid] Sachsen eines der großes Events des Lan-desverbandes. Vom 24. bis 31. Oktober haben wir täg-lich bis zu 5 verschiedene Seminare, Workshops und Vorträge anbieten können. Ermöglicht wird das gan-ze als Kooperationsprojekt mit dem Ring politischer Ju-gend Sachsen e.V..Das inhaltliche Angebot reichte von Workshops über die Themen Krise, Fa-schismustheorie, Sexis-

mus, Datenschutz bis zu Vorträgen über die Kritik an Verschwörungstheorien, Ökofaschismus und der Ex-tremismustheorie/Streit-barer Demokratie und vie-len weiteren.Neben den inhaltlichen Workshops konnten auch Fähigkeiten vermittelt werden. So haben wir ei-nen zweitägigen Rhetorik-Workshop angeboten bei dem die Teilnehmer_innen im Argumentieren geschult wurden und Tipps zu Rede-techniken und -strategien erhielten. Außerdem wur-de ein Moderationswork-

shop angeboten, in dem die Kunst des Zuhörens und Vi-

sualisierens von Inhalten praktisch angewendet wur-de. Neben diesen methodisch-inhaltlichen Angeboten ha-ben wir auch Skills (Kunst-fertigkeiten) vermittelt. So gab es Workshops zum Nä-hen, Drucken & Stencil und auch zur Erstellung einer kleinen Radioshow. Während dem nächtlichen Tanzbein schwingen, tol-len Spieleabenden konnten wir uns kennen lernen und Freundschaften stärken. Aber wir haben auch zu-sammen getrauert und ge-weint. Lisa-Marie Jatzke, die auch mit uns feiern und singen sollte, konnte nicht bei uns sein. Sie verstarb am 21. Oktober 2012 auf dem Landesparteitag. Marco Böhme

Ihr alle kennt ihn und wir alle lieben ihn: Roy - unser Jugend-bus. Tausende Kilometer hat er auf dem Buckel, hat hun-derte Dörfer mit uns besucht und auf unzähligen Demos die Stimmung angeheizt. Doch Roy ist in die Jahre gekom-men und wird von uns 2013 in Rente geschickt. Deswegen suchen wir einen würdigen

Nachfolger, der uns auf De-mos, unseren Jugendtouren und Veranstaltungen beglei-tet. Dazu brauchen wir Eure Hilfe! Beteiligt Euch an der Su-che - im Internet, im Freundes-kreis oder auf der Straße - und schickt uns Eure Empfehlung! Der/Dem Finder_in drohen verlockende Preise, zusam-mengestellt in einem dicken Präsentkorb! Folgende Anfor-derungen sollte die Nachfol-gerIn von Roy haben: AnhängerkupplungEuro 4 / Grüne Plakatemindestens 6 Sitzplätzemit PKW-Führerschein fahrbarmindestens eine seitliche Schiebetür mit FensterFlügeltüren hinten mit Fensterviel Laderaum, min. 2,5 m Tiefe

Schickt uns die Angebote an unserem Jugendkoordinator Rico Knorr unter [email protected]

Am Sonntag, dem 21. Okto-ber 2012, ist unsere Freun-din, Mitstreiterin und Genos-sin Lisa-Marie Jatzke, vielen auch unter ihrem Künstler-namen LMJ bekannt, verstor-ben. Lisa starb in Folge eines epileptischen Anfalls auf dem Landesparteitag der sächsi-schen LINKEN, den sie selbst noch am Samstagmorgen mit einem eigenen Song und einer Rede eröffnet hat. Wir sind fassungslos über den plötzli-chen Tod von Lisa, die im ge-samten sächsischen Jugend-verband bekannt war.Lisa hatte als LMJ ihr eigenes Solo-Musikprojekt, und hatte, neben ihren anderen Auftrit-ten, auch viele Vorstellungen im Jugendverband gegeben. So bleibt Lisas Neuinterpreta-tion von alten Arbeiterliedern auf dem diesjährigen Pfingst-camp sicherlich nicht nur für uns unvergessen.Beruflich hat Lisa als Sozialas-sistentin gearbeitet und ihre freie Zeit seit mehreren Jah-

ren mit großer Leidenschaft in verschiedene politische Pro-jekte gesteckt. Sie war über Dresden und Sachsen hinaus eine beliebte und bekannte Ansprechperson. Seit 2011

war Lisa gewähltes Mitglied im Beauftragtenrat der links-jugend [‚solid] Sachsen und hat sich in dieser Funktion an ungezählten Projekten des Ju-gendverbandes beteiligt.

Sie war für uns und viele ande-re in erster Linie nicht nur Mit-streiterin und Genossin son-dern eine Freundin, die mit ihrer Lebensfreude und Ener-gie auch immer andere Men-schen begeistert hat.Lisa hatte einen anstecken-den Humor, war eine sympa-thische Polemikerin, begabte Sängerin, engagierte Antifa-schistin und überzeugte und aufrichtige Streiterin gegen Ungerechtigkeit und Wider-wärtigkeiten, insbesondere gegen Rassismus, Antisemi-tismus, Sexismus und Homo-phobie:»Mich widern Sexismus, Na-tionalismus, Rassismus, An-tisemitismus, Homophobie und dergleichen einfach nur an und mein Ziel ist es, gegen diese gesellschaftlich immer noch stark verankerten The-men vorzugehen – auf einer angemessenen, verständli-chen und jugendbezogenen Ebene.« - LMJIm Jugendverband hat Li-

sa neben inhaltlicher und or-ganisatorischer Arbeit auf Stadt- und Landesebene auch Materialien gelayoutet und Veranstaltungen moderiert. Gemeinsam mit Lisa zusam-menzuarbeiten war für alle von uns schön und motivie-rend, denn Lisa hat ihre Ideen nicht aus abstrakter Pflicht-erfüllung umgesetzt, sondern weil sie aus sich selbst heraus dafür gebrannt hat.Von Lisa bleiben uns zahlrei-che schöne Erinnerungen, Bil-der, Töne, Werke, Sprüche und Witze, an die wir uns gern er-innern und erinnern werden, auch wenn es sehr schmerz-lich ist.Wir drücken allen anderen Menschen, die LMJ – so war sie den meisten von uns be-kannt – nahe standen unser tiefes Mitgefühl und Beileid aus und hoffen, alle können LMJ in guter Erinnerung be-halten. linksjugend [‚solid] Sachsen

Wir suchen Roy 2

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Seite 7 12/2012 Sachsens Linke!

Sozio-Politische Entwicklungen und die Rolle von SYRIZADie von der Troika und der griechischen Regierung ge-troffenen Maßnahmen zur Be-wältigung der Wirtschaftskri-se in Griechenland zielten und zielen auch weiterhin auf die Finanzkraft der europäischen BürgerInnen, die letztlich für die Krise zahlen sollen. Nach dieser Logik sehen wir uns mit einer generellen Attacke auf die Rechte der Arbeiten-den sowie einem Angriff auf die sozialen Rechte im Allge-meinen konfrontiert. Alle grie-chischen Regierungen setzten und setzen im Sinne der Um-setzung des Memorandums und in Zusammenarbeit mit der Troika auf eine Politik der »kontrollierten Standards« und einer »gewalttätigen in-ternen Abwertung«.Die Wirtschaftskrise geht ein-her mit einer grundlegenden Legitimationskrise des poli-tischen Systems. Aufgrund des öffentlichen Druckes war die PASOK-Regierung nach der Umsetzung der strengen Sparmaßnahmen gezwungen, mit der rechten Nea Dimokra-tia und der extrem rechten LA-OS, mit Ex-Banker Papademos als Premierminister, eine Re-gierung zu bilden. An diesem Punkt ging in Grie-chenland eine politische Ära zu Ende. Dennoch setzte die neue Regierung auf eine Fort-führung der Vorgängerpolitik und zwang letztlich tausende Menschen in die Arbeitslosig-keit, beschnitt immer weiter soziale Rechte und Freiheiten. Flankiert vom Beharren der EU auf einer harten neolibera-len Politik auf wirtschaftlicher wie politischer Ebene, führte dies zur zunehmenden Radika-lisierung weiter Bevölkerungs-kreise sowie einer starken so-zialen Mobilisierung. Unglücklicherweise führte das auch dazu, dass sich wich-tige Teile der Bevölkerung, da-runter Angehörige unterprivi-legierter Schichten und junge Menschen, der neofaschisti-schen wie rassistischen Par-tei des Golden Dawn zuwen-deten. Diese weiß, wie man die Ängste der Menschen, den Glaubwürdigkeitsverlust des politischen Systems, die akute wirtschaftliche Bedro-hung und die Frage nach der Einwanderung zum eigenen Vorteil nutzen kann. Trotzdem

wurde der Vorschlag von SYRI-ZA, mit allen Kräften, die sich gegen das Memorandum stel-len, eine neue kraftvolle Koali-tion zu gründen, letztlich von den Menschen positiv auf-genommen, ungeachtet aller Schwierigkeiten und trotz der Ablehnung dieses Vorschla-ges seitens einiger anderer linken Strömungen. So stellt das Resultat der Wahlen im Mai einen wichtigen Schlag gegen die Pro-Memorandum-Kräfte und die des Establish-ments dar. Die Nea Dimokratia stand mit 18,85% an erster Stelle, SY-RIZA folgte mit 16,78 % und PASOK fiel auf 13,18%. Die Unabhängigen Griechen stan-den mit 10,60% an vierter Stel-le, die Kommunistische Par-tei erreichte 8,48%, Golden Dawn 6,97% und die Demokra-tische Linke wurde mit 6,11% gewählt. SYRIZA ist damit die wichtigste Widerstandskraft innerhalb der griechischen Gesellschaft. Das Fortbeste-hen des politischen und wirt-schaftlichen Establishements und dessen imposanter «Lö-sungen” steht im Widerspruch

zum Willen der Menschen, und das Versagen dieses Systems, eine wirkliche Lösung zu fin-den, führte zu Neuwahlen. Der Bedeutungsgewinn von SYRI-ZA und deren offensichtlich zunehmende Durchsetzungs-kraft provozierte geradezu ei-ne systemische Reaktion. Die-se äußerte sich in Form von Lügen, Verzerrungen, Desin-formation und einer groß an-gelegten Erpressung der Wäh-lerinnen und Wähler. Bei der zweiten Wahl im Juni war es das Ziel der SYRIZA, stärkste Kraft zu werden, um eine star-ke Regierungskoalition bilden zu können, in deren Zentrum die linken Kräfte stehen. Auf der anderen Seite instru-mentalisierten die das Me-morandum unterstützenden Aktivisten die Spekulationen um einen möglichen Ausstieg aus dem Euro, um ihren Ein-fluß auszuweiten. Letztlich ge-lang es SYRIZA unter extrem schwierigen Bedingungen, ein für griechische Verhältnis-se erstaunlich gutes Ergebnis zu erlangen*. Die Regierung konstituierte sich schluss-endlich aus Nea Dimokratia,

PASOK und der Demokrati-schen Linken. Als wäre nichts geschehen und entgegen des vor den Wahlen abgegebenen Versprechens, die Memoran-dum-Politik einer kritischen Prüfung zu unterziehen, führt die Regierung den politischen Kurs fort, der Griechenland zerstört. Dies verstößt deut-lich gegen die Würde der Grie-chen. Doch ungeachtet davon werden die Wahlen nicht der letzte Versuch der Menschen in Griechenland gewesen sein, das Memorandum zu überwin-den, vielmehr sind sie als ers-te große Schritte in Richtung eines politischen Wandels zu betrachten. Der Kampf der Linken richtete sich nicht ausschließlich gegen Nea Dimokratia und PASOK. Vielmehr gab es enorme und ungedeckte externe Interven-tionen, eine riesige »Terror-Kampagne«, gestützt von den größten Akteuren der Massen-medien mit der Absicht, den möglichen Wahlsieg SYRIZAS zu boykottieren. Kurz vor den Wahlen »flüchteten« zwei Mil-liarden Euro von den griechi-schen Banken. Trotz der festen

Vereinbarungen wurden eine Milliarde Euro Hilfsgelder von der Troika vorenthalten. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass gezielte Anstrengungen unter-nommen wurden, die Mitarbei-ter großer Banken und Firmen vor den Wahlen unter Druck zu setzen, um potenzielle SYRIZA Wähler einzuschüchtern.Die im Juni gebildete Regie-rung hat einen Vorteil und zwei Nachtteile. Der Vorteil ist, dass sie durch die letzten Wahlen legitimiert ist. Nach-teilig jedoch wirkt sich die ei-gene Politik aus, die alle linken Ansätze auf dem Gebiet der Arbeits- und sozialen Rech-te und im öffentlichen Dienst und Sozialstaat zerstört. Nachteilig ist zudem, dass nicht nur die Geduld der Men-schen ein Ende gefunden hat, sondern auch ihre Bereit-schaft, die ungeheuren exis-tenziellen Belastungen weiter zu ertragen. Die Geschehnisse der letzten Monate haben nicht nur die politischen Kräfteverhältnis-se Griechenlands verändert, sondern das gesamte Land. Die harte Realität des Memo-randums hat das Bewusstsein der Menschen radikal verän-dert, ihre Ansichten und auch ihre Bedürfnisse. SYRIZA wird jetzt als Kraft des sozialen Wi-derstandes und des Wandels, sowie als Kraft des politischen Ausweges wahrgenommen. Linke Ideen sind wieder in das Zentrum des politischen und sozialen Lebens gerückt.Jetzt ist Zeit für die Formie-rung der großen Linken, nach welcher die griechischen Bür-gerInnen gefragt haben, was man nicht zuletzt an den Er-gebnissen der letzten Wah-len sehen kann. Die Schritte zur Einheit müssen vollendet werden. Dazu braucht es vor allem eine Zusammenführung aller linker Tendenzen und Kräfte zur Schaffung einer ge-einten linken Identität, mit der Fähigkeit und dem Ziel, eine alternative Wirklichkeit, zu-gunsten der griechischen Ge-sellschaft, zu gestalten. Nikos Chountis, MEP of SYRIZA in the GUE/NGL (MdEP)

DIE LINKE im Europäischen Parlament

Die Wirtschaftskrise in Griechenland

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Seite 8Sachsens Linke! 12/2012

Wenn man nach seinen Aufga-ben geht, stellt das Auswärtige Amt das Kraftfeld ziviler deut-scher Außenpolitik dar: So ist in den Vorbemerkungen sei-nes Etats definiert, dass es der »dauerhaften, friedlichen und gerechten Ordnung in Europa und der Welt«, der »Wahrung der Menschenrechte« sowie dem »Aufbau eines vereinten Europas« dienen soll. Schauen wir in den Haushalt des Außen-ministeriums als Grundlage für dessen Politik, ist dieser An-spruch nicht aufrechtzuerhal-ten. Kurz gesagt: Weder hat das Auswärtige Amt die finan-ziellen Mittel noch die inhaltli-chen Zuständigkeiten, um die deutsche Außenpolitik zu prä-gen.Dies lässt sich an den Relatio-nen zwischen den drei Minis-terien verdeutlichen, die im wesentlichen die internationa-le Politik Deutschlands abde-cken: dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenar-beit und Entwicklung (BMZ) und dem Verteidigungsminis-terium (BMVg). Das Auswär-tige Amt wird 2013 über ins-gesamt 3,5 Milliarden Euro, gerade einmal ein Prozent des

Gesamtetats, verfügen. Das BMZ dagegen – das die FDP an sich auflösen und dem Außen-ministerium angliedern wollte, bis sie für Herrn Niebel 2009 ei-nen Ministerposten brauchte – hat mit 6,4 Milliarden Euro fast das Doppelte zur Verfügung. Dass der Etat des Verteidi-gungsministeriums 2013 mit 33 Milliarden Euro wesentlich höher ist, mag angesichts ei-ner teuren Armee niemanden erstaunen. Doch wenn man sich vor Augen hält, dass das BMVg in den letzten vier Jah-ren noch zwei Milliarden Eu-ro zusätzlich bekommen hat, während der gesamte Etat des Westerwelle-Ministeriums bei nur 3,5 Milliarden Euro liegt, wird schnell sichtbar, dass in der politischen Schwerpunkt-setzung ein Missverhältnis vorliegt. Noch deutlicher wird die Unterfinanzierung, wenn man weiß, dass die Hälfte des Budgets des Außenministers durch Personal- und Betriebs-kosten und durch Pflichtbei-träge an internationale Organi-sationen gebunden ist. Große zivile Vorhaben und außenpoli-tische Strategien sind so nicht zu finanzieren.Beinah sarkastisch muss man

anfügen: Dazu fehlen dem Auswärtigen Amt unter die-ser Bundesregierung auch die Kompetenzen. In der Europa-politik haben spätestens seit Beginn der Krise allein Merkel und Finanzminister Schäub-le das Sagen. Überall dort, wo die Bundesrepublik in Kriegs-einsätze und militärische Kon-flikte verstrickt ist, hat das Verteidigungsministerium den Hut auf. Und mit dem BMZ von Minister Niebel befindet sich das Auswärtige Amt in einer Art Dauerauseinandersetzung um Projekte und Personal, al-so um Zuständigkeiten und Geld.

Ein Außenministerium, das kaum finanzielle Mittel zur Ver-fügung hat und dessen Kom-petenzen von anderen Ministe-rien beschnitten werden, kann weder dem Frieden dienen, noch den Menschenrechten, noch der Einigung Europas. Die Schwächung des Auswär-tigen Amts ist eine Seite der Medaille, auf deren anderen Seite die zunehmende Bereit-schaft Deutschlands zur Be-teiligung an Militäreinsätzen steht. Unabhängig von unse-rer inhaltlichen Kritik als LIN-KE an dem schwachen Außen-minister Westerwelle kann uns das nicht egal sein. DIE LINKE will ein starkes Auswärtiges Amt als tragende Säule der zi-vilen Außenpolitik. Aus diesem Grund haben wir in den Haus-haltsverhandlungen Mehraus-gaben in den Bereichen hu-manitäre Hilfe, Förderung der Menschenrechte, Abrüstung und Rüstungskontrolle in Hö-he von insgesamt 215 Millio-nen Euro vorgeschlagen. Mit der Regierungskoalition war jedoch selbst diese maßvolle Erhöhung nicht zu machen.Michael Leutert, MdB, Mitglied des Haushaltsauschusses

Wohnungspolitik unter Stadtumbau-bedingungen Seit die Bundesregierung im Jahr 2002 das Programm Stadtumbau Ost aufgelegt hat, ist eine Evaluation nach zehn Jahren Laufzeit vorgese-hen. Die Stadt Hoyerswerda bietet sich dazu in besonde-rem Maße an, da die Neustadt eines der ersten Wohnungs-bauprojekte in der DDR war. Die Wohngebiete sind paral-lel zur Industrialisierung der Region gewachsen und bo-ten Tausenden von Arbeite-rinnen beliebten Wohnraum. Nach dem Mauerfall geriet die Großwohnsiedlung aufgrund von Abwanderung stark un-ter Druck. In den vergange-nen Jahren wurden hier rund 8.500 Wohnungen abgeris-sen. Mit einer Fachexkursion von Mitgliedern der Bundes-tags-, Landtags- und Kom-munalfraktionen sollten nun aktuelle Fragen der zukunfts-fähigen Stadtentwicklung und Wohnungspolitik im regiona-len Kontext einer struktur-schwachen Region bearbeitet werden. Eingangs der vierstündigen Exkursion erläuterte Frau Bau-

meister, engagierte Architek-tin in Hoyerswerda, zum Ver-ständnis die städtebauliche Idee dieser Siedlungen, um die aktuellen Prozesse nach-zuvollziehen. Dabei stechen die ältesten Siedlungsberei-che aus den 1960er Jahren durch stabile Nachbarschaf-

ten, wenig Wohnungsleerstän-de und ein gepflegtes Wohn-umfeld heraus. Der Abriss von Wohnungen spielte dort zwar bislang eine untergeordne-te Rolle, allerdings stellt das durchschnittliche Alter der Bewohner von rund 58 Jahren diese Quartiere vor große He-

rausforderungen. Die Exkursi-on führte weiter zu den Wohn-komplexen VIII und X aus den 1980er Jahren. Dort ist durch flächenhaften Abriss von meh-reren tausend Wohnungen die städtebauliche Struktur völ-lig aufgelöst. In der Folge sind weitläufige Brachflächen zu-

rückgeblieben. Im Wohnkomplex X konnten die Teilnehmerinnen nur er-ahnen, welche Verluste und Emotionen aus den massiven Wirkungen des Stadtumbau Ost für die Bewohnerinnen re-sultieren. Mit zahlreichen kul-turellen Projekten wie bspw. einem »Wohngebietsfest ohne Wohngebiet« haben engagier-te Hoyerswerdsche versucht, gemeinsam mit den Bewoh-nerinnen diesen schwierigen Prozess zu gestalten. Am Abend lud Caren Lay zur Podiumsdiskussion »Woh-nungspolitik unter Stadtum-baubedingungen« in die Kul-turfabrik Hoyerswerda. Als Gesprächsteilnehmerinnen stellten sich Heidrun Bluhm und Enrico Stange als Vertre-ter der LINKEN, Frau Baumeis-ter und Herr Arne Myckert (Wohnungsgesellschaft Gör-litz) einer lebhaften Diskussi-on mit gut 30 Gästen. Im Er-gebnis verdeutlichte sich, dass für die zukünftige Ent-wicklung weitere Mittel aus dem Programm Stadtumbau Ost sowie eine Regelung zur Altschuldenentlastung benö-tigt werden. Nico Grunz, Enrico Stange

DIE LINKE im Bundestag

Wenig Geld, kaum Kompetenzen – das Auswärtige Amt auf dem Abstellgleis

Das Beispiel Hoyerswerda

Bei der Praxisgebühr …

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hat es noch gedauert. Seit ihrer Einführung durch Rot-Grün ha-ben wir uns als PDS und LINKE für ihre Abschaffung eingesetzt und zahlreiche Anträge dazu im Bundestag gestellt. Nach über acht Jahren haben die anderen Parteien nun endlich unsere Forderung übernommen. Dass es auch schneller geht, zeigt unser Vorschlag eine ‚Abwrack-prämie‘ für alte Stromfresser einzuführen, die vor allem Men-schen mit niedrigen Einkom-men zugute kommen soll. Katja Kipping hatte dies zuerst im Au-gust gefordert. In der abschlie-ßenden Beratung des Bundes-haushalts Ende November habe ich in meiner Rede noch einmal auf den vorliegenden Antrag der LINKEN hingewiesen. Dem wurde zwar nicht zugestimmt. Doch schon zwei Tage spä-ter hieß es, dass es „konkrete Überlegungen“ der Bundesre-gierung dazu gebe. Also wenn die Übernahme LINKER Vor-schläge jetzt immer so schnell geht…Michael Leutert

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Schwacher Außenminister ohne Geld

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Seite 5 12/2012 Links! Geschichte

Vor 90 Jahren: Gründung der UdSSRAm Vormittag des 30. Dezem-ber 1922 strömten viele Men-schen in das Bolschoi-The-ater. Die meisten von ihnen hatten bereits einen Sitzungs-marathon seit dem 23. De-zember hinter sich (X. Gesam-trussischer Sowjetkongress). Nun sollte das seit längerem angedachte und angestrebte Werk, das mit dem Sieg der Revolutionäre im Bürgerkrieg auf die Tagesordnung gerückt war, vollendet werden – die Gründung der Union der Sozi-alistischen Sowjetrepubliken. Die meisten Delegierten wa-ren gewiss in freudiger Erwar-tung, wenn sie auch bedauer-ten, dass Lenin wegen eines erneuten Schlaganfalls nicht an der Versammlung teilneh-men konnte. Es war Stalin, der gerade ernannte Generalse-kretär der KPR(B) und Volks-kommissar für Nationalitäten-fragen, der das Referat hielt. In den theoretischen und poli-

tischen Aussagen sagte Stalin manches Richtige: Jetzt könne das Fundament für die brüder-liche Zusammenarbeit der im ehemaligen zaristischen Reich lebenden Völker gelegt wer-den. Der einheitliche Bundes-staat werde den wirtschaft-lichen Aufschwung, die freie Entwicklung der Völker und die Sicherheit des Landes ge-währleisten. Vier Vorsitzende des Zentralexekutivkomitees wurden als nominelle Staats-oberhäupter gewählt: Kali-nin, Petrowski, Tscherwjakow und der Aserbaidshaner Nari-mow. Während Narimow be-reits 1925 verstarb, konnten die anderen drei die Entartung des „Sozialismus“ in den fol-genden Jahren zumindest teil-weise erleben. Der Weißrusse Tscherwjakow bis 1937, als er sich das Leben nahm, der Uk-rainer Petrowski bis 1938, als er von der politischen Bühne abtrat, so sein Leben rette-

te und als Museumsdirektor eine Beschäftigung fand und der Russe Kalinin, der 1946 ei-nes natürlichen Todes starb. Er war bis zur Selbstaufgabe über all die Jahre ein willfäh-riger Gehilfe des Diktators ge-wesen.Mit der Gründung der UdSSR erfüllten sich im Wesentlichen nur die Hoffnungen, die Sta-lin und seine Führungsclique mit ihr verbunden hatten: Mit dem Herunterbeten der „Len-inschen Nationalitätenpolitik“ und deren scheinbaren An-wendung wurde die Installati-on eines brutalen Regimes der Gewalt bis in den hintersten Winkel des Riesenreiches voll-zogen. Die vollständige Dar-stellung der Repressalien, Ver-treibungen und Erschießungen – für Stalin die Garantie der Macht – von nationalen Min-derheiten steht noch aus. Den „Säuberungen“ in der Partei seit Mitte der 30er Jahre fielen

unzählige nationale Kader, Par-tei- und Staatsfunktionäre zum Opfer. Ethnische Säuberungen begannen 1933 mit der De-portation der Kubankosaken und setzten sich bis 1944 fort. Während des Krieges wurden mehr als drei Millionen Men-schen aus ihrer angestammten Heimat vertrieben, darunter mehr als eine Million Deut-sche. Autonome Republiken – Tschetschenien, Inguschetien, die Republiken der Krimtata-ren und der Wolgadeutschen verschwanden von der Land-karte. Nach dem Krieg wurden im Namen der „Leninschen Na-tionalitätenpolitik“ eine große Verfolgung der Juden und eine antisemitische Welle durch die KPdSU(B) inszeniert. Der von den Völkern wider-standslos hingenommene Zerfall der UdSSR 1991 macht deutlich, dass sich eine tiefge-hende Identifikation der Men-schen mit der UdSSR nicht he-

rausgebildet hatte, dass vom Erbe der Oktoberrevolution und damit von der Gründung der UdSSR nicht viel übrig ge-blieben war.Die UdSSR stellte die Form dar, in der sich die Herr-schaft des Stalinismus über ein Sechstel der Erde ausbrei-ten konnte. Zugleich war sie der Rahmen, in dem sich An-sätze eines gedeihlichen Zu-sammenwirkens der Völker und Nationalitäten auf loka-ler Ebene partiell entwickel-ten. Die UdSSR mit ihren ge-waltigen Ressourcen war die entscheidende Kraft bei der Zerschlagung der faschisti-schen Weltherrschaftspläne. Ihre Rolle im Nachkriegseuro-pa ist widersprüchlich. Sie war aber keinesfalls „das schöns-te Land auf Erden, wo das Herz so frei dem Menschen schlägt“, wie es in einem Lied aus den Enddreißiger Jahren hieß. Hartmut Kästner

Zu denjenigen, die mit ei-nem einzigen Satz in die Ge-schichte eingegangen sind, gehört auch der Autor des im Titel verkürzt wiedergegebe-nen Ausspruchs. Er stammt in seiner originalen Form von Eduard Bernstein (1850 – 1932). Bernstein gehört ne-ben August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Paul Singer, Karl Kautsky u. a. zu den Reprä-sentanten der klassischen So-zialdemokratie. Seine Rolle in der SPD war aber umstritten. Auch sein persönliches Leben war nicht ohne Dramatik. Eduard Bernstein stammt aus der kinderreichen Familie ei-nes Lokomotivführers, konnte ein Gymnasium besuchen und wurde Angestellter im Bank-haus Rothschild. In der Haupt-stadt des neuen deutschen Kaiserreiches kam er in Kon-takt mit der erstarkenden Ar-beiterbewegung und schloss sich ihr aus Überzeugung an. Nach Erlass des Sozialisten-gesetzes 1878 emigrierte er zunächst in die Schweiz. Von dort aus redigierte er das il-legale Zentralorgan der SPD „Der Sozialdemokrat“. Er wur-de auf Betreiben der deut-schen Regierung ausgewie-sen und ging nach London. Dort hatte er engen Kontakt mit Friedrich Engels, der ihn als Betreuer seines und Mar-xens literarischen Nachlasses einsetzte. Gegen Ende der 1890er Jah-re wagte es Bernstein in einer Artikelserie, einige überkom-mene Thesen, die auf Marx zurückgingen, anzuzweifeln:

die Gewissheit vom bevorste-henden Zusammenbruch der kapitalistischen Gesellschaft; die ständige Verelendung des Proletariats; die Polarisierung der Gesellschaft in zwei ge-gensätzliche Klassen (Kapita-listen – Proletarier) und damit zusammenhängend das Ver-schwinden der Mittelschich-ten. Zusammengefasst hat er seine Ansichten im Haupt-werk „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Auf-gaben der Sozialdemokratie“. Bernstein sah die o. g. Thesen, selbst wenn sie einmal richtig gewesen waren, als von der Entwicklung überholt und zu Dogmen erstarrt. Er belegte das mit einer Fülle von Fakten. Zugleich entwickelte er seine Position. Die Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in eine sozialistische könne nicht durch einen revolutio-nären Gewaltakt, sondern nur schrittweise erfolgen. Dazu gehörten der ständige Kampf um die umfassende Demo-kratisierung der Gesellschaft und gesellschaftliche Kontrol-le der Produktion. Vergesell-schaftung müsse nicht allein durch Verstaatlichung erfol-gen. Als Konsequenz aus sei-nen Ansichten formulierte er den provokanten und in der Verkürzung berühmt gewor-denen Satz: „Ich gestehe es offen, ich habe für das, was man gemeinhin unter ‚Endziel des Sozialismus’ versteht, au-ßerordentlich wenig Sinn und Interesse, dieses Ziel, was im-mer es sei, ist mir gar nichts, die Bewegung alles“.

Er stieß auf den heftigen Wi-derstand der Partei, beson-ders Bebel, Kautsky, am hef-tigsten Rosa Luxemburg in ihrer Schrift „Sozialreform oder Revolution ?“. Sie sa-hen in Bernsteins Thesen den Verlust der revolutionä-ren Perspektive. Auf meh-ren Parteitagen wurden Bern-steins Ansichten diskutiert

und mehrheitlich verworfen, ein Ausschluss aus der Partei aber abgelehnt.Die umfangreiche und erbit-tert geführte Diskussion ist als sog. Revisionismus-Streit in die Parteigeschichte einge-gangen. Er ist die geistige Vor-geschichte der späteren Spal-tung der SPD. Trotz der zunächst erfolg-

ten Ablehnung hat die wei-tere Entwicklung Bernstein zu großen Teilen Recht gege-ben. Nach dem Scheitern des Staatssozialismus schien der Triumph Bernsteins umfas-send. Aber in der neoliberalen Rück-Wende hat die Schröder-SPD in Jahrzehnten erkämpf-te soziale Errungenschaften fallengelassen. Der Wider-stand der damaligen PDS war zu schwach. Paradoxerweise hat die Agenda 2010 über die WASG zur LINKEN geführt. Er-neut steht die Frage: Wie wei-ter? Heute muss die Linke ei-ne Antwort unter den heutigen Bedingungen finden. Bern-stein und Luxemburg sind da-bei nicht Maßstab, aber Bei-spiel und lehrreich.Nach 1900 durfte Bernstein nach Deutschland zurückkeh-ren. Er war Lehrer an der Ge-werkschaftsschule, publizis-tisch tätig und wurde für die SPD in den Reichstag gewählt. 1914 schloss er sich nach an-fänglicher Kriegsbegeisterung schnell den Kriegsgegnern an und trat für einen Verständi-gungsfrieden ohne Annexio-nen ein. Kurzzeitig gehörte er der USPD an. Bemerkenswert seine Mitarbeit am eindeu-tig revisionistischen Görlitzer Programm der SPD von 1921. Eduard Bernstein war als Ju-de geboren und als Erwachse-ner aus der Religionsgemein-schaft ausgetreten. Sein Tod 1932 bewahrte in davor, in die faschistische Vernichtungs-maschinerie zu geraten.Manfred Hötzel

»Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts.«

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Seite 6Links! 12/2012

ImpressumLinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die WeltHerausgebergremium: Dr. Mo-nika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dres-

denNamentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer

Auflage von 16050 Exempla-ren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig, Rico Schubert (V.i.S.d.P.)Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84 38 9773Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelioRedaktionschluß: 25.11.2012Die nächste Ausgabe er-

scheint am 31.1.2013. Die Zei-tung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Ver-sand. Abo-Service 0351-84389773Konto: KontoNr. 3491101007, BLZ 85090000, Dresdner Volksbank

Internet www.links-sachsen.de

TermineRosa-Luxemburg-Stiftung

….war das Thema eines Semi-nars, das im November in der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Leipzig stattfand. Auf Einla-dung der Europaabgeordne-ten Lothar Bisky und Cornelia Ernst referierten ExpertInnen über den Zustand und die Ver-netzung rechter und neonazis-tischer Akteure in der EU. Was die Begriffe »Populismus« und »Extremismus« taugen, hin-terfragten Fritz Burschel von der Akademie für politische Bildung der RLS und Mirko Fi-scher (Initiative gegen jeden Extremismusbegriff). Wäh-rend der Populismusbegriff zur subsummierenden Beschrei-bung von Ideologien der Un-gleichwertigkeit oder autoritä-ren Strategien eher untauglich ist, dient der Extremismusbe-griff zur gezielten Herstellung einer Ordnung, aus der unlieb-same politische Akteure aus-geschlossen werden, so die Referenten. Der britische Wis-senschaftler Matthew Goodwin stellte seinen »Chatham House Report« über rechte und neona-zistische Akteure in Europa vor. Ihm zufolge ist nicht die krisen-hafte wirtschaftliche Situation, sondern die Angst vor dem Ver-lust der kulturellen Identität das zentrale rechte Erfolgsthema. So muss es darum gehen, die jüngeren, toleranzerfahrenen Generationen zu stärken.Thilo Janssen, Mitarbeiter der Vorsitzenden der linken Frakti-on im Europäischen Parlament, Gabi Zimmer, stellte, basierend auf seiner Studie »Was macht die politische Rechte im Euro-päischen Parlament«, dar, wie rechte und neonazistische Ak-teure auf EU- Ebene organisiert sind. Prof. Peter Porsch gab Einblick in das Wirken der wohl erfolgreichsten rechtspopulis-tischen Partei in Europa, der FPÖ. Mit ihrem Lavieren zwi-schen Nazitum und Bürgerlich-keit wurde die FPÖ 1999 durch die konservative ÖVP mit der Beteiligung an der Regierung belohnt und kommt derzeit auf ca. 20 Prozent.Der Islam ist das Top-Thema der politischen Rechten in ganz Europa. Dies arbeitete auch der Publizist Volkmar Wölk am Bei-

spiel Frankreichs heraus. Ob-wohl die Kandidatin der Front national, Marine Le Pen, mit fast 18 Prozent ein gutes Er-gebnis einfahren konnte, be-findet sich die führende rechte Partei Frankreichs in der Krise. Sie wird von Gruppen wie dem Bloc Identitaire herausgefor-dert, die den traditionellen Na-tionalismus als überholt klassi-fizieren und einen Kulturkampf gegen Multikulturalismus, ins-besondere den Islam propagie-ren. Die »Identitären« sind Teil der so genannten neuen Rech-ten, die sich für ein starkes Eu-ropa einsetzt, das sich gegen »Islamisierung«, »außereuropä-ische Einwanderung« wehrt. Ih-re Mittel sind unkonventionell, aktionistisch und räumen dem Internet einen hohen Stellen-wert ein.Das Seminar wurde mit einem Beitrag von Uli Jentsch vom an-tifaschistischen pressearchiv und bildungszentrum berlin (apabiz) abgerundet. Er stellte aktuelle Kampagnen von Neo-nazis vor, die sowohl im als auch außerhalb des Parlamen-tes zum Tragen kommen. Mit Blick auf die griechische Nazi-partei Chrysi Avgi stellte er her-aus, dass die politische Rechte es versteht krisenhafte Situa-tionen für sich zu nutzen. Die griechische Partei ist sowohl auf der Straße als auch im Par-lament mit rassistischer Agi-tation und Praxis präsent und kann wachsenden Zuspruch für sich verbuchen.Am Ende bleiben folgende Be-funde: Die politische Rechte ist in den meisten Ländern Euro-pas gut aufgestellt. Dies kann auch bei den Wahlen zum Eu-ropäischen Parlament 2014 zur Verstärkung der eher zersplit-terten Akteure auf dieser Ebene führen. Hauptthema der (Neo)FaschistInnen bleibt der Ras-sismus, der verstärkt kulturalis-tisch aufgeladen wird und sich gegen die vermeintliche Islami-sierung Europas wendet. Dabei gelingt es sowohl bei der wach-senden ökonomischen Unsi-cherheit wie auch der Angst um den Verlust der eigenen kultu-rellen Identität anzusetzen.Das Seminar hat einen umfas-senden Überblick über Themen und Strategien der politischen Rechten in Europa geliefert. Es gilt hier anzuknüpfen und sich in die Diskussion um konzer-tierte linke Antworten zu be-geben. Einen konkreten Vor-schlag brachte Uli Jentsch mit dem Plädoyer für grenzüber-schreitende, praktische Solida-rität mit Flüchtlingen oder sozi-al Deklassierten zum Beispiel in Griechenland. Cornelia Ernst, Juliane Nagel

Die europäische Rechte – aktuelle Analysen und Befunde

Leipzig, 5. Dezember, 18 Uhr Vortrag und Diskussion Deutsche und Russen, Russen und Deutsche. Wahrnehmungen aus fünf Jahrhunderten - Leipzigs ‚russische Welt’ von den Anfängen bis 1914

Mit Prof. Dr. Erhard Hexel-schneider, LeipzigModeration: Prof. Dr. Wolf-gang GeierRosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

In dieser Veranstaltungsrei-he werden anhand geschicht-licher Quellen, auf der Grund-lage von Veröffentlichungen und persönlichen Erfahrungen der Vortragenden historio- und biogra-fische wechsel-seitige Wahrnehmungen zwi-schen Deutschen und Russen, Russen und Deut-schen aus fünf Jahrhunderten behandelt.

Chemnitz, 5. Dezember, 19 Uhr Vortrag und Dis-kussion „Weder links noch rechts?“ – Zeev Sternhells Analyse der faschisti-schen Ideologie*** Mit Jörg Sundermeier Eine Veranstaltungsreihe vom Studentenrat (StuRa) an der TU Chemnitz und dem Rosa-Luxemburg-Club mit Unter-stützung des Regionalbüro Chemnitz der Rosa-Luxem-burg-Stiftung SachsenTU Chemnitz, Raum wird noch bekannt geben unter: http://bildungskollektiv.blogsport.de

»Es gibt in unserem politi-schen Vokabular nur wenige Begriffe, die sich einer solch umfassenden Beliebtheit wie das Wort Faschismus erfreu-en, ebenso aber gibt es nicht viele Konzepte im politischen Vokabular der Gegenwart, die gleichzeitig derart ver-schwommen und unpräzise umrissen sind.« Mit diesem Satz leitete der bedeutende israelische Historiker Zeev Sternhell 1976 seinen Auf-satz »Faschistische Ideologie« ein. Dieser Satz gilt bis heute – insbesondere für Deutsch-land. Sternhell nimmt in die-

ser Einführung, die der klei-ne Berliner Verbrecherverlag 2002 erstmals als Überset-zung vorlegte, eine genaue Bestimmung des Begriffes Fa-schismus aus seiner histori-schen und ideologischen Ent-wicklung heraus vor. Für 2013 plant der Verbrecherverlag ei-ne Neuausgabe des vergriffe-nen Buches. Der Verleger Jörg Sundermeier wird zu dem Text und seine Editionsgeschichte referieren.

Dresden, 5. Dezember, 19 Uhr Dokumentarfilm Catastroika – privatization goes publicAusverkauf der Demokratie - Eine griechische Tragödie.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Ostrawa, 7.-9. Dezember, Seminar Rassismus und Antiziganismus in Zentral- und Osteuropa - Racism and Anti Roma resent-ments in Central and Eas-tern EuropeMit Kumar Vishwanathan, An-dreas Koob, Fritz Burschel Guillermo Ruiz, Amaro Foro, Pedro, Aguilera Cortés, Vla-dan Jeremic, Dejan Markovic und Marika Tändler

Die Behandlung von Roma im heutigen Europa ist mehr als Roma-Diskriminierung. Das Seminar möchte Informatio-nen über die aktuelle Situati-on austauschen, dabei den Fo-kus auf Osteuropa richten und darüber hinaus Netzwerke er-möglichen und gemeinsame Wege eruieren, um europa-weit gegen Fremdenfeindlich-keit und die Vertreibung und Marginalisierung der Roma zu kämpfen.

Chemnitz, 12. Dezember, 19 Uhr Diskussion VERANSTALTUNGSREIHE: Seitenwechsel - Sexismus und Fußball***Mit Nicole Selmer, Marcus Ur-ban, Different People Chem-nitz und dem Fanprojekt

Eine Veranstaltungsreihe der Volkshochschule, der Antifa-schistischen Fussball-Fan-In-itiative Chemnitz, Different People e.V., des Fanprojekts der AWO und der Rosa-Luxem-burg-Stiftung Sachsen e.V.tietzCafé, 3. OG, Moritzstraße 20, 09111 Chemnitz

Stadien und Public-Viewing-Plätze sind nicht nur Stätten der Sportbegeisterung, son-dern auch Orte, an denen Fans ihren Aggressionen freien Lauf lassen und häufig in ein sexistisches und homophobes Vokabular verfallen. Zeigt sich hier der entgrenzte Fan, frei von unnötigen Rücksichtnah-men, ganz dem Ressentiment verfallen? In einer Gesprächs-runde mit engagierten Fuß-ballfans wollen wir dem The-ma auf den Grund gehen.

Dresden, 11. Dezember, 18 Uhr Vortrag und Diskus-sion JUNGE ROSA speziell für Jugendliche und junge Erwachsene Copyright or copyleft? - Die Sache mit dem Urheberrecht Mit Gregor Henker, LeipzigWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Dresden, 12. Dezember19 Uhr Vortrag und Diskussi-on Veranstaltungsreihe: Alternativen zum Kapita-lismus. Spurensuche. Soli-darisches WirtschaftenMit Dr. Judith Dellheim, Ins-titut für Gesellschaftsanaly-se der Rosa-Luxemburg-Stif-tung, BerlinWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

In den letzten Jahren ist »Solida-rische Ökonomie« wieder neu oder erstmals ein Thema für viele Linke geworden. Sie ver-weisen gerne auf Lateinameri-ka oder alternative Lebenswei-sen, werben für »WIR-AG statt ICH-AG« und für »das Andere, Stabile nach der Demo«. War-um und wieso und was tun, um »Solidarische Ökonomie« als Weg zur solidarischen Gesell-schaft zu betreiben?

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Seite 7 12/2012 Links! Kultur

Bitte nehmen Sie Platz – eine neue kulturelle Bewegung

Hart, aber wahr

Sie heißen KulturLoge, Kul-turTafel oder KulturRaum und werben mit Slogans wie »Ihr Schlüssel zur Kultur« oder »Werden Sie unser Kultur-Gast«. Gemeinsam ist all die-sen Initiativen, dass Sie kos-tenlos von den Veranstaltern gespendete Plätze an Gäste vermitteln, deren Finanzbud-get für Live-Kultur zu klein ist. Nur 8 Prozent der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands be-suchen regelmäßig Kulturver-anstaltungen. 42 Prozent wol-len oder können sich größere Kulturveranstaltungen nicht leisten. Jene zu erreichen, deren Geldbeuel für Theater, Konzert oder Sportveranstal-tung zu klein ist, und ihnen Kultur zu ermöglichen, ist Ziel dieser Initiativen.Auch in Dresden gibt es seit Mitte Oktober eine Kulturlo-ge. Die Idee der Kulturloge lernte ich in Berlin kennen. Und ich fand, dass solch ein Projekt einer Kulturstadt wie Dresden gut zu Gesicht ste-hen würde. Deshalb lud ich im Sommer 2011 Kulturschaffen-de sowie Vertreterinnen und Vertreter verschiedener sozi-aler Einrichtungen zu einem runden Tisch »Eine Kulturloge für Dresden« ins Umweltzen-trum ein. Unterstützt wurde die Idee durch Angela Meyen-burg, die Gründerin der Berli-ner Kulturloge, die das Projekt plastisch und vor allem mit-reißend schilderte. Den be-sonderen Charme der Kultur-

loge machen vor allem zwei Dinge aus. Erstens: Die Plät-ze werden persönlich am Tele-fon vermittelt. Zweitens: Jeder Gast erhält nach Möglichkeit zwei Karten, denn wer geht schon gerne alleine aus? Am Ende der Veranstaltung waren sich alle einig – Dresden be-kommt auch eine Kulturloge! Mittlerweile ist das erste Stück des Weges geschafft. Am 17. Oktober ging die Kul-turloge Dresden mit einer durch den musikalischen Bot-schafter der Jazztage um-rahmten Pressekonferenz an den Start. Schon drei Ta-ge später konnten die ersten Gäste mit KulturLogen-Tickets in Theater gehen. Dieser er-freuliche Start war das Ergeb-nis von einem Jahr intensiver Arbeit. Vier Organisationen haben dazu ihre Kompeten-zen gebündelt und die Trä-gerschaft für dieses Projekt übernommen. Die Bürgerstif-tung Dresden, das Kulturbüro Dresden, das Umweltzentrum und der WIR e.V. bilden den Trägerkreis, der das Projekt »Kulturloge Dresden« belebt, befördert und auch weiterhin begleiten wird. Vom Konzept bis zum Interne-tauftritt, vom Workshop mit den Kulturpartnern bis zum Einführungskurs in das Daten-banksystem – viel Vorarbeit war zu leisten. Parallel wur-de die Werbetrommel gerührt und das Projekt auf den ver-schiedensten Ebenen vorge-

stellt. Das öffnete Ohren und Herzen, so dass momentan mehr freie Plätze in Kultur- und Sportveranstaltungen zu ver-geben sind als die Dresdner-

Kulturloge Gäste hat. Doch das wird sich sicher schnell ändern, denn gute Ideen sind bekanntlich ansteckend. Das alles passiert derzeit nicht nur in Dresden. Auch in Leipzig ist vor wenigen Wochen eine Kulturloge an den Start gegan-

gen. In Chemnitz gibt es auch eine Gruppe, die am Aufbau eines solchen Projektes ar-beitet. Nun schon zum dritten Mal traf sich die bundesweite

Arbeitsgemeinschaft der Kul-turlogen zum Erfahrungsaus-tausch. Bei diesem Treffen im Oktober in Leipzig wurden auch andere gute Ideen zur niedrigschwelligen Kulturver-mittlung vorgestellt. In Stutt-gart zum Beispiel heißt das

Projekt »Kultur für Alle« und funktioniert etwas anders als die Kulturlogen. Die kostenlo-sen Kulturangebote sind dort an den Sozialausweis, die so-

genannte Bonuscard+Kultur, gekoppelt. Diesen Sozialaus-weis erhalten alle von der Stadt erfassten berechtigten Personen automatisch zuge-schickt. Wieder eine gute Idee – auch für Dresden.Katja Kipping

»Es geht darum, sich selbst wieder ernst zu nehmen, wie-der zu lernen, die Interessen unseres Gemeinwesens zu formulieren und einzufordern und nach Gleichgesinnten zu suchen. Wir müssen über die Geste und die symbolische Handlung hinaus unseren Wil-len gewaltlos kundtun, und dies – wenn nötig – auch ge-gen den Widerstand der de-mokratisch gewählten Vertre-ter.« Autor des Klappentextes: Der in Dresden geborene Ber-liner Ingo Schulze.Was in Dresden bei der Dresd-ner Rede am 26. Februar 2012 vor Hunderten gesprochen und mit Beifall quittiert so-wie in der Süddeutschen von Tausenden aufmerksam und wohlwollend registriert wur-de, sollte jetzt in der Buch-form von Hunderttausenden

gelesen werden. Ingo Schul-zes kleine, starke Schrift – nur 80 Taschenbuch-Seiten lang – ist notwendiger Text-Bau-stein für den »Europäischen Frühling an Elbe und Rhein« 2013 – ganz gleich, ob dieser im Sommer, Herbst oder Win-ter kommt. Dass er kommen muss, steht in diesen Krisen-Zeiten außer Frage. Die Auf-klärungsschrift ist gut für den-jenigen, der den Inhalt noch nicht kennt, ebenso wie für diejenigen, die sie noch ein-mal zum Nachlesen haben möchten, weil man sich an ei-nen der stärksten Texte des Jahres 2012 von einem deut-schen Schriftsteller wieder er-innern will. Als Aufklärungs-text ist die Schrift notwendig für die 99 Prozent der Bevöl-kerung dieses Landes, die als Arbeiter, Landwirte, Studen-

ten, Angestellte oder Erwerbs-lose täglich eingelullt werden von einer Propaganda, die aus TV, Internet, Radio und Pres-se auf uns einprasselt und mit falschen Begriffen unsere Sin-ne vernebelt.Das Klartext-Buch ist nicht an das enge Zeit-Korsett der un-glaublich starken »Dresdner Rede« gebunden und demzu-folge noch inhaltsreicher. Noch ein Zitat gefällig? »Kapitalis-mus braucht keine Demokra-tie, sondern stabile Verhältnis-se. Das gilt nicht nur für Länder wie China, sondern auch für Eu-ropa.« Wenn diese Wahrheiten die Massen ergreifen, werden gesellschaftliche Veränderun-gen möglich! Da das Büchlein mit 10 Euro für viele zu teuer ist, lohnt sich ein »solidarischer Buchkauf«: Wenn drei Leute je-weils 3,50 Euro für das Produkt

des Hanser-Verlages investie-ren, dann erwerben sie damit nicht nur den wertvollen Stoff für eine gemeinsame Diskus-sionsgrundlage, sondern zu-gleich eine Handlungsanleitung für die kommenden Umbrüche, die allerdings weder in diesem Land beginnen noch hier en-den werden. Nur gemeinsam lässt sich hierzulande der Ruf »Wir sind das Volk« aus dem Deutschen Historischen Mu-seum befreien. Er gehört zu den künftigen unvermeidlichen Montagsdemos auf die Pflas-ter- und Asphaltstraßen von Dresden, Leipzig und Chemnitz ebenso wie nach Berlin, Frank-furt und Stuttgart. Die Kanzle-rin der »marktkonformen De-mokratie« gehört aus dem Amt gefegt, von denen, die demo-kratiekonforme Märkte zum Leben brauchen. Noch gibt

es weltweit wenige Inseln mit Klartext-Sendungen oder Sei-ten. Aber nur, wenn daraus ein Netz der Wahrheit gegen die privaten wie staatlichen medi-alen Nebelkanonen geknüpft wird, werden die Völker erken-nen, dass ihre Kaiserinnen und Kaiser in Wahrheit nackt sind.Ralf Richter

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Seite 8Links! 12/2012

Nachwuchsprobleme? Keine Spur!

Kultur

Kulturpolitik nach dem Wahlkalender

Es ist ein unter jungen Linken gern verbreitetes Video: Am 13. April 2008 betritt einer die große Bühne bei »Volker Pis-pers und Gäste«, den man bis dato vor allem aus Kneipen und Bars kannte – Marc-Uwe Kling. Mit seiner grünen Gitar-re schreitet der 26-Jährige zum Mikrofon. Er wirkt etwas unsi-cher, als er seine Erfahrungen mit der Praxisgebühr schildert, die ihn dazu gebracht haben, »mein Lied über die SPD zu sch-reiben«. Der Refrain kulminiert, auf den ersten Blick untypisch für einen jungen Künstler, im alten, wohlbekannten Slogan des Roten Frontkämpferbun-des: »Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!« Erstau-nen im Publikum. Skeptische Blicke, verdrehte Augen, gele-gentlich ein Lächeln – Begeis-terung sieht anders aus. Kling besingt die Niederlage der SPD bei der Bundestagswahl 2005: »Und die Neuwahlen, die ha-ben die ja verloren, damit muss man sich ja befassen/Jetzt kann man endlich aus vollstem Herzen die Regierung wieder hassen/Ja das Schiff, das ist am sinken und die Ratten, die flohen sofort/Doch sie wieder

kamen zurück und brachten die schwarze Pest an Bord«. Seine drastischen Worte ver-sieht er schelmisch mit dem Hinweis, dass diese Strophe »regional ganz unterschiedlich ankommt«. Spätestens jetzt hat er die Meisten auf seiner Seite. Zum Schluss viel Ap-plaus, Feuertaufe bestanden. Kling ist kein Mann schlich-ter Parolen, sondern einer, der sich selbst und die Gesell-schaft reflektieren kann. Den Anfang machte der studier-te Philosoph und Theaterwis-senschaftler 2003 vor allem mit Poetry Slams, kleineren Kulturveranstaltungen in Ca-fés, Bars und Restaurants, bei denen sich junge Künstler im Wettstreit dem Urteil des Pub-likums stellen. Inzwischen ge-hört der Autor, Kabarettist und Musiker fest zur deutschen Ka-barettszene und verpasst auch dem zeitgenössischen poli-tischen Liedgut interessante Impulse. Jung, frech, unkon-ventionell – Kling, der bei sei-nen Auftritten oft introvertiert und schüchtern wirkt, vermag Worte wie Nadelstiche zu ge-brauchen, was gutes politi-sches Kabarett, ob in Liedform

oder nicht, letztendlich aus-macht. Kernsätze aus »Zug der Opportunisten«, gerichtet an die Grünen: »Früher, da gab‘s noch keine grün-gelbe Mitte/Da verteilte Professor Fischer noch persönlich Tritte./Doch die Blumenkinder, wer konnt‘ das ahnen/Gingen den Weg aller Bananen./Heute grün und morgen gelb, und übermorgen schwarz/Ein Castor fährt nach Kosovo, am Steuer Peter Hartz«. Den bislang wohl größ-ten Wirbel verdien -te er sich aber mit » H ö r s t D u m i c h , J o -s e f ? « . D a r i n s t e l l t er Jo-sef und den an-d e r e n Acker-

männern in Aussicht, dass sie ihre Taten eines Tages mit dem Leben bezahlen müssen: »Hörst du mich Josef, Josef Ackermann?/Einer muss als

erstes sterben, du bietest dich da an./K o m m t Z e i t , k o m m t R a t , k o m m t A t t e n -

tat«. Für die B.Z. Berlin

avancier te er so zum »geistigen T e r r o r -B r a n d -stif ter«, der »eis-kalte Po-lit-Pam-phlete« ver fas -se. Da-bei will Kling kei-neswegs zu Gewalt aufzuru -fen, wie er im In-

terview mit FOCUS Online be-tont: »Es geht mir in diesem Lied darum, die Mordfanta-sien wegen Ackermann oder ähnlichen Buhmännern in der Öffentlichkeit, über die man vielerorts stolpert, so auf die Spitze zu treiben, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Ich will die verkürzte Ka-pitalismuskritik, die einzelne Personen – exemplarisch Josef Ackermann – verantwortlich macht, brechen und aufzeigen, dass die Probleme vielmehr systembedingt sind. Im Übri-gen distanziere ich mich schon mal vorsorglich von dem Lied, von mir selbst und vom ganzen Weltgeschehen«.Kling steht für eine neue Ge-neration im politischen Kaba-rett, die ganz und gar nicht ver-staubt daherkommt, sondern überrascht, hinterfragt und unkonventionell denkt – ganz wie der Titel seines ersten Hör-buchs: »Wenn alle Stricke rei-ßen, kann man sich nicht mal mehr aufhängen«. Fünf Jah-re nach seinem Schritt auf die Fernsehbühne hat Kling also durchaus das Potential, eines Tages ein ganz Großer zu wer-den.

Mit großem Tamtam posaun-te die schwarz-gelbe Koalition kurz vor Ultimo der Haushalts-beratungen die Erhöhung des Kulturbudgets um insgesamt 9,5 Millionen Euro für die Jahre 2013/2014 in die sächsische Öffentlichkeit. Darüber hinaus stehen für den Wiederaufbau des Dresdner Schlosses zu-sätzlich 4,4 Millionen Euro zur Verfügung. Natürlich ist die Rücknahme der ursprünglich geplanten Kürzungen im Kul-turhaushalt zu begrüßen, vor allem die Zuschusserhöhung für die jahrelang stiefmütter-lich behandelte Industriekul-tur und für die Musikschulen waren dringend notwendig. Allein bei den Musikschulen warten derzeit knapp 5.000 Kinder auf einen Platz. Über-haupt offenbart ein genaue-rer Blick auf die Zahlen sofort die Schattenseiten dieses un-verhofften Geldsegens. Nach-dem CDU und FDP im letzten Doppelhaushalt in unzuläs-siger Weise in die Hoheit der Kulturräume eingegriffen und ihnen die Teilfinanzierung der Landesbühnen Sachsen in Hö-he von 3,3 Millionen Euro auf-gebürdet hatten, sehen sie sich nunmehr zu einer sub-stanziellen Korrektur veran-lasst. Zur Kompensation der Landesbühnenfinanzierung

sollen die Kulturräume zusätz-liche investive Mittel in Höhe von 2,5 Millionen jährlich er-halten. Ob die Kulturräume damit aber die Kürzungen auf-fangen und ihren eigentlichen Aufgaben im gewohnten Um-fang nachkommen können, bleibt abzuwarten, zumal die-se Quasi-Umschichtung oh-ne eine Änderung des Kultur-raumgesetzes ablaufen soll. Auch die anderen Zahlen of-fenbaren gewisse Tücken. Die Musikschulen werden ledig-lich wieder auf den Stand von 2011 gebracht. Die kulturel-le Bildung wird sogar gekürzt. Von besonderer Pikanterie ist der Umgang der Koalitionäre mit dem Lern- und Gedenkort Gefängnis Kaßberg in Chem-nitz. Sie hatten es bislang strikt abgelehnt, den Kaßberg in das gerade erst vom Land-tag verabschiedete Gesetz über die Stiftung Sächsische Gedenkstätten aufzunehmen, obwohl immerhin sechs wei-tere Gedenkstätten in die För-derung neu aufgenommen werden sollen. SPD und Grü-ne hatten die Aufnahme des Kaßberg in diese Erweiterung vehement gefordert. Nun stel-len CDU und FDP völlig über-raschend Fördermittel für den Kaßberg im Haushalt bereit. Offensichtlich richtet sich die

Gedenkpolitik im Freistaat nach dem Wahlkalender: In Chemnitz stehen im Juni 2013 die Oberbürgermeisterwah-len an. Schaut man insgesamt auf die Entwicklung der Kulturaus-gaben im Freistaat Sachsen, bleibt trotz des Dauerselbst-lobes der Regierungskoaliti-on ein schaler Beigeschmack. Kein geringerer als der Präsi-dent des Sächsischen Kultur-senats, Dr. Jürgen Uwe Ohlau, hat diese bedenkliche Ten-

denz dieser Tage sehr präzi-se auf den Punkt gebracht. Im Vorwort des unlängst erschie-nenen Fünften Kulturberichts des Kultursenats unter dem programmatischen Titel »Was PISA nicht gemessen hat« stellt er glasklar fest, dass die Kultur »von der Expansion des Staatshaushaltes… nicht profitiert hat« und setzt dann unmissverständlich fort: »In vielen Bereichen sind erneut nicht einmal die seit Jahren geforderten Inflationsausglei-

che erfolgt. Parlament und Regierung müssen zur Kennt-nis nehmen, dass die Gefahr immer größer wird, dass dem gelungenen Aufbau einer breit aufgestellten, flächendecken-den kulturellen Versorgung de Landes ein schleichender Ab-bau und eine Verarmung des Angebots in der Fläche fol-gen«. Dieser kritischen Ein-schätzung ist nichts hinzuzu-fügen.Volker Külow

4,4 Mio Euro bekommt allein das Dresdner Stadtschloß, der Rest Sachsens darf sich in die 9,5 Mio Euro Erhöhung reinteilen.