legende der roboter

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TERRA ASTRA 58

Legende der Roboter von Klaus Fischer

1. "Es wird Zeit!" Dirk Halland blickte hinüber zu dem Mann am Fenster. Die Worte, die der hochdekorierte Offizier gesprochen hatte, bekamen unter den gegebe-nen Umständen einen doppelten Sinn. General Graves hatte außer einem beruflichen auch ein ganz persönliches Interesse an dem bevorstehenden Ereignis. Für ihn bedeutete die Rückkehr des Hellström-Konvois gleichzeitig das Wiedersehen mit seinem Sohn. Captain Urs L. Graves war Schiffsführer eines der Konvoischiffe und gleichzeitig stellvertretender Kommandant des Unternehmens. "Wie alt ist Ihr Sohn?" "Fünfunddreißig", antwortete der General, ohne sich umzuwenden. Neben dem Fenster erhellte sich ein Bildschirm. Das Gesicht einer Frau formte sich, und eine Stimme tönte aus einem Lautsprecher: "Hier Raumstation JX-ol, Jupitermond Europa, Jelisa Schtarjeff spricht. Erwartetes Objekt - Kodegruppen folgen - hat Jupiterorbit passiert. Eintritt Atmosphäre Terra: X minus 31,08 Minuten. Ende!" Dirk Halland hörte den erleichterten Seufzer des Mannes am Fenster. Doch dann versteifte sich plötzlich dessen Haltung. Die Augen des Gene-rals starrten auf den Monitor, auf dem die Kodegruppen erschienen. "Was ist?" fragte der Psychologe. "Die Kodegruppen ...!" stieß der General hervor. Er drehte sich zu dem anderen herum. "Kommen Sie, Doc!" Während er dem Hinauseilenden folgte, überlegte Dirk, was den Kom-mandanten so erregt haben mochte. Was war mit den Kodegruppen? Als sie einen Augenblick später die Zentrale betraten, blickte er in betrof-fene Gesichter. Männer und Frauen, die sich hier versammelt hatten, disku-tierten erregt miteinander. General Graves überflog mit einem Blick die Anwesenden. "Meine Damen und Herren", sagte er, und Dirk bemerkte, daß er sich wieder gefangen hatte, "die Nichteingeweihten haben es, wie ich sehe, in-

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zwischen erfahren: statt der erwarteten acht Schiffe ist nur ein einziges zurückgekehrt!" Er winkte den Psychologen zu einem leeren Sessel hinüber und setzte sich selbst vor das große Schaltpult. "Die Gründe hierfür können verschiedenster Art sein. Vorerst müssen wir abwarten." Mirelle Loignet, Chefin der Terran Stereovision, wandte sich an den Kommandanten des Raumhafens "Nord": "Sir, Sie erlauben die Frage: Ist es nicht möglich, daß die übrigen Schiffe noch später eintreffen können?" Graves hob die Augenbrauen. Doch dann erschienen Kränze von Lach-fältchen um seine Augen, als er erwiderte: "Ich lese in den Mienen einiger Anwesender, daß diese Frage nicht Sie allein bewegt, Mirelle. Leider ist meine Antwort negativ. Die kodierte Nachricht, die die Station auf dem Jupitermond Europa an uns abgestrahlt hat, beinhaltete auch die Mitteilung, daß das Schiff, das die Jupiterbahn passierte, seine Rückreise allein angetreten hat." "Wenn ich recht verstehe", warf Magnie Bou ein, der die Regierung re-präsentierte, "so hat der Kommandant des zurückgekehrten Schiffes die Station auf Europa per Funkspruch darüber informiert, daß es die Rückreise allein angetreten hat. Warum hat er uns nicht direkt informiert?" Der General sah seinen Adjutanten, Colonel Ishigava, an. Der verstand den Blick und antwortete anstelle seines Chefs: "Ob der Kommandant den Spruch abgab, vermögen wir noch nicht zu. beantworten. Die Hellström-Schiffe verfügen über automatische Funkanla-gen mit gespeicherten Kodesendungen, die durch Frageimpulse ausgelöst werden. Im übrigen ist es aus technischen Gründen üblich, daß aus dem interstellaren Raum zurückkehrende Schiffe ihre Informationen über Re-laisstationen an uns abstrahlen." Dirk sah auf das Sichtfenster der Zeitangabe. Es war 22.41 Uhr. Die Zeit bis zum Eintreffen des Raumschiffes betrug noch genau vierundzwanzig Minuten. Aus dem Hintergrund fragte jemand: "Weiß man schon, welches Schiff zurückgekehrt ist?" "Es ist ...;", General Graves drehte den Kopf und sah Dirk einen Moment lang an ... die AETERNA!" Der Psychologe starrte zu dem Kommandanten hinüber. Welche Ängste, Zweifel, Hoffnungen mochten sich hinter der Stirn des Mannes abspielen? Wie sehr bewunderte er, Dirk, die Haltung des Generals, der seine Erre-gung rigoros zu meistern wußte! Der Kommandant der AETERNA war

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niemand anders als Urs L. Graves ...!

* Fünfunddreißigtausend Kilometer über der Erde befand sich die Raumstati-on RS 4 im freien Fall um den Planeten. Vor dem Orter saß Sergeant D. Flavius und beobachtete den Schirm. Ab und zu wanderte sein Blick zur Zeitangabe. Pausenlos murmelte er Ver-wünschungen vor sich hin. Sergeant Orffs Gedanken wurden abrupt unterbrochen: "Da ist sie...!" sagte Sergeant Flavius. Orff richtete sich auf und starrte auf den Schirm. Ein winziger Reflex zeichnete sich am rechten Rand ab, und jedesmal, wenn der Peilstrahl das anfliegende Objekt überstrich, rückte es näher der Mitte zu. Dick Flavius drückte ein paar Tasten. Auf verschiedenen Monitoren er-schienen Zahlen- und Symbolgruppen. Der Orter schaltete erneut und sprach dann in ein Mikrophon: "Achtung! Raumstation RS 4, Terra. Es spricht Sergeant Flavius. Ange-kündigtes Objekt im Anflug auf Terra. Landung Raumhafen Nord: X minus 8 Minuten. Ende!"

* Auf dem grauen Landefeld des Raumhafens glitt das riesige Schott eines Landeschachtes in seiner Schienenführung zurück. Unterirdische Spezia l-kraftwerke sprangen ans beschickten die Projektoren mit Energie. Unsicht-bar bauten sich die energetischen Felder des Landegerüstes auf. Einen Augenblick starrte General Graves auf den erloschenen Schirm. Dann stand er langsam auf. "Kitei", wandte er sich an seinen Adjutanten, "geben Sie mir Bescheid, wenn etwas Besonderes anliegt! Ich gehe 'rüber. Kommen Sie, Doc!" Er nickte Ishigava zu und schritt, gefolgt von Dirk, aus dem Raum. Auf dem breiten Korridor traten sie auf das Laufband, das sie direkt zum Landeschacht bringen würde. Als sie ein paar Minuten schweigend durch den erleuchteten Korridor geglitten waren, meldete sich das Gerät am Handgelenk des Kommandan-ten. Der General drückte einen kleinen Knopf.

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"Was ist?" Die kühle Stimme Ishigavas schien einen erregten Unterton zu haben, als sich der Oberst meldete: "Sir, der O.D. vom Landeschacht vier! Hören Sie selbst!" Im nächsten Moment klang aus dem winzigen Lautsprecher eine aufge-regte Stimme: "Hier spricht Captain Dietz. Sir ... sind Sie es?" Graves sprach leise in das Mikrophon: "Sprechen Sie, Captain!" "Ja, Sir. Das gelandete Schiff, die AETERNA ..." Dirk sah, wie der General erblaßte. Er preßte die Lippen zusammen und sagte dann scharf: "Captain Dietz! Reißen Sie sich zusammen!" Dirk vermeinte zu sehen, wie der Offizier Haltung annahm: "Jawohl, Sir. Die AETERNA ...", seine Stimme klang jetzt ruhig, "ist leer." Eine endlose Weile schien zu vergehen. Dann sagte der General: "Ishigava - verhängen Sie totale Nachrichtensperre!" Er schaltete das Gerät ab und sah den Psychologen an.

* Der Korridor mit dem Laufband mündete in den Landeschacht. Als sie anlangten, blickten die beiden Männer durch das offene Schott in die Hauptschleuse. Dort erwartete sie der O. D. Neben ihm standen einige Männer und Frauen in blaugrauen Kombinationen. Der Captain hob die Hand an die Mütze. Graves winkte ab und wandte sich sofort an einen kle i-nen, schlanken Mann in Zivil, der heben dem Offizier stand: "Don ...?" Der Abwehrchef zuckte die Achseln. "Was soll ich sagen? Wir standen hier und warteten, daß die Klappe auf-ging. Sie ging auch auf. Aber niemand war in der Schleuse. Ich sagte den anderen, sie sollten draußen warten. Dann ging ich mit Sandor", er deutete mit dem Daumen auf einen der Männer, "und Captain Dietz hinein, und wir fuhren zur Zentrale. Der Lift funktionierte einwandfrei ..." "Und die Zentrale?" unterbrach der Kommandant ungeduldig. "Leer - keine Seele drin. Schirme, Monitoren und Instrumente, alles war abgeschaltet. Die Automatik hatte die Energiewerke stillgelegt. Nur die

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Notbeleuchtung brannte." "Und die übrigen Sektionen?" Don Guernsey schüttelte den Kopf. "Während Captain Dietz die Zentrale anrief, haben wir das ganze Schiff durchsucht - wie gesagt, das Liftsystem funktionierte - aber wir fanden niemand." "Irgendwelche Hinweise?. Verdacht?" "Nein - keine!" Dirk sann einen Augenblick darüber nach, warum der Mann ihn nicht mochte. Nun ja, das war im Augenblick unwichtig. Außerdem würde er vermutlich niemals in die Verlegenheit geraten, mit dem Chefagenten zu-sammenarbeiten zu müssen ... Der General, der einen Augenblick seinen eigenen Gedanken nachgehan-gen hatte - Gedanken um den vermißten Sohn -, ergriff wieder das Wort: "Führen Sie die Untersuchungen zu Ende, Don! Lassen Sie nichts aus, auch nicht das geringste Verdachtsmoment. Wir wissen nicht - vielleicht hängt der Fortbestand der Menschheit davon ab, daß wir erfahren, was mit Professor Hellström und seinen Leuten geschehen ist. Berichten Sie mir laufend! Ich bin in der Zentrale." "In Ordnung, Sir!"

2. Es war, wie Senta Limhoff vermutet hatte; die Speicher der Bordelektronik waren gelöscht worden. Auch eine gründliche Untersuchung des "Gespen-sterschiffes" - wie einer von Don Guernseys Leuten die unbemannt zurück-gekehrte AETERNA getauft hatte - hatte nichts zutage gefördert, was über das Schicksal von Kommandant und Besatzung Aufschluß gab. Major Don Guernsey ging mit großen Schritten in seinem Büro auf und ab. Hin und wieder blieb er am Arbeitstisch stehen und schlürfte aus einer riesigen Tasse kalten Kaffee. Es war ein vollkommenes Rätsel. Vor drei Jahren - genauer: vor achtunddreißig Monaten waren die acht Schiffe des Hellström-Konvois zu der großen Reise aufgebrochen, die sie in das unbe-kannte Zentrum der Milchstraße bringen sollte. Die acht Schiffe waren Wunderwerke terranischer Raumfahrttechnik gewesen, ausgestattet mit den modernsten Errungenschaften der Technik, der Wissenschaft und der For-schung. Sie verfügten über die neuen ÜL-2-Triebwerke, die den Raumfahr-zeugen eine Geschwindigkeit erlaubte, die die Geschwindigkeit des Lichts

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um das Zwanzigtausendfache übertraf und ihnen einen nahezu unbegrenz-ten Aktionsradius verliehen. Don Guernsey goß sich eine neue Tasse Kaffee ein. Es war ein Wunder, dachte er, daß es heute überhaupt noch eine Instituti-on wie die Terranische Abwehr gab. Und es war ein ebensolches Wunder, daß die Leitung der Raumhäfen noch immer in den Händen der Militärs lag. Dies geschah im Grunde genommen nur, weil man die wenigen hohen Offiziere, die die terranische Rumpfarmee noch besaß, nicht ohne Funktion lassen wollte. Es gab noch zwei Generäle. Manus M. Graves war einer der beiden. Man hatte ihm die Leitung des Raumhafens Nord anvertraut. Don Guernsey ahnte, wie dem Kommandanten zumute war. Nicht nur, daß sein eigener Sohn auf dieser unglückseligen Expedition verschollen war; kaum weniger stark - soweit meinte Don Guernsey den alten General zu kennen - würde ihn die Sorge erfüllen, das Scheitern des Projekts würde das Ende menschlichen Forschergeistes, menschlicher In-itiative überhaupt bedeuten; denn - und der Chefagent teilte diese Befürch-tung - die vor den STV-Geräten satt und zufrieden dahindämmernde Ge-sellschaft dieser Tage würde vermutlich davor zurückschrecken, sich in ein Abenteuer einzulassen, das sie aus ihren Kontursesseln aufscheuchen könn-te. Lieber würde sie ein paar hundert Individuen ihrem Ungewissen Schick-sal preisgeben, in der fatalen Verkennung der Tatsache, daß die Rückkehr der unbemannten AETERNA ein Zeichen war, ein Zeichen, das eine unge-heure Gefahr signalisierte, die deshalb, weil sie in einer Entfernung von 30000 Lichtjahren aufzog, nicht ignoriert werden durfte. Bei diesem Punkt seiner Überlegungen angekommen, wurde sich Don Guernsey darüber klar, daß er alles tun würde, was in seinen Kräften stand, um die maßgebenden Stellen davon zu überzeugen, daß etwas getan werden mußte, um das Rätsel der verschollenen Expedition zu lösen. Und das hieß: Eine zweite Expedition mußte gestartet werden, um das Schicksal der er-sten aufzuklären. Diese zweite Expedition mußte so ausgerüstet werden wie noch niemals ein terranisches Raumschiffunternehmen zuvor. Und zu die-ser Ausrüstung gehörten Waffen: Defensiv- und Offensivwaffen. Don Guernsey lächelte humorlos. Nun zahlte sich aus, daß die Abwehr im geheimen für den Fortschritt der Waffenforschung gesorgt hatte. Nur eine Handvoll Männer und Frauen wußten von den geheimen For-schungslabors tief unter der Oberfläche des Saturnmondes Dione, in denen

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fähige terranische Wissenschaftler geforscht, entwickelt, konstruiert und getestet hatten für den Zeitpunkt, an dem es einmal notwendig werden würde, Raumschiffe mit Waffen auszurüsten, die vielleicht das Überleben der Menschheit garantieren würden. Dieser Zeitpunkt schien gekommen. Don Guernsey trommelte mit den Fingern auf die Platte seines Arbeitsti-sches. Ein ÜL-Gespräch würde genügen. Auf Dione würden die geheimen Gerä-te und Waffen in Spezialfahrzeuge verladen werden, zu den in den unterir-dischen Hangars bereitstehenden Raumtransportern geschafft werden, und diese würden zur Erde starten. Doch noch war es nicht soweit. Noch stand der Kampf gegen das Parlament bevor. Gegen diese Masche gelangweilter, fetter Ignoranten, die nichts weiter im Kopf hatten als die Erträge ihrer Uranminen auf dem Mars und die Abschußquoten der Xirljä-ger auf den Alpha Centauri-Planeten. "Sir, Funkruf von JX-ol!" Das war die Außenstation auf dem Jupitermond Europa. Don Guernsey war wie elektrisiert. "Schalten Sie durch!" Das Bild wechselte. Anstelle des Sekretärs erschien das Gesicht einer Frau: Jelisa Schtarjeff. Der Abwehrchef sah sofort ihre Erregung. "Sir, SO 201 meldet den Einflug eines Objekts zwischen Saturn- und Jupiterbahn elf Grad Nord zur Systemebene. Der Identifikationskode ist verstümmelt. Die von der Sonde aufgefangenen Signale deuten jedoch dar-auf hin, daß es sich um die WERNER HEISENBERG handelt. Weitere Angaben folgen in Kürze. Ende." Don Guernsey drückte einen Knopf. "Ellis, die Verbindung bleibt bestehen!" Die Gedanken des Majors jagten sich, Hoffnung und Zweifel lösten ein-ander ab. Die WERNER HEISENBERG war das Flaggschiff des Hell-ström-Konvois. Hellström, Leiter der Gesellschaft für interstellaren Kon-takt und nebenbei ein ausgezeichneter Astronaut, hatte es selbst geflogen. Kehrte der Professor zurück? Und mit ihm seine Mannschaft? Oder kehrte auch dieses Schiff unbemannt zurück? Oder - brachte es vielleicht etwas ganz anderes mit? Etwas, was den

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Menschen gefährlich werden konnte. Die WERNER HEISENBERG kam aus dem galaktischen Kern. Niemand wußte zu sagen, ob dort auch nur annähernd die gleichen Verhältnisse herrschten wie im leidlich erforschten Orion-Spiralarm. In einem plötzlichen Entschluß beugte sich der Major vor: Er drückte eine Tastenkombination und stellte eine Direktverbindung zum Raumhafen Nord her. "Endersen", sagte er, als .sich auf dem Stereophon das Gesicht des diensthabenden Captains formte, "machen Sie die SENTINEL klar. Ich bin in fünfzehn Minuten drüben." Er wartete die Bestätigung ab und rief dann über den Hausschirm seinen Sekretär: "Ist Charly greifbar - oder Raoul?" Er sah,, wie der Mann sich umwandte. "Äh ja, da kommt sie gerade!" "Soll 'rüberkommen! Handwaffe mitbrin-gen !" "In Ordnung, Chef!" Kurz darauf klopfte es an der Tür. Der Major öffne-te durch Funkimpuls. Im Rahmen stand eine junge Frau. Sie trug einen enganliegenden, blau-grünen Rock, eine weiße Bluse und Palton-Stiefel. Ihr langes braunes Haar hatte sie hochgesteckt. Ihre Augen waren blau und blickten, wie immer, leicht erstaunt. In der Rechten hielt sie lässig einen Strahler. Und das soll eine Agentin sein! dachte Don Guernsey und betrachtete sie. Aber sie war es, und zwar seine beste! "Charlotte", sagte der Major und versuchte, streng zu sein, "wann wirst du je erwachsen?" "Warum?" "Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß man im Einsatz nicht Rock und Bluse trägt?" "Ist denn Einsatz?" Don Guernsey zeigte auf die Waffe in ihrer Hand. "Und das?" Das Madchen lächelte. "Ich ..." Der Major winkte ab. Aus einem Wandschrank nahm er einen Desintegrator. "Komm, wir ha-ben keine Zeit zu. verlieren!" "Darf man fragen, wohin die Reise geht?" erkundigte sich das Mädchen, als sie auf dem Weg zum Raumhafen waren. Don Guernsey informierte sie über das, was geschehen war.

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"Ich will mir das Schiff persönlich ansehen, bevor es auf der Erde landet. Ich habe ein verdammt ungutes Gefühl..." "Wegen der Fracht?" "Fracht...?" Der Major sah seine Agentin erstaunt an. Dann nickte er an-erkennend. "Ja, deshalb. Die AETERNA kehrte leer zurück. Wer weiß, was die WERNER HEISENBERG mitbringt!" Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Am Raumhafen angelangt, fuhr Don Guernsey den Gleiter durch den eigens für die Abwehr angelegten Korridor direkt bis zu dem Schacht, in dem die SENTINEL bereits mit aktiviertem Triebwerk wartete. Der Major erwiderte den Gruß der Techniker und stieg, gefolgt von der Agentin, in die Kabine. Seine Hände glitten über die Kontrollen. Kurze Zeit später hob sich die Jacht aus dem Spezialschacht heraus und stieg, schneller werdend, in den dunstigen Morgenhimmel empor. Als sie eine gewisse Höhe erreicht hatten, schaltete Don Guernsey das Ionentriebwerk ein. Die SENTINEL beschleunigte auf Fluchtgeschwindigkeit und verließ in einer steilen Parabel den Anziehungsbereich des Planeten. Die Automatik aktivierte das Photonentriebwerk. Der Major beugte sich vor und rief die Station auf Europa. "Was Neues?" Der Frauenkopf auf dem Bordschirm nickte: "Ja, Sir - es steht nunmehr ohne jeden Zweifel fest: Es ist die WERNER HEISENBERG." "Funkverbindung?" "Außer dem automatischen Kodeaustausch keine, Sir." Don Guernsey nickte vor sich hin. "Geben Sie mir die Positionsdaten!" Auf dem Schirm erschienen Buchstaben- und Zahlengruppen. Don Guernsey lehnte sich zurück. Eine halbe Stunde war vergangen, da erschien auf dem Orterschirm ein Echo. Der Reflex wanderte vom äußeren Rand genau in Richtung Schirm-mittelpunkt. Der Pilot spähte durch die Panoramascheibe der Kanzel. "Da ist sie!" Das Mädchen Charlotte beugte sich vor. Auch sie erblickte den gleißen-den Punkt, der sich der SENTINEL mit großer Geschwindigkeit näherte

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und dabei größer wurde. Als bereits die Konturen des Raumschiffes auszumachen waren, führte die SENTINEL abermals eine geringfügige Änderung der Flugrichtung aus. Sie war so bemessen, daß sie die Jacht auf einen Parallelkurs zur WERNER HEISENBERG bringen würde. Der Abwehroffizier griff zum Mikrophon. "Achtung!" funkte er auf der terranischen Standardfrequenz für Raum-fahrzeuge. "Hier terranische Raumpatrouille, Major Guernsey. Ich grüße die heimkehrende WERNER HEISENBERG, den Kommandanten und die Besatzung. Bitte melden Sie sich!" Er wartete eine Weile, und als alles still blieb, wiederholte er den Funk-spruch. Nichts! Wie erwartet! Major Don Guernsey schaltete auf Manuellsteuerung. Er verringerte den Abstand zwischen den beiden. Schiffen. Dann holte er aus seiner Tasche einen elektronischen Schlüssel und drückte ihn in einen dafür vorgesehenen Schlitz. "Nun zeig', was in dir steckt!" murmelte der Major. In einem bestimmten Sektor des schlanken Bootsrumpfes liefen Kraft-werke an, speisten Projektoren. Diese richteten sich auf das parallel flie-gende Raumschiff. Kraftfelder entstanden zwischen den beiden Flugkör-pern und Traktorstrahlen griffen hinüber zu der dahinrasenden WERNER HEISENBERG: Lautlos näherten, sich die beiden Schiffskörper einander, der schlanke, torpedogleiche der Polizeijacht und der walzenförmige des interstellaren Forschungsschiffes. Durch die Kanzel beobachtete Don Guernsey das Manöver. Seine Finger griffen behutsam in die Tastatur, ließen die Jacht um die Längsachse rotie-ren, sodann den Bug ein wenig über das Vorderschiff der WERNER HEI-SENBERG hinausgleiten, bis die Schleusen der beiden Schiffe sich genau gegenüberlagen. Dann gab es einen kleinen Ruck. Die SENTINEL "klebte" an der großen Schwester. In diesem Augenblick sprach das Funkgerät an. Fassungslos starrte der Major auf den Bordsprecher, aus dem die Funksi-gnale eines starken Senders schrillten. Don Guernsey drehte den Lautstärkeregler zurück und schaltete den Ana-lysator ein. Ungeduldig wartete er. Schließlich klang eine mechanische

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Stimme auf: "Aufgenommene Funkzeichen ergeben keinen Sinn." Der Major fluchte ungeniert. "Aber, aber!" meldete sich Charly, die hinter ihrem Chef saß. "Vielleicht ist ihr Sender kaputt." "Oh, wirklich?" schnappte Don Guernsey sarkastisch. "Und was haben wir davon? Das Sprechgerät wäre dann ebenfalls gestört. Die Schiffshülle jedoch weist nicht die geringste Anomalität auf, die Triebwerke arbeiten einwandfrei ..." Er dachte einen Moment nach. Dann öffnete er die Gurte und stand auf. "Wir werden uns die Sache aus der Nähe betrachten" sagte er. "Nimm deine Waffe mit." Sie schlossen die Helme, schalteten auf Anzugbeatmung, und begaben sich zur Schleuse. Nachdem die Kammer evakuiert worden war, öffnete sich das Außenschott. Vor ihnen ragte das große Einstiegschott der WERNER HEISENBERG. Don Guernsey begann, den Öffnungskode der Großschiffsschleusen auf seinem Kodegeber einzustellen, als er sah, wie sich das rechteckige Tor bewegte. Das Schott öffnete sich von selbst. Langsam glitt es in seine Füllung zurück. Dahinter war es stockdunkel. Der Major und das Mädchen sprangen hinüber. Sie hoben die Handstrah-ler - und fuhren zurück. Der Lichtstrahl fiel auf die Gestalt eines reglos dastehenden Mannes. Der Offizier hob die Lampe, um dem ändern ins Gesicht zu leuchten. Was er sah, ließ ihm fast das Blut in den Adern gefrieren. Der Mann war ohne Helm. In dem bläulich verfärbten Gesicht waren die Augen weitaufgerissen und aus ihren Höhlen gequollen. Die Züge waren schrecklich verzerrt. Der Major hörte im Helmfunk den erstickten Aufschrei seiner Begleite-rin. Im nächsten Augenblick griff der Mann vor ihm mit beiden Händen über sich ins Leere und stürzte, ehe der Major es verhindern konnte, zu Boden. Hinter ihnen schloß sich das Außenschott. Dann hörten sie über die Au-ßenmikrophone ihrer Raumanzüge das Zischen von Düsen. Ein Blick auf die Instrumente zeigte, daß die Kammer geflutet wurde. Kurz darauf öffnete sich das Innenschott. Der Gang dahinter war beleuch-tet. Nach kurzem Zögern klappte Major Guernsey den Raumhelm zurück.

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Dann trat er in den Gang. Charly folgte ihm. Bei den Schiffen vom Typ "L 2 Droste", zu denen alle Einheiten des Hellström-Konvois gehörten, führte der Hauptkorridor direkt zur Zentrale. Der Transport geschah durch elektronisch gesteuerte Laufbänder. Die beiden Agenten betraten das Laufband, das sich sofort in Bewegung setzte. Während sie durch den Korridor glitten, passierten sie eine Reihe von Schotten, von denen, wie Guernsey wußte, die Gänge zu den weiteren Sektoren des Schiffes abzweigten. Als sie an der Zentrale anlangten, hielt das Transportband plötzlich an, gleichzeitig ging die Beleuchtung aus. Und dann blieben Guernsey und das Mädchen wie angewurzelt stehen. Aus den Schiffssprechern erscholl ein schauerliches Gelächter, gefolgt von einem markerschütternden Schrei. Don Guernsey stürmte vorwärts. Mit ein paar langen Sätzen hatte er die Zentrale erreicht. Das große Schott stand offen. Mit schußbereitem Strahler drang der Major in den Raum ein - und erstarrte. In dem halbkreisförmigen Raum, in dessen Rundung mehr als ein Dut-zend leere Kontursessel vor der Panoramagalerie der Bildschirme standen, und in dem. sich mindestens fünfzehn Personen aufhalten sollten, befanden sich drei Männer. Zwei von ihnen saßen auf dem Boden und hielten Dinge in den Händen, die, wie der Major erkannte, einmal das Kernstück eines Ortergerätes ge-bildet hatten, sie drehten die Teile hin und her und lachten glucksend. Die Uniform, die sie trugen, war an vielen Stellen zerrissen und verschmutzt. Die Männer selbst machten einen ungepflegten und heruntergekommenen Eindruck. Sie schienen sich seit Monaten nicht mehr rasiert zu haben. Einer von ihnen blickte den Major an. Der Abwehrchef war ein hartgesottener Mann. In seinem Beruf durfte man nicht zimperlich sein. Doch der Blick dieser Augen war von einer so abgrundtiefen Leere und Seelenlosigkeit, daß der Major sich schaudernd abwandte. Der dritte der Männer stand vor einem halbzertrümmerten Schaltpult, auf das er mit einem Werkzeug blindlings einschlug. Während Überschlagblit-ze knisternd hin und herzuckten, stieß er entsetzliche Verwünschungen aus. Sein rechter Arm hing herunter, und Guernsey bemerkte, daß die Hand verbrannt war. Augenscheinlich hatte er bei seinen sinnlosen Hantierungen einen fürch-terlichen Schlag erhalten. Daher auch der gräßliche Schrei.

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Der Major sprang zu dem Mann hinüber und riß ihn von dem Gerät weg. Der Raumfahrer blickte ihn einen Augenblick lang verblüfft an. Dann riß er sich los, hob das Werkzeug und stürzte sich auf den Offizier. Der Abwehrchef blockte ihn ab und setzte ihn mit einem gezielten Schlag außer Gefecht. Don Guernsey drehte sich um. Hinter ihm stand Charly. Sie war bleich, doch ihre Miene verriet nichts von ihren Empfindungen. Der Major bemerkte hinter dem Mädchen plötzlich eine Bewegung. Der eine der beiden Männer, die am Boden gehockt hatten, war aufgestanden und hatte plötzlich eine Waffe in der Hand. "Achtung!" schrie Don Guernsey und versuchte, ihr einen Stoß zu verset-zen. Aber Charly war schneller. Sie warf sich blitzschnell zur Seite, und während sie sich um ihre eigene Achse drehte, gab ihre Waffe einen dumpfen Knall ab. Der Mann brach zusammen. Guernsey sah das Mädchen entgeistert an. "Bist du von allen Geistern verlassen ...?" Doch dann sah er die charakteristischen Lähmungserscheinungen des Getroffenen. Charly hatte den Strahler auf Narkosewirkung eingestellt. "Sieh nach, ob sie noch mehr zum Schießen haben!" forderte er dann das Mädchen auf. Der dritte Mann, der noch immer am Boden hockte, sagte: "Hunger! Ich habe Hunger. Mister, haben Sie was zu essen? In diesem verdammten Ka-sten gibt es nichts mehr. Ach ja ..." Sein Gesicht nahm einen kindlich trau-rigen Ausdruck an, "... sie sind ja tot ... alle tot...!" Das letzte flüsterte er nur noch. Der Major und das Mädchen sahen sich erschüttert an. "Gib ihnen ein paar Konzentratwürfel", sagte Don Guernsey zu dem Mädchen, während er eine Kamera aus einer Tasche nahm und zu filmen begann. "Paß auf sie auf. Ich werde die übrigen Sektionen durchsuchen. Vielleicht finde ich noch mehr von diesen ... von diesen Unglücklichen." Der Major kehrte in die Zentrale zurück. Der Mann, den Charly narkotisiert hatte, war noch immer bewußtlos. Die beiden anderen waren in einen Zustand vollkommener Apathie verfallen. Willenlos hatten sie sich zu den Kontursesseln führen lassen. Es schien im Augenblick keine Gefahr zu bestehen, daß sie weiteres Unheil anrichteten. "Trotzdem wäre es besser, wir würden sie mit hinüber in die SENTINEL

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nehmen", meinte der Major, als Charly ihm berichtete. "Sie befinden sich in einem .unberechenbaren Zustand. Wir müssen sie unter Kontrolle halten. Andererseits wird es nicht ganz einfach sein, die drei Männer in der kle i-nen Kabine zu verstauen und den Bewußtlosen hinüberzuschaffen." Nachdenklich sah er das Mädchen an. "Du bleibst hier und paßt auf sie auf", sagte er dann plötzlich. "Ich gehe 'rüber, programmiere den Kurs neu und rufe Professor Schultz. Er soll zum Raumhafen kommen. Die Männer müssen so schnell wie möglich untersucht werden." Wieder in die Kanzel der Jacht zurückgekehrt, speiste Don Guernsey seine Anweisungen in den Computer ein. Dann schaltete er den Bordsender ein und ließ über Relais-kette eine Verbindung mit dem Institute of Psychiatrie Research in Glas-gow, Europa West, herstellen.

* Es war zu keiner parlamentarischen Abstimmung gekommen. In einer Geheimsitzung waren die Mitglieder der terranischen Regierung einhellig zu der Meinung gekommen, daß es sich bei den Geschehnissen der letzten Tage um Dinge handelte, die man als! Ausnahmezustand be-zeichnen mußte. Dieser rechtfertigte eine außerparlamentarische Entschei-dung der Regierung, und es erging der Beschluß, ein Suchkommando zu-sammenzustellen, das das Schicksal der Verschollenen aufklären sollte. Don Guernsey war sich darüber klar, daß diese schnelle Entscheidung hauptsächlich durch die Ereignisse bestimmt wurde, die im Zusammenhang mit der Rückkehr der WERNER HEISENBERG standen. Der Film, den er in der Zentrale des Schiffes aufgenommen hatte, seine eigene Schilderung des Geschehens und der Bericht Professor Schulz über den Zustand der drei Besatzungsmitglieder hatten auf die Männer und Frauen, die die Geschicke des Planeten lenkten, einen tiefen Eindruck hin-terlassen. General Graves wurde mit der Organisation des Unternehmens sowie mit der Auswahl der Teilnehmer beauftragt. In einer anschließenden Besprechung legten er und Guernsey die allge-meinen Richtlinien fest, nach denen ein Expertenteam organisatorisch und personell vorgehen sollten. Leiter des Unternehmens würde Don Guernsey sein. Manus Graves, der allzugern selbst die Expedition geführt hätte, hatte schweren Herzens dar-auf verzichtet. Er, der eigentlich schon längst hätte pensioniert werden

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müssen, fühlte sich den Anforderungen einer Reise über 30 000 Lichtjahre nicht mehr gewachsen, ganz zu schweigen davon, welche Gefahren, Stra-pazen und Entbehrungen sie womöglich im Zielgebiet erwarteten. Entgegen ursprünglichen Planungen entschlossen sich die beiden Män-ner, ein einzelnes Schiff auf die ungewisse Reise zu schicken. Ein Schiff war unauffälliger als ein Konvoi, es war schwieriger zu entdecken und konnte sich leichter verbergen. Natürlich würde es ein Spezialschiff sein, gebaut nach den neuesten Er-kenntnissen terranischer Schiffsbautechnik, ausgerüstet mit den modernsten Errungenschaften von Wissenschaft und Forschung. Und mit einer Waffe, die zu dem Effektvollsten und Erstaunlichsten gehörte, was jemals in die-sem Teil der Galaxis konstruiert worden war. In der Nacht noch führte Don Guernsey ein längeres Gespräch mit dem geheimen Stützpunkt auf dem Saturnmond Dione. Die neue Waffe war einsatzbereit.

3. Das Schiff, das einsam die unermeßlichen Weiten des Alls durcheilte, äh-nelte in seiner Form einer überdimensionalen Libelle. Der kugelförmige Kopf war aus volltransparentem Panzerplast und ge-währte Durchsicht nach allen Seiten. In ihm waren die Zentrale und die Ortersektion untergebracht, getrennt von einander durch eine mit automati-schen Schotten versehene, transparente Wand. An diesen Kopf - dessen Orter- und Funkantennen die Ähnlichkeit mit einem Fluginsekt unterstrichen - schloß sich der 300 Meter lange Hauptkor-ridor an, der die verschiedenen Sektionen des Schiffs miteinander verband. Es war ein Doppelkorridor, in dem der Transport je nach Richtung, durch Bug- oder Heckgravitation vorgenommen wurde. Außerdem besaß er Transportbänder, falls der Antigrav einmal ausfiel. Zu beiden Seiten des Doppelkorridors befanden sich die Antriebssektio-nen. Sie repräsentierten gewissermaßen die "Flügel" der Libelle und be-standen aus je zwei Antigrav-, Photonen- und sogenannten Brankart-ÜL-Triebwerken. Letztere gaben dem Schiff eine Maximalgeschwindigkeit von 240 c, das heißt, der zweihundertvierzigfachen Lichtgeschwindigkeit, und einen Aktionsradius von mehr als 600000 Lichtjahren. Mit diesem Aggre-gat konnte das Raumschiff, wenn es sein mußte, sechsmal die Galaxis durchqueren.

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Der Flug bis zu den Randbezirken des galaktischen Kerngebietes ging über eine Strecke von 26.000 Lichtjahren. Sie sollte in zwölf Überlicht-Etappen durchgeführt werden, zwischen denen kurze Phasen lagen, in de-nen sich das Schiff nur mit etwa 99 Prozent "Licht" vorwärtsbewegte. Dies diente einmal dazu, den Brankart-Aggregaten eine Atempause zu gönnen und sie zu überprüfen, zum andern hatte man auf dem ersten Teil der Strecke bei dieser Gelegenheit zwei bekannte Systeme angeflogen und den Kontakt mit den dortigen Zivilisationen erneuert. Das wiederum war nicht nur aus Gründen der interstellaren Verständigung und des Austau-sches von Wissen und Gedankengut geschehen. Man hatte absichtlich die gleiche Route und auch die gleichen Etappenziele gewählt, die der Hell-ström-Konvoi seinerzeit angeflogen hatte. Major Guernsey hatte gehofft, auf den fraglichen Planeten Anhaltspunkte oder Hinweise zu finden, die ihnen auf der Suche nach den Verschollenen helfen würden. Diese Hoffnung hatte sich allerdings nicht erfüllt. Professor Hellström war zwar tatsächlich mit seinen Schiffen auf beiden Welten gelandet. Aber Guernseys Nachforschungen, bei denen ihn Dirk unterstützt hatte, waren im Sande verlaufen. Nichts hatte darauf hingedeu-tet, daß zu diesem Zeitpunkt bereits etwas geschehen war, das von der normalen Entwicklung abwich. So hatte das Schiff seine Reise fortgesetzt und etappenweise seinen lan-gen Weg zum Ziel bewältigt. Die ANTONIO LENNARTZ - so hieß das Schiff, und der Gedanke lag nahe, daß der Name des unvergessenen Raumfahrtpioniers, dessen diplo-matisches Genie vor dreihundert Jahren die Erde vor der Invasion der Peul bewahrt hatte, seiner Besatzung Mut und Zuversicht suggerieren sollte - befand sich im Augenblick etwa noch eintausend Lichtjahre vom Rand des Milchstraßenkerns entfernt, und zwar, von der Erde aus gesehen, 3 Grad West, 0,5 Grad Nord, in Richtung Sagittarius. Sie flog knapp "unter Licht". In der Kommandozentrale fand kurz vor Beginn der le tzten Etappe eine Einsatzbesprechung statt, an der alle leitenden Personen der Expedition teilnahmen. "Woher wissen Sie, ob Hellström den geplanten Kurs überhaupt geflogen ist?" Die schwarzen Augen Captain Valentina Jergenjeffs blickten auf Don Guernsey, der, eine Zigarette zwischen den Lippen, vor der Kartenprojekti-on stand. "Soweit ich informiert bin, fanden sich in den Speichern der AE-TERNA keinerlei Anhaltspunkte hierüber."

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"Sie sind richtig informiert, Valentina", sagte der Major leise, ohne sich umzudrehen. "Ich möchte aber von der Annahme ausgehen, daß er die ge-plante Route einhielt, und ..." "Und wer sagt uns, daß Hellström überhaupt bis hierher gelangt ist? Vie l-leicht ist er schon auf halbem Wege das Opfer irgendwelcher unbekannten Mächte geworden." Don Guernsey drehte sich um. "Es gibt einen Faktor", sagte er ruhig, "der darauf hinweist, daß Professor Hellström die geplante Route eingehalten hat." Die Anwesenden sahen ihn gespannt an. "Die Spezialisten, die die Triebwerke der AETERNA untersuchten, ana-lysierten auch deren Abnutzungseffekt. Die Berechnungen, die sie dabei anstellten, gipfelten in der Feststellung, daß das Schiff eine Mindestentfer-nung von 59.000 Lichtjahren mit einem Toleranzwert von plus-minus 3.000 Lichtjahren zurückgelegt haben muß. Die AETERNA besitzt acht Triebwerke, vier normale und vier ÜL. Die Zahlenwerte sind das Ergebnis einer exakten Untersuchung aller Triebwerke. Die geplante Reise betrug bis zum Zielgebiet und zurück 52.000 Licht-jahre. Bleiben 4 bis 10.000 Lichtjahre, die das Schiff innerhalb des Zielge-bietes zurückgelegt hat." Einen Augenblick herrschte Schweigen in der Zentrale. Wie aus weiter Ferne drang das dumpfe Brummen des Photonentriebwerkes in das Unter-bewußtsein der Anwesenden. "Schön", die tiefe Altstimme Eve Mazzolas klang auf, "nehmen wir an, Sie haben recht, Major. Jetzt wollen Sie aber von der Hellström-Route ab-weichen und an anderer Stelle in das galaktische Kerngebiet eindringen. Was versprechen Sie sich davon?" Der Abwehroffizier warf den Zigarettenstummel in den Abfallvernichter. "Ich möchte die Gefahr, daß wir das gleiche Schicksal wie der Hellström-Konvoi erleiden, so gering wie möglich halten. Wenn wir von einer ande-ren Stelle aus zum kritischen Gebiet vorstoßen, haben wir die Chance, auf raumfahrende Zivilisationen zu stoßen, bei denen wir etwas darüber erfah-ren, was im Kern unserer Galaxis vor sich geht. Das Schicksal des Hell-ström-Konvois zeigt uns, daß wir es mit Kräften zu tun haben, die wir nicht unterschätzen dürfen. Jede Information, und wenn sie noch so gering ist, kann uns von Nutzen sein." Aus einem Sessel erhob sich eine massige Gestalt. Major Guy Osborne, der Kommandant der ANTONIO LENNARTZ.

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Sein sonores Organ füllte den Raum, als er sagte: "Major Guernsey hat recht. Wir werden folgenden Kurs einschlagen ..." Er trat an die galaktische Karte und legte die neue Route fest. "Leutnant Pia, geben Sie die Daten in den Navigator!" Der Zweite machte sich an die Arbeit. Dirk, der im Hintergrund der Auseinandersetzung gefolgt war, erkannte einmal mehr, welch glückliche Hand Don Guernsey bei der personellen Besetzung dieses Unternehmens gehabt hatte. Die Offiziere der ANTONIO LENNARTZ waren, wie sich im Verlauf des Fluges schon mehrere Male erwiesen hatte, Frauen und Männer, die ihr Fach verstanden. Sie leiste- ten, jeder für sich, auf ihrem Gebiet Hervorragendes. Guy Osborne hatte als Schiffskommandant am Sargasseten-Krieg teilge-nommen, der einzigen kriegerischen Auseinandersetzung, die jemals inner-halb des Orionarmes stattgefunden hatte. Der Major, einige seiner Offiziere - unter ihnen Captain "Speedy" Blake, der Erste, der im Augenblick vor den Kontrollen saß, Captain Varsaj, der Feuerleitoffizier und Leutnant Pia, der Zweite - sowie vierzig Mann der Besatzung, die der Kommandant von seinem alten Schiff mit herübergebracht hatte, besaßen aktive Kampferfah-rung. Don Guernsey kannte den Major von der Kosmonautischen Universität her. Sie hatten zur gleichen Zeit das Schiffsführerpatent erworben und dann zusammen noch ein paar Semester angewandte Raumschiffssoziologie und Gruppenkriminologie studiert, bevor sich ihre Wege wieder getrennt hatten. Bei der Auswahl der übrigen Teilnehmer der Expedition, zu denen Ärzte, Techniker, Wissenschaftler, Forscher und Schiffspersonal gehörten, hatte sich Major Guernsey auf die Ratschläge von Computern verlassen, mit einer Ausnahme: Dirk Halland war auf das höchste erstaunt gewesen, als ihn eines Tages der Abwehroffizier in seinem Büro aufgesucht und ihn gebeten hatte, als Schiffspsychologe an der Suchexpedition teilzunehmen. Dirk hatte aus seiner Überraschung keinen Hehl gemacht. Einmal fühlte er sich nicht als der geeignete Mann für diesen Posten. Als Chefpsychologe eines großen terrano-galaktischen Handelsunternehmens kannte er zwar von Berufs wegen die sozio-psychologischen Probleme, die vor allem bei längeren interstellaren Raumflügeln auftraten. Der Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit lag jedoch mehr auf der Verhandlungspsychologie. Seiner Ansicht nach gehörte auf den Posten des Bordpsychologen ein spe-ziell für solche Aufgaben ausgebildeter Kosmopsychologe.

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Zum anderen schien es eigenartig, daß Guernsey, der seine Aversion Dirk gegenüber nie ganz hatte verbergen können, ausgerechnet ihn dabeihaben wollte. Manus Graves mußte mit im Spiel gewesen sein. Vielleicht hatte sein alter, väterlicher Freund darauf bestanden, daß er, Dirk, an dem Unter-nehmen teilnahm. Guernsey, auf diese Frage angesprochen, hatte kurz erwidert: "Der Computer hat Sie vorgeschlagen!" Das hatte Dirk zwar nicht geglaubt, aber im Grunde genommen war es ohne Bedeutung, wem er seine Berufung verdankte. Er hatte nicht lange überlegen müssen. Seine Eltern lebten nicht mehr. An sich gab es nichts, was ihn auf der Erde hielt. Auf der anderen Seite reizten ihn die ganz und gar neuartigen Aufgaben, die ihn auf dem Raumschiff erwarteten, und - hatte er sich ein-gestanden - die Gesellschaft Charlys. So hatte Dirk Halland angenommen. Er hatte seinen Entschluß bisher nicht bereut. Dank der ausgleichenden Rolle, die der Kommandant mit Erfolg in der Zentrale spielte, waren mehr und mehr die mannschaftlichen Bereiche, die Forschungs- sowie die technischen Sektionen zu seinem eigentlichen Ar-beitsfeld geworden. Auf diese Weise hatte er öfter Gelegenheit gefunden, mit Charly Berg zusammenzutreffen, die die meiste Zeit im elektronischen Labor verbrachte und dort der Kybernetikerin Hella Falcon zur Hand ging. Im übrigen hatte er sich mit dem Studium der Verhaltensweisen beschäf-tigt, die Menschen an den Tag legten, die für längere Zeit auf relativ engem Raum miteinander auskommen mußten. Besonders hatte ihn erstaunt, wie sehr dabei ein Phänomen wieder zum Vorschein kam, das bei der erdgebundenen Gesellschaft mittlerweile völlig 'verschwunden war: das Territorialdenken. Dirk fand bald heraus, daß ein großer Teil des Raumschiffsalltags von Äußerungen, Vorgängen und Impulsen beeinflußt wurde, die mit dem, frei-lich unbewußten, Territoriumanspruch der Raumfahrer zusammenhing gen. Dirks psychologische Statistik wies zum Beispiel aus, daß Valentina Jer-genjeff immer dann am umgänglichsten war, wenn sie sich im linken hinte-ren Teil der Zentrale aufhielt - dort befanden sich die von ihr betreuten Meßgeräte -, daß sie sich dagegen am aggressivsten verhielt, wenn sie sich aus irgendeinem Grunde im mittleren Teil des Raumes aufhielt. Dort stand das Kartenpult und die Navigationselektronik. Und dort war das Hauptar-beitsfeld Severin Pias - und diese beiden verband eine Art Haßliebe.

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Dabei spielte es keine Rolle, ob der Zweite Offizier sich dort befand, ja, ob er überhaupt in der Zentrale war. Valentinas Aggressionen waren orts-gebunden und richteten sich augenblicklich gegen jedermann, sobald sie selbst in dem fraglichen Territorium verweilte.

4. Die ANTONIO LENNARTZ hatte ihr vorläufiges Ziel erreicht. Sie beweg-te sich mit ÜL-Geschwindigkeit durch die Randbezirke des galaktischen Zentrums, fast 26.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. 4.000 Lichtjahre trennten sie vom Mittelpunkt der Galaxis. Der Blick durch die Rundkuppel bot ein Bild von atemberaubender Schönheit. Einem Meer gleißender Perlen gleich, strahlten vor ihnen Milli-arden von Sonnen, die teilweise so dicht zusammenstanden, daß nur Licht-wochen oder -monate sie voneinander trennten. Guy Osborne, der schweigend auf die Sternenansammlung blickte, war sich darüber klar, daß die Navigation zwischen den Kraftfeldern der dicht-gedrängten Gasbälle hindurch äußerste Anforderungen an Schiff und Steu-ermann stellen würde. Ein Einsatz des ÜL-Triebwerkes kam hier kaum in Frage. Aber selbst das Photonentriebwerk durfte nur mit äußerster Vorsicht und unter engster Zu-sammenarbeit zwischen Computer und menschlichem Navigator gebraucht werden, da die immense Geschwindigkeit die navigatorische Wendigkeit des Schiffes aufs äußerste reduzierte. Eine solche Situation war auch für den erfahrenen Raumschiffkomman-danten Neuland. Doch Major Osborne war, bei aller Bedächtigkeit und Gelassenheit, ein Mann von Mut und Entschlußkraft. Da es seine Aufgabe war, die Schiffe des verschollenen Konvois zu suchen, machte er sich sogleich an die Arbeit. Er gab seinen Leuten Order, die astronomischen und astrophysikalischen Meßinstrumente einzusetzen und die Ergebnisse in den Datenverarbeiter einzuspeisen. Dann betrachtete er die Karte, die der Computer inzwischen erarbeitet und auf den Kartenschirm projiziert hatte. Don Guernsey trat an seine Seite. Osborne wies auf einen Punkt, den der Computer rot markiert hatte. "Hier sind wir", sagte er in seiner schleppenden Art. "Und dort ...", er zeigte auf eine Sternenansammlung, die sich, dem Maßstab nach, etwa ein eineinhalbtausend Lichtjahre östlich ihres Standortes befand, "wären wir

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herausgekommen. Das heißt, dort ist der Hellström-Konvoi höchstwahr-scheinlich in das Kerngebiet eingeflogen. Sehen Sie, Don, vor uns liegt ebenfalls ein Sternenhaufen, eine Assoziation. Nennen wir sie - ,Kern I'. Hinter der Assoziation, in der die Sterne, wie die Analyse besagt, keine größeren Abstände voneinander haben als 46 Lichtstunden - ich betone: Lichtstunden - kommt ein für Zentrumsverhältnisse 'leererer' Raum, in dem die Sonnen einen mittleren Abstand von sechs Lichtmonaten haben." Don Guernsey nickte. "Mein gesunder Menschenverstand", fuhr der Kommandant fort, "sagt mir nun, daß die Chance, auf Leben, beziehungsweise auf Intelligenzwesen zu stoßen, in diesem relativ leeren Raum größer ist als hier ...", er deutete auf die Assoziation Kern I, "wo die sich ständig verändernden Gravitations- und Radiationswirkungen der eng zusammenstehenden Sonnen ein großes Hemmnis für die Bildung von Leben bilden sollten." Guernsey nickte abermals. "Sie wollen also in den Raum hinter der Assoziation Kern I vorstoßen? - Einverstanden, Guy. Was Sie sagen, klingt logisch." Der Kommandant drehte sich um. "Speedy", wandte er sich an den Ersten Offizier, einem langen, dürren Mann, der damit beschäftigt war, Meßergebnisse in einen Rechner zu ge-ben, "sehen Sie diese Region hier?" Und als Speedy nickte, fuhr er fort: "Wir fliegen dort hin. Programmieren Sie den Kurs. Wir fliegen mit 90 Prozent Licht und einigen kurzen ÜL Etappen durch die Assoziation. Dann sehen wir weiter." Captain Jean Speedy Blake murmelte ein "Ja, Chef". Dann trat er vor das Kartenpult, und seine dünnen Finger huschten mit einer unglaublichen Ge-schwindigkeit über die Tastatur. In diesem Augenblick gellte der Alarm durch das Schiff. "Achtung, Ortung!" tönte die tiefe Stimme Eve Mazzolas aus den Laut-sprechern, "Unbekanntes Objekt, fünfzehn Grad steuerbord voraus. Ge-schwindigkeit 0,34 Prozent Licht relativ zur ANTONIO. Kursberechnung folgt ... Flugbahn führt ...1.860 km Steuerbord an der ANTONIO vorbei. Ich schalte durch." Die Männer und Frauen in der Zentrale starrten auf den Hauptschirm. Dort erschien im rechten oberen Quadranten ein leuchtender Punkt, der sich, langsam größer werdend, in Richtung Schirmmittelpunkt bewegte. Major Osborne hatte bereits die Bordsprechanlage aktiviert:

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"Captain Varsaj, Schirmfelder ein! Impuls- und L-Waffen einsatzbereit! - Leutnant Enriquez, Brankart-Antrieb hochfahren! Speedy, koppeln Sie Triebwerk mit geplantem Kurs! Auf Abruf speichern! Alles übrige nach Plan B. Bitte um Vollzugsmeldungen!" In der ANTONIO LENNARTZ brach eine ungeheure Geschäftigkeit aus. Jeder Mann an Bord wußte, was er bei Plan B zu tun hatte. Während die Vollzugsmeldungen der Sektionsführer eintrafen, entwickelte sich ein hek-tisches Treiben. Das dumpfe Grollen des Photonenantriebs mischte sich mit dem hellen Singen des anlaufenden ÜL-Triebwerkes. Im Schiffsleib schlös-sen sich dröhnend die Schotte. "Schutzschirm steht!" kam die Stimme des L.I. durch. Aus seinem Kontursessel ragte die massige Gestalt Major Osbornes. Bei ihm liefen alle Fäden zusammen. Die Instrumente auf seinem Schaltpult vermittelten ihm, was im Schiff und im Weltraum geschah. Dirk, der sich gerade wieder in der Zentrale aufhielt, saß angeschnallt in einem Sessel und beobachtete, wie der Kommandant in Sekundenbruchtei-len die elektronischen und visuellen Ergebnisse auswertete und über die Tastatur seiner Elektronik in Befehle umsetzte. Langsam kroch der Orterreflex über den Hauptschirm und näherte sich einem imaginären Punkt, der sich nicht weit von der Bildmitte befand. Die Ergebnisse der Ortung wurden eingeblendet. Es handelte sich um einen Raumflugkörper von 410 m Länge und 65 m Durchmesser. Er besaß annähernd Kastenform, mit mehreren halbkugelförmigen Auswüchsen. "Da ist es!" Der Ausruf kam von Valentina Jergenjeff. Alles starrte durch das Panzer-glas der Rundkuppel. Aus dem gleißenden Sternenmeer, das den Weltraum hier im Zentrum der Galaxis fast zu einem milchigen Grau erhellte, löste sich ein schwachleuch-tender Körper und trieb langsam auf die ANTONIO LENNARTZ zu. Nach einer Weile waren die Konturen optisch auszumachen. Das schwach rötli-che Licht ging von den Auswüchsen aus, die Beobachtungs- oder Waffen-kuppeln sein mochten. Das Raumschiff driftete heran. "Geschwindigkeit 0,34 Prozent Licht, gleichbleibend", las Speedy ab. "Für Angriffsabsichten eine verdammt geringe Geschwindigkeit. Wenn Sie meine Meinung hören wollen ..." "Die will aber keiner hören", bemerkte Valentina bissig. Sie stand, stellte Dirk fest, in der Mitte der Zentrale und hielt sich am Kartenpult fest.

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"Captain Jergenjeff", sagte Major Osborne ruhig, "gehen Sie an Ihren Platz und schnallen Sie sich an!" "Ja, Sir." "...ist das ein Wrack", vollendete der Erste ungerührt. "Funkanrufe werden ignoriert", kam die Stimme des Funkoffiziers über die Bordsprechanlage. "Mentaltaster?" fragte der Kommandant. Valentina blickte auf ihre Anzeigen. "Immer noch negativ, Sir." "Wie groß ist die Reichweite der Taster?" erkundigte sich Don Guernsey. Major Osborne sah auf seine Kontrollen. "Entfernung nur noch 4.360 km. - Die Mentalortung reicht bis zu 15.000 km." "Also ein Wrack", sagte Speedy. "Oder eine Robotbesatzung", bemerkte Don Guernsey. Der Kommandant blickte sinnend durch das Kanzelglas. "Wir werden es feststellen", sagte er dann plötzlich. In die gespannte Stille hinein befahl er, "Zugstrahlprojektoren aktivieren!" Der L.I. bestätigte über Bordfunk. "Sie wollen es einfangen, Guy?" Don Guernseys Einwurf war mehr eine Feststellung als eine Frage. Der Schiffsführer nickte. Irgendwo im Schiff klang ein leises Summen auf. Als die Entfernung nur noch 2.100 km betrug, drückte Major Osborne in rascher Folge ein paar Tasten. Dirk sah, wie die Zeiger der Andruckneutra-lisatoren hochschnellten. Gleichzeitig verlangsamte sich die Bewegung des Reflexes auf dem Orterschirm abrupt. Der Kommandant hatte die Bremsdüsen eingesetzt. Außerdem mußten die Steuerbordkorrekturtriebwerke gefeuert haben. Durch die Kanzel hin-durch war zu sehen, daß sich die Bahn des unbekannten Raumschiffs leicht zur Seite hin verschob. Plötzlich erlosch der Schutzschirm. Gleichzeitig erschien auf dem Opera-tionsschirm des Kommandantenpults eine Leuchtschrift: "Traktorfeld steht." Die Männer und Frauen in der Zentrale hielten den Atem an. Die ANTONIO LENNARTZ war schutzlos. Wenn jetzt in dem fremden Raumschiff jemand auf die Idee kam, Angriffswaffen einzusetzen, waren sie ausgeliefert. Allerdings - und darauf, so dachte Dirk, schien der Kommandant zu bau-en -, auch der Fremde besaß keinen Schutzschirm. Hatte von vornherein

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keinen besessen. Das hätte die Energieortung längst herausgefunden. "Captain Jergenjeff", sagte Major Osborne, "wo bleibt die Energie - und Triebwerksortung?" Valentina Jergenjeff nahm hastig ein paar Schaltungen vor. "Bis jetzt stand der Schutzschirm", sagte sie entschuldigend, "die Taster drangen nicht durch." Schweigend blickte der Kommandant auf die Anzeigen. Dann wurde die Information ausgedruckt. Jemand pfiff durch die Zähne. Deutlich stand dort in Leuchtschrift: "Energieemision: negativ in allen Bereichen." "Also doch ....", begann Speedy. "Ein Wrack", vollendete Major Osborne. Noch einmal fuhren seine Fin-ger über die Tastatur. Die Bewegung des Reflexes auf dem Orterschirm wurde noch langsamer, kam schließlich ganz zum Stillstand. Dirk Halland blickte durch die Rundkuppel. Drüben, parallel zur Längsachse der ANTONIO, lag das fremde Raum-schiff. Es schien, als ob beide Schiffe bewegungslos in der Unendlichkeit des Alls standen. Und dann sahen er und Guernsey es zur gleichen Zeit: "Ein Loch!" rief der Abwehroffizier auf. "Es hat ein Loch!" "Treffer einer Laserstrahlkanone", kam die Stimme Captain Varsajs aus den Sprechern. "Enriquez, halten Sie das Ding fest!" Major Osborne wandte sich an Guernsey. "Ich nehme an, Sie wollen selbst rüber, Don ...?" Und als der andere nickte: "Gut, wir nehmen ein Beiboot. Speedy wird Sie hinfliegen. Wen nehmen Sie mit?" "Agentin Berg", antwortete der Abwehrchef ohne Zögern, "Larsen und Dr. Halland!" Der Kommandant musterte Dirk einen Augenblick. Dann wandte er sich an seinen Ersten: "Captain Blake, machen Sie das Beiboot klar. Fliegen Sie 'rüber! Sie haben drei Passagiere!" "O.k, Chef!" Der Erste Offizier nickte lässig und verschwand dann wie der Blitz. Don Guernsey rief das Mädchen und den Hochenergiephysiker über Bordfunk und forderte sie auf, sich zum Beiboothangar zu begeben. Dann machten auch er und Dirk sich auf den Weg.

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Jean Speedy Blake war ein erstklassiger Kosmonaut, stellte Don Guern-sey fest, während der Captain das winzige Beiboot mit traumwandlerischer Sicherheit dicht an dem fremden Schiff entlangsteuerte. Dabei mußte er sich von der anderen Seite nähern, um nicht selbst in das starke Traktorfeld der ANTONIO LENNARTZ zu geraten, die den Fremden festhielt. "Sieht so aus, als müßten wir ihm ein Loch in den Pelz brennen", meinte der Erste, als er den Fremden einmal umrundet hatte. Don Guernsey wußte, was der Captain meinte. Nirgendwo war an dem langgestreckten Schiffsleib mit den fünf Kuppelauswüchsen etwas auszu-machen, das an eine Schleuse erinnerte. "Das Loch ...", erinnerte Charly. Dirk sah sie an. Charlotte Berg, genannt Charly, sah so hübsch aus wie immer. Die Auf-regungen der letzten Stunde .schienen sie nicht im geringsten erschüttert zu haben. Sie und Larsen hatten sich in der fraglichen Zeit in der Messe be-funden. Der Alarm hatte sie überrascht, und sie hatten das Geschehen über Bord-Stereo miterlebt. Nun ja, Charly war Agentin, und wenn sie auch noch kein Raumgefecht mitgemacht hatte, so hatte sie doch trotz ihrer jungen Jahre bereits an meh-reren Einsätzen teilgenommen. Dirk bemerkte den Blick, mit dem der Erste Offizier der ANTONIO LENNARTZ das Mädchen bedachte, und er wurde sich darüber klar, daß er, Dirk, nicht der einzige war, dem es gefiel. Er betrachtete Don Guernsey von der Seite. Doch das Gesicht des Abwehroffiziers war undurchdringlich, als er sagte: "Sie hat recht, versuchen wir's." Speedy kratzte sich am Kopf. "So einfach ist das nicht", erklärte er. "Das Loch befindet sich im Wir-kungsbereich des Traktorfeldes. Dort kann ich nicht manövrieren." Larsen mischte sich ein: "Dann fordern Sie die Leute in der ANTONIO auf, sie sollen das Feld so verschieben, daß wir an das Loch herankönnen!" Der Erste schaltete das Funkgerät ein und erklärte dem Kommandanten die Situation. Wenig später kam die Mitteilung von der ANTONIO: "Das Kraftfeld ist verlegt." Schweigend brachte der Kosmonaut das Beiboot zu der Stelle, an der das fast kreisrunde Loch wie ein totes, riesiges Auge den Raumfahrern entge-genstarrte. Speedy richtete die Bugscheinwerfer auf die schwarze Öffnung.

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"Es könnte reichen", murmelte er. Dann manöverierte er das Raumboot so geschickt an die Stelle heran, daß sich die Schleuse genau vor dem Loch befand. "Na, dann wollen wir mal", meinte Don Guernsey. "Captain, halten Sie Ihr Funkgerät eingeschaltet. Wir werden Sie als Relaisstation benutzen, falls wir keine Direktverbindung zur ANTONIO bekommen." Captain Blake nickte: "In Ordnung, Major, Viel Glück!" Das Loch war groß genug. Die beiden Männer und das Mädchen kletter-ten in das Innere des fremden Raumschiffes. Sie hatten die Waffen schuß-bereit und beobachteten scharf ihre Instrumente, ob sich irgend etwas Au-ßergewöhnliches zeigte. Aber eine halbe Stunde später wußten Guernsey und seine Begleiter, daß ihnen in diesem Schiff keine Gefahr drohte. Es war ein Wrack. Und es trug keine Überlebenden. Das Kommando machte zwei Stunden lang Filmaufnahmen, sammelte Materialproben, baute Geräte und Instrumente aus und durchkämmte das Wrack bis in den letzten Winkel. Leichen wurden nicht gefunden. Das Beiboot wurde bis zu den Grenzen seiner Tragfähigkeit mit Material vollgestopft. Dann machten sie sich auf den Rückweg zur ANTONIO LENNARTZ. Don Guernsey dachte immer wieder über dieselben Fragen nach: Wo war die Mannschaft dieses unglücklichen Schiffes geblieben? War sie verschleppt worden? Wenn ja, warum und von wem? Und wohin? Und dies waren nicht die einzigen Fragen. Woher, zum Beispiel, stammte das Schiff, und woher kamen seine Be-zwinger? Die Spezialisten würden Tage damit zu tun haben, das Material, das sie in die ANTONIO mitgebracht hatten, zu sichten, zu analysieren und auszu-werten. Larsen hatte sogar bestimmte Teile des Triebwerkes mitgeschleppt, um, genau wie im Falle der AETERNA, durch Verschleißuntersuchungen Rückschlüsse zu ziehen, wie lange das Schiff unterwegs gewesen war, bzw., welche Strecke es bewältigt hatte, bis die Besatzung die todbringen-den Waffen ihrer Mörder trafen. Aber vielleicht waren sie gar nicht tot. Vielleicht waren sie verschleppt

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worden. Verschleppt von wem? Warum? Don Guernsey merkte, daß sich seine Gedanken im Kreise bewegten. Kurz nachdem das Beiboot wieder in seinem Hangar verstaut worden war, und Don Guernsey mit Major Osborne ein längeres Gespräch geführt hatte, löste der Kommandant das Traktorfeld auf, und die ANTONIO LENNARTZ nahm wieder Fahrt auf. Mit einfacher Lichtgeschwindigkeit näherte sie sich der Assoziation Kern I, um diese zu durchstoßen und in den dünner mit Sternen besetzten Raum dahinter vorzudringen. Glücklicherweise war es möglich, zwischendurch immer wieder für eini-ge Zeit das überlichtschnelle Brankart-Triebwerk einzuschalten, um größe-re Strecken schneller überwinden zu können. Andernfalls hätte man Jahre gebraucht, um das vorläufige Zielgebiet zu erreichen. Zwei Tage später, als man sich bereits innerhalb der Assoziation Kern I befand, kam die Expeditionsleitung zu einer Besprechung in der Zentrale zusammen. Die ersten zusammengefaßten Ergebnisse der Analyse des Ma-terials, das man aus dem Raumschiffswrack geborgen hatte, lagen vor. Professor Endilgürmek, der Leiter der Forschungsabteilung, bestätigte zunächst die Annahme Don Guernseys, daß es sich bei der verschwundenen Besatzung des Schiffes um Wesen humanoider Physiologie handelte. Zwar wären die oberen Extremitäten dieser Wesen länger und dünner, die unteren dagegen kürzer und stämmiger als die Arme und Beine der Terra-ner. Außerdem besäßen ihre Hände sechs Finger, und ihre Augen stünden, wie sich aus den Anordnungen bestimmter Instrumentenskalen ergäbe, wesentlich weiter auseinander, wodurch sich ihr Gesichtskreis erweiterte. Alles in allem aber stimmte die physiologische Körperstruktur der Fremden mit jener des Menschen in einem Grade überein, daß man daraus auch eine gewisse - hier begleitete der Wissenschaftler seine Ausführungen mit ein-schränkenden Gesten - Verwandtschaft mit der menschlichen Mentalität herleiten dürfte. "Interessant übrigens ...", sagte Professor Endilgürmek und legte den Zeigefinger auf seine große Nase, "die Sechsgliedrigkeit der Finger dürfte zur Folge gehabt haben, daß diese Intelligenzen eine duodezimale und kei-ne dezimale Mathematik aufgebaut ..." "Professor Endilgürmek?" mahnte der Kommandant. "Oh, ja, natürlich", der Wissenschaftler lachte ärgerlich, "ich vergaß, Sie haben für diese Dinge ja keine Zeit ..." "Was förderte die Untersuchung der Triebwerke zutage?" fragte Don Guernsey.

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Der Professor deutete auf C. Larsen: "Damit hat sich Ihr Mann beschäftigt, Major. Fragen Sie ihn selbst!" Der wortkarge Physiker, dessen Spezialgebiet subnukleare Antriebssy-steme waren, blickte auf seine Unterlagen. "Das fragliche Schiff verfügte über vier jeweils paarweise im Bug und im Heck untergebrachte Staustrahltriebwerke und über ein Photonentriebwerk. Der Staustrahlantrieb ist bekanntlich lediglich im interplanetaren Verkehr verwendbar. Aus der Analyse ..." "Moment!" unterbrach Major Guernsey. "Larsen, wollen Sie damit sagen, das Schiff besitzt keinen überlicht-schnellen Antrieb?" Larsen nickte gleichmütig. "So ist es, Chef." "Teufel!" entfuhr es Speedy. Der L.I. und Valentina Jergenjeff begannen, gleichzeitig zu reden. Major Osborne, der am Hauptkontrollpult saß drehte sich um. Don Guernsey rief über das Stimmengewirr hinweg: "Guy, wieweit befand sich das Wrack vom nächsten Sonnensystem ent-fernt, als wir es fanden?" Der Kommandant antwortete sofort: "2,9 Lichtjahre." Don Guernsey wandte sich wieder an seinen Mitarbeiter: "Larsen, wie lange waren diese Wesen unterwegs?" Larsen zuckte nicht mit der Wimper, als er erwiderte: "Aus der Analyse des Photonentriebwerkes geht unmißverständlich her-vor, daß das Schiff eine Strecke von zwölfhundert Lichtjahren, bei einem Unschärfefaktor von plus-minus 0,8 Lichtjahren, zurückgelegt hat." Captain Blake sank ächzend in seinen Sessel zurück. "Unmöglich!" rief die Jergenjeff. Major Guernsey starrte den Physiker an. Dann wandte er sich an Profes-sor Endilgürmek und fragte schnell: "Irgendwelche Hinweise, daß diese Wesen Überlebens- oder Tiefschlaf-zellen benutzt haben?" Der Wissenschaftler musterte ihn kühl. "Die Analyse einiger Gerätschaften in Verbindung mit gewissen Objek-ten auf einigen holographischen Aufnahmen deuten daraufhin, daß jene Wesen Schlaftanks benutzten." "Warum haben Sie uns das nicht gleich mitgeteilt?"

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Auf der Stirn des Gelehrten schwoll eine Zornader an. "Vielleicht erinnern Sie sich, daß Sie mich mitten in meinen Ausführun-gen unterbrochen haben, Major!" sagte er laut. "Also gut", Don Guernsey lenkte ein, "entschuldigen Sie, Professor!" Professor Endilgürmek winkte ab. "Zwölfhundert Lichtjahre", murmelte Major Guernsey. Er trat an das Karrenpult. "Innerhalb der Peripherie einer Kugel mit einem Durchmesser von zwölfhundert Lichtjahren und mit dem Ort, an dem wir das Wrack gefunden haben, als Mittelpunkt, befindet sich irgendwo die Heimatwelt jener Wesen, die uns Menschen so ähnlich sind ..." Er blickte auf die Ster-nenprojektion und schüttelte dann den Kopf. "Der abzusuchende Raum wäre zu groß. Wir würden sie kaum finden. - Was sagen übrigens die Waf-fenspezialisten?" wechselte er urplötzlich das Thema. Professor Endilgürmek blickte auf eine Folie und sagte dann: "Dr. Coissons behauptet, daß das Loch von einer Laserkanone herrührt und zwar von einer Waffe, die unseren konventionellen Laserkanonen um einen Faktor 102 überlegen ist." Captain Varsaj sprang auf. "Professor!" rief er erregt, "wissen Sie, was Sie da sagen? Wenn das stimmt, ist unser Schutzschirm nutzlos, einem Laserstrahl mit der hundertfachen Wirkung unserer L 2-8 vermag unser Feldschirm nicht standzuhalten." "Die Analyse stammt nicht von mir", sagte der Professor kühl. Zum ersten Mal mischte sich der Kommandant in die Debatte: "Besaß das Schiff eigene Waffen?" "Ja." Professor Endilgürmek blickte wieder auf seine Unterlagen. "Und zwar Defensiv- wie Offensivwaffen. Coissons konnte Schirmfeldprojekto-ren und Impulswaffen identifizieren. Allerdings sind sie nicht mehr zum Einsatz gekommen. Der Gegner muß plötzlich und unwahrscheinlich schnell zugeschlagen haben." Don Guernsey, der nachdenklich vor sich hingeblickt hatte, sagte plötz-lich: "Guy, würden Sie bitte Dr. Coissons hierher rufen?" Der Kommandant drückte eine Taste und sprach: "Dr. Coissons zur Zentrale, bitte!" Er blickte Don Guernsey fragend an. Aber der Major machte ein undurchdringliches Gesicht. "Und was wollen wir dagegen unternehmen - gegen die Durchschlags-kraft der gegnerischen Waffen? Schließlich müssen auch wir mit einer sol-chen Begegnung rechnen!"

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Valentina Jergenjeff schritt erregt auf und ab. Plötzlich blieb sie vor Leutnant Pia stehen. "Haben Sie eine Idee, Severin?" "Wir werden die Kapazität unseres Schutzschirmes erhöhen müssen", sagte Severin Pia ruhig. Valentina sah ihn erstaunt an, "Können wir das?" fragte sie. Dirk bemerkte, wie Major Guernsey den Zweiten gespannt ansah. "Major Guernsey hat Dr. Coissons rufen lassen. Sicherlich wird er ihn fragen", antwortete Leutnant Pia. In diesem Augenblick glitt die Tür der Zentrale .auf, und Dr. Coissons trat ein. Ein kleiner, schwarzhaariger Franko-Terraner mit einem gepflegten Bak-kenbart und lebhaften, etwas geziert wirkenden Handbewegungen. "Dr. Coissons", begann Major Guernsey ohne Umschweife, "wir haben von Professor Endilgürmek das Ergebnis Ihrer Analysen gehört." Der Spezia list neigte leicht den sorgfältig gescheitelten Kopf und machte mit der linken Hand eine seltsame Bewegung. "Ihren Berechnungen nach übertrifft die Waffe der unbekannten Aggres-soren die Wirkung unserer L 2-8 um einen Faktor 102." Wieder nickte der Bärtige. "Das ist exakt." "Das bedeutet", fuhr der Major der terranischen Abwehr fort, "daß, falls ein Angriff derselben Aggressoren auf die ANTONIO LENNARTZ statt-finden würde, der Schutzschirm des Schiffes einem Beschuß dieser Waffen nicht gewachsen wäre. - Meine Frage an Sie lautet: Ist es Ihnen möglich, in absehbarer Zeit die Kapazität unseres Schutzschirmes entsprechend herauf-zusetzen?" Der schwarzhaarige Spezialist zögerte. "Schwer zu sagen - schwer zu sagen!" meinte er. "Immerhin ..." Von seinem Kontrollpult aus fragte der Kommandant "Um wieviel Prozent würde der Schutzschirm der ANTONIO LEN-NARTZ bei einem Beschuß durch die fragliche Waffe überbelastet?" "Bei Einzelbeschuß etwa - fünfzehn Prozent, Sir. Bei konzentriertem Punktfeuer wächst der Prozentsatz natürlich ..." "Professor Endilgürmek", wandte sich Major Guernsey an den wissen-schaftlichen Leiter der ANTONIO LENNARTZ, "wie erklären Sie sich die Tatsache, daß das geheimnisvolle Schiff durch einen einzigen .Schuß außer Gefecht gesetzt wurde, wobei es zu relativ geringen Zerstörungen kam?"

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"Nun ja - Genaues kann man darüber natürlich nicht sagen, da wir die Waffe selbst nicht kennen. Was die Wirkungsweise betrifft, so gibt es da verschiedene Möglichkeiten. Denken Sie an unsere elektronischen Waffen, den 'Energie-Neutralisator' zum Beispiel. Vielleicht wurde die Hauptelek-tronik manipuliert. Immerhin ist in diesem Zusammenhang von Interesse daß die Speicher gelöscht wurden." "Kampfspuren sind nicht entdeckt worden?" Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf. "Nein! Und dies wäre damit zu erklären, daß die Besatzung, während des Tiefschlafes überrascht, keine Möglichkeit zu einer Gegenwehr mehr fand." Nach einer Weile des Schweigens sagte Major Guernsey: "Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. Sie, Professor Endilgürmek, und Sie, Dr. Coissons, möchte ich bitten, unverzüglich an die Aufgabe he-ranzugehen, die Kapazität des Schutzschirmes der ANTONIO LENNARTZ entsprechend zu erhöhen!" Während sich die ANTONIO LENNARTZ ihren Weg zwischen den Kraftfeldern der Sonnen hindurch suchte, grübelte Don Guernsey darüber nach, wie sie ihrem Ziel, etwas über das Schicksal der Hellström-Expedition zu erfahren, näher kommen könnten. Irgendwie - das fühlte er ganz deutlich - bestand eine Verbindung zwi-schen dem Schicksal der terranischen Schiffe und dem rätselhaften Wrack. Aber welche? Entsprang dieser Gedanke einer rein intuitiven Ahnung, oder war es die Assoziation verschiedener Fakten, die er bewußt nicht wahrgenommen hatte, die sich jedoch in seinem Unterbewußtsein zu Schlüssen zu realisie-ren suchten. Und je mehr er darüber nachdachte, um so sicherer wurde er, daß es etwas war, was beiden Vorgängen gemein war; bekannte Größen in einer Gleichung voller Unbekannter. Da war die Tatsache, daß es sich beide Male nicht um Tötung der organi-schen Besatzung, sondern um deren Verschleppung gehandelt hatte. Und in beiden Fällen waren es Humanoide, die verschleppt wurden. Sollte hier der Schlüssel zu dem Mysterium liegen? In beiden Fällen waren die elektronischen Speicher gelöscht worden, Bild- und Ton- oder andere Aufzeichnungen vernichtet oder entfernt wor-den. Als ob die unbekannten Aggressoren jede Spur ihrer Tätigkeit verwischen wollten. Vorräte und Ausrüstungsgegenstände dagegen waren unangetastet ge-

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blieben - in beiden Fällen. Soweit in seinen Überlegungen gekommen, stellte sich der Major die Frage: Angenommen, das durch das All treibende Schiffswrack und das Verschwinden der Hellström-Expedition standen in einem ursächlichen Zusammenhang miteinander, das heißt, dieselbe Macht war für beide Vor-fälle verantwortlich, was wäre mit dieser Erkenntnis überhaupt gewonnen? Im Augenblick gar nichts, gestand sich der Major ein. Im Augenblick stand eigentlich nur eines fest: In beiden Fällen hatte man es mit einem höchst gefährlichen Gegner zu tun, einem Gegner, der über Waffen verfügt, denen in der bekannten Galaxis nichts Gleichwertiges ge-genüberzustellen war. Mit einer Ausnahme vielleicht: der "Energie -Neutralisator", mit dem die ANTONIO LENNARTZ bestückt war. Aber das würde sich erst noch erweisen. Sie schafften es. Am vierten Tag nach der Begegnung mit dem Raumschiffswrack kam aus dem Labor die Meldung an die Zentrale: "Aufgabe gelöst. Schirmkapazität um 35 Prozent erhöht." Die Männer und Frauen in der Zentrale atmeten auf. Damit hatte das Un-ternehmen seinen Sicherheitsfaktor bedeutend erhöht. Und es schien, als ob diejenigen, die, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse von Körper und Geist, sich rastlos und unbeirrbar zum Schütze des Schiffes und seiner Besatzung eingesetzt hatten, geahnt hätten, daß es auf Schnel-ligkeit ankam. Sechs Stunden später gab die Ortungszentrale erneut Alarm. Als Major Osborne auf den Reflex sah, den Eve Mazzola auf den .Hauptschirm geschaltet hatte, wußte er sofort: Diesmal war es anders, diesmal wurde es ernst! Das Raumschiff - denn um ein solches handelte es sich ohne Zweifel - näherte sich mit einer unglaublichen Geschwindigkeit. Es kam mit einer weiten Parallelbahn herangeschossen und würde - das wiesen die Zahlen-gruppen aus, die unter dem Schirm erschienen - die ANTONIO LEN-NARTZ in einem Abstand von nur zwölf Kilometern passieren. Trotz der hohen Gefahr, in der sie alle schwebten, gab der Kommandant seine Befehle mit einer unwirklich anmutenden Ruhe, während er gleich-zeitig die Instrumente ablas und an den Armaturen schaltete, Sekunden nach dem Alarm kam bereits die Meldung des L.I. "Schutz-schirm steht!" Und keine Sekunde zu früh! Im nächsten Augenblick ge-schahen zwei Dinge, die von den Beobachtern zeitlich nicht zu unterschei-

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den waren: Am Reflex auf dem Schirm entstand das Echo einer starken Energieemis-sion, und gleichzeitig schnellten die Zeiger hoch, die die Belastung des Schutzschirms der ANTONIO LENNARTZ auswiesen. "85 Prozent", registrierte Captain Speedy Blake, "nicht schlecht!" Der Kommandant und Don Guernsey wechselten einen schnellen Blick. Dann sprach der Kommandant in die Bordsprechanlage: "Feuerleitzentrale!" "Hier Captain Varsaj. Impuls- und L-Geschütze feuerklar, EN-Gerät ebenfalls." "Varsaj ..." Der Kommandant sprach, als befände er sich auf dem Schieß-stand, "wir wollen sehen, was die Burschen aushalten. Schießen Sie eine Impulssalve!" "Verstanden, Sir!" Dirk Halland schien es, als ob die mürrische Stimme des Captain einen vergnügten Unterton enthielte. Inzwischen war der Gegner so nahe herangekommen, daß seine Konturen bereits durch die Sichtkuppel zu erkennen waren. Es war ein seltsamer Anblick. Das Raumschiff, das da mit einer geradezu irrsinnigen Geschwin-digkeit heranschoß, hatte eine Form, die in kein geometrisches Schema zu passen schien. Es war genau genommen nichts weiter als eine Ansammlung von Kugeln, Halbkugeln, Zylindern und gänzlich unregelmäßigen Formen, die von einem undefinierbaren System von Stangen zusammengehalten wurden. Genaueres war bei der hohen Geschwindigkeit nicht auszumachen. Einen Augenblick später erbebte der Schiffsrumpf unter dem Rückschlag der Impulsbatterie. Dann blitzte es drüben auf. Ein Feuerwerk hochenergetischer Strahlen entlud sich - und erlosch. "Ein Schirm!" stellte der Erste fest. "Den man nicht sieht", ergänzte Don Guernsey. "Die Anzeigen!" rief Valentina Jergenjeff. Alles starrte auf die Feldschirmanzeigen, die einen erneuten Treffer des feindlichen Raumschiffs auswiesen. Diesmal stand die Marke bei 84,5 Pro-zent. Die Menschen in der Zentrale blickten sich an. "Er hält, er hält...!" sagte Speedy Blake. Durch die Sichtkuppel waren plötzlich flammende Gasströme zu erken-nen, die am Bug des gegnerischen Raumschiffes austraten.

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"Sie bremsen", stellte Speedy fest. "Sie wollen abhauen!" Don Guernsey tippte denn Schiffsführer auf die Schulter. "Guy", sagte der Abwehroffizier halblaut, "ich will sie lebend!" Guy Os-borne nickte. "Feuerleitstand", sprach er erneut ins Mikrophon, "setzen Sie das ENG ein!" In der Zentrale blickte alles wie gebannt durch .die Sichtkuppel hinüber zu dem unbekannten Angreifer, der augenscheinlich erkannt hatte, daß er es hier mit einem Gegner zu tun hatte, der ihm mindestens ebenbürtig war, und der jetzt ein Rückzugmanöver einzuleiten schien. Wie würde sich der Beschuß mit dem ENG auswirken? ENG bedeutete Energy Neutralising Gauge, also soviel wie Energie-neutralisierende-Einrichtung. Dieses Gerät sandte hochkatalysierte Neutri-no-Strahlung aus, die lichtschnell war und jeden noch so starken Schutz-schirm durchdrang. Die Neutrinos schufen eine energetische Gasse, durch die gleichzeitig eine bestimmte Kaonen-Strahlung in das Zielsystem einge-schleust wurde. Die Kaonen, die, im Grunde genommen, ja nichts weiter als Wechselkräfte zwischen Nukleonen, also zwischen Protonen und Neu-tronen waren, hoben in sämtlichen energetischen Prozessen die Ionisierung auf, das heißt, sie neutralisierten die Spannung. Die Folge war, daß das gesamte Schiff energetisch neutral wurde, die Triebwerke setzten aus, die Feldschirme brachen zusammen, und die Waffen-, Ortungs- und Kommu-nikationssysteme fielen aus. Aber auch die Rechen- und Steuerungssysteme kamen zu einem absoluten Stillstand. Bisher war das ENG nur an terranischen Zielschiffen ausprobiert worden. Wie es sich in seiner Wirkung im Ernstfall, auf extraterrestrische Raum-schiffe angewandt, verhalten würde, war unbekannt ... Die Terraner brauchten auf die Beantwortung ihrer Frage nicht lange zu warten. Der Kurs des fremden Raumschiffs wurde plötzlich instabil. Der Flug-körper begann zu trudeln, die Feuerschweife ionisierten Gases aus den Heckdüsen erloschen. Die Männer und Frauen in der ANTONIO LENNARTZ sahen sich an. "Es funktioniert", konstatierte Speedy Blake trocken. "Wie lange hält dieser Prozeß eigentlich an?" erkundigte sich Dirk. Don Guernsey drehte sich nach ihm um. "Das hängt von verschiedenen Umständen ab", erklärte er. "Soweit ich Larsen richtig verstanden habe, ist er grundsätzlich nicht aufhebbar. Zum Zeitpunkt der Manipulierung inaktive Geräte, Triebwerke und so weiter

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bleiben im Prinzip von der Strahlung verschont. Da jedoch die bordelektro-nischen Systeme ausfallen, sind sie nicht einsatzbereit." "Mit anderen Worten: Das getroffene Schiff ist ein Wrack", bemerkte Valentina Jergenjeff. "Nicht unbedingt", widersprach Leutnant Pia. "Nicht, wenn die Manuell-steuerung ein getrennter Schaltkreis ist und sie über eine systemeigene Elektronik verfügt - wie zum Beispiel in diesem Fall!" Sein Zeigefinger wies durch die Sichtkuppel nach Steuerbord, wo deutlich zu sehen war, daß sich die Bahn des fremden Schiffes wieder stabilisiert hatte. Feuerstöße am Heck bewiesen, daß zumindest ein Triebwerk wieder funktionierte. "Verdammt!" entfuhr es Don Guernsey. "Wir werden über Stereophon angerufen!" kam die Stimme des Funkoffi-ziers aus dem Bordsprecher. "Rhythmische Gruppen und Mengenmuster - symmetrisch geordnet!" Zum ersten Mal seit dem Beginn der Reise sah Dirk Major Osborne er-regt. "Geben Sie Antwort!" rief der Kommandant. "Funken Sie irgendwas - nein, noch besser: Schicken Sie Ihr eigenes Konterfei hinüber!" "Ja, Sir!" "Hoffentlich werden die da drüben nicht zu sehr verschreckt!" meinte Speedy. Befreiendes Gelächter klang durch die Zentrale. Sogar der ewig ernste Zweite lächelte. "Kho-Sun", sprach der Kommandant in den Bordkom, "schalten Sie die Dekodierung sofort auf den Op-Schirm, sobald Sie sie haben!" Der Funkoffizier bestätigte den Befehl. Guy Osborne blickte auf den Orterschirm. "Speedy", sagte er zu seinem Ersten, "der Kurs des Fremden ist wieder stabil. Berechnen Sie die Bahn!" Captain Blake war mit einem Schritt an der Hauptelektronik. Seine Fin-ger huschten so schnell über die Tastatur, daß Dirk, der zwei Meter links saß, ihnen mit den Augen kaum zu folgen vermochte. Kurz danach begann der Computer das Ergebnis auszudrucken. "Hm!" machte Leutnant Pia, als er die Werte las. "Und - was ist mit der Bahn?" fragte Don Guernsey gespannt. "Aus den Werten geht hervor, daß das Raumschiff sich in einer Parabel der ANTO-NIO nähert, sich ihrer Bahn angleicht und in einem Abstand von 2300 km auf Parallelkurs geht", erklärte der Zweite Offizier. "Im Zusammenhang mit den Funkzeichen könnte das bedeuten ...", sagte

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Don Guernsey langsam, "daß sie etwas von uns wollen." Guy Osborne nickte. Dann aktivierte er den Bordkom und sprach ins Mikrophon: "Kho-Sun, haben Sie schon was rausbekommen?" Das von mehreren Narben entstellte Gesicht, das auf dem Bordschirm erschien, legte sich in bedauernde Falten: "Nichts zu machen, Sir. Immer derselbe Rhythmus und die gleichen Symbole. Für eine Dekodierung braucht der Dechiffriercomputer mehr Material. Wir versuchen ..." Guy Osborne unterbrach die Verbindung und sagte: "Speedy, machen Sie ein Beiboot klar! Vielleicht werden wir es brau-chen!" Dabei blickte er Don Guernsey an. Der Major nickte. "Wir werden es brauchen, Guy! Wir werden auf jeden Fall 'rübergehen, schon um festzustellen, was sie von uns wollen. Anscheinend haben sie erkannt, daß mit uns nicht gut Kirschen essen ist. Mit Gewalt können sie uns nicht beikommen. Vielleicht versuchen sie es jetzt auf eine andere Art. Wir werden jedenfalls auf der Hut sein." "Warum setzen wir nicht einfach das ENG nochmals ein?" wollte Valen-tina wissen. "Dann wäre doch jedes Risiko ausgeschaltet." "Jedes Risiko nicht", widersprach der Major. "Sie vergessen, daß von der Neutralisierung nur aktivierte Geräte und Waffen betroffen werden und natürlich alle diejenigen, die elektronisch gesteuert werden. Wir wissen jedoch nicht, ob der Gegner nicht über Waffen verfügt, die auf anderer als auf elektronischer Basis funktionieren." In diesem Augenblick meldete sich die Ortungs- und Funkzentrale. Auf dem Monitor erschien Kho-Suns aufgeregtes Gesicht. "Kommandant", sprudelte er hervor, "seit drei Minuten senden die Frem-den heterogene Muster ..." "Und", fragte Major Osborne ruhig, "sind sie entziffert?" "Teilweise, Sir, teilweise. Es handelt sich um einen kombinierten elektro-nisch-mathematisch-chemischen Kode, der die Periode der natürlichen Elemente zur Basis hat und mit binären Ziffernfolgen operiert ..." "Was besagen die entzifferten Muster?" unterbrach der Kommandant den Redeschwall. "Entschuldigung, Sir - also, die bis jetzt entzifferten Signale lauten: Bau-stein muß zu Baustein - Proton muß zu Neutron - dreizehn mal Helium gleich einmal Eisen - dreimal Eisen gleich einmal Platin!"

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"Was??" Das war alles, was der Kommandant hervorbrachte. Der Erste fluchte ungeniert, und Valentina lachte hysterisch. Nur Leutnant Pia verzog keine Miene. "Eine nukleare Gleichung", sagte er. Don Guernsey sah Dirk an. "Was halten Sie davon, Doc? Etwas wenig für den Anfang, nicht wahr?" Der Psychologe nickte. "Ja, wir müssen abwarten, was die Fremden noch senden. Auf jeden Fall handelt es sich um eine Botschaft. Daß die Botschaft durch atomare Gle i-chungen ausgedrückt wird, läßt zumindest den Schluß zu, daß es sich bei diesen Wesen um eine Intelligenzform handelt, deren Mentalität der unsri-gen fremd ist. Es scheint mir eine gefühlsarme, irgendwie ..." Dirk suchte nach dem richtigen Wort, "... maschinenhafte Mentalität zu sein." Der Major sah ihn an. Er dachte nach. "Ist das alles?" Guy Osborne hatte sein Erstaunen überwunden. "Ja, Sir. Im Augenblick, ja." "Schalten Sie sofort durch, wenn der Computer weitere Signale entziffert hat. Ende!" Inzwischen hatte das fremde Raumschiff das Ziel der errechneten Bahn erreicht. Es befand sich genau 2.305 km steuerbord querab von der AN-TONIO LENNARTZ und flog auf Parallelkurs. "Baustein muß zu Baustein ..." Dirk Halland kam ein Gedanke. "Vie l-leicht sind wir ein Baustein", sagte er zu Major Guernsey gewandt, "vie l-leicht sind wir mit dem Proton gemeint, und die Fremden bezeichnen sich als Neutron, oder umgekehrt." Don Guernsey sah ihn scharf an. Dann nickte er. "Möglich. Dann bedeutet der Ausdruck 'Baustein muß zu Baustein' und 'Proton muß zu Neutron', daß beide Schiffe, obwohl sie verschiedener Na-tur sind und aus verschiedenen Welten kommen, sich vereinigen sollten. Die Frage ist nur - was stellen sich diese Wesen unter einer Vereinigung vor. Nun, wir werden es herausfinden. - Guy, geben Sie mir Captain Blake und fünf Leute mit, ich werde mir das Ding mal ansehen!" Die Stimme der Orterin kam durch: "Achtung, fremdes Raumschiff schleust Beiboot aus!" Alles starrte durch die Panoramakuppel. Doch aus dieser Entfernung war nichts zu erkennen. Major Osborne schaltete die Ausschnittvergrößerung ein und projizierte das Bild auf einen Schirm. Und jetzt sahen sie es deutlich:

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An der Unterseite des bizarren Schiffes war eine Öffnung entstanden, aus der ein Flugkörper herausschoß und direkten Kurs auf die ANTONIO LENNARTZ nahm. "Achtung, L.I", sprach der Kommandant, "bei Annäherung des fremden Beiboots auf 400 km Schutzschirm öffnen, nach Aufnahme des Fremden wieder schließen! - Captain Blake, öffnen Sie die Hauptschleuse und geben Sie dem Fremden Peilzeichen! - An die Besatzung: Raumhelme schließen, Handwaffen schußbereit. Jeder Mann bleibt auf seinem Posten! - Don...?" Major Guernsey nickte. "Ich begebe mich in die Schleuse. Schicken Sie mir sechs Mann hin, entsprechend bewaffnet. Ich glaube zwar nicht, daß ... Aber Vorsicht ist besser." "Geht in Ordnung, Don!" Während Don Guernsey die Zentrale verließ, gab er an sechs seiner Leute den Befehl, sich zur Hauptschleuse zu begeben und sich unter den Befehl Major Guernseys zu stellen. Auch die Männer und Frauen in der Zentrale, einschließlich Major Os-borne, verriegelten ihre Helme und schalteten auf Helmfunk um. Gespannt verfolgten sie das kleine Beiboot, das schnell näher kam. Es hatte aerody-namische Form und bewies damit, daß es zum Flug in Gasatmosphären benutzt wurde. Einige Kilometer vor der ANTONIO LENNARTZ setzte es die Bremsraketen ein. Langsam glitt es auf die offene Schleuse zu. Don Guernsey, der im Kampfanzug den Fremden erwartete, teilte Major Osborne über Helmfunk mit, daß es sich um ein außergewöhnlich kleines Raumfahrzeug handelte, das über einen Antigravantrieb verfügte und äu-ßerst wendig zu sein schien. Dann war der Fremde in der Schleuse. Auf Prallfeldkissen schwebte er zu Boden. Wie gebannt blickten Guernsey und seine Leute auf eine Stelle am Rumpf des fremden Beibootes, die wie ein Schott aussah. Und genau dort entstand eine Öffnung. Don Guernsey umklammerte den Schaft seines Desintegrators. Im Helm-sprecher hörte er den scharfen Atem der Männer. In der Öffnung erschien ein kastenförmiges Etwas. Es war von graublau-er, metallischer Farbe und besaß antennenartige Stäbe. Die Vorderseite war mit einer Reihe gelblicher Flächen bedeckt, die wie Bildschirme aussahen. Die übrigen Flächen waren - soweit sie zu sehen waren - glatt. Das Ding schob sich aus der Öffnung und schwebte auf den Boden der Schleuse her-unter. "Eine Elektronik!" hörte Don Guernsey den Ausruf Speedys.

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Und in der Tat, was da vor ihnen stand, leise summte und die Antennen hin- und herdrehte, sah aus wie eine TE 41, einer jener tragbaren Mikro-computer, die vor allem auf Pionierwelten zum Einsatz kamen. Es war nur größer und schien weder Bedienungstasten noch -knöpfe zu besitzen. Doch das war ein Irrtum. Das Ding summte lauter, und dann klappte die Vorderseite nach unten. Darunter wurde ein kompliziertes Armaturensy-stem sichtbar. Die gelben Bildschirme erhellten sich, und auf ihnen er-schienen abstrakte Muster. "Major Osborne", rief Don Guernsey in das Helmmikrophon, "ich brau-che den Dekodierer und einen Elektronikexperten!" . "Ich schickte Endilgürmek mit einer Mikroelektronik, über diese kann der Dekodierer angeschlossen werden. Wie sehen sie aus?" "Wer? - Oh - sie haben uns eine Elektronik geschickt. Anscheinend will man erst verhandeln!" "Gut! - Seien Sie vorsichtig, Don - in dem Wrack, das wir fanden, war auch kein Schuß gefallen." "Das hatte ein Loch!" lachte der Abwehrchef. "Aber seien Sie unbesorgt, wir passen auf." Als Professor Endilgürmek kurze Zeit später in der Schleuse eintraf, brauchte er nur einen Blick auf den blauschimmernden Kasten zu werfen, um Major Guernseys Vermutung voll und ganz zu bestätigen: es war eine Elektronik. "Es fragt sich nur, in welcher Form wir dieses Ding mit unserer Elektro-nik verbinden können", überlegte der Professor und betrachtete den Kasten von allen Seiten. Er wurde dieser Sorge enthoben. Und zwar auf recht drastische Weise. Es gab ein scharfes Klicken. Ein großes Segment des Kastens öffnete sich. Aus seinem Innern glitt ein Gebilde, das einem terranischen Tiefsee-kraken glich. Während der "RUMPF" des Kraken den Professor sanft zu-rückdrängte, schössen seine Greifarme zu der Mikroelektronik hinüber, ergriffen sie und begannen, das Gerät herüberzuziehen. Das alles geschah blitzschnell, und die Terraner waren so überrumpelt, daß sie erst zu handeln begannen, als der Computer in einer Öffnung des Kastens zu verschwinden begann. Drei der Männer hoben ihre Waffen. "Nicht schießen!" rief Don Guernsey in das Mikrophon. "Mit einem Computer kann das Ding nicht viel anfangen." Doch in diesem Augenblick fielen ihm die gelöschten Speicher der AETERNA und der WERNER

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HEISENBERG ein. "Professor", rief er den Gelehrten an, "ist die TE 41 mit der Hauptelek-tronik verbunden?" "Ja, gewiß", kam die Antwort. "Warum?" "Haben Sie vergessen, rief der Major, "daß die Speicher der beiden Hell-ström-Schiffe und auch diejenigen des Wracks, das wir fanden, gelöscht waren?" Der Gelehrte wurde bleich. Wenn die Fremden eine Möglichkeit hatten, die Bordelektronik der ANTONIO LENNARTZ zu neutralisieren, waren sie so gut wie verloren! Er sah, wie Don Guernsey zögerte und dann den schweren Strahler hob. Da tönte es aus dem Helmsprecher in einem etwas synthetisch klingenden Terranisch: "Nicht auf die Diener schießen!" Und nach einer kaum merklichen Pause: "Das Imperium der Diener entbietet euch seinen Gruß!" Don Guernsey senkte seine Waffe. Betroffen starrte er auf die fremde Maschine. Der Elektronologe lachte trocken auf. "Das ist des Rätsels Lösung. Sie haben die Bordelektronik abgetastet, um unsere Sprache kennenzulernen. Das hätten wir uns denken können!" Die fremde Elektronik meldete sich erneut: "Die Terraner werden aufgefordert, den Dienern zur 28. Welt des Imperi-ums der Diener zu folgen." Don Guernsey überlegte blitzschnell. Dann antwortete er: "Wir haben ein paar Fragen." "Fragen Sie!" kam die Aufforderung. "Erstens: Warum habt ihr uns angegriffen?" Die Antwort kam sofort: "Wir haben nicht Sie, sondern nur Ihr Schiff angegriffen." Don Guernsey hatte die Zentrale dazugeschaltet, damit man dort das Ge-schehen verfolgen konnte. Er hörte ein Auflachen und dann die Stimme der Valentina: "So kann man es auch sehen!" "Und warum habt ihr unser Schiff angegriffen?" fragte der Major. "Der Befehl lautet, Sie zur 28. Welt der Diener zu bringen." "Was sollen wir dort?" "Sie werden untersucht, ob Sie die Herren sind", lautete die mysteriöse Antwort.

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"Was geschieht mit uns, wenn wir nicht die Herren sind!" "Das entscheidet die leitende Elektronik", antwortete die seelenlose Stimme des Automaten. Don Guernsey überlegte. Eines stand fest: Wenn sie der Aufforderung nachkamen und dem fremden Schiff zu dieser "Welt der Diener" folgten, begaben sie sich in Gefahr. Anderseits hoffte der Major, auf dieser myste-riösen Welt etwas über das Schicksal der Verschollenen zu erfahren. Vie l-leicht - ein Gedanke blitzte in ihm auf: Vielleicht waren Hellström und seine Leute sogar dorthin verschleppt worden... "Leben oder lebten auf der 28. Welt der Diener Herren?" "Antwort auf Frage eins: nein! Auf Frage zwei: ja!" Es hatten sich also Humanoide auf jener Welt aufgehalten. Humanoiden - das mußten nicht unbedingt Hellström und seine Leute sein. Zahlreiche humanoide Rassen bevölkerten die Galaxis. Auf der anderen Seite, ausge-schlossen war es nicht, daß die Verschollenen dorthin verschlagen worden und umgekommen waren. Nun, jetzt, da es unumstößlich feststand, daß Menschen oder Menschenähnliche auf diesem Planeten der Diener gelebt hatten, stand es für Don Guernsey fest, daß sie der Aufforderung der frem-den Elektronik Folge leisten würden und sie zu den Schöpfern dieser Elek-tronik begleiten würden. Wie aber sahen diese Wesen aus? "Zeige uns ein Bild jener, die dich konstruiert haben!" forderte der Major. Kurz darauf formte sich auf dem einen der gelben Bildschirme eine Ge-stalt. Don Guernsey hörte verblüffte Ausrufe in seinem Helmsprecher.

5. Durch seinen Beruf bedingt, der ihn kreuz und quer durch die sternenbesie-delten Weiten des Orionarmes geführt hatte, war Dirk Halland mit zahllo-sen Formen des intelligenten galaktischen Lebens zusammengetroffen. Diese vielfältig gestalteten Wesen hatten technische oder auch a-technische Zivilisationen unvorstellbar verschiedener Art hervorgebracht, geformt und geprägt durch die atmosphärischen, klimatischen, geographischen und bio-logischen Bedingungen, die auf ihrer jeweiligen Welt herrschten. Er hatte die Baumstädte der Flugwesen von Shaddor I gesehen, war durch die Höhlensiedlungen der Borista auf Spika XVIII gekrochen und hatte in

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den Unterseelabyrinthen auf Lalande III mit den Herrschern der piscinen Schlkl verhandelt. Die gläserne Metropole der Bhen-Bhen auf einem kle i-nen Planeten am Rande des Spiralarms hatten ihn einige Wochen lang das Janusgesicht einer a-technischen Zivililisation erleben lassen, und in den Vertikalstädten der Puutöl hatte er 2000 m über der planetaren Oberfläche die Rechte seiner terranischen Auftraggeber gewahrt. Als die ANTONIO LENNARTZ die Sauerstoffhülle der 28. Welt der Diener durchstieß und sich anschickte, auf dem riesigen Raumhafen des Planeten zu landen, wußte Dirk, daß ihm ein Novum bevorstand. Die Stadt der Roboter. Während das Schiff auf seinen Antigravfeldern langsam herniedersank, wurde wohl jedem, der durch das Panzerglas der Sichtkuppel blickte, deut-lich, was organisches und Maschinenleben voneinander trennte. Hier aber, in der Struktur der robotischen "Metropole", offenbarte sich die eigentliche Kluft zwischen organischem und elektronischem "Leben", wie sie sich als logische Konsequenz der Entwicklung beider kosmischer Phänomene ergab. Welche sozialen Strukturen Dirk auch immer kennengelernt hatte (die mit dem Begriff "Stadt" oder "Siedlung" belegt werden durften), bei aller for-malen oder funktionalen Verschiedenheit besaßen sie dennoch Gemein-samkeiten, die sie als Träger von Lebensgemeinschaften organischer We-sen auswiesen. Struktur und Funktion dieser Träger spiegelten die unendli-che Vielfalt Jahrmillionen oder gar Jahrmilliarden andauernder Entwick-lung wider, während der sich die unbeschreiblich komplizierte Organisation lebendigen Bewußtseins aufgebaut hatte. Gefühl - Wunsch - Wille - Motiv und Trieb - Ästhetik und Kunst - Religion und Weltanschauung - Gesell-schaft und Staat - Gewissen, Mitleid, Verzeihen - Liebe und Haß, das alles waren letztlich Begriffe, die einige der zähllosen Äste bezeichneten, mit denen der Baum des organischen Bewußtseins in den Kosmos empor-wuchs. Und diese bewußtseins-evolutionären Phänomene waren es, die Form und Wesen der Städte bestimmten. Ob es der Kuppelbau einer Phonx-Siedlung, der Viadukt einer terranischen City-Bahn, eine Korallenterrasse der Schlkl oder die Hängestruktur eines Energiewerkes auf Howard's Planeten war, stets waren es gestaltgewordene Sprossen auf der unendlich langen Leiter der Evolution ihrer Schöpfer, stets zeugten sie aber auch vom Wirken des Irrationalen, dieser großen Kraft, die im lebenden Wesen den schöpferi-schen Gegenpol zur mathematisierenden Vernunft bildet.

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Nichts von all dem war da draußen zu spüren. Auf einer kahlen Fläche von einigen tausend Quadratkilometern, die man von jeglichem Pflanzenle-ben befreit und auf der man alle topographischen Unregelmäßigkeiten aus-gemerzt hatte - sogar einen Fluß hatte man umgeleitet -, erstreckten sich, so weit das Auge reichte, die Produktions- und Operationsstätten der Roboter. Es gab keine Zwischenräume, keine ordnenden, Distanz schaffenden Straßen, keine zentralisierenden Plätze, verbindenden Brücken oder Passa-gen, und es gab keine Gärten, die zum Anschauen einluden. Halle stand neben Halle, Gebäude neben Gebäude, aneinandergeklebt, aufeinandergesetzt, umeinander herumgebaut oder auch ineinander ver-schachtelt. Die "Stadt" war eine riesige Ansammlung zusammengewürfelter Bauten, deren "Architekten" nichts weiter im Sinn gehabt hatten als den unmittelba-ren Zweck. Ein gigantischer Produktionsherd, der in seiner amorphen Struktur eine Drohung auszustoßen schien, der sich die Menschen der AN-TONIO LENNARTZ nicht zu entziehen vermochten. Sie landeten. Don Guernsey hatte ein kleines Kommando zusammengestellt, mit dem er das Schiff verlassen würde. Dirk Halland war dabei und Charly. Dann Larsen und Hella Falcon sowie von Guy Osbornes Stab Captain Blake, Valentina Jergenjeff und Leutnant Severin Pia. Sie alle trugen hochwertige Spezialwaffen, mit denen sie sich nötigenfalls äußerst wirksam verteidigen konnten. Der Kommandant würde von der Schiffszentrale aus mit ihnen in Funk-verbindung bleiben und ihnen, wenn Gefahr drohte, zur Hilfe kommen. Als die Terraner die Schleuse ihres Schiffes verließen und das Landefeld betraten, erwartete sie eine Roboteskorte. Und hier, aus der Nähe, frappie r-te sie erneut die verblüffende Ähnlichkeit dieser Maschinen mit ihren terra-nischen Kollegen. Was steckt dahinter, dachte Don Guernsey. Wie kam es, daß es hier, im Herzen der Milchstraße, fast 30000 Lichtjahre von der Erde entfernt, hu-manoide Roboter gab, ein ganzes Imperium davon, wenn man den Worten des Translators glauben konnte. Und Elektroniken lügen nicht - oder doch? Einer der Roboter trat an die Terraner heran. Sein Brustteil besaß eine kubische Ausbuchtung, die mit ihren gelben Bildschirmen und Bedie-nungsknöpfen an die Übersetzerelektronik erinnerte. Aus einer Sprechmembrane am Kopfteil klang es in einwandfreiem Ter-ranisch: "Willkommen, Terraner, auf der 28. Welt der Diener! Wir haben

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den Auftrag, Sie zur leitenden planetaren Elektronik zu bringen. Das Fahr-zeug steht bereit." Eine Sekunde zögerte der Major. Dann gab er das Zeichen der Zustim-mung. Das Fahrzeug war ein Antigrav-Gleiter. Die acht Menschen nahmen in dem geräumigen Innern in bequemen Konturcouches Platz. Dann erhob sich die Maschine auf ihren Kraftfeldern lautlos in die Atmosphäre und schwebte in einer, wie es schien, schnurgeraden Fluglinie ihrem Ziele zu. "Haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, warum auf einer reinen Robot-Welt eine Oxygenatmosphäre, und zwar eine für uns gut atembare, herrscht?" Fragend blickte Dirk den Major an. Don Guernseys Blick, der die unter ihnen vorbeigleitende Szenerie auf-genommen hatte, heftete sich auf den Psychologen. "Es gibt zwei Möglichkeiten", antwortete er dann, "Entweder ist dieser Planet die Ursprungswelt der Roboter, das heißt, ihre organischen Kon-strukteure haben hier gelebt. Oder ..." Dirk blickte ihn abwartend an. "Ja?" "Oder die Roboter selbst haben sich eine Oxygenwelt ausgesucht." "Was sollte das für einen Sinn haben?" mischte sich Hella Falcon in das Gespräch. Der Major blickte die blonde Kybernetikerin nachdenklich an. "Weil sie jemanden erwarten", sagte er dann, "Oxygenatmer - Humanoi-den." "Oh!" Mehr sagte Hella Falcon nicht. Offensichtlich grübelte sie über Don Guernseys Worte nach. "Wir sind da!" ertönte Speedys Stimme. "Der Klotz da unten scheint un-ser Ziel zu sein." Der Gleiter fiel plötzlich fast senkrecht nach unten, ohne daß die mensch-lichen Passagiere etwas von dem Andruck merkten (auch das registrierte Major Guernsey). Eine halbe Minute später landete er auf der glatten Ober-fläche des "Klotzes" - und sank sogleich mit dieser nach unten. "Hoffentlich ist das keine Falle!" bemerkte Valentina, während sie an glatten, betonartigen Wänden vorbeiglitten. "Stellen Roboter Fallen?" fragte Charly unschuldig. Valentina Jergenjeff sah Charly irritiert an. Sie schien zu überlegen, ob die Agentin ihr selbst mit ihrer Frage eine Falle stellen wollte. "Sie schei-nen vergessen zu haben, daß die Roboter die Feindseligkeiten in Kern I

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gegen uns eröffnet haben, meine Liebe!" Die Abwärtsbewegung kam zum Stillstand, die Kabinentür glitt auf. Die Terraner stiegen aus und sahen sich um. Sie befanden sich in einem Raum, der in etwa einem terranischen Konfe-renzraum glich. In der Mitte stand ein langgestreckter, flacher Tisch mit Armaturen, die wie Bedienungsknöpfe für Nahrungs- und Getränkespender aussahen. Um den Tisch herum standen eine Anzahl Kontursessel. Die Wände des Raumes waren mit Bildschirmen bedeckt. Dirk, der sah, wie Don Guernsey den Kopf schüttelte, sagte halblaut: "Es sieht fast so aus, als ob man uns erwartet hat." Der Major sah ihn an. "So, Gedankenleser sind Sie auch? - Ja, uns oder andere Wesen, die zu-mindest so aussehen wie wir. Dabei weiß niemand, wie lange diese Roboter warten. Jahre - Jahrtausende - Jahrmillionen ...? Ich zerbreche mir nur den Kopf, wen man wirklich erwartet, oder, anders gesagt, in welchem Verhält-nis die Roboter zu denen stehen, die sie erwarten." "Es werden diejenigen sein, die sie konstruiert haben", vermutete Hella. "Dann bleibt die Frage, wo jene geblieben sind." "Und es bleibt noch eine andere Frage", bemerkte Leutnant Pia. "Da eine so große Ähnlichkeit zwischen den Schöpfern dieser Maschinen und uns besteht, daß sogar die Elektronik uns erst genau prüfen muß, um zu einem Ergebnis zu kommen, stellt sich die Frage, ob ein Zusammenhang besteht zwischen den Robotkonstrukteuren und den Menschen." Alles starrte den jungen Offizier an, und Valentina rief: "Leutnant Pia, wissen Sie, was Sie da sagen?" "30.000 Lichtjahre liegen zwischen Terra und dieser fixsternhaltigen Gegend" hier", sagte Speedy Blake. "Meinen Sie nicht, Ihre Idee ist ein wenig zu phantastisch?" Severin Pia schwieg. Er hatte für seine Begriffe bereits zu viel geredet. Über Major Guernseys Nasenwurzel bildete sich eine steile Falte. Gerade öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, da klang aus einem unsichtbaren Lautsprecher eine Stimme: "Hier spricht die leitende planetare Elektronik. Willkommen auf der 28. Welt des Imperiums der Diener. Wir haben Sie gebeten, uns hier aufzusu-chen, damit wir feststellen können, ob Sie die Herren sind." "Gebeten nennt ihr das!" grollte Valentina Jergenjeff. "Ihr hättet unser Schiff und damit uns alle vernichtet!" "Die Diener Hätten Ihr Schiff nicht abgeschossen", widersprach die Elek-

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tronik. "Sie hätten es nur geöffnet und mit unseren Spezialwaffen - die den Ihrigen ähneln - Ihre elektronische Besatzung neutralisiert. Dann hätten die Diener Sie, die organische Besatzung, hierhergebracht." "Also selbst die Waffen ähneln sich", murmelte Hella Falcon. "Das EN-Gerät..." "Wie soll diese Untersuchung vor sich gehen?" fragte Don Guernsey. "Einer von Ihnen begibt sich in die Testkammer", erklärte der Computer. "Dort werden sein Metabolismus und sein Gehirn abgetastet..." "Elektronisch abgetastet?" fragte Hella schnell. "Andere als elektronische Methoden sind uns nicht bekannt", erklärte der unsichtbare Gesprächspartner. Vor Don Guernseys geistigem Auge stieg eine Vision auf: Ein Mann mit offenem Helm starb in einer evakuierten Raumschiff-schleuse. Zwei Mann hockten mit leeren Augen auf dem Boden einer Raumschiffszentrale, ein dritter zerstörte ein Präzisionsgerät ... Vielleicht waren diese Männer auf einer der Robotwelten getestet wor-den? Der Major entschloß sich, nach den verschollenen Leuten des Hellström-Konvois zu fragen. Nachdem er seine Fragen, sorgfältig abgewogen und formuliert, vorge-tragen hatte, schwieg die Elektronik eine Weile. Wahrscheinlich, vermutete Dirk, mußte sie erst auf allen Welten des "Im-periums" nachfragen, und niemand wußte, wie viele Welten das waren! Schließlich kam die Antwort: "Über die von Ihnen gesuchten Individuen und ihre Schiffe ist im Imperi-um der Diener nichts bekannt." Die Terraner sahen sich enttäuscht an. Sie waren um eine Hoffnung är-mer. . . Als der Major auf das zu sprechen kam, was mit den Männern der WER-NER HEISENBERG geschehen war, erklärte die Maschine: "Sie müssen in die Hände der Aufsässigen geraten sein. Auf den Welten des Imperiums der Diener ist eine solche Behandlung unmöglich. - Geben Sie Ihre Zustimmung, daß einer von Ihnen dem Identifikationstest unterzo-gen wird?" . Don Guernsey zögerte. Wer waren die Aufsässigen? Schließlich fragte er: "Wer waren eure Herren und wohin sind sie gegangen?" Es dauerte einige Sekunden, dann klang es aus dem Lautsprecher: "Hier spricht die leitende Elektronik von der I. Welt des Imperiums der

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Diener. Ihre Frage wurde geprüft. Sie wird beantwortet werden, nachdem sich einer der Ihren dem Identifikationstest unterzogen hat." "Sie haben den Big Boss hinzugezogen", versetzte Speedy. "Es scheint für sie eine enorm wichtige Frage zu sein." Don Guernsey sagte hart: "Erst beantwortet meine Fragen! Dann entscheiden wir uns, ob sich einer von uns dem Test unterzieht," Diesmal dauerte es noch länger. "Wer weiß, welche Archive und Codices sie abtasten, um sicher zu ge-hen, daß sie gegen keine Gesetze verstoßen, wenn sie ihr Geheimnis preisge-ben" bemerkte Hella Falcon. Dann kam die Antwort. "Die leitende Elektronik des Imperiums der Diener ist einverstanden ..." Und dann erfuhren die Männer und Frauen von der ANTONIO LEN-NARTZ - Don Guernsey hatte eine Direktschaltung zur Schiffszentrale hergestellt - eine seltsame Geschichte. Es war die Legende der Roboter ...

6. Der Anfang der Geschichte lag im dunkel. Die Herkunft der Ulla war ungewiß. Einer Legende nach waren Raum-fahrer einer anderen Rasse, nach einer weiten Reise zu den äußeren Spiral-armen der Galaxis, auf dem dritten Planeten einer gelben Sonne gelandet und hatten von dort halbintelligente Herrentiere in ihre Heimatwelt mit zurückgebracht. Aus diesen hätten sich im Laufe von Jahrmillionen die Ulla entwickelt. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung wurden sie dann durch die Fol-gen der Supernova- katastrophe vom kosmischen Schauplatz hinweggefegt. Kein organisches Leben konnte dieses Inferno überstanden haben. Doch eine Anzahl kybernetischer Maschinen, am Rande des Katastrophengebie-tes, mußten das Unglück überdauert haben, und unter ihnen hatten sich einige wenige jener Automaten befunden, die in der Lage waren, selbst wieder Automaten herzustellen. Getreu ihren Programmierungen hatten sie eine neue Robotindustrie auf-gebaut, die sich allmählich auf den Nachbarplaneten und auch auf den Pla-neten anderer Sonnen ausgebreitet hatte. Unkontrolliert durch organische Lebewesen, hatte sich die Entwicklung der elektronischen "Spezies" unter

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zwei Prinzipien vollzogen: Produziere und expandiere! So hatte nach und nach die elektronische Expansion den Charakter eines Imperiums angenommen, eines Imperiums, das sich, in seinem Drang sich auszubreiten, rücksichtslos durchsetzte, und das niemand aufzuhalten ver-mochte. Dabei folgte die leitende Elektronik noch einem weiteren Movens, das unmittelbar mit der Legendenbildung zusammenhing, die wiederum nichts anderes war, als die Folge niederprozentiger Wahrscheinlichkeitsrechnun-gen. In ihrem Drang, ihren früheren Herren zu dienen, ihren Plan zu vollen-den, ihre Befehle zu vollstrecken, bemühte sich die leitende Elektronik - die wahrscheinlich einer der wenigen, die Katastrophe überdauernden Compu-ter war, - so weit wie möglich, Bild und Plan der vergangenen Herren zu rekonstruieren. Dabei war sie, durch die großen Lücken in den defekten Speichern der wenigen geretteten Maschinen bedingt, auf Wahrscheinlich-keitsrechnungen angewiesen. Da diese zum Teil die 50-Prozent-Grenze nur knapp überschritten, begann sich ein Unschärfefaktor einzuschleichen, der ein irrationales Moment mit sich brachte. Dieses führte einerseits mitunter zu Fehlschaltungen und Fehlleistungen, andererseits wurde es zur Grundla-ge von Phänomen, die man, wenn man wollte, als elektronische Äquivalen-te zu menschlichen Begriffen wie Gefühl, Phantasie, Wunsch usw. be-zeichnen konnte. In diesem einzigartigen Phänomen war sicher auch der Ursprung der Legendenbildung zu suchen, die schließlich in dem Leitsatz gipfelte: Die Herren haben uns verlassen. Doch sie werden eines Tages zurückkehren! Dieser Leitsatz und die von ihren Schöpfern übernommenen, aber sicher-lich nicht ganz korrekt interpretierten Prinzipien der Produktion und Ex-pansion hatten fortan die robotische Initiative bestimmt, die Entwicklung und Ausbreitung des elektronischen Imperiums gelenkt. Dieses erstreckte sich schließlich über einen gewaltigen Sektor des galaktischen Kerns mit über hunderttausend Welten. So jedenfalls sahen es die Terraner, die mit atemloser Spannung dem Bericht der zentralen Elektronik folgten. Hin und wieder, wenn die Schilde-rung unklar wurde, stellte Hella Falcon, die Kybernetikerin, Rückfragen, um Unklarheiten zu beseitigen. Bei der ungeheuren Größe des Imperiums war es verständlich, daß, ob-wohl rein elektronisch kontrolliert, in der Kommunikation, in der Verwal-

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tung und auch in der Produktion Fehlschaltungen und Fehlleistungen auf-traten. Im Lauf der Zeit - es handelte sich immerhin um Jahrmillionen - kam es dadurch zu weittragenden Konflikten, die zu bewaffneten Auseinanderset-zungen und schließlich zur Bildung eines zweiten robotischen Reiches führten, zum Reich der Aufsässigen. Die in diesem Punkt nicht ganz klaren Äußerungen der leitenden Elektro-nik interpretierte Hella dahingehend, daß die Aufsässigen durch Fehlschal-tungen gewissermaßen mutierte Roboter waren, deren "entartete" Pro-grammierung sie zwang, die relativ harmlose Expansions- und Eroberungs-politik der Diener auf eine recht radikale und auch brutale Weise zu betrei-ben. Die "Aufsässigen" schreckten - dies war der Schilderung der leitenden Elektronik des Imperiums der Diener zu entnehmen - nicht davor zurück, Leben, intelligentes Leben, zu vernichten oder in seiner Entwicklung auf-zuhalten, wenn dieses Leben ihren eigenen Zielen im Wege war. "Was", so erkundigte sich Don Guernsey, als die Elektronik ihren Bericht beendet hatte, "geschieht, wenn der Test erweisen sollte, daß wir die wah-ren Herren sind?" Die Antwort kam unverzüglich: "In dem Augenblick, in dem sich heraus-stellt, daß Sie die zurückgekehrten wahren Herren sind, geht die Leitung des Imperiums der Diener auf Sie über." Don Guernsey überlegte einen Augenblick. Dann sagte er: "Wir benötigen zwölf Stunden Bedenkzeit." "Wir erwarten Ihre Entscheidung morgen um 8 Uhr Ihrer Zeitrechnung", erwiderte die Elektronik. Auf dem Rückweg zu ihrem Raumschiff fragte Dirk den Major: "Ich habe das Gefühl, Sie haben nicht ohne Grund diese relativ lange Bedenkzeit gefordert." Don Guernsey nickte. "Erinnern Sie sich, Doc, daß wir, auf dem Weg hierher, den Orbit eines Planeten kreuzten? Dieser Planet, er ist der vierte des Systems, stand so nahe unserer Bahn, daß wir Fernaufnahmen von ihm machen konnten." Dirk Halland beugte sich interessiert vor. "Ja?" "Als diese Aufnahmen entwickelt worden waren, war auf ihnen etwas zu erkennen, das wie Ruinen aussah." Dirk schwieg einen Augenblick. "Was wollen Sie tun?"

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Der Gleiter setzte auf der Landepiste des Raumhafens auf. Sie stiegen aus. Vor ihnen ragte der zylinderförmige Rumpf der ANTONIO LEN-NARTZ in den Himmel, der von einer untergehenden, orangeroten Sonne nur noch schwach beleuchtet wurde. "Wir werden uns diese Ruinen ansehen", sagte Don Guernsey. Vier Stunden lang wurde in der Zentrale des Schiffs die Situation erörtert. Dann fällte Don Guernsey seine Entscheidung: Man würde den Wunsch der leitenden Elektronik erfüllen. Der Mann, der sich dem elektronischen Test unterziehen würde, war Cap-tain Jean Blake. Nachdem sich außer Speedy noch Larsen, Pia, Eve Mazzola und Hector Enriquez, der L.I., freiwillig gemeldet hatten, hatte der Kommandant das Los entscheiden lassen. Es war auf den Ersten gefallen. "Was versprechen Sie sich eigentlich von diesem Ausflug?" war Don Guernsey von Valentina Jergenjeff gefragt worden. Die Spezialorterin schien - so meinte Dirk erkannt zu haben - eine Schwäche für den Chef der terranischen Abwehr zu besitzen, die sie mit Ironie oder auch mit Opposition zu kaschieren versuchte. "Ich verspreche mir gar nichts", hatte Don Guernsey erwidert, "aber ich habe so eine Ahnung - nennen Sie es Intuition oder sechsten Sinn, Valenti-na -, daß sich auf diesem Planeten, in diesen Ruinen ein Geheimnis ver-birgt, das uns unserem Ziel näherbringt." "Darf sich der Chef der terranischen Abwehr Ahnungen erlauben?" hatte Valentina anzüglich gefragt, worauf der Major nur gelächelt und mit den Achseln gezuckt hatte. Um acht Uhr terranischer Zeit saß Don Guernsey, diesmal allein begleitet von Dirk Halland und Hella Falcon, vor den gelben Bildschirmen des Kon-ferenzraumes der planetaren Elektronik in einem Sessel und teilte dem Computer seinen Entschluß mit. Auch diesmal dauerte es einige Sekunden, bevor sich die Elektronik äu-ßerte. Dann kam die seltsame Antwort: "Der vierte Planet ist eine verbotene Welt. Die Erlaubnis ihn zu betreten, kann daher nicht erteilt werden." Don Guernsey überlegte. "Ich glaube, ich weiß, wie diese Klippe zu umschiffen ist", flüsterte Hella Falcon. "Lassen Sie mich mal machen, Major." Und als Guernsey nickte, sagte die Kybernetikerin: "Das Verbot gilt für die Diener, nicht aber für die Herren."

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"Es steht noch nicht fest, daß Sie die Herren sind", kam der Einwand der Elektronik. "Der Test wird es erweisen." "Die Wahrscheinlichkeit, daß wir die Herren sind, beträgt 95 Prozent, auch ohne Test", konterte Hella, "die Vorschrift betrifft uns daher nicht." Einen Augenblick später tönte aus dem Lautsprecher: "Genehmigung zum Besuch des vierten Planeten wird hiermit erteilt." Die Frau und die beiden Männer atmeten auf. Sie hatten zum zweiten Mal einen Sieg im Dialog mit der leitenden Elektronik des Imperiums der Roboter errungen. Hoffentlich, dachte Dirk Halland, war es kein Pyrrhussieg. Niemand wußte, was sie auf dem vierten Planeten erwartete. Eine Stunde später verließen zwei Schiffe - die planetare Elektronik hatte darauf bestanden, den Terranern eine Schutzeskorte mitzugeben - die At-mosphäre des dritten Planeten dieses Sonnensystems und nahm Kurs auf den vierten, der in 184 Millionen Kilometer Entfernung das Muttergestirn umkreiste. Der Zielplanet - das wiesen die Instrumente bereits vor der Landung aus - war eine wüstenartige Welt mit einer dünnen, gerade noch atembaren At-mosphäre, wenig Wasser, einer riesigen, staubbedeckten Landmasse und eisbedeckten Polkappen. Mit einem Wort, es war ein Planet vom Marstyp. Es war nicht schwer, an Hand der Daten, die während der Aufnahmen gespeichert worden waren, das Gebiet wiederzufinden, in dem das photo-graphiert worden war, was Guernsey für Ruinen gehalten hatte. Der Kommandant hatte die Steuereinheit der ANTONIO LENNARTZ entsprechend programmiert, und das Schiff landete mitten im vorgesehenen Gebiet. Es waren Ruinen. Noch bevor das Einsatzkommando das Schiff verließ, stand fest, daß der Planet einmal von intelligenten Lebewesen bewohnt gewesen sein mußte. Das Forschungskommando, bestehend aus Major Guernsey, Charlotte Berg, Captain Blake, Professor Endilgürmek, Larsen und Dirk Halland, schleuste den Spezialgleiter aus und machte sich auf den Weg. Er war aus-gestattet mit Forschungsgeräten aller Art und mit Waffen. Man wußte nie ... Als sich die Gruppe auf Sichtweite den Ruinen genähert hatte, die wie riesige Mahnmale vierzig bis fünfzig Meter hoch in die dünne Atmosphäre empor stachen und eine Fläche von etwa achtzig Quadratkilometern be-deckten, wurde, ersichtlich, daß die Schöpfer dieser Relikte keine Huma-noiden gewesen waren. Die Struktur der Bauwerke, die sich auf dünnen Pfeilern über der staubigen Oberfläche wölbten, die in schwindelnder Höhe

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angebrachten Balustraden und die unzähligen Fensterhöhlen, die ausnahms-los mit breiten Einstiegsrampen versehen waren, deuteten vielmehr auf eine flugorientierte Gesellschaft hin. Das Fehlen jeglicher Straßen oder anderer Flächenverkehrssysterne unterstrich diese Vermutung. Don Guernsey schaltete den Antigravantrieb des Gleiters ein und ließ das Fahrzeug an einem der seltsamen Türme nach oben schweben. Von nahem sah das Bauwerk wie eine geflochtene, zu Stein gewordene, riesige Schnur aus, und es schien, auch bei Berücksichtigung der geringen Schwerkraft, allen Gesetzen der Statik Hohn zu sprechen, daß es nicht zu-sammenstürzte. Graugrüne Flechten, anscheinend die einzige Lebensform auf dem wüstenartigen Planeten, bedeckten das seltsame Material. Der Major lenkte das Fahrzeug zu einer besonders breiten Balustrade und landete. Sie stiegen aus. "Ziemlich schattig hier", hörten sie Speedys Stimme im Helmsprecher. Dirk sah auf seine Instrumente; Plus 6 Grad las er ab. Schwerkraft 0,5 Gra-vos. Er spürte ein leises Schwanken des Turmes. Aufmerksam betrachtete er den Boden, auf dem er stand. Auch er war aus dem gleichen gedrehten Material gearbeitet wie die Turmwände. Er bildete im äußeren Bereich des ringförmigen Umlaufs eine glatte, zusammenhängende Oberfläche, ging nach innen jedoch in ein git-terartiges Gebilde über, durch das hindurch der graubraune Staubgrund der Planetenoberfläche zu sehen war. Flugwesen mit Krallenfüßen, dachte Dirk Halland. Don Guernsey war über den Gitterboden bis an den fast kreisförmigen Eingang herangegangen. Er entnahm einer seiner Taschen einen Handstrah-ler und leuchtete hinein. Darin beugte er sich vor und blickte in das Innere des Turms. Der Lichtkegel fuhr hinauf und hinunter. "Sehen Sie was?" fragte Professor Endilgürmek. Der Major schüttelte den Kopf. "Leer - völlig leer", hörte man eine Stimme in den Helmen. "Mauervor-sprünge, die auf Absätze von ehemaligen Stockwerken hinweisen. Sonst nichts - von oben bis unten, nichts!" Larsen, der mit einem Teleskop die Umgebung abgesucht hatte, sagte in seiner bedächtigen Art: "Ich glaube, in diesen Ruinen hier gibt es für uns nichts zu holen. Aber sehen Sie doch mal da drüben hin!" Er wies mit ausgestrecktem Arm zwi-

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schen zwei Türmen hindurch auf eine Stelle, an der mit bloßem Auge eine flache, kegelstumpf artige Erhöhung zu erkennen war. "Vielleicht ist diese Gegend für uns interessanter." Die anderen blickten hinüber. Nach einer Weile sagte Don Guernsey: "Wir werden uns dort umsehen. Aber vorher möchte ich feststellen, ob die anderen Türen ergiebiger sind als diese hier." Zwanzig Minuten später befanden sie sich auf dem Flug zu der kegelför-migen Bodenerhebung. Kein einziger der Ruinentürme - Dirk zählte ihrer elf - hatte in seinem Innern irgend etwas verborgen, das für die kleine Ex-pedition von Interesse gewesen wäre. Als die sechs Personen an der fraglichen Stelle den Gleiter verließen, stellten sie fest, daß der Kegelstumpf, der aus dem gleichen Material be-stand wie die Türme, von einem Energieschirm umgeben war. Gebannt starrten die Terraner auf das flimmernde Etwas, hinter dem sich, leicht verschwommen, die schwarzen Konturen einer Öffnung abzeichne-ten. Was immer sich dort befand, es mußte von Bedeutung sein, wenn man es auf diese ungewöhnliche und wirkungsvolle Art absicherte. Speedy hob den Desintegrator. Aber Professor Endilgürmek winkte ab, als er die Anzeigen seiner Instrumente abgelesen hatte. "Das bißchen Energie, das Ihre Des-3-3 verstrahlt, absorbiert dieser Schirm mühelos, Speedy. Nein, wir müssen uns schon was anderes einfal-len lassen, wenn wir da 'reinwollen!" "Das EN-Gerät", schlug Larsen vor. "Larsen hat recht", sagte der Professor zu Don gewandt. "Es ist die einzi-ge Möglichkeit." Don Guernsey drückte eine Taste und rief die Zentrale der ANTONIO LENNARTZ. Eine halbe Stunde später brachte das Beiboot des Raumschiffs, von Leut-nant Pia gesteuert, das Gerät. Professor Endilgürmek justierte die geräteeigene Elektronik. Sekunden später erlosch der Schirm. Vor den Terranern gähnte ein schwarzes, rechteckiges Loch von etwa viereinhalb mal vier Metern. Don Guernsey leuchtete hinunter. Dann drehte er sich um. "Dies ist ein Antigravschacht", sagte er. "Da das ENG alle tätigen Ener-

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giequellen neutralisiert hat, ist er ausgefallen. Außer mir besitzen nur Cap-tain Blake und Agentin Berg Anzüge mit Antigravtriebwerken. Die übrigen warten hier oben. Professor, wenn wir in einer Stunde nicht zurück sind, rufen Sie die ANTONIO und informieren Sie Major Osborne. Er soll nach eigenem Gutdünken handeln." Don Guernsey schwang sich über den Rand des Einstiegs und ließ sich mit eingeschaltetem A-Triebwerk hinuntersinken. Charly und Speedy folg-ten. Nach etwa zwanzig Metern setzten die drei sanft auf dem Boden auf. Sie schalteten die Handscheinwerfer ein und leuchteten die Umgebung aus. Der Schacht endete hier. Die Wände bestanden aus einem glatten Materi-al, das keinerlei Fugen aufwies. Auf einer Seite befand sich im Boden eine Vertiefung, in der ein zylinderförmiges Behältnis lag. Im übrigen war der Raum leer. "Captain Blake, inspizieren Sie einmal die Wände. Irgendwie muß es eine Fortsetzung des Schachtes geben, nach dieser oder jener Seite. .Schließlich wurde der Schutzschirm von einer Energiequelle gespeist. Wir sehen uns inzwischen mal das Ding hier an." Er und Charly tasteten vorsichtig den Zylinder ab, hoben ihn an und dreh-ten ihn hin und her. "Wir können hier sowieso nichts damit anfangen. Wir werden es zum Schiff mitnehmen. Vermutlich besitzt es ein elektronisches Schloß. Dann brauchen wir den Kode-Detektor. Speedy...?" Der Erste schüttelte den Kopf. "Ich kann nichts entdecken. Die Instrumente zeigen keine Hohlräume an..." In diesem Augenblick erklang im Helmsprecher die Stimme des Kom-mandanten der ANTONIO LENNARTZ: "Achtung Einsatzkommando! Hier spricht Major Osborne. Fernortung zeigt achtzehn Objekte im Anflug aus , dem Weltraum. Unsere Robot-Eskorte fliegt ihnen mit eingeschaltetem Schutzschirm entgegen. Beiboot ist unterwegs zu Ihnen. Halten Sie sich bereit, Ende!" Don Guernsey bestätigte sofort. Dann wandte er sich an den Ersten: "Kommen Sie, Speedy, das Ding nehmen wir mit!" Sie packten den Zylinder, der infolge der geringen Schwerkraft nicht übermäßig viel wog, an beiden Enden. Dann schalteten alle drei ihre A-Antriebe ein und schwebten aufwärts. Als sie dem Schacht entstiegen, erschien am fahlen Himmel ein Punkt,

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wurde größer, und kurz darauf landete Leutnant Pia wieder mit dem Bei-boot. In aller Eile wurde der Gleiter verstaut und die sechs Menschen gingen an Bord. Als das Beiboot senkrecht in die Höhe schoß, glitt ein schwarzer Schatten vor der hochstehenden Sonne vorüber: die ANTONIO LENNARTZ! Das Schiff senkte sich ihnen mit geöffneter Schleuse entgegen, bereit, sie aufzunehmen. Minuten später schloß sich das schwere Hangarschott hinter ihnen. Die Heckdüsen der ANTONIO LENNARTZ begannen zu feuern, und das Schiff schoß mit steigender Beschleunigung in die dünne Gashülle des Planeten empor. Don Guernsey setzte sich in den freien Sessel des Ko-Piloten. "Was hat sich getan?" fragte er. "EN-Gerät und L-Geschütze klarmachen", befahl der Kommandant. Er wartete die Bestätigung ab. Dann deutete er auf den Hauptschirm, auf dem sich neunzehn Reflexe verschwommen abzeichneten. Sechs davon strebten am Rande des Schirmes einem siebten entgegen. Dabei wurden von Zeit zu Zeit Energieemissionen sichtbar. Die anderen zwölf Echos bildeten — wie Don Guernsey mit gemischten Gefühlen feststellte - um das Fadenkreuz einen Kreis, der sich laufend ver-engte. Speedy Blake blickte auf die Instrumente, die anzeigten, daß der Schutz-schirm, der sich bereits einmal bewährt hatte, eingeschaltet war. "Der Schirm wird halten!" Der Kommandant deutete durch das Panzerglas der Sichtkuppel, durch das man zwei der anfliegenden Raumschiffe bereits optisch erfassen konn-te. "Wir werden es gleich wissen." Am Rande des Hauptschirms war plötzlich das Echo einer starken Ener-gieentladung zu sehen. Danach fehlte ein Reflex. "Unsere Eskorte hat's erwischt", kommentierte Speedy und lächelte hu-morlos. Der Kommandant sah, daß sich die ersten Schiffe der Angreifer dem Punkte näherten, an dem der Energie -Neutralisator eingesetzt werden konn-te. "EN-Gerät fertig? Ziel: anfliegendes Schiff in den Koordinaten 33 050/07 ...", sprach er in das Mikrophon und sah auf seine Instrumente. "Einsatz 11:05,03 Uhr Bordzeit!"

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"Verstanden! Ende!" kam die Stimme Captain Varsajs. Die in der Zentrale Anwesenden starrten gespannt durch die Rundsicht-scheibe, durch die sich, in einem Winkel von nicht mehr als 5 Grad zur Flugrichtung, das gemeinte Raumschiff näherte. "Seltsam", sagte Speedy und blickte kopfschüttelnd auf die Entfernungs-anzeigen, "zu diesem Zeitpunkt müßten sie uns doch längst unter Feuer nehmen. Warum tun sie's nicht?" "Da!" rief Valentina. Alle sahen es. Das angreifende Schiff verlor urplötzlich an Fahrt und kippte seitlich weg. Dabei drehte es sich um seine Längsachse. Es war jetzt gut zu erken-nen; ein röhrenförmiges Gebilde mit Kugeln an den Enden. Es glich fast aufs Haar den Robotschiffen der "Diener". "ENG fertig zum nächsten Einsatz", klang die ruhige Stimme des Kom-mandanten auf. "Ziel,.." Aber das Wort ging im schrillen Ton einer Sirene unter. Die Bedeutung dieses Tones kannte jedermann im Raum: Energiealarm! Das Licht erlosch. Gleichzeitig ertönte die Stimme des leitenden Ingenieurs: "Alle Energieanzeigen auf null! Das Schiff gehorcht nicht mehr den Steuerimpulsen!" Die Finger des Kommandanten fuhren über die Tastatur. Er schaltete die Notaggregate ein. Doch die Männer und Frauen, die in fieberhafter Spannung das Tun des Kommandanten verfolgten, sahen, daß auch die Anzeigen der Notaggregate auf der Nullmarke blieben. Dirk wunderte sich einen Augenblick, daß das Not-Licht noch brannte. Dann sagte er sich, daß dieses vermutlich von Batterien gespeist wurde, während die übrigen Ersatzaggregate von nuklearen Quellen versorgt wur-den. Major Osborne schaltete die Bordkommunikation auf Batteriestrom: "Achtung! Schiff außer Kontrolle. Antriebs-, Ortungs-, Funk- und Waf-fensysteme ausgefallen. Schiff bewegt sich im freien Fall, Andruckneutrali-satoren laufen auf Batteriestrom. Raumhelme schließen, Handwaffen einsatzbereit, weitere Anweisungen abwarten!" Die Funk- und Ortungszentrale meldete sich: "Sir", klang die Stimme Eve Mazzolas mit unterdrückter Erregung. "Wir werden angerufen!" "Bitte?" Zum ersten Mal schien Major Osborne seine Ruhe zu verlieren.

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"Haben Sie Ihre Geräte auf Batteriestrom umgeschaltet?" "Ist leider nicht möglich, Sir. Sie wissen ja }.." Die Stimme des L.I. klang dazwischen: "Achtung! Triebwerk zwo läuft an. Energieanzeigen weiterhin negativ." Der Kommandant schwenkte seine massige Gestalt im Kontursessel her-um. "Meine Damen und Herren, damit keine falschen Hoffnungen aufkom-men: Wenn ein Triebwerk läuft, der Energieanzeiger jedoch negative Werte anzeigt, gibt es dafür nur eine einzige Erklärung: im Schiff befindet sich Fremdenergie!" Diese Bemerkung schlug wie eine Bombe ein. Valentina lachte hysterisch auf und rief: "Unmöglich!" Don Guernsey starrte den Schiffsführer an. Guy Osborne ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Scharf sprach er ins Mikrophon: "Eve, welcher Art sind die Funksprüche?" "Es handelt sich augenscheinlich um den gleichen Kode, den das Robot-schiff benutzt hat, Sir." Don Guernsey sah den Kommandanten an. "Guy, haben Sie den gleichen Gedanken wie ich?" "Vielleicht", antwortete Guy Osborne. "Aber im Moment habe ich andere Sorgen. Sehen Sie mal durch die Kanzel!" Die Szenerie hatte sich geändert. Vor der sternenschimmernden Schwärze stand in Flugrichtung eine Kette von elf gleichgroßen leuchtenden Perlen. Auf der Steuerbordseite aber schwebte ein röhrenförmiges Gebilde mit vier Kugeln an den Enden. Das fremde Raumschiff schien bewegungslos im All zu verharren. Doch Don Guernsey wußte, was das bedeutete: Die Bahn des Fremden und die der ANTONIO LENNARTZ verliefen synchron, und der Fremde bestimmte diese Bahn. Die Situation - so empfand auch Dirk, der von technischen Dingen nicht viel verstand - war nicht sehr ermutigend. Nicht nur, daß ihr Kurs von nun an einem fremden Willen unterstand, von dem niemand wußte, was sein Ziel war; sie hatten vor allem erfahren, daß dieser fremde Wille über Kräfte verfügte, die den ihren wesentlich überlegen waren. Außerdem waren sämt-liche Orientierungsmöglichkeiten ausgeschaltet. Sie flogen praktisch blind. Der Blick durch die Kanzel war bedeutungslos und glich demjenigen eines Passagiers, der durch das Bullauge eines Ozeanfahrzeuges auf das vorbei-rauschende Meer blickte.

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Die Konstellationen, die sich dem Auge boten, waren fremd, und selbst, wenn die menschlichen Sinne Anhaltspunkte gefunden hätten, die Rechen-geräte, die solche Daten hätten auswerten können, waren deaktiviert. Um so mehr bewunderte Dirk die Menschen, die in einer solchen Situati-on nicht den Kopf verloren. "Enriquez", sprach der Kommandant den L.I. an, "das Beiboot ist doch mit einer Batterieanlage ausgestattet, oder?" "Ja, Sir", bestätigte der Leutnant. "Zur Not müssen wir die ANTONIO verlassen", wandte sich Major Os-borne an Don Guernsey. "Und wie sollen wir den Hangar verlassen", wandte sich Major Osborne an Don Guernsey. "Und wie sollen wir den Hangar verlassen? Meines Erachtens ist er nur elektronisch zu öffnen", wandte Valentina ein. "Dann müssen wir uns den Weg eben frei schießen", lachte Jean Speedy Blake. "Zur Not", betonte Don Guernsey, "zur Not, ja. Doch ich denke, wir sol-len erst mal abwarten, was man mit uns vorhat." "Abwarten!" zischte Valentina Jergenjeff, "vielleicht ist es dann zu spät, Major Guernsey! Wollen Sie uns alle in den Tod treiben?" Blanke Wut stand in den schwarzen Augen der Spezialorterin. Es muß tatsächlich eine Art Haßliebe sein, die diese Frau für den Major empfindet, dachte Dirk. Einen Augenblick dachte er an Charly. Schade, daß sie keine Funktion in der Zentrale besaß. In diesem Moment gestand Dirk Halland sich ein, daß ihm das Mädchen nicht mehr gleichgültig war. Das war beun-ruhigend. Zumindest in dieser Situation. Niemand wußte, ob sie je wieder zur Erde zurückkehren würden ... Seine Gedanken wurden unterbrochen. "... wenn man uns töten will, hätte man dies längst tun können", hörte er die ruhige Stimme Leutnant Pias. "Major Guernsey hat recht: Wir müssen erst erfahren, was man von uns will." Don Guernsey saß mit gekreuzten Armen in seinem Kontursessel. Sie waren in die Hände der Aufsässigen gefallen. Zwei Dinge waren es, die diese Vermutung untermauerten. Die Schiffe der Angreifer waren vom gleichen Typ wie diejenigen, die von den Dienern verwendet wurden. Und die Angreifer selbst benutzten denselben Kode, dieselbe elektronische Sprache wie jene. Was wollten die Aufsässigen von ihnen? Waren Hellström und seine

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Leute tatsächlich in ihrer Gewalt? Dann hatte der schwierigste Teil dieser Expedition bereits begonnen. Der Behälter fiel ihm ein, den sie auf dem vierten Planeten gefunden hatten. Er hatte ihn ins Labor schaffen lassen. Endilgürmek und seine Leute sollten sich darum kümmern. Ob sie schon etwas erreicht hatten? "Was wollen sie mit uns anfangen?" hörte er den Ersten fragen. "Sie kön-nen mit uns nicht monatelang im Unterlichtflug durch die Astronomie zie-hen. Das nächste System ist mindestens ein halbes Lichtjahr entfernt!" "Sie werden die Brankart-Triebwerke aktivieren", antwortete der Major. "Schon geschehen", verkündete Leutnant Pia und deutete auf eine Anzei-ge. Aus dem Sprecher drang die Stimme des Leitenden: "Brankart-B wird hochgefahren. Eintritt in Überlichtflug vermutlich in ... 9,85 Minuten." "Können wir nichts dagegen tun?" fragte Valentina. "Warum?" fragte Speedy. "Wollen Sie lieber jahrelang durch das All kriechen?" Die Spezialorterin warf ihm einen giftigen Blick zu, schwieg aber. Eve Mazzola meldete sich. Sie schien erregt. Ihre dunkle Stimme vibrie r-te: "Sir, eben kommt Klartext 'rein. Ich schalte um!" Die Erregung sprang auf die Menschen in der Zentrale um. Alles starrte auf den Kommunikationsschirm, auf dem Buchstabengruppen erschienen und sich nach einer Weile zu Worten formten. "Hier spricht die Regierung der Aufsässigen. Wir begrüßen die zurückge-kehrten Herren!" "Wieder einmal", bemerkte Speedy sarkastisch. "Wir werden Sie sicher zu unserer Zentralwelt geleiten. Wir sind glück-lich, daß wir Sie aus der Gewalt der Fehlgeschalteten befreien konnten. Die Übernahme Ihrer Antriebsmaschinen ist nur eine Schutzmaßnahme. Sie können von jetzt an wieder über Ihre Rechenanlagen verfügen, ebenfalls über Ihre Funk- und Ortungssysteme. Wir treten in 5,00 Minuten in den Überlichtflug ein." Damit endete die Information. Die Männer und Frauen sahen sich betroffen an. "So eine Unverschämtheit!" rief Valentina Jergenjeff. "Wieso?" fragte Speedy. "Ist doch ein anständiger Verein! Gewähren uns ihren Schutz, erlauben uns, unsere eigenen Computer zu benutzen und bringen uns sogar dahin - wo wir sowieso ' hinwollen", vollendete er und

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blickte dabei Don Guernsey an. Der Major nickte gedankenvoll. "Im Grunde genommen haben Sie recht, Captain. Nur - mir persönlich wäre es lieber, wir flögen ohne Geleitschutz und mit eigener Kraft! - Guy", fügte er an den Kommandanten gewandt hinzu, "ich sehe mich mal im Labor um." Als er das Labor betrat, erwartete ihn eine Überraschung. Professor Endilgürmek und seinem Assistenten, Dr. Säi, war es nicht nur gelungen, den Behälter zu öffnen, sie konnten auch bereits mit Teilergeb-nissen aufwarten. Der Laborchef deutete auf zwei Metallzylinder. "Passen Sie auf, was geschieht, wenn ich sie in die Hand nehme!" Er ergriff eine der Röhren und hielt sie hoch. Nach einer Weile erschien auf der Oberfläche ein Muster, das aus mikro-skopisch kleinen Punkten zu bestehen schien. "Diese Strukturen erwiesen sich unter dem Mikroskop als eine Schrift. Die Bordelektronik, die wir jetzt wieder benutzen können, ist bereits dabei, sie zu entziffern." "Ist die Elektronik erfolgreich?" fragte Guernsey. "Ja", erwiderte der Professor und führte den Major zu einem Bildschirm. Don Guernsey erkannte auf dem Schirm das Innere der strahlengeschütz-ten Versuchskammer. Ein Robotgerät hantierte mit einem eiförmigen Ge-bilde, das heftig pulsierte und Licht verschiedener Wellenlängen ausstrahl-te. "Was ist das?" wollte der Major wissen. "Das", der Professor blickte Don Guernsey an, "ist eine Waffe. Unsere Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Soviel aber steht bereits fest: Es ist eine Anti-Robotwaffe!" Don Guernsey blickte auf den Schirm. "Vielleicht", sagte er nach einer Weile, "werden wir sie noch brauchen. - War noch mehr in dem Behälter?" Der Wissenschaftler schüttelte den Kopf. Major Guernsey sagte: "Danke, Professor. Bitte informieren Sie mich sofort, wenn Sie mehr wissen - auch, was die Entzifferung dieser Schrift betrifft!" Ein paar Minuten später betrat er die Kabine der Agentin Berg, die diese mit Valentina Jergenjeff, Hella Falcon und Eve Mazzola teilte. Die beiden Orterinnen taten Dienst, Hella war im Rechensektor. Aber Charly war den-noch nicht allein. Der Psychologe war bei ihr.

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Die Männer musterten sich einen Augenblick lang. Seltsam, dachte Don Guernsey, wie sehr sich seine Einstellung gegenüber dem schweigsamen Manne gewandelt hatte, wobei er zugab, daß sein frü-heres Verhältnis einem Mißtrauen entsprungen war, das selbst im Jahrhun-dert der interstellaren Kommunikation in weiten Kreisen der menschlichen Gesellschaft noch immer bestand. Das Mißtrauen der Etablierten gegenüber denjenigen, die sie vor den Röntgenschirm zerrten und ihnen schonungslos die faulen Stellen ihres Innern zeigten. Nein, Dirk Halland war kein Mann, der Psychologie betrieb aus Neugier oder aus dem unbewußten Drang her-aus, durch das Stöbern im fremden Gemüt die Untiefen seines eigenen zu verdecken. Halland war Psychologe aus Leidenschaft, er übte die Psycho-logie als das aus, was sie letzten Endes sein sollte: als gesellschaftsthera-peutisches, oder besser gesagt, gruppentherapeutisches Instrument. Manch einer hier an Bord machte kein Hehl daraus, daß er die Gegenwart eines Psychologen für überflüssig hielt, und kaum einer erkannte, daß dies scheinbare Überflüssigsein der beste Beweis für die wirksame Tätigkeit Hallands war. Die Stimmung an Bord der ANTONIO LENNARTZ war ausgezeichnet, die Zusammenarbeit innerhalb der Besatzungsmitglieder, abgesehen von kleinen, unbedeutenden persönlichen Händeln, reibungslos und erfolgreich. Und dies, so wußte Don Guernsey, war nicht zuletzt der stillen, unauffälligen Arbeit Dirk Hallands zu verdanken. Ein Wink gegen-über dem Schiffsführer, ein Gespräch unter vier Augen, dem eine Funkti-ons- oder auch eine räumliche Umbesetzung folgte, dieses waren die Mit-tel, mit denen es für den Laien oft erstaunliche Wirkungen erzielte. Vie l-leicht würde die Stunde kommen, in der Dirk Hallands Fähigkeiten noch in weit spektakulärerer Weise zum Ausdruck kamen ... "... was halten Sie von der Angelegenheit, Major?" drang die Stimme des Psychologen in seine Gedanken. Don Guernsey räusperte sich. "Nun ja -, was halten Sie eigentlich von Gefühlen, Dirk?" Er fing einen überraschten Blick Charlys auf. Halland blieb unbeein-druckt. "Oftmals", erwiderte der Psychologe auf seine bedächtige Art, "stellt sich das, was wir als ein Gefühl oder ein Ahnung ansehen, als die Summe einer ganzen Reihe unbewußter Beobachtungen heraus, die unser Gehirn, unbe-merkt für uns, blitzschnell koordiniert hat." Don Guernsey nickte. "Ich kann mir vorstellen, was Sie meinen. Und ich glaube, in diesem Falle hier, ist so etwas Ähnliches mit mir geschehen. Ich

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habe nämlich das Gefühl, daß wir jetzt erst auf der richtigen Spur sind." "Auf der Spur der Verschollenen", ergänzte Dirk. "Ja, und ich weiß, daß diese Vermutung, an den Tatsachen gemessen, voreilig erscheint. Allein vom Raumaspekt her gesehen, erscheint sie mir selber fast vorwitzig. Schließlich zählt der Raum, in dem sich die Besat-zung des Hellström-Konvois aufhalten könnte, theoretisch nach Millionen Kubikparsec. Trotzdem ..." Er vollendete den Satz nicht. Und dann erzählte er den beiden, was er in Professor Endilgürmeks Labor erfahren hatte. "Nehmen die verschollenen Wesen auf dem vierten Planeten in Ihren Kalkulationen einen bestimmten Wert ein?" erkundigte sich Dirk. Don Guernsey zögerte. "Ich weiß nicht - ich bin nicht sicher. Ich glaube ...", er lächelte, "ich glaube, daß sie zumindest indirekt mit der Angelegen-heit zu tun haben." "Die Diener sprachen von einer verbotenen Welt", bemerkte Charly, die auf ihrer Konturliege saß. "Außerdem ..." Don Guernsey sah sie ermunternd an. "Außerdem finde ich es merkwürdig, daß die Aufsässigen so schnell da waren, als wir auf dem Planeten landeten." Der Major schürzte die Lippen. "Eben - und zwar kamen sie, nachdem wir den Schutzschirm ausschalteten. Gewiß, das alles kann Zufall sein, aber ich weiß nicht..." "Sie meinen", sagte Dirk, "daß die Abschaltung des Schutzschirmes ein Signal auslöste, das die Aufsässigen auffingen?" "Vielleicht." "Warum fragen Sie sie nicht einfach, die Aufsässigen?" Ja, warum eigentlich nicht? Kurzentschlossen stellte er eine Verbindung zur Funkzentrale her. Und kurz darauf verließ seine Anfrage die Antennen-anlage des Schiffes. Die Antwort der Fremden lautete: "Über die Welt der Desintegrierten darf keine Mitteilung erfolgen. Sie darf auch nicht betreten werden. Die Diener haben das Tabu verletzt. Sie werden zur Rechenschaft gezogen werden." Das klang reichlich mysteriös. Wer waren die Desintegrierten, und war-um wurden sie desintegriert? Warum war diese Welt zu einem Tabu erklärt worden -, ein Tabu, das nur für dieses System galt? Don Guernsey ließ eine zweite Anfrage abstrahlen. Aber die Fremden antworteten nicht.

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Inzwischen bewegte sich die ANTONIO LENNARTZ mitsamt ihrer Es-korte bereits seit längerer Zeit im Überlichtflug, und die Instrumente, die wieder funktionierten, wiesen aus, daß man mehr als achthundert Lichtjahre innerhalb des galaktischen Kernes zurückgelegt hatte, und zwar in Rich-tung auf den Mittelpunkt der Milchstraße. Es war am dritten Tag, nachdem ihr unfreiwilliger Flug begonnen hatte, als die Instrumente anzeigten, daß man sich wieder im Normalflug vorwärts bewegte. Damit war noch nicht gesagt, daß man dem Ziel nahe war; denn aus antriebstechnischen Gründen war es sowieso notwendig, eine längere Strecke im Überlichtflug etappenweise zurückzulegen. Aber die Fremden schickten ein kurzes Signal, das besagte, daß man in genau achtundzwanzig Stunden auf der Zentralwelt der Aufsässigen landen würde. Als diese Frist verstrichen war, und der Konvoi in einem steilen Winkel von 65 Grad in ein zweiundzwanzig Planeten umfassendes System eines blauen Riesen einflog, war Don Guernseys Zuversicht hinsichtlich ihrer Sicherheit beträchtlich gestiegen. Endilgürmek und seine Mitarbeiter hatten die Wirkungsweise und auch die Wirksamkeit der eierförmigen Waffe erforscht und außerdem die ge-heimnisvolle Schrift enträtselt.

7. Auch das Chaos hat sein Muster, dachte Dirk Halland, als die ANTTONIO LENNARTZ, von fremden Kräften dirigiert, auf das Landefeld hinabsank. Die ungeheure Menge von Produktions-, Energie-, Lager- und Forschungs-stätten der Robotstadt mochte in Form und Verteilung gänzlich verschieden von der elektronischen Metropole auf der 28. Welt der Diener sein. Die wirre, distanzlose Zusammenwürfelung der Bauten, die inhumane Unästhe-tik einer nicht von denkenden Lebewesen kontrollierten Maschinenwelt, mit einem Wort, die Unordnung, erschien dem menschlichen Auge in bei-den Fällen von einer fatalen Identität. Der Psychologe entzog sich dem Anblick, der, den Gesichtern nach zu urteilen, alle Anwesenden der Schiffszentrale gleichermaßen zu bedrücken schien, indem er seine Kabine aufsuchte und sich mit dem Text der entzif-ferten Schriftzylinder beschäftigte. Die Laborleitung hatte jedem der leiten-der Expeditionsmitglieder Kopien ihrer Arbeiten zugehen lassen. Der Text des ersten Schriftzylinders war eine Gebrauchsanweisung der Waffe und eine Beschreibung ihre: Wirksamkeit. Es war eine Anti-

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Robotwaffe. Endilgürmek hatte sie Robot-Deaktivator (RDA) genannt. Diese Benennung verriet, daß mit der Waffe kybernetische Maschinen aus-geschaltet werden konnten. Eine Anti-Robotwaffe auf einem Planeten versteckt, energetisch be-wacht! Der Aufwand, den man hier getrieben hatte, zeigte, welche Bedeu-tung diese Waffe für ihre Hersteller hatte - oder gehabt hatte. Über die Gestalt und Mentalität der Konstrukteure gab der Text keine Auskunft. Aus dem Kommentar ging lediglich hervor, daß Form und An-ordnung der Bedienungselemente auf eine Spezies hindeuteten, die von außergewöhnlich kleiner Körperstatur gewesen sein und zwei krallenartige Greifwerkzeuge besessen haben mußte. In Verbindung mit den Holographien der Ruinen auf dem vierten Plane-ten des Systems der Diener hatte der Computer eine Gestalt skizziert, die einem Mittelding zwischen einem terranischen Geier und einem siranischen Sumpfhuhn glich. Mehr verriet der zweite Schriftzylinder über diejenigen, gegen die die Vogelwesen gekämpft hatten. Der Text bewies nicht nur eindeutig, daß die Gegner der Ornithoiden jene legendären Ulla gewesen waren, er zeichnete darüber hinaus ein physiolo-gisches und zum Teil auch psychologisches Bild jener Humanoiden, das geradezu als ein Spiegelbild des Menschen gelten konnte. Wie war das möglich? Enthielt die Legende der Roboter einen wahren Kern? Jene Legende, die davon sprach, daß Wesen einer nicht-humanoiden Art vor undenklichen Zeiten einige der noch tierhaften Vorfahren des heutigen Homo sapiens bis hierhin verschleppt hatten? Besaßen Ulla und Terraner tatsächlich die gle i-chen Ahnen? "Ich nehme an", sagte zu dieser Zeit Major Guernsey in der Zentrale, "man wird uns wiederum zum leitenden Computer bringen. In diesem Fall läuft alles wie besprochen ab. Guy ..." Er wurde unterbrochen. Der Hauptbildschirm erhellte sich, Ein seltsames, kristallartiges Muster formte sich, und dann tönte eine mechanisch klingen-de Stimme aus den Sprechern: "Willkommen auf der Zentralwelt der Aufsässigen! Atmosphäre und Druck auf diesem Planeten entsprechen Ihrem Metabolismus. Acht von Ihnen werden gebeten, sich zu dem parkenden Fahrzeug zu begeben, das Sie zur Zentrale bringen wird." Die Menschen blickten sich an.

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"Acht!" stieß Valentina hervor. "Warum ausgerechnet acht?" "Wir werden es feststellen", versetzte Major Guernsey. "Wir wollen ih-nen den Gefallen tun. Guy, geben Sie uns noch zwei von Ihren Leuten da-zu!" Während der Kommandant die Sprechanlage einschaltete und zwei Per-sonen zur Hauptschleuse beorderte, überprüften die Männer und Frauen des Einsatzkommandos ihre Instrumente und Waffen. Nachdenklich betrachtete Speedy das eiförmige, glänzendschwarze Gebilde in seiner Hand. "Ich bin gespannt, ob das Ding hält, was es verspricht." "Was das Ding den Vogelwesen versprochen hat, braucht es uns nicht unbedingt zu halten", sagte Charly. Don Guernsey sah das Mädchen an. Dann runzelte er die Stirn. "Am besten wäre es, wir kämen gar nicht erst in die Lage, den RDA aus-zuprobieren -, und auch keine anderen Waffen", sagte er. Das Schiff setzte auf. Durch die Sichtkuppel hindurch sahen sie tief unter sich den Gleiter stehen. Er war langgestreckt und besaß zwei Sitzreihen. "Guy", sagte Don Guernsey zum Kommandanten, "halten Sie uns auf dem laufenden darüber, wie weit die Leute im Labor mit der Analyse der Strahlung sind, mit der uns die Aufsässigen außer Gefecht gesetzt haben!" Der Kommandant drehte sich um. "Natürlich, Don-, und viel Glück!" Don Guernsey war schon durch das sich öffnende Schott, als er zurück-rief: "Danke! Wir werden es brauchen können!" Die sechs Männer und Frauen betraten das Transportbandsystem und ließen sich zur Hauptschleuse bringen. Dort warteten bereits zwei Männer auf sie . "Techniker Austin und Spezialist dritter Klasse Marmok", meldete der eine von ihnen. "Danke", sagte Major Guernsey kurz und überflog flüchtig die Ausrü-stung der beiden Männer. Sie traten in die Schleuse. Der Major kontrollierte den Druck und öffnete dann mit dem Impulsgeber das Außenschott. . Vor ihnen, etwa fünfzehn Meter entfernt, stand im grellen Licht der blauweißen Riesensonne der Gleiter. Don Guernsey ging hinüber. Schweigend folgten ihm die übrigen. Als sie Platz genommen hatten, legten sich metallene Sicherungsbänder um ihre Arme und Beine und rasteten klickend ein. Dann hob der Gleiter

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ab. Er schwebte senkrecht empor und stieß mit steigender Geschwindigkeit einem unbekannten Ziel zu, das sich irgendwo inmitten des riesigen Areals der Robotstadt befinden mußte. Knapp zwanzig Minuten später setzten sie auf einem quadratischen Lan-deplatz vor einem großen Kuppelgebäude auf. "Wie gehabt!" stellte Speedy fest, als ein Segment des Landeplatzes mit-samt Gleiter und Passagieren in die Tiefe sank. Nach vierundvierzig Metern - wie Don Guernsey an seinen Instrumenten ablas - kam der Transportlift zum Stehen. Die rechte Bordwand des Gleiters klappte herunter und bildete eine Ram-pe. Eine Stimme aus einem Lautsprecher forderte die Terraner auf, das Fahrzeug zu verlassen und das bereitstehende Transportband zu betreten. Nachdem sie der Aufforderung nachgekommen waren, setzte sich das Gleitband in Bewegung. Es trug sie durch einen Korridor und durch eine sich öffnende Tür in eine langgestreckte Halle, in der zu beiden Seiten des Bandes Maschinen und Geräte standen, die alle in Betrieb zu sein schienen. Relais klickten, Aggregate summten, Muster formten sich auf Bildschir-men, und über Oszillographen huschten Zickzack- und Wellenlinien. Das Band hatte seine Geschwindigkeit drastisch verringert. Ganz langsam nur führte es seine Passagiere zwischen den Geräten hindurch, so, als ob man ihnen Gelegenheit geben wollte, sich die elektronischen Maschinen näher anzusehen. Eine dumpfe Ahnung stieg in Don Guernsey auf. Und dann sprach es Larsen aus: "Wir werden getestet!" Am Ende der Halle öffnete sich eine hohe Tür, und das Band trug die Terraner in einen in helles, blauweißes Licht getauchten Raum hinein. Als alle acht darinnen waren, stoppte das Band. Sie wurden über Lautsprecher aufgefordert, das Transportmedium zu verlassen. Kaum waren sie diesem Wunsch nachgekommen, als sich ein Bildschirm erhellte, auf dem sich eine Symbolgruppe formierte. Dann sagte eine Stimme: "Hier ist die regierende Elektronik der Zentralwelt der Aufsässigen. Sie wurden soeben getestet. Der Test verlief negativ: Sie sind nicht die wahren Herren!" Das Licht erlosch. Gleichzeitig öffnete sich der Boden in einer Breite von drei Metern und in der gesamten Länge des Raumes unter den Füßen der Terraner. Ihr Sturz

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in die Tiefe währte allerdings nur zwei Meter, dann fing ein Antigravfeld sie auf und ließ sie langsam nach unten schweben. Sie landeten auf einer weichen Auflage, die sich mit ihnen sofort in Be-wegung setzte. Diesmal war die Bewegung horizontal und verlief durch einen schmalen, niedrigen Korridor einer fahlschimmernden Lichtquelle entgegen. Das alles war mit einer so großen Geschwindigkeit vor sich gegangen und noch dazu so überraschend geschehen, daß Don Guernsey und seine Leute zu keiner Gegenaktion gekommen waren. Und was - so fragte sich Don Guernsey - hätten sie auch unternehmen sollen? Es war kein Angreifer da, den man hätte abschießen können. Während des Sinkens im Antigrav-schacht spielte er einen kurzen Moment mit dem Gedanken, sein eigenes Antigravtriebwerk zu aktivieren, und verwarf ihn dann wieder. Zunächst mußte man erfahren, was man von ihnen wollte. So rief er laut: "Lassen Sie sich zu keiner unüberlegten oder vorschnellen Handlung verleiten! .Wir lassen die Dinge an uns herankommen. Bei Gefahr schlie-ßen Sie die Raumhelme und schalten auf Helmfunk. Halten' Sie die Waffen schußbereit!" Der Korridor machte einen Knick nach unten. Sie glitten leicht abwärts. Doch zugleich spürten sie, wie die Schwerkraft die Neigung mitmachte. Dadurch hatten sie den Eindruck, sie bewegten sich weiterhin absolut waa-gerecht. Von der Decke fiel schwaches, bläuliches Licht, so daß sie ihre Umge-bung ausmachen konnten. Dann öffnete sich vor ihnen ein schweres Schott, und in der angrenzen-den Halle kam die Fahrt zum Stillstand. Irgendwo begann etwas zu summen, der Boden vibrierte leicht. "Ein Energiewerk läuft an", stellte Larsen fest. Er sah auf seine Instru-mente. "Möglicherweise Feldprojektoren." Er sprang von dem Gefährt und betrachtete aufmerksam die Wände des Raumes, wobei er ab und zu seine Instrumente konsultierte. Dann drehte er sich um und blickte den anderen entgegen, die ebenfalls das Transportmedium verlassen hatten. "Eine Energieschleuse, Major!" "Verdammt!" Don Guernsey schaltete blitzschnell sein Armbandgerät ein und sprach hastig in das winzige Mikrophon: "Achtung, Guy! Sie schirmen uns energetisch ab. Was sie vorhaben, weiß ich noch nicht. Sobald ich kann, melde ich mich wieder." "In Ordnung", kam die Stimme des Kommandanten von der ANTONIO

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LENNARTZ, "Dr. Coissons hat herausgefunden ..." Die Stimme brach ab. Überlagernde | Strahlung blockierte die Verbin-dung. Nun würden sie vorläufig nicht erfahren, was Dr. Coissons herausgefun-den hatte. Vielleicht wäre das sehr wichtig für das kleine Kommando ge-wesen. "Die Gravitation ist wieder auf den Planetenmittelpunkt bezogen, Sir", konstatierte Spec III Marmok. Der Raum, in dem sie standen, lag also wieder in der Waagerechten. Don Guernsey nickte geistesabwesend. Wenn man sie energetisch abriegelte, wollte man sie unter allen Umstän-den dabehalten, überlegte er. Warum? Sie mußten erfahren, wo Hellström und seine Leute hingekommen waren, und ob sie noch lebten. Je mehr er darüber nachdachte, um so größer wurde seine Überzeugung, daß die aufsässigen Roboter eine entscheidende Rolle in Verbindung mit dem Schicksal der Verschollenen gespielt hatten oder gar noch spielten. "Energiefeld vor drei Wänden", sagte Larsen. "Die Wand vor uns bleibt frei." Alles sah nach vorn. Dort glitt ein Schott langsam in seine Füllung. Die Männer und Frauen traten an die Öffnung und blickten in den Raum dahin-ter. Er lag fast völlig im Dunkel, und es dauerte eine Weile, bis die Augen imstande waren, zu erkennen, was sich dort befand. Dann durchfuhr sie die Erkenntnis wie ein Blitz, und die Erschütterung darüber ließ sie in Schweigen erstarren. Der Raum war schmal und lang. Sein Ende verlor sich in der Finsternis. In ihm standen in zwei langen Reihen mehr als achtzig Konturliegen. Einge von ihnen waren leer. Auf den meisten lagen, ausgestreckt und in graue Decken gehüllt Menschen. Einige wenige saßen auf ihren Liegen. Sie waren in hellbraune Kombina-tionen gekleidet und blickten den Angekommenen aus stumpfen Augen entgegen. Der dem Schott zunächst Sitzende erhob sich und trat auf sie zu. Den meisten unter den acht Männern und Frauen von der ANTONIO LEN-NARTZ war dieser Mann bekannt. Und doch fiel es ihnen schwer, ihn wie-derzuerkennen. Es war Professor Sven Hellström. "Willkommen im Energiegefängnis auf der Zentralwelt der Aufsässigen!"

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sagte er und streckte Don Guernsey, der zuvorderst stand, die Hand entge-gen. Der Major sah den Gelehrten an. Als Hellström mit seiner Expedition aufgebrochen war, mußte er etwa Mitte 40 gewesen sein. Dann war er heute höchstens Ende 40. Er sah aber aus wie 70! Die Augen, grau, stumpf, lagen tief in ihren Höhlen. Der schar-fe Nasenrücken, die hohen, hervortretenden Backenknochen und der farb-lose, schmallippige Mund mit den zum Kinn heruntergezogenen Winkeln zeichneten den fast kahlen Schädel. "Professor Hellström", sagte Don Guernsey etwas theatralisch, während er die Hand des anderen ergriff, "wir sind gekommen, um Ihren Leiden ein Ende zu machen!" Es war eine höllische Geschichte, die Hellström den Frauen und Männern von der ANTONIO LENNARTZ erzählte.

8. Die Hellström-Expedition, die vor drei Jahren aufgebrochen war, um den unbekannten Kern der Milchstraße zu erforschen, war niemals dazu ge-kommen, ihre Aufgabe auch nur zu beginnen. Als die acht Schiffe, dreißigtausend Lichtjahre von der Erde entfernt, in den unterlichtschnellen Flug zurückfielen, gerieten sie abrupt und ohne Warnung sofort in eine kriegerische Auseinandersetzung zweier sich mit äußerster Erbitterung bekämpfender Robotflotten. Fünfzehntausend Raum-schiffe der Diener kämpften gegen Zwölftausend der Aufsässigen. Da die zahlenmäßige Überlegenheit der Diener durch die bessere Bewaffnung der Schiffe der Aufsässigen ausgeglichen wurde, hatte die Raumschlacht tage-lang unentschieden hin und her getobt, bis sich die materialmüden oder defekten Überlebenden zurückgezogen hatten. Fünf der terranischen Schiffe, die mitten in die Hölle der energetischen Strahlenschauer geraten waren, waren vernichtet worden. Die restlichen drei, darunter das Flaggschiff, waren von den Aufsässigen gekapert wor-den. Diese drei Schiffe und ihre Besatzungen wurden auf die sogenannte Zen-tralwelt der Aufsässigen gebracht. Dort erfuhren Hellström und seine Leute die Geschichte des Robotimperiums, dessen Aufspaltung in zwei Mächte-gruppen, die der Diener und die der Aufsässigen, sowie das, was an Tatsa-chen, Halbwahrheiten und Legenden über die einstigen Konstrukteure der

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Roboter bekannt war; über jene Ulla also, die vor Jahrmillionen bei einer Supernova-Explosion zugrunde gegangen waren. Auch die Aufsässigen warteten, genau wie die Diener, auf die Rückkehr ihrer Herren, der Ulla. Da die Terraner physiologisch mit diesen übereinzu-stimmen schienen, hatte der zentrale Computer, die sogenannte regierende Elektronik - ein Überbleibsel aus der Ulla -Terminologie - Hellström und seine Leute als die zurückgekehrten wahren Herren begrüßt und ihnen die Leitung und Kontrolle der Robotwelten übertragen wollen. In einem abschließenden Test war die Elektronik jedoch zu dem Schluß gekommen, daß ein kleiner, aber wesentlicher Unterschied zwischen Terra-nern und Herren bestünde. Und dieser Unterschied war es, der die Überlebenden des Hellström-Konvois in Leid gestürzt hatte. Die zentrale Elektronik definierte nämlich die terranischen Männer und Frauen als entartete Herren und entschied sich dafür, sie in wahre Herren zurückzuverwandeln. An diesem Punkt seiner Schilderung versagte Professor Hellström die Stimme. Schweigend warteten seine Zuhörer, bis sich der Gelehrte wieder gefaßt hatte. Inzwischen hatten sich drei Männer und eine Frau, die auf ihren Liegen gesessen hatten, erhoben. Sie standen hinter ihrem Chef und blickten mit Augen, in denen Angst, Schrecken und Resignation standen, auf die neu Angekommenen. Hellström drehte sich um und deutete mit dem Arm in die Dunkelheit. "Sehen Sie dort hinten jene Tür? Sie ist für uns versperrt. Aber wir wis-sen, wohin sie führt. Einmal gelang es einem von uns, einen Blick hin-durchzuwerfen. Sie führt in einen Raum, in den man jene gebracht hat, die transformiert wurden, wie die Elektronik es nennt. Sie sind geistige Krüp-pel, Idioten!" Don Guernsey fielen die Männer ein, die er in der Zentrale der WERNER HEISENBERG am Boden sitzend, spielend und unsinniges Zeug redend angetroffen hatte. Er berichtete davon und auch von der leer zurückgekehr-ten AETERNA. Der Wissenschaftler nickte. "Ja, als wir die Schiffe verließen, um zu den Gleitern zu gehen, die uns später hierherbrachten, versuchten einige von uns zu entkommen. Captain Graves und ein Teil seiner Leute starteten die AETERNA. Aber die Robo-ter fingen sie mit einem Traktorfeld und zwangen die Flüchtigen, das Schiff

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durch die Schleuse zu verlassen. Sie ließen die leere AETERNA weiterflie-gen. Vier Männer entkamen mit der WERNER HEISENBERG den Zugfeldern. Aber die planetaren Abwehrforts schossen mit bewußtsein-verändernden Strahlen. Gleichzeitig versuchten sie, die Triebwerke unter Kontrolle zu bringen, Aus irgendeinem Grunde gelang ihnen das nicht. Die vier Männer entkamen -, allerdings mit zerstörtem Geist." "Captain Graves?" Don Guernsey sah Hellström fragend an. "Sein Raumanzug muß einen Defekt gehabt haben. Als er die Planeten-oberfläche erreichte, war er nicht mehr am Leben." Major Guernsey schwieg. Er dachte an den alten General. "Woher wissen Sie das alles, Professor?" fragte Leutnant Enriquez. "Wir fragten später die Elektronik nach dem Schicksal jener Leute. Und diese hat es uns bereitwilligst mitgeteilt." "Haben Sie jemals andere Humanoiden zu Gesicht bekommen?" fragte der Major, und er erzählte dem Wissenschaftler von ihrer Begegnung mit dem leeren Wrack. "Gesehen haben wir keine", antwortete Hellström bedächtig. "Aber die Elektronik machte einmal eine Bemerkung, aus der hervorging, daß sich noch andere menschenähnliche Wesen auf dem Planeten befänden, an de-nen diese schrecklichen Manipulierungen vorgenommen würden." "War dieser Raum hier von vornherein energetisch abgesichert?" fragte er dann. Hellström schüttelte den haarlosen Schädel. "Zunächst nicht. Erst, nachdem wir getestet worden waren, und man fest-gestellt hatte, daß wir doch nicht die wahren Herren sind, errichteten sie die Energiesperren. Und dann begannen sie, in Abständen von Tagen, oder auch Wochen, welche von uns zu holen. Manchmal drei, vier zugleich, manchmal auch nur einen allein. Man wußte ja nie, wann sie kommen wür-den, manchmal ließen sie uns Monate in Ruhe. Roboter haben Zeit, verste-hen Sie? Jedenfalls wurden wir, die Zurückbleibenden, immer weniger. Ursprünglich waren wir 259. Jetzt sind wir nur noch 67." Seine Stimme war zu einem Flüstern herabgesunken. Eine Weile wagte niemand, ihn zu stören. Dann fragte Speedy Blake: "Es gibt also noch mehr Räume als diesen hier?" Der Gelehrte nickte. Und einer der Männer, die hinter ihm standen, sagte: "Es gab vier Schlafräume. Ursprünglich waren sie alle voll belegt. Jetzt existiert nur noch dieser hier. Und auch hier -, nun, Sie sehen ja - die leeren Betten ..." Er machte eine vage Handbewegung nach rückwärts.

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Sie sahen es - und schwiegen erschüttert. "Wissen Sie Genaueres über das, was mit den Unglücklichen geschah?" fragte Major Guernsey. "Die sogenannte Transformation war - wie die Elektronik es ausdrückte - ein hirnphysiologischer Eingriff, durch den das Bewußtsein des Behandel-ten so verändert wurde, daß es der Mentalität der wahren Herren, also jener Ulla, angepaßt werden sollte. Auf unseren Protest, daß dieser Eingriff nicht nur erfolglos wäre, sondern sogar eine Zerstörung des Geistes der Betroffe-nen zur Folge hätte, erwiderte die teuflische Maschine, es würde ständig an der Verbesserung der Behandlung gearbeitet ..." Hellström stieß ein bitteres Lachen hervor, "einer von uns würde bestimmt wieder ein wahrer Herr werden." "Kybernetischer Zynismus!" rief Valentina aus, und Leutnant Enriquez ballte die Fäuste. "Meine Damen und Herren", sagte Don Guernsey scharf, "lassen Sie sich nicht von Gefühlen hinreißen! Roboter besitzen keine Emotionen. Was Sie mit 'kybernetischem Zynismus' bezeichnen, entspringt kybernetischer Lo-gik!" Er förderte ein schwarzglänzendes, eiförmiges Gebilde aus einer Tasche zutage und betrachtete es nachdenklich. "Unser erstes Ziel, Sie, Professor Hellström, und Ihre Leute zu finden, haben wir erreicht", sagte er dann. "Nun müssen wir sehen, wie wir zu-sammen hier wieder herauskommen. Ich glaube, wir werden dies hier doch benutzen müssen." "Was ist das?" fragte Hellström. "Ein Robot-Desaktivator", Antwortete der Major, und dann berichtete er in kurzen Worten von dem, was sie auf dem vierten Planeten in dem Sy-stem der Diener gefunden hatten. "Eine Fluchtwelt der Iqui-qui", sagte Hellström, als er die Beschreibung der Vogelwesen hörte. "Die Iqui-qui waren die Todfeinde der Ulla, mit denen sie vor Jahrmillionen in einem schrecklichen Abwehrkampf gestan-den haben, wie wir von der Elektronik der Aufsässigen erfuhren. Die Iqui-qui, die angeblich vor undenklichen Zeiten die animalischen Vorfahren der Ulla von dem Planeten einer gelben Sonne in einem Spiralarm der Galaxis hierhergebracht hatten, wurden von den Ulla aus irgendeinem Grund ausge-rottet. Die letzten zerstreuten Überreste der Vogelwesen legten auf soge-nannten Fluchtwelten Waffendepots an. Dort verbargen sie wahrscheinlich Waffen, mit denen sie vor allem der Übermacht der Roboter Herr zu wer-

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den hofften, die die Ulla gegen sie einsetzten." "Als die Ulla dann untergingen, und die Roboter ihr Erbe antraten, erklä r-ten diese alle Fluchtwelten der Iqui-qui für tabu", warf Hector Enriquez ein. "So ist es. Damit wollten sie verhindern, daß die für sie so gefährlichen Anti-Robotwaffen jemals gegen sie eingesetzt werden konnten", ergänzte Major Guernsey. "Dann verstehe ich aber nicht, warum uns die leitende Elektronik der Diener schließlich doch die Erlaubnis gab, den vierten Planeten zu betre-ten", wandte Speedy ein. "Sie müssen bedenken, daß die Ereignisse, die zur Tabuisierung dieser Welten führten, Millionen Jahre zurückliegen. Als das Imperium der Ulla unterging, überdauerten bekanntlich nur einige wenige elektronische Ma-schinen die Katastrophe. Ihre Speicher waren unvollständig, zum Teil de-fekt. Vermutlich wissen die leitenden Elektroniken heute nicht mehr, war-um diese Welten tabuisiert wurden." Er wurde unterbrochen. Weiter hinten hatte sich ein Segment in der Wand geöffnet. Durch die Öffnung kam einer jener humanoiden Roboter, wie sie auch auf der Welt der Diener verwendet wurden. Die Maschine glitt zwischen den Bettreihen hindurch, langsam, als suche sie etwas. Vor einer Liege, auf der eine Frau lag, blieb sie stehen. Die Sehzellen richteten sich auf die Frau. "Kommen Sie mit, die regierende Elektronik erwartet Sie!" klang es aus der Sprechmembrane im Kopfstück des Roboters. Als die Maschine vor ihrer Liege stehengeblieben war, war die Frau, die bis dahin ausgestreckt dagelegen hatte, hochgefahren und mit Augen, in denen sich das blanke Entsetzen spiegelte, an die Wand zurückgewichen. Der Roboter glitt auf sie zu. Als er direkt vor ihr stand, streckte er die beiden Arme aus. Blitzschnell fuhren die geöffneten Greiffinger heraus und schlössen sich um die Handgelenke der Frau. Ein gellender Schrei brach aus ihrem Mund. "Nein!" Im nächsten Augenblick löste sich der Griff der Robothand. Die Arme der Maschine sanken herunter. In dieser Stellung blieb sie bewegungslos stehen. Die Menschen, die wie gebannt das gespenstische Geschehen verfolgt hatten, starrten auf Don Guernseys Hand, in der der RDA lag. "Es funktioniert also", stellte Speedy trocken fest. Der Major wurde plötzlich lebendig.'

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"Herrschaften, jeden Moment kann hier die Hölle los sein. Ich glaube nicht, daß die Deaktivierung des Roboters unbemerkt bleibt. Speedy!" Er warf dem Ersten den RDA zu. "Postieren Sie sich neben der Öffnung, durch die die Maschine kam, und deaktivieren Sie alles, was 'reinkommt! Die übrigen gehen Professor Hellström zur Hand und kümmern sich um die Menschen hier! Bereiten Sie sie auf den Ausbruch vor!" Die Miene des Gelehrten, einen Moment voller Hoffnung, verfiel abrupt. "Major, wie wollen Sie jemals die Energiebarrieren überwinden?" "Das lassen Sie unsere Sorge sein!" erwiderte Don Guernsey. "Kümmern Sie sich jetzt um Ihre Leute und machen Sie ihnen klar, daß sie nur dann hier herauskommen, wenn sie genau das tun, was wir ihnen sagen!" Als er den Ausdruck der Angst in den gezeichneten Zügen des Wissenschaftlers sah, fügte er hinzu: "Wir werden es schaffen!" Doch was dann geschah, ließ ihn an seinen eigenen Worten zweifeln. Im nächsten Augenblick war die Hölle los. Ein mindestens zehn Meter breites Segment in der rechten Wand des Raumes verschwand urplötzlich in den Boden, und herein stürmten ein Dutzend schwerer Kampfroboter, die sofort aus Strahlwaffen das Feuer eröffneten. Es war ein unbeschreiblicher Lärm. Das Hereinstampfen der Maschinen, das Zischen ihrer Strahlwaffen, das helle Singen der Desintegratoren der sich verteidigenden Terraner, all das mischte sich mit den Schreien der Hellströmleute, die in Todesangst unter ihre Betten krochen oder, gebannt in panischem Entsetzen, den tödlichen Strahl erwarteten. Durch das Chaos schnitt die Stimme Don Guernseys: "Alles hält sich bereit! Wenn nur noch zwei Maschinen stehen, muß alles hier heraus, ehe sie eine Energiesperre errichten!" Dann hob er das Funkgerät an den Mund und gab hastig einen Kurzbe-richt an den Kommandanten der ANTONIO LENNARTZ durch. Solange die Roboter kämpften, war die Energiesperre aufgehoben, zumindest auf der einen Seite. Die Maschinen wurden zentralgelenkt. "Guy, steuern Sie das Schiff hierher und nehmen Sie uns an Bord! Wir können uns nicht ewig gegen die Kampfrobots halten! Fliegen Sie in die Richtung, in der Sie uns mit dem Gleiter verschwinden sahen. Nach etwa vierzig Kilometern wird eine große Kuppel unter Ihnen auftauchen, flan-kiert von zwei langgestreckten, nierenförmigen Gebäuden. Dort irgendwo befinden wir uns. Wir werden Ihnen ein Zeichen geben." "Ich werde tun, was ich kann", antwortete die Stimme Osbornes. "Hof-

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fentlich setzen sie nicht die Strahlung ein, mit der sie uns im Raum ausge-schaltet haben." "Das glaube ich nicht, Guy. Eine Strahlung auf Neutrinobasis kann man nicht bündeln. Sie würden ihre eigenen Systeme gefährden. Im Weltraum ist das was anderes ..." Ein Strahlschuß fauchte an Don Guernseys Kopf vorbei. "Ich muß aufhören, Ende!" Er unterbrach die Verbindung und griff zum Strahler. Captain Blake, der den Angriff der Roboter von einer ganz anderen Stelle her erwartet hatte, nämlich durch jene Tür, durch die die erste Maschine gekommen war, hatte nur eine Sekunde gebraucht, um sich auf die neue Situation einzustellen. Er kniete zwischen zwei leeren Liegen und visierte mit dem RDA die hereinstürmenden Kampfmaschinen an. Vier von ihnen hatte er bereits ausgeschaltet, zwei hatte das Mädchen Charly und je eine hatten Larsen, Enriquez und Austin erledigt. Der Mann mit Namen Marmok und einige von den Hellströmleuten waren mehr oder minder schwer getroffen und lagen unter den Betten. Major Guernsey sprach in sein Funkgerät. Speedy visierte den nächsten Roboter an. Da traf ihn ein Strahlschuß in den rechten Unterarm. Der RDA fiel auf den Boden. - Der Erste Offizier der ANTONIO LENNARTZ schob ihn mit dem Fuß einem der Hellström-leute zu, der an ihm vorbeikroch. "Nehmen Sie das Ei", stieß er mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor, "und bringen Sie es dem Major, los, Mann!" Doch der andere, halb von Sinnen vor Angst, sprang auf und rannte da-von, genau in die Strahlbahn eines Robotgewehres. Speedy biß die Zähne zusammen und fischte den Robot-Desaktivator mit der Linken. Dann richtete er sich halb auf und rief mit Stentorstimme: "Major Guernsey, sie haben mich erwischt! Achtung: Hier kommt das Ei!" Damit schleuderte er die Iqui-qui Waffe flach über den Boden unter den Betten hindurch, dorthin, wo sich Don Guernsey befand, Der Major zielte kaltblütig auf einen Roboter, der durch mehrere seiner deaktivierten Kollegen behindert war, und zerstörte die Maschine. Dann sprang er nach links, bückte sich und hob das schwarzglänzende Ding, das ihnen bisher so gute Dienste geleistet hatte, auf. "Alles hier raus!" schrie er, als er sah, daß, obwohl nur noch zwei Ma-schinen intakt waren, die Menschen zögerten. In ihren aufgerissenen Augen stand die nackte Angst. "Charly, versuche das Waffensystem oder die Steuerung zu treffen! Alle

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anderen treiben die Leute 'raus!" Er selbst steckte den RDA weg, zielte sorgfältig mit dem Desintegrator auf die Stelle, an der er das Steuerungssystem des zweiten noch betriebsfä-higen Roboters vermutete und drückte ab. Eine Stichflamme schoß aus dem Unterteil der Maschine. Dann machte sie eine halbe Drehung nach rechts und rollte langsam, dabei wild feuernd, auf die eine Wand zu. Drüben kümmerte sich Charly um den allein Übriggebliebenen. Sie muß-te den Gelenkkoordinator getroffen haben, denn im nächsten Augenblick sanken die Waffenarme der Kampfmaschine herunter, Strahlschüsse fuhren in den Boden, verdampften einen Teil des Materials und rissen tiefe Löcher hinein. Da beide Roboter zwar kampfunfähig, aber nicht deaktiviert waren, blieb ihnen eine kleine Chance, daß die Hauptelektronik noch etwas mit der Wiedererrichtung der Energiesperre zögerte. Mit einem Blick sah der Major, daß es seinen Männern gelungen war, alle Leute aus dem Raum zu treiben. Als letzter ging Speedy. Sein rechter Arm hing herunter. Charly und Don Guernsey rannten hinterher. Der Nebenraum war ein langgestreckter Korridor. Als der Major ihn er-reicht hatte, hörte er aus der einen Richtung schleifende Geräusche. Kampfroboter! "Hier entlang!" rief er über die Menge hinweg und zeigte in die entge-gengesetzte Richtung. "Leutnant Enriquez, übernehmen Sie die Führung. Austin, Berg und ich sichern nach hinten." Es war Glück im Unglück, daß sie nur Leichtverletzte unter sich hatten, dachte Don Guernsey, während er beobachtete, wie die Menschen, so schnell sie konnten, den Gang entlang eilten. Am anderen Ende tauchten bereits die ersten Maschinen auf. Der Major zog den RDA aus der Tasche. Seine Begleiter hoben die Waffen. "Noch nicht!" sagte der Major. "Seltsam, ihre Waffenarme zeigen nach unten! Außerdem bewegen sie sich relativ langsam. Wenn mich nicht alles täuscht, halten sie einen bestimmten Abstand. Wir halten sie im Auge und folgen der Hauptgruppe!" Er aktivierte sein Funkgerät. "Enriquez!" rief er ins Mikrophon, "Wie sieht es aus?" Der Leutnant antwortete sofort: "Vor mir befindet sich ein Antigravschacht. Er scheint ... Ja, er führt nach

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oben. Galaxis!" "Was ist los? Reden Sie, Leutnant!" "Über uns", antwortete Hector Enriquez, und Erleichterung, aber auch Skepsis, schwangen in seiner Stimme, "schimmert das Tageslicht! Wir werden ..." "Bleiben Sie, wo Sie sind, Enriquez!" befahl der Major. "Ich sehe mir das selbst an!" "Charly, paß auf sie auf!" Don Guernsey deutete auf die im gleichblei-benden Abstand folgenden Kampfroboter. Dann drängte er sich, während er erneut den Kommandanten der ANTONIO rief, durch die vor ihm laufen-den Menschen. Aber Guy Osborne antwortete nicht. Als er die Spitze des Zuges erreicht hatte, sah der Major Leutnant Enriquez, Professor Hellström und einige weitere Personen an einer großen, rechteckigen Öffnung stehen und in den Antigravschacht emporblicken. Don Guernsey beugte sich vor und sah ebenfalls nach oben. Über ihnen strahlte das Türkisblau des planetaren Himmels. Was, wenn sie den Schacht umpolten, während sie alle in ihm schweb-ten? dachte der Major schaudernd. Aber es blieb ihnen keine andere Wahl. Hinter ihnen kamen die Roboter. Und diesmal waren es mindestens doppelt so viele. "Wir werden es riskieren", sagte er heiser. Dann sprang er als erster hin-ein. Es kam zu keinem Zwischenfall. Aber als alle 75 Personen wieder auf dem festen Boden der Planetenober-fläche standen und Don Guernsey den Himmel nach der ANTONIO LEN-NARTZ absuchte, gewahrte er ein schwaches, seltsames Flimmern. Da wußte er, warum man sie zuletzt unbehelligt gelassen hatte. Die transparente Glocke eines riesigen Feldschirms umspannte, soweit das Auge blickte, die Robotstadt. Und hoch oben, jenseits der Glocke, stand unbeweglich ein glitzernder Punkt. Die ANTONIO LENNARTZ. Hilflos! Deshalb also hatte er keine Verbindung mehr zum Schiff be-kommen! Sie saßen in der Falle. Und zwar endgültig!

9.

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Dirk Halland hatte sich gerade in der Zentrale aufgehalten, als Don Guern-sey dem Kommandanten seinen Lagebericht übermittelte. Sogleich hatte er sich in seine Kabine zurückgezogen, um ungestört über das nachzudenken, was ihn schon seit geraumer Zeit beschäftigte, und das durch die Wendung, die die Dinge genommen hatten, dringende Aktualität erhielt. Seit jenem Augenblick, als die Robotschiffe der ANTONIO LENNARTZ ihre technische Überlegenheit so eindrucksvoll demonstriert hatten, hatte er der weiteren Entwicklung der Dinge mit großer Besorgnis entgegengese-hen. Die tele-technische Abschaltung der terranischen Systeme und die Auf-pfropfung von Fremdenergie, durch die die Fremden das terranische Schiff einfach "übernommen" hatten, wiesen diese selbständig und intelligent handelnden Maschinenwesen als einen hochbrisanten Machtfaktor aus, dem man - so meinte Dirk - mit äußerster Vorsicht, vor allem aber mit Intelli-genz, das heißt mit Denken, begegnen sollte. Dirk Halland war kein Robotpsychologe. Aber er hatte auf der Universi-tät einige Semester kybernetische Psychologie gehört. Und er entsann sich eines Referates mit dem Titel "Motivation und Programm." Motivationen menschlichen Verhaltens - darauf etwa war das Fazit des Vertrags hinausgelaufen - waren auf verschiedene Triebe, z. B. auf artför-dernde oder arterhaltende oder auf solche, die von der Gesellschaftsstruktur abhängig waren, zurückzuführen. Diese Motivationen waren - da Emotionen und Triebe die Kontrolle durch die Vernunft beeinflußten, nicht immer koordiniert. Sie kollidierten zuweilen miteinander oder hoben sich gegenseitig auf. Diese Konflikte verhinderten eine Integration und Harmonisierung der Persönlichkeit. In der sogenannten niederen Kybernetik bestand dieses Problem nicht. Motivation wurde durch Programmierung ersetzt. Alle Programme waren von vornherein koordiniert. Sie wurden, wenn notwendig, umgestaltet oder durch andere ersetzt. Anders lag der Fall in der höheren Kybernetik. Hier handelte es sich um autonome, hochdifferenzierte Systeme, die aufgrund ihrer Aufgabenstel-lung in der Lage sein müßten, Programme selbst zu entwerfen, bzw. sie, entsprechend ihrer elektronisch-intelligenten Struktur, zu entwickeln. Bei solchen selbständigen, despezialisierten Einheiten, die über heuristische Kernsektoren verfügten, durch die sie sich veränderten Situationen anpas-

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sen sowie ihre Funktionskreise vergrößern konnten, war es nicht mehr möglich, von außen her Programme auszutauschen oder neue einzusetzen. Das Grundprogramm des modernen, autonomen Computers wurde zur Mo-tivation, aus der heraus der selbsttätig Programme entwickelte und mit ih-nen arbeitete. Der Mensch - wollte er ein so hochwertiges System nicht wieder zum statistischen Rechner degradieren - konnte auf die Grundprogrammierung, die Motivation, nur Einfluß nehmen, indem er diese erfüllte und sie gleich-zeitig auf ein neues Ziel lenkte. Dirk schien es, während er sich jene Ausführungen ins Gedächtnis zu-rückrief, als ob dem Manne, der diese Gedanken konzipiert hatte, das Impe-rium der Roboter als Modellfall gedient hatte. Die Grundprogrammierung aller Roboter, somit auch der Ulla-Roboter, war, ihren Herren zu dienen. Es war der Leitsatz, der jegliche elektronische Tätigkeit bestimmte. Dieser Leitsatz wurde, als die Ulla von der kosmi-schen Bildfläche verschwanden, bei den höherdifferenzierten Maschinen zur Motivation, die, auf Suche nach den verschollenen Herren, zur Schaf-fung und Ausbreitung des Imperiums der Roboter führte. Und schließlich wurde die Motivation zur fixen Idee, der, im Fall der Aufsässigen, sogar menschlicher Geist geopfert wurde. Diese Grundmotivation, die von den autonomen, leitenden. Elektroniken ausging, konnte also von außen nicht mehr geändert werden, soviel war klar. Sie mußte erfüllt werden. Die Frage war: Wie? Alarm schrillte durch das Schiff. Auf dem Kabinenschirm erschien das Gesicht Major Osbornes. "Alarmstufe rot!" sagte der Kommandant. "Geschützstände feuerklar, EN-Gerät fertig machen! Dr. Halland bitte zur Zentrale!" Als Dirk die Zentrale betrat, sah er als erstes die zehn Robotschiffe, die gestaffelt über ihnen standen. Vor den Öffnungen in ihren Kuppeln flim-merte es: die Abstrahlfelder von Impulsgeschützen. Der Schutzschirm der ANTONIO LENNARTZ war eingeschaltet. Er war hoch einmal verbessert worden. Würde er halten? Oder würde die geheim-nisvolle Strahlung der Fremden ihn abermals durchdringen und die Ener-giequellen des Schiffes lahmlegen? "Noch schweigen ihre Waffen", sagte Dirk. Der Kommandant deutete nach unten. Da sah Dirk Halland den Schirm, der sich, einer riesigen Glocke gleich, über die ganze Stadt spannte, nur den

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Raumhafen aussparend. "Wir kriegen keine Verbindung mehr zu ihnen", sagte der Kommandant. "Das Ding absorbiert alle Strahlung." - "Auch Neutrinostrahlen?" fragte Dirk. "Warum setzen Sie nicht das ENG ein?" "Die Neutrinos gehen durch", erklärte Leutnant Pia. "Aber wir haben die Schirmenergie angemessen. Sie besitzt eine Strahlungskomponente, die - so vermutet Dr. Coissons - Kaonen reflektiert. Sie wissen, was das bedeutet?" Dirk wußte es. Die reflektierte Kaonenstrahlung würde in der ANTONIO LENNARTZ das ausrichten, was sie in den fremden Systemen erreichen sollte: die totale Ausschaltung aller Energiequellen, die auf nuklearer Basis beruhten. "Alle Geschütze auf den Schirm einschwenken!" tönte plötzlich die ruhi-ge Stimme des Kommandanten. "Punktfeuer programmieren! EN-Gerät ein justieren!" Leutnant Pia schoß einen überraschten Blick zu dem Mann im Komman-dosessel. "Sie wollen also doch ...?" begann Valentina Jergenjeff. Major Osborne drehte an der Teleskopeinstellung. Plötzlich erschien auf einem Schirm eine Ausschnittsvergrößerung. Sie zeigte eine blaugrau glän-zende Kuppel, flankiert von zwei nierenförmigen Bauten. Zwischen den drei Gebäuden waren schmale, rampenähnliche Flächen. Die Flächen besa-ßen rechteckige Löcher. Und aus einem dieser Löcher strömten, Ameisen gleich, winzige Gestalten und traten auf die Fläche. "Da sind sie", bemerkte Severin Pia. Guy Osborne nickte. Dann drehte er wieder an den Knöpfen. Der Ausschnitt verschob sich etwas zu dem unteren Ende der Fläche hin, wo sie in das nierenförmige Gebäude einmündete, das auf dieser Seite der Kuppel stand. Und aus dem Innern dieses Gebäudes quollen andere Gestal-ten -, Roboter. Hunderte. Sie bewegten sich auf die Menschen zu, die ungefähr in der Mitte der Rampe standen. Und hinter diesen kamen aus den Löchern der Rampe wei-tere Roboter hervor und näherten sich den Menschen von hinten. Plötzlich entstand an der Kuppel 1 eine breite Öffnung. Heraus schoß ein Robotgleiter. Noch einer. Und noch einer. Schließlich waren es acht Maschinen, die, mit den Öffnungen für die Strahlwaffen nach unten gerichtet, langsam nie-derschwebten.

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"Es bleibt uns keine Wahl. Wir müssen es wenigstens versuchen." Der Kommandant zog das Mikrophon zu sich heran. "Warten Sie, Major Osborne!" Der Kommandant drehte sich erstaunt um. "Haben Sie eine Idee? Dann müssen Sie sich aber beeilen, Dr. Halland!" Der Psychologe nickte. "Ich weiß. Geben Sie mir bitte Dr. Braouth!" Vil Braouth war der Chefarzt der ANTONIO LENNARTZ. Er war Neu-rophysiologe. Als sein Kopf auf dem Bildschirm erschien, sagte Dirk: "Dr. Braouth, Sie haben die psycho-physiologische Analyse, die die Vo-gelwesen von den Ulla gemacht haben, und die der Computer dekodiert hat, ausgewertet und ergänzt. Ihrer Auswertung, habe ich entnommen, daß der Unterschied zwischen Mensch und Ulla nur geringfügig ist. Ist das rich-tig?" Der Arzt nickte. "Ja, der Unterschied ist sowohl in physiologischer wie auch in psycholo-gischer Hinsicht minimal. Fangen wir am Kopf an. Die Verbindung zwi-schen Mittelohr..." Dirk unterbrach mit einer Handbewegung. "Entschuldigen Sie, Braouth, es kommt mir im Moment nur auf die Dinge an, die zu einer unterschiedli-chen Bewußtseinsbildung geführt haben. Sie haben ja Major Guernseys Bericht gehört. Die planetare Elektronik beharrt auf einer Änderung des menschlichen Bewußtseins, also der Mentalität. Denken Sie einmal nach: welche psycho-physisch unterschiedlichen Einrichtungen könnten bei den Ulla eine so tiefgreifende Änderung der Mentalität bewirkt haben?'' Dirk sah auf den massigen Rücken des Kommandanten, dessen Blick zwischen den bewegungslos verharrenden Raumschiffen über ihnen und den Menschen hin und herwechselte, um die sich, weit unter ihnen, die tödliche Klammer allmählich verengte. "Ich glaube - nein, ich bin eigentlich ganz sicher - die unterschiedliche Entwicklung der Mentalität der Ulla - beruht auf einer stärkeren Spannung in den elektrischen Potentialen. Sehen Sie..." Seine Stimme wurde lebhaf-ter. "Jede menschliche Nervenzelle stellt eine winzige Energiequelle dar, eine Mikro-Batterie. Sie gewinnt ihre Energie durch den Austausch von Natrium- und Kaliumatomen. Und diese ..." "Dr. Braouth", unterbrach Dirk hastig, denn er sah, wie jetzt selbst der Kommandant unruhig wurde. Das Geschehen unten in .der Robotstadt schien in ein kritisches Stadium zu treten. "Wie genau sind die Informatio-

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nen, die Ihnen über die Ulla in diesem Punkt vorliegen?" "Die Vogelwesen, die Iqui-qui, wie sie heißen, haben uns die genauen Formeln übermittelt ..." "Wäre es Ihnen möglich - und das ist die entscheidende Frage, die ich an Sie richte, Braouth! - wäre es Ihnen möglich, in einem Menschen das Spannungsverhältnis so zu verändern, daß dieses für eine kurze Zeitspanne genau den Werten eines Ulla entspricht?" Der Physiologe sah einen Augenblick überrascht aus. Dann nickte er zögernd. "Ja, das wäre möglich. Theoretisch kein Problem. Vermutlich genügt eine einfache hormonale Erhöhung. Aber die Wirkung auf die Versuchsperson - nun ja, es wäre nicht ungefährlich." "Major Osborne", sagte Dirk Halland, "setzen Sie folgenden Funkspruch an die regierende Elektronik ab ..."

10. Don Guernsey sah zum türkisblauen Himmel empor. Über dem Punkt, der die ANTONIO LENNARTZ war, standen jetzt noch weitere Punkte. Robotkreuzer. Vor und hinter ihnen näherten sich - zwar langsam, aber, unaufhaltsam - Kampfroboter. Dreihundert, schätzte der Major. Vielleicht würden sie mit diesen fertig werden, dachte er. Noch hatten sie die Bomben nicht eingesetzt. Aber dann würde das Ende von oben kommen. Die acht Kampfgleiter, die über ihren Köpfen schwebten, würden dafür sorgen. Warum geschah eigentlich nichts? Wollte man sie noch immer lebend, um dann ihr Bewußt-sein zu zerstören? "Warum kommen sie nicht?" Charly stand neben ihm, deutete auf die Front der Kampfroboter, die hundert' Meter vor und hinter ihnen standen. Der Major der terranischen Abwehr sah in ihr abgespanntes, vom Kampf gezeichnetes Gesicht. "Ich weiß es nicht, Charly." So standen sie und war-teten. Alle fünfundsiebzig. Plötzlich öffnete sich vor ihnen der Boden. Ein metallen schimmernder Zylinder stieg aus der Erde hervor. Um sein Kopfstück lief eine Membrane. "Achtung, Terraner!" tönte eine Stimme. "Auf Verlangen des wahren Herren öffnen wir eine Strukturlücke im Schutzschirm, damit Sie das, was der wahre Herr zu sagen hat, mithören."

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Fassungslos blickten sich die Menschen an. "Galaxis!" klang die Stimme Speedy Blades über die Köpfe hinweg. "Wo hatte sich denn der versteckt?" Und dann tönte die Stimme Dirk Hallands aus der Membrane: "Hier spricht der wahre Herr, Dirk Halland. Ich erwarte alle Terraner, die sich auf der Zentralwelt der Aufsässigen befinden, innerhalb kürzester Zeit auf meinem Raumschiff. Dann werde ich mich zur regierenden Elektronik begeben und durch den Test meine Identität beweisen. Anschließend werde ich die Leitung des Imperiums der Aufsässigen übernehmen. Ich fordere die regierende Elektronik auf, zu bestätigen!" "Wir bestätigen", klang die Stimme des Computers. "Er hat's geschafft!" jubelte die Stimme Charlys. Don Guernsey nickte. "Ja, weiß Gott, wie, aber er hat es geschafft, im letzten Augenblick!" Zwei Stunden, nachdem alle an Bord der ANTONIO LENNARTZ waren, kehrte auch Dirk wieder zu ihnen zurück. Er begab sich sofort in die Bordklinik, wo er von Dr. Braouth untersucht wurde. "Es ist alles in Ordnung, Halland", sagte der Arzt, als die Untersuchung beendet war. "Sie müssen sich nur damit abfinden, daß Sie in den nächsten zwölf bis zwanzig Stunden diesen Zustand beibehalten werden." "Was für einen Zustand? Was soll das heißen?" grollte der Psychologe. "Diese Stimmung zwischen Gereiztheit und Melancholie, in der Sie sich jetzt befinden", erklärte Vil Braouth lächelnd. "Gehen Sie zum Teufel!" sagte Dirk und verließ die Klinik. Später, als sie bereits auf dem Rückflug zur Erde waren, fragte Don Guernsey: "Wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, Dirk, die regierende Elektronik würde Ihre Behauptung, Sie wären der wahre Herr, also ein zurückgekehr-ter Ulla sein, akzeptieren?" Dirk Halland lächelte. "Robotpsychologie", sagte er. "Ich habe einfach gesagt, ich bin ein wah-rer Herr. Und auf die Forderung, mich dem Identitätstest zu unterziehen, habe ich erklärt, eine Elektronik darf einem wahren Herren keine Forde-rungen stellen. Das hat die Maschine akzeptiert. Sie mußte es akzeptieren. Den einzigen Einwand, den sie hatte, daß nämlich alle getesteten Individu-en keine wahren Herren wären, tat ich mit der Erklärung ab, daß diese mei-ne Diener seien!"

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Die Anwesenden machten verdutzte Gesichter. Dann brachen sie in ein befreiendes Gelächter aus. "Heilige Galaxis!" rief Speedy und wandte sich an Major Osborne. "Skipper, ich verlange, daß ich ab sofort nur noch mit "Erster Diener des wahren Herren Dr. Halland" angeredet werde." Der Kommandant lachte gutmütig. Dirk sah Charly an. Sie gab seinen Blick ruhig zurück. Ihre Augen be-gannen zu lächeln. Severin Pia fragte: "Und wie soll es weitergehen?" Die Anwesenden wurden unvermittelt ernst. Aller Augen richteten sich auf Don Guernsey, als er zu sprechen begann: "Die meisten von uns werden sich bereits über diese Frage Gedanken gemacht haben, über die Frage, was soll in Hinblick auf das Imperium der Roboter geschehen? Soll überhaupt et was geschehen? Es kann nicht unsere Aufgabe sein, eine Entscheidung hierüber zu treffen! Wenn wir nach Terra zurückgekehrt sind, muß eine Kommission gebildet werden, die sich weit-gehend mit diesen Fragen und allen sich daraus ergebenden Konsequenzen befassen wird. Dr. Halland", er lächelte leicht, "hat der planetaren Elektro-nik den Befehl erteilt, bis zum Erscheinen einer terranischen Kommission absolute Passivität zu bewahren." "Sie meinen", erkundigte sich Valentina erstaunt, "all die Hunderttausen-de von Maschinen werden bewegungslos solange an Ort und Stelle verhar-ren, bis die Kommission eintrifft - selbst, wenn es zehn Jahre dauern soll-te?" Dirk sah, wie Hella Falcon amüsiert lächelte. Und Hellström sagte gedul-dig: "Die Maschinen würden sich nicht rühren, selbst, wenn der Befehl erst nach tausend Jahren aufgehoben werden würde. Roboter haben Zeit, Miß Valentine - unendlich viel Zeit!" Ja, Roboter haben Zeit, dachte auch Dirk Halland, mehr Zeit als Men-schen. Die Menschheit würde entscheiden, was mit den Maschinenwesen des galaktischen Kerns geschah. Vielleicht wurde er, Dirk, Mitglied der Kommission sein. Das war nicht vordringlich. Vordringlich war für ihn eine andere Entscheidung, eine Entscheidung, die nur Charly und ihn an-ging, oder - eigentlich nur Charly; er hatte sich längst entschieden; denn, wie gesagt Menschen haben weniger Zeit als Roboter.

ENDE

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