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[Wpisz tekst] Kulturdidaktische Modellbildung. Deutsch-polnische Erinnerungsorte im Fach Deutsch als Fremdsprache / Nowe modele w dydaktyce kultury. Polsko-niemieckie miejsca pamięci“ Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy Brandts Kniefall Tomasz Dziura, Freie Universität Berlin Nadia Fischer, Georg-August-Universität Göttingen Veronika Hanulova, Freie Universität Berlin Klaudia Kozieł, Uniwersytet Łódzki 21. 07.2015

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„Kulturdidaktische Modellbildung.

Deutsch-polnische Erinnerungsorte im Fach Deutsch als Fremdsprache /

Nowe modele w dydaktyce kultury. Polsko-niemieckie miejsca pamięci“

Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy Brandts Kniefall

Tomasz Dziura, Freie Universität Berlin

Nadia Fischer, Georg-August-Universität Göttingen

Veronika Hanulova, Freie Universität Berlin

Klaudia Kozieł, Uniwersytet Łódzki

21. 07.2015

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„Kulturdidaktische Modellbildung. Deutsch-polnische Erinnerungsorte im Fach Deutsch als Fremdsprache /

Nowe modele w dydaktyce kultury. Polsko-niemieckie miejsca pamięci“

Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy Brandts Kniefall

© Tomasz Dziura, FU Berlin / Nadia Fischer, Universität Göttingen / Veronika Hanulova, FU Berlin / Klaudia

Kozieł, Universität Łódź

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ......................................................................................................................... 4

2 Zielgruppe ........................................................................................................................ 6

3 Zielsetzungen ................................................................................................................... 6

4 Kulturdidaktische Modellbildung zu den parallelen deutsch-polnischen

Erinnerungsorten „Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy Brandts Kniefall“ ............. 8

4.1 Aufgaben zur Einführung (A) ....................................................................................... 8

4.2 Aufgaben zur Vertiefung (B) ...................................................................................... 11

4.3 Aufgaben zur Ausdifferenzierung (C) ........................................................................ 16

4.4 Aufgaben zur Reflexion (D) ........................................................................................ 20

5 Anhang ........................................................................................................................... 23

5.1 Foto des Kniefalls von Willy Brandt zu Aufgabe A1 ................................................. 23

5.2 Zusätzliche Materialien zum Kniefall ......................................................................... 23

5.2.1 Die neue Brandt'sche Ostpolitik ............................................................................... 23

5.2.2 Der Warschauer Vertrag .......................................................................................... 23

5.2.3 Der Aufstand im Warschauer Ghetto ....................................................................... 24

5.3 Textmaterial für die Aufgabe B2 ................................................................................ 25

5.3.1 Auszug aus dem Brief der polnischen Bischöfe ...................................................... 25

5.3.2 Textausschnitte aus dem Artikel „Brückenschlag der Bischöfe“ (ZEIT Nr. 50,

10.12.1965) ....................................................................................................................... 27

5.3.3 Textausschnitte aus dem Artikel „Gold für die Madonna“ (SPIEGEL Nr. 50,

08.12.1965) ....................................................................................................................... 27

5.3.4 Textausschnitte aus Heller, Edith (1992): Macht – Kirche – Politik. Der

Briefwechsel zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen im Jahre 1965 ............ 28

5.4 Einsprachige Worterklärungen zum Auszug aus dem Brief der polnischen Bischöfe

für Aufgabe B2 .................................................................................................................. 29

5.5 Auszug aus dem Antwortbrief der deutschen Bischöfe. Materialien zu Aufgabe C1

inklusive Lesehilfen. ......................................................................................................... 29

5.6 Textmaterial und Lesehilfen für Aufgabe C2 ............................................................. 32

5.6.1 Essayauszug zum Kniefall Willy Brandts ................................................................ 32

5.6.2 Essayauszug zum Brief der (polnischen) Bischöfe .................................................. 33

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5.6.3 Lesehilfen zu den Essayauszügen ............................................................................ 35

5.7 Cartoon „100 Jahre Willy Brandt“ von Marian Kamensky (05.11.2013) zu Aufgabe

C3 ...................................................................................................................................... 36

5.8 Wortschatzhilfen zur Beschreibung und Interpretation von Bildern .......................... 36

5.9 Textmaterial und Lesehilfen zu Aufgabe C4 .............................................................. 37

5.9.1 Artikel „Willy Brandts Kniefall bis heute umstritten“ (Osnabrücker Zeitung Online,

06.12.2010) ....................................................................................................................... 37

5.9.2 Artikel „Am siebten Dezember 1970 – Ein Kniefall macht Geschichte...“ (Neue

Rundschau, 12/2010) ......................................................................................................... 39

5.9.3 Lesehilfen zu den Artikeln „Willy Brandts Kniefall bis heute umstritten“ und „Am

siebten Dezember 1970 – Ein Kniefall macht Geschichte...“ ........................................... 41

5.9.4 Formulierungshilfen zur Grafikbeschreibung .......................................................... 41

6 Quellenverzeichnis ......................................................................................................... 42

6.1 Printmedien ................................................................................................................. 42

6.2 Online-Ressourcen ...................................................................................................... 43

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1. Einleitung

Im zusammenwachsenden Europa spielt das gemeinsame Erinnern an für diesen Kontinent

bahnbrechende historische Ereignisse eine sehr wichtige Rolle. Diese Tendenz zeigt sich

sowohl auf europäischer als auch auf binationaler Ebene. Auf europäischer Ebene macht sie

sich zum Beispiel bei den Feierlichkeiten am 6. Juni 2014 anlässlich des 70. Jahrestages des

D-Day, d.h. der Landung der Alliierten in der Normandie und somit der Befreiung

Frankreichs von der deutschen Besatzung, bemerkbar. Am Strand von Ouistreham, dem

Gedenkort der Landung, kamen 20 Staatsoberhäupter zusammen, darunter die deutsche

Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Staatspräsidenten Frankreichs (François Hollande),

der USA (Barack Obama) und Russlands (Wladimir Putin). Als Beispiel für gemeinsame

Erinnerungsakte auf bilateraler Ebene sei wiederum das gemeinsame Gedenken zum 75.

Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen genannt. Am 1. September 2014 versammelten

sich hierfür auf der Westerplatte bei Gdańsk / Danzig, dem Gedenkort des Beginns des

Zweiten Weltkrieges, der polnische Staatspräsident Bronisław Komorowski und der deutsche

Joachim Gauck.

Die gemeinsame Begehung solch historischer Gedenktage soll einerseits die Erinnerung an

eine grausame Vergangenheit wach halten, damit diese sich nie mehr wiederholt. Andererseits

zeugt sie von der Reife ehemals verfeindeter Nationen wie Deutschland und Frankreich oder

Deutschland und Polen, die trotz ihrer schwierigen gemeinsamen Geschichte den Weg zur

Versöhnung eingeschlagen haben. Solche Annäherungsprozesse wurden in der Vergangenheit

meist durch symbolische Gesten in Gang gesetzt, die im späteren Verlauf zu einem

bedeutenden Wegweiser der Versöhnung geworden sind. In Polen und Deutschland gelten

heute zum Beispiel die folgenden zwei Ereignisse als Meilensteine im deutsch-polnischen

Versöhnungsprozess: der Brief der polnischen Bischöfe an den deutschen Episkopat aus dem

Jahr 1965 sowie Willy Brandts Kniefall vor dem Warschauer Ghetto-Mahnmal fünf Jahre

danach.

Der Brief der polnischen Bischöfe mit dem mittlerweile legendär gewordenen Zitat „Wir

gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“ sollte neben seiner Versöhnungsbotschaft

die deutsche Seite dazu bewegen, die infolge des Zweiten Weltkrieges an Polen zugefallenen

ehemaligen deutschen Ostgebiete als polnisch anzuerkennen. (vgl. Kerski 2001, 81) Der

Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal der Aufständischen des Warschauer Ghettos

geschah am 07.12.1970, also am Tag der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags zwischen

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der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen. Hierbei wurden die

Grundlagen der Normalisierung ihrer gegenseitigen Beziehungen gebildet, indem die

Bundesrepublik „die polnische Westgrenze an Oder und Neiße faktisch, wenn auch nicht

staats- und völkerrechtlich“ (Felsch/Latkowska 2012, 396) anerkannte.

„Obwohl sie zu ihrer Zeit in weiten Teilen der jeweiligen Gesellschaft auf Missverständnisse

stießen“ (Felsch/Latkowska 2012, 396f.), gelten sowohl der Brief der polnischen Bischöfe als

auch der Kniefall Willy Brandts gegenwärtig als bedeutende gemeinsame deutsch-polnische

Erinnerungsorte. Sie sind deshalb so wichtig, weil sie heute als Symbole der deutsch-

polnischen Versöhnung wahrgenommen werden. Zudem zeigen sie auf, welche Wirkung die

damals gesendeten Botschaften entfaltet haben: Die ehemals verfeindeten Völker sind sich

mit der Zeit näher gekommen. Der gegenwärtige reibungslose kulturelle Transfer und das

bessere gegenseitige Verständnis sind auf diese Ereignisse zurückzuführen. Zugleich könnte

der von den polnischen Bischöfen und dem deutschen Kanzler Willy Brandt initiierte Prozess

der Annäherung als ein Vorbild für andere zerstrittene Nationen dienen, und sie ermutigen,

den Schritt zur Versöhnung zu wagen.

Die beiden Erinnerungsorte erlangen in einem immer bedeutsamer werdenden

kulturwissenschaftlich orientierten Fremdsprachenunterricht große Relevanz. So erlaubt die

Arbeit mit ihnen eine multiperspektivische Annäherung an die Vergangenheit und damit ein

reflexives historisches und zugleich kulturelles Lernen im Fach Deutsch als Fremdsprache.

Dementsprechend kann die Auseinandersetzung mit ihnen der zunehmenden Rolle der

Kulturvermittlung im Fremdsprachenunterricht gerecht werden, die in den letzten Jahrzehnten

einhergehend mit Transformationsprozessen in der Fremdsprachendidaktik kontrovers

diskutiert wurde. In diesem Zusammenhang hat Kocka (2013) darauf aufmerksam gemacht,

dass die globalen Strukturen der heutigen Welt, die durch eine Vielzahl heterogener

Erinnerungskulturen gekennzeichnet sind, es notwendig machen, sich im Kontext historischen

Lernens „auf sehr unterschiedliche Perspektiven in der Erinnerung und in der Beurteilung von

Vergangenheit einzulassen.“ (Kocka 2013, 359) Voraussetzung für historisches Lernen ist der

Autorin zufolge „die Einsicht, dass >>Geschichte<< nur in immer wieder neuen und sich

verändernden Narrationen überliefert wird“ (Kocka 2013, 355), die von gegenwärtigen

Interessen und Perspektiven abhängen und auch historische Erinnerungen in ihrer Bedeutung

und Darstellung beeinflussen. Historisches Lernen, das sich mit heterogenen und sich

verändernden Erinnerungen und Erinnerungskulturen beschäftigt, ist demzufolge wichtig, um

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unterschiedliche Perspektiven von Erinnerungen sowie unterschiedliche Funktionen

kultureller Erinnerung bewusst zu machen, diese zu verstehen und zu akzeptieren. (vgl. Kocka

2013, 359f.) Wie eine solche „Perspektivität historischen Lernens“ (Kocka 2013, 359) im

Rahmen einer kulturwissenschaftlich orientierten Landeskunde im DaF-Unterricht umgesetzt

werden kann, soll im Folgenden exemplarisch an einer kulturdidaktischen Modellbildung zu

den parallelen deutsch-polnischen Erinnerungsorten Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy

Brandts Kniefall gezeigt werden. Dabei sind die Aufgaben so konzipiert, dass sie innerhalb

von vier „Modulen“ – Einführung, Vertiefung, Ausdifferenzierung und Reflexion – seitens

der Lehrkraft je nach Interessenschwerpunkt kombiniert werden können. Die verwendeten

Unterrichtsmaterialien wie Texte, Bilder, etc. dienen dabei als Leitfaden beziehungsweise

Orientierung und können gegebenenfalls durch alternative Materialien ersetzt werden, sofern

diese für dieselbe Zielsetzung geeignet sind.

2. Zielgruppe

Die Aufgaben, die im Rahmen dieser kulturdidaktischen Modellbildung entwickelt wurden,

variieren in ihrem sprachlichen Anspruch an die Lerner/innen, sie sind jedoch aufgrund ihrer

inhaltlichen Komplexität weniger für Schüler/innen als für Studierende geeignet. Die

Zielgruppe setzt sich daher aus nicht-muttersprachlichen Studierenden des Faches Deutsch als

Fremdsprache auf einem Sprachniveau zwischen B1 und C1 des Gemeinsamen Europäischen

Referenzrahmens (GER) zusammen, die Interesse an der deutsch-polnischen

Beziehungsgeschichte mit sich bringen. Zwar werden keine expliziten geschichtlichen

Vorkenntnisse vorausgesetzt, jedoch können diese das Verstehen inhaltlicher

Zusammenhänge erleichtern.

3. Zielsetzungen

Mit den zu den deutsch-polnischen Erinnerungsorten Brief der (polnischen) Bischöfe und

Willy Brandts Kniefall entwickelten Aufgaben soll den Studierenden zum einen die

Bedeutung der Ereignisse als Meilensteine im Prozess der deutsch-polnischen

Versöhnungsgeschichte vermittelt werden. Weiterhin soll an ihnen der

Konstruktionscharakter von Geschichte verdeutlicht werden, indem die synchrone, kulturell

unterschiedliche und z.T. heterogene Rezeption ebenso wie die diachrone, parallele

Wahrnehmungsgeschichte behandelt und im Kontext historischer sowie aktueller

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soziokultureller Begebenheiten betrachtet werden. Auch die politische Instrumentalisierung

der Ereignisse spielt hierbei eine Rolle. Dabei ist auch die Vermittlung historischen

Hintergrundwissens erforderlich. Zudem sollen die Studierenden immer wieder ihre eigene

Meinung einbringen, indem sie sich mit den oben genannten Erinnerungsorten

auseinandersetzen, über sie reflektieren und sich dabei ihrer eigenen Perspektiven,

Wahrnehmungen und Deutungen, auch von Bildern und Texten, bewusst werden. Dies hebt

noch einmal den heterogenen Rezeptionscharakter der Erinnerungsorte hervor, der sich auch

in verschiedenen Diskursen und (intrakulturellen) Gruppen widerspiegelt und anhand von

Graphiken sowie unterschiedlichen Textmaterialien verdeutlicht werden soll.

Außerdem spielt die Bewusstmachung der bzw. die Auseinandersetzung mit Unterschieden in

der Vergangenheits- und Gegenwartsrelevanz der beiden Ereignisse eine Rolle. Denn diese

waren damals bzw. sind heute noch von unterschiedlicher Identitätsrelevanz für Polen und

Deutschland gekennzeichnet. Nicht zuletzt ist auch die Herstellung persönlicher

Anknüpfungsmöglichkeiten sowie interkultureller Bezüge von Bedeutung, die den

Studierenden den Zugang zu den historischen Ereignissen erleichtern und deren Bedeutung

für die deutsche und polnische Erinnerungskultur veranschaulichen sollen.

Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Sprachförderung. Die Aufgabenstellungen umfassen

sowohl Übungen zum Hör- und Leseverstehen als auch zum kreativen Schreiben und freiem

Sprechen, sodass ein variables, integriertes Fertigkeitstraining möglich ist. Was den

Kompetenzbereich Sprechen angeht, liegt der Schwerpunkt unter anderem auf der Förderung

der Diskussionsfähigkeit. Die Studierenden lernen u.a., eine Diskussion thematisch und

strategisch vorzubereiten und durchzuführen, ihren Standpunkt sachlich zu vertreten und zu

den Argumenten anderer Stellung zu nehmen. In Anlehnung an die Förderung des

Leseverstehens ist sowohl in sprachdidaktischer als auch methodischer Hinsicht eine kritische

Reflexion des behandelten Materials (u.a. Texte, Bilder, Grafiken) von Relevanz. Daneben

gilt es sowohl die mediale als auch intertextuelle Kompetenz der Studierenden zu fördern,

indem crossmedial gearbeitet wird und die Studierenden Verknüpfungen zu den behandelten

Materialien schaffen. Das bedeutet, dass verschiedene Medien, nicht nur Texte, sondern auch

Bilder und Grafiken, herangezogen werden, um ein Thema oder ausgewählte Aspekte dieses

Themas im Medienverbund zu untersuchen. Die in diesen verschiedenen Medien enthaltenen

Informationen bzw. Inhalte sollen erschlossen, gegenübergestellt und bewertet werden. Dabei

ist der kritische Umgang mit den Inhalten wichtig sowie die Fähigkeit, sich dazu (kritisch) zu

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äußern. Bei der Erarbeitung verschiedener Texte sollen den Studierenden zudem einige

Lernstrategien vermittelt werden (zum Beispiel das Markieren von relevanten Stellen und das

Formulieren von Überschriften zu einzelnen Abschnitten).

4. Kulturdidaktische Modellbildung zu den parallelen deutsch-polnischen

Erinnerungsorten „Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy Brandts Kniefall“

4.1 Aufgaben zur Einführung (A)

Aufgabe A1

Ziel dieser Aufgabe ist es, die Studierenden an den Kniefall Willy Brandts als Ausdruck der

Bitte um Vergebung und als Versöhnungsgeste heranzuführen. Dabei soll der Fokus zunächst

nur auf der Haltung liegen, die Willy Brandt beim Kniefall eingenommen hat, ohne diese

Geste direkt mit dem ehemaligen Bundeskanzler und der Geschichte der deutsch-polnischen

Beziehungen in Verbindung zu bringen. So soll der entschuldigende und demütige Charakter

eines Kniefalls im Allgemeinen hervorgehoben werden, der auch häufig im kirchlichen

Kontext, z.B. beim Beten, zu beobachten ist. Zu diesem Zweck sehen sich die Studierenden

ein Foto des Kniefalls von Willy Brandt an, bei dem weder das Mahnmal, vor dem er kniet,

noch die umherstehenden Fotografen und Passanten zu sehen sind.1 Folgende

Aufgabenstellungen gilt es hierbei zu bearbeiten:

- Wo, in welcher Situation, aus welchem Anlass knien Menschen?

- Welche symbolische Bedeutung wird dem Kniefall in der deutschen Kultur

zugeschrieben? Unterscheidet sich diese Bedeutungszuschreibung von denjenigen anderer

Kulturen?

- Was sehen Sie? Beschreiben Sie das Foto.

- Was geht Ihnen beim Anblick dieses Fotos durch den Kopf? Wer könnte der Mann sein?

Wo könnte das Foto gemacht worden sein? Sammeln Sie Ihre Assoziationen in Form einer

Mindmap. Folgende Kategorien können hierfür zum Beispiel genutzt werden: Orte,

Personen, Emotionen, Anlässe, etc.

1 Vgl. exemplarisch das Foto im Anhang: Punkt 5.1.

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Anmerkung: Die Studierenden sollten zu Beginn nicht darüber informiert werden, wer die

Person auf dem Foto ist und in welchem Kontext das Foto aufgenommen wurde, um zunächst

den allgemeinen Charakter dieser Geste beziehungsweise der Körperhaltung zu erfassen. Die

gesammelten Assoziationen können später an der Tafel, in jedem Fall aber mündlich im

Plenum, zusammengetragen werden. Falls nicht bereits von den Studierenden selbst

thematisiert, können zusätzlich folgende Fragen an die Studierenden gerichtet werden:

Welche Emotionen verbinden Sie mit diesem Bild? Was für eine Atmosphäre herrscht hier?

Aus welchem Grund beziehungsweise zu welchem Anlass könnte der Mann knien?

Sollte der Entstehungshintergrund des Fotos frühzeitig erkannt werden, können die Fragen

folgendermaßen angepasst werden, um dennoch zunächst den Fokus auf dem allgemeinen

Charakter dieser Geste zu belassen:

- Willy Brandt kniet aus einem bestimmten Grund. Was für ein Grund kann das sein?

Kennen Sie noch andere Situationen und Anlässe, zu denen Menschen knien?

- Welche symbolische Bedeutung wird dem Kniefall auf dem Foto zugeschrieben? Welche

symbolische Bedeutung hat er für die deutsche Kultur? Unterscheidet sich diese

Bedeutungszuschreibung von denjenigen anderer Kulturen?

Um in einem weiteren Schritt auf das konkrete Ereignis des Kniefalls von Willy Brandt im

Jahre 1970 überzugehen, kann anschließend folgende Fragestellung im Plenum behandelt

werden: Falls zu diesem Zeitpunkt noch unklar ist, dass es sich bei dem Mann auf dem Foto

um Willy Brandt handelt:

- Haben Sie eine Idee, inwiefern dieses Bild in Verbindung mit der deutsch-polnischen

Beziehungsgeschichte stehen könnte?

Andernfalls kann die Frage direkt auf die Situation ausgerichtet werden:

- Aus welchem Anlass kniet Willy Brandt auf dem Foto? Vor wem oder was kniet er?

Anmerkung: Falls nicht bereits von den Studierenden selbst benannt, sollten hier – je

nachdem, ob im weiteren Verlauf Aufgabe B1 bearbeitet wird oder nicht – einleitende

historische Hintergrundinformationen zum Kniefall bereitgestellt werden.2

Die Aufgabenstellungen zur Beschreibung und Interpretation eines Fotos des Kniefalls

können sowohl in Kursen auf Niveaustufe B1 als auch B2 und C1 des Gemeinsamen

Europäischen Referenzrahmens angewendet werden. Jedoch sollten den Studierenden auf

2 Siehe Vorschläge für ergänzende historische Hintergrundinformationen zum Kniefall im Anhang: Punkt 5.2.

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Niveau B1 zusätzliche Wortschatzhilfen zur Verfügung gestellt werden, da sie sich auf diesem

Niveau meist zu vertrauten Themen und persönlichen Interessengebieten, nicht jedoch zu

Themen im kulturspezifischen oder historisch-politischen Bereich äußern können. So könnte

eine Auswahl an Verben und Adjektiven wie „knien“, „beten“, „etwas bereuen“, „sühnen“,

„ehrfürchtig“, „respektvoll“ und „demütig“ nützlich sein, um das Foto beschreiben und

weitere Assoziationen sammeln zu können.

Aufgabe A2

Bei dieser Aufgabe geht es darum, die Bedeutung des Briefes der polnischen Bischöfe als

Versöhnungsgeste zu erläutern. Dafür soll mit dem wohl bekanntesten Zitat aus dem Brief der

polnischen Bischöfe gearbeitet werden, das zu damaliger Zeit zu kontroversen Diskussionen

geführt hat: „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“ (Der Satz kann dabei

sowohl an die Tafel geschrieben, als auch an die Wand projiziert werden; wichtig ist, dass er

für alle Studierenden lesbar ist.)

Aufgabenstellung: Lesen Sie den Satz und diskutieren Sie danach folgende Fragen dazu in

Gruppen:

- Wie ist dieser Satz formuliert? Was ist das Besondere an der Sprache, in der dieser Satz

formuliert wurde?

- vergeben – verzeihen – versöhnen: Wo liegt Ihrer Meinung nach der Unterschied in der

Bedeutung? Gibt es überhaupt einen?

- In welchem Kontext könnte dieser Satz verwendet worden sein? Wer könnte hier wen um

Vergebung bitten? Wie bitten Sie persönlich jemanden um Vergebung? (Anmerkung: Hier

sollte das spezielle, sehr gehobene und förmliche Sprachregister berücksichtigt werden,

das verwendet wurde. Unter Freunden würde man auf diese Weise zum Beispiel nicht um

Vergebung bitten.)

Die Ergebnisse werden im Plenum zusammengetragen. Sollte dabei bereits geklärt worden

sein, in welchem Kontext dieser Satz geschrieben worden ist, kann in einem nächsten Schritt

nach dem Grund gefragt werden, aus welchem die polnischen Bischöfe einen solchen Brief

geschrieben haben. Ansonsten gilt es zuvor folgende Frage an die Lernenden zu richten:

- Haben Sie eine Idee, mit welchem historischen Ereignis der deutsch-polnischen

Beziehungsgeschichte dieser Satz in Verbindung stehen könnte?

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Da die Studierenden für eine sinnvolle Kontextualisierung des Zitats zwischen

unterschiedlichen Sprachregistern unterscheiden müssen, richtet sich diese Aufgabe primär an

Studierende auf Niveau C1 des GER. Auch die Diskussionsfragen, die eine freie

Ausdrucksweise und bereits einen breiten Wortschatz außerhalb eigener Interessengebiete und

zu einem abstrakten Themengebiet (Vergebung) erfordern, sind in erster Linie für Studierende

dieser höheren Niveaustufe geeignet.

4.2 Aufgaben zur Vertiefung (B)

Aufgabe B1

In dieser Aufgabe sollen die historischen Hintergründe und Umstände, unter denen Willy

Brandts Kniefall stattgefunden hat, vertieft werden. So soll die Bedeutung dieses Ereignisses

als wichtiger Schritt zur Versöhnung in der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte

hervorgehoben und das Ereignis in den historischen Kontext eingeordnet werden. Hierfür

bietet sich die Arbeit mit Ausschnitten aus einem Dokumentarfilm an, bei dem Hintergründe

zum Kniefall erläutert werden. Die folgenden Aufgabenstellungen, die für einen

Dokumentarfilmausschnitt des Senders „Phoenix“ entwickelt wurden, dienen dabei als

Hilfestellung zur Verständnissicherung und als Übungen zum Hörverständnis:

Übung 1: Multiple choice

Welche Antwort ist richtig? Wählen Sie jeweils von den möglichen Antworten A, B und C

die richtige.

1. Der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt besucht Polen

A zum fünften Mal

B zum dritten Mal

C zum ersten Mal

2. Während Brandts Besuchs am Grab des Unbekannten Soldaten wurde… gedacht.

A der Opfer des KL Auschwitz

B der Opfer des Warschauer Aufstands

C der Gefallenen des Zweiten Weltkriegs

3. Willy Brandt besucht

A das Mahnmal des Warschauer Ghettos

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B die Gedenkstätte Auschwitz

C die Gedenkstätte Majdanek

4. Das Denkmal, vor dem er kniet, wird … gewidmet.

A dem Warschauer Aufstand 1944

B dem Aufstand im Warschauer Ghetto 1943

C den ermordeten Juden Europas

5. Mit seiner Geste wollte Willy Brandt

A auf seine Politik aufmerksam machen

B ein Zeichen für die Versöhnung setzen

C weltberühmt werden

6. Willy Brand unterzeichnet in Polen

A den Warschauer Pakt

B den deutsch-polnischen Grenzvertrag

C den Warschauer Vertrag

7. Der Kniefall war der Aussage eines Zeugen zufolge

A spontan

B geplant

C erzwungen

(Richtige Antworten: 1 C 2 C 3 A 4 B 5 B 6 C 7 A)

Übung 2

Sehen und hören Sie sich das Video noch einmal und notieren Sie Stichwörter zu den

folgenden Begriffen: der Warschauer Vertrag und Brandts neue Ostpolitik, das Warschauer

Ghetto und der Aufstand im Warschauer Ghetto.

(Exemplarische Stichwörter zu dieser Übung: der Warschauer Vertrag und Brandts neue

Ostpolitik: Versöhnung 25 Jahre nach dem Krieg, Entspannung im Konflikt der Blöcke,

Gewaltverzicht, Anerkennung der Grenzen, Eröffnung eines neuen Kapitels in den deutsch-

polnischen Beziehungen, Wandel durch Annäherung; das Warschauer Ghetto und der

Warschauer Aufstand: abgeschlossen von der Außenwelt, umgeben von Mauern,

allgegenwärtiger Tod, Sterben ganzer Familien an Hunger, Kälte und Krankheiten; Transport

in Konzentrationslager, Treblinka, Majdanek, Auschwitz, der Aufstand im Ghetto 1943, das

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sich-Widersetzen der noch wenigen Lebenden gegen den Terror ihrer Peiniger aus Mut der

Verzweiflung, Ausbruch des aussichtslosen Widerstands, Auslöschung des Ghettos).

Die notierten Stichworte zu den Begriffen werden geklärt und ergänzt. In einem zweiten

Schritt werden die der Videoaufnahme entnommenen Informationen zu den genannten

Begriffen im Plenum besprochen, systematisiert und evtl. von der Lehrperson ergänzt. Die

Lehrperson kann sich dazu der sich im Anhang befindenden Erläuterungen zu den

besprochenen historischen Ereignissen bedienen.3

Anmerkung: Durch die letzte Aufgabe können die Lernenden auch das Schreiben von kurzen

Notizen üben, indem sie von den notierten Begriffen ausgehend vollständige Sätze

formulieren.

Die Aufgabenstellungen zum Dokumentarfilmausschnitt sind vor allem für Studierende auf

Niveau B2 geeignet. Es handelt sich zwar um Fragen, die explizit in dem Videoausschnitt

beantwortet werden und somit keiner sonderlichen (sprachlichen) Transferleistung bedürfen,

der Wortschatz aber, insbesondere manche Formulierungen, können schwierig sein.

Aufgabe B2

Im Zuge dieser Einheit soll die synchrone Rezeption des Briefwechsels zwischen den

polnischen und den deutschen Bischöfen in Polen und Deutschland im Jahre 1965 erarbeitet

werden. Ziel ist es, verschiedene Blickwinkel auf die Inhalte des Briefwechsels aufzuzeigen

und, vor allem im Hinblick auf den Brief der polnischen Bischöfe, auf dessen damalige

politische Instrumentalisierung zu verweisen. Hierfür bietet sich in einem ersten Schritt die

Arbeit mit Auszügen aus dem Originalbrief der polnischen Bischöfe an.4

Falls nicht bereits Aufgabe A2 bearbeitet und den Studierenden in diesem Kontext erstes

Hintergrundwissen zum Brief der polnischen Bischöfe vermittelt wurde, sollte dieses vor dem

Lesen des Briefauszugs geschehen. Das heißt, dass zunächst geklärt werden muss, aus

welchem Grund dieser Brief damals geschrieben wurde, um daraufhin weiter mit diesem

arbeiten zu können. Beim Lesen des Briefes gilt es daraufhin folgende Aufgabenstellungen zu

bearbeiten:

3 Siehe Vorschläge für ergänzende historische Hintergrundinformationen zum Kniefall im Anhang: Punkt 5.2.

4 Siehe Briefauszug im Anhang: Punkt 5.3.1.

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Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy Brandts Kniefall

© Tomasz Dziura, FU Berlin / Nadia Fischer, Universität Göttingen / Veronika Hanulova, FU Berlin / Klaudia

Kozieł, Universität Łódź

- Lesen Sie den Briefauszug und formulieren Sie thematische Überschriften für die

einzelnen Abschnitte. Unterstreichen Sie Ihrer Meinung nach relevante Textstellen und

Stichwörter im Hinblick auf diskussionswürdige Äußerungen.

- Anschließende Frage im Plenum: In welchem „Ton“ wurde der Brief geschrieben,

beziehungsweise was für eine Stimmung vermittelt er Ihrer Meinung nach?

Anmerkung: Für ein besseres Textverständnis empfiehlt es sich, den Lernenden Lesehilfen in

Form einsprachiger Worterklärungen an die Hand zu geben, da der Briefauszug einige

Begrifflichkeiten enthält, die religiös oder historisch-politisch fundiert sind.5

In einem weiteren Schritt sollen die Studierenden sich mit der damaligen Rezeption des

Briefwechsels in Polen und Deutschland eingehend auseinandersetzen. Hierfür können

Kommentare, zum Beispiel aus Zeitungsartikeln aus dem Jahre 1965 und / oder einer

wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu diesem Thema, ausgewählt und auf jeweils

separates Papier gedruckt werden.6 Die Studierenden werden in mehrere Gruppen (jeweils

drei bis vier Personen) aufgeteilt und erhalten jeweils unterschiedliche Textausschnitte. Dabei

überlegen sie sich, in welchen Kommentaren der Briefwechsel positiv, und in welchen er

negativ bewertet wurde. Gleichzeitig überlegen sie sich, ob diese Bewertungen aus Sicht der

Polen oder der Deutschen stattfanden. Anschließend begründen Sie ihre Entscheidungen im

Plenum und ordnen die Textausschnitte folgendem Tafelbild zu: (Die Zettel werden mit

Tesafilm o.Ä. an die Tafel befestigt.)

Wahrnehmung des

Briefwechsels

Positiv Negativ

5 Vgl. Einsprachige Worterklärungen zum Auszug aus dem Brief der polnischen Bischöfe im Anhang: Punkt 5.4.

6 Siehe exemplarische Textausschnitte im Anhang: Punkt 5.3.2, 5.3.3 und 5.3.4.

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Aus der Sicht der

Deutschen

Aus der Sicht der Polen

Daraufhin teilen sich die Studierenden in zwei Gruppen auf, von denen eine jeweils polnische

und deutsche Staatsangehörige repräsentieren. Das vorherige Tafelbild dient als Vorbereitung

auf eine Diskussion zwischen den Studierenden: Diese sollen sich in ihren Gruppen

gegenübersetzen, über die negativen und positiven Konnotationen des Briefwechsels

diskutieren und dabei auch zu den Argumenten der jeweils anderen Gruppe Stellung nehmen.

Die Aufgabenstellung hierzu lautet wie folgt:

Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich im Jahre 1965 und haben gerade von dem Briefwechsel

der deutschen und polnischen Bischöfe aus einer Zeitung erfahren. Sie als deutscher oder

polnischer Staatsangehöriger nehmen daraufhin an einer öffentlichen Diskussion über den

Briefwechsel teil, bei der Sie Ihre Meinung vertreten und zu den Argumenten der Vertreter

ihres Nachbarlandes Stellung beziehen müssen.

Besonders im Hinblick auf das Verständnis der Auszüge aus dem Originalbrief der polnischen

Bischöfe sowie die anschließende Diskussion ist diese Einheit mit anspruchsvollem und auch

längerem Textmaterial sowie freien Redebeiträgen verbunden. Daher ist diese Einheit in

erster Linie für Studierende auf Niveau C1 des GER geeignet.

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4.3 Aufgaben zur Ausdifferenzierung (C)

Aufgabe C1

Umstrittener Antwortbrief der deutschen Bischöfe7

- Diskutieren Sie in kleinen Gruppen, wie die Reaktion der deutschen Bischöfe auf den

Brief aus Polen gewesen sein könnte. Einigen Sie sich in der kleinen Gruppe auf eine

Meinung und begründen Sie sie. Die Vertreter der Kleingruppen diskutieren dann das

Thema in einer Podiumsdiskussion. Die Lehrkraft oder ein(e) Student(in) moderiert.

- Vergleichen Sie die Ergebnisse Ihrer Diskussion mit den Auszügen aus dem originalen

Antwortbrief von 1965. Was fällt Ihnen auf? Wo erkennen Sie Gemeinsamkeiten und /

oder Unterschiede? Wie erklären Sie sich diese?

Aufgabe C2

Die Rezeptionsgeschichte der historischen Ereignisse steht in diesem Teil im Vordergrund.

Hierfür bietet sich die Arbeit mit dem Essay „Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy

Brandts Kniefall“ aus dem dritten Band der „Deutsch-polnischen Erinnerungsorte“ an.8 Da

der Text sehr lang ist, wird empfohlen, nur relevante Teile aufzubereiten und die Arbeit am

Text in zwei Themenblöcke aufzuteilen: einerseits der Brief der polnischen Bischöfe,

andererseits Willy Brandts Kniefall. Diese können als Grundlage für die Arbeit in zwei

Gruppen dienen. Das bedeutet, dass jede Gruppe sich mit einem der Textausschnitte (siehe

Punkt 5.6.1 oder 5.6.2) auseinandersetzt und diesen aufmerksam durchliest. Da die Texte

sowohl lexikalisch, syntaktisch als auch inhaltlich recht anspruchsvoll sind, ist diese Aufgabe

für Lerner ab dem Niveau B2 gedacht. Zum besseren Verständnis können Lesehilfen

angeboten werden.9 Um die veränderten Wahrnehmungsgeschichten beider Ereignisse

herauszuarbeiten, sollen beide Gruppen anhand der Texte einen Zeitstrahl zu diesen auf einem

Poster erstellen. Anschließend werden die Poster präsentiert, wodurch auch Parallelen in der

Rezeptionsgeschichte deutlich werden.

Dazu folgende Aufgaben:

7 Siehe Briefauszug im Anhang inklusive Lesehilfen: Punkt 5.5.

8 Siehe Essayauszüge im Anhang: Punkt 5.6.1 und 5.6.2.

9 Siehe Beispiele für Lesehilfen zu den Essayauszügen im Anhang: Punkt 5.6.3.

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- Entwerfen Sie einen Zeitstrahl zur Wahrnehmungsgeschichte des Kniefalls

beziehungsweise des Briefes der polnischen Bischöfe in Deutschland und in Polen.

Tragen Sie anschließend vor, wie sich die Wahrnehmung des jeweiligen historischen

Ereignisses im Laufe der Zeit in Deutschland und Polen verändert hat?

- Halten Sie Ihre Ergebnisse auf einem Plakat fest und präsentieren Sie dieses.

- Erkennen Sie Gemeinsamkeiten und / oder Unterschiede hinsichtlich der

Rezeptionsgeschichte beider Ereignisse in Polen und Deutschland?

Das Ziel dieser Aufgaben ist herauszufinden, dass beide historischen Geschehnisse über eine

gemeinsame Entwicklung verfügen. Die Studierenden sollen mithilfe der Aufgaben

feststellen, dass es gewisse Parallelen in der Rezeptionsgeschichte beider Ereignisse gibt: Es

musste genügend Zeit vergehen, um die Versöhnungsgesten mit nötiger Distanz positiv

bewerten zu können. Obwohl beide Ereignisse anfangs mit Desinteresse und negativen

Aufladungen zu kämpfen hatten, wurden sie im Laufe der Zeit zu wichtigen Symbolen der

deutsch-polnischen Versöhnung.

Aufgabe C3

Im Zuge dieser Aufgabenstellung soll die veränderte heutige und damalige Relevanz des

Kniefalls verdeutlicht werden, der zunehmend an öffentlichem Interesse und Bedeutung

verloren hat. Hierfür wird den Lernen ein Cartoon gezeigt, der ein übergroßes Denkmal von

dem knienden Willy Brandt und herumlaufende Passanten zeigt, die sich wenig für dieses zu

interessieren scheinen.10

Aufgabenstellung: Beschreiben Sie den Cartoon. Was fällt Ihnen auf? (im Plenum)

Folgende Fragen können dabei hilfreich sein:

- Was befindet sich im Vordergrund / Hintergrund des Bildes?

- Wer könnte die überdimensional dargestellte Person in Form eines Denkmals sein?

Warum ist sie überdimensional dargestellt?

- Welchen Eindruck haben Sie von den Passanten? Was tun Sie?

10

Siehe Cartoon „100 Jahre Willy Brandt“ von Marian Kamensky im Anhang: Punkt: 5.7.

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- Wie wirkt das Bild auf Sie? Achten Sie auf die verwendeten Farben! Was bemerken Sie?

(Das Denkmal ist im Gegensatz zum Rest des Bildes sehr eintönig und grau. Hier könnten

z.B. mögliche Gründe für die farbliche Trennung gesucht werden).

Diese Fragen zielen darauf ab, die Lerner darauf hinzuweisen, dass der Kniefall (wie auch der

Brief der polnischen Bischöfe) heutzutage an Relevanz verloren hat. Deutlich wird dies vor

allem daran, dass die Passanten in dem Cartoon dem Denkmal des Kniefalls keinerlei

Beachtung schenken, obwohl dieses aufgrund seiner (damaligen) Bedeutsamkeit

überdimensional groß errichtet wurde.

Die mit der Aufgabe zusammenhängende Beschreibung und Interpretation des Cartoons ist

für Lerner ab dem Niveau B1 des GER geeignet. Zusätzlich können auf Niveau B1 passende

Wortschatzhilfen zur Verfügung gestellt werden, um Ihnen das freie Sprechen zu

erleichtern.11

Aufgabe C4

Als Grundlage für diese Aufgabe dient folgende Grafik aus der Zeitschrift „Der Spiegel“:12

11

Siehe Wortschatzhilfen zur Beschreibung und Interpretation von Bildern im Anhang: Punkt 5.8. 12

Unbekannter Autor (1970): Kniefall angemessen oder übertrieben? Spiegel-Umfrage über Willy Brandts

Totenehrung am Ehrenmahl im früheren Warschauer Getto. In: Der Spiegel. 51/1970.

http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/43822427, 27 (06.04.2015).

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Als erstes werden die Studierenden gebeten, eine 1970 in der Zeitschrift „Der Spiegel“

(51/1970) erschienene Grafik zu beschreiben, welche die Umfrageergebnisse zum Kniefall in

Deutschland thematisiert. Dies erfolgt individuell. Dabei wird empfohlen, eine Hilfestellung

zur Beschreibung der Grafik anzubieten, in der bestimmte Phrasen zu finden sind, die im

Rahmen der Grafikbeschreibung von den Lernern genutzt werden können.13

Die Überschrift

der hier verwendeten Grafik – Kniefall angemessen oder übertrieben? – muss den Lernern

zusammen mit der Grafik bekannt gegeben werden.

Folgende Aufgaben sind zu bearbeiten:

- Beschreiben Sie die Grafik.

- Stellen Sie Vermutungen an, warum die Meinungen zum Kniefall damals so stark

differenziert waren.

Nach der Grafikbeschreibung und der Einarbeitung sollen im Plenum die ersten Argumente

gesammelt werden, die aus damaliger Sicht für oder gegen den Kniefall hätten sprechen

können. Da das Thema ziemlich anspruchsvoll ist, ist empfehlenswert, den Lernenden 3 bis 4

Minuten zum Nachdenken zu geben:

- Was könnte für oder gegen den Kniefall aus damaliger Sicht gesprochen haben?

- Was meinen Sie, wie würden die Ergebnisse einer Umfrage zum Kniefall heutzutage

aussehen?

Für den zweiten Teil der Aufgabe wurden exemplarisch zwei Zeitungsartikel ausgesucht, die

sich mit dem Thema des Kniefalls befassen.14

Für beide Zeitungsartikel wird empfohlen,

Lesehilfen zur Verfügung zu stellen.15

Die Artikel können entweder während der

Unterrichtsstunde gelesen werden oder als Hausaufgabe für die nächste Sitzung dienen. Zu

diesem Teil passen folgende Aufgaben:

- Sammeln Sie mit Hilfe der Zeitungsartikel weitere Argumente, die damals für und / oder

gegen den Kniefall gesprochen haben.

- Gab es Unterschiede in der Rezeption des Kniefalls in Polen und in Deutschland? Wenn

ja, welche?

13

Siehe Formulierungshilfen zur Grafikbeschreibung im Anhang: Punkt 5.9.4. 14

Siehe Artikel im Anhang: Punkt 5.9.1 und 5.9.2. 15

Siehe Lesehilfen zu den besagten Artikeln im Anhang: Punkt 5.9.3.

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Weiterführende Fragen zu den gelesenen Artikeln („Willy Brandts Kniefall bis heute

umstritten“ & „Am siebten Dezember 1970 – Ein Kniefall macht Geschichte“) – optional:

- In welchem Jahr erhielt Willy Brandt den Friedensnobelpreis? Wofür hat er diese

Auszeichnung erhalten?

- Was ist unter dem Begriff „Pressezensur“ zu verstehen? In welchem Zusammenhang wird

dieser Begriff in dem Artikel „Am siebten Dezember 1970 – Ein Kniefall macht

Geschichte“ verwendet? Haben Sie Erfahrungen mit Pressezensur in Ihren Heimatländern

gemacht?

Da die Zeitungsartikel sprachlich sehr anspruchsvoll sind und für die Beantwortung der

Fragen ein relativ breiter Wortschatz benötigt wird, ist diese Aufgabe für Studierende ab

Niveau B2 des GER gedacht.

4.4 Aufgaben zur Reflexion (D)

Aufgabe D1

Bei dieser Aufgabe soll der Gegenwartsbezug der beiden in dieser Unterrichtseinheit

betrachteten Erinnerungsorte ermittelt werden. Dies ergibt sich aus der Überzeugung, dass

man in der Erinnerungskultur nach einer Verbindung zwischen der Vergangenheit und der

Gegenwart sucht. (vgl. Assmann 2013, 92) Folgende Frage soll dabei diskutiert werden: Sind

die beiden Ereignisse (Willy Brandts Kniefall und der Brief der polnischen Bischöfe) heute

genauso relevant wie früher?

Zur Beantwortung dieser Frage werden die Lernenden in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste

Gruppe sammelt Argumente, die für die heutige Relevanz beider Ereignisse spricht, die

zweite sammelt Gegenargumente. Anschließend diskutieren die Gruppen unter Moderation

der Lehrperson miteinander. Durch die Auseinandersetzung mit dieser Frage soll die

symbolische Bedeutung dieser Erinnerungsorte, auf die in den vorherigen Aufgaben schon

mehrmals aufmerksam gemacht wurde, unter aktuellen Umständen reflektiert werden.

Weitere Fragen im Plenum:

- Fällt Ihnen ein Beispiel für ein vergleichbares historisches Ereignis aus Ihrem Heimatland

ein, das damals und / oder heute als bedeutende symbolische Versöhnungsgeste galt

beziehungsweise gilt?

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- Mit welchen Ländern ist die Geschichte Ihres Heimatlandes verbunden?

Die Studierenden sollten über einen relativ umfangreichen Wortschatz und ein freies

Sprechvermögen verfügen, um die oben angeführten Fragen beantworten und sich zu dem

Thema differenziert äußern zu können. Allerdings haben sie sich einen Großteil des hierfür

notwendigen Vokabulars bereits bei der Bearbeitung der vorherigen Einheiten erarbeitet,

sodass diese Aufgabe sowohl für Studierende auf Niveau C1 als auch Niveau B2 des GER

geeignet ist.

Aufgabe D2

Im Zuge dieser Aufgabe sollen die Studierenden versuchen, sich in Willy Brandt zum

Zeitpunkt des Kniefalls hineinzuversetzen. Dadurch sollen sie sich nicht nur noch einmal der

politischen Relevanz dieses Ereignisses bewusst werden, sondern auch die persönlich-

emotionale Bedeutung für den damaligen Bundeskanzler mit bedenken, was wiederum eine

persönliche Anbindung des Ereignisses erleichtert und damit ein tiefergehendes Verständnis

generiert. Hierfür gilt es in Partnerarbeit ein Interview mit Willy Brandt zu entwickeln und

dieses anschließend vor den Kommilitonen spielerisch durchzuführen. Die Aufgabenstellung

lautet dementsprechend wie folgt:

Sie sind Reporter und interviewen Willy Brandt unmittelbar nach dem Ereignis des Kniefalls.

Überlegen Sie sich hierfür in Partnerarbeit Fragen und mögliche Antworten von Willy Brandt.

Führen Sie das Interview anschließend vor.

Alternativ dazu kann eine Stimmenskulptur aufgebaut werden. Die Studierenden überlegen

sich einen Satz, der im Moment des Kniefalls dem Kanzler durch den Kopf hätte gehen

können und merken oder schreiben sich diesen Satz auf. Eine Person nimmt die

Körperstellung von Willy Brandt an. Die anderen kommen der Reihe nach zu ihr und stellen

sich hinter sie. Jeder sagt seinen Satz vor. Der Kanzler entscheidet, welche Stimme ihm nah

kommt, welche er akzeptiert oder welche überhaupt nicht passt. Die Lehrkraft dirigiert die

akzeptierten Stimmen so, dass ein Chor entsteht. Die Sprecher können dabei auch die

Lautstärke variieren und mal lauter, mal leiser sprechen oder sogar flüstern oder schreien. Auf

diese Weise entsteht ein Lautbild, dass die innere Verfassung von Willy Brandt im Moment

des Kniefalls wiedergibt.

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Aufgrund des erarbeiteten Wortschatzes zum Kniefall in den vorigen Aufgaben-Einheiten A

bis C ist diese Aufgabe bereits für Studierende auf Niveau B1 geeignet.

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[Wpisz tekst]

5 Anhang

5.1 Foto des Kniefalls von Willy Brandt zu Aufgabe A116

5.2 Zusätzliche Materialien zum Kniefall

5.2.1 Die neue Brandt'sche Ostpolitik

Wenn man von Willy Brandt, SPD, spricht, kommt einem in erster Linie seine neue

Ostpolitik, auch Entspannungspolitik genannt, in den Sinn. Ihr Ziel war die Entspannung der

belasteten Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Ostblockstaaten, vor allem der

DDR, Polen und der Sowjetunion.

„Der erste bahnbrechende Schritt [...] vollzog sich am 12. August 1970, als W. Brandt und L.

Breschnew in Moskau einen bilateralen Vertrag unterzeichneten, in dessen Mittelpunkt ein

Gewaltverzicht und das Bekenntnis zur Unverletzlichkeit der Grenzen standen. Mit diesem

Kompromiss wurden die Grundlagen für eine Normalisierung der bilateralen Beziehungen

gelegt. [...] Der zweite Höhepunkt war die Unterzeichnung des Warschauer Vertrages vom 7.

Dezember 1970.“ (Jacobsen/Tomala 1992, 39)

5.2.2 Der Warschauer Vertrag

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben Polen und die Bundesrepublik Deutschland

auf der Staatsebene keine diplomatischen Beziehungen unterhalten. „Polen, das ein Teil des

16

Quelle: http://unsere.de/kniefall.htm (06.04.2015).

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östlichen Lagers geworden war, sah in der entstandenen Bundesrepublik einen Staat, der sich

mit dem Verlust von großen Teilen des deutschen Territoriums – im Potsdamer Abkommen

Polen zugesprochen – nicht abfinden wollte; es fühlte sich deshalb durch die territorialen

Forderungen bedroht. Die Bundesrepublik Deutschland dagegen sah in Polen keinen

volksdemokratischen Staat, wie sich Polen bezeichnete, sondern einen Satelliten der

sowjetischen Politik. [...] Sich von zwingenden Ideen der Entspannung in Europa leiten

lassend, wurden sich die damaligen politischen Führungen beider Staaten (jedoch) immer

mehr bewußt, daß nur eine Verständigung unter Abbau von Vorurteilen zur Entwicklung

normaler Beziehungen führen könne.“ (Jacobsen/Tomala 1992, 9)

Der Grundstein dafür wurde gelegt mit der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags, „der die

Beendigung der nichtnormalisierten gegenseitigen Beziehungen zum Inhalt hatte.“ (ebd.) Dies

erfolgte am 7. Dezember 1970. Der Vertrag war deshalb so wichtig, weil in ihm die

Bundesrepublik die Grenze an der Oder und Lausitzer Neiße als die westliche Staatsgrenze

Polens politisch anerkannte. Erst nach der Ratifizierung dieses Vertrags durch den Bundestag

und den polnischen Staatsrat im ersten Halbjahr 1972 nahmen die beiden Staaten

diplomatische Beziehungen auf.

5.2.3 Der Aufstand im Warschauer Ghetto

Die geplante Verschleppung der letzten 60.000 im Warschauer Ghetto noch lebenden Juden in

Arbeits- und Vernichtungslager war der Grund für den Aufstand im Warschauer Ghetto im

Jahre 1943. Der Aufstand brach aus, als in der Nacht zum 19. April 1943 das Ghetto von SS-

und deutschen Polizeieinheiten umstellt wurde. Dabei leisteten die Juden starken Widerstand,

der für die Deutschen völlig überraschend war. An dem Aufstand beteiligt war unter anderem

die jüdische Kampforganisation, die „sich als Reaktion auf die Massendeportationen aus

Warschau im Herbst 1942“ (Mix, 2013) bildete. Obwohl die jüdischen Kämpfer den auf der

deutschen Seite kämpfenden Einheiten militärisch unterlagen – die meisten kämpften nur mit

Molotowcocktails17

– konnten sie sich fast einen Monat lang wehren.

Am 16. Mai 1943 wurde der Warschauer Ghetto-Aufstand von den Deutschen schließlich

niedergeschlagen und das ehemalige jüdische Wohnviertel völlig zerstört. Obwohl der

jüdische Aufstand militärisch scheiterte, hatte er eine hohe symbolische Bedeutung, weil sich

17

Vgl. Aufstand im Warschauer Ghetto. In: Wikipedia,

http://de.wikipedia.org/wiki/Aufstand_im_Warschauer_Ghetto (31.03.2015).

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dadurch der Aufruf Abba Kovners, des Wilnaer Dichters, den er an seine jüdischen Mitbrüder

richtete, vollzog: Sie sollten sich nicht „wie die Schafe zur Schlachtbank“ (Kovner, zitiert

nach Mix 2013) treiben lassen.

5.3 Textmaterial für die Aufgabe B2

5.3.1 Auszug aus dem Brief der polnischen Bischöfe18

Hochwürdige Konzilsbrüder!

Es sei uns gestattet, ehrwürdige Brüder, […] Ihnen, unseren nächsten westlichen Nachbarn,

die freudige Botschaft mitzuteilen, daß im nächsten Jahre […] die Kirche Christi in Polen

und mit ihr zusammen das gesamte polnische Volk […] die Tausendjahrfeier seines

nationalen und staatlichen Bestehens begehen wird. […]

Die folgenden Ausführungen mögen als historischer und zugleich auch sehr aktueller

Kommentar unseres Millenniums dienen und vielleicht auch mit Hilfe Gottes unsere beiden

Völker im gegenseitigen Dialog einander noch näher bringen. […]

Nach kurzer Unabhängigkeit von etwa 20 Jahren (1918 – 1939) brach über das polnische

Volk ohne seine Schuld das herein, was man euphemistisch einfach als II. Weltkrieg

bezeichnet, was aber für uns Polen als totale Vernichtung und Ausrottung gedacht war. Über

unser armes Vaterland senkte sich eine furchtbare finstere Nacht, wie wir sie seit

Generationen nicht erlebt hatten. […] Wir waren alle macht- und wehrlos. Das Land war

übersät mit Konzentrationslagern, in denen die Schlote der Krematorien Tag und Nacht

rauchten. Über sechs Millionen polnischer Staatsbürger, darunter der Großteil jüdischer

Herkunft, haben diese Okkupationszeit mit ihrem Leben bezahlen müssen. […]

Nach alledem, was in der Vergangenheit geschehen ist, […] ist es nicht zu verwundern, daß

das polnische Volk unter dem schweren Druck eines elementaren Sicherheitsbedürfnisses

steht und seinen nächsten Nachbarn im Westen immer noch mit Mißtrauen betrachtet. Diese

geistige Haltung ist sozusagen unser Generationsproblem, das […] bei gutem Willen

schwinden wird und muß. […]

18

Quelle: Verlagsredaktion (1967): Deutsch-polnischer Dialog. Briefe der polnischen und deutschen Bischöfe

und internationale Stellungnahmen. Bonn [u.a.] : Edition Atlantic-Forum. 7-19.

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Die Belastung der beiderseitigen Verhältnisse ist immer noch groß und wird vermehrt durch

das sogenannte „heiße Eisen“ dieser Nachbarschaft; die polnische Westgrenze an Oder und

Neiße ist, wie wir wohl verstehen, für Deutschland eine äußerst bittere Frucht des letzten

Massenvernichtungskrieges – zusammen mit dem Leid der Millionen von Flüchtlingen und

vertriebenen Deutschen (auf interalliierten Befehl der Siegermächte – Potsdam 1945! –

geschehen). Ein großer Teil der Bevölkerung hatte diese Gebiete aus Furcht vor der

russischen Front verlassen und war nach dem Westen geflüchtet. Für unser Vaterland, das

aus dem Massenmorden nicht als Siegerstaat, sondern bis zum äußersten geschwächt

hervorging, ist es eine Existenzfrage (keine Frage „größeren Lebensraumes!“). […] Wo

sollten sie auch damals hin, da ja das sogenannte Generalgouvernement zusammen mit der

Hauptstadt Warschau in Schutt und Trümmern lag.[…]

Seid uns wegen dieser Aufzählung dessen, was im letzten Abschnitt unserer tausend Jahre

geschehen ist, liebe deutsche Brüder, nicht gram! Es soll weniger eine Anklage als vielmehr

eine Rechtfertigung sein! Wir wissen sehr wohl, wie ganz große Teile der deutschen

Bevölkerung jahrelang unter übermenschlichem nationalsozialistischem Gewissensdruck

standen […]. […] Tausende von Deutschen teilten als Christen und Kommunisten in den

Konzentrationslagern das Los unserer polnischen Brüder…

Und trotz alledem, trotz dieser fast hoffnungslos mit Vergangenheit belasteten Lage, gerade

aus dieser Lage heraus, hochwürdige Brüder, rufen wir Ihnen zu: Versuchen wir zu

vergessen! Keine Polemik, kein weiterer kalter Krieg, aber der Anfang eines Dialogs […].

In diesem allerchristlichen und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände

zu Ihnen hin […], gewähren Vergebung und bitten um Vergebung. Und wenn Sie […] unsere

ausgestreckten Hände brüderlich erfassen, dann erst können wir wohl mit ruhigem Gewissen

in Polen auf ganz christliche Art unser Millennium feiern. Wir laden Sie dazu herzlichst nach

Polen ein. […]

Rom, 18. November 1965 Stefan Cardinalis Wyszyński

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5.3.2 Textausschnitte aus dem Artikel „Brückenschlag der Bischöfe“ (ZEIT Nr. 50,

10.12.1965)19

Brückenschlag der Bischöfe

Polen und Deutsche entdecken Gemeinsamkeiten

Eine Brücke über die Kluft, die seit zwei Jahrzehnten Deutschland und Polen trennt, ist im

Entstehen. Die Briefe der katholischen Bischöfe beider Länder lassen sie sichtbar werden.

Die polnischen Bischöfe hatten ihren deutschen Amtsbrüdern die Antwort nicht gerade leicht

gemacht. Den bewegenden Ruf zur Versöhnung und gegenseitigem Vergeben, der nun in

gleichem christlichen Geist erwidert wurde, hatten sie mit einer historischen, religiös-

nationalen Bilanz verbunden: Sie erwähnen viele Gemeinsamkeiten von Deutschen und Polen,

doch vor allem riefen sie die tausendjährige Leidensgeschichte Polens zum Zeugen an für das

„elementare Sicherheitsbedürfnis“ ihrer Nation.

Bei allem Verständnis für die deutschen Nöte, beharrten sie auf der Grenze an Oder und

Neiße, die sie als „Existenzfrage – nicht als Frage des Lebensraumes“ bezeichneten.

5.3.3 Textausschnitte aus dem Artikel „Gold für die Madonna“ (SPIEGEL Nr. 50,

08.12.1965)20

So kam es, daß nicht die Deutschen den Polen, sondern die Polen den Deutschen zuerst

verziehen.

Sie priesen zwar wiederum „die fast allgemeine polnische Denkart: polnisch ist zugleich

katholisch“, aber sie schickten auch erstmals ein Trostwort über die Oder: „Die polnische

Westgrenze ist, wie wir wohl verstehen, für Deutschland eine äußerst bittere Frucht des

letzten Massenvernichtungs-Krieges.“

19

Quelle: Stehle, Hansjakob (1965): Brückenschlag der Bischöfe. Polen und Deutsche entdecken

Gemeinsamkeiten. In: Zeit Online, http://www.zeit.de/1965/50/brueckenschlag-der-bischoefe (06.04.2015). 20

Quelle: Unbekanner Autor (1965): Gold für die Madonna. ODER-NEISSE-GRENZE. In: Der Spiegel Online,

http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/46275389 (06.04.2015).

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„Kulturdidaktische Modellbildung. Deutsch-polnische Erinnerungsorte im Fach Deutsch als Fremdsprache /

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Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy Brandts Kniefall

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Sie sprachen nicht mehr davon, daß die Polen ein historisches oder gar göttliches Recht

hätten, in Schlesien und Pommern zu wohnen, sie fragten schlicht: „Wo sollten sie (die

polnischen Flüchtlinge aus den von Moskau annektierten Ostgebieten) auch damals hin?“

5.3.4 Textausschnitte aus Heller, Edith (1992): Macht – Kirche – Politik. Der Briefwechsel

zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen im Jahre 196521

Gomułka bläst zum Angriff: Der Staatsapparat erprobt seine Kraft

Die Gelegenheit schien günstig, jetzt die Kirche genau an jenem Punkt anzugreifen, wo sie

bisher am unverwundbarsten schien: dem der nationalen Zuverlässigkeit.

Zeitweilig wurde den Bischöfen sogar unterstellt, die Oder-Neiße-Grenze zur Diskussion

gestellt zu haben.

Man fragte nach der Legitimation der Bischöfe zu einem solchen Schritt – noch dazu

gegenüber Unbußfertigen, die vorher gar nicht um Verzeihung gebeten hatten.

In pathetisch-anklagendem Ton wurden einzelne Zitate und Zitatfragmente des Briefes, oft

aus dem Zusammenhang gerissen und fehlerhaft übersetzt, zu einer Aussage verdichtet, die es

in dieser Form nie gegeben hatte.

Die Argumentationslinie der Bischöfe wurde nachgezeichnet vom Mitleid mit den Umsiedlern

über die eigene Rechtfertigung bis hin zum Gipfel – der Bitte um Verzeihung.

Forderung, die deutschen Bischöfe sollten nicht in Prunkgewändern, sondern im Büßerhemd

nach Polen kommen, zu Allerseelen oder zum Jahrestag des Kriegsausbruchs und bei einer

Messe auf dem Warschauer Soldatenfriedhof, im Gestapo-Gefängnis, auf den Stufen des

Krematoriums in Ausschwitz oder der Seifenfabrik in Stutthof einem polnischen Priester

assistieren.

21

Quelle: Heller, Edith (1992): Macht – Kirche – Politik. Der Briefwechsel zwischen den polnischen und

deutschen Bischöfen im Jahre 1965. Köln: Treffpunkt. 140-155.

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5.4 Einsprachige Worterklärungen zum Auszug aus dem Brief der polnischen Bischöfe für

Aufgabe B222

1. Das Konzil – Versammlung von Bischöfen zum Zwecke der Erörterung und Entscheidung

theologischer und kirchlicher Fragen.

2. Christi – Kurzform für Jesus Christus; Urheber und zentrale Gestalt des Christentums.

3. Der Euphemismus – beschönigende, verhüllende, mildernde Umschreibung für ein

anstößiges oder unangenehmes Wort.

4. Das Konzentrationslager – (zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft) Lager, in dem

Gegner des nationalsozialistischen Regimes sowie Angehörige der als minderwertig

erachteten Völker und andere nicht erwünschte Personengruppen in grausamer Weise

unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten und in großer Zahl ermordet

wurden.

5. Der Schlot – der Fabrikschornstein.

6. Das Krematorium – Anlage für Feuerbestattungen, die in Konzentrationslagern zur

Verbrennung unzähliger Opfer diente, die während des Nazi-Regimes ums Leben kamen.

7. Die Okkupation – (militärische) Besetzung fremden Gebiets.

8. Gram – hier: böse, aufgebracht, empört, entrüstet, erbittert, erbost.

9. Das Los – hier: das Schicksal.

10. Die Polemik – scharfer, oft persönlicher Angriff ohne sachliche Argumente.

5.5 Auszug aus dem Antwortbrief der deutschen Bischöfe23

. Materialien zu Aufgabe C1

inklusive Lesehilfen.

Hochwürdige Mitbrüder im bischöflichen Amt!

Mit Bewegung und Freude haben wir Ihre Botschaft vom 18. November dieses Jahres und

Ihre freundliche Einladung zur Tausendjahrfeier […] empfangen. Wir betrachten es als eine

kostbare Frucht unserer gemeinsamen Konzilsarbeit, daß Sie dieses Wort an uns richten

konnten. Dankbar greifen wir es auf und hoffen, den begonnenen Dialog in Polen und in

22

Vgl. Angaben unter http://www.duden.de/ (06.04.15). 23

Quelle: Verlagsredaktion (1967): Deutsch-polnischer Dialog. Briefe der polnischen und deutschen Bischöfe

und internationale Stellungnahmen. Bonn [u.a.]: Edition Atlantic-Forum, 21-26.

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Deutschland miteinander fortsetzen zu können. Mit Gottes Hilfe wird dieses Gespräch die

Brüderlichkeit zwischen dem polnischen und dem deutschen Volk fördern und festigen. […]

Furchtbares ist von Deutschen und im Namen des deutschen Volkes dem polnischen Volke

angetan worden. Wir wissen, daß wir Folgen des Krieges tragen müssen, die auch für unser

Land schwer sind. Wir verstehen, daß die Zeit der deutschen Besatzung eine brennende

Wunde hinterlassen hat, die auch bei gutem Willen nur schwer heilt. Um so mehr sind wir

dankbar, daß Sie angesichts dieser Tatsache mit wahrhaft christlicher Großmut anerkennen,

wie in der Zeit des Nationalsozialismus auch ein großer Teil der deutschen Bevölkerung unter

schwerem Gewissensdruck gestanden hat. […] Wir sind dankbar, daß Sie neben dem

unermesslichen Leid des polnischen Volkes auch des harten Loses der Millionen vertriebener

Deutscher und Flüchtlinge gedenken.

Eine Aufrechnung von Schuld und Unrecht – darin sind wir einer Meinung – kann uns freilich

nicht weiterhelfen. […] So bitten auch wir zu vergessen, ja, wir bitten zu verzeihen. Die Bitte

um Verzeihung ist ein Anruf an jeden, dem Unrecht geschah, dieses Unrecht mit den

barmherzigen Augen Gottes zu sehen und einen neuen Anfang zuzulassen.

Dieser Anfang ist besonders belastet durch die bitteren Folgen des von Deutschland

begonnenen und verlorenen Krieges. Millionen von Polen mußten aus dem Osten in die ihnen

zugewiesenen Gebiete übersiedeln. Wir wissen wohl, was darum diese Gebiete für das

heutige Polen bedeuten. Aber auch Millionen Deutscher mußten ihre Heimat verlassen, in der

ihre Väter und Vorfahren lebten. […] Christliche Liebe versucht, sich jeweils in die Sorgen

und Nöte des anderen hineinzuversetzen und so Spannungen und Grenzen zu überwinden. Sie

will den Ungeist des Hasses, der Feindschaft und des Revanchismus ausmerzen. So wird die

dazu beitragen daß alle unseligen Folgen des Krieges in einer nach allen Seiten

befriedigenden Lösung überwunden werden. Sie dürfen überzeugt sein, daß kein deutscher

Bischof etwas anderes will und jemals etwas anderes fördern wird als das brüderliche

Verhältnis beider Völker in voller Aufrichtigkeit und ehrlichem Dialog. […]Wir wollen alles

tun, daß diese Verbindung nicht mehr abreißt. […] Alle Schritte, die diesem Ziel dienen

können, werden wir von Herzen begrüßen. […]

Am Schluß Ihres Schreibens stehen die kostbaren Worte, die für unsere Völker eine neue

Zukunft eröffnen können: „Wir strecken unsere Hände zu Ihnen hin […], gewähren

Vergebung und bitten um Vergebung.“ Mit brüderlicher Ehrfurcht ergreifen wir die

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dargebotenen Hände. Der Gott des Friedens gewähre uns […], daß niemals wieder der

Ungeist des Hasses unsere Hände trenne!

Rom, 5. Dezember 1965

1. würdig – würdevoll, es wert sein.

2. bischöflich (Adjektiv ) – ein Bischof: oberster geistlicher Würdenträger eines bestimmten

kirchlichen Gebietes.

3. etw./jdn. als etwas betrachten – etw./jdn. für etwas halten.

4. gemeinsam –zusammen, miteinander.

5. das Wort an jemanden richten – jemanden ansprechen.

6. greifen – in die Hand nehmen, fassen.

7. fortsetzen – weitermachen, andauern.

8. die Brüderlichkeit – brüderliche Gesinnung, Einigkeit, Eintracht.

9. fördern – unterstützen, verstärken.

10. festigen – stärken, kräftigen; fester, widerstandsfähiger machen, stabilisieren.

11. furchtbar – katastrophal, schrecklich.

12. jmd. etw. antun – jmdm. Leid zufügen.

13. die Folge – die Auswirkung.

14. die Besatzung – die Fremdherrschaft.

15. brennend – hier: schmerzhaft.

16. die Wunde – durch Verletzung oder Operation entstandene offene Stelle in der Haut.

17. hinterlassen – zurücklassen.

18. dankbar – hier: voller Dank.

19. wahrhaft – echt, wirklich.

20. anerkennen – akzeptieren.

21. die Bevölkerung – Gesamtheit der Bewohner und Bewohnerinnen einer Stadt/eines

Landes.

22. der Flüchtling – Person, die aus politischen, religiösen, wirtschaftlichen oder ethnischen

Gründen ihre Heimat eilig verlassen hat oder verlassen musste und dabei ihren Besitz

zurückgelassen hat.

23. barmherzig – mitfühlend gegenüber Notleidenden.

24. bitter – hier: schmerzlich; als verletzend, kränkend empfunden.

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25. das Gebiet – hier: die Region.

26. übersiedeln – seinen Wohnsitz an einen anderen Ort verlegen.

27. die Heimat – hier: das Herkunftsland.

28. sich in jmd. Hineinversetzen – sich in jmd. Hineindenken.

29. überwinden – bewältigen, meistern.

30. der Ungeist – hier: negative Gefühle.

31. ausmerzen – ausrotten, beseitigen.

32. beitragen – mittun, mitarbeiten.

33. befriedigend – den Erwartungen, den Ansprüchen an die Qualität weitgehend

entsprechend.

34. überzeugt sein – versichert sein.

35. das Verhältnis – die Beziehung.

36. die Aufrichtigkeit – die Ehrlichkeit, Herzlichkeit.

37. abreißen – (ab)trennen.

38. ergreifen – fassen.

5.6 Textmaterial und Lesehilfen für Aufgabe C2

5.6.1 Essayauszug zum Kniefall Willy Brandts24

[…] In der Tat spielt der Kniefall Willy Brandts heute im deutschen Erinnerungshaushalt eine

wichtige Rolle, sein Bild zählt zu den bekanntesten Fotos in der Geschichte der

Bundesrepublik. Dennoch stellen sich, ausgehend von dem hier angeführten Zitat, zwei

Fragen: Wurde der Kniefall tatsächlich „sofort“ zu einem Erinnerungsort? Und was wird

heute mit dem Kürzel „Kniefall“ und dem Bild des Kniefalls verbunden?

Eine Analyse der zeitgenössischen Reaktionen auf den Kniefall zeigt, dass dieser im Jahre

1970 zunächst nur von einem kleinen Teil der bundesdeutschen Bevölkerung als

herausragendes und nachhaltiges Ereignis wahrgenommen wurde. […] Auch wurde der

Kniefall in Zeitungsartikeln mehr oder weniger ausführlich beschrieben, aus der

24

Quelle: Felsch, Corinna; Latkowska, Magdalena (2012): Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy Brandts

Kniefall. In: Traba, Robert; Hahn, Hans Henning (Hrsg.), Deutsch-polnische Erinnerungsorte. Parallelen. Bd.3,

Paderborn [u.a.], Ferdinand Schöningh, 405-410.

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Berichterstattung geht aber deutlich hervor, dass er für die Journalisten nur eine – wenn auch

spektakuläre – Nebenerscheinung der im Zentrum der Aufmerksamkeit stehenden

Unterzeichnung des sogenannten Warschauer Vertrags war. (S. 405)

[…] Verfolgt man nun in Fünf-Jahres-Schritten die Berichterstattung der

bundesrepublikanischen Presse zum Jahrestag der Vertragsunterzeichnung wie des Kniefalls,

so lässt sich mit der Zeit eine deutliche Akzentverschiebung beobachten. Während zunächst

nur an die Vertragsunterzeichnung erinnert wurde, wurde in den 1980er Jahren allmählich

auch die Erinnerung an den Kniefall in die Berichterstattung aufgenommen. Zum 30.

Jahrestag im Jahre 2000 erinnerte die Presse schließlich ausführlich an den Kniefall als das

zentrale Ereignis des 7. Dezember 1970, während sie die Vertragsunterzeichnung nunmehr

beinahe am Rande erwähnte. […] Diese Entwicklung in der Berichterstattung und den

Schulbüchern verdeutlicht die Veränderung der Wahrnehmung des Kniefalls von einer

zunächst umstrittenen Handlung Willy Brandts zu einer der großen symbolischen Gesten in

der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Im Jahre 1970 waren sich die Deutschen

nämlich noch keineswegs einig, wie der Kniefall zu bewerten sei. (S. 406)

[…] So wird der Kniefall mittlerweile als Ausdruck einer Anerkennung der deutschen Schuld

und als eine Geste der Entschuldigung gegenüber Polen verstanden. (S. 407)

[…] So wurde der Kniefall mit den Jahren mit einer enormen Symbolkraft aufgeladen, und

gerade in Bezug auf den Umgang mit der deutschen Vergangenheit für viele Deutsche zu

einem identitätsstiftenden Moment. (S. 408)

[…] Allgemein wird der Kniefall heute als Meilenstein der deutsch-polnischen Versöhnung

wahrgenommen. (S. 410)

5.6.2 Essayauszug zum Brief der (polnischen) Bischöfe25

Die gesellschaftliche Reaktion auf die Botschaft der Bischöfe in Polen und in Deutschland hat

Władysław Bartoszewski treffend zusammengefasst, als er feststellte, dass der Brief einerseits

eine Initiative gewesen sei, die „über die moralische Reife der polnischen Katholiken weit

25

Quelle: Felsch, Corinna; Latkowska, Magdalena (2012): Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy Brandts

Kniefall. In: Traba, Robert; Hahn, Hans Henning (Hrsg.), Deutsch-polnische Erinnerungsorte. Parallelen. Bd.3

Paderborn [u.a.], Ferdinand Schöningh, 396-405.

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hinaus“ ging, und dass andererseits die Reaktion auf den Brief „den moralischen Reifegrad

der deutschen Katholiken“ widerspiegelt habe. […]

Die mit der Botschaft der Bischöfe verbunden Emotionen hatten sich damals bereits

abgekühlt, während es jedoch noch an der notwendigen Distanz fehlte um ihn objektiv

bewerten zu können. Es musste somit erst genügend Zeit vergehen, vor allem bedurfte es

einiger Veränderungen einerseits in der politisch-staatlichen und anderseits in der geistig-

gesellschaftlichen Sphäre. [...]

Mit Sicherheit trug auch eine solche Autorität wie Papst-Johanes Paul II. dazu bei, dass sich

die Einstellung gegenüber dem Brief schrittweise veränderte. [...] hatte der Papst, damals

noch Erzbischof von Krakau, die Meinung geäußert, dass die Medien ein schiefes Bild des

Briefwechsels zeichnen würden. Zudem hatte er betont, dass es nötig sei, den Brief genau und

vollständig zu lesen, bevor man ein Urteil über ihn fällen könne. Er hatte erklärt, dass die

Worte „wir vergeben und bitten um Vergebung“ erstens eine Sache des Taktgefühls gewesen

seien und dass sie es zweitens den Deutschen hatten erleichtern sollen, sich zu ihren Sünden

zu bekennen. [...]

In den 1990er Jahren fiel somit die Bewertung des Briefes positiv aus, aber gleichzeitig war

sie doch noch weit entfernt von dem späteren Pathos. Während die einen weiterhin an den

zeitgenössischen Kontext und die damaligen Auseinandersetzungen erinnerten, hatten andere

den Eindruck, dass diese Kontroversen bereits vergessen seien. Manche hielten auch der

deutschen Seite vor, damals nicht bereit gewesen zu seien, die Herausforderung anzunehmen.

Charakteristisch für die 1990er Jahre waren auch die Bezüge zur aktuellen Politik, speziell

die Kritik an gegenwärtigen Politikern und den für den aktuellen Stand der Beziehungen

verantwortlichen Kreisen, dass diese nicht bereit seien, sich zu einer Geste durchzuringen,

wie es die Bischöfe im Jahre 1965 getan hatten. So setzte sich trotz einer nicht bestehenden

gewissen Distanz die positive Erinnerung durch. Der Brief wurde als wichtige politische

Wende in den deutsch-polnischen Beziehungen angesehen. [...]

Tatsächlich kann man den Brief in seinem zeitlichen Kontext nur schwer als Erfolg

bezeichnen, man spricht vielmehr im Gegenteil von einem vorläufigen Fiasko der Initiative

der polnischen Bischöfe. […]

Der Kampf um die Seelen zwischen der Kirche und dem Regime war von Anfang an ein

Kampf um das Gedächtnis. Den Machthabern war daran gelegen, dass die Gesellschaft den

Brief als eine Kompromittierung der Kirche ansieht. Damit wollten sie auch antideutsche

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Ressentiments wieder beleben. Zunächst schien dieses Vorhaben auch Erfolg versprechend.

Es wurde ein Propagandafeldzug gestartet, mit dessen Hilfe man eine Verurteilung des

Briefes auch durch die katholischen Verbände und die Pfarrer erreichen sollte. [...]

Ziel war es, die Pfarrer davon zu überzeugen, dass der Brief im Widerspruch zur polnischen

Staatsraison stehe. Als Ergebnis der Gespräche wurde festgehalten, dass 53% der Pfarrer

den Brief kritisch bewertet, 22% ihn positiv eingeschätzt und 25% sich ausweichend geäußert

hätten. Dadurch wollten die Machthaber zeigen, dass der Brief der Bischöfe selbst

innerkirchlich nicht auf Akzeptanz stieß. [...]

In den folgenden zwanzig Jahren wurde die Botschaft der Bischöfe beschwiegen. Weder in

der Presse noch in den Schulbüchern, weder in Filmen noch auf wissenschaftlichen

Konferenzen wurde dieses Thema berührt. Die offizielle Presse veröffentlichte keinen

Jubiläumsartikel, weder zum fünften noch zum zehnten und auch nicht zum 15ten Jahrestag

des Briefes.[...] Einen Höhepunkt erreichte die Erinnerung an den Brief der Bischöfe im

Jahre 2005, also zum 40. Jahrestag. Er wurde zudem zum ersten Mal materiell, nämlich in

Form von Denkmälern, verewigt. […] Die Botschaft der Bischöfe und ihre feierliche Symbolik

sind somit weiterhin im polnischen Erinnerungshaushalt lebendig und werden immer öfter zu

Anknüpfungspunkten für weitere Gesten der Versöhnung, zwar nicht von Politikern aber auch

durch Vertreter der Kirche.

5.6.3 Lesehilfen zu den Essayauszügen

1. Erinnerungshaushalt – die Art und Weise, wie man sich an etwas erinnert.

2. herausragend – besonders, auffallend, weit über dem Durchschnitt liegend.

3. nachhaltig – über eine längere Zeit anhaltende Wirkung (vor allem im Bereich der

Ökologie benutzt).

4. umstritten – zweifelhaft, unklar, fraglich.

5. etw. ist mit einer enormen Kraft aufgeladen – etwas ist von besonderer Wichtigkeit.

6. ein identitätsstiftender Moment – ein Moment, der Identität schafft/ bewirkt.

7. Meilenstein – Wendepunkt, wichtiger Schritt.

8. etw. hat sich abgekühlt – etwas verliert an Intensität.

9. ein Urteil fällen – eine Entscheidung treffen.

10. Taktgefühl – Feingefühl, Fingerspitzengefühl.

11. eine Herausforderung annehmen – mit einer schwierigen Aufgabe beginnen.

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12. sich zu etwas durchringen – nach langem Überlegen etwas machen.

13. Machthaber – Herrscher.

14. Kompromittierung – Blamage, Schande.

15. Propagandafeldzug – eine Kampagne zum Zweck der Propaganda.

16. auf Akzeptanz stoßen – akzeptiert werden.

17. ein Thema berühren – etwas kurz erwähnen.

18. Anknüpfungspunkt – Hinweis, Zeichen, Anhaltspunkt.

5.7 Cartoon „100 Jahre Willy Brandt“ von Marian Kamensky (05.11.2013)26

zu Aufgabe C3

5.8 Wortschatzhilfen zur Beschreibung und Interpretation von Bildern

Beschreibung von Bildern:

Im Vordergrund / Hintergrund befindet sich …

Auf der rechten / linken Seite ist / sind …

Vorne rechts / hinten links steht / stehen …

Oben / Unten / In der Mitte ist / sind / gibt es …

Auf dem Foto wird / werden … dargestellt.

Die Szene spielt sich … ab.

26

Kamensky, Marian (2013): 100 Jahre Willy Brandt. Aus:

http://www.toonpool.com/cartoons/100%20Jahre%20Willy%20Brandt_211546 (06.04.2015).

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Beschreibung von Personen:

Der Mann auf dem Foto ist ungefähr…Jahre alt.

Seine Haare sind….

Er sieht alt / jung / müde / fröhlich / ernst … aus.

Er trägt …

Die Menschen auf dem Foto spielen Fußball / spazieren / …

Sie sind sportlich / elegant / bunt bekleidet.

Interpretation:

Ich vermute, dass…

Ich habe den Eindruck / das Gefühl, dass…

Das Foto zeigt wahrscheinlich / vermutlich eine Situation aus (+ Dat.) …

Meines Erachtens …

Meiner Meinung / Ansicht / Auffassung nach …

Die auf dem Foto dargestellte Person ist wahrscheinlich…

Die Person scheint … zu sein.

Adjektive:

mitfühlend, höflich, interessant, vernünftig, ausgeglichen, großzugig, respektvoll,

rücksichtsvoll, sensibel, taktvoll, verantwortungsbewusst, anspruchsvoll, verzweifelt, ethisch,

idealistisch, ernst, zufrieden, begeistert, …

5.9 Textmaterial und Lesehilfen zu Aufgabe C4

5.9.1 Artikel „Willy Brandts Kniefall bis heute umstritten“ (Osnabrücker Zeitung Online,

06.12.2010)27

Politiker und Wissenschaftler sehen den Kniefall bis heute nicht nur als symbolische Geste

an, im Gegenteil: Brandt sorgte auf diese Weise für einen großen Schritt bei der Annäherung

27

Unbekannter Autor (2010): Willy Brands Kniefall bis heute umstritten. In: Osnabrücker Zeitung Online,

http://www.noz.de/archiv/vermischtes/artikel/374271/willy-brandts-kniefall-bis-heute-umstritten (06.04.2015).

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der Bundesrepublik und Polens. Gleichwohl fand der Kniefall in den polnischen Medien

wenig Widerhall. Und bis heute ist die Bedeutung in Polen nicht unumstritten.

Der Durchschnittspole an der Ostseeküste verbindet mit dem Dezember 1970 in erster Linie

die blutigen Unruhen in Danzig, Gdingen und Stettin. Ausgelöst durch drastische

Preiserhöhungen für Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs, zeigten sich die

Arbeiter der Küstenregion streitbar und gingen auf die Straße. Zwischen dem 14. und 22.

Dezember stand das öffentliche Leben kopf. „Nach einem massiven Einsatz von Polizei und

Militär sind damals offiziell 45 Menschen ums Leben gekommen, inoffiziell wahrscheinlich

doppelt so viele. Rund 1000 Beteiligte wurden verletzt“, sagt Zbyszek Mrozek. Er wohnt in

Gdynia (Gdingen) und hat die Unruhen als 18-Jähriger erlebt. Sie haben sich tief in seine

Erinnerung eingebrannt. Doch von Brandts Kniefall bekam er nichts mit.

Aber auch die Polen, die sich für Politik interessierten, wie der heutige Politikwissenschaftler

Bogdan Chrzanowski von der Uni Danzig gehörten eher zu den Kniefall-Unwissenden. Er

macht dafür unter anderem die herrschende Pressezensur verantwortlich. Die „Dziennik

Telewizyjny“, wie die Hauptnachrichtensendung des polnischen Fernsehens damals hieß,

habe über Brandts Kniefall nur ein kurzes Stück gebracht, so Chrzanowski. Genauso

verhielten sich die Zeitungen: Der Kanzler war nur eine Randnotiz.

Es gab jedoch auch Aktive, die die Bedeutung des Brandt-Besuchs und seiner Geste anders

einschätzten. Dazu gehört der Historiker und Publizist Piotr Szubarczyk. Er arbeitet für das

Institut für Nationales Gedenken (IPN). Es ist vergleichbar mit der Behörde der

Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen

DDR, kurz Birthler- oder Gauck-Behörde. Szubarczyk publizierte bereits zum Zeitpunkt des

Brandt-Besuchs einen Pressespiegel. Dass der Kniefall nicht allzu groß herausgestellt wurde,

kommt nach Überzeugung von Szubarczyk nicht von ungefähr: Der „Prager Frühling“ lag

gerade zwei Jahre zurück, und die polnischen Machthaber befürchteten negative Folgen für

das ohnehin schon unruhige Polen.

In dieser Situation spielte – wie immer in der jüngeren polnischen Geschichte – die

katholische Kirche eine ebenso wichtige Rolle wie die Kommunistische Partei. Doch im

Gegensatz zu den Lenin-Jüngern maßen die Geistlichen dem Brandt-Kniefall eine ganz

andere Bedeutung zu. „Er wurde als eine gewaltige Geste angesehen. Es war ein Schock, weil

Brandt vor dem Denkmal der jüdischen Opfer kniete und nicht vor dem für alle polnischen

Opfer“, sagt der Danziger Politikwissenschaftler Chrzanowski. „Tatsächlich war es aber das

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polnische Protokoll, das arrangiert hatte, dass Willy Brandt nach dem Grabmal des

Unbekannten Soldaten das Getto-Denkmal besuchte“, so der Professor.

Seinem Kollegen Szubarczyk fällt es heute schwer, den Warschauer Kniefall als spontanen

Akt zu bezeichnen. Der Publizist spricht gar davon, dass die, die es glaubten, „naiv“ seien.

Szubarczyk: „Er war ein erfahrener Politiker.“ Vor diesem Hintergrund habe Brandt das

„sicherlich gut durchgedacht“. Für Szubarczyk hatte die deutsch-polnische Annäherung

bereits viel eher begonnen. So hatten die polnischen Bischöfe ihre deutschen Amtsbrüder in

einem Hirtenbrief im November 1965 zu den Feiern zum 1000. Jahrestag der

Christianisierung Polens eingeladen. In ihrem Hirtenbrief gingen die Polen auch auf die

Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und der Vertreibung der Deutschen ein. Darin findet sich

der berühmte Satz „Wir vergeben und bitten um Vergebung!“

5.9.2 Artikel „Am siebten Dezember 1970 – Ein Kniefall macht Geschichte...“ (Neue

Rundschau, 12/2010)28

[…] Große Gesten sagen oft mehr als tausend Worte. Aber sie können auch

erklärungsbedürftig sein. So verhält es sich bis heute mit Willy Brandts Kniefall von

Warschau […]. Das Bild ist im kollektiven Gedächtnis verankert wie nur wenige des

vergangenen Jahrhunderts. Bundespräsident Christian Wulff reist aus diesem Anlass nach

Polen. Fragen sind geblieben: War die Demutsgeste Brandts am 7. Dezember 1970 geplante

Inszenierung? Spontaner Akt? Und an wen richtete sie sich?

Willy Brandt schildert im Nachhinein das Geschehen zwar als „zwar hoch emotional,

zugleich aber ein eher schlichter Vorgang: Am Abgrund der deutschen Geschichte“, erinnert

sich Brandt später, „und unter der Last von Millionen Ermordeter tat ich das, was Menschen

tun, wenn die Sprache versagt.“ Und so sinkt der deutsche Regierungschef vor dem Denkmal

für die im Warschauer Ghetto von den Nazis ermordeten Juden auf die Knie. Die

Delegationsmitglieder sind verblüfft, vielen stockt der Atem. Selbst Journalisten verstummen.

Selten wirkte eine Geste dermaßen stark, urteilt Egon Bahr, schon damals ein erfahrener

Politprofi und enger Vertrauter Brandts. […]

28

Unbekannter Autor (2010): Am siebten Dezember 1970 – Ein Kniefall macht Geschichte... In: Neue

Rundschau, https://rundschau-hd.de/2010/12/am-siebten-dezember-1970-ein-kniefall-macht-geschichte/

(06.04.2015).

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„Kulturdidaktische Modellbildung. Deutsch-polnische Erinnerungsorte im Fach Deutsch als Fremdsprache /

Nowe modele w dydaktyce kultury. Polsko-niemieckie miejsca pamięci“

Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy Brandts Kniefall

© Tomasz Dziura, FU Berlin / Nadia Fischer, Universität Göttingen / Veronika Hanulova, FU Berlin / Klaudia

Kozieł, Universität Łódź

Manche Polen glauben, ihr eigenes Leid werde vernachlässigt

Der Vertrag soll nach all dem Leid, das der von den Deutschen entfesselte Weltkrieg über die

Menschen gebracht hat, die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen vorantreiben. Er

bestätigt auch die Oder-Neiße-Grenze, obgleich die endgültige Regelung einem

Friedensvertrag vorbehalten bleibt.

In Polen regt sich Enttäuschung über diese Einschränkung. Vor allem aber empört der 9)

Passus viele deutsche Vertriebene und die ihnen verbundene konservative Opposition. Doch

trotz der Widerstände in beiden Ländern unterzeichnen Brandt und der polnische

Ministerpräsident Josef Cyrankiewitsch das Papier an jenem denkwürdigen 7. Dezember –

ein zweifellos mutiger Schritt. Nur ein Jahr später erhält Brandt den Friedensnobelpreis. Der

Kanzler habe „im Namen des deutschen Volkes die Hand zur Versöhnung zwischen alten

Feindländern ausgestreckt“, argumentiert das Nobelkomitee.

Zum Symbol dieser auf Verständigungspolitik wird der Kniefall. Allerdings ist Brandt vor

dem Mahnmal für die ermordeten Juden auf die Knie gesunken. Am Grab des Unbekannten

Soldaten dagegen hat er zuvor in einer eher alltäglichen Geste nur Blumen niedergelegt.

Manche Polen nehmen dies bis heute wahr. Sie sehen ihr eigenes Leid in die zweite Reihe

gedrängt. Die Tatsache, dass nicht wenige Menschen im Westen die Revolte im jüdischen

Ghetto von 1943 mit dem Warschauer Aufstand der polnischen Untergrundarmee 1944

verwechseln, tut ein Übriges. Blumen für die einen, ein Kniefall für die anderen: Sind die

Gesten Zufall oder Absicht?

Brandt weist später die These einer bewussten Inszenierung zurück: „Ich hatte nichts geplant,

aber ich hatte das Gefühl, die Besonderheit des Gedenkens am Ghetto-Mahnmal zum

Ausdruck bringen zu müssen.“ Für den Friedenspolitiker sind der Holocaust und Hitlers

Vernichtungskrieg in Osteuropa selbstverständlich nicht ein und dasselbe, aber auch kaum zu

trennen. „Nirgends hatten die Menschen so gelitten wie in Polen“, schreibt Brandt später.

„Die maschinelle Vernichtung der Judenheit aber stellte eine Steigerung der 10)Mordlust

dar.“

Galt die Geste allen Opfern der Nazis?

Trotz dieser Differenzierung, die Brandt selbst betonte, stößt der konservative Münchner

Historiker Michael Wolfssohn mit seiner These, der Kniefall habe sich in erster Linie an

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Israel und die Juden gerichtet, auf breiten Widerspruch. Alt-Bundespräsident Richard von

Weizsäcker zum Beispiel sagt: „Die zentrale Frage war der Umgang mit den ehemaligen

Kriegsgegnern im Osten.“ So sehen es 1970 auch die meisten Bundesbürger, die sich genau

deshalb mehrheitlich skeptisch über den Kniefall äußern. Die Hälfte der Deutschen findet die

Geste damaligen Umfragen zufolge „übertrieben“.

Der polnische Intellektuelle Adam Krzeminski dagegen geht in seiner knappen Interpretation

noch weiter als Weizsäcker: „Der Kniefall galt allen Opfern des Nationalsozialismus.“

Tatsächlich hat Brandt selbst seine Geste „am Abgrund der deutschen Geschichte“ wohl so

verstanden. Und doch bleibt sie erklärungsbedürftig – bis heute.

5.9.3 Lesehilfen zu den Artikeln „Willy Brandts Kniefall bis heute umstritten“ und „Am

siebten Dezember 1970 – Ein Kniefall macht Geschichte...“

1. (die) Annäherung – Versuch der Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen.

2. einen Widerhall finden – sich für etwas aktiv interessieren.

3. kopfstehen – durcheinander, verwirrt sein.

4. sich tief in die Erinnerung einbrennen – sich jederzeit sehr gut an etwas erinnern können.

5. (die) Randnotiz – eine nicht besonders wichtige Anmerkung.

6. etw. ist erklärungsbedürftig – etwas benötigt eine Erklärung.

7. (die) Demutsgeste – eine Geste, die zeigt, dass jemanden etwas leid tut; man bereut die

vergangenen Taten.

8. (der) Abgrund – am Rande einer großen Klippe stehen.

9. (der) Passus – Abschnitt.

10. (die) Mordlust – heftiges Verlangen zum Töten.

5.9.4 Formulierungshilfen zur Grafikbeschreibung

- Aus dem Schaubild/ Diagramm geht hervor, dass …

- Der Tabelle lässt sich entnehmen, dass …

- Die Verteilung der Werte für die einzelnen Gruppen ist äußerst einheitlich/ uneinheitlich.

- Erklären lassen sich diese Zahlen möglicherweise mit …

- Es lässt sich eine deutliche Tendenz in Richtung … erkennen.

- Als Haupttendenz lässt sich feststellen, dass …

- Im Gegensatz/ Unterschied zu … liegt … deutlich höher / niedriger als …

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- Im Vergleich zu … ist die Zahl der … um …% höher / niedriger.

- Der Anteil der … ist geringer / höher als der bei …

6 Quellenverzeichnis

6.1 Printmedien

Assmann, Aleida (2013): Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention.

München: Beck.

Felsch, Corinna; Latkowska Magdalena (2012): Brief der (polnischen) Bischöfe und Willy

Brandts Kniefall. Verfrühte Helden? In: Hahn, Hans Henning; Traba, Robert (Hrsg.):

Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Band 3: Parallelen. Paderborn (u.a.): Schöningh, 396-

414.

Heller, Edith (1992): Macht – Kirche – Politik. Der Briefwechsel zwischen den polnischen

und deutschen Bischöfen im Jahre 1965. Köln: Treffpunkt.

Jacobsen, Hans Adolf; Tomala, Mieczysław (1992) (Hrsg.): Bonn Warschau 1945 – 1991.

Die deutsch-polnischen Beziehungen. Analyse und Dokumentation. Köln: Verlag

Wissenschaft und Politik.

Kerski, Basil (2001): Die Rolle nichtstaatlicher Akteure in den deutsch-polnischen

Beziehungen vor 1990. In: Eberwein, Wolf-Dieter; Kerski, Basil (Hrsg.), Die deutsch-

polnischen Beziehungen 1949 – 2000: eine Werte- und Interessengemeinschaft? Opladen:

Leske + Budrich, 75-112.

Kocka, Urte (2013): Erinnerung und Lernen. Geschichtsdidaktische Überlegungen. In: Hahn,

Hans Henning; Traba, Robert (Hrsg.): Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Bd. 4:

Reflexionen. Paderborn [u.a.]: Schöningh, 355-364.

Verlagsredaktion (1967): Deutsch-polnischer Dialog. Briefe der polnischen und deutschen

Bischöfe und internationale Stellungnahmen. Bonn [u.a.] : Edition Atlantic-Forum.

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© Tomasz Dziura, FU Berlin / Nadia Fischer, Universität Göttingen / Veronika Hanulova, FU Berlin / Klaudia

Kozieł, Universität Łódź

6.2 Online-Ressourcen

Duden Online: http://www.duden.de/ (06.04.2015).

Kamensky, Marian (2013): 100 Jahre Willy Brandt. Aus:

http://www.toonpool.com/cartoons/100%20Jahre%20Willy%20Brandt_211546

(06.04.2015).

Mix, Andreas (2013): Warschauer Ghetto: Der Tag, als sich Juden erstmals sichtbar wehrten.

In: Zeit Online, http://www.zeit.de/wissen/geschichte/2013-04/warschauer-ghetto-

aufstand-widerstand (31.03.2015).

Stehle, Hansjakob (1965): Brückenschlag der Bischöfe. Polen und Deutsche entdecken

Gemeinsamkeiten. In: Zeit Online, http://www.zeit.de/1965/50/brueckenschlag-der-

bischoefe (06.04.2015).

Unbekannter Autor (1965): Gold für die Madonna. ODER-NEISSE-GRENZE. In: Der

Spiegel Online, http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/46275389

(06.04.2015).

Unbekannter Autor (1970): Kniefall angemessen oder übertrieben? Spiegel-Umfrage über

Willy Brandts Totenehrung am Ehrenmahl im früheren Warschauer Getto. In: Der Spiegel.

51/1970, http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/43822427 (06.04.2015).

Unbekannter Autor (2010): Willy Brands Kniefall bis heute umstritten. In: Osnabrücker

Zeitung Online, http://www.noz.de/archiv/vermischtes/artikel/374271/willy-brandts-

kniefall-bis-heute-umstritten (06.04.2015).

Unbekannter Autor (2010): Am siebten Dezember 1970 – Ein Kniefall macht Geschichte... In:

Neue Rundschau, https://rundschau-hd.de/2010/12/am-siebten-dezember-1970-ein-

kniefall-macht-geschichte/ (06.04.2015).

http://unsere.de/kniefall.htm (06.04.2015).

http://de.wikipedia.org/wiki/Aufstand_im_Warschauer_Ghetto (31.03.2015).

https://www.youtube.com/watch?v=2rdiUDJYMwM (06.04.2015).