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Kerne, Hadronen und Elementarteilchen Fritz W. Bopp Eine kurze Einführung 2. Auflage

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Kerne, Hadronen und Elementarteilchen

Fritz W. Bopp

Eine kurze Einführung

2. Auflage

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Kerne, Hadronen und Elementarteilchen

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Fritz W. Bopp

Kerne, Hadronen undElementarteilchen

Eine kurze Einführung

2. Auflage

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Prof. Dr. Fritz W. BoppUniversität SiegenSiegen, Deutschland

ISBN 978-3-662-43666-0 ISBN 978-3-662-43667-7 (eBook)DOI 10.1007/978-3-662-43667-7

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Springer Spektrum© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1989, 2015Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nichtausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen unddie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be-rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne derWarenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermannbenutzt werden dürften.

Planung und Lektorat: Dr. Vera Spillner, Sabine BartelsRedaktion: Dr. Michael Zillgit

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.

Springer Spektrum ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe SpringerScience+Business Mediawww.springer-spektrum.de

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Vorwort

Eine der bedeutenden Entwicklungen in der Physik ist das zunehmende Verständnissubatomarer Phänomene. Die subatomare Physik gehört heute zu den kanonischenTeilen eines Physikstudiums. An vielen Hochschulen wird daher dazu eine einfüh-rende Vorlesung angeboten. Die erste Auflage entstand aus einem Skript zu solchenVorlesungen.

Die subatomare Physik hat sich seit der ersten Auflage deutlich verändert. Da ichdas Konzept des Buches nach wie vor für gut halte, habe ich mich zu einer neuenAuflage entschieden.

Viele Lehrbücher und Vorlesungen in Kern- und Teilchen-Physik versuchen,Studenten in eine bestimmte Richtung zu motivieren. Dies ist sicherlich in einemfortgeschrittenen Stadium des Studiums angebracht. Im Bachelor Bereich kann dieszu einer nicht ausreichend breiten Ausbildung führen, und das Buch versucht, dementgegenzuwirken.

Wie physikalische Phänomene zu beschreiben sind, hängt von der jeweils rele-vanten Energieskala ab. Im Buch wird für jede Skala eine knappe Einführung in diejeweils benötigte Beschreibung gegeben. Auf diese Weise wird Gleichmäßigkeiterreicht, und es wird vermieden, Gebieten falsche Prioritäten einzuräumen.

Die Liste der inzwischen erforderlichen Veränderungen ist lang, und ich möch-te hier nur einige Punkte anführen. Das Kapitel über Hochenergiebeschleunigerist veraltet, viele der damals geplanten Beschleuniger wurden nicht realisiert. Dierealisierten neuen Beschleuniger öffneten neue Regionen in der Hadronen- undSchwerionenphysik und viele neue Beobachtungen und Konzepte sind dazu anzu-führen.Wie Quarks sich zu Hadronen binden, ist heute besser verstanden und erfor-dert eine ausführlichere Diskussion. Erwähnt werden muss auch, dass der Anwen-dungsbereich der perturbativen Quantenchromodynamik in verschiedenen Richtun-gen mit neuen Methoden erweitert werden konnte.

Der eigentliche Anlass der Neuauflage ist der experimentelle Nachweis desHiggs-Teilchens, das natürlich nun ausführlich behandelt werden muss.

V

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VI Vorwort

Eine sorgfältige Überarbeitung der neuen Auflage führte zu einer sehr großenZahl von Korrekturen und kleineren Verbesserungen. Dabei muss ich mich für vielenützliche Hinweise und Anregungen bedanken. Da die Zahl über die Jahre zu großgeworden ist, kann ich dies nicht namentlich tun.

Siegen, März 2014 Fritz W. Bopp

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Der Autor

Prof. Dr. Fritz W. BoppGeboren 1945 in Hechingen, Studium an der Universität München, der Univer-sity of Arizona und der University of Illinois. Promotion 1973 an der Universityof Illinois. Wissenschaftliche Tätigkeit an den Universitäten Bielefeld und Siegen.Habilitation 1978 an der Universität Siegen. Seit 1983 Professor an der Universi-tät Siegen. Zahlreiche Forschungsaufenthalte an den Forschungszentren CERN inGenf, LAPP in Annecy und LPTHE in Orsay, und den Universitäten Leipzig undHouston (UH).

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Inhaltsverzeichnis

1 Gliederung nach der typischen Skala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

2 Einführung in die Kernphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72.1 Kurze historische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2.2.1 Zusammensetzung der Kerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.2.2 Geometrie der Kerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182.2.3 Kernmassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.2.4 Zwei-Nukleonen-Potenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2.3 Modelle der Kernstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282.3.1 Semi-empirische Beschreibung der Bindungsenergie von

Kernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292.3.2 Das Thomas-Fermi-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352.3.3 Das Schalenmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.3.4 Kurze Betrachtung der Kernmomente . . . . . . . . . . . . . 462.3.5 Kollektives Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512.3.6 Cluster- und ˛-Teilchen-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . 532.3.7 Möglichkeiten, Modelle an besonderen Kernen zu testen . . 55

2.4 Radioaktiver Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552.4.1 Mittlere Lebensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572.4.2 Das exponentielle Zerfallsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . 582.4.3 Einheiten für die Radioaktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . 602.4.4 Der �-Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622.4.5 Der ˇ-Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692.4.6 Der ˛-Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722.4.7 Zerfall durch Kernspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess . . . . . . . . . . . . . 822.5.1 Definition von Luminosität und Wirkungsquerschnitt . . . . 822.5.2 Streuamplitude und Partialwellenanalyse . . . . . . . . . . . 882.5.3 Das Optische Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 922.5.4 Die Struktur von Resonanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

IX

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X Inhaltsverzeichnis

2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion) . . . . . . . . . . . . . 952.6.1 Compound-Kern-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 952.6.2 Das Optische Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse . . . . . . . . . . . 1002.7.1 Konzepte der Kernspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1002.7.2 Konzepte der Fusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1052.7.3 Die Entstehung der Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

3 Einführung in die Hadronenphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1133.1 „Zoologie“ der Hadronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

3.1.1 Die Hadronen der Kernphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1133.1.2 Beschleuniger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1163.1.3 Pion-Nukleon-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1243.1.4 Hadronische Resonanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1273.1.5 Flavor-Quantenzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1303.1.6 Quantenzahlen diskreter Symmetrien . . . . . . . . . . . . . . 1343.1.7 Farbstruktur der Hadronlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1403.1.8 Mesonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1433.1.9 Baryonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1463.1.10 Tetraquarks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1483.1.11 Eigenschaften der Quark-Bindung . . . . . . . . . . . . . . . 148

3.2 Hadronische Streuvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1543.2.1 Regge-Pol-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1553.2.2 Topologische Betrachtungen und Pomeranchuk-Pol . . . . . 1683.2.3 Hochenergetische Teilchenproduktion (Teilchenstreuung) . 1743.2.4 Hochenergetische Teilchenproduktion (Schwerionenstreu-

ung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik . . . . . . . . . . . . 1934.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik . . . . . . . . . . . 194

4.1.1 Die Klein-Gordon-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1944.1.2 Die Dirac-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1964.1.3 Einige Fakten der relativistischen Störungsrechnung . . . . 1994.1.4 Ein zentraler Aspekt beim Pfadintegral . . . . . . . . . . . . . 2024.1.5 Feynman-Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2034.1.6 Elektron-Positron-Vernichtung in Myonen . . . . . . . . . . 2064.1.7 Wichtige Querschnitte in der QED . . . . . . . . . . . . . . . 210

4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik . . . . . . . . . . . . . . 2174.2.1 Die Farbstruktur der Quantenchromodynamik . . . . . . . . 2204.2.2 Die Annihilation von eCe� zu Quarks . . . . . . . . . . . . . 2244.2.3 Tiefinelastische Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2264.2.4 Drell-Yan-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2334.2.5 Hadronische Streuungen mit großen Transversalimpulsen . 2354.2.6 Quantenchromodynamik und „weiche“ Wechselwirkungen 236

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Inhaltsverzeichnis XI

5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen . . . . . . . . . . . . 2455.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

5.1.1 Grundlegende experimentelle Beobachtungen . . . . . . . . 2465.1.2 Die Wechselwirkung mit geladenen Strömen . . . . . . . . . 2475.1.3 Das neutrale Kaon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2535.1.4 CP-Verletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2555.1.5 Die Wechselwirkung mit neutralen Strömen . . . . . . . . . 258

5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2605.2.1 Das schwache Vektorboson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2605.2.2 Die Symmetriestruktur der elektroschwachen Wechselwir-

kung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2625.2.3 Der Nachweis der schwachen Vektorbosonen . . . . . . . . . 264

6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen . . . . . . . . . . . . . . . 2696.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen . . . . . . . . 269

6.1.1 Welche Felder werden mindestens benötigt? . . . . . . . . . 2696.1.2 Die spontane Symmetriebrechung des Higgs-Feldes . . . . 2716.1.3 Die Higgs-Massen der schwachen Vektormesonen . . . . . . 273

6.2 Die Entdeckung des Higgs-Bosons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2766.2.1 Der ATLAS-Detektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2766.2.2 Ein Beispiel für ein Higgs-Signal . . . . . . . . . . . . . . . . 278

6.3 Das Higgs-Boson und die Massen der Fermionen . . . . . . . . . . . 2796.4 Ausblick auf die Physik unterhalb der Higgs-Bosonen Masse-Skala 280

6.4.1 Was bestimmt die Massenskala des Higgs-Teilchens? . . . . 2816.4.2 Kann die Physik bei kleineren Skalen symmetrischer

werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

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1Gliederung nach der typischen Skala

Die Kern- und Elementarteilchenphysik umfasst ein recht umfangreiches Gebiet.Um es in einen geeigneten Zusammenhang zu stellen und zu untergliedern, begin-nen wir mit einer Art von allgemeiner Klassifikation aller physikalischen Phänome-ne. Diese universelle Einteilung soll nach der typischen Längenskala geschehen, inder die jeweiligen Effekte in Erscheinung treten. Je nach Längenskala, die für diebeobachteten Phänomene typisch ist, sind andere physikalische Gesetze relevant.Das klassische Beispiel hierfür ist das Verhalten eines Gases. Die im Zentimeterbe-reich auftretenden Phänomene werden hier durch die makroskopische Thermody-namik beschrieben, während im Ångströmbereich die mikroskopische Theorie derStreuung von Molekülen ihre Anwendung findet. Dass bei anderen Längenskalenandere Gesetze zum Tragen kommen, ist (mit wenigen Ausnahmen) typisch für allephysikalischen Phänomene. Es ermöglicht daher eine natürliche Klassifikation.

Um eine Skaleneinteilung universell anzuwenden, ohne von der Notation ab-gelenkt zu werden, benutzen wir für die augenblickliche Betrachtung die in derHochenergiephysik oft gebrauchte Konvention der sogenannten natürlichen Zeit-und Längen-einheiten, die sich aus den folgenden Definitionen ergeben:

Plancksche Konstante=2� D „ D 6;58 � 10�22MeV � s bD 1 ;Lichtgeschwindigkeit im Vakuum D c D 3 � 108m=s bD 1 :

Der Gebrauch der natürlichen Einheiten ist für praktische Rechnungen oft nichtvorteilhaft. Man kommt nicht umhin, sich die jeweils üblichen Bezeichnungen an-zueignen, weil es z. B. nicht sehr nützlich ist, zu wissen, wieviel .eV/2 Leistung einAuto hat. Wir werden daher in den Gebieten, in denen es in der Literatur üblich ist,auf das „ und das c nicht verzichten.

Die Konvention drückt die Zeit- und die Längeneinheit durch das Inverse derEnergieeinheit

1 eV D 1;6 � 10�19 J

1F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_1,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

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2 1 Gliederung nach der typischen Skala

aus. Sie ersetzt die in der Atom- und Kernphysik üblichen Längenskalen desÅngströms (0; 1 Nanometer) und des Femtometers („Fermi“)

1Å D 10�10m ;

1 fm D 10�15m ;

durch inverse Energieeinheiten

1Å bD .1;973 keV/�1 ;

1 fm bD .197;3MeV/�1 ;

wobei, wie wahrscheinlich gut bekannt, Zehnerpotenzen durch entsprechendeBuchstaben ausgedrückt werden:

keV D 103 eV ; MeV D 106 eV ; GeV D 109eV ;TeV D 1012 eV ; PeV D 1015 eV ; EeV D 1018 eV :

Die Einheiten werden meist einfach buchstabiert. Die vollen Namen sind

Kiloelektronenvolt ; Megaelektronenvolt ; Gigaelektronenvolt ;

Teraelektronenvolt ; Petaelektronenvolt ; Exaelektronenvolt :

Da das eV eine recht kleine Einheit ist, sind die Bezeichnungen für negative Zeh-nerpotenzen eigentlich nur für andere Maße, wie

mm D 10�3m ; �m D 10�6m ; nm D 10�9m ;

pm D 10�12m ; fm D 10�15m ; am D 10�18m ;

üblich. Ausgeschrieben sind die Namen

Millimeter ; Mikrometer ; Nanometer ;

Pikometer ; Femtometer ; Attometer :

Unsere Längenskala mit dieser Umrechnung auf die typischen Zeitspannen undauf die typischen Energien auszudehnen, ist physikalisch sinnvoll. Ein Objekt derGröße �x erfordert eine minimale Reaktionszeit

�t D �x=c ;

da die Information, dass eine Reaktion stattfindet, nicht schneller übertragenwerdenkann. Wegen der quantenmechanischen Unschärferelation

�t D „=�E

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1 Gliederung nach der typischen Skala 3

Physik des Kosmos seit dem Urknall10 MilliardenLichtjahre

Physik galaktischer ClusterMillionenLichtjahre

Physik der Galaxien104 Lichtjahre= 1020 m

Physik des Sonnensystems1012 m

Alltagsphysik1 m

Chemie10−6 m

Atomphysik1 A = 10−10m

Kernphysik1 fm = 10−15 m

Hadronenphysik1

1 GeV= 2 · 10−16 m

Leptonen- undPartonenphysik

1

10 GeV

Physik derschwachen Bosonenund des Higgs-Bosons

1

100 GeV

?

Abb. 1.1 Universelle Klassifikation

ist ein bestimmter Energiebereich – und damit ein gewisser Absolutwert der Ener-gie – notwendig, um entsprechend kurzzeitige oder lokale Effekte aufzulösen undwahrzunehmen. In der Praxis treten natürlich oft verschiedene Skalen auf, von de-nen allerdings in der Regel nur eine für den betrachteten Effekt relevant ist. Einfast stabiler Kern erfordert eine kleine Längen- und eine fast unendliche Zeitska-la. Solange die Zerfallszeit groß (oder gar unendlich) ist, ist für die Beschreibungder Kernstruktur die Längenskala, die in etwa der potenziellen Energie entspricht,typisch.

Nachdem wir mit der obigen Konvention eine universelle Skala eingeführt ha-ben, die es gestattet, die räumliche, zeitliche und energetische Situation von Vor-gängen zu berücksichtigen, können wir mit unserer universellen Klassifikation be-ginnen. Nehmen wir dazu eine enge, in etwa logarithmische Skala und zeichnen die

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4 1 Gliederung nach der typischen Skala

verschiedenen Gebiete an der entsprechenden Stelle ein. Objekte aus dem unmit-telbaren Umfeld des Menschen werden ihrer Größenordnung nach im Bereich vonDezimeter bis Meter anzuführen sein, was bei der Enge der Skala ausreichend prä-zise ist. Im makroskopischen Bereich bestimmt die beobachtete Längenausdehnungmeist die typische Skala, während im mikroskopischen Bereich die Position in derSkala durch die Energie festgelegt wird.

Hat man die wichtigsten Gebiete eingezeichnet, erhält man etwa eine Darstel-lung wie in Abb. 1.1. In der Abbildung sind aus grafischen Gründen die Abständein Richtung großer Längeneinheiten für eine logarithmische Skala etwas zu eng ge-zeichnet. Auch sind Kern- und Hadronenphysik etwas zu weit auseinander geraten.

Die Abbildung umfasst ein recht weites Gebiet. Die Skala erstreckt sich von denkleinsten zu den größten bekannten Dingen. Das Verständnis der Phänomene, diein der Zeichnung schematisch klassifiziert wurden, ist eine bedeutende kulturelleLeistung unseres Zeitalters [1]. Man ist dabei viele Stufen über die vergleichswei-se spekulativen oder definitorischen Vorstellungen der Antike und des Mittelaltershinausgekommen.

In die Abbildung sind nur Gebiete aufgenommen, von denen man annimmt, dasssie in ihren grundsätzlichen Gesetzmäßigkeiten bekannt sind. Es ist möglich, dassman mit den theoretischen Überlegungen an beiden Enden schon dicht an Gren-zen ist, die man nicht oder nur unter größten Schwierigkeiten überwinden kann.Verantwortlich für diese Schwierigkeiten ist die Gravitation.

Verlässt man die Skala in Richtung großer Abstände, wird man zu Phänomenenkommen, für die die von der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagte Krüm-mung des Raumes wichtig wird. Durch die Masse des Universums gibt es einenHorizont, der die prinzipiell zugängliche Information begrenzt.

Krümmungseffekte treten auch am anderen Ende bei sehr winzigen Abständenauf. Betrachten wir dazu zunächst das elektrodynamische Potenzial als Beispielfür eine typische Wechselwirkung ohne eigene Skala. In natürlichen Einheiten ent-spricht das Ladungsquadrat abgesehen von einem Faktor der dimensionslosen Fe-instrukturkonstanten (˛ D .e2/=.4�/ � 1=137). Als Dimensionsgrößen verbleibendamit in der Schrödinger-Gleichung der dimensionslosen Wellenfunktionm�3=2

�„2

d2

d.mr/

�2

� Z � e2

mjrj

!

m�3=2 � D E

m

m�3=2 �

nur m � r und E=m auf. Für „ D 1 müssen sie für gebundene Zustände jeweils vonder Größenordnung 1 sein. Die Faktoren selber können dabei beliebig variieren.

Das Gravitationspotenzial

Potenzielle Energie D G �m1 �m2=r

hat eine Singularität bei r D 0. Quantenmechanisch erfordert eine Lokalisierungmit dem typischen Radius r meist eineMasse der Ordnung 1=r , d. h. mit zunehmen-der Masse können die Teilchen dichter und dichter an die Singularität des Potenzials

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1 Gliederung nach der typischen Skala 5

herankommen. Insgesamt steigt das Gravitationspotenzial daher mit der dritten Po-tenz der Massen bzw. der Lokalisierung. Für sehr großeMassen wird die potenzielleEnergie des Gravitationspotenzials dieselbe Größenordnung wie die Massen haben.Berechnet man die Masse, für die dies exakt der Fall ist, so erhält man die Planck-Masse

mPlanck bD G�1=2 D 1;2 � 1028 eV :

Das Gebiet mit einer Längenskala, die dieser Planck-Masse entspricht, wird oftals eine Art „Schallmauer“ für das physikalische Verstehen angesehen, die nurschwer zu durchbrechen sein wird. Die Masse eines Zustands ist meist eng mitseiner Dynamik verknüpft. Im Gebiet der Planck-Masse sollte die Gravitation da-her eine mit der restlichen Dynamik vergleichbare Rolle spielen. Die Gravitation istmit einer inhomogenen Struktur des Raumes verknüpft; man erwartet ein kompli-ziertes Zusammenspiel von Teilchenfeldern und Raumstrukturen, das die üblichenBetrachtungsweisen unmöglich macht. Es ist nicht klar, ob diese „Schallmauer“wirklich völlig unüberwindbar ist. Es gibt Versuche in der Teilchenphysik und derKosmologie [2], selbstkonsistente Theorien für dieses Gebiet zu finden.

Die in gewissem Sinne prinzipiellen Grenzen der Gravitation sind noch nichterreicht. Betrachten wir die Situation am unteren Ende unserer Skala. Mit der soge-nannten Theorie der Großen Vereinheitlichung (englisch Grand Unification) gibtes recht naheliegende Extrapolationen bekannter Gebiete, die mit nur wenigen,relativ harmlosen konzeptuellen Schwierigkeiten zu einem grundsätzlichen Ver-ständnis beinahe bis in die Gegend der Planck-Masse führen würden. Unglückli-cherweise hat sich eine wichtige Vorhersage dieser Theorien, der Protonenzerfall,experimentell nicht bestätigt. Es kann sein, dass ein solcher Durchbruch mit einermodifizierten Theorie gelingt und dass die „Theory of Everything“ in den nächs-ten Jahrzehnten gefunden wird. Pessimisten sind allerdings der Ansicht, dass unsim Bereich der kleinen Abstände noch viele Überraschungen und neue Erkenntnis-se erwarten und dass es unwahrscheinlich ist, dass plötzlich Sprünge über beinahezwanzig Dekaden gelingen könnten. Nach ihrer Ansicht kann man wie bisher dannmit mehr oder weniger großem Aufwand Dekade um Dekade zu kürzeren Ab-ständen vordringen und dabei jeweils die Gültigkeit existierender Konzepte etwasausdehnen oder neuartige Gebiete der Physik erschließen. Dies ist kein unbedeuten-des Unterfangen. Da die kurzreichweitige Theorie die Grundlage für die wenigerkurzreichweitige Theorie darstellt, bedeutet dies, dass das Verständnis der Weltnach und nach in wirklich grundlegender Weise erweitert wird.

Dieses Buch soll in die Gebiete, die auf der Skala unterhalb der Atomphysikliegen, einführen, und die Gliederung des Stoffes folgt der Skaleneinteilung. UnsereReise in den Mikrokosmos wird daher mit der Kernphysik beginnen und uns dannzur Hochenergiephysik führen.

Der Kernphysik-Teil behandelt zunächst Eigenschaften, die für ruhende Kernerelevant sind, und betrachtet dann Streuvorgänge von Kernen. Er schließt mit einemAbschnitt über kernphysikalische Prozesse, die in anderem Zusammenhang wichtigsind.

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6 1 Gliederung nach der typischen Skala

Die Untergliederung der Teilchenphysik in drei Teile, in die Physik der Hadro-nen, in die Physik der Leptonen und Partonen und in die Physik der schwachen Bo-sonen, folgt wiederum der typischen Skala. Da die Elektrodynamik, die der Physikder Leptonen zugrundeliegt, über einen weiten Bereich gilt, ist es etwas schwie-rig, ihr eine Skala zuzuordnen. Der angegebene Skalenbereich ist so gewählt, dassdort ihre Wirkungsquerschnitte in Relation zu deren anderer Prozesse eine beson-ders große Rolle spielen. Jedes der drei Teilgebiete erfordert dann seine eigenenspezifischen Methoden.

Ähnlich wie in der Kernphysik bemüht man sich in der Hadronenphysik umeine globale, phänomenologische Beschreibung hadronischer Wechselwirkungen,die sich im Augenblick nicht aus einer mikroskopischen Theorie ableiten lässt. Einemikroskopische Beschreibung, d. h. eine Beschreibung aus der Physik der Partonen,ist nur in Randgebieten mit mehr oder weniger groben Approximationen möglich.

Die Physik der Leptonen und Partonen enthält die Effekte der „elektromagne-tischen Wechselwirkung“ und der „starken Wechselwirkung“, soweit diese analogzur elektromagnetischen Wechselwirkung behandelbar sind. Ihr liegen Quanten-feldtheorien mit masselosen Eichteilchen zugrunde. Außerhalb von engen kine-matischen Gebieten und abgesehen von gewissen theoretischen Problemen ist siestörungstheoretischen Methoden zugänglich. Allerdings sind die Rechnungen oftsehr kompliziert. Dieses Buch muss sich darauf beschränken, typische Methodenvorzustellen und die wichtigsten Ergebnisse anzuführen. Um dies zu tun, wird einbesonders einfaches Beispiel für eine solche Rechnung explizit vorgeführt.

Die Physik der schwachen Bosonen enthält die Effekte der sogenannten „schwa-chen Wechselwirkung“. Ihr liegt, wie wir im Abschn. 5.2 sehen werden, eine Quan-tenfeldtheorie mit massiven Eichteilchen zugrunde. Die Masse der Eichteilchenverändert die Situation recht drastisch.

Um die Massen dieser schwachen Eichfelder zu erklären, muss man Higgs-Bo-sonen einführen. Die Physik dieses Teilchens wird im sechsten Kapitel beschrieben.

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2Einführung in die Kernphysik

Die Kernphysik ist kein in sich abgeschlossenes Kapitel der modernen Physik. Esgibt keine einfache, grundlegende Theorie, aus der sich detaillierte Eigenschaftender Kerne auf mehr oder weniger einfache Weise berechnen lassen. Es wird sichherausstellen, dass dies kein Problem eines mangelnden, fundamentalen Verständ-nisses ist, sondern dass die Kerne einfach recht komplexe Gebilde sind. Zum einenwird mit der wachsenden Zahl der Objekte die Dynamik recht kompliziert. Zumanderen liegt es daran, dass die Längenskalen der Kernphysik und der zugrun-deliegenden Hadronenphysik nicht weit genug auseinander sind und dass daherdetaillierte Eigenschaften der Hadronenphysik in der Kernphysik eine Rolle spielen.Liegen die Skalen weit genug auseinander, können nur sehr wenige Eigenschaf-ten der fundamentaleren Theorie in der Theorie mit der größeren Skala relevantsein. Ein Beispiel hierfür ist die Atomphysik, in der aus der zugrundeliegendenQuantenelektrodynamik im Wesentlichen nur das Coulomb-Gesetz und einfachemagnetostatische Korrekturen, die den Spin der Elektronen berücksichtigen, übrigbleiben.

Wegen der Komplexität muss man sich letztlich darauf beschränken, eine phä-nomenologische Beschreibung mit mehr oder weniger handhabbarenModellen undVorstellungen zu finden, die den Strukturen der Kerne mehr oder weniger genauentsprechen. In einer Einführung in die Kernphysik werden daher die experimentellbeobachteten Phänomene eine entscheidende Rolle spielen.

2.1 Kurze historische Einführung

Nachdem Alchimisten lange vergeblich versucht hatten, das Element Gold „herzu-stellen“, wurde im 19. Jahrhundert die Einteilung der chemischen Substanzen inElemente und Verbindungen erreicht. Im Jahre 1803 postulierte der englische Che-miker und PhysikerDalton, dass die Elemente jeweils aus einer Atomsorte bestehenund dass Verbindungen verschiedene Atomsorten mit festem Mischungsverhältnisenthalten. Der russische ChemikerMendelejew führte 1869 das Periodensystem ein,das eine Verbindung zwischen den Gewichten und den chemischen Eigenschaften

7F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_2,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

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8 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.1 Das Periodensystem der Elemente (adaptiert nach [4])

der Atome herstellte. Das Periodensystem ist schematisch in Abb. 2.1 dargestellt.Die Beobachtung ist, dass die durch Linien verbundenen Elemente ähnliche chemi-sche Eigenschaften haben.

Der Durchmesser eines Atoms liegt in der Größenordnung von einem Ångström.Wegen des Beugungseffekts ist die Struktur von auflösbaren Objekten durch dieWellenlänge der zur Beobachtung eingesetzten Strahlung begrenzt. Die Auflösungeines Atoms in Unterstrukturen konnte daher erst geschehen, nachdem eine Strah-lungsquelle mit der entsprechenden Energie verfügbar wurde.

Der erste Schritt in diese Richtung erfolgte 1895 durch eine Entdeckung des ander Würzburger Universität tätigen Physikers Röntgen (Abb. 2.2), für die er denersten Nobelpreis der Physik erhielt [6]. Er konnte eine die Materie durchdrin-gende Strahlung nachweisen, die fotografische Platten schwärzt und Fluoreszenzverursacht. Sie wird heute Röntgenstrahlung (im Englischen X-rays) genannt. DieErzeugung der Strahlung erfolgt meist in einer Röntgenröhre, wie sie in Abb. 2.3schematisch dargestellt ist.

1896 fand der französische Physiker Becquerel (Abb. 2.4) die natürliche Ra-dioaktivität. Es war ein Beispiel für eine Zufallsentdeckung. Seine ursprünglicheVorstellung war [7], dass die durchdringende Röntgenstrahlung in Wirklichkeit erstam Glas der Röntgenröhre entstünde und mit Fluoreszenz etwas zu tun habe. Umgute Fluoreszenz zu erhalten, belichtete er fluoreszierende Uransalze mit Sonnen-strahlung und fand, dass sie in der Tat Quelle einer durchdringenden Strahlung

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2.1 Kurze historische Einführung 9

Abb. 2.2 Wilhelm ConradRöntgen (mit freundlicherGenehmigung von SpringerScience+Business Media [3])

waren. Als guter Experimentator war er in seinen Untersuchungen ausreichendsorgfältig, um zu bemerken, dass der Effekt unabhängig von der Belichtung warund dass die durchdringende Strahlung ohne äußere Einwirkungen bei allen Uran-verbindungen auftrat.

1899 wurden wichtige Eigenschaften dieser natürlichen Radioaktivität des Ur-ans herausgefunden. Untersuchungen von Rutherford (Abb. 2.5), der damals mit29 Jahren Professor an der McGill Universität in Kanada war, und anderen zeig-ten, dass die natürliche Strahlung des Urans drei verschiedene Anteile enthält [7],die ˛-Strahlung, ˇ-Strahlung und �-Strahlung genannt wurden. Die ˛-Strahlungwird durch ein Blatt Papier gestoppt, ˇ-Strahlung kann Aluminiumfolien von eini-gen Millimetern Dicke durchdringen, und �-Strahlung erfordert eine Abschirmung

Heizspannung

Hochspannung

edohtakhulG

Rontgenstrahlung

Anode

Abb. 2.3 Glühkathodenröhre zur Erzeugung von Röntgenstrahlung

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10 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.4 Henri Becquerel(mit freundlicher Ge-nehmigung von SpringerScience+Business Media [5])

Abb. 2.5 Ernest Rutherford(Foto: Deutsches Museum)

mit Blei von mehreren Zentimetern Dicke. Die drei Komponenten der Radioakti-vität besitzen unterschiedliche Ladungen. Ein idealisiertes Schema eines Versuchs,der dies nachweist, ist in Abb. 2.6 dargestellt. Für den Fall der ˛-Strahlung, derein besonders starkes Magnetfeld erfordert, wurde dieser Versuch erst Jahre späterdurchgeführt.

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2.1 Kurze historische Einführung 11

Abb. 2.6 Die drei Kom-ponenten der natürlichenStrahlung des Urans

α-Strahlen

γ-Strahlen

β-Strahlen

Magnet

Blei-abschirmung

radioaktive Quelle

Der französische Physiker Pierre Curie und seine Frau, die aus Polen stammendeChemikerin Marie Sklodowska Curie (Abb. 2.7) hatten erkannt, dass die Radio-aktivität eine Eigenschaft gewisser Elemente ist. Marie Curie begann mit einerintensiven Untersuchung aller bekannten Elemente. Sie entdeckte die Radioaktivi-tät des Thoriums. Da das Uranerz stärker strahlte als das reine Uran, mussten andere

Abb. 2.7 Marie Sklodowska und Pierre Curie (Foto: Deutsches Museum)

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12 2 Einführung in die Kernphysik

Elemente, die zusammen mit ihm auftraten, dafür verantwortlich sein. Die Schwie-rigkeit, diese unbekannten radioaktiven Elemente herauszufinden, bestand darin,dass diese Elemente nur in sehr geringen Mengen vorlagen. Mit mehreren TonnenUranpechblende konnten die Curies 1898 die bis dahin unbekannten Elemente Ra-dium und Polonium nachweisen und ein „ganzes“ Gramm Radium isolieren.

Nach diesen Arbeiten wurden immer mehr radioaktive Substanzen gefundenund viele bisher unbekannte Elemente entdeckt, unter ihnen das Aktinium, dasRadiothorium, das Mesothorium und das gasförmige Radon. Diese intensiven Un-tersuchungen brachten 1903 Rutherford und Soddy zur Schlussfolgerung, dass einespontane Umwandlung gewisser Elemente in andere für die radioaktive Strahlungverantwortlich ist [8].

Die meisten Elemente haben eine Atommasse, die ziemlich genau einem Viel-fachen derjenigen des Wasserstoffs entspricht. Zu dieser Regel gibt es allerdingsAusnahmen, die vor allem bei schwereren Kernen, aber auch bei einigen leich-teren Elementen auftreten. Um sie zu verstehen, postulierte Soddy 1910, dass Ele-mente manchmal aus einer Mischung von unterschiedlichen Isotopen bestehen, dieidentische chemische Eigenschaften haben und sich nur in ihrer Atommasse un-terscheiden, und dass die Isotope selbst recht genau einem festen Vielfachen derWassserstoffmasse entsprechen. 1912 konnte J. J. Thomson durch ihre unterschied-lichen Bahnen im Magnetfeld die Existenz von zwei verschiedenen Neonisotopennachweisen.

Gehen wir für einen Augenblick mit unserer Betrachtung wieder um einige Jahrezurück. Die Physiker Crookes und Perrin hatten gezeigt [7], dass die Kathoden-strahlung in der Glühkathodenröhre aus negativen Teilchen besteht. Die Strahlung,die offensichtlich von der Glühkathode ausgesandt wird, transportiert zur Anodenegative Ladung, die man als Strom messen kann. Wie es für negative Teilcheneiner gegebenen Masse zu erwarten ist, wird die Kathodenstrahlung im Magnet-feld von der Lorentz-Kraft in einer bestimmten Weise abgelenkt. Ist das Vakuum inder Glühkathodenröhre nicht perfekt, kann die Bahn der Kathodenstrahlung durchFluoreszenz in angeregten Gasatomen direkt beobachtet werden. Die korpuskula-re Existenz des aus den Atomen emittierten und offensichtlich darin existierendenElektrons war damit geklärt.

Aus Streuexperimenten hat man geschlossen, dass die Elektronen relativ gleich-mäßig über das gesamte Atom „verschmiert“ sind. Dabei blieb es lange unklar, wosich die kompensierende positive Ladung befindet; J. J. Thomson postulierte (Thom-sonsches Atommodell), dass diese gleichmäßig über das Atom verteilt sei.

Klarheit über die Verteilung brachten Experimente von Rutherford und seinenMitarbeitern [9]. Das Schema dieser Versuche ist in Abb. 2.8 dargestellt. Die Strah-lung mit der höchsten verfügbaren Energie (etwa 4–6MeV), die Information überdie kleinsten Abstände ermöglichen konnte, war damals die ˛-Strahlung, die wirin Abb. 2.6 kennen gelernt hatten. In den Experimenten wurde die ˛-Strahlung ei-nes radioaktiven Elements an verschiedenen Substanzen gestreut. Die gestreuten˛-Teilchen konnten in mühsamer Experimentierarbeit mit dem an Dunkelheit ge-wöhnten Auge als Lichtblitze auf geeignet aufgestellten fluoreszierenden Schirmenbeobachtet werden.

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2.1 Kurze historische Einführung 13

radioaktives Element

α-Strahl

streuende Substanz

(Target)

fluoreszierende Schirme

nicht oder leicht

abgelenkter Strahl

stark abgelenkter

Strahl

Abb. 2.8 Der Rutherfordsche Streuversuch

Das Ergebnis der Experimente war, dass der größte Teil der einfallenden Teil-chen in etwa seine Richtung beibehielt. In einigen wenigen Streuereignissen – beieiner 0;5 �m dicken Goldfolie war es ein Streuereignis von 100.000 – wurdendie einfallenden Teilchen in einem Winkel von 90ı und mehr gestreut. Da manvon einer kurzreichweitigen Wechselwirkung wegen der Unschärferelation großeImpulsüberträge und damit große Streuwinkel erwartete, musste dabei meist einelangreichweitige Wechselwirkung eine dominante Rolle gespielt haben. In Fragekommt dafür die Coulomb-Wechselwirkung. Um ausreichend große Felder zu ha-ben, muss die positive Ladung dabei in einemKern sitzen, dessen Radius wesentlichkleiner als der Atomradius ist.

Tatsächlich kann man aus einem solchen Experiment eine wesentlich weiter-gehende Aussage über die Ladung und die Größe des Atomkerns erhalten. Dazumüssen wir zunächst die Rutherford-Formel einführen, die das Streuverhalten einesschnellen punktförmigen Strahlteilchens der Ladung z �e und der MasseM an einemschweren, punktförmig geladenen Atom der Ladung Z � e, das in einem ruhendenTarget sitzt, beschreibt:

d�

d˝D�

zZ e2=4�

2Mv2

�2

� 1

sin4 #=2: (2.1)

Bei festem einfallendem Teilchenfluss ist der angegebene Wirkungsquerschnittd�=d˝, wie wir später genauer festlegen werden, proportional zur Wahrschein-lichkeit, dass ein Teilchen in die angegebene Richtung gestreut wird. Die Richtungwird dabei durch das Raumwinkelelement d˝ D sin # d# d' beschrieben. Dieobige Relation ergibt sich aus der Tatsache, dass das elektrostatische Coulomb-Potenzial die Bahn des Projektilteilchens verändert (Abb. 2.9). Projektilteilchen,

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14 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.9 Streuwege einesklassischen Teilchens imCoulomb-Feld

Streuzentrum

einfallende Teilchen

die fast frontal auf das Targetteilchen einfliegen, sind für größere Winkel verant-wortlich, während die kleinen Winkel auf solche Teilchen zurückzuführen sind, dieweit weg vom Target einfallen und nur den äußeren Rand des Targetfelds spüren.

Die obige Relation folgt aus der klassischen Elektrodynamik. Dass sie in demneuenmikroskopischen Gebiet anwendbar war, und dass damit die unten gezogenenFolgerungen richtig waren, verdankt sie dem etwas glücklichen Umstand, dass inder Quantenmechanik dieselbe Formel gilt.

Mit einem lokalisierten Kern und mit einer über den gesamten Atombereichverteilten Elektronenwolke hat man nun die folgende Situation: Die meisten ge-streuten Projektilteilchen dringen nur mehr oder weniger tief in die Elektronenhülleein und spüren nur eine elektromagnetische Ablenkung der mehr oder weniger starkabgeschirmten Ladung des Kerns. Diese Ablenkung entspricht dann je nach Projek-tilenergie und je nach Streuwinkel mehr oder weniger gut der Rutherford-Formel.Nur bei wirklich zentralen Stößen und nur dann, wenn die Energie des einfallendenTeilchens groß genug ist, um die Coulomb-Abstoßung zu überwinden und bis zumKern durchzudringen, wird eine neue Situation auftreten. Es wird zu einer direktenWechselwirkung zwischen Kern und Projektil kommen, in der kleine Winkel nichtmehr bevorzugt sind. Bei ˛-Teilchen aus radioaktiven Zerfällen konnte eine solche„anormale Streuung“ an leichten Kernen mit niedriger Kernladungszahl beobachtetwerden.

Die Rutherfordschen Experimente zeigten, dass Kerndurchmesser vier Dekadenunter typischen Radien mittlerer Elektronenschalen liegen. Sie liegen im Bereicheiniger Fermi. In einem geeigneten Energie- und Winkelbereich, in dem das Pro-jektil den Kern beinahe erreicht, kann der Einfluss der Ladung der Elektronenwolkeauf die Projektilbahn damit nicht nur „mehr oder weniger“, sondern in sehr guterApproximation vernachlässigt werden. Damit ist eine recht genaue Bestimmungder Kernladung möglich. Man fand die folgende Situation: Benutzt man die La-dung des Wasserstoffs als Einheit, so ist die Kernladung eine ganze Zahl, die inetwa dem halben Atomgewicht des Kerns (in Einheiten der Wasserstoffkernmasse)entspricht.

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2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 15

Das Rutherfordsche Atommodell hat eine konzeptuelle Schwierigkeit bezüg-lich seiner atomphysikalischen Komponente. Es sagt nichts darüber aus, warumdie Elektronen auf ihren Bahnen weit weg vom Kern bleiben und nicht unter Ab-strahlung von Photonen in den Kern fallen. Dieses Problem wurde zunächst vomKopenhagener Physiker Niels Bohr mit einem Postulat umgangen, das die mögli-chen Teilchenbahnen einschränkt und zu vielen phänomenologischen Vorhersagenführte. Gelöst wurde das Problem mithilfe der Quantenmechanik, die von Schrö-dinger und Heisenberg eingeführt wurde. Für die Abstrahlung ist die Ladungs-bewegung bzw. Stromverteilung entscheidend. Die Bewegung eines „kreisenden“Elektrons wird durch die „quantenmechanische Verschmierung“ der damit stati-schen Ladungsverteilung umgangen.

Die in den zwanziger Jahren in der Atomphysik entwickelte Quantenmechanikgilt, wie sich nach und nach herausstellte, auch auf der 104-mal kleineren Skala derKernphysik. Da die Kernphysik in dieser Zeit stark von dieser neuen, nicht kernphy-sikalischen Entwicklung beeinflusst wurde, erscheint es sinnvoll, an diesem Punktden historischen Ablauf zu verlassen und einem etwas systematischeren Aufbau zufolgen.

2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur

2.2.1 Zusammensetzung der Kerne

Die Atomkerne bestehen aus Protonen und Neutronen. Diese beiden Bestandteileder Kerne (englisch und lateinisch nucleus, Plural nuclei) werden als Nukleonen(englisch nucleons) bezeichnet. Für jede Kernsorte gibt es eine feste Anzahl dieserTeilchen.

Die Zahl der Protonen heißt Ordnungszahl Z (englisch atomic number), sie gibtdie Ladung des Kerns an. Die Kernladung legt die Anzahl der Elektronen der Atom-hülle fest und ist damit für die chemischen Eigenschaften der Atome verantwortlich;sie bestimmt, um welches Element des Periodensystems es sich handelt. Die Ord-nungzahl eines Kerns gibt seine Ladung in Einheiten der Elektronenladung an

e D �QElektron D 1;6 � 10�19 Coulomb D .4� � 1;44MeV � fm/1=2 : (2.2)

(Für die Definition der Ladung in den Maxwell-Gleichungen durch andere Einhei-ten gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wir folgen Bjorken und Drell [10] undbenutzen Heaviside-Lorentz-Einheiten.)

Die Menge der Neutronen, d. h. die Neutronenzahl N, kann aus der Masse derKerne bestimmt werden. Die Masse der Kerne hängt im Wesentlichen von der An-zahl der Nukleonen im Kern ab, d. h. von der Massenzahl (mass number) A DN C Z. Auf Korrekturen, die mit der unterschiedlichen Bindungsenergie zu tunhaben, werden wir später zu sprechen kommen.

Zur Kennzeichnung von Kernen benutzt man die Schreibweise

AZEN oder verkürzt AE ;

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16 2 Einführung in die Kernphysik

wobei E die Atomsorte bezeichnet. Zwei Beispiele betrachten wir:

24He2 D 4He oder 235

92 U143 D235 U :

Für einige kleinere Kerne, die oft als Strahlteilchen benutzt werden, werden eigeneBezeichnungen verwendet. So ist p das Proton (Wasserstoffkern 1

1H0), d das Deute-ron (Deuteriumkern 2

1H1 oder21D1), t das Triton (Tritiumkern 3

1H2 oder31T2) und ˛

das Alphateilchen (Heliumkern 22He2).Es ist oft nützlich, ähnliche Kerne zu vergleichen. Um die Ähnlichkeiten zu klas-

sifizieren, benutzt man die folgenden Bezeichnungen:� Kerne mit gleicher Ordnungszahl Z heißen Isotope.� Kerne mit gleicher Neutronenzahl N heißen Isotone.� Kerne mit gleicher Massenzahl A heißen Isobare.� Kerne mit vertauschten Z und N heißen Spiegelkerne.� Angeregte, langlebige Kerne mit gleichen Z und N heißen Isomere.

Insgesamt gibt es etwa 3000 bekannte Kerne. Die Ordnungszahl variiert von 1bis 116. Bei Elementen mit großen Ordnungszahlen gibt es bis zu etwa 30 ver-schiedene Isotope. Isomere Kerne können durch Absorption oder Emission von�-Strahlung ineinander übergehen. Übergänge zwischen isobaren Kernen werdendurch die ˇ-Strahlung ermöglicht. Unter Abstrahlung eines Elektrons (ˇ-Teilchens)und eines Antineutrinos geht im Kern ein Neutron in ein Proton über, ohne dabeidie Nukleonenzahl zu ändern. Ein analoger Prozess kann Protonen in Neutronenüberführen. Ein Spezialfall von zwei isobaren Kernen sind Spiegelkerne. Spiegel-kerne haben ähnliche Eigenschaften, da sich die eigentliche Kernwechselwirkungunter Vertauschung der Anzahl von Protonen und Neutronen (Spiegelung in einemRaum, in dem die Protonenzahl nach oben und die Neutronenzahl nach unten auf-getragen ist) nicht ändert. Spiegelkerne unterscheiden sich durch die Coulomb-Wechselwirkung, die zwischen den Protonen und nicht zwischen den Neutronenauftritt. Da die Coulomb-Wechselwirkung bekannt ist, eignen sich Spiegelkerne zurÜberprüfung von Vorstellungen über die Geometrie von Kernen. Spiegelkerne gibtes nur bei leichteren Kernen, da, wie wir in Kürze sehen werden, die Coulomb-Wechselwirkung das Auftreten schwerer Kerne ohne Neutronenüberschuss verhin-dert.

Die Anordnung der Kerne nach ihrer Ordnungszahl Z und ihrer NeutronenzahlN heißt Nuklidtabelle. Ein Auszug einer solchen Tabelle ist in Abb. 2.10 gezeigt,aufgeführt ist die Bezeichnung des jeweiligen Kerns. Für die stabilen Isotope folgtdie relative Häufigkeit des jeweiligen Nuklids im Element in seiner natürlichen Zu-sammensetzung und für nicht stabile Isotope die Lebensdauer.

Um einen besseren Überblick zu bekommen, reduzieren wir in Abb. 2.11 dieNuklidtabelle, so dass jedem stabilen oder langlebigen Isotop nur noch ein Punktentspricht. Es stellt sich heraus, dass die so gewonnenen Punkte jeweils in einemengen Bereich der Tabelle nicht weit von der (Z D N )-Achse liegen. Abgese-hen vom Wasserstoff 11H haben Atome in grober Näherung damit etwa gleich vieleNeutronen wie Protonen. Auf den zweiten Blick bemerkt man eine systematischeAbweichung. Bei höheren Atomgewichten nimmt der Anteil der Neutronen deut-

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2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 17

↑Ord

nungszahlZ

7 12N 13N 14N 15N11.0 ms 9.96 ms 99.64% 0.36%

6 9C 10C 11C 12C 13C 14C126 ms 19.3 s 20.3m 98.89% 1.11% 5736 a

5 8B 10B 11B 12B 13B762 ms 20% 80% 20.3 ms 17.3 ms

4 7Be 9Be 10Be 11Be 12Be53.4 d 100% 2 · 106a 13.8 s 11.4 ms

3 6Li 7Li 8Li 9Li 11Li7.5% 92.5% 844 ms 176 ms 9.7 ms

2 3He 4He 6He 8He10−4% 100% 802 ms 122 ms

1H 2H 3H100% 10−2% 12.3 a 3 4 5 6 7 8

Neutronenzahl N

Abb. 2.10 Auszug aus einer Nuklidtabelle (angegeben sind die Lebensdauern künstlicher Iso-tope in Sekunden, Minuten, Tagen bzw. Jahren und die prozentuale Häufigkeit der in der Naturvorkommenden langlebigen Isotope)

Abb. 2.11 Die Position der bekannten Isotope. Der Farbcode beginnt tief schwarz ( > 3 � 107a/und endet rot (bzw. hellgrau) (> 1 �10�15s). Die umrahmten Z und NWerte werden später erklärt.(Bild mit freundlicher Genehmigung aus der Web-Seite des National Nuclear Data Centers [11])

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18 2 Einführung in die Kernphysik

lich zu. Eine empirische Relation, die diese Korrektur für die Lage der stabilen oderstabilsten Kernsorten berücksichtigt, ist

Z D A

1;98C 0;0155 � A2=3 : (2.3)

2.2.2 Geometrie der Kerne

Die räumliche Gestalt des Kerns, d. h. die Dichteverteilung der Nukleonen im Kern,kann in erster Näherung als kugelförmig angenommen werden. Korrekturen dazu –schwere Kerne sind meist leicht prolat (zigarren-förmig) – werden später diskutiert.Wie wir vom Rutherfordschen Experiment wissen, kann man aus geeigneten Streu-experimenten Informationen über radiale Dichteverteilungen in Kernen erhalten.Besonders geeignet sind dafür tiefinelastische Streuungen von hochenergetischenElektronen an Kernen, wie wir sie im vierten Kapitel des Buches (Abschn. 4.2.3)kennen lernen werden. Der Grund, warum Elektronen anstelle der Rutherfordschen˛-Teilchen verwendet werden, ist, dass es für Elektronen im Gegensatz zu ˛-Teil-chen auch im Inneren des Kerns nur zu einer berechenbaren elektromagnetischenWechselwirkung mit den Ladungen kommt, so dass man auch dort die Ladungsver-teilung bestimmen kann. Wie wir später sehen werden, entspricht die Ladungsver-teilung im Kern einer Art Fourier-Transformierten der beobachteten Impulsübertra-gungsverteilung.

Wie kommt auch Richtungman wenigstens näherungsweise von der Ladungs-zur Nukleonenverteilung? Im Inneren eines Kerns dominieren die Kernkräfte zwi-schen den Nukleonen über Coulomb-Kräfte. Protonen und Neutronen sollten daher,abgesehen von kleineren Korrekturen, eine ähnliche Verteilung haben. In groberNäherung gilt daher

%.Nukleonen/ D A

Z� %.Ladungen/ : (2.4)

Die aus dieser einfachen Beziehung gewonnene Nukleonenverteilung [12] ist inAbb. 2.12 für einige schwerere Kerne dargestellt.

Etwas vereinfacht ergibt sich aus der Abbildung für ausreichend große Kerne diefolgende Situation: Kerne besitzen im Inneren eine konstante Nukleonendichte, dieam Rand des Gebiets jeweils in ähnlicher Weise über denselben Abstand abfällt.Das Kernvolumen ist daher proportional zur Massenzahl, und für den Kernradiusmuss damit

R D R0 � A1=3 (2.5)

gelten, wobei die KonstanteR0 D 1;1 fm (2.6)

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2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 19

Abb. 2.12 Die Dichte derNukleonen im Kern (adaptiertnach [12])

empirisch bestimmt wurde [13]. Die Dichte ist, abgesehen vom Randgebiet

%0 D A43�R3

D 0;16 fm�3 : (2.7)

An den Rändern fällt die Dichte jeweils innerhalb von etwa zwei Fermi von etwa90% auf 10%.

2.2.3 Kernmassen

Mit der Massenzahl haben wir die Kernmasse grob in Einheiten von Nukleonen-massen ausgedrückt. Tatsächlich hängen die Nukleonenmassen etwas vom Kern ab,in dem sich die Nukleonen befinden. In Bindungszuständen ist die effektive Massevon Teilchen etwas reduziert gegenüber der von freien Teilchen. Auf unserer Reisein den Mikrokosmos haben wir eine Längenskala erreicht, die einer Bindungsener-gie entspricht, die zwar noch klein, aber nicht mehr völlig gegenüber den Massender Konstituenten zu vernachlässigen ist. Um diesen kleinen Effekt zu sehen, ist eserforderlich, Kernmassen sehr genau zu bestimmen.

Wie Sie vielleicht aus einer Chemievorlesung wissen, gibt es Möglichkeiten,Stoffe abzuwiegen und die Massen durch die indirekt festgelegte Zahl der betei-ligten Atome zu teilen. Mit dieser Methode wurden die Massen von chemischenElementen bestimmt, wie sie im Periodensystem erscheinen. Das Problem dabeiist, dass chemische Elemente in der Natur meist in einem Gemisch verschiedenerIsotope vorkommen und dass die so bestimmte Masse eines chemischen Elementsdann im Wesentlichen durch diese Zusammensetzung bestimmt wird.

Für die Bestimmung der Kernmassen einzelner Isotope gibt es zwei Methoden.Zum einen können die Massen einzelner geladener Kerne im Massenspektroskop,wie es in der Abb. 2.13 dargestellt ist, direkt gemessen werden. Im Massenspek-troskop durchlaufen Teilchen ein geschickt angeordnetes elektrisches und magneti-sches Feld. Wie in der Optik werden dadurch Teilchen, die durch einen Spalt in dieApparatur eintreten, auf einer fotografischen Platte fokussiert. Die Tatsache, dassunterschiedlich schnelle Teilchen im elektrischen Feld in anderer Weise abgelenktwerden als im Magnetfeld, wird dazu benutzt, um den Auftreffpunkt nur von derMasse und nicht von der Geschwindigkeit der Teilchen abhängig zu machen.

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20 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.13 Schema einesMassenspektroskops

Die zweite Methode besteht darin, sich die Energiebilanz geeigneter Reaktionengenau genug anzuschauen, um die Massen indirekt erschließen zu können. Betrach-ten wir dies etwas detaillierter.

Um die Energiebilanz darzustellen, schreibt man für die Reaktion eines Teil-chens a mit einem Kern A, die einen Kern B und ein Teilchen b produziert

AC a! BC bCQ ; (2.8)

wobeiQ die freiwerdende Energie, d. h. den Exzess an kinetischer Energie im End-zustand, angibt. Der Wert von Q entspricht gerade der Massendifferenz zwischender linken und der rechten Seite. Wie bei chemischen Prozessen spricht man

bei Q > 0 von einer exothermen Reaktion ;

undbei Q < 0 von einer endothermen Reaktion :

Die kinetische Energie, die für das Ablaufen einer endothermen Reaktion mindes-tens erforderlich ist, heißt Schwellenenergie (englisch threshold energy). Sie istetwas höher als Q, da der Streuvorgang typischerweise nicht im Schwerpunktsys-tem stattfindet. Wegen der Impulserhaltung kann dann im Endzustand die kinetischeEnergie nicht völlig verschwinden.

Betrachten wir dazu als Beispiel eine Reaktion, in der ein Teilchen a mit demImpuls p auf den ruhenden Kern A eintrifft und gerade in den Kern B und dasTeilchen b übergeht. Die minimale Energie wird erreicht, wenn das Teilchen bund der Kern B in ihrem Schwerpunktsystem ruhen. Die kinetische Energie desAnfangs- und Endzustands ist damit

Eeinkin. D

1

2ma� p2 (2.9)

und

Eauskin. D

1

2.mB Cmb/� p2 : (2.10)

Für die Reaktion verbleibt damit

Eübrigkin: D

1

2��

1

ma� 1

mB Cmb

� p2 : (2.11)

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2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 21

Die Methode der Energiebilanz ist unumgänglich für die Massenbestimmung vonneutralen Teilchen oder von Kernen, die für eine massenspektrografische Messungzu kurz leben. Betrachten wir dazu als Beispiel den Prozess

2DC � ! nC 1H : (2.12)

Die Minimalenergie des �-Quants

Emin=c2 D mn CmH �mD C

minimale kinetische Endenergie=c2�

; (2.13)

die für den Prozess benötigt wird, ergibt die Bindungsenergie des Deuterons. Ausihr lässt sich mit massenspektroskopisch bestimmten MassenmH undmD dann mit-tels Energiebilanz die Masse mn des neutralen Neutrons bestimmen.

Die Methode der Energiebilanz erlaubt oft eine hohe Präzision in der relativenMassenbestimmung. Um die erreichbare relative Genauigkeit auszunutzen, defi-niert man eine Atomare Massen-Einheit (englisch atomic mass unit)

1AME D 1 u D 1

12Masse des 12C-Atoms D 1;66 � 10�24 g (2.14)

und versucht, alle Kerne durch geeignete Übergänge in Relation zum 12C zu setzen.Es gilt

1AME D 0;9315GeV=c2 : (2.15)

Im Vergleich dazu sind die Massen von freien Nukleonen

mProton D 0;9383GeV=c2 ;mNeutron D 0;9396GeV=c2 :

(2.16)

Die kleinen Unterschiede in der Masse haben weitreichende Konsequenzen. Wiewir in der Physik der schwachen Vektorbosonen genauer erläutern werden, kann dasNeutron unter Aussendung eines Elektrons (unter Aussendung von ˇ-Strahlung)und eines sogenannten Antineutrinos in ein Proton übergehen

n! pC e� C �e : (2.17)

Dass diese Reaktion in dieser Richtung verläuft und dass die Protonen damit stabilund die Neutronen unstabil sind, liegt an der etwas schwereren Neutronenmasse.Da das Antineutrino in guter Näherung als masselos angenommen werden darf,benötigt man

mn > mp Cme ; (2.18)

was wegen der geringen Elektronenmasse von

me D 0;5MeV=c2 (2.19)

der Fall ist; für die Reaktion stehen 0,7MeV zur Verfügung.

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22 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.14 Die mittlereBindungsenergie B=A proNukleon für die jeweilsstabilsten Kerne (adaptiertnach [12]). Die durchgezoge-ne Linie ist das Ergebnis dersemi-empirischen Massen-formel, die in Abschn. 2.3.1besprochen wird.

Da die Bindungsenergie eines Nukleons im Kern in der Größenordnung von8 MeV liegt, ist der Übergang für Neutronen im Kern oft nicht möglich. Der Über-gang kann nur dann stattfinden, wenn ein Kern mit niedrigerer oder vergleichbarerBindungsenergie erreicht wird. Die relativen Massen der isobaren Kerne spielendaher eine wichtige Rolle für das Verständnis der Stabilität verschiedener Kerne.

Man definiert die Bindungsenergie des Kerns

B=c2 D ıM D �M CZ �mProton CN �mNeutron (2.20)

als die Energie, die benötigt wird, um den Kern der KernmasseM.Z;A/ in einzelneStücke zu zerlegen. In kernphysikalischen Betrachtungen kann die Bindungsenergievon Atomelektronen oft vernachlässigt werden, die Bindungsenergie eines Kernsentspricht dann der gesamten Bindungsenergie des Atoms. Die Masse des Atomsergibt sich in dieser Approximation aus den Massen des Kerns und der Elektronen.

Die mittlere Bindungsenergie B=A pro Nukleon ist in Abb. 2.14 für die jeweilsstabilsten Kerne dargestellt. Die Kerne mittlerer Ordnungszahl sind besonders sta-bil. In Abschn. 2.3.1 werden wir in einem einfachen Modell eine Parametrisationdieser Bindungsenergien finden.

2.2.4 Zwei-Nukleonen-Potenzial

Versuchen wir zunächst, etwas mehr über die Kernkräfte herauszufinden. Aus derExistenz von Kernen mit hohen Ladungen folgt, dass es eine Kraft zwischen denNukleonen im Kern geben muss, die bei kurzer Reichweite im Vergleich zur Cou-lomb-Abstoßung eine dominante Rolle spielt.

Um mehr über diese Kraft zu erfahren, kann man zunächst die Komplikatio-nen des Vielteilchensystems vermeiden und Zwei-Nukleonen-Bindungszustände be-trachten. Den entscheidenden Fortschritt in der Atomphysik brachte die Analyse desWasserstoffatoms. Kann das Zwei-Nukleonen-System eine ähnliche Rolle spielen?

Page 33: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 23

Das ist leider nur eingeschränkt der Fall. Zum einen ist, wie schon gesagt, dieWechselwirkung zwischen zwei Nukleonen vergleichsweise komplex; zum ande-ren steht „weitaus weniger“ experimentelle Information über Bindungszustände zurVerfügung. Statt einer umfangreichen Spektroskopie mit Übergängen zwischen ei-ner Vielzahl von Zuständen konnte für Zwei-Nukleonen-Systeme nur ein einzigerstabiler Bindungszustand beobachtet werden.

Dieser Bindungszustand heißt Deuteron. Er besteht zwischen einem Proton undeinem Neutron. Die Nukleonen im Deuteron haben keinen Bahndrehimpuls; derSpin der beiden Nukleonen ist parallel, d. h. er addiert sich zu dem Gesamtspin 1.Zu diesem etwas vereinfachten Bild von den Drehimpulsbeiträgen gibt es Korrek-turen im Prozentbereich, da der Bahndrehimpuls und der Spin nur näherungsweiseseparat betrachtet werden können.

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Bindungsenergie des Deuterons experimentellzu bestimmen. Man kann entweder, wie oben beschrieben, die für eine Aufspaltungminimal benötigte �-Strahlenenergie bestimmen, oder man kann im umgekehrtenProzess langsame Neutronen aus einem Kernreaktor von einigen eV thermischerEnergie von Wasserstoffatomen einfangen lassen. Bei diesem Prozess wird die frei-werdende Energie als �-Strahlung freigesetzt, derenWellenlänge durch die Winkel-verteilung bei einer Streuung an einem Kristall (Bragg-Streuung) bestimmt werdenkann [14]. Die Bindungsenergie des Deuterons ist 2,2MeV [15].

Das Deuteron ist gerade noch stabil. Es ist der einzige Bindungszustand desZwei-Nukleonen-Systems, da auch schon kleinere Änderungen des Potenzials dieStabilität zerstören. Es gibt daher keine stabilen Bindungszustände mit einem nichtverschwindenden Bahndrehimpuls. Das effektive Potenzial würde durch die Zen-trifugalkraft etwas reduziert. Warum gibt es kein Deuteron mit antiparallelen Nu-kleonenspins? Es muss ein kleiner, irgendwie spinabhängiger Beitrag zur Wechsel-wirkung existieren, der den Zustand mit parallelen Spins bevorzugt. Warum gibt eskeinen entsprechenden Bindungszustand zwischen 2 Neutronen (oder 2 Protonen)?Die Wechselwirkung zwischen identischen Nukleonen muss etwas schwächer seinals die zwischen verschiedenen Nukleonen.

Ob ein Bindungszustand existiert oder nicht, hängt im dreidimensionalen kugel-symmetrischen Fall von der Stärke und der Reichweite des Potenzials ab. Betrach-ten wir dies etwas genauer: Die Schrödinger-Gleichung im Schwerpunktsystem inRelativkoordinaten (mit r D .d=dx; d=dy; d=dz/ D d=dr)

� „2

2mr2 C V D E (2.21)

kann fürV D V.r/

durch die Substitution und Separation des bekannten winkelabhängigen Teils

r D r l � Ylm.#; / (2.22)

Page 34: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

24 2 Einführung in die Kernphysik

r

(Versuch)

E0

keine stetige Lösung

genau eine stetige Lösung

exp(− )E

exp(i ) kr

r

( )V r

l ( ) bzw. ( ) E, V r E + r r

Abb. 2.15 Der erste gebundene Zustand in einem Potenzial

in die eindimensionale Radialgleichung

„22m� d

2

dr2r l C

E � V � l.l C 1/„2

2mr2

r l D 0 (2.23)

umgeformt werden. Der Faktor r bringt den Laplace-Operator in Kugelkoordinatenauf die angegebene Form. Da die volle Wellenfunktion überall stetig sein muss,ist es erforderlich, dass die so definierte Funktion r l im Ursprung verschwindet.

Um Komplikationen zu vermeiden, begnügen wir uns dabei für unsere Diskus-sion mit einem stückweise konstanten Potenzial (Abb. 2.15). Gleichung 2.23 wirddann innen und außen jeweils durch einen einfachen Exponentialansatz

r l / exp.Konstante � r/ (2.24)

gelöst, und zwar innen mit einer imaginären Konstante und außen mit einer negati-ven reellen. Für die Wellenfunktion heißt das, dass sie innen oszilliert

r l / sin.k � r/

und außen exponentiell abfällt

r l / exp. � r/ :

Die Konstanten k und sind reell. Sie sind proportional zur Wurzel aus dem jewei-ligen Absolutwert der runden Klammer in (2.23). Um die Normalisation ignorierenzu können, interessiert die Größe .r /0l=.r /l . Im Äußeren entspricht sie der ne-gativen Konstante . Der geringste Absolutwert des Quotienten wird erreicht beigerade noch gebundenen Zuständen, d. h. für E � V.1/ ! �0. Innen enspricht

Page 35: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 25

.r /0=.r ) dem Tangens, der, in einer viertel bis halben Periode beginnend mitC1, den negativen äußeren Wert erreichen muss. Da die Periode invers proportio-nal zum Inhalt der obigen runden Klammer ist, ist dies für die höchste verfügbarekinetische Energie, d. h. für E � V.1/ ! �0, am leichtesten möglich. Aus demVerhalten für E � V.1/ D 0 folgt daher, ob und wie viele Lösungen existierenkönnen. Nur bei ausreichender Breite und Tiefe eines Potenzials wird die benötigteAbleitung erreicht, andernfalls gibt es keine Lösung.

Wodurch kommen die Kernkräfte zustande? Eine fundamentale Theorie mussrelativistisch kovariant sein. In der relativistischen Quantenmechanik gibt es kei-ne Potenziale, sondern nur Wechselwirkungen mit Orts- und Zeitabhängigkeit. Allebeobachteten Wechselwirkungen sind lokal, d. h. auf einen Raum-Zeit-Punkt be-schränkt. Die langreichweitigen Effekte, die im nichtrelativistischen Grenzfall fürdie offensichtlich langreichweitigen Potenziale verantwortlich sind, kommen durchden Austausch virtueller Teilchen zustande, die an einem Raum-Zeit-Punkt von ei-nem Teilchen abgegeben und dann an einem anderen Raum-Zeit-Punkt von einemanderen Teilchen eingefangen werden. Ein Beispiel für einen solchen Teilchenaus-tausch ist die elektromagnetische Wechselwirkung, die durch den Austausch vonvirtuellen Photonen zustande kommt.

Welches Teilchen kann für das Kernpotenzial verantwortlich sein? Während derEntwicklung der Kernphysik war kein Teilchen mit ausreichend kräftiger Kopplungan Nukleonen bekannt. Da er die grundsätzliche Bedeutung von Austauschteilchenerkannte, wurde die Existenz eines solchen Teilchens 1935 von dem japanischenPhysiker Hideki Yukawa [16] gefordert. Wie wir in Abschn. 3.1.1 sehen werden,konnte ein solches Teilchen dann viele Jahre später nachgewiesen werden. Es wird�-Meson oder Pion genannt.

Aus der Reichweite der Wechselwirkung konnte die Masse dieses Teilchens ab-geschätzt werden. Wie virtuelle Photonen (d. h. elektromagnetische Felder) gelade-ne Teilchen umgeben, so sind Hadronen von einer hadronischen Wolke umgeben.Die Reichweite der Wechselwirkung wird durch die Ausdehnung einer solchenAustauschteilchenwolke bestimmt.

(Austauschteilchen können im Überlappungsgebiet sowohl vom einen als auchvom anderen Streuteilchen emittiert und absorbiert werden. Je nach relativer La-dung bzw. verallgemeinerter Ladung (Kopplung des Pionfeldes an das Nukleon)treten beide Beiträge mit gleichen oder ungleichen Vorzeichen auf. Es kommt dabeizu einer Verstärkung bzw. zu einer Reduktion des Wolkenfeldes und dessen Energie(/ jBeitrag1 C Beitrag2j2), die zu einer Repulsion bzw. einer Attraktion führt.)

Diese Ausdehnung kann in der folgenden Weise abgeschätzt werden: Die Ablei-tungen der Schrödinger-Gleichung E D i„d=dt und P D �i„d=dr werden alsOperatoren bezeichnet. Sie nehmen für Eigenfunktionen die Energie- und Impuls-Eigenwerte an. Beginnend mit der Gleichung für die Lorentz-Invarianz der Massein der relativistischen Mechanik, erhält man die folgende Operatorenrelation

E2 � P 2c2�

D m2c4 ; (2.25)

die Klein-Gordon-Gleichung genannt wird.

Page 36: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

26 2 Einführung in die Kernphysik

In unserem Fall is m die Masse der Austauschteilchen. Sieht man von Drehim-pulseffekten (keine Winkelabhängigkeit) ab, hat der relevante statische Teil (keineZeitabhängigkeit) der Klein-Gordon-Gleichung

„2r

d2

dr2r � D m2c2 (2.26)

die Lösung

! 1

r� e�c=„�mr ; (2.27)

wie man durch Einsetzen leicht nachprüfen kann. Die Reichweite des Feldes ent-spricht damit in natürlichen Einheiten dem Inversen der Masse. Nimmt man für dieReichweite der Kernkräfte einen typischen Kernabstand

r0 D 10�15m ; (2.28)

benötigt man damit ein Teilchen etwa von der Masse

m D 200MeV=c2 ; (2.29)

das ausreichend stark mit Protonen und Neutronen wechselwirken muss.Um eine Bindungsenergie zu erhalten, die zwischen Proton und Neutron etwas

stärker ist als zwischen Neutron und Neutron – zwischen dem Proton und dem Neu-tron existiert das Deuteron als Bindungszustand, zwischen zwei Neutronen existiertkein Bindungszustand – muss es in den Ladungszuständen Q D �1; 0 und C1vorkommen. Für das Potenzial zwischen Proton und Neutron steht dann ein zu-sätzliches Austauschteilchen zur Verfügung, wie es in Abb. 2.16 dargestellt ist.Die Abbildung zeigt zwei mögliche Austauschprozesse für diese Wechselwirkungund nur einen möglichen Prozess für die Wechselwirkung zwischen Neutron undNeutron. Es reicht aus, den Austausch jeweils nur in einer Richtung zu betrachten;er entspricht dann dem Austausch des Antiteilchens in der anderen Richtung. DasAntiteilchen des �C ist das ��, das �0 ist sein eigenes Antiteilchen. Für ein quanti-tatives Verständnis ist es natürlich erforderlich, die Gewichte der einzelnen Beiträgezu kennen.

Betrachten wir den Grundzustand eines Zwei-Nukleonen-Systems etwas genau-er. In guter Näherung kann jede der beiden Wellenfunktionen des Systems sowohlmit einem Proton als auch mit einem Neutron besetzt sein, und es ist a priori nichtfestgelegt, wie die beiden Nukleonen auf die Zustände verteilt sind. Eigenzuständesind die symmetrischen und antisymmetrischen Zuordnungen unter Vertauschung.Für zwei Nukleonen gibt es mit den Zuständen 1 und 2 die folgenden Möglich-keiten:

� symm. D p1 � p

2 ;

� symm. D n1 � n

2 ;

� symm. D 1=p2 � p1 � n

2 C n1 � p

2

;

� antisy. D 1=p2 � p1 � n

2 � n1 � p

2

:

(2.30)

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2.2 Die wichtigsten Fakten der Kernstruktur 27

Beitrag zu V

Beitrag zu V nn

np

und

n

n

n

n

n

n

n

p

n n

n

n

nn

p

p

Austausch

Austausch

Austausch

0

0

Abb. 2.16 Schematische Darstellung der Austauschwechselwirkung

Der geladene Pionenaustausch kann in den letzten beiden Zuständen auftreten. Daer aus dem Proton ein Neutron und aus dem Neutron ein Proton macht, hat er fürden symmetrischen und für den antisymmetrischen Fall jeweils ein anderes Vorzei-chen. Da beim geladenen Pionaustausch (in Relation zum neutralen Pionaustausch)in der Wechselwirkung ein negatives Vorzeichen auftritt, kommt es für den sym-metrischen Fall zu einer Reduktion und für den antisymmetrischen Fall zu einerVerstärkung der Wechselwirkung vom neutralen Pionaustausch. Es verbleibt einisolierter, tiefergelegener Zustand, der nur für den Proton-Neutron-Zustand auf-tritt.

Obwohl Pionen selbst keinen Spin tragen, gibt es einen spinabhängigen Teil derAustauschwechselwirkung. Das liegt daran, dass Spin und Bahndrehimpuls inein-ander übergehen können und dass ein Spinaustausch auch durch den entsprechen-den Bahndrehimpulsübertrag vermittelt werden kann. Beim Pionaustausch spieltein solcher Term eine wichtige Rolle. Er bevorzugt den bezüglich der Proton-Neu-tron-Besetzung symmetrischen Bindungszustand und hebt den oben begründetenUnterschied zum Teil auf. Er erfordert eine feldtheoretische Beschreibung [10], aufdie wir hier nicht eingehen können.

Entscheidend für diesen Effekt ist die Spinstruktur, die wir uns jetzt etwas ge-nauer anschauen. Nukleonen sind Fermionen, d. h. sie müssen daher insgesamtin antisymmetrischen Zuständen auftreten. Da für die Grundzustände des Zwei-Nukleonen-Zustands kein Drehimpuls auftritt, ist der Ortsraumanteil der Gesamt-wellenfunktion symmetrisch (unter r1 $ r2). Die Symmetrie bezüglich einer Ver-tauschung der Proton-Neutron-Besetzung muss daher durch eine Antisymmetrie im

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28 2 Einführung in die Kernphysik

Spinraum ausgeglichen werden und umgekehrt. Die obigen Zustände haben daherdefinierte Symmetrien bezüglich ihres Spins, d. h. die symmetrischen Zustände imProton-Neutron-Raum müssen unter Vertauschung der Nukleonenspins antisym-metrisch sein und die antisymmetrischen symmetrisch. Zwei Fermionen mit SpinS D 1 haben für geeignet gewählte z-Richtung die Komponente Sz D 1, d. h. ihrehalbzahligen Spins liegen parallel, und ihre Spinwellenfunktion ist symmetrisch.Die symmetrischen Zustände im Spinraum sind

� symm. D "1 � "

2 ;

� symm. D #1 � #

2 ;

� symm. D 1=p2�

"1 � #

2 C #1 � "

2

:

(2.31)

Der .S D 0/-Zustand, der orthogonal zum .S D 1:Sz D 0/-Zustand ist, ist anti-symmetrisch:

� antisy. D 1=p2�

"1 � #

2 � #1 � "

2

: (2.32)

Auffällig ist, dass die Struktur im Spinraum völlig analog zur Struktur unter Permu-tation im Proton-Neutron-Raum ist. Das wird uns öfter begegnen. Es gibt einen en-gen Zusammenhang zwischen Lie-Gruppen, wie sie bei der Behandlung des Spinsoder des Drehimpulses in der Quantenmechanik angewandt werden, und der Sym-metriegruppe, die das Verhalten unter Permutationen beschreibt [17].

Das kann dazu benutzt werden, das obige Symmetrieargument im Proton-Neu-tron-Raum als eine geeignete Spinabhängigkeit in einem fiktiven Spinraum zu for-mulieren. Dieser neue Spin wurde von Heisenberg [18] eingeführt und Isospingenannt. Die Nukleonen haben den Isospin I D 1=2mit der „z-Komponente“ Iz DC1=2 für das Proton bzw. Iz D �1=2 für das Neutron. Das Pion mit seinen dreiLadungszuständen ��, �0 und �C hat den Isospin I D 1 mit der z-KomponenteIz D �1, 0 undC1.

Eine quantitative Untersuchung zeigt, dass die von Yukawa geforderten Teilchenselbst keinen Spin tragen können. Man stellt allerdings fest, dass dazu eine Kor-rektur nötig ist, die durch einen kleinen Beitrag anderer Teilchen zustande kommt,die den Spin 1 tragen. Wir werden diese Teilchen in der Hadronenphysik kennenlernen.

2.3 Modelle der Kernstruktur

Zu Beginn dieses Abschnittes werden wir zunächst ein einfaches, semi-empirischesBild über das Zustandekommen der Bindungsenergie von Kernen kennen lernen.In diesem Bild werden Vorstellungen über die Verbindung zur zugrundeliegendenTheorie zunächst etwas zurückgestellt, und die Kerne werden beinahe wie „Was-sertropfen“ behandelt.

Page 39: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.3 Modelle der Kernstruktur 29

Abb. 2.17 Die Wechsel-wirkungen nur unmittelbarbenachbarter Nukleonen

p p

pp

pp

pp

p

p

p

nnnn

nnn

nn

nnn

n

n nn

nnn

nnn n

nnnn

n

p

p

p

pp

p

p

p

p

p pp

p

n

nnnn

nn

nn n

nn nn

nn n

n nn

nn nn

nn

nnn

nn

nnn

p

2.3.1 Semi-empirische Beschreibung der Bindungsenergie vonKernen

Im Tröpfchenmodell wird die Bindungsenergie von Kernen

B=c2 D B.Z;A/=c2 D �M.Z;A/C Z �mProton CN �mNeutron ;

die wir in (2.20) definiert hatten, in ihrer Abhängigkeit von der Ordnungszahl undder Massenzahl beschrieben. Das Modell nimmt an [19], dass die Bindungsenergiefünf verschiedene additive Beiträge

B D B0 C B1 C B2 C B3 C B4 (2.33)

enthält, die jeweils eine physikalisch plausible Erklärung haben.Wir haben gesehen, dass die Kernwechselwirkungen kurzreichweitig sind und

dass ihre Stärke etwa exponentiell abnimmt. Es ist daher sinnvoll anzunehmen,dass der wichtigste Anteil der Wechselwirkung nur die unmittelbar benachbartenNukleonen betrifft (Abb. 2.17). Dies erklärt dann, warum in erster Näherung derAbstand der Nukleonen und damit die Nukleonendichte konstant ist, wie wir es inAbb. 2.12 beobachtet hatten. Pro Nukleon oder pro Volumen erwartet man dahereinen konstanten Beitrag zur Bindungsenergie

B0 D aV � A : (2.34)

Dieser Beitrag wird Volumen-Energie des Kerns genannt. In der betrachteten Ge-nauigkeit ist damit die Massenzahl dem Kernvolumen proportional zu der drittenPotenz des Kernradius.

An der Oberfläche des Kerns ist dieses Bild offensichtlich nicht korrekt, da ineiner Richtung die Nachbarn fehlen. Mit der Oberflächenenergie

B1 D �aS � A2=3 (2.35)

Page 40: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

30 2 Einführung in die Kernphysik

berücksichtigt man dieses Defizit durch einen Beitrag, der die Bindungsenergie re-duziert. Die Oberfläche wächst mit dem Quadrat des Kernradius, d. h. mitA2=3. DerWert der Konstanten aS wird nicht berechnet (aus aV mit geometrischen Überlegun-gen), sondern einfach an die Daten angepasst. Dies erlaubt es verschiedene Effekte,die auch zu einer Oberflächenabhängigkeit führen, zu berücksichtigen. Zum Bei-spiel hatten wir in Abb. 2.12 gesehen, dass das Bild mit der konstanten Dichte nichtganz korrekt ist. Bei einer geringeren Dichte an der Oberfläche erwartet man ei-ne andere potenzielle Energie pro Nukleon und damit eine oberflächenabhängigeKorrektur.

Um zunächst bei der klassischen Physik zu bleiben, betrachten wir nun die Cou-lomb-Energie B2. An vierter Stelle kommt dann der Term, der dafür verantwortlichist, dass Kerne etwa gleich viele Protonen und Neutronen enthalten. Die Coulomb-Wechselwirkung ist die Ursache der Abweichung von dieser Regel; sie bewirkt,dass für schwere Kerne N etwas schneller wächst als Z, wie wir in Abschn. 2.2.1gesehen hatten.

Aus der Elektrodynamik wissen wir, dass für eine kugelsymmetrische Ladungs-verteilung die potenzielle Energie im Abstand r

U.r/ D 1

4�r�Qinnen.r/

von der eingeschlossenen Ladung

Qinnen.r/ D eZ �� r

R

�3 D e � ZA��

r

R0

�3

abhängt, die für den Kern in erster Näherung als konstant angenommen werdenkann. Die elektrostatische Energie ist damit

�B2 D1Z

0

U.r/ � dQinnen.r/

drdr

DA1=3R0Z

0

1

4�r� eZA

r

R0

�3!

��

eZ

A

3r2

R30

dr

D 3

5� e2

4�R0� Z

2

A1=3:

Mit der (vorläufigen) Definition einer Konstanten

aC D 3

5

e2

4�R0

schreiben wir

B2 D �aC Z2

A1=3: (2.36)

Page 41: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.3 Modelle der Kernstruktur 31

Ihr Wert ist negativ. Die Coulomb-Abstoßung reduziert die Bindungsenergie.Für den nächsten Beitrag B3 betrachten wir Kerne mit vorgegebener Nukleo-

nenzahl und fragen, wie die Bindungsenergie von der Proton-Neutron-Asymmetrieabhängt?

Wir beginnen mit einem einfachen Bild, bei dem in dem betrachteten Bereichdie Energien einzelner Zustände unabhänging vom Rest sind und die Bindungs-energie damit die Summe der Bindungsenergien der einzelnen Nukleonen ist. FürKernkräfte – die Coulomb-Wechselwirkungwurde getrennt berücksichtigt – spielenProtonen und Neutronen eine analoge Rolle, und man erwartet identische Energie-niveaus, die jeweils mit einem Proton und einem Neutron besetzt werden können.Es ist daher energetisch vorteilhaft, mit den Protonen und Neutronen gleichmäßigdie untersten verfügbaren Zustände aufzufüllen. Die höchste Bindungsenergie wirddabei um N D Z erreicht.

In der Quantenmechanik gibt es keine feste Zuordnung vom i -ten Nukleon zumk-ten Zustand, sondern eine Mischung von Zuordnungen, die jeweils mit festgeleg-ten Gewichten beitragen. Typischerweise gibt es viele solcher Beiträge mit jeweilsfestliegender Symmetriestruktur. Wir hatten diese Proton-Neutron-Symmetrie beimDeuteron kennen gelernt; sie wird Isospin-Symmetrie genannt. Im obigen Modelllassen erlaubte Permutationen von Protonen und Neutronen die Bindungsenergieunverändert, d. h. die verschiedenen Isospin-Beiträge sind entartet.

Wechselwirkungen,bei denen zwei Nukleonen effektiv ausgetauscht werdenkönnen, führen zu einer Korrektur des einfachen Bildes, da sie für die verschie-denen Symmetriezustände mit unterschiedlichen Vorzeichen beitragen und dieIsospin-Entartung brechen.

Beim Zwei-Nukleonen-System ist der Zustand, der bezüglich der Proton-Neu-tron-Vertauschung antisymmetrisch ist, energetisch günstiger als der andere. Versu-chen wir nun diese Beobachtung zu extrapolieren, ohne uns detaillierte Vorstellun-gen über die Dynamik der Kernkräfte zu machen.

Die Zunahme der Bindungsenergie durch Symmetrieeffekte wird, wenn man alledetaillierten Strukturen ignoriert, etwa von der Zahl der möglichen Kombinationenabhängen, aus denen eine besonders günstige Kombinationsmischung ausgesuchtwerden kann. Für Z Protonen in einem Kern mit A Nukleonen gibt es dabei

A

Z

!

verschiedene Zustände bezüglich der Proton-Neutron-Symmetrie. Die größte Zahlder Kombinationen ergibt sich für Z D A=2.

Versuchen wir dies etwas präziser zu betrachten. Analog zum Spin gibt es fürden Isospin bei vorgegebenen Iz D N � Z genau jIzj � I � Imax verschie-dene Isospinmöglichkeiten Die maximale Zustandszahl und damit die maximaleBindungsenergie wird für Zustände mit kleinen jIzj errreicht.

Für eine stetige, nicht diskrete Parametrisierung der Bindungsenergie um diesesMinimum erwartet man bei kleinen Auslenkungen typischerweise ein quadratischesVerhalten proportional zu .N � Z/2. Die so parametrisierte Asymmetrieenergie

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32 2 Einführung in die Kernphysik

sollte in etwa eine „extensive“ Größe sein, d. h. dass z. B. ein Ungleichgewichtim „n“ten Teil eines Kerns soviel Bindungsenergie kosten sollte wie dasselbe Un-gleichgewicht in einem entsprechend kleineren Kern:

c.nA/ � .nN � nZ/2 D n � c.A/ � .N �Z/2

Die A-Abhängigkeit der Proportionalitätskonstanten ist daher: c.A/ / 1=A. Miteiner geeigneten Konstanten aA kann man den Asymmetrieenergie-Beitrag nun inder folgenden Weise schreiben:

B3 D �aA.N �Z/2=A D �aA.A � 2Z/2=A : (2.37)

Da eine Asymmetrie die Bindungsenergie reduziert, ist der Term negativ.Der Asymmetriebeitrag begrenzt die Wirkung des Coulomb-Terms in (2.36).

Zusammen bestimmen sie den Abstand zur .N D Z/-Achse der jeweils stabilstenKerne. Die maximale Bindungsenergie wird für

Z D A

2C 0;0153A2=3erreicht. Diese Relation entspricht dem in (2.3) parametrisierten Neutronenüber-schuss in stabilen oder beinahe stabilen Kernen.

Aus der Systematik der Bindungsenergien kennt man einen weiteren Beitrag,die Paarungsenergie B4. Kerne mit gerademZ oderN sind in der folgendenWeisebevorzugt:

B4 D

8

ˆ

ˆ

ˆ

<

ˆ

ˆ

ˆ

:

CaPA�1=2 für gg-Kerne mit geradem Z und geradem N

0 für gu-Kerne mit gerademZ und ungeradem N

0 für ug-Kerne mit ungeradem Z und geradem N

�aPA�1=2 für uu-Kerne mit ungeradem Z und ungeradem N :

(2.38)

Wegen dieser Paarungsenergie sind Kerne mit geradem Z und geradem N beson-ders stabil, Kerne mit ungeradem Z und ungeradem N , abgesehen von wenigenAusnahmen, aber instabil.

In den obigen Symmetrieüberlegungen hatten wir den Spin der Nukleonen nichtberücksichtigt. Im Prinzip erwartet man einen solchen Beitrag nach einem ähnli-chen Argument, wie wir es für den Asymmetrie-Term des Isospins angeführt haben.Vor allem für große Massenzahlen A ist der beobachtete Term allerdings viel zugroß. Er deutet darauf hin, dass es im Kern zwischen Paaren von Neutronen bzw.von Protonen jeweils eine besonders starke Wechselwirkung gibt [20].

Fasst man die Terme zusammen, erhält man die Bethe-Weizsäcker-Formel

m.Z;A/c2 D C Zmpc2 CNmnc2

� aV AC aSA2=3 C aCZ2=A1=3 C aA.A � 2Z/2=A� aPA�1=2 für gg-Kerne mit geradem Z und geradem N

C aPA�1=2 für uu-Kerne mit ungeradem Z und ungeradem N(2.39)

Page 43: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.3 Modelle der Kernstruktur 33

Abb. 2.18 Die Beiträgeder einzelnen Terme zurBindungsenergie (adaptiertnach [12])

für die Bindungsenergie von Kernen. Empirisch bestimmt, haben die Konstantendie folgenden Werte [21]:

aV D 15;835MeV ;

aS D 18;33MeV ;

aC D 0;714MeV ;

aA D 23;2MeV ;

aP D 11;2MeV :

(2.40)

Die Beiträge der einzelnen Terme zur Masse (ohne B4) sind in Abb. 2.18 skizziert.Trotz ihrer einfachen Struktur gilt die Massenformel erstaunlich genau. Der

Fehler in der Bindungsenergie liegt typischerweise bei einigen Prozent. Für dieGesamtmassen entspricht dies einer Genauigkeit von 10�4. Ausgenommen werdenmüssen dabei die leichten Kerne unterhalb einer Massenzahl von 40. Deutlich grö-ßere Fehler gibt es für die ungewöhnlich stabilen sogenannten „magischen“ Kerne.Bei der Anpassung der Parameter in (2.40) wurde das (soweit nicht verstandene)Gebiet um die magischen Kerne ausgenommen.

Die Massenzahl-Abhängigkeit der Kerne hatten wir in Abb. 2.14 kennen ge-lernt. Der etwa konstante B=A-Wert wird bei niederen Massenzahlwerten durchden Oberflächen-Term ./ A2=3/ und bei hohen Massenzahlen durch den Coulomb-Anteil (praktisch / A2/ reduziert. Dies ermöglicht eine Reihe von Übergängen.Zwei leichte Kerne können in einem Fusionsprozess in einen schwereren überge-hen, ein schwerer Kern kann sich in zwei leichtere Kerne (Spaltung) oder in Kernund ˛-Teilchen (˛-Zerfall) spalten.

Betrachten wir nun die Kernmassen innerhalb einer Isobarenreihe. Im Zusam-menspiel von Asymmetrie-Term und Coulomb-Term erwartet man in etwa eineParabel, deren Minimum bei kleinen positiven .N � Z/-Werten liegt. Sie ist inAbb. 2.19 dargestellt. Für ungerade A ist jeweils entweder nur ein Z- oder ein N -Wert ungerade und der andere nicht. Man erhält damit keinen unterschiedlichenBeitrag von der Paarungsenergie. Für gerade A ist die Situation komplizierter. Jenachdem, ob Z und N gerade oder ungerade sind, bekommt man einen positivenoder negativen Beitrag, d. h. man hat zwei um einen konstanten Betrag verschobeneParabeln.

Page 44: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

34 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.19 SchematischeDarstellung der Bindungs-energie isobarer Kerne fürgerade und für ungeradeMassenzahlen

N−Z

Mas

se gerade

N−Z

Mas

seN+Z ungerade N+Z

Die Isobarenreihe ist wichtig für den ˇ-Zerfall. Ein Kern mit einem Überschussan Neutronen kann seine Kernladungszahl durch einen ˇ-Zerfall erhöhen. Der ab-laufende Prozess ist dabei

n! pC e� C N�e ; (2.41)

wobei das abgestrahlte Elektron als ˇ-Strahlung in Erscheinung tritt. Dieser Prozesskann bei entsprechendem Überschuss natürlich mehrmals stattfinden. Die treibendeEnergie ist dabei nicht die kleine Massendifferenz zwischen Proton und Neutron,sondern die freiwerdende Bindungsenergie. Für Kerne mit einem Überschuss anProtonen gibt es den umgekehrten Prozess

p! nC eC C �e ; (2.42)

der unter Aussendung von positiver ˇ-Strahlung, d. h. der Antiteilchen der obenemittierten Teilchen, abläuft. Das Antiteilchen eC des Elektrons e� heißt Positron.Um die beiden Prozesse zu unterscheiden, spricht man von ˇC- oder ˇ�-Zerfäl-len.

Da die Masse eines Elektrons oder Positrons (1=2MeV) typischerweise kleinist gegenüber den MeV-Werten der Bindungsenergie, kann der Prozess für Kernemit ungerader Massenzahl bis zu dem Isobar ablaufen, für das die Bindungsener-gie ihren maximalen Wert erreicht. Man beobachtet daher jeweils nur ein einzelnesIsotop, das bezüglich des ˇ-Zerfalls in jeder Richtung stabil ist. Für Kerne mit ge-rader Massenzahl kann die Asymmetrieenergiedifferenz für den Übergang von derniederen Parabel (Abb. 2.19) zur höheren nicht ausreichen. Trotz der Existenz desˇ-Zerfalls gibt es daher oft mehrere sehr stabile Isotope. Bei einem doppelten ˇ-Zerfall kann ein energetisch höhergelegener Zwischenzustand natürlich im Prinzipdurchtunnelt werden, aber solche Prozesse werden um Zehnerpotenzen mehr Zeitin Anspruch nehmen.

Page 45: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.3 Modelle der Kernstruktur 35

2.3.2 Das Thomas-Fermi-Modell

Wie kann man das Verhalten der Kerne aus einer fundamentalen Nukleon-Nukleon-Wechselwirkung verstehen? Vielteilchenprobleme sind praktisch nicht exakt lös-bar. Sie erfordern drastische Approximationen. Für Kerne gibt es zwei extremeMöglichkeiten. Man kann entweder das komplizierte Zusammenspiel im Vielteil-chenzustand ignorieren und sich den Bewegungen einzelner Teilchen in geeignetgewählten, effektiven Potenzialen zuwenden, oder man kann den Kern nur kollektivals Flüssigkeit oder Gas beschreiben [22].

Die Beschreibung der Nukleonendynamik sowohl durch Orbitale als auch durcheine Art von Gasanalogie erscheint auf den ersten Blick unsinnig, da bekannt ist,dass die Wechselwirkung zwischen Nukleonen sehr stark ist. Das Volumen von Nu-kleonen, wie es sich aus dem Streuquerschnitt ergeben würde, ist nicht viel kleinerals der Platz pro Nukleon im Kern (d. h. das Inverse der Packungsdichte), und eineinfallendes Proton, das nur ein einziges Mal durch einen großen Kern fliegt, wirdim Mittel ein bis mehrere Male gestreut werden. Der Grund, warum beide Kon-zepte trotzdem anwendbar sind, hat seinen Ursprung in der Fermi-Statistik. Da allefür Fermionen des Kerns energetisch zugänglichen Zustände besetzt sind, sind dieerwarteten drastischen Streuvorgänge innerhalb des Kerns nicht möglich. Das giltnicht für Streuvorgänge mit von außen kommenden Nukleonen. Im Bereich po-sitiver Energien gibt es natürlich beliebig viele unbesetzte Endzustände, und diemittlere freie Weglänge von solchen Teilchen ist damit, wie gesagt, sehr kurz.

Wie wir gesehen haben, spielt die Fermi-Statistik eine zentrale Rolle. Viele Ei-genschaften der Kerne sind allein aus der Fermi-Statistik unabhängig von der detail-lierten Struktur der Kerne zu verstehen. Dies geschieht im Thomas-Fermi-Modell.In diesem Modell ist jedwede Wechselwirkung zwischen den Nukleonen vernach-lässigt, und es gibt – abgesehen von der Größe – keine Abhängigkeit von dergenauen Form und Dichtestruktur des Kerns.

Um die grundlegende Idee zu erläutern, brauchen wir wieder etwas Quantenme-chanik. Betrachten wir zunächst untereinander nicht wechselwirkende Teilchen ineinem kastenförmigen Würfelpotenzial:

V.r/ D(

�V0 für 0 < x; y; z < Ca1 sonst :

(2.43)

Die Schrödinger-Gleichung mit einem solchen Potenzial

� „2

2m

d2

dx2C d2

dy2C d2

dz2��

.x; y; z/ D .E � V / .x; y; z/ (2.44)

wird faktorisiert. Schreibt man die Wellenfunktion als

.r/ D X.x/Y.y/Z.z/ ;

Page 46: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

36 2 Einführung in die Kernphysik

so erhält man drei separate Gleichungen

� „2

2m

d2

dx2X.x/ D ExX.x/ ;

� „2

2m

d2

dy2Y.y/ D EyY.y/ ;

� „2

2m

d2

dz2Z.z/ D EzZ.z/

mit soweit unbestimmten Konstanten („Unterenergien“)

.E C V0/ D Ex CEy CEz :

Betrachten wir zunächst die x-Komponente. Die Wellenfunktion muss an den Kan-ten verschwinden. Die Lösungen haben daher die Form

X.x/ D .const./ � sin.kxx/

mit der „Wellenvektor“-Komponente

kx D � � �xa

;

und mit�x D 1; 2; 3; � � � :

Die Lösungen in den anderen Richtungen sind analog. Die �-Werte liegen in einemdreidimensionalen Raum mit jeweils ganzzahligen Koordinaten, dem „Wellenzahl-vektorraum“, wie in der Abb. 2.20 dargestellt ist. Die „Unterenergie“ der jeweiligenLösung ist

Ex D „2

2m

�2

a2�2x ;

und die (kinetische) Gesamtenergie hat damit den Wert

E C V0 D „2

2m

�2

a2

�2x C �2y C �2z�

:

Da wir die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Teilchen vernachlässigen,sind dies auch die Lösungen im Mehrteilchensystem. Wieviele Zustände passen inden Kern bei vorgegebener Maximalenergie? Es sind gerade die Zustände, die sichin Abb. 2.20 innerhalb einer „Fermi-Kugel“ mit dem Radius

RFermi D a

„�p

2m.E C V0/ D a

„�p

2mEFermi (2.45)

befinden oder, genauer gesagt, in dessen positiven Sekanten, d. h. einer .1=8/-Ku-gel. Die Fermi-Energie EFermi ist die besetzte maximale kinetische Energie E �V0.

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2.3 Modelle der Kernstruktur 37

Abb. 2.20 Der diskretePhasenraum des Kastenpo-tenzials

Ist die Zahl der Zustände groß, wird sie etwa dem verfügbaren Volumen des positi-ven Sekanten entsprechen

n D 1

8��

4

3�R3Fermi

D 1

6�2„3 � .2mEFermi/3=2 � V ; (2.46)

wobei V D a3 dem Volumen des Potenzialkastens entspricht.Versuchen wir jetzt, unsere Betrachtung etwas realistischer zu machen. Zunächst

haben wir mehrere Nukleonsorten. Jeder Zustand kann insgesamt viermal besetztwerden, und zwar durch ein Proton und ein Neutron, jeweils mit dem Spin nach„oben“ und nach „unten“.

Die unendliche Potenzialwand ist eine Idealisierung. Nimmt man an, dass dasPotenzial außen verschwindet, ändert sich wenig für die Wellenfunktionen im Kas-ten. Nur die obersten Wellenfunktionen tunneln etwas in die Begrenzung. Der we-sentliche Effekt ist, dass jetzt Nukleonen mit E > 0 nicht mehr gebunden sind.Es gibt damit für gebundene Nukleonen eine maximale kinetische Energie, die derTiefe des Potenzials entspricht. In den meisten Kernen wird diese Energie nichtwirklich erreicht, und die Tiefe des Potenzials ist daher meist etwas größer alsdie Fermi-Energie, die, wie gesagt, die maximale kinetische Energie der tatsäch-lich besetzten Zustände angibt. In realistischeren Betrachtungen wird die Tiefe desPotenzials so angepasst, dass diese Differenz der beobachteten Separationsenergieentspricht.

Die zentrale Beobachtung ist jetzt, dass die Dichte n=V der Zustände nur von derFermi-Energie abhängt. In einen doppelt so großen Kasten gehen zweimal so vieleZustände. Das gilt natürlich nur approximativ für nicht zu kleine Potenzialkästen.Wir hatten im Wellenvektorraum ja nicht einzelne Zustände abgezählt, sondern nurVolumina betrachtet.

Betrachten wir zur Illustration zwei identische, aneinandergefügte Potenzialkäs-ten. In einem solchen Doppelkasten gibt es etwa gleich viele symmetrische und an-tisymmetrische Zustände. Die antisymmetrischen Wellenfunktionen verschwinden

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38 2 Einführung in die Kernphysik

an der ursprünglichen Kastengrenze und entsprechen daher genau den Lösungen ineinem der ursprünglichen Kästen. Die symmetrischen Zustände sind neu. Sie sindverantwortlich für den Faktor 2 in der Zahl der vorhandenen Zustände, der bei einerVerdopplung des Volumens von (2.46) erwartet wird.

In der betrachteten Approximation hängt eine solche Addition nicht von der Tie-fe der beiden Kastenteile ab. Macht man die Kästchen „infinitesimal“, kann manbeliebig geformte Potenziale approximieren, und zwar auch in drei Dimensionen.In der betrachteten Näherung gibt es daher eine allgemeine Beziehung zwischenFermi-Energie und Nukleonendichte, die für viele Abschätzungen verwendet wer-den kann. Aus der Dichteverteilung in Abb. 2.12 lässt sich damit direkt mit (2.46)die Potenzialtiefe ablesen. Mit einer typischen Kerndichte von

%0 D 0;16 Nukleonenfm3

erhält man aus (2.46) und dem Faktor 4 eine Fermi-Energie von etwa 36MeV (es ist„c D 197MeV � fm). Ein Nukleon an der „Fermi-Kante“, das diese relative Energie(E�V ) trägt, ist noch gebunden. Mit einer zusätzlichen Bindungsenergie von etwa4MeV ist die absolute Potenzialtiefe dann 40MeV.

2.3.3 Das Schalenmodell

Das Thomas-Fermi-Modell erlaubt ein Verständnis der groben globalen Strukturen,wie sie in die Bethe-Weizsäcker-Formel eingingen. In der Nuklidtafel gibt es spe-zifische Strukturen, die von einer Massenzahl zur nächsten zu starken Änderungenführen, die nicht aus der offensichtlich recht kontinuierlichen Änderung von Dich-teverteilungen erklärt werden können.

Solche Strukturen waren in der Bindungsenergie pro Nukleon in Abb. 2.14 zu se-hen. Für einigeN - undZ-Werte gab es in der Nuklidtabelle besonders viele Isotonebzw. Isotope. Sie waren in Abb. 2.11 durch Kästchen markiert. Ähnliche Strukturenbeobachtet man, wenn man die natürlichen Häufigkeiten der Elemente aufträgt.

Die Strukturen sind besonders gut sichtbar, wenn man die Änderung der Sepa-rationsenergie [23] betrachtet, die in Abb. 2.21 für Neutronen und in Abb. 2.22 fürProtonen gezeigt ist. Dies gilt besonders für die N -Abhängigkeit, aber auch, wennauch weniger deutlich, für die Z-Abhängigkeit.

Untersucht man die Isotope, die dafür verantwortlich sind, so findet man, dassdafür jeweils besondere Protonen- oder Neutronenzahlen verantwortlich schei-nen [24]. Für solche speziellen Werte, die sogenannten magischen Zahlen

N;Z D 2; 8; 20; 28; 50; 82 oder 126 ;

scheint ein besonderer Grad an Stabilität erreicht.Möchte man solche detaillierteren Strukturen verstehen, muss man mit der Dy-

namik der Nukleonen eine Stufe genauer sein. Dies geschieht im Schalenmodell

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2.3 Modelle der Kernstruktur 39

Abb. 2.21 Die Änderungder Separationsenergie fürNeutronen B.N;Z/�B.N �1;Z/. Die angegebenenKoordinatenwerte beziehensich auf Z und N . (© Leonvan Dommelen [25])

Abb. 2.22 Die Änderung derSeparationsenergie für Proto-nen B.N;Z/� B.N;Z � 1/.Die angegebenen Koordi-natenwerte beziehen sichauf Z und N . (© Leon vanDommelen [25])

(englisch shell model). Nach wie vor wird die direkte Wechselwirkung zwischeneinzelnen Nukleonen vernachlässigt, aber die detaillierte Form der Wellenfunk-tionen der Nukleonen in empirischen mittleren Potenzialen wird jetzt explizit be-

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40 2 Einführung in die Kernphysik

rücksichtigt. Die Vorstellung für die magischen Zahlen ist nun, dass wie in derAtomhülle die Energieniveaus in Schalen gruppiert sind und dass vollständig auf-gefüllte Schalen relativ stabil sind. Der Name „magisch“ hat seinen Ursprung darin,dass es lange Zeit nicht möglich war, Schalen mit solchen Besetzungszahlen zu ver-stehen.

Das Schalenmodell folgt der Hartree-Fock-Approximation in der Atomphysik.In dieser Approximation werden zunächst die Wellenfunktionen eines einzelnenElektrons in einem mittleren Coulomb-Potenzial der anderen Elektronen berech-net, und anschließend wird dann aus der so erhaltenen Dichte (d. h. aus der Summeder Wellenfunktionsquadrate) der Ladungsverteilung mit dem Coulomb-Gesetz dasresultierende elektrostatische Potenzial bestimmt. Die richtige Lösung hat man,wenn das so berechnete Potenzial mit dem ursprünglich hineingesteckten Poten-zial übereinstimmt. Eine geeignete Iteration erlaubt es, eine solche Lösung mit dergewünschten Genauigkeit zu finden, d. h. die zugrundeliegende Integralgleichungzu lösen. Für die Lösung muss natürlich die Antisymmetrie der Wellenfunktion desFermionensystems erhalten bleiben.

Das Bild mit einemmittleren Potenzial ist für Kerne nicht ohne weiteres anwend-bar, da Kernkräfte bei kleinen Nukleonenabständen sehr stark variieren. Betrachtenwir die Situation etwas genauer. Der Operator der Schrödinger-Gleichung. (Opera-toren sind überstrichen.)

H� D E�wird in geeigneter Weise in einen Ein- und einen Zwei-Teilchen-Beitrag aufgespal-ten

H DX

i

H0.r i ;pi /CX

i;j

Vi;j .� � � / :

Die Aufspaltung in einen Ein-Teilchen-Operator und eine Störung (Zwei-Teilchen-Beitrag) wird dabei so gewählt, dass der zweite Operator einen minimalen Beitragleistet und (so gut wie möglich) vernachlässigt werden kann. Die Wellenfunktionbesteht aus einer antisymmetrischen Summe

� / � � � C � � � i.rk/ � j .r l / � � � � � � � j .rk/ � i.r l / � � � :Ignoriert man den zweiten Operator, lösen die Produkte die Schrödinger-Gleichung,wenn die einzelnen Wellenfunktionen selbst Lösungen sind. Wegen der Antisym-metrie können nur unterschiedliche Zustände beitragen.

In der Kernphysik verzichtet man normalerweise auf die Selbstkonsistenzbedin-gung und arbeitet mit geeignet gewählten Ein-Teilchen-Potenzialen, die empirischaus den beobachteten Energieniveaus gewonnen werden. Zum einen ist die Wech-selwirkung zwischen zwei Nukleonen viel komplizierter und ungesicherter als dieCoulomb-Wechselwirkung. Zum anderen ist die Approximation, aus dem attrakti-ven Zwei-Nukleonen-Potenzial ein effektives Zentralpotenzial Vzentral.r/ herauszu-ziehen, hier sowieso wesentlich schlechter. Auf Versuche, den Rest

X

j

Vi;j .r i ; rj / � V.ri /zentral

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2.3 Modelle der Kernstruktur 41

irgendwie als Korrektur zu berücksichtigen, werden wir später zurückkommen.Man weiß, dass die Nukleonendichte im Inneren des Kerns in etwa konstant ist.

Aus der Überlegung im letzten Abschnitt folgt, dass damit auch das effektive Kern-potenzial im Inneren konstant sein muss. Man erwartet also in erster Approximationeine Art kugelförmiges Kastenpotenzial

V.r/ D(

�V0 für 0 < r < CR0 sonst

(2.47)

für Neutronen. Für Protonen wird der Coulomb-Anteil hinzukommen, der innen(� �r2) das Potenzial am Rand ein wenig absenkt und außen für eine Coulomb-Schwelle (� 1=r), die uns noch beschäftigen wird, verantwortlich ist. Von derDichteverteilung in Abb. 2.12 wissen wir, dass das Kastenpotenzial nicht für die„abgerundeten“ Randbereiche gilt und dass für leichte Kerne diese Abrundungsef-fekte dominieren; die Dichteverteilung entspricht dort mehr einer Gauß-Verteilung,wie man sie für einen harmonischen Oszillator

V.r/ D V0 � r2 (2.48)

erwartet. Das wirkliche Potenzial muss irgendwo dazwischen liegen. In vielenRechnungen wird daher das sogenannteWoods-Saxon-Potenzial [26]

V.r/ D �V01C exp ..r �R/=a/ (2.49)

benutzt. Mit geeigneten Parametern (z. B. [27]: V0 D 42MeV, R D 1;3 � Afmund a D 0;65 fm) interpoliert es zwischen beiden extremen Potenzialformen inrealistischer Weise. Für unsere Diskussion reicht es, die extremen Potenziale desKastens und des Oszillators zu betrachten. Wie liegen die Energieniveaus in beidenFällen?

Die Lösung des dreidimensionalen harmonischen Oszillators faktorisiert wegen

V.r/ / r2 D x2 C y2 C z2

wie das im letzten Abschnitt behandelte rechteckige Kastenpotenzial in drei eindi-mensionale Wellenfunktionen

.r/ D X.x/ � Y.y/ �Z.z/ :

Jede der Komponenten ist Lösung des eindimensionalen harmonischen Oszillators.Die Gesamtenergie hat damit drei Beiträge

E D „!.nx C 1=2/C „!.ny C 1=2/C „!.nz C 1=2/D „!.nC 3=2/ (2.50)

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42 2 Einführung in die Kernphysik

mit n D nx C ny C nz D 0; 1; 2 � � � . Die Besetzungszahl wird durch die kombi-natorischen Möglichkeiten bestimmt, die Energie auf Anregungen in den einzelnenKomponenten zu verteilen. Es gibt nC1Möglichkeiten, n zwischen nx und nyCnzzu verteilen, und die Aufteilung zwischen ny und nz ergibt im Mittel n=2C1Kom-binationen. Summiert man über jeweils voll besetzte Schalen n D 0; 1; 2; 3; 4; 5; � � �mit den Besetzungsmöglichkeiten

1; 3; 6; 10; 15; 21; � � � (2.51)

für beide Spinzustände, erhält man für Neutronen (oder für Protonen) die folgenden,besonders stabilen Besetzungszahlen:

2; 8; 20; 40; 70; 112; � � � : (2.52)

Die ersten drei entsprechen in der Tat den magischen Zahlen.Geeignete lineare Kombinationen der entarteten Zustände ergeben Eigenzustän-

de des Drehimpulsoperators. Solche Eigenzustände hätte man sofort erhalten, wennman die Wellenfunktion zunächst in einen radialen und einen winkelabhängigenAnteil separiert hätte. Für die niedrigsten Anregungszustände treten dabei die fol-genden Drehimpulszustände auf:

n 0; 1; 2; 3; 4; 5; � � �l 0; 1; 0; 1; 0; 1; � � �

2; 3; 2; 3; � � �4; 5; � � �

Da es zu jedem der angeführten Drehimpulszustände jeweils ein Multiplett mitinsgesamt .2l C 1/Zuständen gibt, erhält man in jeder Spalte die obigen Beset-zungszahlen.

Verlässt man das Harmonischer-Oszillator-Potenzial und wählt ein anderes ku-gelsymmetrisches Potenzial wie das Kastenpotenzial, wird die Entartung zwischenden verschiedenen Drehimpulszuständen mit verschiedenen l aufgehoben. Da keineVorzugsrichtung vorliegt, bleibt natürlich die Entartung bezüglich der Drehimpuls-richtungm bestehen.

Für ein kugelsymmetrisches Kastenpotenzial ist die Aufspaltung der Linien nichtsehr stark, wie man in den ersten beiden Spalten in Abb. 2.23 sehen kann. In derAbbildung sind die üblichen spektroskopischen Bezeichnungen

s(sharp); p(principal); d(diffuse); f(fundamental) : : : weiter alphabetisch : : :

für die Bahndrehimpulse l D 0; 1; 2, usw. benutzt. Die erste Spalte zeigt die äqui-distanten Niveaus des harmonischen Oszillators, die zweite Spalte die des radialenKastenpotenzials, das das Potenzial großer Kerne approximieren sollte. Die Ener-giezustände haben sich nicht sehr stark geändert. Sie sind nach wie vor für höhereAnregungszustände falsch gruppiert; das Problem mit den magischen Zahlen istnoch nicht gelöst.

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2.3 Modelle der Kernstruktur 43

Abb. 2.23 Die Aufspaltungder Terme und die Spin-Bahn-Kopplung (adaptiertnach [28])

Der harmonische Oszillator und das Kastenpotenzial sind Extremfälle, das wirk-liche Potenzial wird dazwischen liegen. Im Allgemeinen ändert sich die relativeLage der Eigenzustände nur sehr langsam mit der Form des Potenzials; bestimm-te Ordnungsrelationen bleiben für eine weite Klasse von Potenzialen erhalten. Esist unmöglich, allein durch eine geschickte Wahl des Potenzials die den magischenZahlen entsprechende Gruppierung zu erhalten.

Die einzige Möglichkeit, die magischen Zahlen zu erhalten, ist eine Aufspaltungvon Zuständen mit verschiedenen Spins. Aus Abschn. 2.2.4 wissen wir, dass dieWechselwirkung zweier Nukleonen einen spin-abhängigen Anteil hat, und eine sol-che Abhängigkeit ist damit auch für das effektive globale Potenzial zu erwarten.Eine Möglichkeit ist dabei eine Wechselwirkung zwischen Spin und Bahndrehim-puls des jeweils betrachteten einzelnen Nukleons [29]

VSpin-Bahn.ri /.l i � si / : (2.53)

Der nichtrelativistische Grenzfall der Dirac-Gleichung, die wir im dritten Teil ken-nen lernen werden, führt für ein einzelnes Teilchen in einem Potenzial zu folgenderSpin-Bahn-Wechselwirkung:

@

@riV .ri / .l i � si / :

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44 2 Einführung in die Kernphysik

Der nichtrelativistische Grenzfall erlaubt es, die r-Abhängigkeit der Spin-Bahn-Wechselwirkung sinnvoll festzulegen. Er kann nicht dazu benutzt werden, ihre Grö-ße und sogar ihr Vorzeichen zu bestimmen.

Jensen und Goeppert-Mayer (Nobelpreis 1963) fanden 1948 heraus, dass ein sol-cher Term in der Tat zur richtigen Aufspaltung der Terme führt, wie sie in der letztenSpalte der Abb. 2.23 dargestellt ist. Die 2 � .2l C 1/-fachen Multipletts spalten injeweils ein .2l C 2/-faches und ein 2l-fachesMultiplett auf. Der niedrigste (l D 3)-Zustand mit Spin in Bahndrehimpulsrichtung kommt aus der Gegend des dritten indie Gegend des zweiten Orbitals und analog der niedrigste (l D 4)-Zustand in dieGegend des dritten Orbitals usw. Die eckigen Klammern geben die Besetzungs-zahlen der scheinbaren Orbitale eng benachbarter wirklicher Orbitale an, die denmagischen Zahlen entsprechen.

Das Kastenpotenzial, das in der Abb. 2.23 dargestellt wurde, ist natürlich nichtrealistisch. Interessiert die genaue Reihenfolge in der Besetzung eng benachbarterZustände, müssen realistischere Potenziale herangezogen werden. Für Protonenzu-stände muss die Coulomb-Abstoßung berücksichtigt werden.

Der obige Term ist nicht der einzige mögliche Spin-Bahn-Kopplungs-Term. Be-schäftigen wir uns zunächst mit der Notation. Mit großen Buchstaben werden oftdie den gesamten Kern betreffenden Größen bezeichnet, d. h.

J DX

j i ;L DX

l i und S DX

si ;

wobei gilt:J D LC S I j i D l i C si :

(Manchmal wird der Buchstabe I anstelle von J benutzt, um den Drehimpuls desKerns (I ) von dem der Hülle (J ) zu unterscheiden. In diesem Buch wird I für denIsospin verwendet.)

Mitj2

i D l2

i C 2.si � l i /C s2i

(wobei die Operatoren l2

i und s2i für die Spin-Bahn-Kopplung nicht relevante Eigen-werte l.lC1/ und 3=4 haben) lässt sich der obige Spin-Bahn-Term folgendermaßenschreiben

1=2 VSpin-Bahn.ri / .j i � j i / : (2.54)

Er wird daher oft jj -Kopplung genannt.In der Atomphysik ist eine andere Kopplung bekannt. Da hier die elektrostati-

schen Kräfte recht langreichweitig sind, spürt ein Elektron das Magnetfeld, das vondem Bahndrehimpuls aller anderen Elektronen hervorgerufen wird. Der Wechsel-wirkungsterm ist mit einem geeigneten FaktorKSpin-Bahn

KSpin-Bahn.L � S / : (2.55)

Er wird LS-Kopplung oder Russel-Saunders-Kopplung genannt. Überwiegt dieseKopplung, sind die Atomzustände etwa Eigenzustände des Gesamtspins und des

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2.3 Modelle der Kernstruktur 45

Abb. 2.24 Die Be-setzungszahlen desSauerstoffisotops 17O

Zustandsanzahl Anzahl p Anzahl n

1d5/2 16

1p1/2 2 2 21p3/2 4 4 4

1s1/2 2 2 2

Gesamtdrehimpulses. Man hat damit eine Aufspaltung der radialen Anregungenmit festem Bahndrehimpuls und festem Gesamtspin in 2S C 1 verschiedenen Spi-norientierungen. Die LS-Kopplung kann die magischen Zahlen nicht erklären, undsie ist damit nicht dominant in Kernen der dafür relevanten Größe. Für sehr leichteKerne (etwa A < 16) scheint eine Mischung beider Terme aufzutreten.

In welcher Reihenfolge die Orbitale im „Ein-Teilchen“-Schalenmodell desAtomkerns aufgefüllt werden, beeinflusst den Gesamtdrehimpuls der Atomkerne.Der Gesamtdrehimpuls entspricht dem von außen beobachteten „Spin“ des alsganzes gesehenen Atomkerns. Betrachten wir den Einfluss des jj -Terms und ver-nachlässigen wir für den Augenblick jedwede Zwei-Nukleon-Wechselwirkung. ml

bzw. ms seien die z-Komponente des Bahndrehimpulses l bzw. des Spins s. Zu je-dem .ml ;ms/-Zustand gibt es einen .�ml ;�ms/-Zustand mit identischer Energie.Beide Zustände werden daher in der Regel gleichzeitig aufgefüllt werden. Für gg-Kerne (mit geradem Z und geradem N ) findet man daher einen verschwindendenGesamtdrehimpuls des Kerns. Für Kerne mit ungerader Nukleonenzahl wird derGesamtdrehimpuls und das magnetische Moment des Spins durch dieses äußere zu-sätzliche Nukleon bestimmt. Wie in der Atomhülle tragen abgeschlossene Schalennicht bei. In Analogie zur Atomphysik wird es als „Leuchtnukleon“ bezeichnet.

Betrachten wir ein Beispiel. Der Sauerstoffkern 16O ist doppelt magisch (Z D 8und N D 8). Die niedersten s- und p-Zustände (d. h. l D 0 und l D 1) sindaufgefüllt, wie es in Abb. 2.24 gezeigt ist. In der Figur ist der Fall des 17O-Isotopsdargestellt, das ein zusätzliches Neutron besitzt. Da dies einen totalen Drehimpulsvon 5=2 trägt, ist der Gesamtdrehimpuls des Kerns 5=2. Mit dieser Methode erhältman die in Abb. 2.25 dargestellten Vorhersagen. Die Übereinstimmung ist erstaun-lich gut in Anbetracht der Tatsache, dass nur der mittlere Effekt der Zwei-Teilchen-Wechselwirkung berücksichtigt war. Sie funktioniert besonders gut in der Nach-barschaft von magischen Kernen. Das ist nicht überraschend. Fügt man zu einemmagischen Kern ein Nukleon hinzu, wird dieses wegen des relativ großen Energie-abstands eine etwas geringere Überlappung mit den übrigen „Rumpf“-Nukleonenhaben. Eine Vernachlässigung des Unterschieds von zentraler Wechselwirkung undZwei-Teilchen-Wechselwirkung ist daher hier besonders unproblematisch.

Das gilt auch für Anregungszustände von Kernen mit einem solchen Leuchtnu-kleon. Um die Situation zu illustrieren, sind in Abb. 2.26 die Anregungszuständedes 17O-Isotops zusammengestellt. Erwartungsgemäß (Abb. 2.23) findet man nebendem 1d5=2-Grundzustand einige leicht identifizierbare Leuchtnukleon-Anregungs-zustände 2s1=2, 1f7=2 und 2p3=2. Wie man in der Abbildung sehen kann, wird die

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46 2 Einführung in die Kernphysik

11/2

13/2

1/2

3/2

5/2

7/2

9/2

I

05030201 40

E

/

(magisch) +/−1 bzw. +/−2N=Z

Abb. 2.25 Der beobachtete Kernspin im Vergleich zum Schalenmodell (adaptiert nach [27])

Situation für höhere Anregungen schnell kompliziert. Das Spektrum kann in diesemBereich nur in detaillierten Modellrechnungen, die Korrekturen zum Schalenmodellexplizit berücksichtigen, verstanden werden. Uns interessieren nur die einfachstenAspekte der Kernmodelle.

2.3.4 Kurze Betrachtung der Kernmomente

Kerne enthalten sich bewegende Ladungen, deren Energie natürlich von anliegen-den elektrischen und magnetischen Feldern abhängt. Für quantitative Betrachtun-gen muss man die Ladungen und Stromverteilungen eines Kerns nach Multipolenentwickeln, wie dies aus der Elektrodynamik bekannt ist. Da die Ausdehnung desKerns klein ist, sind nur die niedrigsten Beiträge physikalisch interessant. Das ersteelektrische Moment (die Ladung oder Ordnungszahl) ist bekannt. Experimentell re-levant sind das magnetische Dipolmoment und das elektrische Quadrupolmoment.Ohne magnetischen Monopol gibt es kein entsprechendes magnetisches Momentund, da im Kern nur positive Ladungen auftreten, spielen elektrische Dipolmomentekeine Rolle. Wir betrachten Kerngrundzustände, in denen Oszillationen der Ladun-gen um den Massenmittelpunkt nicht auftreten.

Für Messungen von magnetischen Dipolmomenten

�Kern D gKern � �N (2.56)

verwendet man die Einheit des Kernmagnetons, d. h. des magnetischen Momentseines Protons, das ohne ausgerichteten Spin mit dem Drehimpuls l D 1 in einem

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2.3 Modelle der Kernstruktur 47

Abb. 2.26 Die Energieniveaus des 17O-Kerns (© Hellwege, [30])

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48 2 Einführung in die Kernphysik

Zentralfeld kreist:

�N D e„2mpc

D 3;15 � 10�14MeV

T: (2.57)

Dabei ersetzt die Protonmasse die Elektronmasse im Bohrschen Magneton, das dasmagnetische Dipolmoment des Elektrons beschreibt. In Konsequenz ist die Skalafür magnetische Dipolmomente um drei Zehnerpotenzen niedriger als in der Atom-hülle.

Das magnetische Moment des Kerns enthält Beiträge vom Bahndrehimpuls undvom Spin der Nukleonen. Welcher Beitrag kommt vom Spin eines Nukleons? Inder reinen Dirac-(Ein-)Teilchen-Theorie hat ein Fermion der Masse mp in nied-rigster Ordnung in der obigen Einheit das magnetische Dipolmoment 1, d. h. derBahndrehimpuls l D 1 führt zu demselben Moment wie der Spin s D 1=2. DerDrehimpuls des geladenen, reinen Dirac-Teilchens in einem Bindungszustand istdamit

�Dirac-Teilchen D �N ��

l C 2 � s� ; (2.58)

wobei l und s als Operatoren aufzufassen sind. Zu dem Faktor 2 der niedrigs-ten Ordnung gibt es Korrekturen. Für Elektronen führt das, wie wir später sehenwerden, hauptsächlich durch die Hinzunahme der virtuellen Photonen zu einerwinzigen Abweichung. Da das Proton bzw. das Neutron keine elementaren Fer-mionen sind, haben sie anomale magnetische Momente, die weit von dem einesfreien Dirac-Teilchens abweichen. Zur Beschreibung führt man einen empirischenKorrekturfaktor ein

�Nukleon D �N ��

l C gs � s�

; (2.59)

der für Protonen den Wert gs D 5;59 und für Neutronen den Wert gs D �3;83hat [31, 32]. Für Neutronen verschwindet natürlich der erste Summand.

Für Kerne sind auf der rechten Seite der Gesamtbahndrehimpuls der geladenenProtonen und der Gesamtspin einzusetzen. Betrachten wir den Fall eines Kerns miteinem einzelnen Leuchtproton, das den Gesamtdrehimpuls und den Gesamtspin desKerns trägt.

Möchte man das magnetischeMoment eines Kerns angeben, können quantenme-chanische Effekte nicht vernachlässigt werden. Berücksichtigt man die Spin-Bahn-Wechselwirkung, sind nur J; Jz; S; J � S und die Parität erhaltene Größen. Die Pa-rität, die wir später einführen werden, legt fest, ob der Bahndrehimpuls gerade oderungerade ist. Versuchen wir nun, das magnetische Moment durch diese Eigenwerteauszudrücken, ohne in quantenmechanische Details zu gehen. Der einzige erhaltene„Vektor“ wird durch J; Jz beschrieben. Es gibt keine andere ausgezeichnete Rich-tung. Nur der Teil von �, der in diese Richtung zeigt, kann daher einen im Mittelnicht verschwindenden Erwartungswert haben. Man kann daher den Operator �

durch den Operator

J1

J.J C 1/J ��

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2.3 Modelle der Kernstruktur 49

ersetzen. Die elektrostatische Energie des Kerns im Magnetfeld lässt sich mit demErwartungswert dieses Operators in der folgenden Weise ausdrücken:

E D �B ��Kern D �B ��

J1

J.J C 1/J ��Kern

: (2.60)

Zeigt die z-Achse in Richtung des Magnetfelds, ist der erste Faktor rechts jB j � Jz .Zur Berechnung des zweiten Vektorprodukts

J ��Kern D J � �N

LC gs � S�

(2.61)

spalten wir den letzten Vektor in einen Teil proportional zu LC S D J und einenTeil proportional zu L � S auf. Durch diese Aufspaltung gibt es dann im Produktjeweils volle Quadrate der Operatoren mit den Erwartungswerten J.J C 1/ undL.LC 1/� S.S C 1/. Man erhält

E D �jB j � Jz � �N��

1

2C gs

2

C�

1

2� gs2

� .L .LC 1/� S .S C 1//J .J C 1/

;

(2.62)

wobei bei einem ungepaarten Nukleonenspin S D 1=2 und L D J ˙ 1=2 ist. Dieerhaltenen magnetischen Momente in Richtung des Spins Jz D J

�Kern D J � �N8

<

:

1 � � 12� 1

2gs�

1J

für J D LC 12

1C � 12� 1

2gs�

1JC1

für J D L � 12

(2.63)

werden Schmidt-Werte genannt.Die Spinabhängigkeit der magnetischen Momente von Kernen mit einem un-

gepaarten Proton ist in Abb. 2.27 dargestellt. Das Bild mit einem einzelnen un-gepaarten Proton, das mit seinem anomalen magnetischen Moment den Spin unddas magnetische Dipolmoment des Kerns bestimmt, ist nur auf einer qualitativenEbene richtig. Das anomale magnetische Moment scheint für Nukleonen im Kerngeringere Werte anzunehmen.

Welche Möglichkeiten gibt es, magnetische Dipolmomente zu messen? Aus derAtomphysik ist das Stern-Gerlach-Experiment (Abb. 2.28) bekannt. Die Energieeines Kernmagnetons im Magnetfeld ist durch (2.60) gegeben. In einem inhomoge-nen Magnetfeld hat diese Energie eine nicht verschwindende Ableitung, und es gibteine Kraft in Richtung des stärkeren Magnetfeldes, das zur Ablenkung eines Strahlsbenutzt werden kann. Praktisch lässt sich das (einfache) Stern-Gerlach-Experimentnur auf neutrale Strahlen anwenden, da sonst die Lorentz-Kraft dominiert. Manmuss die Kernmomente innerhalb eines Atoms messen. Das ist wegen des großenUnterschieds zwischen Bohrschem Magneton und Kernmagneton sehr schwierigund erfordert besondere Verfahren.

Eine Methode der Bestimmung von Kernmomenten benutzt die Hyperfeinstruk-tur der Spektrallinien in Atom- und Molekülspektren. Die verschiedenen Polarisa-tionsrichtungen eines Kerns führen zu einer Aufspaltung geeigneter Spektrallinien,

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50 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.27 Die magnetischen Dipolmomente von Kernen mit ungepaarten Protonen (© Mayer-Kuckuck [33])

aus der sich das magnetische Moment des Kerns berechnen lässt. Entscheidendfür die Messgenauigkeit sind dabei die Größe der atomphysikalischen (d. h. der voneinem nicht verschwindenden magnetischen Moment der Hülle erzeugten) Magnet-felder und die Genauigkeit, mit der diese bestimmt werden können. Die Magnetfel-der um den Kern sind größer als die maximal mit äußeren Magneten erreichbarenFelder (augenblicklich sind das einige zehn Tesla).

Eine andere Methode beobachtet Umklappprozesse des Kernspins in starken,äußeren Magnetfeldern, die durch Absorption von geeigneten Photonen ermög-licht werden. Wie wir oben gesehen hatten, sind die Kernmomente sehr klein,und die benötigten Photonenenergien liegen daher für verfügbare Magnetfelder imleicht handhabbaren Radiofrequenzbereich. Bei der magnetischen Kernresonanz(englisch nuclear magnetic resonance oder NMR) werden hochfrequente elekro-magnetische Wellen durch eine geeignete Spule angeboten, und durch Variationder Hochfrequenz oder des Magnetfelds wird das Resonanzgebiet gesucht, für dasAbsorption auftritt.

Abb. 2.28 Das Stern-Ger-lach-Experiment

Page 61: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.3 Modelle der Kernstruktur 51

Für die Entdeckung der Kernspinresonanzspektroskopie erhielten Bloch undPurcell 1952 den Nobelpreis für Physik. Für die Entwicklung der hochauflösendenKernspinresonanzspektroskopie – die Methode gestattet es nun, einzelne Kernein chemischen Verbindungen getrennt zu untersuchen – erhielt R. Ernst 1991 denNobelpreis für Chemie.

Der Umklappprozess bildet die Grundlage der Kernspintomographie (räumli-che Abbildung mittels Kernspin). Durch eine geschickte Inhomogenität des Ma-gnetfelds wird eine Resonanzebene festgelegt. Durch einer genauen Analyse desHochfrequenzfeldes erhält man eine hohe Auflösung in der räumlichen Positionder umklappenden Kerne.

Das elektrische Kernquadrupolmoment, das bei einer Ausrichtung in z-Richtungals

Q /Z

% � r2 Œ 3 cos2.#/ � 1 d3r (2.64)

geschrieben wird, hat die Einheit C � fm2. Hat die Hülle ein nicht verschwinden-des Quadrupolfeld, ist der Energiebeitrag E aus der Wechselwirkung mit dessenelektrostatischem Potenzial VHülle

E D Q � d2

dz2VHülle : (2.65)

Informationen über das Quadrupolmoment erhält man aus genauen spektroskopi-schen Untersuchungen. Besonders nützlich ist dabei ein Vergleich verschiedenerIsotope desselben Elements (der „Isotopieverschiebung“). Die oft beträchtlichenUnsicherheiten in der Größe des Hüllenpotenzials spielen bei einer Messung ge-eigneter Spektrallinien keine Rolle, da isotope Atome sich nicht in ihren Hüllenunterscheiden.

Das Ergebnis von Quadrupolmessungen ist in Abb. 2.29 in einer geeignet re-duzierten Koordinate dargestellt. In der Gegend der magischen Zahlen, d. h. mit –abgesehen von wenigen Nukleonen oder Löchern – abgeschlossenen Schalen funk-tionieren die Vorhersagen des Schalenmodells zufriedenstellend. Im Schalenmodellhaben die abgeschlossenen Schalen keinen Einfluss auf Kernmomente; die Kern-momente werden durch die Bewegungen der äußeren Leuchtnukleonen bestimmt.Bei halb gefüllten Schalen schwerer Kerne ist die Vorhersage des Schalenmodellsdrastisch verletzt.

2.3.5 Kollektives Modell

Im vorigen Abschnitt hatten wir gesehen, dass die Vorhersagen des Schalenmo-dells für den Kernspin für größere Kernmassen immer schlechter und schlechterwerden. Es stellt sich heraus, dass für schwerere Kerne Korrekturen zur Zentral-feldapproximation zunehmend wichtiger werden. Solche Korrekturen können imkollektiven Modell berücksichtigt werden, das von Aage Bohr und Ben R. Mottel-son (Nobelpreis für Physik 1975) entwickelt wurde. Das Modell erlaubt es, vieleandere Eigenschaften schwerer Kerne zu verstehen.

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52 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.29 Elektrische Qua-drupolmomente ungeraderKerne. Die Linie illustriertdie Struktur der Datenpunkte(© Mayer-Kuckuck [33])

Im Schalenmodell, in dem sich – abgesehen vom Leuchtnukleon – alle Bahn-drehimpulse und Spins paarweise aufheben, sind die oft hohen elektrischen Qua-drupolmomente und magnetischen Dipolmomente nicht zu erklären. Man brauchteinen Beitrag der abgeschlossenen Kernrümpfe. Dass Kernrümpfe zu keinen Kern-momenten beitragen, gilt natürlich nur für den Fall eines reinen Zentralpotenzials.Kleine Abweichungen von der Kugelsymmetrie können, da der Kern viele Nu-kleonen enthält, relativ leicht zu großen Korrekturen führen. Da die Kernkräfteeigentlich kurzreichweitig sind, können lokale Schwankungen auftreten und Kor-rekturen zur Zentralfeldapproximation verstärken.

Wie kann man sich solche Schwankungen vorstellen? Ausgehend vom Tröpf-chenmodell erwartet man kollektive Bewegungen mit einer Dynamik, die sich ausden im Tröpfchenmodell bekannten Beiträgen zur Bindungsenergie bestimmt. Fürdiese Bewegung gibt es zwei wichtige Modi.

Zum einen gibt es Vibrationen um die kugelsymmetrische Form. Der Kern kann,z. B. zwischen einer „oblaten“ und einer „prolaten“ Form („football“- oder Linsen-form), oszillieren. Solche Vibrationen (mit kleiner Auslenkung ˇ) des effektivenKernradius

R.#; '/ D R0 � .1C ˇ � Y20.#; '//

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2.3 Modelle der Kernstruktur 53

werden zu den äquidistanten Spektrallinien

E D „!.nC 1=2/des harmonischen Oszillators führen.

Zum andern gibt es Rotationen bei nicht völlig kugelsymmetrischen Kernen. DieEnergieniveaus der kollektiven Rotationsanregungen eines solchen Kerns sind

EL D „2 12�

L.LC 1/ ;

wobei � das Trägheitsmoment des Kerns ist. Für Rotationen eines spiegelsym-metrischen Rumpfs kommen nur gerade Drehimpulse in Frage. (In der Näherungbesteht der Rumpf aus einer homogenen, spinlosen, effekiven Bose-Teilchen-Mate-rie. Da eine halbe Umdrehung des symmetrischen Rumpfs nur eine Bose-Teilchen-Vertauschung bewirkt, muss die Wellenfunktion schon nach einer solchen Drehungin sich selbst übergehen, d. h. nach einer Drehung um �=2 und nicht um � oder um2� wie für einzelne Bose- oder Dirac-Teilchen.)

Wie stabil ist ein Kern gegen Deformation aus der Kugelsymmetrie? Für den Vo-lumen-Term ist die Kernform ohne Bedeutung. Ein positiver Oberflächenenergie-Term stabilisiert die Kugelform. Der Coulomb-Term versucht, den Abstand zwi-schen den Ladungen zu vergrößern, was mit einer Abweichung von der Kugelformoffensichtlich erreicht werden kann. Wir hatten gesehen, dass die Bedeutung desCoulomb-Terms mit der Kerngröße zunimmt und für große Kerne eine entschei-dende Rolle spielt. Abweichungen von einer kugelsymmetrischen Verteilung sinddaher für große Kerne zu erwarten. Meist sind es prolate Verteilungen. Kürzlichwurde gezeigt, dass 24Ra einen „birnenförmigen“ Kern besitzt [34].

Besonders große Abweichungen von der Kugelsymmetrie treten bei Kernen mithalb gefüllten Schalen auf. In schwereren Kernen mit bis auf ein Leuchtnukleonabgeschlossenen Schalen (wie dem in Abb. 2.26 betrachteten 17O-Kern) können (inexpliziten Modellrechnungen) detaillierte Informationen über die Anregungsmodider Rumpfkerne erhalten werden. Zu den Vorhersagen des Schalenmodells für dasLeuchtnukleon kommen Korrekturen durch die Wechselwirkung mit dem nicht ku-gelsymmetrischen Rumpf hinzu.

2.3.6 Cluster- und ˛-Teilchen-Modell

Vor allem für Kerne, deren Protonen- und Neutronenzahl nicht in der Nachbarschaftvon magischen Zahlen liegen, gibt es auch bei kleineren Massenzahlen deutlicheKorrekturen zum Schalenmodell. Um sie zu verstehen, benötigt man eine noch dras-tischere Korrektur.

Das Problem des Schalenmodells ist, dass die Zwei-Teilchen-Kräfte offensicht-lich lokale Korrelationen in der Teilchenverteilung einführen, die im effektivenZentralpotenzial nicht berücksichtigt wurden. Eine zunächst rein formale Möglich-keit, Korrelationen zu berücksichtigen ist die sogenannte Cluster-Entwicklung [35].

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54 2 Einführung in die Kernphysik

(Die Methode ist nur bei positiver Korrelation anwendbar. Die starke Repulsion(hard core) bei kleinen Abständen kann nicht berücksichtigt werden. Schalenmo-dellrechnungen mit oder ohne Cluster-Zuständen haben daher Probleme, wenn sehrgroße Impulse betrachtet werden. Die „Skala“ der Gültigkeit des Modells ist be-grenzt.)

An Stelle von einzelnen Nukleonen betrachtet man eine geeignete (die richtigenZwei-, Drei-, usw.Nukleonen-Korrelationen ergebende) Mischung von ein, zwei,drei usw. Nukleonenanhäufungen als neue, dynamisch relevante Konstituenten.

In der Kernphysik haben die Cluster eine unmittelbare physikalische Interpre-tation. Man beobachtet bei Zerfällen, dass bei Emission von Kernmaterie meist ˛-Teilchen abgestrahlt werden. Dies deutet darauf hin, dass die Kernbestandteile miteiner gewissen Wahrscheinlichkeit ˛-Teilchen sind, die manchmal, wie wir spä-ter sehen werden, durch den Tunneleffekt dem Kern entkommen können. Da derTunneleffekt eine Emission von ˛-Teilchen gegenüber schwereren Kernen stark be-vorzugt, gibt die Beobachtung dabei keinen Hinweis auf die relative Häufigkeit der˛-Cluster.

Die Annahme, dass man das Vielteilchensystem Kern manchmal in zwei Unter-systeme, den Cluster und den Rumpf, aufspalten kann, d. h., dass für die Dynamiknur die Relativkoordinate und die internen Koordinaten eine Rolle spielen, bedeu-tet eine drastische Reduktion der Koordinaten. Für leichte Kerne ermöglicht dieseReduktion eine mikroskopische Beschreibung der Kernstruktur aus der Nukleon-Nukleon-Wechselwirkung [36]. Man erreicht ein gutes und verlässliches Verständ-nis leichterer Kerne bis etwa 20Ne.

Die Rechnungen bestätigen die Clusterannahme; sie zeigen, dass das Auftretender Cluster die Kernstruktur recht drastisch beeinflussen kann. Betrachten wir alsBeispiel den Grundzustand von 7Li. Dieser Kern besteht vollständig oder fast voll-ständig aus einem relativ losen (Bindungsenergie� 3MeV) Bindungszustand eines˛-Teilchens (Bindungsenergie etwa 30MeV) und eines Tritons (Tritiumkerns).

Zum Abschluss seien andere Clustering Konzepte kurz erwähnt. Wir werden imdritten Kapitel des Buches sehen, dass Nukleonen selbst keine Elementarteilchensind, sondern eigentlich aus Quarks und Gluonen bestehen. Sie sind dann eine ArtCluster, die aus drei Quarks (und einer beliebigen Zahl von Quark-, Antiquarkpaa-ren und Gluonen) bestehen. Da diese Effekte auf einer Skala zur Geltung kommen,die für die Kernphysik nicht unmittelbar relevant ist, waren sie für die bisherigenÜberlegungen ohne Bedeutung.

Versucht man die Kernphysik direkt auf einer Quark-Ebene zu formulieren, stößtman auf das Problem, dass die übliche „Störungsrechnung“ für typisch kernphysi-kalische Skalen eigentlich nicht anwendbar sein sollte [37, 38].

Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang Versuche, Quarks und Gluonenprimär nicht in Nukleonen, sondern in Pionen zu „clustern“. Die Hypothese ist da-bei, dass durch eine Art Kondensationsprozess aus der Quark-Gluon-Theorie eineeffektive Pionen-Feld-Theorie entsteht und dass die Struktur der Pionenwolke umdie eigentlichen Nukleonen durch diese effektive Theorie beschrieben wird. In derTheorie erscheint die Pionenwolke eines Nukleons als eine spezielle Art von Singu-larität des Pionenfeldes, als ein sogenanntes Skyrmion. Da im kernphysikalischen

Page 65: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.4 Radioaktiver Zerfall 55

Bereich die Pionenwolke eine bestimmende Rolle zu spielen scheint, können vie-le Eigenschaften der Nukleonenwechselwirkungen in einem solchen Modell ohneexplizite, eigentliche Nukleonen erstaunlich gut beschrieben werden.

2.3.7 Möglichkeiten, Modelle an besonderen Kernen zu testen

Die in den vorigen Abschnitten entwickelten Vorstellungen scheinen die beobach-tete Struktur der Kerne im Wesentlichen korrekt zu beschreiben. Eine wirklicheKontrolle von Modellen erfordert Vorhersagen. Kann man die Modelle in neue, bis-her unbekannte Gebiete extrapolieren?

Eine Spekulation in dieser Richtung ist die mögliche Existenz von ungewöhnlichschweren Kernen. Extrapoliert man die Überlegungen zu den magischen Kernen,kommt man im Bereich von Z D 190 zu einer Insel besonders hoher Bindungs-energien. Ob der Effekt groß genug ist für die Existenz praktisch stabiler super-schwerer Kerne, ist ungeklärt. Kleine Änderungen in den Parametern führen zuunterschiedlichen Vorhersagen bezüglich ihrer Stabilität [39]. Auf alle Fälle bestehtdie Möglichkeit der Existenz solcher exotischen Objekte, und es gibt ein systema-tisches experimentelles Programm, solche Kerne zu produzieren und zu finden.

Ein Gebiet, in das man die entwickelten Vorstellungen extrapolieren kann, ist seitlängerem bekannt und wird intensiv untersucht. Es betrifft das Verhalten von Ker-nen mit hohem Spin. Bei einer Streuung geeigneter Kerne können, wie wir später(Abschn. 2.6) sehen werden, hochangeregte Zwischenkerne entstehen. Ein solcherZwischenkern wird manchmal unter Abstrahlung von Neutronen (oder leichterenKernen) einen etwas stabileren Zustand erreichen, der sich dann unter Abstrahlungvon Photonen weiter abkühlt. Dabei wird bevorzugt die radiale Anregung abgebaut,sodass zunächst Kerne mit sehr hohen Drehimpulsen entstehen (bis zu L D 60).Solche Isomere mit hohem Kernspin ohne andere Anregungen heißen Yrast-Zu-stände [33, 40, 39, 41, 42].

Die Analyse ihres stufenweisen Zerfalls erlaubt es, den Anstieg der Bindungs-energie in Abhängigkeit vom Kernspin zu messen und damit das Trägheitsmomentdes Kerns als Funktion der Zentrifugalkraft zu bestimmen. Im vorigen Abschnitthatten wir gesehen, dass Kerne mit hohen Ladungen wegen der Coulomb-Absto-ßung relativ leicht deformierbar sind. Obwohl die Zentrifugalkräfte nicht zu großsind, findet man interessante Umstrukturierungen der Kerne [43, 44, 41]. Untergünstigen Bedingungen konnte man superdeformierte, ellipsoide Kerne mit einemAchsenverhältnis von 1 zu 2 und mehr [45] beobachten.

2.4 Radioaktiver Zerfall

Wir haben die Betrachtung der Bindungsstruktur der Kerne abgeschlossen und wen-den uns jetzt radioaktiven Zerfallsprozessen zu. Wir beginnen mit allgemeinen Be-trachtungen. Einige wenige in der Natur vorkommende Kerne sind stark radioaktiv.Diese natürlichen radioaktiven Substanzen haben dabei meist „astronomisch hohe“

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56 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.30 Zerfallsschemamit � -Zerfällen

mittlere Zerfallszeiten – sonst wären sie ja seit der Entstehung der Erde zerfallen.Dazu gibt es allerdings Ausnahmen, da kurzlebige radioaktive Kerne im Zerfalllanglebiger Kerne entstehen können. Als Beispiel dazu hatten wir das Radium ken-nen gelernt. Neben den natürlichen Strahlern gibt es heute eine Vielzahl von neuenmeist rasch zerfallenden radioaktiven Kernen, die künstlich in Kernreaktoren er-zeugt werden.Werden extrem kurzlebige Kerne benötigt (z. B. in der medizinischenDiagnostik), für die die Lagerung schwierig wäre, können geeignete Zerfallspro-dukte verwenden werden, die von der ursprünglichen Substanz auf chemischemoder physikalischem Wege getrennt werden können.

Wir betrachten in Abb. 2.30 die Situation, in der ein angeregter Kern eine kurzeZeit lebt und dann unter Abstrahlung eines Photons in einen weniger hoch angereg-ten Zustand zerfällt (�-Zerfall). Die Situation ist analog zu der bei der Atomhülle,wo ein Elektron von einem Energieniveau in ein anderes durch Emission eines Pho-tons direkt oder mit Zwischenstufen übergehen kann, wie es im Zerfallsschema inder Abbildung dargestellt ist. Das einzige, was sich ändert, ist die Größenordnungder Energie.

Anders als in der Atomphysik gibt es für Kerne neben der �-Emission weite-re Prozesse, wie sie in Abb. 2.31 gezeigt sind. Den ˛-, ˇC- und ˇ�-Zerfall hattenwir schon kennen gelernt. Ist der ˇC-Zerfall energetisch wegen der Elektronenmas-se nicht erlaubt, gibt es als Alternative den Elektroneneinfang. Er basiert auf demfolgenden Prozess:

pC e� ! nC �e ; (2.66)

bei dem das auslaufende Positron durch ein einlaufendes Elektron ersetzt wurde.Woher bekommt der Kern sein einlaufendes Elektron? Für schwere Kerne habendie Elektronen der K-Schale eine gewisse Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Kern-bereich, so dass bei der entsprechenden Lage der Kernniveaus ein Einfang einesElektrons aus der K-Schale ablaufen kann. Wegen der geringen Aufenthaltswahr-scheinlichkeit ist der Einfang vergleichsweise langsam. Nicht jedes bei einem ra-dioaktiven Zerfall emittierte Elektron hat seinen Ursprung in einem ˇ-Zerfall. Bei

Abb. 2.31 Weitere wichtigeZerfallsprozesse

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2.4 Radioaktiver Zerfall 57

der inneren Konversion wird ein emittiertes �-Quant bisweilen von einem Elek-tron der Atomhülle „wieder“ eingefangen, was in der Regel zu einer Emission desElektrons führt. Dieses Bild ist natürlich nicht ganz richtig, da es sich nicht um einfreies Photon, sondern um ein ausgetauschtes Photon handelt. Da beide Prozessesehr ähnlich sind, ist es sinnvoll, die relative Wahrscheinlichkeit einer inneren Kon-version zur �-Emission zu betrachten. Sie nimmt, wie zu erwarten, mit wachsenderOrdnungszahl zu.

2.4.1 Mittlere Lebensdauer

Die mittlere Zeit bis zum Zerfall heißt mittlere Lebensdauer. Zur Größenordnungseien ein paar Zahlenwerte angegeben. Eine typische mittlere Lebensdauer für dievergleichsweise schnellen �-Zerfälle ist

�� � 10�12 s :

Die mittleren Lebensdauern für die vergleichsweise langsamen ˛- und ˇ-Zerfälleliegen in den Bereichen

�˛ � 10�6 s � � �10C10 a ;

�ˇ � 10�2 s � � � 10C10 a :

Zum Vergleich seien einige andere mittlere Lebensdauer-Werte angeführt. OhneHilfe oder Behinderung vom Kernpotenzial hat das Neutron mit seinem ˇ-Zerfalldie mittlere Lebensdauer

�n!pCe�CN�e D 15min :

In der Hadronenphysik werden uns für Resonanzzustände Zerfallszeiten von bis zu10�24 Sekunden herunter begegnen. In Versuchen, die Physik der schwachen Vek-torbosonen mit der Physik der Partonen auf eine einheitliche Grundlage zu stellen,erhält man die Vorhersage, dass das Proton zerfällt, wenn auch extrem langsam.Falls es in der angenommenen Weise zerfallen sollte, wurde experimentell gezeigt,dass das Proton länger als 1032 Jahre, d. h. 1022 Weltalter, lebt. Das Weltalter ist1;5˙ 0;5 � 1010 Jahre [31].

Wie kann man die enorm unterschiedlichen Lebensdauern messen? Je nach Grö-ßenordnung gibt es die verschiedensten Methoden. Bei sehr kurzen Zerfallszeiten(etwa ab 10�13 s) misst man die Lebensdauer indirekt. Man betrachtet den Streuvor-gang, in dem das kurzlebige Objekt produziert wird. Der Prozess kann nur ablaufen,wenn der Anfangszustand eine Energie besitzt, die der Masse des Objekts ent-spricht. Wegen des Heisenbergschen Unschärfe-Prinzips

� � � � „kann dabei allerdings nur der Energiebereich mit der entsprechenden Unschärfe �festliegen. Tatsächlich wird die minimale Unschärfe erreicht. Aus der Unschärfe

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58 2 Einführung in die Kernphysik

der Energieabhängigkeit des Wirkungsquerschnitts kann man daher die Lebensdau-er des zwischenzeitlich existierenden Teilchens bestimmen. Beispiele für solcheMessungen werden wir später ausführlich besprechen.

Längere Lebensdauern kann man oft direkt beobachten. Man kann sehen, wiedie Teilchen mit bekannter Geschwindigkeit eine gewisse Strecke fliegen und dannzerfallen. Dabei ist mit dem Lorentz-Faktor � zu berücksichtigen, dass die Zeit imLaborsystem nicht der Eigenzeit entspricht:

�Labor D � � � D E

Mc2� � : (2.67)

Das hilft bei der Messung kurzer Lebensdauern. Meist kann man sich allerdings dasLorentz-System nicht frei wählen, und es gibt daher Grenzen für die verfügbarenLorentz-Faktoren. Man kommt daher oft nicht umhin, winzige Abstände auszu-messen. In Experimenten, in denen kurzlebige Teilchen analysiert wurden, konntenmit verschiedenen Methoden (z. B. Emulsions- oder Siliciumpixeldetektoren) mi-kroskopische Auflösungen von einigen �m erreicht werden [31]. Für ruhende Ob-jekte können mit moderner Elektronik (z. B. in Photomultipliern) Zeiten zwischenEinfang und Zerfall im Bereich von ps aufgelöst werden [46]. Mit geschicktemAufspalten und Zusammenfügen von Komponenten eines Laserstrahls können La-serpulse im fs-Bereich erzeugt werden [47].

Für lange Lebensdauern, wie sie typisch für natürliche kernphysikalische Zer-fallsprozesse sind, zählt man die Zahl der Zerfälle pro Zeiteinheit in einer vorge-gebenen Substanzmenge. Man benutzt in diesem Messverfahren das Exponential-gesetz der Zerfallswahrscheinlichkeit. Diese Methode kann auch bei sehr langenLebenszeiten beibehalten werden. Die zu untersuchenden und mit Detektoren aus-gestatteten Volumina müssen dann entsprechend groß sein. Für Protonenzerfalls-experimente wurden riesige unterirdische Tanks mit vielen tausend KubikmeternWasser verwendet.

2.4.2 Das exponentielle Zerfallsgesetz

Gemäß der Quantenmechanik ist es nicht bekannt, wann ein angeregter Kern zer-fällt. Es gibt nur eine Zerfallswahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit

� D � 1N

d

dtN ; (2.68)

wobei N die Anzahl der Kerne ist. Wichtig ist, dass in der Gleichung � nur vonder zerfallenden Substanz und von keinen anderen Faktoren abhängt. Die Gl. 2.68ist eine Differenzialgleichung für die wahrscheinliche Anzahl von nicht zerfallenenKernen. Sie hat folgende Lösung:

N.t/ D N0 exp .�� � t/ : (2.69)

Page 69: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.4 Radioaktiver Zerfall 59

Eine einfache Integration der Zerfallswahrscheinlichkeit

� D1Z

0

t� �N.t/N0

dt D 1

�(2.70)

ergibt die mittlere Lebensdauer. In praktischen Messungen wird oft die Zeit T.1=2/ermittelt, nach der nur noch die Hälfte der Substanz, also

N�

T. 12 /

D 1

2�N0 ; (2.71)

vorhanden ist (Halbwertszeit). Aus

1

2D exp

�� � T. 12 /

(2.72)

folgt

T. 12 /D ln 2

�D 0;693

�D 0;693 � � : (2.73)

Das einfache Exponentialgesetz wird etwas komplizierter, wenn mehrere Prozessehintereinandergeschaltet sind, d. h. wenn es eine Tochter-Aktivität gibt:

A�a! B

�b! C : (2.74)

Die Gleichung für die Zerfallswahrscheinlichkeit der NB-Kerne ist

d

dtNB D �a �NA � �b �NB D �a � N0 exp .��a � t/ � �b �NB : (2.75)

Die inhomogene Differenzialgleichung wird gelöst durch

NB D N0 �a

�b � �a Œexp .��a � t/ � exp .��b � t/ ; (2.76)

was je nach den Zerfallszeiten zu den in Abb. 2.32 gezeigten Verteilungen führt.Tatsächlich ist die Situation oft noch beträchtlich komplizierter; es gibt manchmallange, sich sogar verzweigende Zerfallsketten. Dazu kommen bisweilen eine äußereStrahlungseinwirkung und Effekte, durch die Stoffe entweichen können.

Betrachten wir ein Beispiel für eine solche Situation. Wie kann man das geolo-gische Alter der Erde bestimmen? Lord Kelvin hat versucht, das Alter der Erde seitErstarrung einer geschmolzenen Masse mit einer einfachen thermodynamischenBerechnung der zunächst vorhandenen und der dann nach und nach abgestrahltenEnergie abzuschätzen. Sein Ergebnis war um eine Größenordnung zu klein, da beiseiner Abschätzung die Radioaktivität innerhalb der Erde nicht mitgerechnet war,die das Abkühlen der Erde verzögerte.

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60 2 Einführung in die Kernphysik

Abb.2.32 Häufigkeit der Prozesse in einem Zerfall mit Tochter-Aktivität (adaptiert nach Marmierund Sheldon [48]). Zum Zeitpunkt tmax besteht die höchste Aktivität des Prozesses B ! C

Die Radioaktivität hat nicht nur Kelvins Berechnung widerlegt, sondern sie lie-fert auch selbst eine Methode der Altersbestimmung. Die Methode beruht darauf,dass seit dem Erstarren die Zerfallsprodukte in den Mineralien eingeschlossen blei-ben und dass ihr Mengenverhältnis zur ursprünglichen Substanz bei bekannter Zer-fallszeit eine Altersbestimmung zulässt. Die errechneten Werte für das Erdalterliegen bei etwa 4;54 � 109 Jahren. Dies entspricht etwa einem Drittel des Altersdes Universums seit Emission der Hintergundstrahlung.

2.4.3 Einheiten für die Radioaktivität

Die Einheit für die Radioaktivität einer Substanz ist das Becquerel (Bq)

1Bq D 1 Zerfall=s 1 s�1 : (2.77)

Es ersetzt die ältere Einheit:

1 Curie D 1Ci 3;7 � 1010 Bq ; (2.78)

die der Radioaktivität eines Gramms des häufigsten Radiumisotops 226Ra nähe-rungsweise entspricht.

Die Radioakivität wird oft pro Volumen oder, wenn es sich um einen Oberflä-cheneffekt handelt, pro Fläche angegeben.

Oft interessiert die Wirkung der auf ein Objekt eingefallenen Strahlendosis.Strahlung ionisiert Materie, und man kann daher einfach die Zahl der Ionen messen.

Page 71: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.4 Radioaktiver Zerfall 61

Die Einheit

1 Röntgen D 1R D 2;58 � 10�4 C pro kg Ionen und Elektronen in Luft (2.79)

beschreibt, wieviel Coulomb in Ionen in trockener Luft erzeugt wurden.Die pro Masseneinheit abgegebene Energie ist in SI-Einheiten:

1 Gray D 1Gy D 1 J=kg : (2.80)

Oft verwendet man noch an Stelle des Grays die ältere Einheit:

1 Röntgen absorbed dose D 1 rad D 10�2 J=kg ; (2.81)

die meist etwa einem Röntgen entspricht.Verantwortlich für die biologische oder medizinische Schädigung ist die Ionisati-

on von Atomen in Zellen. Dabei spielt es eine Rolle, wie gebündelt diese Ionisationauftritt. Für die Frage nach der biologischen oder medizinischen Schädigung ist dieWirksamkeit der Strahlung daher verschieden. Mit einem empirischen biologischenBewertungsfaktor legt man in SI-Einheiten als

1 Sievert D 1 Sv 1Gy Röntgenstrahlung bei 200KeV (2.82)

die Strahlungsmenge fest, die 1Gy Röntgenstrahlung bei 200KeV entspricht. DerBewertungsfaktor (relative biological effectiveness, oft RBE genannt) erreicht et-wa den Wert 30 für Schwerionenstrahlung. In älteren Einheiten verwendet man anStelle des Sieverts das rem:

1 Röntgen-equivalent-manD 1 rem D .1=100/Sv : (2.83)

Die unmittelbare medizinische Schädigung bei einer einmaligen starken Bestrah-lung ist recht genau bekannt [49]. Symptome einer milden Strahlungskrankheit sindallgemeine Schwäche, Appetitlosigkeit, Brechreiz und Durchfall. Da auch bei ei-ner milderen Strahlungsbelastung die Blutproduktion beeinträchtigt wird, ist dieBlutgerinnung reduziert und das Imunsystem geschwächt. Die maximale Dosis,bis zu der keine klinische Behandlung der Strahlungsschäden erforderlich wird, ist0;25 Sv. Eine kurzfristige Belastung mit 7 Sv hat in fast allen Fällen einen tödlichenAusgang.

Die Wirkung niedriger, langfristiger Strahlenbelastung ist weniger leicht fest-zulegen. Die Gefährdung besteht in einer statistischen Erhöhung des Krebsrisikosund der Wahrscheinlichkeit genetischer Mutationen der Keimzellen. Man geht da-von aus, dass die Strahlungsbelastung sich in einen bestimmten Intensitätsbereichkummuliert, d. h. dass das Krankheitsrisiko proportional zur integrierten Strahlen-belastung ansteigt, und dass der Lebenszeit-Risiko-Faktor bei etwa 70 Todesfällenpro 1000 Personen und pro Sievert Ganzkörperstrahlenbelastung liegt [50].

Sieht man von wenigen katastrophalen Ereignissen und Fällen von Fehlverhaltenab, gibt es keine Bevökerungsgruppen, für die Spätschäden durch strahlenbedingte

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62 2 Einführung in die Kernphysik

Krankheiten neben dem nicht strahlenbedingten Auftreten derselben Krankheitenstatistisch signifikant feststellbar sind.

Hilft die Verdünnung? Aus theoretischen Gründen ist es plausibel, dass bei sehrgeringer Strahlenbelastung das Risiko nicht linear mit der Bestrahlung ansteigt, son-dern dass praktisch eine gewisse Mindestbelastung erforderlich ist.

Ein gewisser Orientierungspunkt für die Gefährdung ist die normale natürlicheStrahlungsbelastung, der die Menschheit immer ausgesetzt war. Bei der natürlichenStrahlenbelastung gibt es Schwankungen über mehrere Dekaden. In besonderenFällen werden bei der natürlichen Belastung aus heutiger Sicht bedenkliche Risi-ken erreicht.

Bei einer genaueren Betrachtung muss man zwischen innerer und äußerer Be-lastung unterscheiden. Bei der inneren Belastung werden radioaktive Elemente imKörper aufgenommen. Da die Elemente im Körper unterschiedlich deponiert wer-den und da verschiedene Organe unterschiedlich empfindlich sind, ist zwischeneinzelnen Körperteilen zu differenzieren. Eine relativ große Belastung tritt in derLunge auf und kann dort natürlicherweise lokal Werte in der Größenordnung von3mSv=a erreichen. Gemittelt über den Körper (die Einheit Sv ist massebezogen)tragen in den Kreislauf aufgenommene Radionuklide aus der Biosphäre mit etwa0;7mSv=a bei.

Besonders problematisch ist bei der inneren Belastung das Radon. Radoniso-tope entstehen als Zerfallsprodukte aus verschiedenen radioaktiven Erzen. DieLebensdauer des stabilsten Isotops 222Rn ist 3,82 Tage. In dieser Zeit kann dasEdelgas Radon aus den geologischen Schichten, in denen es entsteht, entweichen.Gelangt es in die Atmosphäre, wird es schnell verdünnt. Die Radon-Konzentrationin der Luft ist 1 in 10�21, d. h. unbedenklich. Gefährlich wird Radon, wo es sichunverdünnt ansammelt. Die Gefährdung in Berkwerken in manchen Gegendenist seit langem bekannt. Eine gefährliche Konzentration kann auch bei ungüns-tig (über lokalen geologischen Spalten) gelegenen, schlecht ventilierten Kellernentstehen.

Die äußere Belastung von der kosmischen Strahlung und von terrestrischer Um-gebungsstrahlung beträgt etwa 2mSv=a. Diese Werte erhöhen sich oft um Grö-ßenordnungen. Flugpersonal kann 10 mSv pro Jahr ausgesetzt sein. Extreme Wer-te treten in besonderen geologischen Gebieten auf; so erreicht die Umgebungs-strahlung in einer Gegend Brasiliens mit thoriumhaltigem Sand Werte von bis zu120mSv=a [51, 52].

Bei Fukushima wurde die Umgebung mit einer externen Belastung von über20mSv=a evakuiert. Ziel der japanischen Regierung ist es, eine maximale Lebens-zeitbelastung von unter 100mSv zu erreichen [53].

2.4.4 Der �-Zerfall

Betrachten wir nun spezifische Zerfallstypen und beginnen wir dabei, in Anlehnungan unsere Einteilung nach der typischen Energieskala, mit den Zerfallsprozessen,bei denen sich die Kernstruktur vergleichsweise wenig ändert. Wir behandeln da-

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2.4 Radioaktiver Zerfall 63

her zunächst den �-Zerfall und anschließend den ˇ-Zerfall und schließen dann dieDiskussion mit dem ˛-Zerfall und der Kernspaltung ab.

Kerne mit vorgegebenen Ordnungszahlen Z und Neutronenzahlen N können invielen isomeren Anregungszuständen mit verschiedenen� Energien,� Gesamtdrehimpulsen,� Paritätszuständenvorkommen. Wir hatten gesehen, dass – wie in der Atomhülle – Übergänge voneinem Niveau in ein anderes durch Abstrahlung eines �-Quants möglich sind.

Die Emission eines �-Quants kann den Gesamtdrehimpuls des Kerns ändern.Das Photon hat den Spin 1, dieser Spin ist parallel oder antiparallel zur Bahn desPhotons gerichtet. Ein Photon mit parallelem Spin entspricht einer rechtsdrehendenzirkular polarisierten und ein Photon mit antiparallelem Spin einer linksdrehendenzirkular polarisierten Welle. Normalerweise gibt es bei einem Objekt mit dem Dre-himpuls J D 1 genau 2J C 1 D 3 verschiedene Zustände, die durch Drehungenim Ruhesystem ineinander übergeführt werden können. Dass das Photon mit seinenzwei Polarisationsrichtungen eine Ausnahme bilden kann, hängt mit seiner Mas-selosigkeit zusammen. Ein Photon bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit, und esexistiert daher kein Ruhesystem, in dem Drehungen durchgeführt werden könnten,die die Richtung des Spins verändern.

Im System des Kerns (oder genauer im Schwerpunktsystem) kann das einfal-lende Photon natürlich einen Bahndrehimpuls haben. Dieser Drehimpuls wird klas-sisch senkrecht zur Bahn des Photons stehen. Für die Änderung des Gesamtdre-himpulses des Kerns ist der Gesamtdrehimpuls des Photons wichtig. Dieser setztsich zusammen aus dem Bahndrehimpuls im Kernmittelpunktsystem und dem Spin.Quantenmechanisch kann das Photon folgende Gesamtdrehimpulse J� haben:

J� D

8

ˆ

<

ˆ

:

L� � 1L�

L� C 1(2.84)

Bei solchen Übergängen spielt die Parität eine wichtige Rolle. Die Parität beschreibtdas Verhalten von Zuständen unter einer Inversion

.x; y; z/! .�x;�y;�z/des Raums. Die Parität

P� D .�1/.�1/L� (2.85)

des Photons setzt sich aus einem bahndrehimpulsabhängigen Anteil .�1/L� und ei-nem inneren Anteil zusammen. Der innere Anteil, d. h. die Parität des Photons, istnegativ. Nach Gl. 2.84 gibt es damit zwei Möglichkeiten für die Parität des abge-strahlten Photons bei vorgegebenem Gesamtdrehimpuls J�

P� D(

.�1/J� für „elektrische“ Strahlung

.�1/.�1/J� für „magnetische“ Strahlung :(2.86)

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64 2 Einführung in die Kernphysik

Das Adjektiv bezieht sich darauf, dass das Photon seinen Ursprung jeweils in elek-trischen Ladungen bzw. elektrischen Strömen haben muss, um diese Parität zuerhalten. Betrachten wir den Fall der Abstrahlung von einem Dipol. Ändert man dieRichtung aller Koordinaten, so ändert sich das elektrische Dipolmoment (der La-dungen) um einen Faktor �1, während das magnetische Dipolmoment (der Ströme)erhalten bleibt. Für die Strahlung eines Dipols ist J� D 1. Da die Wellenfunkti-on des emittierten Photons die entsprechende Parität haben muss, gilt (2.86). DasKonzept der Parität wird später ausführlich besprochen.

Die Abstrahlung elektromagnetischer Wellen in den verschiedenen Zustän-den wird klassisch durch die Verteilung der Ladungen und der Ladungsströmebestimmt. In der Quantenmechanik enthalten die entsprechenden Größen Pro-dukte der Nukleonenwellenfunktionen vor bzw. nach der �-Emission. Bezüglichder Winkelabhängigkeit lassen sich diese Produkte wieder nach KugelfunktionenYLM.#; / entwickeln, und ein Photon wird nur abgestrahlt, wenn die Kugelfunkti-on, die die Winkelabhängigkeit des Photonfeldes beschreibt, in dieser Entwicklungenthalten ist. Sind Ji und Jf der Gesamtdreh- impuls des Kerns vor bzw. nach demZerfall, muss der Gesamtdrehimpuls der Strahlung im Schwerpunktsystem

J� D Jf � Ji (2.87)

in seiner Größe zwischen dem

minimal benötigten Drehimpuls jJi j � jJf jund dem

maximal möglichen Drehimpuls jJi j C jJf jliegen. Der Gesamtdrehimpuls des Photons im Schwerpunktsystem wird Multipol-ordnung der Strahlung genannt. Er bestimmt die Dipol-, Quadrupol-, Oktopol-,� � �2J� -pol-Natur der Strahlung [54]. Einige exemplarische Übergänge sind inAbb. 2.33 dargestellt.

Wie gut ist die Konvergenz der Multipolentwicklung bei der Abstrahlung voneinem Kern? Die Wellenlänge des Photons ist groß in Relation zum Kernradi-us, und eine Entwicklung in der dimensionslosen Größe Kernradius/Wellenlängewird rasch konvergieren, und Terme mit der niedrigstmöglichen Potenz werden ei-ne dominante Rolle spielen. Das Matrixelement in der Multipolentwicklung enthältdie J� -te Potenz des Kernradius, und die Wahrscheinlichkeit einer Abstrahlung istdaher proportional zu .Kernradius=Wellenlänge/2�J� . Die beobachteten Übergängesind (siehe [14, 33])

E1 ; E2 ; E3 ; E4 ; E5 ;

M1 ; M2 ; M3 ; M4

für die elektrischen und die magnetischen Übergänge des angezeigten Gesamtdre-himpulses. Die von Strömen induzierten Felder werden erst bei v ! c mit den vonLadungen induzierten Feldern vergleichbar. Für Kerne ist die magnetische Strah-lung damit unterdrückt gegenüber der elektrischen Strahlung.

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2.4 Radioaktiver Zerfall 65

Abb. 2.33 Einige elektroma-gnetische Übergänge 1+

γ−→ 0+ L = 1

keinParitatswechsel

reiner

M1-Ubergang

1− γ−→ 0+ L = 1Paritatswechsel

reinerE1-Ubergang

12+ γ−→ 1

2+

0 ≤ L ≤ 1keinParitatswechsel

reinerM1-Ubergang

32+ γ−→ 1

2+

1 ≤ L ≤ 2kein

Paritatswechsel

moglich:M1- und E2-

Ubergang

32+ γ−→ 5

2+

1 ≤ L ≤ 4keinParitatswechsel

moglich:M1-, E2-,M3- und E4-

Ubergang

Abb. 2.34 Die Impulse beider Abstrahlung eines � -Quants

Ein interessanter Aspekt betrifft die Emission und anschließende Absorption von�-Strahlung. Setzt ein Übergang in einem Atom A ein Photon frei, kann das Photonein Atom B dazu anregen, den Übergang rückwärts durchzuführen. Das geht aller-dings im Prinzip nur, wenn das Ruhesystem des emittierenden Systems nach derEmission dem des absorbierenden Systems vorher entspricht. Das ist in der Regelnicht der Fall.

Ein emittiertes Photon wird, wie es in Abb. 2.34 angedeutet ist, die freiwerdendeEnergie nicht ganz übernehmen. Es gibt einen Rückstoß des Kerns mit dem Impulsdes Photons

j � PKernj D jP� j D E�=c : (2.88)

Er trägt damit die, wenn auch kleine, kinetische Energie zur niedrigsten Ordnungin E�=.MKern � c2/:

Ekin.Kern D EKern �MKernc

2 D 1

2

P 2Kern

MKern: (2.89)

Die Relation zwischen der gesamten Anregungsenergie und der Photonenergie istdamit

EAnregung D E� CE2�=c

2

2MKern: (2.90)

Page 76: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

66 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.35 Das Emissions-und das Absorptionsspektrumvon � -Quanten

Da der zweite Summand klein ist, bedeutet die Inversion bezüglichE� undEAnregung

gerade ein Minus statt Plus:

E� D EAnregung �E2

Anregung=c2

2MKern: (2.91)

Bei der Absorption des Photons durch das ruhende Target tritt derselbe Effekt inumgekehrter Weise auf. Da sich der Photonimpuls auf den Kern überträgt, brauchtman eine erhöhte Photonenergie

E� D EAnregung CE2�=c

2

2MKern: (2.92)

Tatsächlich gibt es Fluktuationen in der emittierten und der für die Absorption be-nötigten Photonenenergie. Je nach Breite dieser Verteilungen wird die emittierteStrahlung nicht oder nur ein wenig absorbiert (vgl. Abb. 2.35).

Was bestimmt die Breite dieser Verteilungen? Wichtig ist die thermische Ener-gie. Durch den Doppler-Effekt kann ein Photon etwas mehr oder etwas wenigerEnergie bekommen. Eine Lorentz-Transformation bedeutet für das Photon

E 0� D

EKern

MKernc2E� C PKernc

MKernc2� P�c ; (2.93)

und, da E� D jP�cj gilt,�E�

E�D .E 0

� � E�/E�

D 1

2

PKern

MKernc

�2

C .PKern/k�MKernc

: (2.94)

Der quadratische Term bewirkt eine minimale Verschiebung des Maximums derVerteilung. Uns interessiert hier das quadratische Mittel des (nur linearen) zweitenTerms. Das Mittel der kinetischen Energien der Atome bei gegebener Temperaturkennen wir aus der Thermodynamik als 3=2 kT . Ein Drittel davon stammt von derBewegung in Richtung der �-Emission. Es folgt

Mittel

�E�

E�

Dv

u

u

t

*

2

MKernc2�13P 2Kern

2MKern

+

Ds

212kT

MKernc2: (2.95)

Betrachten wir als Beispiel einen Übergang (3=2� ! 1=2�) in den Grundzustanddes Eisenisotops 57Fe [40]. Bei einer �-Energie von 14;4 keV und einer Massen-zahl von 57 entspricht die kinetische Korrektur zur Energie etwa 2 � 10�3 eV. Bei

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2.4 Radioaktiver Zerfall 67

Raumtemperatur (mit T D 293K und k D 8;6 � 10�5 eV=K) ergibt sich damit diefolgende Breite aus der Doppler-Verschiebung:

Mittel�

�E�

E�

Ds

kT

MKernc2Dr

0;03 � 10�9A

: (2.96)

Im hier betrachteten Fall entspricht die Breite damit etwa 10 � 10�3 eV, d. h. sie istetwas breiter als die Rückstoßenergie.

Im Prinzip kommt dazu ein Beitrag � D „=� von der Heisenbergschen Unschär-ferelation, der angibt, wie genau die usprüngliche Energie des angeregten Zustandsund damit die des emittierten Photons festgelegt ist. Er ist normalerweise nicht zuberücksichtigen. Bei der hier betrachteten relativ langlebigen (� D 1;4 � 10�7 s)Linie ist er 4;7 � 10�9 eV.

Mößbauer-EffektEs gibt allerdings eine Möglichkeit, in diesen Bereich vorzudringen und Linien die-ser Breite zu beobachten. Es ist derMößbauer-Effekt [55]. Er wurde vomMünchnerPhysiker R. L. Mößbauer gefunden. Für seine Entdeckung, die im Zusammenhangmit seiner Doktorarbeit stand, erhielt er 1961 den Nobelpreis. Der zentrale Punktist, dass das Verhältnis von freiwerdender Strahlungsenergie und Kernmasse win-zig ist. Die Rückstoßenergie liegt damit nicht mehr in einem kernphysikalischen,sondern in einem atom- oder festkörperphysikalischen Bereich.

Betrachten wir einige Grundtatsachen der Festkörperphysik. Was bedeutet Tem-peratur in einem Festkörper? Es gibt viele Schwingungsmodi, die jeweils mit ei-ner temperaturabhängigen Wahrscheinlichkeit besetzt sind. Aus der Quantenme-chanik wissen wir, dass die Anregungsenergie bei tiefen Temperaturen eine nichtverschwindende Größe hat und dass zu tieferen Temperaturen hin die Zahl derAnregungsmöglichkeiten abnimmt. Mehr und mehr Anregungsmöglichkeiten frie-ren ein. Dies hat die Konsequenz, dass die Wärmekapazität, die von der Zahl derFreiheitsgrade abhängt, entsprechend sinkt. In obigem Beispiel ist die minimaleAnregungsenergie für Schwingungen eines Atoms etwa 1;7 � 10�2 eV.

Die Rückstoßenergie 1;9 � 10�3 eV liegt unter der Minimalanregung. Der Kernkann sich also nicht mehr relativ zum Festkörper bewegen; die Masse, die bei derBerechnung des Rückstoßes eingeht, kann damit z. B. die gesamte Masse einesKristalls sein. Das reduziert die Rückstoßenergie um 24 Zehnerpotenzen, und dievon der Unschärferelation gesetzte Grenze kann daher erreicht werden.

Warum wurde der Effekt nicht früher entdeckt? Ein Grund ist, dass konventio-nelle Detektoren keine ausreichende Auflösung hatten, um den Effekt zu sehen.Mößbauers Trick war es, die Resonanzabsorption zu verwenden, bei der ein �-Quant von derselben Resonanz emittiert und absorbiert wird. Um die relative Posi-tion der spektralen Absorptions- und Emissionsverteilung zu variieren, benutzte ereine bewegliche Anordnung (Abb. 2.36), die eine Relativgeschwindigkeit zwischenEmitter und Absorber ermöglichte. Dies gestattete, indirekt die Breite und die Formdes Absorptions- und des Emissionsspektrums zu bestimmen. Seine Beobachtung

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68 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.36 Das Schema ei-nes Mößbauer-Spektrometers

war, dass bei tiefen Temperaturen eine neue Komponente mit einer extrem scharfenVerteilung auftritt.

Die phantastische Präzision des Mößbauer-Effekts erlaubt eine Vielzahl vonkern-, atom- und molekülphysikalischen Anwendungen. Kleine elektrische odermagnetische Felder verändern die Position der Linien, und es ist daher möglich,sehr genaue Informationen über die Position der Kerne in chemischen Strukturen zugewinnen. Man kann z. B. herausfinden, an wievielen nicht äquivalenten Stellen Ei-senatome in einem Molekül vorkommen und mit welcher Wertigkeit sie gebundensind [40].

Innere KonversionEin mit dem �-Zerfall eng verwandter Prozess ist die Innere Konversion. Ein Protondes Kerns „streut“ an einem Elektron der Hülle durch den Austausch eines Photons.Durch den Streuvorgang wird das Elektron aus demAtom herausgeschlagen. Er trittbei schweren Kernen oft mit einer Wahrscheinlichkeit von einigen Prozent von der�-Emission auf.

Im Prinzip ist in der Zentralfeldapproximation die Coulomb-Wechselwirkungzwischen Kern und Hülle, die für die Streuung verantwortlich ist, schon berück-sichtigt – die Elektronen bewegen sich im Feld aller Protonen – und es handelt sichalso um ein Beispiel dafür, welche drastischen Korrekturen Zwei-Körper-Wechsel-wirkungen bei der Zentralfeldapproximation verursachen können.

Wie berücksichtigt man die Wirkung einer solchen Elektron-Kern-Streuung?Man extrapoliert den Elektron-Proton-Streuquerschnitt zu kleinen Streuenergien.Anstelle des Flusses, der pro Zeiteinheit auf den Querschnitt des Targetteilchenseinfällt, ergibt sich hier die Reaktionsrate pro Zeiteinheit aus der Aufenthaltswahr-scheinlichkeit eines Elektrons im Streuvolumen des Protons; diese ist klein, abernicht null.

Der dominante Streuprozess ist die Emission des Elektrons aus dem Atom. Diefreiwerdende Energie im Elektron setzt sich aus einer Kombination der gewonne-nen Bindungsenergie im Kern und der verlorenen Bindungsenergie in der Hüllezusammen. Da sowohl die nicht-entartete K-Schale als auch die dreifach entarteteL-Schale und die 5-fach entartete M-Schale in Betracht kommen, hat man das inAbb. 2.37 dargestellte Spektrum [48].

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2.4 Radioaktiver Zerfall 69

M

L

K

Energie

Abb. 2.37 Die Multiplizitäten der Abstrahlungslinien nach innerer Konversion

2.4.5 Der ˇ-Zerfall

Wir hatten gesehen, wie Kerne mit einer zu hohen Protonen- oder Neutronenzahl ineinen energetisch günstigeren Zustand zerfallen können. Dabei geht ein Neutron inein Proton über oder umgekehrt.

Im Gegensatz zu den scharfen Spektren beim ˛- und beim �-Zerfall beobachtetman beim ˇ-Zerfall ein Teilchen mit breitem Energiespektrum, wie es in Abb. 2.38zu sehen ist. Da beim Übergang eine definierte Energie frei wird und der Energie-erhaltungssatz nicht verletzt sein kann, muss es sich also um einen komplizierterenZerfall handeln. Neben dem Positron bzw. Elektron muss zumindest ein weiteres,nicht beobachtetes Teilchen auftreten, das die restliche Energie trägt.

Dieses Teilchen wurde von Pauli 1931 postuliert, und es wird als Neutrino bzw.Antineutrino bezeichnet. Da die Nukleonenzahl beim ˇ-Zerfall unverändert bleibtund da das Elektron oder Positron einen halbzahligen Spin besitzt, muss das An-tineutrino oder Neutrino auch einen halbzahligen Spin tragen. Es hat sich heraus-

Abb. 2.38 Die Energiever-teilung des beim ˇ-Zerfallemittierten Elektrons

Page 80: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

70 2 Einführung in die Kernphysik

gestellt, dass eine „Leptonenzahl“ erhalten bleibt: Das negative „Lepton“ Elektronwird zusammen mit dem „Antilepton“ Antineutrino oder das positive „Antilepton“Positron zusammen mit dem „Lepton“ Neutrino produziert.

Die schwache Wechselwirkung, die für den ˇ-Zerfall verantwortlich ist, wirdin Abschn. 5.1 behandelt. Für ihre Beschreibung sind minimale Grundkenntnisseder relativistischen Quantenmechanik erforderlich, die in Abschn. 4.1 vermitteltwerden.

Lassen Sie uns hier kurz die wichtigsten Ergebnisse betrachten. DieWahrschein-lichkeit schwacher Prozesse ist proportional zum Quadrat eines Wechselwirkungs-terms. Dieser Term lässt sich als Vierervektorprodukt zweier Faktoren schreiben,die jeweils nur von den Wellenfunktionen eines Fermionpaares abhängen. (Um einrelativistisch invariantes Produkt zu schreiben, muss man Vierervektoren mit ei-ner Zeit- und drei Ortskomponenten verwenden. Man schreibt: a�b� D a0a0 �P

iD1���3 aiai .)Im ˇ-Zerfall enthält einer der Faktoren die Proton- und Neutronwellenfunktio-

nen und der andere die Leptonenwellenfunktionen.

j.Nukleonenwellenfunktionen/� .Leptonenwellenfunktionen/�j2

Die Faktoren können aus einem Produkt derWellenfunktion eines einlaufenden Fer-mions und der eines auslaufenden Fermions bestehen, z. B. aus der Wellenfunktiondes Protons des Anfangszustands und der Wellenfunktion des Neutrons des Endzu-stands. In der relativistischen Theorie spielen einlaufende Teilchen und auslaufendeAntiteilchen eine analoge Rolle: Der Zerfall p! nC eC C wird mit entsprechendgeänderten Viererimpulsen durch denselben Wechselwirkungsterm wie der ProzesspC e! nC beschrieben. Dasselbe gilt für alle anderen Prozesse, die durch dieentsprechenden Übergänge zu erhalten sind.

Eine wichtige Komplikation, die in Abschn. 5.1 ausführlich behandelt wird,hat ihre Ursache in der Tatsache, dass die beiden Faktoren im Viererprodukt so-wohl einen Vektor- als auch einen Axialvektoranteil haben. Betrachten wir dazueine Spiegelung des Raums. Ein Vektorbeitrag wird in Abhängigkeit von der Spie-gelebene sein Vorzeichen ändern. Das Quadrat eines Vektorbeitrages, wie es imletztlich relevanten Quadrat des Wechselwirkungsterms auftritt, wird nicht berührt,da sich beide Faktoren in derselben Weise transformieren. Bei der Spiegelung einesAxialvektors tritt zusätzlich ein Vorzeichenwechsel auf, der im Quadrat wiederumkeine Rolle spielt. Problematisch ist der gemischte Vektor- und Axialvektorbeitrag,der unter Spiegelung sein Vorzeichen ändert, da der zusätzliche Vorzeichenwech-sel nicht kompensiert wird. Der Wechselwirkungsterm in der gespiegelten Welt istanders als in unserer wirklichen Welt. Die Parität ist gebrochen [56].

Betrachten wir dazu den ˇ-Zerfall etwas genauer. Wählen wir zunächst eine ge-eignete Spiegeltransformation. Benutzen wir das Schwerpunktsystem, in dem dievier auftretenden Impulse in einer Ebene liegen, und betrachten wir die Spiegelungan der Impulsebene. Offensichtlich wird sie die Impulse der Teilchen nicht berüh-ren. Wie beim Drehimpuls handelt es sich beim Spin um einen Axialvektor, und diebetrachtete Spiegelung ändert daher die Richtung der Fermionenspins; aus einem

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2.4 Radioaktiver Zerfall 71

rechtshändigen Spin, d. h. einem Spin in Richtung des Impulses, wird ein linkshän-diger Spin und umgekehrt.

Die Dynamik der schwachen Wechselwirkung hat die Eigenschaft, dass beilinkshändigen Fermionen der gemischte Vektorbeitrag und Axialvektorbeitrag mitidentischen Vorzeichen auftreten:

(nicht gemischter Beitrag)C (gemischter Beitrag) :

Der Beitrag der rechtshändigen Fermionen ergibt sich dann aus der Spiegelung, undes kommt wegen des Vorzeichenwechsels zu einer Subtraktion:

(nicht gemischter Beitrag)� (gemischter Beitrag) :

Besonders drastisch ist die Konsequenz für Leptonen, für die beide Beiträge geradegleich groß sind. Da sie sich gegenseitig aufheben, können rechtshändige Leptonenan der betrachteten Wechselwirkung nicht teilnehmen.

Die Paritätsverletzung kann im ˇ-Zerfall nachgewiesen werden [57]. Bei tiefenTemperaturen lassen sich 60Co-Isotope polarisieren, und der Zerfall der polarisier-ten Kerne

6027Co! 60

28NiC e� CN (2.97)

kann beobachtet werden. Dabei stellt sich heraus, dass die Elektronen bevorzugtentgegengesetzt zur ursprünglichen Spinrichtung emittiert werden. 6027Co hat denSpin 5 und das relevante Isomer von 60

28Ni den Spin 4. Der Elektron- und Neu-trinospin muss daher in Richtung der Cobaltpolarisation zeigen. Die beobachteteRichtungsabhängigkeit ist daher eine Konsequenz der oben geforderten Linkshän-digkeit (d. h. Spin "# Impuls) der Leptonen aus dem ˇ-Zerfall.

Da sich unter Spiegelung die Spinrichtung anders transformiert als die Impuls-richtung, kann eine solche Vorzugsrichtung nicht auftreten, wenn in der wirklichenWelt und in der gespiegelten Welt dieselben Gesetze gelten müssen. Die beobach-tete Vorzugsrichtung beweist die Paritätsverletzung.

Der „schwache Strom“ hat eine ähnliche Struktur wie der elektromagnetischeStrom. Wie beim �-Zerfall muss man bei Kernen im Prinzip über die verschiedenenabgestrahlten Drehimpulse summieren. Da der Kernradius üblicherweise klein ge-genüber der Wellenlänge der abgestrahlten Energie ist, konvergiert die Entwicklungin Bahndrehimpulsen relativ schnell. Dominant für den abgestrahlten Bahndrehim-puls ist �L D 0.

In der Näherung, dass eine Behandlung der Nukleonenwellenfunktionen miteiner nichtrelativistischen, zweikomponentigen Schrödinger-Gleichung zulässigist und dass die Wellenlänge der abgestrahlten Leptonen groß gegenüber demKernradius ist, lässt sich das Vierervektorprodukt in eine Summe über zwei un-terscheidbare Beiträge aufspalten. Der eine enthält das Quadrat eines „Fermi-Matrixelements“ ( �

p1 n) und der andere das Quadrat eines „Gamow-Teller-Ma-trixelements“ ( �

p� n). Der Operator � ist ein Vektor aus Pauli-Matrizen, derden Spin der Nukleonen bestimmt. In einem Fall bleibt die Richtung der Nukleo-nenspins erhalten, im anderen Fall ändert sich die Richtung des Spins, wie es inAbb. 2.39 aufgezeichnet ist.

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72 2 Einführung in die Kernphysik

Fermi-¨ egnagrebU Gamow-Teller- ¨ egnagrebU

Prozeß: Prozeß:n → p + e− + νe n → p + e− + νe

Sz : Sz :⇑ → ⇑ + ⇑⇓ ⇑ → ⇓ + ⇑⇑

+1/2 +1/2 0 +1/2 −1/2 +1

S : S :(1/2) → (1/2) + (0) (1/2) → (1/2) + (1)

Abb. 2.39 Der Spin beim ˇ-Zerfall

Neben diesem (�L D 0)-Beitrag gibt es natürlich auch Beiträge höherer Ord-nung. Man spricht von verbotenen Übergängen, die bei entsprechendem Unter-drückungsfaktor auftreten, wenn der erlaubte Übergang nicht möglich ist [33].

2.4.6 Der ˛-Zerfall

Wir kommen jetzt zum ˛-Zerfall, bei dem zum ersten Mal ein wirklicher Be-standteil des Kerns emittiert wird. Bei dem ˛-Teilchen handelt es sich um einenKern des Heliumatoms, nämlich um zwei Protonen und zwei Neutronen, d. h. erist sowohl bezüglich seiner Protonenzahl als auch bezüglich seiner Neutronenzahlmagisch (also doppelt magisch), und seine Bindungsenergie ist daher besondershoch. Wie für doppelt magische Kerne zu erwarten ist, verschwindet der Kernspin(J D 0).

Die Strahlung ist ein Zwei-Körper-Zerfall; ein schweres Atom zerfällt in ein et-was leichteres Atom und ein ˛-Teilchen. Typischerweise ist der zerfallende Kernpraktisch in Ruhe, und das emittierte Teilchen hat damit eine wohldefinierte Ener-gie. Diese Energie kann entweder durch die Reichweite der Teilchen, z. B. in Luft,durch die Menge der Ionisierung in bestrahlter Materie oder durch die Ablenkungder Teilchen im Magnetfeld bestimmt werden. Typisch ist eine dominante scharfeLinie im Energiespektrum. Daneben gibt es manchmal auch schwächere Linien miteiner etwas geringeren Strahlungsenergie, wie es in Abb. 2.40 angedeutet ist. Sol-che seltener vorkommendenÜbergange führen dann zunächst in Zwischenzustände,die dann unter Emission eines Photons, d. h. von �-Strahlung, in einer zweiten Stufeden Grundzustand erreichen.

Die totale Energie, die beim ˛-Zerfall freigesetzt wird, ist

Q˛=c2 D �B.Z;A/C B.Z � 2;N � 2/C B.4He/ : (2.98)

Da Nukleonenzahl und -art erhalten bleiben, entsprechen sie, abgesehen vom ge-änderten Vorzeichen, der Bindungsenergiedifferenz. Wegen der (aus der Sicht des

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2.4 Radioaktiver Zerfall 73

Abb. 2.40 Typisches Ni-veauschema beim ˛-Zerfall(adaptiert nach Marmier undSheldon [48])

Tröpfchenmodells) ungewöhnlich hohen Bindung ist es notwendig, für das ˛-Teil-chen direkt den experimentellen Wert

B.4He/ D 28;3MeV (2.99)

zu verwenden. Der ˛-Zerfall tritt bei großen Kernen auf. Für die relativ kleine Än-derung in Ordnungs- und Massenzahl reicht es, für die Berechnung der Differenzdie ersten beiden Terme den linearen Term in der Potenzreihenentwicklung zu be-rücksichtigen

B.Z;A/� B.Z � 2;A � 4/ D @B.Z;A/

@Z� 2C @B.Z;A/

@A� 4 : (2.100)

Um die Ableitung abzuschätzen, können wir das Tröpfchenmodell verwenden, dasdie Bindungsenergie in der folgenden Weise

B.Z;A/ D C avA � asA2=3 � ac.Z/2=.A/1=3 � aa.A� 2Z/2=AC apA.�1=2/ für gg-Kerne

� apA.�1=2/ für uu-Kerne

parametrisiert (siehe Abschn. 2.3.1). Der av-Term ergibt einen Beitrag, der demVolumenterm des ˛-Teilchens entspricht. Der as-Term und der ac-Term sind abzu-leiten. Da A � 2Z konstant bleibt, heben sich beide Ableitungsterme im aa-Termgegenseitig auf, und es verbleibt nur der Beitrag von der A-Abhängigkeit. Wegenseiner A-Abhängigkeit gibt es einen kleinen Beitrag des ap-Terms, wenn er auftritt.Man erhält

Q˛ D .28;3 � 4av/C 4as 23A� 1

3 C ac4ZA� 13

1 � Z

3A

� aa4�

1 � 2ZA

�2

˙ 4

2apA

.�3=2/ :(2.101)

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74 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.41 Beispiele für sta-bile und metastabile Zuständein der Quantenmechanik

Setzt man die Konstanten ein, erhält man exotherme Reaktionen für A > 150,d. h. ab Samarium. Von dieser Massenzahl an wird daher der ˛-Zerfall auftreten.Tatsächlich erscheinen viele schwere Kerne ab Samarium noch stabil bezüglich des˛-Zerfalls. Der Grund dafür sind sehr große Zerfallszeiten.

Was bestimmt dieGeschwindigkeit der ˛-Zerfälle? Dies kann man in einem Ein-Teilchen-Modell verstehen. In ihm nimmt man an, dass – mit einer bestimmten klei-neren Komponente ihrer Wahrscheinlichkeit – die beiden Protonen und die beidenNeutronen eines Orbitals wie ein einziges Teilchen in einem effektiven Potenzialbehandelt werden können. Wir hatten gesehen, dass man für Neutronen ein kas-tenförmiges (oder Woods-Saxon-)Potenzial erwartet. Das Potenzial für solche ˛-Teilchen sollte ein ähnliches Verhalten zeigen. Wie das Proton muss das ˛-Teilchenallerdings die Wirkung des Coulomb-Felds spüren. Außerhalb des Kerns ist nurdieser Anteil wirksam. Der Bereich, in dem das Coulomb-Potenzial positive Werteannimmt, bildet eine Barriere, die den Zerfall behindert.

Neben gebundenen Zuständen mit negativer Energie hat man also quasistatio-näre, metastabile Zustände. Sie können im Prinzip zerfallen, sie müssen aber zu-nächst den Coulomb-Berg durchtunneln. Das ist natürlich anders als in der klas-sischen Physik, in der ein Teilchen mit einer vorgegebenen Energie einen Berghöherer Energie nicht überwinden kann.

Um die Quantenmechanik qualitativ zu verstehen, stellen wir uns vor, wir hätteneinen Computer, der Differenzialgleichungen lösen kann. Für gebundene Zuständesoll er zunächst – automatisch mit der richtigen Anfangsbedingung – am Ursprunganfangen und dann die Wellenfunktion von einem Punkt zum nächsten rekonstruie-ren, bis am klassischen Umkehrpunkt gerade nur noch ein exponentiell abfallenderAnteil übrig bleibt. Man erhält also Lösungen, wie die in Abb. 2.41 dargestellten.

Wenden wir jetzt unser Programm auf einen metastabilen Energiebereich an.Nehmen wir an, dass der Computer „nett“ ist und sich möglichst vernünftige An-fangsbedingungen aussucht. Die Wellenfunktion könnte er daher etwa wie für einengebundenen Zustand beginnen. Im Inneren gibt es das übliche Verhalten, das dannan der Schwelle in einen exponentiellen Abfall übergeht. Ein Teil der Welle wirdnun aber die Schwelle durchdringen und außen eine oszillierende Welle bilden,wie es in der oberen Kurve in der Abbildung zu sehen ist. Dabei gibt es nun für

Page 85: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.4 Radioaktiver Zerfall 75

Abb. 2.42 Das in der Rechnung benutzte Kastenpotenzial

die statische Lösung eine Schwierigkeit mit der Normierung, da die Welle unseresTeilchens unendlich weit reicht. Man versucht, ein nicht-stationäres Problem miteiner stationären Methode zu lösen.

Der einzige Fehler bei der betrachteten Lösung ist, dass die Welle beim Reso-nanzzerfall außen nicht mehr stationär (d. h. ein- und auslaufend) ist, sondern nurnoch eine auslaufende Komponente hat. Mit einer für den inneren Bereich unsi-gnifikanten Änderung (der in der Schwelle exponentiell ansteigenden, im Innerenbeinahe verschwindenden Komponente) erhält man eine Lösung mit der geändertenRandbedingung. Aus der nicht normierten Lösung kann dann, bei einer vorgegebe-nen Aufenthaltswahrscheinlichkeit im Potenzialtopf, der Fluss vonWahrscheinlich-keit aus dem Potenzial im äußeren Bereich berechnet werden, d. h. man erhält dieZerfallswahrscheinlichkeit pro Zeiteinheit. Graphisch, d. h. in Abb. 2.41, entsprichter der relativen Größe des Amplitudenquadrats außen, mal der Geschwindigkeit„k=m des durch die Welle beschriebenen Teilchens. Die Zerfallszeit hängt dahervon der Dicke und der Höhe der Wand ab.

Die Abbildung mit der Schwelle illustriert die enge Parallelität zwischen Reso-nanzen und gebundenen Zuständen. Würde man den äußeren Teil des Potenzialsanheben, müsste man im Äußeren auf die in diesem Resonanzbereich ohnehin re-lativ kleine auslaufende Welle verzichten. Im Inneren würden Resonanzen in ge-bundene Zustände übergehen, ohne dass sich die relative Energie und die Form derWellenfunktion wesentlich ändern würde.

Um das qualitative Argument genauer zu verstehen, betrachten wir dazu alsrechenbares Beispiel das Kastenpotenzial mit einer Rechteckbarriere, wie es inAbb. 2.42 dargestellt ist. Die Energie E des Zustands sei positiv. Außen hat dieWelle damit die Form

.x/ D A3 � expŒik3.x � b/ (2.102)

Page 86: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

76 2 Einführung in die Kernphysik

mit dem Impuls „ k3 Dp2mE mit noch offener Normierung, die wir ohne Be-

schränkung der Allgemeinheit reell wählen. Wir folgen jetzt der Welle Schritt fürSchritt in Richtung Ursprung. Im Punkt b gilt

.b/ D A3 (2.103)

und 0=

ˇ

ˇ

bD ik3 : (2.104)

Innerhalb der Potenzialschwelle wird der Impuls komplex,

„ k2 D ˙i 2 mit „ 2 Dp

2m.V2 �E/ ; (2.105)

und die Wellenfunktion hat damit die Form

.x/ D A2 � expŒ2.x � b/ C B2 � expŒ�2.x � b/ : (2.106)

Für den Punkt b gilt damit D A2 C B2 D A3 und 0

ˇ

ˇ

ˇ

ˇ

b

D A22 � B22A2 C B2 D 2

1 � 2

A2=B2 C 1�

; (2.107)

was zusammen mit (2.104) die Größe A2=B2 festlegt:

A2

B2D�

2

1 � ik3=2� 1

: (2.108)

Für große 2 ist damit A2 D B2 D A3=2. Für den Punkt a gilt analog zu oben

.a/ D A2 expŒ2.a � b/ C B2 expŒ�2.a � b/ (2.109)

und

0

ˇ

ˇ

ˇ

ˇ

a

D A22 expŒ2.a � b/ � B22 expŒ�2.a � b/ A2 expŒ2.a � b/ C B2 expŒ�2.a � b/

D 2�

1 � 2

A2=B2 expŒ22.a � b/ C 1�

D 20

@1 � 2�

21�ik3=2

� 1�

expŒ22.a � b/ C 1

1

A :

(2.110)

Für große 2-Werte bleibt nur der Term mit dem positiven Exponenten übrig:

0.a/ D B22 expŒ�2.a � b/ D A3

22 expŒ�2.a � b/ : (2.111)

Page 87: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.4 Radioaktiver Zerfall 77

Innerhalb des Kastenpotenzials ist der Impuls

„k1 Dp

2m.E � V1/ ; (2.112)

und die Wellenfunktion hat damit die Form

.x/ D A1 exp.ik1x/� A1 exp.�ik1x/ ; (2.113)

wobei die identischen Koeffizienten für das Verschwinden der Wellenfunktion imUrsprung sorgen, und es gilt:

0

ˇ

ˇ

ˇ

ˇ

a

D ik1 exp.ik1a/C ik1 exp.�ik1a/exp.ik1a/� exp.�ik1a/ D ik1

1C 2

exp.2ik1a/� 1�

:

(2.114)Wegen der Kontinuität im Punkt a muss dies derselbe Ausdruck wie oben sein,was die Energie des instabilen Bindungszustands festlegt. Obwohl dies im Prinzipleicht zu lösen ist, beschränken wir uns hier auf den Grenzwert hoher Schwellen,d. h. großer 2 mit 0= ja !1. Die Bedingung für die Energie ist damit

exp.2ik1a/ D 1 ; (2.115)

und der Vergleich der Ableitungen ergibt

0.a/ D iA1k1 .exp.Cik1a/C exp.�ik1a// D A3

22 expŒ2.b � a/ : (2.116)

Die Amplitude der Welle im Inneren ist, wenn das Teilchen sich noch mit der Wahr-scheinlichkeit 1 im Inneren befindet,

A1 D .2 Kastenlängen/� 12 D .2a/� 1

2 ; (2.117)

und die Größe des auslaufenden Flusses ist bei der Geschwindigkeit „k3=m derentweichenden Teilchen mit (2.115)

j D � D 1=� D „k3mA�3A3 D

8„k3k21am22

expŒ�22.b � a/ : (2.118)

Der wesentliche Faktor bei diesem Ergebnis ist die Exponentialfunktion.Mit geeig-neten Konstanten, schreibt man

� D �o exp.�G/ ; (2.119)

wobeiG D 22.b � a/ (2.120)

der Gamow-Faktor genannt wird.

Page 88: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

78 2 Einführung in die Kernphysik

Das Ergebnis lässt sich relativ leicht auf andere Potenzialformen übertragen. Än-dert sich das Potenzial nur langsam im Vergleich zur Wellenfunktion, kann mandie sogenannte WKB-Approximation anwenden. In unserem Fall läuft das daraufhinaus, dass man sich die Schwelle aus kurzen Schwellenstücken zusammengesetztdenkt und das Produkt im Exponenten durch das entsprechende Integral ersetzt (sie-he [58]):

G D 2bZ

a

.x/dx D 2

bZ

a

p

2m.V.x/� E/dx : (2.121)

Wir können diese Approximation nun direkt auf das (wenigstens ab einem bestimm-ten Abstand exakte) Coulomb-Potenzial anwenden und den Gamow-Faktor explizitberechnen. Bestimmen wir zunächst den äußeren klassischen Umkehrpunkt

b D Ze � ze4� E

D 1;44 .fm �MeV/Z � zE

; (2.122)

wobei E D V.b/ D Ze �ze=4�b und ze die Ladung des ˛-Teilchens. Mit R alsdem Radius, an dem die Schwelle anfängt, schreiben wir

G D 2bZ

R

p

2mE.b=r � 1/=„2dr D CbZ

R

p

.b � r/=rdr ; (2.123)

wobeiC D

p

8mE=„2 : (2.124)

Die Substitution R D r1=2 erlaubt die Lösung des IntegralsbZ

R

p

.b � r/=rdr D 2pb

Z

pR

pb �R2dR ; (2.125)

die wir hier nicht durchführen wollen. Das Ergebnis ist

G D C � b.arccospR=b �p

R=b � .R=b/2/ : (2.126)

(typische Werte sind R D � � �10 fm und b D 20 � � �40 fm.) Ist die Schwellenenergie(Ze � ze=R) deutlich größer als die kinetische Energie, d. h. für

R b ;

lässt sich der Gamow-Faktor mit geeignet gewählten Konstanten A und B in derfolgenden Weise approximieren:

G D C � b

2�r

R

b

!

D A=pE � BpR : (2.127)

Page 89: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.4 Radioaktiver Zerfall 79

Abb. 2.43 Die Geiger-Nuttalsche Beobachtung(adaptiert nach [33, 59])

Berücksichtigt man noch eine Ordnung weniger, ergibt dies

G D A=pE D C � b �2: (2.128)

Der Gamow-Faktor hängt von der Höhe der Coulomb-Schwelle und von derEnergie des abgestrahlten ˛-Teilchens ab. Sehr schwere Kerne werden oft mehrereMale hintereinander durch ˛-Zerfälle in leichtere Kerne übergehen. Innerhalb einersolchen Zerfallsreihe erwartet man keine starken Dichteschwankungen der Kern-materie. Auch bleibt die gerade bzw. ungerade Natur bezüglich Z und N erhalten.Die Coulomb-Schwelle sollte daher nicht unsystematisch variieren, und Fluktua-tionen durch Korrekturen zur obigen Relation sollten daher klein sein. Natürlichwird es in einer solchen Zerfallsreihe eine beträchtliche Änderung in der Energieder abgestrahlten ˛-Teilchen geben. Die Vorhersage

� D �0 exp�

�A=pE�

(2.129)

kann daher in diesem Punkt direkt experimentell überprüft werden. In Abb. 2.43sind die Daten dazu in einem geeigneten, logarithmischen Koordinatensystem dar-gestellt. Wie erwartet, liegen die Datenpunkte jeweils auf Geraden. Zwischen denverschiedenen Geraden besteht ein Unterschied. Er beruht im Wesentlichen auf dernicht berücksichtigten Abhängigkeit vom Z=A-Verhältnis [60].

Die obige Relation wird Geiger-Nuttallsche Regel genannt. In der ursprüngli-chen Darstellung wurde anstelle der Energie der Logarithmus der Reichweite der˛-Teilchen in Luft verwendet.

Die Erklärung der extrem starken Abhängigkeit der Lebensdauer von E war einwichtiger Erfolg der Quantenmechanik mit ihrem Tunneleffekt [7].

Page 90: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

80 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.44 Lise Meitner undOtto Hahn (Foto: DeutschesMuseum)

2.4.7 Zerfall durch Kernspaltung

Die Kernspaltung wurde 1938 von Otto Hahn (Abb. 2.44) und Fritz Straßmannentdeckt und von Lise Meitner und Otto Frisch zuerst interpretiert [61, 62, 63]. Inunserer Behandlung von Zerfallsprozessen interessiert uns zunächst die spontaneSpaltung. Fragen, die mit der stimulierten Spaltung (und der Kettenreaktion) zu tunhaben, werden später im Abschn. 2.7.1 behandelt.

Gemäß dem Tröpfchenmodell beruht die Kernspaltung auf demselben Prinzipwie der ˛-Zerfall. Die totale Energie, die im Spaltungsprozess freigesetzt wird, ist

QSpaltung DM.Z;A/�M.Z1;A1/ �M.Z2;A2/ : (2.130)

Da die Nukleonenzahl und -art erhalten bleiben, geben die Nukleonenmassen undder Volumenterm keinen Beitrag zur Massendifferenz. Bleibt das Proton-Neutron-Verhältnis im Zerfall fest, trägt der Asymmetrieterm nichts bei. Der Beitrag desPaarungsterms wird in der Regel klein sein. Wichtig ist der Beitrag des Oberflä-chenterms und des Coulomb-Terms, die wir bei festem Verhältnis in der folgendenWeise schreiben können:

�m D as�

A23 � A 2

3

1 � A23

2

C ac�

Z

A

�2 �

A53 �A 5

3

1 � A53

2

: (2.131)

Für einen Zerfall in zwei gleiche Kerne haben wir damit

�m

AD asA� 1

3

1 � 2 13

C ac�

Z

A

�2

A23

1 � 2� 23

; (2.132)

wobei bei großen Kernen der negative erste Summand zu einer exothermen Reakti-on führt. Einfaches Einsetzen der Parameter führt zu der Vorhersage, dass alle Kerneoberhalb von A D 90 instabil gegen Spaltung sind. Zu dieser Vorhersage gibt esnatürlich kleinere Korrekturen, die die Stabilität schwerer Kerne erhöhen. Schwere

Page 91: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.4 Radioaktiver Zerfall 81

Abb. 2.45 Der geometrischeAblauf des Kernzerfalls

Kerne haben eine erhöhte Proton-Neutron-Asymmetrie und sind nicht völlig sphä-risch.

Dass Kerne bis etwa A D 250 recht stabil gegenüber Spaltung sind, erfordertoffensichtlich eine andere Erklärung. Im Prinzip mögliche Zerfälle sind hier nochdrastischer unterdrückt als beim ˛-Zerfall. Betrachten wir als Beispiel das „stabile“Uranisotop 235U. In Wirklichkeit hat es einen ˛-Zerfall mit einer Lebensdauer von108 Jahren, und es ist anzunehmen, dass es im Prinzip auch in zwei schwerere Kernezerfallen kann. Der Grund für die scheinbare Stabilität der schweren Kerne sind ihregroße Masse sowie die Länge und Größe des zu durchtunnelnden Potenzials.

Bei einer Spaltung in größere Teile wird eine Verformung wichtig werden. We-gen der Coulomb-Abstoßung ist die Kugelform nicht sehr stabil, und der Zerfalleines Kerns sieht daher etwa so aus, wie in Abb. 2.45 dargestellt. Man sieht, dassüber einen vergleichsweise großen Abstand auf die Kernteile attraktive Kräfte wir-ken können. In diesem Bild gibt es zwei zu durchtunnelnde Phasen: Der Kern musszunächst eine ungünstige Form annehmen und dann, nach der Trennung, die etwasabgeschwächte Coulomb-Schwelle überwinden.

Die Tunnelwahrscheinlichkeit durch die Coulomb-Schwelle nimmt mit wach-sender reduzierter Masse M1M2=M (siehe 2.121) und mit wachsendem Produktder Ladungen Z1Z2 drastisch ab. Diese Abhängigkeit macht es plausibel, warumder oben betrachtete Zerfall in zwei gleiche Kerne keineswegs dominant sein mussund warum ein Zerfall in einen großen und einen kleinen Kern bevorzugt ist. Dieskann man in Abb. 2.46 sehen, in der die Massenzahlverteilungen der primären inder Spaltung produzierten Kerne dargestellt sind.

Die betrachteten Kerne sind vor dem Zerfall angeregte 236U- und 236Th-Zustände. Der Zerfall mit dem thermischen Neutron entspricht etwa der Situationbei einer spontanen Spaltung. Mit zunehmender Anregungsenergie (hier der Fallmit ˛-Anregung) wird der Asymmetrie-Effekt schwächer.

Die Höhe der Potenzialschwelle von 5–6MeV ist von derselben Größenordnungwie im ˛-Zerfall. Mit einer externen Anregung ist es daher relativ leicht möglich,zu schnellen Spaltungsprozessen ohne oder fast ohne Tunneln zu kommen.

Es ist zu erwähnen, dass auch die Möglichkeit einer Spaltung in drei Teil-kerne existiert. Ihre Wahrscheinlichkeit ist jedoch sehr gering, bei 106 „binären“Spaltungen (zwei Bruchstücke) tritt eine „tertiäre“ Spaltung in drei Bruchstückeauf.

Es ist wichtig, nicht zu vergessen, dass die Höhe der Potenzialschwelle von der-selben Größenordnung ist wie beim ˛-Zerfall. Mit einer externen Anregung ist es

Page 92: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

82 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.46 Die Massenzahl-verteilung der Spaltprodukte(adaptiert nach [27]) 10

1

10

10

10

10

10

−2

−3

−4

−5

−1

Spaltungs −Ausbeute (%)

thU + n

Th + 232

A60 80 100 120 140 160 180

235

daher relativ leicht möglich, zu schnellen Spaltungsprozessen ohne oder fast ohneTunneln zu kommen.

2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess

Wir gehen jetzt auf unserer typischen Skala etwas weiter (zu kürzeren Zeiten) undbetrachten streuende Kerne. Dazu müssen wir uns zunächst ein paar allgemeineGedanken zum Streuprozess von beliebigen Objekten („Teilchen“) machen. Die-se Überlegungen werden uns auch außerhalb des Kernphysikteils zugute kommen.Allerdings wird sich der Sprachgebrauch in der Kern- und in der Teilchenphysikmanchmal etwas unterscheiden.

Bei einem Streuvorgang fällt ein Teilchenstrahl auf ein Objekt ein, an dem ergestreut wird. Die Wahrscheinlichkeit einer Wechselwirkung hängt dabei von denEigenschaften des Strahls und des Objekts und von den betrachteten Prozessen ab.Die Teilchenstrahlen kommen dabei meist aus radioaktiven Substanzen oder ausBeschleunigern. Die Objekte, an denen gestreut wird, können entweder selbst Teil-chenstrahlen sein, oder sie sind feste oder gasförmige, praktisch ruhende Materie.Um die Streuwahrscheinlichkeit quantitativ zu beschreiben, führen wir jetzt einigerelevante Definitionen ein.

2.5.1 Definition von Luminosität undWirkungsquerschnitt

Betrachten wir zunächst die erste Möglichkeit, bei der ein Teilchenstrahl auf einruhendes „Target“ fällt, wie in Abb. 2.47 dargestellt. Der Strahl besteht aus Teil-chen des Typs A der Geschwindigkeit v, die im Querschnitt S in einer mittlerenDichte nA auftreten. Wir betrachten hier den Fall mit konstanter Dichte. Hat derTeilchenstrahl eine veränderliche Dichte, d. h. ein Profil, muss man die entsprechen-den Integrale einsetzen. Die Anzahl der Teilchen pro Längenelement in Richtung

Page 93: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 83

Abb. 2.47 Die Strahl-Target-Wechselwirkung

v

A

A AA

AA

AA

AAA

A

A

A A

AA

AA

B B

B BB B

B BB B

B B

B BB B

B B

B B

B B

l

S

der Geschwindigkeit ist damit nA �S � dx. Der Fluss der Teilchen, d. h. die Zahl derpro Zeit auf das Target einfallenden Teilchen, ist (mit v D dx=dt)

Fluss D ˚A D na � S � v : (2.133)

Was interessiert uns am Target? Es enthalte die Teilchen B in einer gleichförmi-gen Dichte nB. Im Einfallsgebiet des Teilchenstrahls habe es die Dicke l . DerEinfachheit halber betrachten wir die Situation, in der wiederholte Streuvorgängevernachlässigt werden können. Das ist der Fall, wenn das Target ausreichend dünnist. Relevant ist dann nur die Zahl der Teilchen pro Auftrefffläche des Strahls:

NB D nB � l : (2.134)

Nehmen wir jetzt für einen Augenblick die einfachste denkbare Situation an. DieTeilchen A seien punktförmig, und die Teilchen B seien harte Kugeln mit der Quer-schnittsfläche �B. Die Zahl der Streuungen pro einfallendem Teilchen wäre dannproportional zu dem Anteil der Targetfläche, der durch die Querschnitte der B-Teil-chen abgedeckt ist:

Anzahl der Streuungen

Anzahl der EinfallteilchenD NB � �B ; (2.135)

und die Reaktionsrate, d. h. die Zahl der Ereignisse pro Zeiteinheit, ergäbe sichdamit als Produkt mit dem einfallenden Fluss als

Reaktionsrate D .˚A � NB/ � �B : (2.136)

Natürlich entspricht dieses einfache Bild nicht der Realität eines Streuvorgangs;es erlaubt jedoch, die Streubereitschaft des Teilchens A und des Teilchens B mitdem entsprechenden, gemessenen „�AB“ zu parametrisieren. Dazu geht man in um-gekehrter Weise vor: Aus den Eigenschaften des Beschleunigers und des Targetsberechnet man die Luminosität

L D ˚A �NB (2.137)

Page 94: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

84 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.48 Die Strahl-Strahl-Wechselwirkung

h

AA

h

v

AA

A AAAA A

v

und definiert dann aus der beobachteten Reaktionsrate den effektiven Querschnitt

�AB D Reaktionsrate=L (2.138)

als Wirkungsquerschnitt.Betrachten wir jetzt die Situation für eine Strahl-Strahl-Wechselwirkung, wie sie

in Abb. 2.48 dargestellt ist. Solche Strahl-Strahl-Wechselwirkungen werden in Ab-schn. 3.2 des Buches eine wichtige Rolle spielen. Der Schnittwinkel # � � seiklein. Der Einfachheit halber nehmen wir konstante, rechteckige Teilchenverteilun-gen der Höhe und Tiefe h mit Flussgrößen ˚A D ˚B an. Beide Strahlen sind inkleine Pakete unterteilt. Diese Pakete seien so synchronisiert, dass sie im Wech-selwirkungsgebiet genau f -mal pro Sekunde aufeinandertreffen. Um geometrischeEffekte ignorieren zu können, nehmen wir an, dass sie im Vergleich zur Länge desWechselwirkungsgebiets kurz sind. Wir betrachten die nach rechts fliegenden Teil-chen als Projektile und die nach links fliegenden als Targetteilchen. Für den Fluss˚A des Projektilstrahls A ändert sich damit nichts gegenüber dem obigen Fall. DieFlächendichte der Targetteilchen B müssen wir jetzt rückwärts aus dem Fluss be-rechnen. Pro Paket gibt es

nB.Paket/ D ˚B=f (2.139)

Targetteilchen, die die folgende Flächendichte bewirken:

NB D ˚B

f � h2 (2.140)

Ist jeweils nur ein Targetpaket verfügbar, ergibt sich die Luminosität

L D ˚A � ˚B

f � h2 : (2.141)

Typisch ist dabei die inverse Proportionalität zur der Querschnittsfläche des Strahls.Offensichtlich hängt die Luminosität damit von der genauen Form des Strahlpro-fils ab. Für Speicherringe ist die Bestimmung der Luminosität damit nicht trivial. IneCe�-Speicherringen mit ihren kleinen Fokussierungsquerschnitten (d. h. mit win-zigen effektiven h2) benutzt man die Reaktionsrate eines gut bekannten Prozesses,um den Speicherring zu eichen [64]. Im p Np-Speicherring ist es möglich, das Profildes Teilchenflusses zu bestimmen, was bei bekannten Teilchenflüssen die Berech-nung der Luminosität erlaubt.

Page 95: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 85

Bei Wirkungsquerschnitten ist man bezüglich der Dimension etwas inkonse-quent und benutzt üblicherweise keine natürlichen Einheiten, sondern barns undmillibarns (wörtlich: „Scheune“ und „Millischeune“). Es ist

1 barn D 1 b D .10 fm/2 D 10�24 cm2 D .19;7MeV/�2 ;1millibarn D 1mb D 10�3 b D 10�27 cm2 ;

1mikrobarn D 1�b D 10�6 b D 10�30 cm2 :

Die barns entsprechen der Skala der Kernphysik, während man es bei hadronischenProzessen mehr mit millibarns und bei partonischen Prozessen oft mit mikrobarnszu tun hat. Die Luminosität hat die Dimension von inversen barn-Sekunden. Siegibt die Ereignisse pro barn und pro Sekunde an.

Was man dabei unter einem Streuereignis verstehen möchte, kann man sich imPrinzip beliebig aussuchen, und je nach Wahl erhält man dann die entsprechen-den Wirkungsquerschnitte. Die Kunst ist dabei letztlich, Messgrößen zu finden, dietheoretisch signifikant sind, aber möglichst wenig von detaillierten, noch nicht festetablierten Vorstellungen abhängen.

Hat das Targetmaterial eine vorgegebene Dichte (Teilchenzahl pro Volumen),kann man den Wirkungsquerschnitt in eine mittlere freie Weglänge umrechnen:

� D 1

.� � Dichte/ : (2.142)

Für die einfachsten Möglichkeiten der Streuung zweier Teilchen ist die folgendeTerminologie üblich. Der totale Wirkungsquerschnitt

�tot: D �ACB!X (2.143)

behandelt Prozesse, in denen irgendwelche Teilchen (X) auslaufen, die nicht denungestreuten Anfangsteilchen entsprechen müssen. Der „totale Wirkungsquer-schnitt“ hat zwei Beiträge, den „elastischen Wirkungsquerschnitt“

�el. D �ACB!ACB ; (2.144)

in dem die Anfangsteilchen nur abgelenkt werden, und den „inelastischen Wir-kungsquerschnitt“

�inel. D �ACB!X.¤ACB/ : (2.145)

Ein kernphysikalisches Beispiel für einen elastischen Prozess ist ein Neutron, dasan einem Kern gestreut wird und dabei seine Richtung ändert. Wird der Kern dabeiangeregt, d. h. ist die kinetische Energie nach der Streuung geringer als vorher, hatman einen Beitrag zum inelastischen Prozess.

Oft betrachtet man den Wirkungsquerschnitt eines festgelegten „Kanals“ oder,in der Sprache der Kernphysik, einer spezifischen „Reaktion“:

�Reaktion D �ACB!CCDC��� : (2.146)

Page 96: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

86 2 Einführung in die Kernphysik

Ein Beispiel aus der Kernphysik ist ein langsames Deuteron, das von einem Kerneingefangen wird und aus diesem ein angeregtes Isotop macht, das unter Abgabeeines �-Teilchens einen stabilen Zustand erreicht.

In der Kernphysik spezifiziert man einen Prozess oft durch bloße Angabe des inden Kern einfallenden Teilchens a und des aus dem Kern auslaufenden Teilchensb als .a; b/. In dieser Notation wird das betrachtete Beispiel als .d; �) beschrieben.Dabei wird ignoriert, was mit dem Kern geschieht. Die ausführliche Notation istz. B.

39K .d; �/ 41Ca : (2.147)

Um anzudeuten, dass es sich nicht um einen elastischen Prozess .a; a/ handelt, be-nutzt man einen Apostroph .a; a0/.

In hochenergetischen Streuvorgängen werden oft viele Teilchen produziert. Esist daher oft zu mühsam, einzelne Reaktionskanäle zu unterscheiden. Man betrach-tet daher oft „topologische Wirkungsquerschnitte“

�n D �ACB!n Teilchen ; (2.148)

für die nur die Gesamtzahl der Teilchen festgelegt ist.Besonders bei hoch inelastischen Prozessen der Hochenergiephysik ist es üblich,

von „inklusiven Wirkungsquerschnitten“

�ACB!CCX (2.149)

zu sprechen, die angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Teilchen C mit be-liebigem Rest X gebildet wird, wobei die Kinematik des Teilchens C in geeigneterWeise spezifiziert wird.

Es gibt natürlich die Möglichkeit, die betrachteten Prozesse kinematisch einzu-schränken. Der Wirkungsquerschnitt, um ein Teilchen in einem bestimmten Win-kelbereich oder in einem bestimmtem Segment eines anderen kinematischen Para-meters zu produzieren, wird oft als differenzieller Wirkungsquerschnitt bezeichnet.Betrachten wir dazu den differenziellen, elastischenWirkungsquerschnitt. Der End-zustand enthält zwei Vierervektoren, p0

A und p0B (d. h. 1

cE 0

A;p0A und 1

cE 0

B;p0B). Vier

der acht Parameter sind durch die Viererimpulserhaltung festgelegt:

p0A C p0

B D pA C pB I (2.150)

zwei weitere Parameter sind durch die feste Masse der Endzustände bestimmt (d. h.durch E 0

A2 � p0

A2 D m02 für A und B). Es verbleiben damit zwei kinematische

Parameter. EineMöglichkeit ist es, dafürWinkel zu wählen; dies geschieht üblicher-weise durch Polarkoordinaten um die Strahlachse, wie es in Abb. 2.49 dargestelltist. Sieht man von Spineffekten (genauer: von Prozessen mit polarisierten Projektil-und Targetspins) ab, gibt es keine Abhängigkeit vom Winkel '. Die folgenden No-tationen sind damit äquivalent:

d2�el.

d˝D d2�el.

d' d cos#D 1

2�� d�el.

d cos#D �el. .cos#; '/ : (2.151)

Page 97: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 87

Abb. 2.49 Die Polarkoordi-naten eines Streuvorgangs imLaborsystem

Abb. 2.50 Die Polarkoordi-naten eines Streuvorgangs imSchwerpunktssystem

Eine völlig analoge Notation existiert für die Schwerpunktwinkel, wie sie inAbb. 2.50 skizziert sind. Wie üblich sind dabei die mit einem Stern gekennzeichne-ten Winkel und Impulse Schwerpunktgrößen. Das oben betrachtete „Laborsystem“wird oft in analoger Weise durch den Index L gekennzeichnet. Die Beschreibungs-methode lässt sich natürlich leicht auf beliebige Zweiteilchenkanäle übertragen.

Wie überträgt sich der Streuwinkel vom Schwerpunkt- in das Laborsystem? Daein Impuls in transversaler Richtung von einer longitudinalen Lorentz-Transforma-tion nicht beeinträchtigt wird, gilt offensichtlich

cot#L D .pL/z

.pL/yD E tot

L

M totL c

2� .p

�/z.p�/y

C P totL

M totL c� .p

�/0.p�/y

: (2.152)

Der hochgestellte Index tot soll anzeigen, dass es sich um die Größen des gesam-ten Systems handelt. Ihre Quotienten E tot

L =MtotL c

2 und P totL =M

totL c entsprechen den

Transformationswinkeln � und �ˇ. Im Schwerpunktsystem gilt

.p�/z

.p�/yD cot#� (2.153)

für den ersten Term auf der linken Seite von (2.152) und

.p�/0

.p�/yDs

1C�

mc

.p�/y

�2

C cot2 #� ; (2.154)

für den zweiten Term, wobei die Masse des gestreuten Teilchens oft zu vernachläs-sigen ist.

Page 98: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

88 2 Einführung in die Kernphysik

2.5.2 Streuamplitude und Partialwellenanalyse

Eine Methode, die Winkelabhängigkeit eines elastischen Prozesses in einer theo-retisch relevanten Weise zu beschreiben, bietet die Partialwellenzerlegung. Sie istwichtig, da das Resonanzverhalten von Streuvorgängen in Kanälen mit speziellenDrehimpulsen auftritt. Für die Analyse von Resonanzen ist es daher meist unum-gänglich, einzelne Drehimpulskanäle isoliert zu betrachten.

Das ist in einem gewissen Bereich relativ leicht möglich; wegen der kurzenReichweite der hadronischenWechselwirkung kann bei niedrigen Energien nur einehandhabbare Anzahl von Drehimpulsen beitragen. Dasselbe gilt natürlich auch fürdie Kernkräfte in der Kernphysik. Allerdings ist die Bestimmung der Partialwellennicht trivial. Sie ist keine einfache Fourier-Zerlegung, da experimentell nicht dieWellenfunktionen, sondern nur deren Quadrate zu messen sind. Die einzelnen Bei-träge müssen iterativ bestimmt werden, d. h. man variiert sie so lange, bis man dasrichtige Ergebnis erhält. Dabei spielen Annahmen über die Kontinuität und Ana-lytizität der Partialwellenamplituden und der Streuamplitude eine wichtige Rolle.Eine andere Komplikation ist, dass die Partialwellenanalyse nicht in einer idealisier-ten Welt ohne Spin durchgeführt werden kann. Da interne Drehimpulse existieren,muss im Prinzip die Möglichkeit eines Drehimpulsaustauschs berücksichtigt wer-den. Trotz dieser Komplikationen kann man aus der Messung des differenziellenWirkungsquerschnitts mit plausiblen Annahmen über die Energieabhängigkeit vonStreuamplituden verlässliche Partialwellenamplituden erhalten.

Führen wir zunächst die Streuamplitude ein. Wir betrachten die Streuung imSchwerpunktsystem, und zwar der Einfachheit halber für den Fall von spinlosenTeilchen. Für große Betragswerte r der reduzierten Koordinate r (außerhalb desWechselwirkungsgebiets) hat die relevante Lösung der Schrödinger- oder Klein-Gordon-Gleichung für feste Energien die Form

.r/ D exp.ipAr=„/„ ƒ‚ …

DW .ungestreut/C f .#�/

1

rexp.ijpAj r=„/

„ ƒ‚ …

DW .gestreut/

: (2.155)

Gemäß ihrem Strom hat man eine ein- und auslaufende ebene Welle und eine aus-laufende Kugelwelle. Die Funktion f .#/ heißt elastische Streuamplitude.

Welche Beziehung besteht zwischen der elastischen Streuamplitude und dem dif-ferenziellen Wirkungsquerschnitt? Die einfallende Welle hat eine konstante Strom-dichte pro Flächenelement: Ein im Raumwinkel d˝ beobachteter Fluss muss daheraus einem Flächenelement d� hervorgegangen sein, in das der entsprechende Flusseingefallen war. Betrachten wir dazu die benötigte Stromdichte. Mit dem Gradien-ten kann man sie in der folgenden Weise

j .r/ D „2 im

�r � r �� (2.156)

Page 99: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 89

als Funktion beider Terme der Wellenfunktion (2.155) schreiben. Die Stromdichteder ungestreuten Welle ist

j ungestreut.r/ D pA=m ; (2.157)

und für große r-Werte, d. h. für 1=r ! 0, kann man für die Stromdichte der ge-streuten Welle schreiben

j gestreut.r/ Dbr �p

m

1

r2jf �#�� j2 ; (2.158)

wobei p D jpAj ist. Die relative Größe des gestreuten Stroms ist damit geradeproportional zum Absolutquadrat der Streuamplitude. Nach der obigen Überlegungentspricht das Verhältnis von dem in einenWinkelbereich gestreuten Teilchenstrom,d. h. von r2jj gestreut.r/j, zu der einfallenden Stromdichte gerade dem differentiellenWirkungsquerschnitt:

d�=d˝ D jf �#�� j2 : (2.159)

Wir entwickeln jetzt die oben gegebene allgemeine Form der asymptotischen Wel-lenfunktion nach Kugelfunktionen. Um azimutale Symmetrie herzustellen (und nurBeiträge mit der Drehimpulsquantenzahlm D 0 berücksichtigen zu müssen), wäh-len wir die z-Achse in Richtung von pA. Die ungestreute Welle ist dann einfach dieentwickelte Exponentialfunktion

ungestreut.r/ D eipz �z=„ D1X

lD1.2l C 1/ilPl

cos#�� jl.pr=„/ ; (2.160)

wobei Pl die Legendre-Polynome und jl.pr=„/ die sphärischen Bessel-Funktio-nen sind. Wir interessieren uns für das Verhalten der Wellenfunktion bei großenAbständen. Die asymptotische Form der sphärischen Bessel-Funktion ist:

jl.pr=„/pr=„�1�! 1

pr=„ sin�

pr=„ � l2�

D 1

2ipr=„�

i�leipr=„ � iCle�ipr=„�

:

(2.161)Die ungestreute Welle lässt sich daher in der folgenden Weise approximieren:

ungestreut ! 1

2ipr=„1X

lD0.2l C 1/Pl

cos#�� .eipr=„ � .�1/le�ipr=„/ : (2.162)

Für die gestreute Welle betrifft die Entwicklung nur die Winkelabhängigkeit. Wirbestimmen zunächst aus der Streuamplitude f .#/ die sogenannten Partialwellen-amplituden tl mittels der Relation

f .#�/ D 1

p=„1X

lD0.2l C 1/Pl

cos#�� � tl (2.163)

Page 100: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

90 2 Einführung in die Kernphysik

und schreiben dann formal

gestreut ! 1

pr=„ eipr=„

1X

lD0.2l C 1/Pl

cos#�� tl : (2.164)

Zusammenfassend erhalten wir also für die asymptotische Wellenfunktion

.r/! 1

2ipr=„1X

lD0.2l C 1/Pl

cos#��0

B

@.1C 2itl /„ ƒ‚ …

DWsleipr=„ � .�1/l e�ipr=„

1

C

A ;

(2.165)wobei man, um die Relation von einlaufender zu auslaufender Welle zu beschrei-ben, oft .1C 2itl / durch das Übergangsmatrixelement sl ersetzt.

Welche Werte kommen für das Matrixelement sl in Frage? Zunächst gibt es,wie man sich leicht überlegen kann, keinen gemischt ein- und auslaufenden Beitragzum Strom (da wegen des Gradienten die beiden vorkommenden Terme jeweils mitumgekehrten Vorzeichen auftreten). Da der Drehimpuls erhalten bleibt, muss dereinfallende Fluss dem auslaufenden Fluss für jeden Drehimpuls entsprechen, d. h.in der obigen Summe müssen der ein- und der auslaufende Teil jeweils denselbenStrom ergeben. Abgesehen vom Vorzeichen unterscheidet sich der auslaufende Bei-trag von dem einlaufenden Beitrag nur durch seinen Koeffizienten sl . Da der Faktorsl im Strom als Absolutquadrat auftritt, folgt

jsl j2 D 1 ; (2.166)

d. h. die auslaufende Welle kann sich nur in ihrer Phase ändern, aber nicht in ihrerAmplitude.

Allerdings wird oft ein Teil des einlaufenden Stroms in nichtelastische Kanäleabsorbiert, d. h. der in einem bestimmten Drehimpulszustand auslaufende Stromvon elastisch gestreuten Teilchen ist kleiner als der einlaufende Strom, und es gibteine oder mehrere auslaufende Wellen in anderen Kanälen:

j .r/! 1

2ipr=„1X

lD0.2l C 1/Pl

cos#���

sl;j eipr=„

: (2.167)

Die Gleichheit von aus- und einlaufenden Strömen gilt natürlich nur für alle Kanälezusammen, d. h.es gilt

jsl j2 CX

jsl;j j2 D 1 : (2.168)

Um Phasenverschiebung und Absorption zu trennen, ersetzt man sl durch die reellenKonstanten ˛l and ıl

sl D ˛lei2ıl (2.169)

und bezeichnet ıl als Streuphase.

Page 101: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 91

Betrachten wir jetzt Beziehungen zwischen denWirkungsquerschnitten und Par-tialwellenamplituden. Etwas umgeformt lautet die Definition der Amplituden

d�=d˝� D 1

p2=„2 j1X

lD0.2l C 1/Pl

cos#�� tl j2 : (2.170)

Um den gesamten elastischen Wirkungsquerschnitt zu erhalten, müssen wir diesenAusdruck integrieren

�el. DZ

d�

d˝� d˝� D 4�

p2=„21X

lD0.2l C 1/jtl j2

D �

p2=„21X

lD0.2l C 1/jsl � 1j2 ;

(2.171)

wobei wir die Orthonormalität der Legendre-Polynome benutzt haben:

Z

d˝Pl 0.cos#/ � Pl.cos#/ D 4�

2l C 1 ıl 0l : (2.172)

Die inelastischen Wirkungsquerschnitte sind wiederum aus dem Verhältnis der aus-laufenden und der einlaufenden Ströme zu bestimmen. Eine analoge Rechnungergibt die Abhängigkeit von den Absolutquadraten der entsprechenden Amplituden.Es existiert dabei natürlich kein ungestreuter auslaufender Anteil (der in (2.171) mitdem Faktor �1 berücksichtigt wurde), und man erhält

�inel. D �

p2=„21X

lD0.2l C 1/

X

j

jsl;j j2

D �

p2=„21X

lD0.2l C 1/ � �1 � jsl j2

:

(2.173)

Die zweite Zeile folgt aus (2.168). Die Summe von inelastischem und elastischemWirkungsquerschnitt ergibt den totalen Wirkungsquerschnitt

�tot. D �el. C �inel. D 2�

p2=„21X

lD0.2l C 1/ � .1 � Re sl / ; (2.174)

wobei wir die Identität

jsl � 1j2 � .jsl j2 � 1/ D 2 � sl � s�l

verwendet haben. Da sich die quadratischen Terme gegenseitig aufheben, gibt eseine einfache Relation, die im nächsten Abschnitt behandelt wird.

Page 102: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

92 2 Einführung in die Kernphysik

2.5.3 Das Optische Theorem

Dazu vergleichen wir den obigen Ausdruck für den totalenWirkungsquerschnitt mitdem Ausdruck für die elastische Streuamplitude aus (2.163). Da

Pl�

cos#�� j#�D0 D 1

ist, entspricht der Imaginärteil der elastischen Streuamplitude in Vorwärtsrichtung,d. h. wegen

Im f .#�/j#�D0 D 1

2p=„1X

lD0.2l C 1/ � Re .1 � sl /

gerade dem totalen Wirkungsquerschnitt, wenn man von konstanten Faktoren ab-sieht. Mit diesen Faktoren gilt

�total D 4�

p=„ � Im f .#�/j#�D0 : (2.175)

Diese Beziehung heißt aus historischen Gründen Optisches Theorem.Um das Zustandekommen dieser Identität besser zu verstehen, wählt man formal

eine orthonormale Basis für die ein- und die auslaufenden Zustände. Es besteht einelineare Beziehung zwischen den ein- und den auslaufenden Zuständen, die durcheine Übergangsmatrix im unendlich-dimensionalen Zustandsraum (S-Matrix) be-schrieben werden kann, die ein- und auslaufende Zustände in der folgenden Weiseverbindet:

j auslaufendi D S j einlaufendi : (2.176)

Aus der Erhaltung der Wahrscheinlichkeit

j j auslaufendij2 D j j einlaufendij2 (2.177)

folgt die UnitaritätsrelationSCS D 1 : (2.178)

Um den eigentlichen Streuprozess zu isolieren, definieren wir jetzt eine StreumatrixT , so dass

S D 1C 2iT (2.179)

gilt, wobei 1 die Identität ist, die die einlaufenden Zustände mit ungestreut auslau-fenden Zuständen verbindet. Die Unitaritätsrelation

1 D .1C 2iT /C.1C 2iT / D 1C 4TCT C 2i.T � TC/ (2.180)

schreibt sich damit� i.T � TC/ D 2TCT : (2.181)

Page 103: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.5 Allgemeine Betrachtungen zum Streuprozess 93

Abb. 2.51 Die Streupha-se beim Durchlaufen einerResonanz

Multiplizieren wir den Ausdruck auf beiden Seiten mit einem Zustand des Drehim-pulses l, erhalten wir links den Imaginärteil der Partialwellenamplitude

2 Im tl D h l j.�i/.T � T C/j li ; (2.182)

wobeitl D h l jT j li

ist, während die rechte Seite

h l jTCT j li D1X

jD1h l jTCj l;j ih l;j jT j li (2.183)

einen entsprechenden Beitrag zum totalen Wirkungsquerschnitt (zur Summe derStreuquerschnitte in beliebige Kanäle j ) beschreibt. Man sieht, wie inelastischeKanäle, die zum totalen Wirkungsquerschnitt beitragen, Eigenschaften der elasti-schen Streuamplitude bestimmen.

2.5.4 Die Struktur von Resonanzen

Bei (2.171) und (2.166) hatten wir gesehen, dass die elastische Streuung durchdie Streuphase, die die Phasenänderung der gestreuten Welle beschreibt, bestimmtwird. Eine nähere Betrachtung (analog zu Abschn. 2.4.6) zeigt, dass die Streupha-se beim Durchlaufen einer Resonanz rapide um den Wert � ansteigt. Der typischeVerlauf ist in Abb. 2.51 dargestellt. Trägt man die Partialwellenamplitude

tl D e2 i ıl � 12 � i (2.184)

in der komplexen Ebene als energieabhängige Kurve auf, durchläuft sie daher denKreis der erlaubten Werte, wie es in Abb. 2.52 zu sehen ist. Die Darstellung heißtArgand-Diagramm.

Treten im Streuvorgang inelastische Kanäle auf, wandert die Streuphase ins In-nere des Kreises. Es verbleibt aber die typische zyklische Struktur beim Durchlau-fen einer Resonanz. Argand-Diagramme sind daher wichtig bei der Entscheidung,

Page 104: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

94 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.52 Das Argand-Diagramm in der komplexenEbene

ob eine kleine Spitze im Spektrum eine wirkliche Resonanz oder etwas anderes,wie zum Beispiel eine statistische Fluktuation, ist.

Die Beziehung zwischen Streuphase und Amplitude kann, wie leicht nachzu-rechnen ist, auch auf folgende Weise geschrieben werden:

tl D 1

cot ıl � i: (2.185)

Bei der Streuphase � /2 verschwindet der Kotangens. Die Partialwellenamplitudeund damit auch die entsprechenden Anteile der Wirkungsquerschnitte erreichen ih-re maximale Größe bei der Resonanzenergie. Um das Verhalten im Bereich einerResonanz zu verstehen, betrachten wir die ersten beiden Terme der Taylor-Entwick-lung

cot ıl .E/ D cot ıl .ER/„ ƒ‚ …

D0C.E � ER/ �

d

dEcot ıl .E/

EDER„ ƒ‚ …

DW�2=�

; (2.186)

wobei der erste Term verschwindet und der Faktor im zweiten Term als geeigneteKonstante definiert werden kann. Die Amplitude erhält damit die folgende Form:

tl D � =2

�.E � ER/ � i� =2: (2.187)

Der Beitrag zum elastischen Streuquerschnitt ist damit

�el. D � � � C 4�

p2=„2 � .2l C 1/ � jtl j2 � � �

D � � � C 4�

p2=„2 � .2l C 1/ �ˇ

ˇ

ˇ

ˇ

.� =2/2

.E � ER/2 C .� =2/2ˇ

ˇ

ˇ

ˇ

� � � :(2.188)

Die so erhaltene Energieabhängigkeit heißt Breit-Wignersche Resonanzkurve.

Page 105: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion) 95

2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion)

Bis jetzt hatten wir uns mit der Kernstruktur beschäftigt. Für den Ablauf von Streu-ungen, d. h. für Kernreaktionen, sind in gewisser Weise neue Modellvorstellungennötig.

Bei hohen Streuenergien (oberhalb von etwa 1GeV pro Nukleon) haben dieStreuvorgänge nur beschränkt mit der Struktur der Kerne zu tun. Man hat, wennman zunächst alle Korrekturen ignoriert, folgende Situation: Der eigentliche Streu-prozess findet zwischen quasifreien Nukleonen (und bei noch höheren EnergienPartonen) statt. Für die Kernphysik verbleibt nur zu beschreiben, wie die Anfangs-verteilung war und was mit den nicht „herausgeschlagenen“ Nukleonen nach dereigentlichen Streuung passiert. Das ist allerdings auch bei hohen Energien nur einrecht grobes Bild.

Wir beschränken uns hier zunächst auf Streuvorgänge bei „niedrigen“ Energien(unterhalb einiger 10MeV), bei denen die Kräfte, die für die Bindung der Nu-kleonen im Kern verantwortlich sind, noch eine entscheidende Rolle spielen. Wirignorieren reine Coulomb-Wechselwirkungen. Bei geladenen Teilchen liegt die be-trachtete Energie daher oberhalb von einigen MeV.

2.6.1 Compound-Kern-Reaktionen

Auf der Grundvorstellung des Tröpfchenmodells wurde von N. Bohr [65] das Com-pound-Kern-Bild eines Streuvorgangs entwickelt. Es betrachtet die Streuung vonKernen als Kollision von Flüssigkeitstropfen, deren Dynamik im Wesentlichendurch den Volumenterm und den Oberflächenterm bestimmt ist. Solche Tropfenkönnen sich bei einem Streuvorgang vereinigen und einen großen, meist schnellvibrierenden und rotierenden Flüssigkeitstropfen bilden. Wegen der zugeführtenkinetischen Energie ist er unstabil und zerfällt nach kurzer Zeit.

Dieser zweistufige Prozess lässt sich leicht auf Kerne übertragen. Treffen zweiKerne aufeinander, wird ein großer Zwischenkern (englisch compound nucleus)gebildet, der ein – meist hoher – Anregungszustand des gesamten Kernmaterialsist. Dieser Zwischenkern wird dann nach kurzer Zeit zerfallen. Für den Zerfall desKerns werden dann in der Regel viele Reaktionskanäle offenstehen.

Die zentrale Annahme ist dabei, dass die Erinnerung an die Identität der einfal-lenden Kerne (bzw. Teilchen) in der Zwischenkernphase völlig verloren geht. DerEinfangsprozess und der Zerfallsprozess können als zwei unabhängige Faktoren inder Amplitude

�˛!ˇ D �˛!Zwischenkern � �Zwischenkern !ˇP

X �Zwischenkern!X

(2.189)

beschrieben werden, wobei die normierte Summe der verschiedenen Zerfallswahr-scheinlichkeiten (pro Kanal, jeweils proportional zu � ) gerade gleich eins ist. Dieeinzelnen Faktoren sind dabei für entsprechende Reaktionen identisch (Abb. 2.53).

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96 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.53 Der Beitrag einerResonanz zu verschiedenenProzessen

Bei niedrigen Energien bei der Streuung mit leichten Projektilen wie Neutronen,Protonen oder ˛-Teilchen können identifizierbare Resonanzen auftreten. In diesemGebiet kann damit die Annahme des Zwei-Stufen-Prozesses direkt experimentellbeobachtet werden. Wie wir in unserer Betrachtung von Resonanzbeiträgen gese-hen hatten, führt das jeweils zu einer Spitze im Wirkungsquerschnitt, die über denUntergrund herausragt. Für eine genauere Betrachtung kann man eine Partialwel-lenanalyse der Winkelabhängigkeit des Streuquerschnitts durchführen, wie sie obenbeschrieben wurde, und Quantenzahlen des Zwischenkerns herausfinden. Aus derBreite der Resonanzbereiche ergeben sich dann die Lebenszeiten der Resonanz.

Resonanzzustände werden in der Kernphysik als gebundene Niveaus und alsvirtuelle Niveaus klassifiziert. Gebundene Niveaus sind Zustände, die nicht unterEmission in Kernbestandteile wie Neutronen, Deuteronen, ˛-Teilchen oder anderekleinere Kerne zerfallen können und für deren Instabilität damit nur die �-Emission,der ˇ-Zerfall und ähnliche Prozesse übrigbleiben. Für virtuelle Niveaus ist dasKernpotenzial selbst nicht stark genug, um eine Bindung zu erreichen. Zwischen-kerne, die durch Streuung von Kernen entstanden sind, sind zunächst (wegen derZeitumkehr) virtuell. Da die �-Emission und der ˇ-Zerfall vergleichsweise lang-sam ablaufen, werden sie bei virtuellen Niveaus in der Regel nicht auftreten. Fürvirtuelle Niveaus ist daher ein Zerfall in Kernbestandteile typisch.

Viele Eigenschaften der Resonanzstreuung kann man aus einer einfachen Poten-zialtheorie verstehen. Für geladene Streuteilchen hat das Potenzial wegen der star-ken Coulomb-Abstoßung unmittelbar außerhalb des Kerns eine hohe zu durchtun-nelnde Wand. Quantenmechanischen Überlegungen entsprechend kann eine Viel-zahl von deutlichen virtuellen Zuständen existieren, die bei niedrigen Anregungs-energien im Wirkungsquerschnitt einzeln beobachtet werden können. Bei etwashöheren Energien ändert sich die Situation. Die Dichte der Niveaus pro Energie-einheit wird größer, und die einzelnen Resonanzstrukturen werden natürlich auchbreiter. Dass die Niveaus mit zunehmender Energie dichter werden, hatten wir amBeispiel des dreidimensionalen Potenzialkastens beobachtet. (Siehe Abschn. 2.3.2.Die kombinatorischen Möglichkeiten, Anregungen auf die drei Raumrichtungen zuverteilen, steigen.) Dass die Resonanzstrukturen breiter werden, liegt daran, dassdie Höhe der Schwellen, die durchtunnelt werden müssen, mit wachsenden Anre-gungsenergien niedriger wird.

Für neutrale Teilchen gibt es keine Coulomb-Barriere, die durchtunnelt werdenmuss. Bei Energien, die dies erlauben, sollten die Neutronen daher relativ schnelldem Kernpotenzial entkommen können. Wegen der kurzen Lebenszeit des Bin-dungszustands erwartet man wenige vergleichsweise breite Resonanzstrukturen.

Ein zentrales Problem dabei soll an den in Abb. 2.54 dargestellten Daten er-läutert werden [33, 37, 66]. Auf den ersten Blick ist die Vorhersage erfolgreich:Die Breite der Resonanzen in der Abbildung entspricht in der groben Struktur der

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2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion) 97

Abb. 2.54 Resonanzstruk-tur bei Neutronenstreuung(© Mayer-Kuckuck [33])

erwarteten Breite. Bei näherem Hinsehen findet man allerdings feine Strukturen.Eine solche Unterstruktur muss eine fundamentale Ursache haben. Die Breite rührtletztlich von der Unschärferelation her, d. h. die Aufenthaltszeit der Neutronen inKernen muss entsprechend länger sein, zumindest mit einer gewissen Wahrschein-lichkeit, die ausreicht, um die Unterstruktur zu erzeugen.

Die Erklärung beruht auf der Tatsache, dass Zwei-Teilchen-Wechselwirkungenhier nicht vernachlässigt werden können. Das Neutron befindet sich dabei mit einergewissen Wahrscheinlichkeit nicht in seiner „eigenen Schale“, sondern in einemDeuteron, einem ˛-Teilchen oder sonst einem „Cluster“. Ist der Kern bezüglich ei-nes Zerfalls in einem Cluster stabil oder recht stabil, kann er zunächst nicht oderfast nicht zerfallen. Nach einer Zeit kann das Neutron natürlich wieder zurück inseine Schale gehen und mit der erwarteten, der Lebensdauer in der Schale entspre-chenden Breite zerfallen. Das Bild mit dem Clusterzustand ist nur ein Beispiel füreinen Prozess, bei dem die Anregung zunächst vom einfallenden Neutron auf dengesamten Kern übertragen wird. Es gibt viele andere Möglichkeiten für solche Pro-zesse (d. h. Korrekturen zum Modell mit einem effektiven Zentralpotenzial). Siebewirken, dass die Lebensdauer damit neben dem erwarteten raschen Abfall einekleine, viel länger lebende Komponente hat.

Quantenmechanisch ist fürMessungen das Amplitudenquadrat wichtig. Ein klei-ner Beitrag zu einer wesentlich größeren Amplitude ist daher quadratisch klein. Derdominante Effekt eines solchen Beitrags ist daher der Interferenzterm. Wie wir imnächsten Abschnitt sehen werden, kann ein solcher Interferenzterm die beobachtetefeine Struktur erklären.

Wie sollte ein solcher Interferenzterm aussehen? Zur Ableitung der Breit-Wig-ner-Formel hatten wir eine lineare Energieabhängigkeit der Streuphase ıl ange-nommen. Nehmen wir für einen Augenblick an, dass diese Linearität über einen

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98 2 Einführung in die Kernphysik

weiteren Bereich gilt. Aus der Unschärferelation wissen wir, dass die Steigung (d. h.die inverse Breite) proportional zur Lebensdauer sein muss. Auf diese Weise erhältman einen langsam oszillierenden großen Beitrag und einen rasch oszillierendenkleinen Beitrag zur Amplitude. Der Interferenzterm (d. h. das Produkt dieses raschoszillierenden Terms mit einem relativ energieunabhängigen Faktor) wird daherrasch zwischen einem positiven und einem negativen Wert oszillieren und damitim Mittel etwa keinen Beitrag ergeben. Summiert man beide Terme, erhält mangenau die beobachtete Situation. Der große Beitrag wird das mittlere Verhaltenbestimmen, und der Interferenzterm wird kleine Oszillationen um diese Strukturbewirken.

Um höhere Streuenergien zu beschreiben, kann man die Resonanzbeiträge inein Gebiet extrapolieren, in dem keine einzelnen Resonanzen mehr identifiziertwerden können [27]. Man muss versuchen, die typischen Eigenschaften der bei-tragenden Resonanzen global zu betrachten. Im „statistischen Modell“ wird dazuder nicht mehr zu spezifizierende hochangeregte Zwischenkern mit dem Fermi-Modell beschrieben. Man nimmt an, dass die einfallende kinetische Energie denKern „erwärmt“ und dass man eine Temperatur definieren kann, die dann bestimmt,wie der Kern durch Abdampfen von Kernbestandteilen abkühlt. Bei hohen Tempe-raturen können sich kleine Bruchstücke mit hohen kinetischen Energien abtrennen,während bei niedrigen Temperaturen nur Zwei-Körper-Zerfälle relevant sind.

Im Vergleich zu Prozessen, die wir im nächsten Abschnitt kennen lernen werden,zerfallen Resonanzanregungen und Zwischenkerne recht isotrop. Die Erinnerungan die Einfallsrichtung geht verloren. In einem Gebiet, in dem ein einziger Kanaldominiert, erwartet man eine Streuamplitude, die dem Quadrat einer einzigen Par-tialwelle entspricht. Diese Quadrate sind im Zerfall bezüglich der Vorwärts- bzw.der Rückwärtsrichtung symmetrisch. Im Zwischenkernmodell gibt es daher keinenBeitrag, bei dem das Teilchen, nur ein bisschen gestört, in Vorwärtsrichtung weiterläuft.

2.6.2 Das OptischeModell

Die Bildung eines Zwischenkerns ist offensichtlich nicht der einzige Streuprozess.Es wird beobachtet, dass Projektil und Target oft in der Streuung erhalten bleibenund nur eine geringe Impulsübertragung auftritt. Ein solcher Steuvorgang liefertden dominanten Beitrag zur elastischen Streuung. Für solche Prozesse wurde vonFeshbach, Porter und Weißkopf [67] das sogenannte Optische Modell vorgeschla-gen.

Das Optische Modell extrapoliert das Konzept des Schalenmodells. Es be-schreibt den Weg des einfallenden Projektils in einem kugelförmigen Potenzial,d. h. etwa in Form eines Woods-Saxon-Potenzials innen und für geladene Teilchenmit einem Coulomb-Potenzial außen. Das Kernpotenzial wirkt als eine Art Linsefür die durchlaufenden Teilchen, die die Richtung der Teilchen verändert.

Offensichtlich ist das Bild des Kerns als Linse unvollständig. Nur eine globaleWechselwirkung mit dem zentralen Kernpotenzial anzunehmen, ist natürlich nur ei-

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2.6 Modelle für die Kernstreuung (Kernreaktion) 99

0 30° 60° 90° 120°

Kastenpotenzial

Wood−Saxon− Potenzial

Rutherford

1.0

0.1

0.5

Abb. 2.55 Der differenzielle Wirkungsquerschnitt im Optischen Modell (adaptiert nach [27])

ne grobe Näherung. Zwei- undMehr-Teilchen-Wechselwirkungen können die Naturder beiden streuenden Objekte zerstören und zumindest zunächst in einen nichtelas-tischen Kanal führen. Ein Beispiel für einen solchen Prozess ist die Bildung einesCompound-Kerns, in dem (wie wir im vorigen Abschnitt gesehen hatten) die Iden-tität der streuenden Teilchen völlig verloren geht.

Für die optische Komponente selbst führt die Existenz solcher nicht elastischenKanäle dazu, dass die Größe der ursprünglichenWelle reduziert wird. Das kannmandadurch parametrisieren, dass man zum Potenzial in der Schrödinger-Gleichungeinen komplexen Term einführt. Unsere Linse hat also nicht nur einen geänder-ten Brechungsindex, sondern auch noch einen Absorptionsterm, der einen Teil derdurchgehenden Strahlung vernichtet.

Mit der einfachen Annahme, dass der Imaginärteil des Potenzials proportionalzum Realteil ist,

V.r/ D � V0 � iW1C exp. r�R

a/; (2.190)

und die üblichen Parameter hat, erhält man vernünftige Vorhersagen. Betrachtenwir z. B. die Winkelverteilung in der Streuung von 22�MeV-Protonen an Platin.Mit den Werten R D 8;24 fm und a D 0;49 fm erhält man bei einem Potenzialvon V0 D 38MeV und einem absorptiven Anteil W D 9MeV eine vernünftigeBeschreibung der Daten, wie man in Abb. 2.55 sehen kann [26, 27].

Für genauere Ergebnisse muss man einige Korrekturen anbringen:� Der Imaginärteil ist nicht proportional zum Realteil. Er wirkt hauptsächlich an

der Kernoberfläche.� Zwischen der optimalen Parametrisierung der Streuung und dem von der Dich-

teverteilung gewonnenen Realteil des Potenzials bestehen Abweichungen in derGrößenordnung von 15%.

� Wie im Schalenmodell muss man bei einer präziseren Analyse eine Spin-Bahn-Kopplung berücksichtigen, die von der Ableitung des Potenzials abhängt.Für die Streuung von Kernen haben wir zwei Modelle kennen gelernt: eines mit

einer isotropen Verteilung und eines mit einer vorwärts gerichteten Verteilung. Das

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100 2 Einführung in die Kernphysik

erste Modell gilt für elastische und inelastische Prozesse. Obwohl es auf den erstenBlick plausibel erscheint, ist es nicht richtig, dass der zweite Beitrag nur für elasti-sche Prozesse auftritt. Auch für beinahe elastische Prozesse gibt es „direkte Reak-tionen“, die die Vorwärtsrichtung bevorzugen. „Beinahe elastisch“ bedeutet dabei,dass das auslaufende Teilchen den größten Teil des einlaufenden Teilchens enthält.Ein Beispiel für einen solchen Prozess ist ein Deuteron, das im Streuvorgang einNeutron abgibt und als Proton weiterläuft („stripping-reaction“), oder ein Deute-ron, das sich im Streuvorgang ein weiteres Deuteron einfängt und als ˛-Teilchendie Reaktion verlässt („pick-up-reaction“). Sie können ähnlich wie die elastischenProzesse mit einer Art Optischen Modell beschrieben werden. Der absorptive Teildes Potenzials enthält dann den Transfer-Reaktionsanteil. Dieser Anteil des Poten-zials ist dann jeweils Quelle für die neue auslaufende Welle.

2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse

Im Folgenden werden einige wichtige kernphysikalische Prozesse behandelt, soweitdas im Rahmen dieses Buchs möglich ist. Die Diskussion beschränkt sich dabei aufdie technisch interessanten Prozesse, nämlich die Spaltung und die Fusion, und aufdie „historisch“ wichtige Entstehung der Elemente.

2.7.1 Konzepte der Kernspaltung

Die Kernspaltung ist die wichtigste Anwendung von Kernreaktionen. Sie beruht aufder Tatsache, dass die mittelschweren Kerne stärker gebunden sind als die schwe-reren; diese Energiedifferenz kann bei der Spaltung letztlich als kinetische Energiefreigesetzt werden.

Wie kann man Kernreaktionen technisch nutzen? Für eine energietechnische An-wendung ist die Zahl der direkt aus Beschleunigern kommenden Reaktionsteilchennicht ausreichend. Man muss einen Prozess finden, der eine Kettenreaktion erlaubt,in der die Teilchen, die für die Reaktion benötigt werden, in der Reaktion wiederumproduziert werden.

Welche Möglichkeiten gibt es für solche Kettenreaktionen?In den meisten Kernreaktionen werden Photonen erzeugt. Gibt es die Möglich-

keit eines Photonenreaktors? Langlebige Isotope können in Prinzip durch Photonenin Zustände angeregt werden, die schnell unter Emission von neuen Photonen intiefer gelegene Grundzustände zerfallen. Ein Problem dabei ist allerdings, dass eingroßer Teil der Photonenenergie wohl sehr schnell von den Elektronen absorbiertund in Wärme umgesetzt würde und es daher zu keiner sich selbst unterhaltendenKettenreaktion kommen kann, die zur Energieproduktion verwendet werden könn-te.

Betrachten wir als nächstes Reaktionen mit geladenen Teilchen, bei denen dieStreuung durch die Coulomb-Schwelle entscheidend beeinflusst wird. Fällt ein Teil-chen auf einen Kern ein, wird es wegen der Ladung vom Kern weg gelenkt, und nur

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2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 101

durch einen ganz oder fast zentralen Stoß kann es, wenn die Energie groß genug ist,in den Kern vordringen. In der Regel wird ein Teilchen daher seine Energie verlie-ren, d. h. in vielen nichtzentralen Streuvorgängen inWärme umwandeln, bevor es zueiner erneuten Reaktion kommen kann. Es gibt eine Möglichkeit, dies zu umgehen.Hat die Umgebung eine entsprechend hohe Temperatur, wird gleich oft kinetischeEnergie abgegeben und aufgenommen, sodass eine Kettenreaktion mit geladenenTeilchen stattfinden kann. Da die Höhe der Coulomb-Schwelle durch das Produktvon Kernladung und inversem Kernradius (also durch A2=3) gegeben ist, ist dieseMöglichkeit nur für leichte Kerne praktikabel. Es ist der Fusionsprozess, den wirim nächsten Abschnitt behandeln werden.

Es verbleibt die Kettenreaktion mit Neutronen. Die meisten Kerne können Neu-tronen einfangen und in ein angeregtes Isotop übergehen, das dann unter �-Emis-sion zerfällt. Es gibt einige Kerne, die durch Neutronen zur Spaltung angeregtwerden. Dabei wird – die Massenzahl der einzelnen Kerne erreicht das günstige-re mittelschwere Gebiet – viel Energie frei. Neben den Spaltprodukten entstehendabei oft freie Neutronen („prompte“ Neutronen). Da im Gegensatz zu den ur-sprünglichen Kernen bei niedrigeren Massenzahlen die Zahl der Neutronen etwader Zahl der Protonen entsprechen muss, haben die leichteren Spaltprodukte ofttrotz der schon emittierten prompten Neutronen noch einen Neutronenüberschuss.In den Zerfall der Spaltprodukte werden daher oft weitere Neutronen (verzögerteNeutronen) abgestrahlt.

Der einfachste Reaktor, in dem eine solche Kettenreaktion ablaufen kann, bestehtaus einer Kugel aus spaltbarem 235U. In einer solchen Kugel laufen zwei Reaktionenab,

235UC Neutron! 2 FragmenteC� NeutronenC (˛- und �-Strahlung) ; (2.191)

wobei � die mittlere Anzahl der produzierten Neutronen ist, und

235UC Neutron! 236UC .�-Strahlung/ : (2.192)

Der erste Prozess ist nutzbar für die Kettenreaktion, der zweite nicht. Das Verhältnisder beiden Prozesse, d. h. der Spaltreaktionen zu den Neutroneneinfangreaktionenwird oft mit a bezeichnet. Das Durchschnittsneutron erleidet damit das folgendeSchicksal:

235UCn! a

1C a � .2 Fragmente/C 1

1C a236UC � � a

1C a nC ˛- und �-Strahlung :

(2.193)Die Regenerationskonstante

� D a

1C a � �ist damit der relevante Multiplikationsfaktor der Kettenreaktion. Er liegt für diespaltbaren Kerne zwischen 1,75 und 3,0; vgl. [68]. Eine Kettenreaktion ist also imPrinzip möglich.

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102 2 Einführung in die Kernphysik

Tab. 2.1 Isotope des natürli-chen Urans

238U 235U 234U

Vorkommen 99,3% 0,7% 0,0058%

Lebensdauer 4;5 � 109 a 7;1 � 108 a 2;5 � 105 a

Ob der idealisierte Reaktor kritisch ist oder nicht, hängt auch davon ab, wieviele Neutronen entkommen, und man definiert einen entsprechenden BleibefaktorP . Er hängt von der mittleren Weglänge der Neutronen sowie von der Größe undder Geometrie des Reaktors ab. Je nachdem, ob der kritische Faktor

C D � � P

größer, gleich oder kleiner als eins ist, wächst die Zahl der Neutronen an, bleibtgleich bzw. nimmt ab. Man spricht von einem überkritischen, kritischen oder unter-kritischen Verhalten.

In einem realistischen Reaktor [69] sind die spaltbaren Isotope nicht rein, undes ist klar, dass, schon um die Wärme abzuleiten, andere Stoffe im Reaktor seinmüssen. Man braucht daher eine Regenerationskonstante, die deutlich über einsliegt.

Außerdemmuss neben den BedingungenC > 1 undQ > 0 auch die Bedingungerfüllt sein, dass die Energie, die den emittierten Neutronen gegeben wird, größerals die beim Neutroneneinfang benötigte Energie ist. Dies ist kein Problem bei derhier betrachteten Reaktion. Es schließt jedoch den Prozess

nC 9B! 24HeC 2 n

aus.Mit diesen Bedingungen bleiben drei in größerem Umfang herstellbare Isotope,

nämlich233U; 235U und 239Pu ;

übrig.Typische Wirkungsquerschnitte sind in Abb. 2.56 dargestellt. Für spaltbare Iso-

tope fallen sie von riesigen 1000 barns bei 10MeV in einer Dekade auf Wertevon 100 barns ab. (Der Wirkungsquerschnitt kann größer als der Querschnitt inder Dichteverteilung sein. Die quantenmechanische Grenze ist � < �2, wobei �die Wellenlänge des Teilchens ist.) Die relative Größe des Spaltquerschnitts nimmtdabei langsam ab. Bei sehr viel höheren Energien im MeV-Bereich erreicht derSpaltprozess eine relative Wahrscheinlichkeit von 10% und einen Wirkungsquer-schnitt von 10 barns. In diesem Bereich tritt Spaltung auch bei anderen Isotopenauf.

Von den drei genannten spaltbaren Isotopen kommt nur 235U in der Natur vor.Das natürliche Uran besteht im Wesentlichen aus den in der Tab. 2.1 angegebe-nen Isotopen. Es enthält etwas weniger als ein Prozent der spaltbaren Substanz. In

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2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 103

Abb. 2.56 Spaltquerschnitte (© Cottingham et al. [12])

verschiedenen, sehr aufwendigen Prozessen kann das spaltbare Uran angereichertwerden.

Die anderen beiden Substanzen können durch Neutroneneinfang aus anderenIsotopen erzeugt (erbrütet) werden. Die Prozesse sind

238UC n �! 239UC � ;239U

23min�! 239NpC ˇ� C N�e ;239Np

2;3Tage�! 239PuC ˇ� C N�e(2.194)

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104 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.57 Ein Beispiel füreine komplette Zerfallskette.Gezeigt sind die Übergän-ge und die abgestrahltenTeilchen, bis stabile Kerneerreicht werden [27]

und232ThC n �! 233ThC � ;

233Th23min�! 233PaC ˇ� C N�e ;

233Pa27;4Tage�! 233UC ˇ� C N�e :

(2.195)

Wie bei spontanen Spaltungen entstehen Spaltprodukte mit einer breiten, meistunsymmetrischen Massenzahlverteilung, wie wir sie im Abschn. 2.4.7 kennen ge-lernt hatten. Ein Beispiel für einen kompletten Zerfall ist in Abb. 2.57 gegeben.

Wegen des hohen 238U-Anteils wird natürliches Uran selbst bei unendlicherMas-se nicht kritisch. Technisch gibt es zwei Möglichkeiten, die Kettenreaktion in Gangzu setzen und kritische Werte zu erreichen. Werden die Neutronen durch “Mode-ratoren“ gebremst, erreichen sie Energien, für die die Wirkungsquerschnitte rie-sig werden. Bei geeigneter Anordnung von Uranstäben in einem Moderator, wieschweresWasser, könnenmit natürlichemUran kritischeWerte erreicht werden. Fürdie meisten Reaktoren wird aber das spaltbare Uran auf 2%�3% angereichert. Einanderer Weg wird beim schnellen („fast“) Reaktor verfolgt. Man verzichtet hier-bei auf große Moderatorvolumina und reichert das spaltbare Uran auf etwa 20%an.

In Reaktoren wird durch Ausfahren von Neutronen absorbierenden Stäbender benötigte Arbeitspunkt eingestellt. Dabei gibt es ein Problem. Die Änderungder Reaktionsrate muss durch Verschieben der Stäbe kontrolliert werden. Für diethermischen Neutronen, die eine Lebensdauer im Reaktor von nur etwa 10�3 shaben, ist dies nicht möglich. Die Steuerbarkeit eines Reaktors wird dadurchermöglicht, dass, wie geagt, in den Zerfällen neben den prompten Neutronen so-genannte verzögerte Neutronen auftreten. Man muss in dem Bereich bleiben, indem ohne verzögerte Neutronen der kritische Wert nicht überschritten wird undhat damit eine entsprechend verlängerte Reaktionszeit. Der kritische Faktor hängtdurch verschiedene Effekte von der Temperatur im Reaktor ab. Für die Reaktor-sicherheit ist es hilfreich, dass der kritische Faktor mit wachsender Temperaturabnimmt.

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2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 105

Zur Frage, welche Rolle Kernreaktoren für die Energiegewinnung spielen soll-ten, bestehen sehr unterschiedliche Ansichten. Die Attraktion von Fissionsreaktorenberuht darauf, dass pro verbranntem Atom einige MeV Energie freigesetzt wer-den, d. h. 106-mal soviel wie im Verbrennungsprozess. Fissionsreaktoren werdendaher als einzigeMöglichkeit gesehen, die Versorgung der rapide wachsendenWelt-bevölkerung sicherzustellen und einen massiven Anstieg des CO2-Ausstoßes zuverhindern [70].

Dabei existieren allerdings ernste Probleme, die mit dem sicheren Betrieb, demmöglichen Missbrauch zur Bombenherstellung und der Entsorgung des radioakti-ven Abfalls zu tun haben.

Es gibt eine Vielzahl von Versuchen, die Probleme in den Griff zu bekommen.Eine angemessen detaillierte Behandlung ist im Rahmen dieses Buchs nicht mög-lich. Viele dieser neuen Konzepte beruhen darauf, im Betrieb durch einen der beidenoben genannten Brutprozesse das gerade benötigte spaltbare Material unmittelbarzur Verfügung zu stellen und so möglicherweise die Betriebssicherheit zu erhöhen(siehe dazu [71] oder [72]).

Dies hat wichtige indirekte Vorteile. Es erleichtert die Beschaffung des Brenn-materials. Geologisch ist Thorium etwa hundert mal so verbreitet wie das spaltbare235U. Auch ist der Brutprozess mit Thorium wahrscheinlich nicht zur Bombenpro-duktion zu missbrauchen. Für Länder, die konventionelle Kernreaktoren betriebenhaben, könnte sich eine andere attraktive Möglichkeit ergeben. Die gelagerten, ver-brauchten Brennstäbe konventioneller Reaktoren bestehen im ausreichenden Um-fang aus 238U, um wieder verwendet zu werden. Sie könnten die Versorgung fürlange Zeit sicherstellen und solche Reaktoren könnten die Entsorgung vereinfachen.

Ein Problem ist, dass anfangs zur Zündung des Prozesses relativ hoch angerei-chertes spaltbares Material benötigt wird, was eine missbräuchliche Verwendungermöglicht. Um die Gefahr zu minimieren, kann der eigentliche Abbrand dann überviele Jahre oder Jahrzehnte erfolgen.

Eine aufwendige Möglichkeit, die Gefahr zu umgehen, ist der „Nuclear Am-plifier“ [73] oder der ADMSR [74]. Protonen können aus eigentlich „instabilen“Kernen (siehe Abschn. 2.4.7) schon in peripheren Stößen Neutronenemissionen„katalysieren“, ohne selbst viel Energie zu verlieren. Dies wird Spallation genannt.Mit einem aufwendigen, sicherlich realistischen Beschleuniger mit einem etwa Pro-tonenstrahl von etwa 1GeV und 10�50mAwürde in einen konzeptierten „NuclearAmplifier“ etwa 50-mal soviel termische Energie erzeugt werden, wie hineinge-steckt wurde [73].

2.7.2 Konzepte der Fusion

Eine quantitative Betrachtung zeigt, dass die Kernverschmelzung für einige leich-tere Kerne in der Tat die Möglichkeit einer Energiegewinnung eröffnet. Die dabeigewonnene Energie ist typischerweise sogar größer als bei den Spaltprozessen. Zumeinen ist der Anstieg der Bindungsenergie bei niederen Massenzahlen steiler als derAbfall bei hohen, zum anderen wird letztlich oft der besonders stabile, doppelt ma-

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106 2 Einführung in die Kernphysik

Abb. 2.58 Energie-abhängigkeiten derFusionsquerschnitte (adap-tiert nach [77])

gische 4He-Kern gebildet. Wichtige Fusionsprozesse sind (siehe [4, 75, 76]):

dC d ! 3HeC nC 3;27MeV ;

dC d ! tC pC 4;03MeV ;

dC t ! 4HeC nC 17;6MeV ;

tC t ! 4HeC 2nC 11;3MeV ;3HeC d ! 4HeC pC 18;3MeV ;7LiC p ! 2 � 4HeC 17;3MeV ;11BC p ! 3 � 4HeC 8;7MeV

Die Wirkungsquerschnitte dieser Reaktionen erfordern eine gewisse Minimal-energie, für die das Durchdringen der Coulomb-Barriere ausreichend wahrschein-lich wird. Der Anstieg von einigen dieser Querschnitte ist in Abb. 2.58 dargestellt.In den beiden letzten Reaktionen, in denen keine Neutronen abgestrahlt werden,liegt diese Energie beträchtlich höher.

Besonders aussichtsreich ist eine kombinierte Reaktion. Mit einer Fusion einesTritiumkerns mit Deuterium produziert man viel Energie und ein Neutron. Manlässt das frei werdende Neutron dann von einem Lithiumkern einfangen. Dabei wer-den mit einer der folgenden Reaktionen

6LiC n ! tC 4HeC 4;80MeV ;7LiC n ! tC 4HeC n � 2;47MeV

Tritiumkerne erbrütet. Natürliches Lithium enthält 92,6% 6Li und 7,4% 7Li. DasIsotop Deuterium ist zu etwa 0;015% im Wasserstoff enthalten.

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2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 107

Um die Fusion ablaufen zu lassen, braucht man nicht nur die nötige Energie;die benötigte Temperatur ist etwa 20 keV=kB , wobei kB D 8;6 � 10�5 eV=K ist.Vielmehr man muss auch lange genug genügend viele Teilchen zusammenhalten.Es gibt zwei Möglichkeiten, dies zu tun:� den magnetischen Einschluss oder� den Trägheitseinschluss („inertial confinement“).(Als Alternative besteht die Möglichkeit, das Kernfeld durch ein schweres negativesTeilchen schon im Kernbereich abzuschirmen und auf diese Art die starke Absto-ßung zwischen den Fusionskernen zu umgehen. Als solches Katalysator-Teilchenkommt das Myon in Frage, das in Abschn. 5.1 eingeführt wird. Es hat sich heraus-gestellt, dass das Myon dazu eine etwas zu kurze Lebenszeit hat. Die Schwierigkeitbei einem solchen Reaktor besteht darin, innerhalb dieser Lebenszeit die relativhohe Energie, die für die Produktion eines Myons erforderlich ist, aus Fusionspro-zessen wiederzugewinnen.)

Da mit einer technisch nutzbaren Fusion praktisch unendliche Energiereservenzur Verfügung stünden, werden beide Möglichkeiten mit großer Intensität unter-sucht.

Bei hohen Temperaturen besteht die Materie aus freien geladenen Teilchen, d. h.aus Ionen und Elektronen. Da sich geladene Teilchen im Magnetfeld auf Kreis-bahnen bewegen, kann man durch geschickt angeordnete Magnetfelder („magne-tic confinement“) verhindern, dass die Teilchen auseinanderdriften. Natürlich pro-duzieren die Ionen des Plasmas auch Ströme und damit wiederum Magnetfelder,und man hat eine recht komplizierte Situation, bei der verschiedenartige Kräfte imGleichgewicht stehen müssen. Lokale Instabilitäten können global errechnete Ein-schlusszeiten drastisch verkürzen.

Die Entwicklung magnetischer Fusionsreaktoren ist weit fortgeschritten. Im„Joint European Torus“ (JEP, Culham, UK) wurden 2MW Fusionsleistung produ-ziert. Der wesentlich größere „International Thermonuclear Experimental Reactor“(ITER, Cadarache, Frankreich) ist im Bau. 2020 soll das erste Plasma erzeugtwerden. Der Betrieb mit Deuterium und Tritium ist für 2027 vorgesehen. Mit einerBrenndauer von bis zu einer Stunde sollen mit 50 Megawatt Heizleistung 500 Me-gawatt Fusionsleistung erzeugt werden. Falls keine Probleme auftreten, wird einNachfolgeprojekt „DEMO“ in den Gigawattbereich vordringen und mit einemvollständigen Lithiumkreislauf etwa 2040 Strom ins Netz einspeisen [78].

Beim Fusionsreaktor mit Trägheitseinschluss („inertial confinement“) wird ei-nem Kügelchen, das Deuteron and Tritium enthält, schnell viel Energie zugeführt.Es wird stark zusammengepresst und erhitzt. Das Ziel ist es, dabei, einen Fusions-prozess zu erreichen, der in der kurzen Zeit, bevor das Kügelchen auseinander fliegt,genügend viel Energie erzeugt, um kommerziell nutzbar zu sein. Für die Fusions-ausbeute ist das Produkt von Dichte und Einschlusszeit relevant. Man versucht hier,die relativ kurzen Einschlusszeiten durch die hohen Dichten zu kompensieren.

Es gibt verschiedene Methoden, Energie zuzuführen. (In Wasserstoffbombenwird dazu eine Fissionsbombe verwendet.) Besonders Erfolg versprechend sindstarke Laser (Anlagen, die Laserstrahlen erzeugen) oder Teilchenstrahlen mit hohenFlussdichten. Detaillierte Studien scheinen zu belegen, dass kommerzielle Reakto-

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108 2 Einführung in die Kernphysik

ren möglich sein sollten [79, 80]. Bei Trägheitseinschluss ist es möglich [81], dassnach einer Initialzündung neutronlose Fusionsprozesse die eigentliche Energie pro-duzieren. Der Fortschritt in diesem Gebiet ist langsamer als erwartet.

Fusionen sind wichtig für den Energiebilanz der Sonne. Das Sonneninnere be-steht im Wesentlichen aus Wasserstoff (70% der Masse) und Helium (29% derMasse), und keiner der obigen Fusionsprozesse kann daher primär auftreten. Ver-antwortlich für die Fusion ist zunächst der Prozess

pC p! dC eC C e ;

der nur durch die schwache Wechselwirkung ablaufen kann, die wir beim ˇ-Zerfallkennen gelernt haben. Das entstehende Neutrino kann auf der Erde mit der zu er-wartenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Der Wirkungsquerschnitt desProzesses ist verschwindend gering (etwa 10�23 b). Dies hat die Konsequenz, dassein Proton in der Sonne etwa 1010 Jahre braucht, um in einem Fusionsprozess in einDeuteron überzugehen. Mit schnellen Fusions- und Zerfallsprozessen bedeutet diesletztlich die Umwandlung von Wasserstoff in Helium und Strahlung.

2.7.3 Die Entstehung der Elemente

Am Ende des vorigen Abschnitts haben wir die Produktion von Helium in der Son-ne kennen gelernt. Welche Vorstellungen gibt es über die Entstehung der anderenElemente? Vgl. hierzu [12, 75].

Man nimmt an, dass das Weltall sich seit etwa 1010 Jahren (seit dem Urknall)ausdehnt und abkühlt. Nach einer Elementarteilchen-Phase muss dabei einige hun-derttausend Jahre nach dem Urknall eine Temperatur erreicht worden sein, bei derGase aus Atomen existieren konnten. Die Kerne dieser Atome bestanden dabei ausden Teilchen der vorhergegangenen Phase. Die Gase enthielten daher hauptsächlichWasserstoff, etwas Helium (25% der Masse) und ein wenig Lithium.

Die Produktion von schweren Kernen erfordert hohe Temperaturen, damit dieReaktionspartner ausreichend viel kinetische Energie haben, um die Coulomb-Schwelle zu überwinden. Da in der Sonne (und im Sonnensystem) keine ausrei-chenden Temperaturen auftraten, müssen die schwereren Elemente von außen indas Sonnensystem gekommen sein. Sie müssen in sehr großen Sternen entstandenund dann in einer Explosion irgendwie wieder in den Weltraum emittiert wordensein.

Wie hat man sich die Evolution eines solchen großen Sterns, in dem schwe-rere Kerne erbrütet werden, vorzustellen? Ein Stern hat seinen Ursprung in einerAnhäufung von Gas im Weltraum. Die Gravitation, die eine solche Anhäufung ver-ursacht und zusammenhält, muss dabei durch den thermischen Druck im Innerender Gaswolke kompensiert werden. Durch die Gravitation werden die Gasmolekü-le im Inneren eine etwas höhere Temperatur haben als im umgebenden Weltraum.Längerfristig wird damit durch die Abstrahlung von Photonen Energie an die Um-gebung abgegeben. Hält man in einem Gedankenexperiment die räumliche Aus-

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2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 109

dehnung der Gaswolke konstant, bedeutet dies ein Abfallen der Temperatur. Wegendes damit verbundenen geringeren Drucks wird die Gravitation nicht mehr kom-pensiert, und der Stern muss sich verdichten. Dabei wird potenzielle Energie inkinetische Energie umgewandelt.

Dass die Gravitation mit kleiner werdendem Abstand rasch ansteigt, hat eine aufden ersten Blick ungewöhnliche Konsequenz: Ein Abnehmen der Energie bedeutetein Ansteigen der Temperatur. Diese Beobachtung folgt aus dem Virialtheorem,das die mittlere kinetische Energie in einem sich nicht ändernden System durch denfolgenden Mittelwert bestimmt:

T D*

�12

X

i

r i � F i

+

;

wobei die Gravitationskraft

F i / �m.ri/r2i

br

eine Funktion der eingeschlossenen Masse m.r/ ist. In der betrachteten kugelsym-metrischen Verteilung hängt die kinetische Energie nur vom Betrag des Radius ab.Mit dem Inversen r.m/ der monotonen Funktion m.r/ lässt sich die obige Summedurch das folgende Integral über infinitesimale Massenelemente ersetzen:

T � 1

2

MZ

0

dmm

r.m/;

wobei M die Gesamtmasse ist. Da der Radius nur im Nenner auftritt, steigt diemittlere kinetische Energie bei einer Kontraktion

r.m/! r 0.m/ D hr0ihri � r.m/

invers zum mittleren Radius hri. Ein Teil der potenziellen Energie, die durch Kon-traktion gewonnen wird, muss in zusätzliche kinetische Energie überführt werdenund für eine Temperaturerhöhung sorgen. Mit steigender Temperatur wird sich dieAbstrahlung verstärken und der Kontraktionsprozess mehr und mehr beschleunigtfortsetzen.

Die Verdichtung schreitet fort, bis neue Prozesse wichtig werden. Irgendwannwird die Temperatur groß genug werden, so dass im Inneren des Sterns, wie inder Sonne, Wasserstoff zu Helium verbrennen kann. Dabei wird (im Vergleich zuanderen Fusionsprozessen) sehr viel Energie frei. Die freiwerdende interne Energiekompensiert die abgestrahlte Energie. Die Kontraktion des Sterns ist damit zunächstgestoppt.

Nachdem der Wasserstoff verbraucht ist, wird sich der Kontraktionsprozess fort-setzen und zu einem weiteren Anstieg der Temperatur führen. Bei kleinen Sternen

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110 2 Einführung in die Kernphysik

kommt es irgendwann zu einer maximalen Komprimierung, bei der abstoßendeKräfte zwischen den Atomen eine weitere Komprimierung verhindern. Die Ab-strahlung führt dann zu einer wirklichen Abkühlung.

Für ausreichend große Sterne (etwa > 1;44 Sonnenmassen, [12]) können, be-vor solche Kräfte wichtig werden, im Inneren Temperaturen von 10 � 20 keV undDichten von 105–108 kg=m3 erreicht werden, die für weitere Fusionsreaktionen

4HeC 4He ! 8Be ;4HeC 8Be ! 12CC � C 7;3MeV ;4HeC 12C ! 16OC � C 7;2MeV

(2.196)

benötigt werden. Bei diesem Prozessen ist der erste Prozess nicht exotherm, unddas gebildete 8Be ist nicht stabil. Trotzdem werden im thermischen Gleichgewichtimmer einige Berylliumatome für den zweiten Prozess zur Verfügung stehen. Ist dieHeliumkonzentration gesunken, wird nach weiterer Kontraktion Silicium syntheti-siert

16OC 16O ! 2814SiC 4HeC 9;6MeV ; (2.197)

wenn bei ausreichender Größe eine Temperatur von 100 � 200 keV entstanden ist.Stehen die Ausgangstoffe dieser Reaktion nicht mehr in ausreichendem Maße

zu Verfügung, kommt es bei sehr großen Sternen zu einer weiteren Erhitzung in dieGegend von 1MeV. Die Energie ist jetzt hoch genug, den Kern wieder in Stücke zuschlagen. Es wird zu einem Gleichgewicht von Integration und Disintegration vonKernen kommen. Viele neue Kerne werden gebildet. Allmählich wird dabei eineAnreicherung von Kernen mit Massenzahlen ähnlich denen der besonders stabilenEisen- und Nickelkerne entstehen.

Mit wachsender Dichte muss die kinetische Energie der Elektronen größer undgrößer werden (analog zu den Überlegungen zum Fermi-Modell, Abschn. 2.3.2).Ist die benötigte Elektronenenergie größer als die Massendifferenz zwischen Pro-ton und Neutron in Kernmaterie, werden die Elektronen im Kern eingefangen. Eskommt zur Bildung von größeren und größeren, im Wesentlichen aus Neutronenbestehenden Atomkernen, die am Ende die Größe des gesamten Sterninneren er-reichen (Neutronenstern). Da in diesem Prozess die mögliche Packungsdichte derNukleonen um Größenordnungen steigt, kommt es zu einem rapiden Abfall desDruckes, der zu einem drastisch beschleunigten Kontraktionsprozess führt. Mannimmt an, dass es dabei meist zu einer Implosion kommt, bei der ein Teil desHüllenmaterials aus dem Stern herausgeschleudert wird (Supernova-Explosion). Essind diese Bruchstücke, von denen man annimmt, dass sie letztlich Quelle allerschweren Kerne (außerhalb von Neutronensternen) sind.

Mittelschwere Kerne (etwa bis zum Eisen) stammen direkt aus der Oberflächeeines solchen explodierenden Sterns. Für die schwereren Kerne kommt nachträglichein zusätzlicher Prozess hinzu. Die schwereren Kerne werden aus mittleren Kernendurch mehrmaligen Neutroneneinfang gewonnen. Falls dabei die Proton-Neutron-Asymmetrie zu groß wird, kann anschließend ein ˇ-Zerfall auftreten.

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2.7 Wichtige Beispiele kernphysikalischer Prozesse 111

Die Theorie der Kernsynthese erklärt die Häufigkeit der natürlichen Isotope. Sieist noch kein abgeschlossenes Gebiet. Ziel dieses Abschnitts war es, in die grundle-genden Überlegungen dieser Anwendung der Kernphysik einzuführen.

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3Einführung in die Hadronenphysik

Das Thema des ersten Abschnittes dieses dritten Kapitels sind die hadronischenTeilchen und Resonanzen selbst. Die Eigenschaften von hadronischen Streuvor-gängen werden im zweiten Abschnitt behandelt. Dieser Aufbau ist analog zu demder Kernphysik; beginnend mit niedrigen Energien und größeren Ausdehnungen ar-beiten wir uns langsam zu schneller ablaufenden, hochenergetischen Phänomenenvor.

Wir kommen in ein Gebiet, in dem relativistische Effekte eine zentrale Rollespielen. Um die Struktur der relativistischen Gleichungen nicht unnötig zu kom-plizieren und um den Vergleich mit Büchern zur relativistischen Quantenmecha-nik [10, 82] zu erleichtern, benutzen wir nun die in der Einleitung erwähnten na-türlichen Einheiten. Die Variablenm;p; x; t sind, wenn die Einheiten nicht explizitangegeben sind, durch die Ausdrückemc2; pc; x=.„c/; t=„ zu ersetzen.

3.1 „Zoologie“ der Hadronen

Um Boden unter die Füße zu bekommen, überlegen wir uns zunächst, welche Ha-dronen wir schon kennen. Die aus der Atomphysik bekannten Elektronen sind soge-nannte Leptonen, d. h. nur elektromagnetisch und schwach wechselwirkende Teil-chen. Da solche Teilchen auch bei sehr viel kleineren Längenskalen denselbenGesetzen unterliegen, ordnen wir sie solchen Skalen zu und verschieben ihre Dis-kussion und betrachten die Hadronen. Einige Hadronen, d. h. stark wechselwirken-de Teilchen, haben wir im Kernphysikteil kennengelernt.

3.1.1 Die Hadronen der Kernphysik

Wie dort behandelt, bestehen Kerne aus Protonen und Neutronen, deren Masse0;9383GeV bzw. 0;9396GeV ist [31]. Die Bestandteile der Protonen und Neutro-nen sind verschieden. Die Frage, warum die Massendifferenz trotzdem recht klein

113F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_3,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

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114 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.1 Das Schema desNachweises des �-Mesons

ist und oft vernachlässigt werden kann, wird später eine Erklärung finden. Proto-nen und Neutronen haben den Spin 1/2, d. h., sie genügen der Dirac-Gleichung. DieProtonen sind als freie Teilchen stabil, zumindest bis zu einer Lebensdauer von derGrößenordnung des Weltalters. Die bislang experimentell gefundene Grenze liegtfür typische Zerfallsmodi bei etwa 1032 Jahren. Freie Neutronen zerfallen in etwa15 Minuten in Protonen und Leptonen. Die Massendifferenz zwischen Proton undNeutron ist in vielen Fällen kleiner als entsprechende von Kernwechselwirkungenherrührende Differenzen, und der ˇ-Zerfall von im Kern gebundenen Neutronen istdamit oft unmöglich.

Im Kernphysikteil wurde gesagt, dass sich die Nukleonen im Kern recht freibewegen und dass die kräftige Coulomb-Abstoßung durch stark anziehende, kurz-reichweitige Kernkräfte kompensiert wird. Es wurde argumentiert, dass es in derrelativistischen Quantenmechanik keine Potenziale, sondern nur Wechselwirkun-gen mit Orts- und Zeitabhängigkeit gibt. Solche Wechselwirkungen können durchden Austausch virtueller Teilchen entstehen. Da aus der Kernphysik kein Teilchenmit ausreichend kräftiger Kopplung bekannt war, hat der japanische Physiker Hi-deki Yukawa 1935 die Existenz eines solchen Teilchens, des Pions oder �-Mesons,gefordert [16]. Aus der Reichweite der Wechselwirkung konnte dabei die Masseabgeschätzt werden.

Nachdem zunächst das in der kosmischen Strahlung beobachtete Myon als Yu-kawa-Teilchen fehlidentifiziert wurde, konnte 1947 das Pion in seiner geladenenVersion nachgewiesen werden [83]. Das Experiment verwendete eine fotografischeEmulsion, die kosmischer Strahlung ausgesetzt wurde. Fotografische Emulsionenbestehen aus Paketen von Cellulosefolien, die licht- und strahlungsempfindlichesMaterial enthalten. Nach dem Entwickeln kann man einzelne Spuren unter demMi-kroskop dreidimensional verfolgen. Im Pion-Experiment wurde die in Abb. 3.1 dar-gestellte Konfiguration beobachtet. Ein Teilchen der kosmischen Strahlung streut aneinem Kern und erzeugt ein �C-Meson, das in der Emulsion zur Ruhe kommt unddann, abgesehen von unsichtbaren Teilchen, in ein �C-Lepton zerfällt, das wieder-um in ein Positron und in unsichtbare Teilchen zerfällt. Der Grad der Schwärzung

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 115

Abb. 3.2 Amplituden unterVertauschung identischerTeilchen

und seine Zunahme als Funktion des Weges erlauben Rückschlüsse auf die Energieund die Masse der Teilchen, die die obige Identifikation ermöglichten.

Die genau gemessene Masse des Pions ist [31]

m�˙

D 139;57MeV bzw. m�0 D 134;97MeV :

Pionen sind Bosonen. Fermionische Hadronen mit halbzahligem Spin heißen Ba-ryonen und bosonische Hadronen mit ganzzahligem Spin Mesonen. Die griechi-schen Wörter „� K��o&“, „ˇ M� K�&“ und „���� Ko&“ heißen „mittel“, „schwer“ und„leicht“. Mesonen sind meist etwas leichter als Baryonen und schwerer als die obenerwähnten Leptonen.

Die bosonische bzw. fermionische Natur von Teilchen bestimmt die statistischenEigenschaften identischer Teilchen. DieWellenfunktion von identischen Fermionenist antisymmetrisch, die identischer Bosonen ist symmetrisch, d. h., ihr Vorzeichenändert sich bzw. ändert sich nicht bei Vertauschung zweier Teilchen. Wie wir ausder Atomphysik wissen, schließt die Antisymmetriebedingung identische Zuständeaus und führt so zu einer drastischen Reduzierung der für Fermionen-Systeme er-laubten Zustände (Pauli-Prinzip). Sie wird auch bei der Klassifikation der Hadronenund bei deren Zerfällen eine wichtige Rolle spielen. Zu jedem Fermion gibt es einvon ihm verschiedenes Antiteilchen, aber ein Boson kann sein eigenes Antiteilchensein.

Das relative Vorzeichen der Wellenfunktion eines Systems zweier identischerTeilchen mit und ohne Vertauschung (siehe Abb. 3.2) ist direkt beobachtbar in Pro-zessen, in denen die Teilchen mit beinahe identischen Impulsen produziert werden.Der Wirkungsquerschnitt ergibt sich aus dem Absolutquadrat der Amplitude. DerAnteil der Amplitude, die beiden Teilchen „so herum“ bzw. „anders herum“ zu er-zeugen, trägt im Wirkungsquerschnitt nicht nur jeweils als seperates Quadrat bei,sondern es gibt auch einen gemischten Beitrag vom Produkt des „so-herum“- mitdem „anders-herum“-Amplitudenanteil, der je nach Vorzeichen (positiv für Boso-nen, negativ für Fermionen) die Wahrscheinlichkeit des Prozesses verstärkt oderreduziert.

Neben den Elementarteilchen der Kernphysik gibt es eine umfangreiche Listeweiterer Hadronen. Woher kommt die Evidenz für solche Teilchen? Vor allem amAnfang wurden Elementarteilchen wie das oben erwähnte Pion in der kosmischenStrahlung nachgewiesen, und viele Hinweise auf neue Effekte kamen immer wie-der aus solchen Experimenten. Allerdings sind kosmische Teilchen mit inzwischenin Beschleunigern erreichbaren Energien sehr selten. Experimente zu Fragen derTeilchenphysik werden daher heute fast ausschließlich an Beschleunigern durchge-führt.

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116 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.3 Das Schema einesLinearbeschleunigers

3.1.2 Beschleuniger

Die Geschichte der Teilchenphysik wurde weitgehend von Beschleunigern ge-schrieben, die höhere und höhere Energien erreichten und so die Türen zurErforschung eines jeweils neuen Gebiets öffneten.

Man ist der Ansicht, dass Forschungseinrichtungen, die international an derSpitze stehen und sich mit den interessantesten Fragen beschäftigen, langfris-tig einen hohen indirekten wirtschaftlichen Nutzen haben. Die Aufwendungensind eine Form der Technologieförderung, und Kosten im Umfang von einigenMilliarden Dollar bzw. Euro sind und waren typisch. Teilchenbeschleuniger sindheute meist größere oder riesige „industrielle Anlagen“, die verschiedenen Ex-perimenten hochenergetische Strahlen liefern. Diese Anlagen sind natürlich nurdurch eine weitgehende internationale Konzentration von Forschungsmitteln mög-lich.

Trotz der Größe ihrer Anlagen spielt die Teilchenphysik heute im Beschleuni-gerbau keine dominante Rolle mehr. Beschleuniger haben in sehr vielen anderenGebieten Anwendungen gefunden. So werden dedizierte Beschleuniger als Rönt-genstrahlungsquellen benutzt. Viele Krankenhäuser benutzen sie als Strahlungs-quellen. Der Bau von Beschleunigern ist ein Industriezweig geworden.

In Beschleunigern werden Teilchen mittels elektrischer Felder beschleunigt. Ameinfachsten ist das Prinzip des Linearbeschleunigers. Das Schema eines solchenBeschleunigers ist in Abb. 3.3 dargestellt. Durch Elektronen herausgeschlageneProtonen werden mit einer geeigneten Spannung auf hochfrequente Hohlraumreso-natoren gelenkt, die so abgestimmt sind, dass Teilchenpakete jeweils ein beschleu-nigendes Feld spüren. Passiert das Teilchenbündel die Resonatoren gerade bevordas maximale Feld erreicht ist, werden zurück bleibende Teilchen etwas stärker be-schleunigt und ein Auseinanderlaufen damit verhindert.

Höhere Energien sind mit dem sogenannten Synchrotron [84] zu erreichen. Inihm werden die Teilchen durch Magnete auf einer Kreisbahn gehalten, so dassdieselben Resonatoren beliebig oft durchflogen werden können. Um den Strahldabei im Strahlrohr zu halten, benötigt man neben reinen Ablenkmagneten Quadru-polmagnete, die die Teilchen abwechselnd bezüglich ihrer radialen und vertikalenAuslenkungen zurück fokussieren. Der Feldverlauf eines solchen Magnets und dasSchema des Strahlengangs ist in Abb. 3.4 skizziert.

Sind die eingeschlossenen Teilchen ausreichend dicht an der Lichtgeschwindig-keit, wird die Frequenz der Resonatoren in erster Näherung von den Abmessungender Anlage in Einheiten von c=Umfang bestimmt. Mit zunehmender Energie derTeilchenpakete muss nur die Größe der Magnetfelder entsprechend erhöht werden.

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 117

Abb. 3.4 Feldverlauf imQuadrupolmagnet und Sche-ma eines Strahlengangs

Vom Beginn eines neuen Beschleunigungszyklus bis zum Zeitpunkt, zu dem die be-schleunigten Wellenpakete herausgelenkt werden, müssen daher die Magnetfelderauf- und abgebaut werden.

Die Stärke der benötigten Magnetfelder berechnet sich nach der Formel

Pp„ƒ‚…

h

�!�p��br.v=R/.E�v/i

D e � v �B„ ƒ‚ …

Œ��ebrjBjv

(3.1)

wobei E die Energie der beschleunigten Teilchen und R der Radius des Ring-beschleunigers ist. Wir nehmen an, dass die Teilchen sich praktisch mit Lichtge-schwindigkeit bewegen, d. h. v ! c D 1 ist. Für Protonenbeschleuniger bestimmtdiese Gleichung die maximal erreichbare Teilchenenergie. Sie ergibt sich somit alsdas Produkt von Ringradius und maximalem Magnetfeld.

Als Beispiel wird nun der SPS-(Super-Proton-Synchrotron-)-Beschleunigerdes CERN vorgestellt. Wir beginnen mit dem „Fixed-target“-Betrieb, wie er inAbb. 3.5a skizziert ist [85, 86]. Zunächst werden die Teilchen in vorhandene äl-tere Beschleuniger geschickt und dort auf Energien von 10GeV (später 26GeV)gebracht, mit denen sie dann in das SPS eintreten. Der SPS-Ring hat einen Radiusvon 2;2 km. Er enthält 744 Ablenk- und 216 Quadrupolmagnete. Es gibt 4 jeweils20m lange Beschleunigungsstrecken. Sie erlauben, .1;0 � 3;0/ � 1013 Protonen ineinem Zeitraum von 8–12 Sekunden auf Teilchen-Endimpulse von PL D 450GeVzu bringen, die dann in einen der beiden experimentellen Komplexe gebracht wer-den, wo sie wiederum verschiedenen Experimenten zugeteilt werden können. EinKomplex befindet sich in der „North Experimental Area“ in Frankreich, ein andererin der „West Experimental Area“ in der Schweiz.

Die beschleunigten Protonen treffen dort auf Kerne eines geeignet gewähltenTargetmaterials, die aus praktisch ruhenden und unabhängigen Protonen und Neu-tronen bestehen. Die Physik des Streuvorgangs hängt nicht vom Lorentz-Systemdes Beobachters ab. Man möchte daher die verfügbare Streuenergie in einer Lor-entz-invariantenWeise charakterisieren. Dazu betrachten wir die Vierervektoren desStrahl- und des Targetteilchens

PStrahl D�q

M2p C P 2

L; PL; 0; 0

PTarget D .Mp; 0; 0; 0/

(3.2)

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118 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.5 a Das Schema des SPS im „-Fixed Target“-Betrieb (© CERN, 1978 [87]) bDas Schemades SPS im „Collider“-Betrieb (© CERN, 1982 [88])

und bilden daraus ein Lorentz-invariantes Skalarprodukt. (Das Produkt zweier Vie-rervektoren ist p � q D p0q0 � p1q1 � p2q2 � p3q3.)

s D .PStrahl C PTarget/2 D 2Mp �

q

M2p C P 2

L C 2 �M2p : (3.3)

Die Variable s ist eine der sogenannten Mandelstam-Variablen. Für große Energiengilt

s ! 2 �ELMp : (3.4)

Die Wurzels1=2 DMRuhe D ESchwerpunkt (3.5)

ist die im Schwerpunktsystem zur Verfügung stehende Energie oder die Ruhe-masse des streuenden Systems. Bei dem betrachteten Beispiel des SPS ist etwas D 900GeV2. Da damit die Ruhemasse MRuhe D 30GeV ist, können also ma-

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 119

ximal Objekte dieser Masse erzeugt werden. In der Praxis wird bei hadronischenStreuvorgängen allerdings immer nur ein Teil der kinetischen Energie der einfal-lenden Hadronen in die Produktion von Massen umgesetzt.

Eine Methode, höhere Schwerpunktsenergien zu erreichen, besteht darin, Teil-chen im „Collider“-Betrieb aus zwei entgegengesetzt gerichteten Strahlen aneinan-der zu streuen. Lassen wir ein Proton des obigen Teilchenstrahls mit einem anderenTeilchen des Impulses

PStrahl 2 D�q

M2p C P 2

L;�PL; 0; 0�

(3.6)

wechselwirken, erhalten wir

s D�

2

q

M2p C P 2

L

�2

! .2EL/2 : (3.7)

Das Laborsystem ist jetzt mit dem Schwerpunktsystem identisch. Die wesentlichgrößere Mandelstam-Variable s wächst jetzt quadratisch mit dem Strahlimpuls. Diegesamte kinetische Energie der Strahlen ist als Schwerpunktsenergie verfügbar.

An unserem Beispiel, dem CERN-SPS, war diese Betriebsart zunächst nicht ge-plant und wurde mit relativ geringen Mitteln erst 1982 eingerichtet. Da Protonenund Antiprotonen verwendet wurden, kam man mit den existierenden Magnetenaus. Das Schema des umgerüsteten SPS ist in Abb. 3.5b dargestellt [88]. Man be-schränkte sich zunächst auf eine Strahlenenergie von 270GeV pro Teilchen. DieRuhemasse des p Np-Systems, s1=2 D 540GeV, ist damit etwa um einen Faktor 20höher als zuvor. Da die Magnete im Collider-Modus im Dauerbetrieb (nicht imAuf-und-Ab-Betrieb, wie er bei der Beschleunigung erforderlich ist) benötigt wer-den, war die Reduktion der Energie erforderlich, um eine zu starke Erwärmung derMagnete zu verhindern. Später hatte man eine Möglichkeit gefunden, dieses Pro-blem auf Kosten der Luminosität etwas zu umgehen. Man beschleunigt und bremstdie Strahlen kontinuierlich zwischen 100GeV und 450GeV, so dass die mittlereBelastung der Magnete in vorgegebenen Grenzen bleibt.

Nebenbei sei erwähnt, dass man oben in der Abb. 3.5b auch den ersten Speicher-ring, der im Collider-Betrieb arbeitete, den CERN Intersecting Storage Ring (ISR),sehen kann. Er besteht aus zwei völlig unabhängigen Strahlrohrringen, in denen sichProtonenstrahlen von bis zu 31GeV in acht Wechselwirkungszonen schneiden.

Problematisch für Collider ist, dass die Teilchendichte in Strahlen natürlich vielgeringer ist als in ruhenden Targets. Es ist daher nicht einfach, eine ausreichendeLuminosität (definiert in Abschn. 2.5.1) zu erhalten.� Man braucht zunächst natürlich möglichst viele Teilchen in den sich streuenden

Strahlen. Dazu benötigt man Teilchenquellen mit geeigneter Flussdichte; fer-ner muss man jedwede Verluste bei der Strahlenführung vermeiden. Besondersgefährlich sind Instabilitäten, die entstehen, wenn sich die Wirkung kleinererFehler in aufeinander folgenden Durchläufen addiert.

� Man kann die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit pro Wechselwirkungszonedurch eine enge Bündelung der Teilchen erhöhen. Der springende Punkt ist, dasssich die Wechselwirkungswahrscheinlichkeit aus einem Ortsintegral vom Qua-drat der Teilchendichte ergibt, und dass bei konstanter Teilchenzahl (d. h. bei

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120 3 Einführung in die Hadronenphysik

konstantem Ortsintegral über die Dichte) eine „Kollimation“ den Wert eines sol-chen Integrals erhöht.

� Man kann die Teilchen in sogenannten Speicherringen immer wieder Wech-selwirkungszonen zuführen. Die beiden Teilchenstrahlen werden dabei auf ver-schiedenen Kreisbahnen gehalten, die sich an Wechselwirkungspunkten schnei-den. Auf diese Art können sie im Prinzip bis zu einer tatsächlichen Wechselwir-kung gehalten werden.Das Speicherringkonzept lässt sich, wie oben erwähnt, besonders kostengünstig

verwirklichen, wenn die Teilchen in beiden Strahlen gleiche Massen und entgegen-gesetzte Ladungen haben, wie z. B. in Proton-Antiproton- oder Elektron-Positron-Ringen. Solche Teilchen haben identische Bahnen im Magnetfeld, wenn sie genauin entgegengesetzten Richtungen fliegen. Beide Strahlen können daher durch die-selben Magnete geleitet werden. Voraussetzung für diese Methode ist es, dass mangenügend intensive und kollimierte Antiteilchenstrahlen erzeugen kann. Die Her-stellung des Antiprotonenstrahls war einer der entscheidenden Leistungen bei derUmrüstung des SPS.

Natürlich können für Antiteilchen keine mit den Teilchenstrahlen vergleichbarenFlüsse erreicht werden. Für extreme Anforderungen an die Luminosität, wie sie fürdie Suche nach dem Higgs-Teilchen erforderlich sind, muss man auf Antiteilchen-strahlen verzichten. Der LHC-Beschleuniger benutzt daher zwei Protonenstrahlenmit separaten Strahlengängen.

Die Entwicklung der Teilchenphysik ist eng verbunden mit der Entwicklung derBeschleuniger. Sie „definierten“, was unter neuer Physik zu verstehen sei. Die Listeder wichtigen Beschleuniger der 50er und 60er Jahre ist:

maximale Energie (GeV) Name, Stadt, Land Jahr fertig Typ der Maschine

6;2 BEVATRON, Berkeley, USA 1952 p -Synchrotron

33 AGS, Brookhaven, USA 1960 p -Synchrotron

28 PS-CERN, Genf, Schweiz 1960 p -Synchrotron

76 PS, Serpukhov, USSR 1967 p -Synchrotron

Bei hadronischen Streuungen können meist alle kinematisch möglichen Teilchenentstehen. Sobald eine Energie von 6; 2 GeV im BEVATRON verfügbar war, ent-standen Proton-Antiproton-Paare. Die Existenz des von Dirac geforderten Antipro-tons konnte nachgewiesen werden. Mit einer Energie von 33GeV im Laborsystemkonnten Spektren gemessen werden, die unterschiedliches Verhalten in transversa-ler und longitudinaler Richtung zeigten. Für eine kurze Zeit hatte der Beschleunigerin Serpukhov die maximale Energie. Dort wurde gezeigt, dass der Wirkungsquer-schnitt mit der Energie anwächst. Es widerspricht dem einfachen Kugelbild einesNukleons, das von einer festen Wechselwirkungszone in der transversalen Ebeneausgeht. Tatsächlich besteht das Nukleon aus einer Gauß-artigen Verteilung seinerpartonischen Bestandteile mit einer halbdurchlässigen Randzone. Wird die Wech-selwirkung der Bestandteile stärker, wird die signifikant wechselwirkende Zonegrößer.

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 121

Die wichtigsten Beschleuniger mit Hadronen oder Kernen seit dieser Zeitsind: [86, 89, 31, 90]

maximale Energie (GeV) Name, Labor, Stadt, Jahr d. Fertigstellung Typ der Maschine

100 ! 980 Synchrotron, FNAL, Batavia, 1972 p -Synchrotron

31C 31 ISR, CERN, Genf, 1971 pp.Np/ -Speicherringe450C .200A/ SPS, CERN, Genf, 1976 p.O; S/ -Synchr.

450C 450 SppS, CERN, Genf, 1981 pNp -Speicherring980C 980 Tevatron, FNAL, Batavia, 1987 pNp-Speicherring26C 820 HERA, DESY, Hamburg 1992 ep-Speicherringe

100C 100 RHIC, BNL, Brookhaven, 2000 AuAu-Speicherringe

! 7000 C 7000 LHC, CERN, Genf, 2009 pp-Speicherringe

! 2760A C 2760A LHC, CERN, Genf, 2010 PbPb-Speicherringe

! 4000 C 1580A LHC, CERN, Genf, 2010 pPb-Speicherringe

In der Tabelle bezeichnet A die Massenzahl. Da Kerne etwa doppelt soviel Massepro Ladung haben als Protonen, kann im selben Beschleuniger nur etwa die hal-be Energie pro Nukleon erreicht werden. Der Pfeil bedeutet, dass die angegebeneEnergie noch nicht ganz erreicht wurde. Da man Schwierigkeiten mit supraleiten-den Magneten hatte, wurde der LHC zunächst nur mit der Hälfte der geplantenEnergien betrieben.

Bei der Hadron-Hadron-Streuung gibt es seit den 70er Jahren eine Konkurrenzzwischen Fermilab (Batavia bei Chicago) und CERN (bei Genf). Mit großer Inten-sität versuchte man mit dem Tevatron, das Higgs-Teilchen zu entdecken. Ein weitesGebiet von Higgs-Massen konnte ausgeschlossen werden. Erst der LHC, das eigensdafür gebaut wurde, konnte es nachweisen.

Die besondere Bedeutung der Kern-Kern- und der Lepton-Proton-Streuung wirdspäter erklärt.

Neben den hadronischen Anlagen existieren viele Beschleuniger und Spei-cherringe für Elektronen. Die Wechselwirkungen dieser Teilchen werden imAbschn. 4.1 behandelt. Um Wiederholungen zu vermeiden, werden die leptoni-schen Beschleuniger und Speicherringe hier kurz vorgestellt.

Für die Erschließung neuer Energiebereiche haben dabei die folgenden Elektron-Positron-Beschleuniger eine wichtige Rolle gespielt:

maximale Energie (GeV) Name, Stadt, Land Jahr Typ der Maschine

4C 4 SPEAR, SLAC, Stanford 1972 eCe�-Speicherring

5;6C 5;6 DORIS, DESY, Hamburg 1973 eCe�-Speicherring

15C 15 PEP, SLAC, Stanford 1980 eCe�-Speicherring

23;4C 23;4 PETRA, DESY, Hamburg 1978 eCe�-Speicherring

50C 50 SLC, SLAC, Stanford 1989 eCe� -Linear-Collider

50C 50 LEP1, CERN, Genf 1989 eCe�-Speicherring

105C 105 LEP2, CERN, Genf 1996 eCe�-Speicherring

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122 3 Einführung in die Hadronenphysik

Oft reichte die Luminosität dieser Beschleuniger nicht für Präzisionsmessungen.Präzisionsmessungen sind wichtig, da sie unter Umständen Hinweise auf neue Phä-nomene geben können, bevor die typische Energie dieser Phänomene erreicht ist.Als Ergänzung zu den obigen Beschleunigern gibt es sogenannte „Fabriken“, dieversuchen, eine sehr hohe Teilchenzahl zur Verfügung zu stellen, um so solche Prä-zisionsmessungen zu ermöglichen.

Wegen der geringen Masse des Elektrons kommen für Elektron-Positron-Streu-vorgänge natürlich nur Strahl-Strahl-Wechselwirkungen in Frage. Um dieselbeSchwerpunktenergie zu erreichen wie in dem „19-auf-19-GeV“-Speicherring PE-TRA, wäre eine Elektronenenergie von 1,2 Millionen GeV erforderlich.

Elektron-Synchrotrons und Elektron-Positron-Speicherringe sind recht begrenztin der erreichbaren Energie. Wegen der geringen Masse des Elektrons ist die Strahl-geschwindigkeit so dicht an der Geschwindigkeit des Lichts, dass bei der Krüm-mung der Teilchenbahn in den Magneten ein signifikanter Teil der Energie als „ab-geschüttelte“ Photonen abgestrahlt wird. Der Energieverlust pro Umlauf im Ringdurch solche „Synchrotron-Strahlung“ ergibt sich als

Energieverlust � .Energie/4

Ringradius: (3.8)

Da der maximalen Energiezufuhr offensichtlich Schranken gesetzt sind, können hö-here Energien nur durch sehr große Ringe erreicht werden.

Der größte Speicherring dieser Art ist der LEP am CERN, der in Abb. 3.6 ab-gebildet ist. Der Umfang des Tunnels beträgt etwa 22 km [88]. Mit dem LEP-Speicherring konnte gezeigt werden, dass es nur drei masselose oder leichte neutri-no-artige Teilchen gibt.

Offensichtlich sind damit die Grenzen der in dieser Weise möglichen Energienerreicht. Um höhere Energien in Elektron-Positron-Beschleunigern zu erreichen,muss man zum Linearbeschleuniger zurückkehren.

Besonders trickreich ist der „Energy Recovery Lineac“. Er besteht aus zweigegeneinander laufenden Linearbeschleunigern. Teilchen, die in der Wechselwir-kungszone nicht streuen, werden im gegenüber liegenden Beschleuniger gebremst,d. h. ihre Energie wird in die Resonatoren zurückgeführt.

Warum ist dies günstiger als ein Ring? Jedes Teilchen, das beschleunigt wird,strahlt entgegen der Richtung der Beschleunigung, d. h. im Magnetfeld quer undim elektrischen Feld des Resonators längs zur Strahlrichtung. Bei der Lorentz-Transformation von masselosen Photonen ins Laborsystem entsteht im einen Falleine große Energie, im anderen Fall nicht. Ein Impuls transversal zur Boostrichtungwirkt gewissermaßen wie eine Masse, die im geboosteten System eine entsprechen-de Energie bedeutet.

Die erste Maschine dieser Art war der Stanford Linear Collider (SLC). Manversuchte mit einer extremen Kollimation zu erreichen, dass genügend Wechsel-wirkungen in einer einzigen ersten Zone auftreten, und dass so eine ausreichendeLuminosität erreicht wird. Die Idee ist, die Strahlen so stark zu kollimieren, dasssie sich wegen der entgegengesetzten Ladung gegenseitig weiter anziehen (Autofo-kussierung). Durch dieses Prinzip konnte mit wesentlich geringerem Aufwand dieursprüngliche LEP-Energie erreicht werden. Allerdings, da vieles schwieriger als

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 123

Abb. 3.6 Der Speicherring LEP (= Large Electron Positron Collider) am CERN bei Genf(© CERN, 1982 [88]). Der LEP wurde bis 2000 betrieben. Heute befindet sich der LHC (= LargeHadron Collider) im Tunnel

erwartet war, erst zwei Jahre nach Beginn der Messungen am LEP. Auch war dieerreichte Luminosität sehr klein.

Wegen dieser Schwierigkeiten hatte man sich für die Higgs-Suche für eine ha-dronische Maschine entschieden, einen Proton-Collider (Large Hadron Collider,LHC) zu bauen. Das Schema ist in Abb. 3.7 zu sehen. Da Baumaßnahmen einennicht unerheblichen Teil der Kosten darstellen und alte Beschleuniger verwendetwerden konnten, war das im Vergleich zu einer damals geplanten amerikanischenMaschine (SSC) günstig.

Viele Eigenschaften des Higgs-Teilchens wird man mit einer solchen Maschinenicht herausfinden können. Um dies zu tun, gibt es Pläne, einen International Li-near Collider (ILC) zu bauen. Ein Komitee der großen Laboratorien hat dazu einenTechnical Design Report fertiggestellt. Er soll mit zwei aufeinander gerichteten, je-weils 15,5 km langen Linear-Collidern 200–500 GeV Strahlenergie erhalten. EinBild des Projekts ist in Abb. 3.8 dargestellt.

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124 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.7 Das Schema des Large Hadron Colliders im CERN complex (© CERN, 2008)

Abb. 3.8 Das Schema des „International Linear Collider“ (© Wikimedia Commons [92])

3.1.3 Pion-Nukleon-Streuung

Wichtig für die Entdeckung vieler hadronischer Resonanzen war die Pion-Nukleon-Streuung. Da es keine Pionen-Beschleuniger gibt, ist sie ein Beispiel für ein Experi-ment mit einem sekundären Teilchenstrahl. Das Schema eines solchen Experimentsist in Abb. 3.9 skizziert.

Ein aus einem Synchrotron kommendes Proton wird auf ein dickes Target ge-richtet, in dem Streuvorgänge „Sekundärteilchen“ erzeugen, die im Wesentlichen

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 125

Abb. 3.9 Das Schema einesExperiments mit Sekundär-strahl

in Vorwärtsrichtung fliegen. Sie bestehen zum größten Teil aus Protonen und Pio-nen und haben eine kleine Beimischung von anderen Teilchen. Hinter dem Targetidentifiziert oder separiert man die Teilchen dieses „Sekundärstrahls“. Dies machtfür Pionen im Prinzip keine Schwierigkeiten, da die Teilchen einen relativ langenWeg zurücklegen können. Die Lebensdauer eines geladenen Pions ist in seinemRuhesystem

��˙

D 2;6 � 10�8 s D 7;8m=c : (3.9)

In einem System, in dem das Teilchen eine Energie EL hat, ist diese Zeit um einenFaktor EL=m länger. Pionen einer Energie von z. B. 2GeV können damit einenZerfallsweg von

7;8m � 2=0;138 D 110m (3.10)

zurücklegen. Der so identifizierte Sekundärstrahl fällt auf ein geeignetes zweitesTarget. Für die Pion-Nukleon-Streuung kann es aus einer Schicht aus Wasserstoffbestehen. Dieses Target muss nun ausreichend dünn sein, damit der Anteil vonkomplizierten Mehrfachstreuprozessen vernachlässigbar bleibt. Nach der Streuungmüssen die gestreuten Teilchen beobachtet werden. Die Unterscheidung von Pro-tonen und Pionen ist – im Falle der Resonanzphysik – bei den benötigten relativkleinen Energien mit geeigneten Detektoren möglich, da das Proton mit seiner we-gen seiner Masse etwas kleineren Geschwindigkeit entlang seiner Spur etwas mehrIonisation verursacht. Bei höheren Energien können Magnete zur Separation be-nutzt werden, falls ausreichend lange Wegstrecken zur Verfügung stehen.

Der mit einem solchen Experiment erhaltene totale Wirkungsquerschnitt ist inAbb. 3.10 für p�C und p�� zu sehen [93]. Bei niedrigeren Energien bis zu 3GeVgibt es eine Vielzahl von resonanzartigen Buckeln, die nach höheren Energien hinallmählich in eine glatte, leicht abfallende Kurve übergehen. Bei beiden Prozes-sen findet man ein sehr ausgeprägtes Maximum bei einer Schwerpunktsenergie von1,232GeV, die auf die Existenz einer in beiden Prozessen auftretenden Resonanzzurückzuführen ist. Es handelt sich um die �-Resonanz, die mit den Ladungen�1; 0;C1 undC2 auftritt.

Von der Diskussion im Abschn. 2.5.4 erwarten wir, dass die Resonanzstrukturin den entsprechenden Partialwellenamplituden besonders deutlich ist. Als Bei-spiel zeigt Abb. 3.11 die zum Drehimpuls 3/2 gehörende Partialwellenamplitudeder �Cp-Streuung, und zwar den Beitrag mit positiver Parität. Wie später bespro-chen wird, legt die Parität den Beitrag des Nukleonenspins zum Gesamtdrehimpulsfest. In einem „elastischen“ Energiebereich durchläuft die Partialwellenamplitude,

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126 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.10 Wirkungsquerschnitt für p�C und p�� (© 1986 American Physical Society [93])

wie erwartet, den Einheitskreis. Der Kreiswinkel entspricht der Streuphase. DieStreuphase ıl=� /2 wird bei einer Resonanzenergie von

ER D 1;232GeV

erreicht, was die Masse der zugehörigen Resonanz (�CC) festlegt. Unten links wirdder Kreis verlassen, es öffnen sich inelastische Kanäle, so dass ein Teil der Ampli-tude absorbiert wird. Mit entsprechend reduziertem Radius gibt es jetzt eine zweiteKreisstruktur, die bei einer Energie von

ER D 2;2GeV

wiederum den Phasenwinkel � /2 erreicht.

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 127

Abb. 3.11 Die zum Dreh-impuls 3/2 gehörendePartialwellenamplitude imArgand-Diagramm (© 1986American Physical Socie-ty [93])

Natürlich kann eine solche Analyse nicht nur bei elastischen (oder anderen Zwei-Körper-)Prozessen durchgeführt werden. Man kann bei inelastischen Prozessen dieMassenverteilung beliebiger Subsysteme von Endzustandsteilchen auf Resonanz-verhalten untersuchen, und man hat daher Zugang zu vielen Kanälen, in denen manResonanzen suchen kann.

3.1.4 Hadronische Resonanzen

Im vorigen Abschnitt hatten wir gesehen, wie man Resonanzen finden kann. Wieunterscheiden sich solche Resonanzzustände zweier Hadronen von einzelnen Ha-dronen? Da es sich bei Hadronen (obwohl man oft von „Elementarteilchen“ spricht)nicht wirklich um elementare Teilchen handelt, kann diese Frage nicht aus grund-sätzlichen Überlegungen beantwortet werden. Hadronen und Resonanzen sind bei-de Bindungszustände aus den Grundbausteinen der Hadronen, d. h. aus den soge-nannten Quarks; die einzige Unterscheidungsmöglichkeit liegt in den verschiedenenStabilitäten.

Eine Forderung nach absoluter Stabilität macht wenig Sinn, da nach manchentheoretischen Vorstellungen sogar das Proton nicht absolut stabil sein soll. Die Un-terscheidung von (stabilen) Teilchen und Resonanzen ist daher etwas willkürlich;man muss festlegen, welchen Grad an Stabilität man erfüllt haben möchte. Für ei-ne Resonanz sollte der Zerfall direkt etwas mit einer zu geringen Bindung zu tunhaben, was oft nicht der Fall ist. Betrachten wir dazu das Neutron. Das Neutronbesteht aus zwei d -Quarks und einem u-Quark, die mit einer verallgemeinertenLadung, der sogenannten Farbladung aneinander gebunden sind. Die Bindung desNeutrons ist völlig identisch mit der Bindung der Quarks in einem Proton. Seine

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128 3 Einführung in die Hadronenphysik

Instabilität hat ihren Ursprung darin, dass eines seiner Quarks, ein d -Quark, nachvergleichsweise langer Zeit durch eine sogenannte schwache Wechselwirkung indas leichtere u-Quark und zwei leptonische Teilchen (d ! uC e� C N�e) zerfällt.Der Übergang hat nichts mit der Bindung zwischen Quarks zu tun.

Auf demWeg zu einer vernünftigen Einteilung klassifizieren wir die Zerfälle derTeilchen bzw. Resonanzen. Üblicherweise unterscheidet man zwischen drei Typenvon Zerfällen, den schwachen, den elektromagnetischen und den starken Zerfäl-len, je nachdem, ob eine schwache, elektromagnetische oder starke (hadronische)Wechselwirkung involviert ist. (Die Gravitationswechselwirkung spielt für Zerfällevon Elementarteilchen keine Rolle.) Da die Zerfallszeit dabei in der Regel jeweilsrecht unterschiedliche Werte von

> 10�12 s für die schwachen ;

10�12 � 10�20 s für die elektromagnetischen und

< 10�20 s für die starken Wechselwirkungen

annimmt, gibt es meist eine dominante Zerfallsart.Da die ersten beiden Zerfallsarten nichts mit der Struktur der Bindung zu tun

haben, klassifiziert man nur die hadronisch zerfallenden Objekte als Resonanzenund elektromagnetisch oder schwach zerfallende Gebilde als Teilchen. Diese Ein-teilung ist anders als in der Kernphysik; eine Unterscheidung zwischen „virtuellenZuständen“ und Resonanzen ist in der Teilchenphysik nicht üblich.

Hadronische Teilchen und Resonanzen haben sehr ähnliche Strukturen, wie manes etwa aus einer Potenzialtheorie erwarten würde. Resonanzen treten immer paral-lel zu stabilen Teilchen auf, und dieMassen der stabilen Teilchen passen als „nullte“Anregung gut in die Systematik der Massen der Resonanzen.

Die Beziehung zwischen stabilen Zuständen und Resonanzen der Potenzialtheo-rie ist allerdings logisch nicht ohne weiteres anwendbar, da die Teilchen-Bindungs-zustände aus dem Potenzial zwischen Quarks hervorgehen, während Streuampli-tuden mit ihren Resonanzen von der Wechselwirkung zwischen Teilchen bestimmtwerden.

Die Lösung dieses „logischen“ Problems hat mit einem neuen Phänomen zutun. Wir sind zu einer neuen Energieskala vorgedrungen, und die Bindungsener-gie ist jetzt vergleichbar mit der Masse der gebundenen Objekte, d. h. der Quarks.Dadurch werden neue Prozesse möglich. Ein Quark-Antiquark-Paar mit geringerRelativgeschwindigkeit kann sich vernichten und in zusätzliche Bindungsenergieverwandeln; umgekehrt kann ein Quark-Antiquark-Paar produziert werden, wenndadurch ein Zustand mit niedriger Bindungsenergie erreicht wird.

Für das Auftreten einer Resonanz ist es nicht notwendig, dass die beiden streu-enden Teilchen selbst einen Bindungszustand bilden. Erforderlich ist nur ein Über-gang in einen resonanten Zustand.

In erster Näherung bestehen Nukleonen aus drei Quarks und Pionen aus einemQuark und einem Antiquark. Die verschiedenen Ladungszustände des Nukleonsund des Pions kommen durch verschiedene Mischungen von positiv und negativ

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 129

Abb. 3.12 Partonenreso-nanzen in hadronischenStreuvorgängen

geladenen Quarks bzw. Antiquarks zustande. Vergleicht man die Wirkungsquer-schnitte der verschiedenen Ladungszustände und analysiert man die Abhängigkeitvon der Quark-Art, findet man zwei Komponenten zur Streuamplitude. Ein Beitraghängt fast nicht von der Quark-Komposition der streuenden Hadronen ab, ein an-derer Beitrag hängt von der Zahl der Annihilationsmöglichkeiten eines Quarks deseinen einfallenden Teilchens mit einem Antiquark des anderen Teilchens ab. Nurpassende Quark-Antiquark-Paare können sich annihilieren. Für die ladungsunab-hängige Komponente spricht man von einem nichtresonanten Hintergrund („non-resonant background“) und für die ladungsabhängige Komponente vom Resonanz-beitrag zur Streuung. Für den Augenblick interessiert uns der Resonanzbeitrag. Der„non-resonant background“ wird uns bei höheren Energien (im Abschn. 3.2.2) alsPomeron-Beitrag wieder begegnen.

Der Ablauf der Resonanzstreuung muss etwa aussehen, wie in Abb. 3.12 skiz-ziert: Beide einfallenden Teilchen haben eine Komponente, in der eines ihrerQuarks bzw. Antiquarks fast keinen Impuls trägt. Sobald sich die Streuteilchennäherkommen, kann sich dieses langsame1 Quark-Antiquark-Paar annihilieren,ohne dass die übrigen Quarks, die die Impulse der beiden einlaufenden Teilchentragen, beeinflusst werden. Die eigentliche Streuung erfolgt dann zwischen diesenrestlichen Quarks in genau derselben Art von Farbladungspotenzial, das auch fürdie Bindungszustände zwischen Quarks verantwortlich ist. Man nimmt an, dassdas wirkliche Potenzial zwischen Quarks mit wachsendem Abstand rasch undkontinuierlich ansteigt. Dabei könnte im Prinzip beliebig viel potenzielle Energieangesammelt werden. Das tatsächlich beobachtete effektive Potenzial wird über ei-nem gewissen Abstand abbrechen, da dann ein neues Quark-Antiquark-Paar erzeugtwird, das dafür sorgt, dass die beiden auseinander laufenden Quark-Gruppen nichtmehr zusammengehalten werden. Dass ein neu entstandenes Quark-Antiquark-Paardies kann, hängt mit der besonderen Struktur der Wechselwirkung zwischen Quarkszusammen. Vereinfachend kann das entstandene Bild in der folgenden Weise zu-sammengefasst werden: Relativ impulslose Quark- oder Antiquark-Paare könnenje nach Bedarf vernichtet und erzeugt werden. Je nach Abstand und nach relevanter

1 Langsam heißt dabei, dass bei der Annihilation keine großen Impulsbeträge aufGluonen übertragen werden. Wie man den Fall von „harten“ Gluonen mit großenImpulsen behandelt, wird im Abschn. 4.2.5 erläutert.

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130 3 Einführung in die Hadronenphysik

Längenskala handelt es sich bei den eigentlich streuenden Objekten um Teilchenoder Quarks.

Man beobachtet in Streuprozessen deutliche Resonanzstrukturen bis zu relativhohen Anregungsenergien. In einer Potenzialtheorie bräuchte man daher eine rela-tiv hohe zu durchtunnelnde Schwelle. Wie erklärt sich der Schwelleneffekt, der fürdie relativ hohe Zahl von Resonanzen erforderlich ist? Das produzierte Quark-Anti-quark-Paar ist nicht masselos. Es erfordert damit eine gewisse Mindestenergie, einsolches Quark-Antiquark-Paar zu erzeugen. Für das effektive Potenzial zwischendurch Farbfelder verbundenenen Quark-Gruppen erwartet man daher eine Schwellein der Größenordnung der Quark-Massen.

Die Dynamik der Quarks wird durch die QCD (Quantenchromodynamik) be-schrieben, die wir später in Abschn. 4.2 kennen lernen werden. Die Bestandteileder Hadronen, d. h. die Quarks, die Antiquarks und die Gluonen, werden Partonengenannt. Da die QCD bei Prozessen hadronischer Längenskalen mit den bisher be-kannten Methoden keine Berechnungen erlaubt, ist dies nicht sehr hilfreich. Manmuss mit einfachen phänomenologischen Bildern Vorstellungen entwickeln, vondenen man annimmt, dass sie die wesentlichen dynamischen Eigenschaften wieder-geben.

In einem Gummibandmodell [94], in dem die potenzielle Energie linear mitdem Abstand eines jeweils wechselwirkenden Quark-Antiquark-Paares (oder ent-sprechenden Quark-Gruppen-Paares) wächst, kann man genauer betrachten, wiedie Produktion eines neuen Quark-Antiquark-Paares das Feldlinienband „zerrei-ßen“ kann. Da am Produktionspunkt keine Energie für die Produktion des Quark-Antiquark-Paares zur Verfügung steht, ist der Quark-Antiquark-Zustand zunächstvirtuell. Der Weg vom Erzeugungspunkt des Paares bis zu dem Abstand, an demdie aufgesammelte potenzielle Energie der Masse des Quark-Antiquark-Paares ent-spricht und der Zustand wieder reell wird, muss durchtunnelt werden; der zugehö-rige Gamow-Faktor ergibt die effektive Größe der Schwelle.

Dieses einfache Modell bietet natürlich kein quantitativ verlässliches Bild desStreuvorgangs. Erreicht wird lediglich ein qualitatives Verständnis.

3.1.5 Flavor-Quantenzahlen

Nachdem Methoden vorgestellt wurden, mit denen man Hadronen erzeugen kann,und nachdem der Zusammenhang zwischen Teilchen und Resonanzen erläutertwurde, wenden wir uns jetzt der Klassifikation der Hadronen zu. Die beobachtetenHadronen werden durch ihre Quantenzahlen beschrieben. Diese Quantenzahlenkönnen entweder den Quark-Inhalt oder die Art des Bindungszustands eines Ha-drons spezifizieren. Beginnen wir mit der Diskussion der Quantenzahlen der erstenArt, der sogenannten Flavor-Quantenzahlen („Quark-Inhaltsquantenzahlen“).

Offensichtlich müssen wir uns dazu zunächst mit einer Systematik der Quarksbefassen. Die Quarks lassen sich wie in Tab. 3.1 zusammenstellen.

Es gibt sechs verschiedene Quarks, und es existieren, da Quarks mit ihremhalbzahligen Spin Fermionen sind, die der Dirac-Gleichung genügen, jeweils die

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 131

Tab. 3.1 Liste der Quarks 1. Generation 2. Generation 3. Generation

Q D C 23

u (up) c (charmed) t (top/truth)

Q D � 13

d (down) s (strange) b (bot-tom/beauty)

Spin D 12

! Quarks sind Fermionen ! Antiquarks analog

Farbe D blau, grün oder rot

entsprechenden Antiquarks mit entgegengesetzten Ladungen. Jedes dieser Quarkskommt in drei ansonsten identischen Versionen vor, die sich durch ihre Farbladung(„Farb-Quantenzahl“) unterscheiden. Die grundlegende Struktur ist ein Dubletteines .�1=3/-zahlig geladenen d -Quarks und eines .2=3/-zahlig geladenen u-Quarks. Sie wiederholt sich in einer zweiten Generation als s- und c-Quark-Dublettund in einer dritten Generation als b- und t-Quark-Dublett. Wir werden später se-hen, dass es zu jeder Generation ein jeweils entsprechendes Leptonenpaar gibt unddass, wenn man von den unterschiedlichen Massen absieht, die Generationen unterallen bekannten Wechselwirkungen wie identische Kopien erscheinen. Die Quarksverschiedener Generationen unterscheiden sich nur durch ihre Massen, deren Ur-sprung nicht bekannt ist. Von Generation zu Generation nimmt die Quark-Masserasch zu. Da Quarks nie frei auftreten, ist die Masse nicht leicht zu definieren.Um zu den „wirklichen“ Quark-Massen, den sogenannten Current-Quark-Mas-sen, zu gelangen, muss man Prozesse betrachten, die von den wirklichen Massenabhängen [31]:

mu D 2 � 3MeV ; ms D 0;08 � 0;13GeV ; mb D 4;1 � 4;8GeV ;md D 4 � 6MeV ; mc D 1;2 � 1;3GeV ; mt D 170 � 174GeV :

Für die Klassifikation der Hadronen kommt es natürlich auch auf die Anordnungder Quarks in den Zuständen an. Betrachten wir dazu zunächst die ersten beidenQuarks und vernachlässigen deren Massenunterschied. Wir werden später sehen,dass dies eine vernünftige Approximation ist.

In der klassischen Physik hätte man dann die Möglichkeit, die u- und die d -Quarks beliebig auf die vorhandenen Zustände zu verteilen. Unter Umständen hatman einen symmetrischen Zustand unter einer Vertauschung zweier Besetzungs-möglichkeiten. Die Gruppenstruktur einer solchen Vertauschung zwischen u und dheißt in der Mathematik die Symmetrische Gruppe S2.

In der Quantenmechanik gibt es zwei weitere Effekte. Zum einen gibt es, daman Wellenfunktionen betrachtet, die ihr Vorzeichen ändern können, natürlich dieMöglichkeit einer Antisymmetrie, d. h. einer Symmetrie bis auf einen Vorzeichen-wechsel der Wellenfunktion. Der zweite Unterschied besteht darin, dass verschie-dene Anordnungen gleichzeitig, jeweils mit einer beliebigen Wahrscheinlichkeit,auftreten können. Verschiedene Quarks können daher in verschiedenen Zuständensymmetrisch, antisymmetrisch oder, im Prinzip, sonstwie angeordnet sein. Aus derdiskreten wird eine kontinuierliche Struktur.

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132 3 Einführung in die Hadronenphysik

Betrachten wir dies etwas ausführlicher. Vergisst man einen Augenblick die Nor-mierung und erlaubt für jeden Anteil einen beliebigen Koeffizienten, sind die Trans-formationen der beiden Zustände komplexe .2�2/-Matrizen. Anstelle der diskretenS2-Vertauschung hat man eine von der S2 aufgespannte „komplexe Algebra“ dieserMatrizen. Die offensichtlich notwendige Normierung der Wellenfunktionen bringtuns zur U.2/-Gruppe [17], die die Transformationen von normierten Matrizen be-schreibt. Eine bloße Phasenänderung, wie ei� , ist die Eichfreiheit der Quantenme-chanik. Sie hat offensichtlich nichts mit der Struktur unter Vertauschung von u-und d -Quarks zu tun. Man kann sich daher auf Übergänge, die durch eine Matrixmit der Determinante des Werts C1 beschrieben werden, die die Phase nicht än-dern, beschränken. Die Gruppe dieser Übergänge wird als SU .2/ bezeichnet. Dadie SU .2/ durch verallgemeinerte Drehwinkel kontinuierlich zu parametrisierenist, spricht man von einer Lie-Gruppe.

Die SU .2/-Gruppe ist, wenn man von einer Spiegelungstransformation absieht,identisch mit der Drehgruppe, d. h. der sogenannten O.3/-Gruppe, und die Situati-on ist damit analog zu der beim Spin. Dies hat, wie in der Kernphysik, zum Begriffdes Isospins geführt [18]. Anstatt die Symmetrie bei der Belegung der Zustände mitu- und d -Flavors zu spezifizieren, kann man den Isospin angeben. Ein Vorteil dieserBeschreibung mit Isospins ist, dass man dann die Übergänge von z. B. zwei Isospin-zuständen in einen dritten wie beim Spin einfach mit tabellierten Clebsch-Gordan-Koeffizienten berechnen kann, ohne explizite Symmetriebetrachtungen durchzu-führen. (Wie wir in Abschn. 2.2.4 gesehen hatten, kann man diese Analogie auchumgekehrt verwenden. Man kann einen Eigenzustand, der einen beliebigen Spinund eine beliebige z-Komponente des Spins hat, aus einer Kombination von Spin-1=2-Spinoren aufbauen, die mit geeigneter Symmetrie parallel oder antiparallel zurz-Achse gerichtet sind.)

Das Proton und das Neutron haben, wie wir später sehen werden, einen gemisch-ten Symmetriezustand, der einem Isospin 1=2 entspricht. Die dritte Komponentedes Isospins, Iz , entspricht in Quark-Zuständen der Differenz der Zahl der u- undder d -Quarks. Für das Proton und Neutron ist diese Komponente daher gerade˙1=2, d. h. sie haben bezüglich der Isospins dieselben Werte wie das u- und dasd -Quark. Der Isospin der u- und der d -Quark-Symmetrie aus der Teilchenphysikist damit identisch zu dem Isospin der Kernphysik, der auf der Proton-Neutron-Vertauschungsstruktur aufgebaut ist.

Die Erweiterung auf drei Flavors führt zu SU .3/. Da das entsprechende dritte(„strange“-)Quark deutlich schwerer als das u- und das d -Quark ist (genauer gesagtjmd�muj mHadron und jms�muj � jms�md j � mHadron), ist die Symmetrie nurnoch approximativ gültig. Rechnungen in der SU .3/ können analog zum Isospinmit erweiterten Clebsch-Gordan-Tabellen erfolgen.

Wir haben hier die Symmetriegruppe in den Vordergrund gestellt, da in ha-dronischen Bindungen und Streuungen das gerade oder ungerade Verhalten unterPermutation der fundamentale Effekt ist und die SU .2/ bzw. SU .3/ keine grund-legende Bedeutung hat. Eine dynamisch relevante SU .2/, die jeweils besondereSpinzustände von Teilchen der einzelnen Generationen verbindet, spielt in der Phy-

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 133

Tab. 3.2 Liste der Flavor-Quantenzahlen (# = Anzahl)

„Downness“ D D D #. Nd/� #.d/

„Upness“ D U D #.u/� #. Nu/Strangeness D S D #.Ns/� #.s/

Charm D C D #.c/� #.Nc/Bottom-Quantenzahl D B� D #. Nb/� #.b/

Top-Quantenzahl D T D #.t/� #.Nt /

sik der schwachen Bosonen eine fundamentale Rolle. Dieser sogenannte „schwacheIsospin“ hat mit dem hier betrachteten Isospin nichts zu tun.

Der Quark-Inhalt der Hadronen wird durch geeignetes Abzählen ihrer Quarkserhalten. Dabei gibt es allerdings eine Komplikation. Besonders für die leichtenQuarks der ersten Generation sind die Quark-Massen mit Bindungsenergien ver-gleichbar. Als Konsequenz können in kurzzeitigen Fluktuationen Quark-Antiquark-Paare erzeugt und vernichtet werden. Solche kurzzeitig existierenden Quarks wer-den See-Quarks genannt, zur Unterscheidung zu den Valenz-Quarks, welche dieFlavor-Quantenzahlen bestimmen. Die Zahl der Quarks in Hadronen ist damit nichtkonstant. Offensichtlich können Teilchen nicht durch Quantenzahlen charakterisiertwerden, die von solchen Fluktuationen abhängig sind. Für erhaltene Quantenzah-lenmüssen daher Quark und Antiquark entgegengesetzte Vorzeichen haben. Je nachbetrachteter Quark-Art gibt es somit die Möglichkeiten der Tab. 3.2.

Da der Buchstabe B belegt ist, wird die Bottom-Quantenzahl mit einem Stern in-diziert. Die Bezeichnungen „Downness“ und „Upness“ sind nicht allgemein üblich.

Da Baryonen drei Quarks enthalten, nennt man ein Drittel der Zahl der Quarksminus der Antiquarks die Baryonenzahl:

Baryonenzahl D B D 1

3� Œ#.Quarks/ � #.Antiquarks/ :

Baryonen haben damit die Baryonenzahl 1 bzw. �1, Mesonen haben B D 0. DieVorzeichen der Quantenzahlen sind gemäß dem Vorzeichen ihrer Ladung gewählt,so dass

Q D B

2C D C U C S C C C B� C T

2(3.11)

geschrieben werden kann. Diese Relation lässt sich für die einzelnen Quarks leichtnachrechnen. Man hat

Q.Quark/ D 1

6C 1

2� 1 .bzw. � 1/ D 2

3

bzw: � 13

: (3.12)

Für die Antiquarks dreht sich das Vorzeichen um. Die in Anführungszeichen ge-setzten Bezeichnungen der Flavor-Quantenzahlen entsprechen nicht den üblichenBezeichnungen. Die Summe der Quantenzahlen D und U , die den Überschuss deru- gegenüber den d -Quarks angibt, entspricht in der äquivalenten SU .2/-Beschrei-bung gerade der dritten Komponente des Isospins, d. h. dem „Gesamtisospin in u-

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134 3 Einführung in die Hadronenphysik

Richtung“I3 D U � .�D/ : (3.13)

Die entsprechend geänderte Relation für die Ladung

Q D I3 C .B C S C C C B� C T /=2 (3.14)

heißt verallgemeinerte Gell-Mann-Nishijima-Relation.Betrachten wir dieMassen der Quarks etwas genauer. Ein Problem dabei ist, dass

Quarks nur in gebundenen Zuständen auftreten. Man nimmt an, dass, da das Bin-dungspotenzial von Quarks mit wachsendem Abstand beliebig groß wird, wirklich„freie“ Quarks durch die potenzielle Energie eine unendliche Masse haben wür-den und dass auch bei in Hadronen gebundenen Quarks ein signifikanter Anteil derMasse durch die Bindung zustande kommt. Die Feldquanten, d. h. die „Photonen“der QCD, sind die Gluonen. Die Bindungsmasse muss daher in einer umgeben-den Gluonen- und See-Quark-Wolke stecken. Um zu einer sinnvollen Definition zukommen, muss man genau festlegen, wieviel von dieser Wolke mitzuzählen ist.

Hadronen enthalten wenige minimal benötigte Quarks, die in den Flavor-Quan-tenzahl-Differenzen übrigbleiben. Diese für die Quantenzahlen relevanten Bestand-teile heißen Valenz-Quarks. Eine Möglichkeit, zu einer brauchbaren Massendefini-tion für diese Valenz-Quarks zu kommen, ist, die Massen geeigneter, nicht ange-regter Hadronen einfach auf ihre Valenz-Quarks aufzuteilen, d. h. beispielsweise zuschreiben

mconstituentq D 1

3mProton � 1

2m� :

Die so erhaltenen Werte heißen dann Konstituenten-Massen der Quarks (englisch:constituent-quark-masses). Sie sind mit einer gewissen Genauigkeit sinnvoll. Siehaben in etwa die folgenden Werte; siehe [31, 95]:

mu D 0;35GeV ; ms D 0;55GeV ; mb D 4;50GeV ;md D 0;36GeV ; mc D 1;80GeV ; mt D 170 � 174GeV :

Bei den leichten Quarks kann man in guter Näherung die eigentlichen Quark-Mas-sen vernachlässigen. Die Masse der Hadronen (wie des �-Mesons oder des Protons)und damit die Konstituenten-Masse des Quarks wird im Wesentlichen durch dieQCD-Bindung verursacht. Dies erklärt u. a. den Sachverhalt mProton � mNeutron.

Bei der Berechnung der Konstituenten-Massen der Quarks hatten wir das �nicht berücksichtigt, da es eine besondere Rolle spielt. Wir werden später (Ab-schn. 3.1.11) darauf zurückkommen.

3.1.6 Quantenzahlen diskreter Symmetrien

Wenden wir uns jetzt den Quantenzahlen zu, die den Bindungszustand spezifizie-ren [96]. Wie Sie aus der Mechanik wissen, entsprechen Erhaltungsgrößen Symme-trien der zugrunde liegenden dynamischen Theorie. Dies gilt auch in der Quanten-mechanik und der Quantenfeldtheorie. Kommutiert ein Operator mit demHamilton-

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 135

Operator, so entspricht sein Erwartungswert einer erhaltenen Quantenzahl. Durchdie experimentelle Beobachtung, ob Quantenzahlen erhalten oder gebrochen sind,hat man umgekehrt Zugang zu Eigenschaften der zugrunde liegenden Theorie, oh-ne tatsächliche Rechnungen machen zu müssen. Beinahe erhaltene Quantenzahlenmüssen beinahe exakten Symmetrien entsprechen.

Die Translationsinvarianz der Theorie (in Raum und Zeit) führt zur Energie-Im-puls-Erhaltung und die Rotationsinvarianz zur Erhaltung des Drehimpulses. Nütz-lich für eine weitergehendeKlassifikation von Teilchen sind die mit diskreten Trans-formationen verbundenen Quantenzahlen. Ein Beispiel für eine diskrete Transfor-mation ist die Raumspiegelung.

ParitätDer Rauminversions- oder Paritäts-Operator spiegelt die Wellenfunktion am Ur-sprung:

NP .r; t/ WD .�r; t/ : (3.15)

Im Allgemeinen haben die Wellenfunktionen zwei Anteile: Die symmetrischen An-teile der Wellenfunktion sind invariant unter der Transformation, die antisymme-trischen Anteile ändern ihr Vorzeichen. Entsprechend ihrem Symmetrieverhaltenspricht man von positiver bzw. negativer Parität.

In starken und elektromagnetischen Wechselwirkungen ist die Parität eines Zu-stands eine erhaltene Quantenzahl, was auf die entsprechenden Eigenschaften derQuantenchromodynamik bzw. der Quantenelektrodynamik zurückzuführen ist. Sieist nicht erhalten für schwache Wechselwirkungen, die, abgesehen von Zerfällen,im betrachteten Energiebereich keine Rolle spielen. Es ist daher möglich, die Pari-tät einzelner Teilchen festzulegen.

Hadronen sind in ihrem Schwerpunktsystem Eigenzustände des Paritätsopera-tors

NP .r; t/ D P � .r; t/ ; (3.16)

mit den Eigenwerten P D ˙1. Die Parität setzt sich aus einem Produkt der innerenParität der Teilchen und der Parität der orbitalen Bewegung zusammen. Betrach-ten wir als Beispiel ein System aus einem Quark und einem Antiquark. Nach derZurückführung auf ein Einkörperproblem im Schwerpunktsystem und nach einerSeparation des Radialteils ist seine Wellenfunktion eine Kugelfunktion. Kugelfunk-tionen

YL;M D exp.iM/PML .cos �/ (3.17)

sind Eigenfunktionen der Paritätstransformation, die für die Polarkoordinaten

! � C und � ! � � �bedeutet. Der Paritätseigenwert .�1/M des ersten Faktors ist offensichtlich. Derzweite Faktor (ohne BeschränkungM > 0),

PML .u/ D .�1/LCM .LCM/Š

.L �M/Š� .1 � u

2/� M2

2L � LŠ � dL�M

duL�M .1 � u2/L

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136 3 Einführung in die Hadronenphysik

mit u D cos.�/, ist, abgesehen von den Ableitungen, gerade bezüglich der Pa-rität. Die Ableitungen liefern einen Faktor .�1/L�M , da d=dx D �d=d.�x/.Zusammen mit dem anderen Term verbleibt daher ein Faktor .�1/L der orbitalenBewegung.

Was ist die interne Parität von Quarks? Da Quarks einen Spin besitzen, brauchtman für sie in einer nichtrelativistischen Situation eine zweikomponentige Schrö-dinger-Gleichung, in der die Richtung des Teilchenspins durch zweikomponentigePauli-Spinoren beschrieben wird. In einer relativistischen Theorie muss man Anti-teilchen in der Bewegungsgleichung berücksichtigen, man braucht eine vier-kom-ponentige Beschreibung. Eine solche Beschreibung liefert, wie gesagt, die Dirac-Gleichung. Die Dirac-Gleichung

i�0@

@x0� i�1

@

@x1� i�2

@

@x2� i�3

@

@x3�m

D 0 (3.18)

mit ihren .4 � 4/-Matrizen �� werden wir später genauer betrachten. Sie enthälteine Verknüpfung zwischen Raumstruktur und Viererkomponentenstruktur, die beider Spiegelung berücksichtigt werden muss. Die Terme mit Ortsableitungen ändernihr Vorzeichen, während die nullte Komponente unverändert bleibt. Wie kann maneine Transformation definieren, die im Lösungsraum der Dirac-Gleichung bleibt?Der Vorzeichenwechsel bei Ortsableitungen unter Spiegelung,

@

@x0;@

@x1;@

@x2;@

@x3

!�

@

@x0;� @

@x1;� @

@x2;� @

@x3

;

kann durch die folgende Definition der Paritätstransformation

NP .r; t/ WD �0 .�r; t/ (3.19)

kompensiert werden. Da, wie wir im Abschn. 4.1.2 sehen werden, �0 mit sich selbstkommutiert (d. h. �0�0 D �0�0) und mit den anderen �-Matrizen antikommutiert(d. h. �0�k D ��k�0 für k D 1; 2; 3), entspricht die Dirac-Gleichung (3.18) destransformierten Zustands gerade �0 mal der alten Gleichung, d. h. sie ist nach wievor erfüllt (d. h.D 0).

Die Dirac-Matrix �0 ist dabei in der folgenden Weise definiert:

�0 D

0

B

B

@

1 0 0 0

0 1 0 0

0 0 �1 0

0 0 0 �1

1

C

C

A

:

Betrachten wir die Dirac-Gleichung eines ruhenden Teilchens:

i�0@

@x0�m

D 0 (3.20)

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 137

Der Operator i � @=@x0 ergibt den Energieeigenwert. Die Teilchen mit positivenEnergien belegen daher je nach Spin die oberen beiden Komponenten und die An-titeilchen mit formal negativen Energien die unteren beiden Komponenten.

In der Paritätstransformation tritt für Teilchen und Antiteilchen der jeweiligeEigenwert von �0 als zusätzlicher Faktor auf. Er muss als innere Parität berück-sichtigt werden, d. h. die innere Parität ist positiv für Fermionen und negativ fürAntifermionen.

Betrachten wir dazu den Quark-Antiquark-Bindungszustand der Mesonen. Mitallen Beiträgen zusammen erhalten wir

NP�. Nqq/ D .C1/ � .�1/ � .�1/L„ ƒ‚ …

DWP�. Nqq/ ; (3.21)

wobei der Parameter L der Gesamtbahndrehimpuls ist. Eine Verallgemeinerung aufBaryonen oder Antibaryonen mit drei Valenz-Quarks ist einfach. Der letzte Faktorbleibt; vorn erhält man einen FaktorC1 bzw. �1 (da .�1/3 D �1).

Wie verhalten sich Photonen unter Paritätstransformation? Elektrische und ma-gnetische Felder werden durch Kräfte

F D e � .E C v �B/

auf Testladungen bestimmt. Da diese Kräfte und die Geschwindigkeiten der Testla-dungen unter Paritätstransformation ihr Vorzeichen wechseln, gilt

NP .E.r; t/;B.r; t// D .�E .�r; t/;B.�r; t// : (3.22)

Aus der relativistischen Elektrodynamik [54] wissen wir, dass sich elektrische undmagnetische Felder

Ek D @

@xkA0 � @

@x0Ak und Bk D

X

j;i

�kj i@

@xjAi

durch elektromagnetische Potenziale A� D .;Ak/ ausdrücken lassen, die in derQuantenmechanik die Photonenfelder beschreiben. Wir betrachten die Coulomb-Eichung (d. h. A0 D 0) und stellen fest, dass Photonenfelder ihr Vorzeichen unterParitätstransformation ändern, d. h. dass in der Paritätstransformation ein zusätzli-cher Faktor �1 auftritt. Photonen haben damit eine negative interne Parität.

Das Ergebnis gilt auch für die anderen Eichbosonen, die wir später behandelnwerden und die eine ähnliche Rolle wie das Photon spielen.

C -ParitätDie zweite Symmetrie, die besprochen werden sollte, ist die C -Parität. Führen wirzunächst den Ladungskonjugationsoperator

NC�.u; d; � � � Nb oder Nt/ D �. Nu; Nd ; � � �b oder t/ (3.23)

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138 3 Einführung in die Hadronenphysik

ein, der alle Quarks bzw. Teilchen durch die entsprechenden Antiteilchen ersetzt.Natürlich können nur die ladungsneutralen Teilchen Eigenzustände der C -Parität

NC� D C � � (3.24)

sein und einen Eigenwert von C D ˙1 haben.Für hadronische und elektromagnetischeWechselwirkungen kommutiert der La-

dungskonjugationsoperator mit dem Hamilton-Operator, und die C -Parität einesZustands ist damit wiederum erhalten, wenn schwache Wechselwirkungen vernach-lässigt werden können.

Unter Ladungskonjugation kehrt sich das Vorzeichen von elektrischen und ma-gnetischen Feldern um:

NC.E ;B/ D �.E ;B/ : (3.25)

Dasselbe gilt damit auch für das von solchen Ladungen erzeugte Vektorfeld; dieLadungsparität des Photons ist damit C� D �1. Da die Ladungsparität jeweils alsFaktor auftritt, haben Teilchen, die in eine gerade oder eine ungerade Zahl vonPhotonen zerfallen, eine gerade bzw. ungerade Parität.

Für das Beispiel eines identischen Quark-Antiquark-Systems vertauscht sich dieQuark-Antiquark-Natur der beiden Quarks. Man hat also gerade den Zustand, derentstanden wäre, wenn man das Quark und das Antiquark vertauscht hätte. Umzum ursprünglichen Zustand zurückzukommen, müssen wir eine Vertauschung inder Spinwellenfunktion und der Ortswellenfunktion (d. h. im Vorzeichen der redu-zierten Koordinate) vornehmen. Dies führt zu folgender C -Parität:

NC�.q Nq/ D .�1/LCS � �.q Nq/ : (3.26)

Der Faktor .�1/LC1 entspricht der Parität der Wellenfunktion, der oben erklärtwurde. Der Parameter S beschreibt den Gesamtspin der beiden Quarks, und dieRücktransformation im Spinraum ergibt wie beim Bahndrehimpuls einen Faktor.�1/SC1 (d. h. mit zwei identischen Spins ist S D 1 symmetrisch, und S D 0

ist antisymmetrisch). In Abschn. 2.2.4 wurde diese Relation für die auftretendenZustände gezeigt.

Für die obigen Relationen ist es entscheidend, ob die QuantenzahlenL und S ge-rade oder ungerade Werte annehmen. Da der Gesamtspin und die Quantenzahlen Pund C festliegen, müssen der Bahndrehimpuls und der Spin in besonders einfachenFällen feste und separat bestimmbare Werte einnehmen.

G -ParitätDie C -Parität ist nur für neutrale Teilchen definiert. Um die Definition auf die ande-ren, durch Drehungen im Isospin-Raum erreichbaren Mesonen auszudehnen, führtman die G-Parität ein und betrachtet das Verhalten unter Ladungskonjugation undeiner entsprechenden Drehung im Isospin-Raum, die die Ladungsänderung kom-pensiert.

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 139

Um die Ladung, die der dritten Komponente des Isospins entspricht, umzukeh-ren, kann man z. B. eine halbe Drehung um die y-Achse durchführen, z. B.

exp�

i1

2�2�

1

0

!

D i�

0 �ii 0

1

0

!

D �

0

1

!

:

Für Pauli-Matrizen (4.14) gilt �2i D 1. Der Exponent ist cosx.1=2�/Ci sin.1=2�/��2.

Für die Quarks hat eine solche Rotation die folgende Wirkung:

NR�.u; d; Nu; Nd/ D �.�d; u;� Nd ; Nu/ ; (3.27)

wobei das Vorzeichen jeweils für die Wellenfunktionen der einzelnen Quarks gilt.Die Relation kann durch Ausschreiben der entsprechenden Pauli-Spinoren und-Matrizen gezeigt werden. Mit der Definition

NG D NC NR (3.28)

erhält man dabei die folgende Vertauschungsregel für Quarks:

NG�.u; d; Nu; Nd/ D �.� Nd; Nu;�d; u/ : (3.29)

Betrachten wir zunächst Mesonen ohne Spin und Drehimpuls. Da die Vertauschungvon Quarks keine Rolle spielt, handelt es sich um Zustände mit positiver C -Parität.Beginnend mit dem (I D 1)- und dem (Iz D 1)-Zustand u Nd , erhält man durch ge-eignete Drehungen im Isospin-Raum (jeweils um 90ı) das Triplett der �-Mesonen

d Nu;r

1

2� .u Nu � d Nd/; �u Nd : (3.30)

(Eine seperate (nicht „reduzierte“) Drehung beider Spinoren ergibt neben dem rich-tigen (I D 1; Iz D 0)-Beitrag eine (I D 1; Iz ¤ 0;< Iz >D 0)-Komponente mitd Nu- und u Nd -Anteilen.)

Für den (I D 0)-Zustand verbleibt das dazu orthogonale �-Meson

r

1

2� .u NuC d Nd/ ; (3.31)

für das eine Rotation im Isospin-Raum ohne Wirkung bleibt.Wenden wir jetzt unsere G-Paritäts-Transformation an. Einfaches Einsetzen der

Permutationsvorschrift ergibt ein negatives Vorzeichen für die �-Mesonen und einpositives Vorzeichen für das �-Meson, d. h. einen Faktor .�1/I .

Bei nicht verschwindendem Spin oder Bahndrehimpuls kommt, da bei der Trans-formation natürlich auch die Position der beiden Quarks vertauscht wird, analog zuder Überlegung bei der C -Parität ein Faktor .�1/LCS hinzu, um diese Vertauschungzu berücksichtigen. Die G-Parität ist damit .�1/LCSCI .

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140 3 Einführung in die Hadronenphysik

Die G-Parität erlaubt es, da sie als einfacher Faktor auftritt, sehr schnell be-stimmte Prozesse auszuschließen. Da Pionen negativeG-Parität besitzen, gilt, dassResonanzen, die in eine gerade bzw. ungerade Zahl von Pionen zerfallen, eine ge-rade bzw. ungerade G-Parität besitzen.

Die G-Parität ist nur näherungsweise gültig. Schwache Wechselwirkungen ver-letzen die zugrunde liegende C -Paritäts- und Isospin-Erhaltung. Die Isospin-Sym-metrie ist durch die unterschiedlichen Massen und Ladungen der beiden leichtenQuarks gebrochen. Da die Massendifferenz klein ist und da die Ladungen nur inschwachen elektromagnetischen Wechselwirkungen eine Rolle spielen, sind G-Pa-ritäts-verletzende Prozesse nur sichtbar, wenn keine anderen hadronischen Kanäleoffen sind. Hadronische G-Paritäts-verletzende Prozesse haben dieselbe Größen-ordnung wie elektromagnetische G-Paritäts-verletzende Prozesse [97]. Zwei typi-sche hadronische und elektromagnetische Zerfallsraten sind (siehe [31]):

� .�! 3�0/ D 0;38MeV (3.32)

und� .�! 2�/ D 0;46MeV : (3.33)

Zeitumkehr und CP -ParitätUm den Abschnitt abzuschließen, seien noch die Zeitumkehr T und die CPT -Parität erwähnt. Die starken und die elektromagnetischen Wechselwirkungen sindsymmetrisch unter Zeitumkehr.

Beobachtungen in der Quantenmechanik entspechen einem Ausdruck der fol-genden Form:

.Amplitude/ � .Amplitude/� D .Amplitude/ � CPT Œ.Amplitude/

Aus diesen allgemeinen Prinzipien folgt, dass das Produkt CPT für alle Messun-gen eine exakte Symmetrie sein muss. Sonst müsste etwas Grundlegendes in derQuantenmechanik geändert werden. (Grundlegende Änderung der Quantenmecha-nik sind in Stringtheorien erforderlich.)

Die T -Invarianz entspricht daher derCP -Invarianz. In der Physik der schwachenVektorbosonen, die bei der betrachteten Resonanzphysik nur in ganz langsamen,schwachen Prozessen in Erscheinung tritt, sind C und P deutlich (maximal) ver-letzt, während das Produkt CP und damit T eine beinahe (aber nicht vollständig)exakte Symmetrie beschreibt.

3.1.7 Farbstruktur der Hadronlen

Für die Frage, welche Teilchen es gibt, ist natürlich die Fermi-Statistik entschei-dend. Die Tatsache, dass es im �CC-Teilchen drei u-Quarks, offensichtlich ohneDrehimpuls mit identischen Spins, gibt, war dabei zunächst ein Problem. Es gabdrei identische Fermionen in einem einzigen Zustand. Zu seiner Lösung führte man

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 141

drei Quark-Farben ein. Da ein Austausch zweier Teilchen eine Vertauschung allerihrer Eigenschaften bedeutet, ist das Vorzeichen einer solchen Permutation das Pro-dukt der Vorzeichen, die bei der Vertauschung im Ortsraum, im Spinraum und imFarbraum auftreten. Eine Asymmetrie im neu eingeführten Farbraum erlaubte dahertrotz Symmetrie im Orts- und im Spinraum die von der Fermi-Statistik geforderteAntisymmetrie. Für die obigen Betrachtungen zur C - und G-Parität von Mesonenspielte die Farbe keine Rolle, da solche Zustände im Farbraum symmetrisch sind.

Die drei Farben der Quarks sind eine Repräsentation einer SU .3/-Symmetrie,die für die Dynamik der Quark-Bindung eine Rolle spielt. Die Wechselwirkungzwischen Quarks und Gluonen wird durch eine Eichtheorie beschrieben, die in einerdefiniertenWeise auf dieser SU .3/Farbe-Symmetrie aufbaut. Sie heißt Quantenchro-modynamik oder QCD; „chromo“ steht dabei für Farbe (griechisch: �� Q!�˛). Siehat eine ähnliche Struktur wie die Quantenelektrodynamik (QED). Beide Theorienwerden hier später zusammen im Rahmen der Physik der Leptonen und Partonenbehandelt.

QCD ist in weiten Bereichen nicht exakt lösbar. Es wird allgemein angenom-men, dass die QCD eine Beobachtung erklärt, die „Confinement“ genannt wird.Confinement oder „Gefangenhaltung“ besagt, dass freie Teilchen keine Farbladungtragen können. Zwei farblose Bindungen sind dabei wichtig. Zum einen kann in ei-ner „schwarzen“ Bindung die Farbe eines Quarks durch die Farbe eines Antiquarkskompensiert werden, d. h. für das Meson:

q

13�

X

iDrot,blau,grün

qi � Nqi : (3.34)

Die bekannten Mesonen sind, wenn man von Komplikationen absieht, Bindungszu-stände dieser Art.

Zum anderen kann es in einer „weißen“ Bindung zu einer völlig antisymmetri-schen Mischung der Farben kommen, d. h. für das Baryon:

q

16�

X

i;j;kDrot,blau,grün

�ijkqi � qj � qk ; (3.35)

wobei gilt:

�ijk D

8

ˆ

<

ˆ

:

C1 für .i; j; k/ gerade Permutation von .1; 2; 3/

�1 für .i; j; k/ ungerade Permutation

0 sonst :

(3.36)

Solche Bindungen haben die Baryonenzahl 1 (bzw. �1 für die Antiteilchen). Diebekannten Baryonen sind, wieder abgesehen von Komplikationen, in dieser Weisegebunden.

Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass freie Teilchen nicht bloß „farblos“ seinmüssen (d. h. keine nicht kompensierte Farbe haben, wie es z. B. für einen einfa-chen qrot Nqrot-Zustand der Fall wäre), sondern dass sie notwendigerweise bezüglich

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142 3 Einführung in die Hadronenphysik

der SU .3/Farbe-Gruppe Singulettzustände sind, d. h. Zustände, die sich bei einerDrehung im Farbraum nicht ändern.

Dafür existieren nicht sehr viele Möglichkeiten. Die obigen Fälle entsprechenden am besten beobachteten Bindungszuständen. Im Prinzip gibt es noch weitereKonfigurationen bei höheren Valenz-Quark-Zahlen, z. B. für das Tetraquark:

q

112

X

i;j;k;l;m

qi � qj �ijk�klm Nql � Nqm : (3.37)

Solche Diquark-Antidiquark Zustände werden auch Baryonia genannt. Diese Zu-stände wurden intensiv gesucht und im Bereich der leichten Quarks nicht sichernachgewiesen. Sie sollten eigentlich auch dort existieren, aber das Problem scheintzu sein, dass sie sehr schnell in Quark-Antiquark-Mesonen übergehen. Ähnlichesgilt für kompliziertere, ähnliche Strukturen mit mehreren �ijk-Faktoren.

Ein Beispiel dafür sind die sogenannten Pentaquarks:

q

124

X

i;j;k;l;m;n;o

qi � qj �ijk�klm Nql � �mnoqn � qo : (3.38)

Ein anderes Beispiel ist ein Teilchen ohne Valenz-Quarks, das Gluonium, das man(in der betrachteten Notation) in der folgenden Weise schreibt:

q

16

X

i;j;k

�ijk � �ijk ; (3.39)

und die durch die Produktion von geeigneten Quark-Antiquark-Paaren in Baryonenoder Mesonen zerfallen können. Die allgemeine Bezeichnung für solche Zustände,die nur die Felder enthalten, die für die Bindung verantwortlich sind, ist „glue balls“(Klebstoffkugeln).

Es gibt ein Problem mit diesen exotischen Zuständen, in denen Farblosigkeit indiesem einfachen Bild mit mehr als einem Kronecker-Symbol erreicht wird. Vomdoppelten Kreuzprodukt kennen wir die Beziehung

˙"ijk"klm D ıil ıjm � ıimıjl :

Sie gilt analog im Farbraum und besagt, dass der obige Baryonium-Zustand eigent-lich aus einer Mischung von Zwei-Mesonen-Zuständen besteht:

qQ Nq NQ� ! f.q Nq/[ �Q NQ�C �q NQ� [ .Q Nq/g :

Die Situation ist allerdings nicht ganz so einfach, wie es in diesen einfachen For-meln erscheint. Das Problem ist, dass die Feldquanten, die Gluonen selbst, Farb-ladungen tragen, und dass deswegen viel kompliziertere Strukturen möglich sind.Man nimmt an, dass in geeigneten Gruppierungen von Quarks und Gluonen jeweils

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 143

Tab. 3.3 Bezeichnungen derMesonen (L D 0)

Nd Nu Ns Nc Nbd .�0; !/ �� K�0 D�� B�0

.�0; �/ �� K0 D� B0

u �C .�0; !/ K�C ND�0 B�C

�C .�0; �/ KC ND0 BC

s NK�0 K�� D��

s B�0s

NK0 K� �0 D�

s B0s

c D�C D�0 D�C

s J= B�C

c

DC D0 DC

s �c BC

c

b NB�0 B�� NB�0s B��

c �

NB0 B� NB0s B�

c �b

nur eine Farbe übrigbleibt und dass diese mit Gluonen umhüllten Quarks als eineArt von Konstituenten-Quarks dann in den obigen Relationen in Erscheinung treten.

In diesem Bild können die Feldlinien oder die Levi-Civita-Symbole "ijk als eineGluonen-Struktur eine dynamische Bedeutung haben und den Zerfall von exoti-schen Zuständen in gewissem Umfang verhindern.

3.1.8 Mesonen

Wir betrachten zunächst die niedrigsten Anregungen und beginnen mit den Meso-nen ohne Bahndrehimpuls. Je nachdem, ob die Spins parallel oder antiparallel sind,hat man, wie wir oben gesehen hatten, den folgenden Gesamtdrehimpuls, Paritätund C -Parität:

J PC D 0�C bzw:1�� : (3.40)

(Unter Berücksichtigung der Parität des Antiteilchens hatten wir P D .�1/LC1und C D .�1/LCS .) Man spricht von pseudoskalaren Mesonen oder von Vektor-mesonen. Das „Pseudo“ steht dabei für die „unnatürliche“ Parität, wobei die mitspinlosen Konstituenten erreichbare Parität: P D .�1/J als „natürlich“ definiertwird.

Die Namen der auf diese Art erhaltenen Mesonen sind in Tab. 3.3 angegeben.(Ich folge dabei der von der Particle Data Group [31] im Herbst 1984 vorgestelltenund 1986 angenommenen Nomenklatur. Änderungen zur älteren, weniger syste-matischen Notation sind meist nicht sehr gravierend.) Es gibt keine Mesonen mitt-Quarks. Das t-Quark ist viel schwerer als die anderen Quarks. Dies hat die Fol-ge, wie wir in Abschn. 5.2 sehen werden, dass es zu kurzlebig ist, um hadronischeResonanzen zu bilden. In der Tabelle sind in der ersten Zeile die Vektormesonenund in der zweiten Zeile jeweils die pseudoskalaren Teilchen aufgeführt. Wenn zurUnterscheidung erforderlich, wird die natürliche Parität durch einen hochgestelltenStern angezeigt.

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144 3 Einführung in die Hadronenphysik

Die Buchstaben ergeben sich aus dem Quark-Inhalt und dem Spin. Zustände,die nur verschwindende Flavor-Quantenzahlen (ohne Upness und Downness) tra-gen, sind durch griechische Buchstaben gekennzeichnet. Für Zustände mit nichtverschwindenden Flavor-Quantenzahlen werden große lateinische Buchstaben be-nutzt, und zwar zählt das schwerere Quark jeweils als namensgebend. Die Ladung,die als Index angegeben wird, spezifiziert, ob das leichtere Quark ein u- oder d -Quark bzw. Antiquark ist. Ist das leichtere Quark auch ein schweres Quark, wirddies durch einen Index angezeigt. Ist die Quark-Antiquark-Natur nicht durch denLadungsindex festgelegt, wird das Teilchen mit einer negativen Flavor-Quantenzahl(bezüglich des schwersten Quarks) mit einem Überstrich als Antiteilchen gekenn-zeichnet.

Eine Ausnahme von dieser Beschreibung durch Quark-Inhalte bilden die neutra-len Mesonen, die nur aus leichten Quarks bestehen. Die Klammern bedeuten, dassdiese Zustände in anderen Kombinationen auftreten. Wegen der praktisch entartetenMasse hat man

�0 Dq

12� .u Nu � d Nd/ (3.41)

und

� Dq

12� .u NuC d Nd/ (3.42)

als Eigenzustände der dynamisch erzeugten Masse. Wir hatten erwähnt, dass ineiner relativistischen Theorie die Bindung von Austauschprozessen und von Über-gangsprozessen bestimmt wird. DieMassendifferenz zwischen den so ausgewähltenGrundzuständen hat ihren Ursprung in dem Übergang, der die Quark-Art vergisst.Er beruht auf den folgenden beiden Prozessen:

u Nu! Gluonen! d Nd ; d Nd ! Gluonen! u Nu ;

undu Nu! Gluonen! u Nu ; d Nd ! Gluonen! d Nd :

Sie werden im Falle des �-Mesons beitragen und Massenkorrekturen bringen. ImFalle des �0 treten die gleich großen Beiträge beider Zeilen mit unterschiedlichenVorzeichen auf. Die Summe über beide Beiträge verschwindet, und die betrachtetenProzesse sind wirkungslos und führen nicht zu wesentlichen Massenkorrekturen. Indiesem Fall ist die Situation daher analog zum �C und zum ��, wo wegen derunterschiedlichen Flavor-Quantenzahlen der Übergang in Gluonen sowieso unter-bunden ist. Diese Überlegung erklärt, also warum Teilchen, die durch Drehungen imIsospinraum auseinander hervorgehen, abgesehen von kleinen Korrekturen, gleicheMassen haben, warum, in anderen Worten, die Teilchen des SU .2/Flavor-Triplettsandere Massen haben als die Teilchen des Singuletts. Diese Überlegung ist nichtnur für pseudoskalare Teilchen anwendbar. Bei den Vektormesonen ist die Situati-on bezüglich des Isospins analog.

In geringerem Umfang gibt es eine Mischung verschiedener Quark-Zuständeauch zwischen � und �0 und in noch geringerem Umfang zwischen und !.

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 145

Bei neutralen Kaonen gibt es eine ähnliche Komplikation durch schwacheWech-selwirkungen, die einen Übergang s Nd ! d Ns und damit

NK0 ! K0 (3.43)

erlaubt. Da Teilchen und Antiteilchen exakt dieselben Massen haben, reicht ein sehrkleiner Beitrag, um zu neuen Eigenzuständen zu kommen, in denen Teilchen undAntiteilchen vertauscht auftreten.

Da die Mischung nur sehr langsam vor sich geht, ist die Situation recht komplex.� Bei hadronischen Streuungen spielt die schwache Wechselwirkung, die für die

Mischung verantwortlich ist, zunächst keine Rolle, und es werden die Teilchenmit positiver oder negativer „strangeness“, d. h. dieK0 oder NK0 erzeugt, je nach-dem, ob Ns- oder s-Quarks vorhanden sind.

� Die Dynamik unterscheidet zwischen den Zuständen mit unterschiedlichen CP -Paritäten. Die Teilchen mit gerader bzw. mit ungerader CP -Parität, das K0

shortund das K0

long, haben daher etwas verschiedene Massen.� Da die CP -Parität bei Zerfällen in Hadronen erhalten wird, sind für beide Zu-

stände auch unterschiedliche Zerfallskanäle offen (zu zwei oder drei Pionen).Die damit verbundene längere bzw. beträchtlich kürzere Zerfallszeit erklärt ihreNamen.

Neben den Zerfällen zu Hadronen gibt es, wie wir in Abschn. 5.1.3 sehen werden,auch Zerfälle in Leptonen, die wiederum zwischenK0 oder NK0 unterscheiden. Einegenaue Analyse (Abschn. 5.1.4) zeigt, dass es sogar eine winzige CP -verletzendeKorrektur gibt.

Für Zustände mit einem nicht verschwindenden Bahndrehimpuls wird die Situa-tion komplizierter. Ist der Gesamtspin null, gibt es jeweils für die geraden und dieungeraden Drehimpulse Teilchenketten mit identischen diskreten Quantenzahlen,d. h. mit J PC D 0�C; 2�C � � � und mit 1C�3C� � � � . Für Spin-(S D 1)-Zuständekann je nach Ausrichtung der Spins der Gesamtdrehimpuls L � 1, L oder L C 1betragen und für gerade Bahndrehimpulse einen .L � 1/CC-, LCC- oder .L C1/CC-Zustand ergeben. Mit der Möglichkeit von doppelten Einträgen, die keineeindeutige Festlegung des Bahndrehimpulses aus erhaltenen Quantenzahlen festle-gen, treten zwei neue Ketten mit 0CC; 1CC; � � � und mit 1��; 2��; � � � auf.

Für die Benennung der Mesonen verwendet man [31] den Gesamtspin als Zusatzzu den Bezeichnungen der Tab. 3.3, falls er nicht den minimalen Wert annimmt,Außerdem gibt man für hadronisch zerfallende Resonanzzustände die Masse an.Man schreibt z. B. �3.1690/. Für die Zustände der Mesonen mit verschwindendenFlavor-Quantenzahlen benutzt man dabei die Bezeichnungen der Tab. 3.4.

In Tab. 3.4 wurde eine kleine wechselseitige Beimischung von Zuständen derzweiten Zeile und Zuständen der dritten Zeile ignoriert. (J > 1)-Anregungen desJ= werden nur durch bezeichnet.

Für die Flavor-Quantenzahlen tragenden Mesonen ist die G-Parität nicht defi-niert. Die Zustände mit „natürlicher“ Parität P D .�1/J werden durch einen Sternindiziert.

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146 3 Einführung in die Hadronenphysik

Tab. 3.4 Bezeichnungen derMesonen (L beliebig)

JP C .0; 2 � � � /�C .1; 3 � � � /C� .1; 2 � � � /�� .0; 2 � � � /CC

u Nu� d Nd � b � a

u NuC d Nd � h ! f

sNs �0 h0 f 0c Nc �c hc J= �c

b Nb �b hb � �b

t Nt �t ht � �t

Tab. 3.5 Massen wichtigerMesonen

0� MeV 1� MeV 2C MeV

�˙ 140 �˙ 770 a˙

2 1320

�0 135 �0 770 a02 1320

K˙ 494 K�˙ 892 K˙

2 1430

� 549 ! 783 f 2 1270

�0 958 1020 f 02 1525

D˙ 1869 D�˙ 2010

�c 2980 J= 3097 �c2 3556

B˙ 5271 B�˙ 5330

� 9460

Bevor wir die Betrachtung der Mesonen abschließen, sei noch eine kurze Listeder Massen besonders wichtiger Mesonen angeführt (Tab. 3.5).

Eine vollständige Liste, die regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht wird,wird von der Particle Data Group [31] herausgegeben und ist über das Internet auf-zurufen [32].

3.1.9 Baryonen

Wenden wir uns zunächst den baryonischen Zuständen zu. Die leichtesten Zuständebesitzen wiederum den Bahndrehimpuls null. Je nachdem, ob die Spins ausgerichtetsind oder nicht, gibt es damit einen Spin und Gesamtdrehimpuls von 1=2 bzw. 3=2.Die davon jeweils existierenden Zustände sind in der Tab. 3.6 aufgeführt.

Betrachten wir jetzt nicht verschwindende Bahndrehimpulse. Zu jedem Bahn-drehimpuls gibt es die Gesamtdrehimpulse

J D L˙ 3=2 oder L˙ 1=2 ; (3.44)

wobei die letzteren aus S D 1=2 oder 3=2 resultieren können. Zu unterscheidensind jeweils nur die Zustände mit gerader bzw. ungerader Parität und geradembzw. ungeradem Drehimpuls. Für Baryonen gibt es natürlich keine C -Parität, unddie resultierende Möglichkeit, den Spin einzuschränken, entfällt. Dafür gibt es eineandere Restriktion.

Da Quarks Fermionen sind, müssen diese Zustände antisymmetrisch unter Ver-tauschung zweier identischer Quarks sein. Je nach Spin sind damit andere Zuständemöglich. Betrachten wir zunächst wieder das �CC als Beispiel. Es ist antisymme-

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 147

Tab. 3.6 Bezeichnungen der Baryonen (L D 0)

Baryonen 12

C

MeV 32

C

MeV

uuu; ddd �CC; ��

uud; udd p; n.NC; N�/ 939 �C; �0 1232

uus; uds; dds ˙C; ˙0; ˙� 1193 ˙C; ˙0; ˙� 1383

uds � 1116

uss; dss �0; �� 1318 �0; �� 1534

sss ˝� 1672

uuc; udc; ddc ˙CC

c ; ˙C

c ; ˙0c 2453 ˙

CC

c ; ˙C

c ; ˙0c 2518

udc �C

c 2286

usc; dsc �C

c ; �0c 2470 �

C

c ; �0c 2645

ssc ˝0c 2695 ˝0

c 2765

ucc; dcc �CC

cc ; �C

c 3519 �C

c ; �0c ?

uub; udb; ddb ˙C

b; ‹; ˙0

5814 ˙C

b; ‹; ˙0

5832

udb �0b

5619

usc; dsc �C

b; �0

b5791 ?,? ?

ssc ˝0b

6071 ‹ ?

trisch im Farbraum (als Baryon), symmetrisch im Flavor-Raum („uuu“), und eshat den Bahndrehimpuls L D 0Um die Antisymmetrie der Farbstruktur zu erhal-ten, braucht man daher einen völlig symmetrischen Spinzustand, d. h. J D 3=2.Dasselbe gilt offensichtlich auch für die gedrehten Zustände, und der symmetrischeFlavor-Zustand (I D 3=2) kommt daher nur in einem Drehimpuls J D 3=2 vor.Bezüglich der SU .2/Flavor gibt es also vier solcher Zustände unterschiedlicher Fla-vors (Iz D �3=2, �1=2, � � � ) mit jeweils vier Spinrichtungen (Jz D �3=2, �1=2,� � � ). Vernachlässigt manMassenunterschiede, kann man die von den u; d; s-Quarksaufgespannte SU .3/-Gruppe betrachten. Anstelle von vier gibt es dann 10 symme-trische u; d; s-Zustände. Man spricht von einem SU .3/ -Dekuplett von Teilchen mitSpin 3=2.

Die andere Möglichkeit für Baryonen ohne Bahndrehimpuls ist der .J D 1=2/ -Zustand. Ein Beispiel für diese Möglichkeit ist das Proton. Es ist in einem gemisch-ten Symmetriezustand, der den Isospin I D 1=2 ergibt. Um die gesamte Symmetriezu erhalten, muss der Spin wiederum dieselbe Symmetrie haben und den Wert 1=2einnehmen. Es gibt acht solcher Symmetriezustände für u-, d - und s-Quarks. Manspricht von einem SU .3/ -Oktett von Teilchen mit dem Spin 1=2.

Baryonen werden mit großen griechischen Buchstaben bezeichnet, die sich nachdem Isospin und dem Quark-Inhalt richten (Das große � schreibt sich N). Schwe-rere Quarks werden in der Nomenklatur zunächst wie „strange“-Quarks behandelt,durch einen oder mehrere Indizes wird dann angezeigt, dass „strange“-Quarks durchandere schwere Quarks zu ersetzen sind. Zum Beispiel besteht das ˙C

c aus einemu-, einem c- und einem d -Quark.

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148 3 Einführung in die Hadronenphysik

Tab. 3.7 Die Kandidatenfür Tetraquark-Zustände. Diemit „!“ werden als gesicherteResonanzen betrachtet, dieZustände mit „?“ werden alssehr wahrscheinlich betrach-tet [99]

X.3872/ ! �C��J= !

X.3915/ ! ! J= !

Y.4008/ ! �C��J= ?

Z1.4050/C ! �C�c ?

Y.4140/ ! J= ?

Z2.4250/C ! �C�c ?

Y.4260/ ! �C��J= !

Y.4274/ ! J= ?

X.4350/ ! J= ?

Y.4360/ ! �C�� .2S/ !

Z.4430/C ! �C .2S/ ?

Y.4660/ ! �C�� .2S/ ?

Yb.10888/ ! �C��� .nS/ ?

Ähnlich wie bei den Mesonen werden auch hier Anregungszustände mit höhe-ren Bahndrehimpulsen wie die .L D 0/ -Zustände bezeichnet. Zur Spezifizierungwerden die Massen hinzugesetzt.

3.1.10 Tetraquarks

Betrachten wir zunächst nur leichte Quarks. Hier gibt es und gab es viele Versuche,Strukturen in Massenverteilungen mit exotischen Bindungszuständen zu identifizie-ren. Völlig zweifelsfreie Erfolge blieben aus. Es gibt Hinweise dafür, dass solcheZustände im Prinzip existieren, aber dass sie wegen ihrer kurzen Zerfallszeiten nichtidentifiziert werden konnten.

Sind schwere Quarks involviert, erscheint die Situation anders. Die radiale Ver-teilung von Quarks in Bindungszuständen hängt von deren Masse ab. In Zuständenvon schweren und leichten Quarks könnte die unterschiedlichen Geometrien unddie geringeren Überlappungen der Wellenfunktionen zu einer gewissen Stabilisie-rung führen. Die Interpretation der Zustände der Tab. 3.7 als Tetraquarks ist dahernaheliegend [98].

Ungewöhnlich ist, dass die beiden schweren Quarks in den Zerfällen zusammenbleiben. Normalerweise zerfällt ein Zwei-Quark-Zustand vorzugsweise (siehe Ab-schn. 3.2.3) in zwei Mesonengruppen, die jeweils eines der Quarks enthalten. FürTetraquarks kann die obige Kreuzprodukt-Beziehung erklären, wie ein Zerfall inBindungszustände leichter und schwerer Quarks zustande kommt.

3.1.11 Eigenschaften der Quark-Bindung

Wir hatten uns in den vorigen Abschnitten mit der Systematik der Zustände beschäf-tigt. Was weiß man darüber, wie die Massen der Grundzustände und die bei Anre-gungen auftretenden Massendifferenzen zustande kommen? Das Verhalten solcher

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 149

Anregungen ist eng mit der Struktur der Quark-Bindung verknüpft. Es ist damitweitgehend ein nicht wirklich gelöstes Problem. Man kennt die zugrunde liegendeTheorie, die QCD, aber sie ist in dem betrachteten Bereich nicht ohne mehr oderweniger phänomenologische Modellannahmen zu lösen.

Schwere QuarksEine Ausnahme bilden dabei die Bindungszustände langlebiger schwerer Quarks.Für Bindungszustände aus Charm-Quarks sowie Bottom-Quarks und -Antiquarksist die reduzierte Masse

M D m1 �m2

m1 Cm2

(3.45)

groß gegenüber der kinetischen Energie der Quarks, so dass eine nichtrelativistischeBetrachtung mit Potenzialen möglich wird. Da die relativistischen Korrekturen nurquadratisch auftreten, ist eine Bindungsenergie von beispielsweise 0;35GeV kleingegenüber den schweren Quark-Massen von 1;8GeV bzw. 4;5GeV. Man kann da-her erwarten, dass man Teilchenmassen aus einem geeigneten Potenzial mit einerentsprechenden Genauigkeit ausrechnen kann.

Bei sehr großen Quark-Massen gibt es eine weiter gehende Hoffnung. Mit zu-nehmender Masse der Quarks sollten dabei quantenmechanisch immer kleinereAbstände involviert sein. Es ist denkbar, dass dabei Abstände erreicht werden, dieeine störungstheoretische Berechnung des Potenzials in niedrigster Ordnung derQCD zulassen. In niedrigster Ordnung ist die Quantenchromodynamik völlig ana-log zur Quantenelektrodynamik, und wie dort hat man daher in dem betrachtetenGrenzfall das Coulomb-Potenzial, das in Abb. 3.13a skizziert ist.

Für die beobachteten Bindungszustände der Charm- und der Bottom-Quarks istdas Coulomb-Gebiet nicht erreicht. Bei der räumlichen Ausdehnung dieser Bin-dungszustände scheint eine komplizierte Wechselwirkung der Farbfelder mit sichselbst eine signifikante Rolle zu spielen, was eine verlässliche Berechnung der Po-tenziale schwierig macht. Man muss sich daher darauf beschränken, die Form desPotenzials zu fitten und auf diese Art die Konsistenz der Daten und der theoreti-schen Vorstellung zu prüfen [100].

Gute Ergebnisse wurden dabei mit logarithmischen Potenzialen erzielt. Der Ver-lauf eines solchen Potenzials ist in Abb. 3.13b skizziert. Eine charakteristischeEigenschaft solcher logarithmischen Potenziale [102] ist, dass die relativen Anre-gungsenergien unabhängig von der Masse der gebundenen Quarks sein sollen, wasdie Ähnlichkeit des Bottomonium- und des Charmomium-Spektrums, die in derAbb. 3.14 zu sehen ist, erklärt.

Eine genauere Betrachtung zeigt, dass die Bindungsenergien entscheidend nurvon einem Gebiet um die klassischen Umkehrpunkte abhängen und dass viele An-sätze mit einem Übergang von einem steilen Coulomb-Gebiet in eine flachere,beinahe lineare Abhängigkeit zu zufrieden stellenden Ergebnissen führen.

Als Beispiel ist ein konzeptuell attraktives Potenzial mit einem realistischenQCD-Coulomb-Anteil im Nahbereich und einem gefitteten linear ansteigendenTerm gewählt. Man nimmt an, dass bei großem Abstand die Selbstwechselwirkungin der Mitte eine vorgegebene Konfiguration erzeugt, wie es in Abb. 3.15a ange-

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150 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.13 a Skizze des Cou-lomb-Potenzials (V / 1=r)b Skizze des logarithmischenPotenzials

Abb. 3.14 Ähnlichkeit desBottomonium- und des Char-monium-Spektrums [31]

deutet ist. Das Potenzial ist auf der linken Seite der Abb. 3.15b geplottet. Hat mandas Potenzial, kann man mit der Schrödinger-Gleichung die Resonanzenergienausrechnen. Sie sind auch auf der linken Seite eingezeichnet. Zustände, die nicht ineCe�-Vernichtungsstreuung gebildet werden können, sind gestrichelt. Das Photonhat P D �1 und J D1, und ein erzeugtes Quark-Antiquark-System kann dahernur einen Bahndrehimpuls L D 0 oder L D 2 haben.

Auf der rechten Seite sieht man das gemessene Spektrum der S- und der D-Zustände, wie sie in der eCe�-Vernichtungsstreuung beobachtet werden. Die Reso-nanzen sind als Spitzen im Wirkungsquerschnitt zu sehen. Linienbreiten unterhalbder Zeichengenauigkeit sind als einzelne Striche gezeichnet.

Die Breite von Resonanzen wird durch die Zerfallsmöglichkeiten bestimmt. Un-terhalb einer gewissen Schwellenenergie, die für die S- und die D-Zustände etwasverschieden ist, werden die Resonanzen ungewöhnlich eng. Zum Beispiel ist die

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 151

Abb. 3.15 a Das Bindfaden-Konzept des Potenzials bDie Charmonium-Linien(© Kramer [101])

Abb. 3.16 Der nach derZweig-Regel erlaubte (a)bzw. verbotene (b) Zer-fallsprozess

D

D_

c

uc

c−

c

−−u

c

d

d

c −

a b

Breite des J= nur etwa 60 keV. Sie liegt 5 Dekaden unter typischen hadroni-schen Zerfallsbreiten und beruht darauf, dass der gewöhnliche Zerfallsprozess, wieer in Abb. 3.16a skizziert ist, nicht auftreten kann, da ein mit zusätzlichen leichtenQuarks zu produzierendes Paar von zwei „gecharmten“ D-Mesonen eine größereMasse als das ursprünglich gebildete J= -Teilchen hätte. Im Prinzip kann sich na-türlich das c Nc-Paar annihilieren, und ein entsprechendes leichtes Quark-Paar kanndie Impulse und Spins übernehmen (Abb. 3.16b). Eine empirische Beobachtung, dieZweig-Regel genannt wird, besagt, dass solche Prozesse, in denen Valenz- und See-Quarks ihre Rolle vertauschen, nur mit winzigen Amplituden beitragen und dasssie mit wachsender Masse des Quark-Antiquark-Paares mehr und mehr verbotensind.

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152 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.17 Die Annihilationdes Charmoniums zu dreiGluonen

Mit zunehmender Masse scheint der die Zweig-Regel verletzende Anteil mehrund mehr störungstheoretisch (d. h. mit der niedrigsten Ordnung der QCD) behan-delbar zu werden. Man erwartet, dass die Vernichtung der schweren Quarks dannso stark lokalisiert ist, dass die Ausdehnung des Prozesses eine Beschreibung durchdie im Abschn. 4.2 behandelten Wechselwirkungen einzelner Partonen erlaubt. Diebeiden schweren Quarks annihilieren sich dann unter Abstrahlung von 2 oder 3Gluonen, den Feldquanten des Farbfelds, wie es in Abb. 3.17 dargestellt ist. Dadie Gluonenkopplung bei der relevanten Lokalisierung ausreichend klein ist, bleibtdieser die Zweig-Regel verletzende Beitrag winzig. Beim Verlassen des lokalisier-ten Parton-Wechselwirkungsbereichs sammelt jedes dieser Gluonen eine geeigneteZahl von See-Quarks aus dem Vakuum auf, ohne nennenswert Impuls zu verlieren,und bildet mit diesen Quarks in einer zweiten Phase der Wechselwirkung geeig-nete hadronische Zustände, die etwa in die Gluon-Richtung fliegen. Dies hat dieKonsequenz, dass auch umgekehrt der Impuls der am Ende in der entsprechendenRichtung produzierten Teilchen etwa dem des ursprünglichen Gluons entspricht.Indirekt hat man also die Möglichkeit, mit beschränkter Genauigkeit die Impulseder zunächst produzierten Partonen zu bestimmen.

Das quantenelektrodynamische Analogon dazu stellt das sogenannte Positroni-um dar; dieser Elektron-Positron-Bindungszustand kommt je nach Orientierung derbeiden Spins (Para- oder Ortho-Positronium) mit negativer oder positiver C -Parität,C D .�1/lCs , vor. Je nach C -Parität kann es in eine gerade oder ungerade Zahl vonPhotonen zerfallen. Ein Zerfall in ein einzelnes Photon kommt wegen der Viererim-pulserhaltung nicht in Frage, da das Photon masselos ist. Die elektromagnetischeKopplung ist schwach, und die Amplitude fällt daher mit wachsender Photonen-zahl rapide ab; in guter Näherung bedeutet gerade daher 2, und ungerade bedeutet3 Photonen. Dasselbe gilt für Gluonen. In Anlehnung an dieses lange bekann-te quantenelektrodynamische Phänomen bezeichnet man die q Nq-Bindungszuständeder schweren Quarks heute allgemein als Quarkonia.

Leichte QuarksÜber die Bindungsdynamik der Hadronen, die leichte Quarks enthalten, gibt es kei-ne verlässlichen theoretischen Vorstellungen. Phänomenologisch scheint sich dieSituation weniger drastisch zu ändern, als man vielleicht annehmen sollte, und vie-le Modellrechnungen führen zu vernünftigen Ergebnissen, wenn sie in dieses Gebietextrapoliert werden.

Es gibt viele andere Ansätze, die Massen abzuschätzen. Um die meisten Mas-sen näherungsweise zu beschreiben, kann man dabei von Konstituenten-Massen derQuarks ausgehen, die wir im Abschn. 3.1.5 kennen gelernt hatten, und eine geeigne-

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3.1 „Zoologie“ der Hadronen 153

te Parametrisierung des Potenzials und der Wechselwirkung zwischen den Quark-Spins annehmen.

Eine Ausnahme bildet das Pion. Seine Bestandteile enthalten nicht die üblichenKonstituenten-Massen der Quarks.

In theoretischen Überlegungen zu fundamentalen Theorien spielen Massen, diezunächst nicht in der Theorie vorkommen und nur durch die Dynamik „erzeugt“werden, eine wichtige Rolle. Es besteht die Hypothese, dass, wenn in Theorien vonmasselosen Teilchen irgendwie massive Zustände entstehen, gleichzeitig immer ei-nige masselose Teilchen, die sogenannten Goldstone-Teilchen, auftreten müssen. Inder QCD mit masselosen Quarks würden die Pionen solche masselosen Goldstone-Bosenen sein.

Da die „Current“-Massen der leichten Quarks klein sind, sollte sich das Bild ineiner realistischen Theorie mit nicht verschwindenden Quarkmassen nicht drastischändern. Eine genauere Betrachtung (Chirale Störungsrechnung [103]) zeigt:

m2� D .mcurrent.u/ Cmcurrent.d// �MQCD (3.46)

wobei die Massenskala aus der QCD von der Größenordnung von 1 GeV ist.Eine im Prinzip exakteMethode, Massen von Hadronen zu berechnen, beruht auf

der so genannten Gittereichrechnung. Ein zentraler Trick ist dabei meist, die Zeit indie komplexe Ebene analytisch fortzusetzen („Wick rotation“) und die tatsächlicheRechnung mit � D i t nun enthalten in R durchzuführen. Die dazu benötigte Analy-tizität folgt aus der Struktur der Gleichungen. Die Zeitentwicklung eines quanten-mechanischen Zustands wird durch den Operator exp.�iHt=„/ beschrieben.H istder Hamilton-Operator. Durch die Wick-Rotation wird er durch den Operator

exp.�H�=„/ersetzt, der die Form einer Zustandssumme der statistischen Mechanik hat. DasProblem, Massen zu bestimmen, reduziert sich darauf, in einem geeigneten Algo-rithmus Feldkonfigurationen mit einer ihrer Wahrscheinlichkeit exp.�H�=„/ ent-sprechenden Häufigkeit zu erzeugen und zu beobachten, wie schnell in diesen Kon-figurationen Korrelationen mit dem Abstand abnehmen.

Die Wechselwirkung in den Hadronen wird durch die Quantenchromodynamikbeschrieben, die wir in Abschn. 4.2 einführen werden. Um die oben skizziertenMethode anwenden zu können, approximiert man das Raum-Zeit-Kontinuum durchein diskretes Raum-Zeit-Punktgitter.

In Eichtheorien (wie der Quantenchromodynamik) gibt es dabei eine elegan-te Methode, Eichfelder zu beschreiben, die darauf beruht, den Vektorpotenzial-feldern Gitterseiten zuzuordnen. Das elektromagnetische Vektorpotenzialfeld A�hatten wir in (3.22) kennen gelernt. Ein ähnliches Feld existiert in der Quantenchro-modynamik. Für die Beschreibung der Fermionen gibt es verschiedene Verfahren.Will man auch die Erzeugung und Vernichtung von Fermionenpaaren berücksichti-gen, erfordern Gitterrechnungen einen enormen numerischen Aufwand. Mit langenRechenzeiten auf modernen Großrechnern wird heute für die relative Größe dermeisten Massen eine Genauigkeit von etwa einem Prozent erreicht [104, 105].

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154 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.18 Der Chew-Fraut-schi-Plot

Wir betrachten nun die Abhängigkeit der Massen vom Bahndrehimpuls. Dabeiist eine empirische Regelmäßigkeit wichtig, die die orbitale Anregung von sonstidentischen Teilchen betrifft. Die geforderte Identität schließt dabei diskrete Quan-tenzahlen (wie die Parität) ein. (Dies ist im Prinzip notwendig, da im effektivenPotenzial ein (kleiner) sogenannter Austauschterm auftritt, der die örtliche Positionvon Quark und Antiquark vertauscht, und da das Vorzeichen eines solchen Beitragsvon der Parität abhängt.) Trägt man nun eine Serie von solchen sonst identischen,orbitalen Anregungen als Funktion ihres Drehimpulses und des Quadrats ihrer Mas-sen ein, so ergibt sich etwas idealisiert die in Abb. 3.18 dargestellte Situation. Einesolche Abbildung heißt Chew-Frautschi-Plot. In der Abbildung sind die Anregun-gen mit ungeraden Drehimpulsen dargestellt. Die Situation für gerade Drehimpulseist analog.

Die Resonanzen liegen auf Geraden. Die oberste Gerade, die verschiedene orbi-tale Anregungen verbindet, heißt Regge-Trajektorie. Die darunter liegenden Gera-den, die auf radiale Anregung zurückzuführen sind, heißen Tochter- oder „Daugh-ter“-Trajektorien (d. h. Anregungen des Radialteils der Wellenfunktion).

Als Beispiele für die Chew-Frautschi-Darstellung sind in Abb. 3.19 die Flavor-Quantenzahl-losen (S D 1)-Mesonen gezeichnet. Wenn man von kleineren Korrek-turen absieht liegen alle Mesonen auf Geraden mit einheitlichem Anstieg. Die vierTrajektorien der Mesonen mit Isospin 1 bzw. 0 und mit gerader bzw. ungerader Pari-tät liegen übereinander („exchange degeneracy“). Ähnliche Trajektorien existierenfür Baryonen [85, 107].

3.2 Hadronische Streuvorgänge

Wir wollen jetzt Vorgänge bei etwas höheren Energien betrachten. Erinnern wir unszunächst an die Energieabhängigkeit des totalen Wirkungsquerschnitts. Auf eineRegion unterhalb von Schwerpunktenergien von etwa 3GeV, in der einzelne Reso-nanzen sichtbar werden, folgt ein Gebiet mit einem glatten, abfallenden Verhaltendes Wirkungsquerschnitts. Dies ist das Gebiet der Regge-Pol-Physik, die in den60er Jahren entwickelt wurde und deren grundlegende Züge hier kurz beschriebenwerden.

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 155

Abb. 3.19 Die Flavor-Quantenzahl-losen (S D1)-Mesonen (© Desgro-lard [106])

Abb. 3.20 Die Impulse inder Zwei-Teilchen-Streuung

3.2.1 Regge-Pol-Modell

Das Regge-Pol-Modell erlaubt eine einfache, quantitativ korrekte Parametrisierungder relevanten Daten in diesem Energiebereich. Es ist der einzige Zugang zu diesenDaten. Es hat zu vielen Vorhersagen geführt, die bis zu den höchsten heute verfüg-baren Energien ihre Gültigkeit haben. Viele Techniken der Datenanalyse sind amRegge-Pol-Modell entwickelt worden [85, 108, 109, 107].

Ein Problem mit der Regge-Pol-Physik (und den auf ihr aufbauenden Gebie-ten) ist, dass bis heute keine Verbindung zu einer einfachen fundamentalen Theoriehergestellt wurde, die über etwas vage Vorstellungen hinausgeht. Das ist unbefrie-digend im Vergleich zur Physik der Partonen und Leptonen, wie sie im nächstenKapitel beschrieben wird. Die Regge-Pol-Physik ist vergleichbar mit Gebieten derKernphysik, in denen mikroskopische Theorien nicht anwendbar sind.

Mandelstam-VariablenIn dem betrachteten Energiebereich dominieren Zwei-Teilchen-Streuungen. Befas-sen wir uns daher zunächst etwas näher mit der Kinematik des elastischen oderinelastischen Zwei-Teilchen-Prozesses. In Abb. 3.20 ist die Definition der auftre-

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156 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.21 Die Mandelstam-Variablen

tenden Viererimpulse dargestellt. Wir hatten in Abschn. 2.5.1 gesehen, dass die re-levante kinematische Situation vollständig durch die Einfallsenergie und die Streu-winkel beschrieben werden kann, wobei der azimutale Anteil üblicherweise keineRolle spielt. Betrachtungen über die zur Verfügung stehende Gesamtenergie hattenuns gezeigt, dass es vorteilhaft ist, Lorentz-invariante Parameter einzuführen, undwir wollen mit dieser Forderung jetzt auch die systemabhängigen Winkel eliminie-ren. Dazu definieren wir die sogenanntenMandelstam-Variablen

s D .pa C pb/2 D .pa0 C pb0/2 ;

t D .pa � pa0/2 D .pb � pb0/2 ;

u D .pa � pb0/2 D .pa0 � pb/2(3.47)

als geeignete Viererimpulsquadrate.In den Produkten entsprechen die nichtgemischten Terme Quadraten der Teil-

chenmassen

p2a D m2a ; p2b D m2

b ; p2a0

D m2a0

und p2b0

D m2b0

; (3.48)

so dass für die Beschreibung der Kinematik nur die gemischten Terme interessantsind. Von den sechs möglichen gemischten Termen sind drei durch die Identitätenauf der rechten Seite von (3.47) festgelegt.

Da es bekanntlich nur zwei unabhängige Variablen gibt, wurde eine der Man-delstam-Variablen nur aus Symmetriegründen beibehalten. Das ist akzeptabel, dadie gegenseitige Abhängigkeit der Mandelstam-Variablen sich durch eine einfacheRelation beschreiben lässt:

s C t C u DX

iDa;b;a0 ;a0

m2i : (3.49)

Die Relation (3.49) kann leicht durch explizites Ausmultiplizieren gezeigt werden.(Betrachten wir identische Massen. Die nicht gemischten Terme sind 6m2. Die ge-mischten Terme sind 2pa � pb � 2pa � pa0 � 2pa � pb0 D �2m2; wobei die Relationpa0 C pb0 D pa C pb benutzt wurde.)

Mit drei zueinander um 60ı geneigten Koordinatenachsen ist es möglich, dieseBeziehung in einem Dreiecksgraphen direkt zu implementieren, wie es in Abb. 3.21gezeigt ist. Dass die Summe in einem solchen Dreiecksgraphen konstant ist, istgeometrisch durch geeignete Spiegelungen zu sehen.

Aus der Energie- und Impuls-Erhaltung und den bekannten Massen folgt derkinematisch zulässige Bereich der Variablen. Falls keine Massenunterschiede auf-

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 157

treten, ist ers > .ma Cmb/

2

t < 0

u < 0 :

(3.50)

Für identische Massen der Streuteilchen gilt im Schwerpunktsystem

s D C4 �E�2a ;

t D �2 � p�2a .1 � cos#�/;

u D �2 � p�2a .1C cos#�/ :

Zu diesen Relationen gibt es kleine Korrekturen, und zwar für t , falls Massendif-ferenzen zwischen ein- und auslaufenden Teilchen auftreten, und für u, wenn dieStreuung zwischen Teilchen mit verschiedenen Massen erfolgt.

Wie gesagt entspricht die Variable s dem Quadrat der Schwerpunktenergie. Inanaloger Weise bezeichnet die Variable t (bzw u) das Quadrat des ausgetausch-ten Viererimpulses. Im Lorentz-System, in dem die Energien eines ein- und einesauslaufenden Teilchens identisch sind (wie es im nichtrelativistischen Bereich fürelastische Streuung immer der Fall wäre), entspricht t (bzw. u) gerade dem Negati-ven des ausgetauschten Dreierimpulsquadrats. Ein Streuwinkel null bedeutet daherein minimales�t und maximales�u. Eine Rückwärtsstreuung erfordert umgekehrtein maximales �t und ein minimales �u.

Wie hängen die experimentellen Daten von diesen Variablen ab? Die s-Abhän-gigkeit (Abb. 3.10) wurde schon besprochen.Wenden wir uns jetzt der t -Abhängig-keit zu. Im Resonanzgebiet war die Winkelabhängigkeit durch den Drehimpuls unddurch die Parität der Resonanzen bestimmt. Wir hatten dazu die Partialwellenana-lyse kennen gelernt. Die Winkelabhängigkeit in diesem Gebiet war vergleichsweiseisotrop (ohne exponenzielle Abhängigkeiten). Eine t -abhängige Parametrisierungwird interessant, wenn man Energien erreicht hat, die oberhalb des typischen Reso-nanzgebiets liegen.

Für eine solche Energie von EL D 5GeV ist die experimentelle t-Abhängigkeitelastischer Prozesse in Abb. 3.22 dargestellt [110]. Sehen wir von lokalen Struktu-ren ab und konzentrieren uns auf das globale Verhalten. Alle Prozesse haben einensehr steilen Anstieg in Vorwärtsrichtung bei t D 0. Man beachte dabei, dass dieSkala logarithmisch ist und dass die Spitze tatsächlich viele Zehnerpotenzen be-trägt. Der dominante Beitrag zum Wirkungsquerschnitt kommt also von Prozessen,in denen das Teilchen a als Teilchen a0 mehr oder weniger ungestreut mit seinemalten Impuls weiterfliegt.

Zusätzlich zu dieser Vorwärtsspitze gibt es bei einigen dieser Prozesse eine meistkleinere Rückwärtsspitze. In solchen Prozessen kommt es also zu einer Art Aus-tausch, bei dem der Impuls des einen Teilchens a auf das andere Teilchen b0 über-tragen wird. Dieser Prozess hängt sehr stark von den Quantenzahlen der Teilchenab. Die Rückwärtsspitze ist natürlich trivial für die Streuung zweier gleicher Teil-chen, bei denen zwischen a0 und b0 nicht unterschieden werden kann. Der Rück-wärtsbeitrag ist aber auch bei einigen nicht-trivialen Reaktionen deutlich stärker

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158 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.22 Die t -Abhän-gigkeit des differenziellenWirkungsquerschnitts(© Johnson [110])

als bei anderen. So ist z. B. der Wirkungsquerschnitt für KCp anderthalb Zehner-potenzen über dem von K�p. Der zugrunde liegende dynamische Effekt kann ineinem einfachen Modell verstanden werden, das im nächsten Abschnitt besprochenwird.

Ein-Teilchen-Austausch-ModellVon der Kernphysik kennen wir eine Wechselwirkung, die kleine Impulsüberträgebevorzugt. Gemäß Yukawas Theorie der Kernkräfte entsteht eine solche Wechsel-wirkung zwischen zwei Hadronen durch den Austausch eines Pions. Extrapoliertman das Modell zu den hier betrachteten Streuenergien, sollten die typischenImpulsüberträge anwachsen, so dass die Massen der ausgetauschten Teilchenunwichtiger werden und auch schwerere Austauschteilchen eine Rolle spielen.Diese Extrapolation ist die grundlegende Idee des Ein-Teilchen-Austauschmo-dells [58].

Ein Erfolg des Ein-Teilchen-Austausch-Modells ist, dass es richtig vorhersagt,für welche Prozesse Spitzen in einer Rückwärtsstreuung auftreten und für welchenicht. Betrachten wir die Prozesse ��p! p �� undK�p! p K� als Beispiele.Hierbei ist die Notation so gewählt, dass das vorwärts fliegende Teilchen jeweilszuerst aufgeführt wird, so dass es sich in beiden Fällen um eine Rückwärtsstreuunghandelt.

Um uns zurechtzufinden, zeichnen wir zunächst in Abb. 3.23 ein Diagramm,in dem die Bewegungen der Valenz-Quarks (Quark-Flussdiagramm) während der��p-Streuung dargestellt werden. Für die Rückwärtsstreuung, bei der der Impulsdes Protons im Wesentlichen in den Impuls des Pions übergeht, benötigt man einen

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 159

Abb. 3.23 Das Quark-Fluss-diagramm der ��p-Streuung

Abb. 3.24 Der Ein-Teilchen-Austausch-Beitrag zur ��p-Streuung („t-Kanal“)

Austausch von drei u -Quarks. Da ein solcher Zustand, das�CC, existiert, erwartetman im Ein-Teilchen-Austausch-Modell einen Beitrag zur Rückwärtsstreuung, wieer in Abb. 3.24 skizziert ist.

Betrachten wir nun das Quark-Flussdiagramm in der K�p -Rückwärtsstreuung.Das Quark-Flussdiagramm ist in Abb. 3.25 dargestellt. Ein Austausch von fünfQuarks ist notwendig. Da Zustände mit fünf Valenz-Quarks keinen Resonanzen ent-sprechen, kann es in diesem sogenannten „exotischen“ (d. h. nicht bekannten Teil-chen entsprechenden) Prozess auch keinen Ein-Teilchen-Austausch in der Rück-wärtsstreuung geben. Das Ein-Teilchen-Austausch-Modell erklärt somit qualitativdas Verhalten der Daten, wie es in der Abb. 3.22 zu sehen war.

Ermutigt durch diesen Erfolg, versuchen wir jetzt, mit unserer Vorstellung übereinen solchen Teilchenaustausch präziser zu werden. Dazu betrachten wir zunächstden „gekreuzten Prozess“, wie er in Abb. 3.26 dargestellt ist. In der nichtrelativisti-

Abb. 3.25 Das Quark-Flussdiagramm der K�p-Streuung

Abb. 3.26 Der zu dem inAbb. 3.24 dargestellten Bei-trag „gekreuzte“ Prozess(„s-Kanal“)

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160 3 Einführung in die Hadronenphysik

schen Resonanzphysik hatte dieser Prozess mit einer Resonanz eine Amplitude derForm

f .s; t; u/ D 1

p� T .s; t; u/ D 1

p.2l C 1/ � �l=2

�.E � E�CC/C i�l=2

� Pl.cos#�/ ;(3.51)

wobei der Bruch gerade der Resonanzbeitrag zur Partialwellenamplitude tl war.In der Formel ist der rein elastische Fall betrachtet, in dem der Zähler durch dieNormierung festgelegt ist. Spineffekte sind vernachlässigt. Wir nehmen an, dasssich dieser Ausdruck mit geeigneter Energieabhängigkeit der Zerfallsbreite � auchaußerhalb des Resonanzgebiets fortsetzen lässt. Für das Verhalten außerhalb desunmittelbaren Resonanzgebiets kann man den relativ kleinen Imaginärteil �i� =2im Nenner vernachlässigen, seinen Realteil kann man nach Multiplikation mitE C E�CC

durch die Mandelstam-Variable ausdrücken. Definitionsgemäß istE2 �E2

�CC

D s �M2�CC

. Man erhält einen Ausdruck der Form

T .s; t; u/ D .2l C 1/ �Q�l.s/

s �M2�CC

� Pl� �2us � 4m2

� 1�

; (3.52)

wobei Q�l geeignet definiert ist und wir in der Relation

cos#� D �2u.s � 4m2/

� 1 (3.53)

der Einfachheit halber die Massenunterschiede in Relation zur Variablen s vernach-lässigt haben. Der Winkel #� beschreibt die Richtung des Pions. (Beweisskizzevon 3.53): u D m2Cm2� 2.E2C jpj2 cos#�/ D �2jpj2.1C cos#�/, wobei gilt:s D .2E/2 D 4jpj2 C 4m2.)

Aus dem betrachteten „Resonanzbeitrag“ zu einer Amplitude versuchen wir, denin Abb. 3.24 gezeichneten Austauschbeitrag zu berechnen. Der Übergang vom obi-gen Prozess �Cp ! �Cp in die Rückwärtsstreuung��p ! p�� beinhaltet dabeieinfach eine Vertauschung eines einlaufenden und eines auslaufenden Mesons. Dain einer relativistischen Beschreibung „einlaufende“ Teilchen mit negativer Energieals auslaufende Antiteilchen mit positiver Energie zu interpretieren sind und umge-kehrt, entspricht der Übergang vom Teilchen-Resonanzprozess zum ursprünglichenTeilchen-Austauschprozess einer analytischen Fortsetzung zu Impulswerten mit ne-gativer Energie. Die zentrale Annahme ist dabei, dass die zu einem solchen Beitraggehörende Amplitude sich in ihrer analytischen Abhängigkeit von den Viererimpul-sen nicht ändert, wenn ein wechselndes Vorzeichen der Energie ein auslaufendesTeilchen in ein einlaufendes Antiteilchen transformiert.

Für den obigen Ausdruck bedeutet der Übergang eine Vertauschung der Impulseder beiden Mesonen pa $ �pa0 . Bei der Durchführung der Vertauschung wird unsdie symmetrische Definition der Mandelstam-Variablen zu Hilfe kommen. Für die

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 161

Abb. 3.27 Das Gebiet desAustausch- und Resonanz-beitrags in Mandelstam-Variablen

Austausch− gebiet

Resonanz− gebiet

Austausch−gebiet

s

t u

Mandelstam-Variablen entspricht die Vertauschung einem Austausch von

sAustauschprozess D uResonanzprozess ;tAustauschprozess D tResonanzprozess ;uAustauschprozess D sResonanzprozess :

(3.54)

Der physikalische Bereich der Mandelstam-Variablen ist damit erweitert. Je nachden Vorzeichen der ursprünglichen Variablen beschreibt man verschiedene Reakti-onskanäle (d. h. hier s � 0 und t; u < 0 für den Resonanzprozess und u � 0 unds; t < 0 für den Austauschprozess), wie es in der in Abb. 3.27 dargestellten Skizzezu sehen ist. Je nachdem, in welcher Variablen ein Resonanzpol auftritt, spricht manvon s-Kanal- oder u-Kanal-Prozessen.

Der oben betrachtete „Resonanzbeitrag“ trägt daher mit der folgenden Amplitu-de zur Rückwärtsstreuung bei:

Tp��!��p.s; t; u/ D T .u; t; s/ D .2l C 1/ �Q�l .u/

u �M2�CC

� Pl� �2su � 4m2

� 1�

:

(3.55)Man beachte, dass u � 0 ist, so dass der Resonanzpol nicht mehr im physikalischenGebiet auftritt. Die Amplitude wird mit der Entfernung von dem Pol in u abfallen,leichte Austauschteilchen werden dabei mehr beitragen als schwere.

Das Modell erklärt die qualitativen Eigenschaften der Rückwärtsstreuung. Quan-titativ war das reine Ein-Teilchen-Austausch-Modell allerdings nicht sehr erfolg-reich. Dazu kommt – wie wir gleich sehen werden – ein ernstes theoretisches Pro-blem.

Der untersuchte Beitrag zur Rückwärtsstreuung mit einem Baryon-Austauschliefert meist nur einen winzigen Beitrag zum gesamten Wirkungsquerschnitt.Weitaus wichtiger für typische Streuvorgänge ist der Meson-Austauschbeitragzur Vorwärtsstreuung. Für Vorwärtsstreuung tritt der Pol im Quadrat des ausge-tauschten Impulses p0

a�pa, d. h. in t , auf. In Betrachtungen muss man daher die u-Variable durch die t-Variable ersetzen. Außerdem ist das Vorzeichen im Argument

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162 3 Einführung in die Hadronenphysik

des Legendre-Polynoms (cos# ! cos� �#) zu ändern. Im Folgenden werden wirdiesen Beitrag betrachten.

Das theoretische Problem betrifft das Hochenergieverhalten. Die führende Po-tenz des Polynoms Pl.x/ ist xl , und für große s -Werte hat man damit:

Pl

1C 2s

t � 4m�

s!1�!/ .s/l : (3.56)

Für l � 2 verletzt ein solcher Beitrag mit wachsendem s früher oder später dieUnitaritätsrelation j1C 2iT j < 1 (siehe Abschn. 2.5.3).

Man nimmt an, dass dies kein prinzipielles Problem ist, sondern dass unter-schiedliche Vorzeichen, die in der Summation über Beiträge mit verschiedenenDrehimpulsen auftreten, die störenden Terme beseitigen. Um zu einer brauchba-ren Beschreibung der Amplituden ausgetauschter Teilchen zu gelangen, muss mandaher zunächst geeignete Teilsummen über Resonanzbeiträge ausführen, um sozu Termen zu gelangen, die sich auch bei Fortsetzung in den t -Kanal vernünftigverhalten. Da Austauschteilchen mit unterschiedlichen Quantenzahlen in diversenProzessen mit verschiedenen Gewichten beitragen, muss die Kürzung zwischenAmplituden von Resonanzen verschiedener Bahndrehimpulse mit sonst identischenQuantenzahlen stattfinden.

Im nächsten Abschnitt wird sich in einer etwas komplizierten Betrachtung her-ausstellen, dass dazu die Summation über die Teilchen einer Regge-Trajektorieausreicht und dass sich die Summe als einzige Potenz (siehe 3.61) schreiben lässt.

Mit der Sommerfeld-Watson-Transformation zum Regge-PolUm dabei unabhängig von der speziellen Form der Trajektorie zu bleiben, ist ein ge-wisser mathematischer Aufwand erforderlich. Die auszuführende Summe über dieBeiträge einer Regge-Trajektorie von Teilchen mit geraden bzw. ungeraden Dre-himpulsen hat im s -Kanal die Form

TAustausch.s; t; u/ DX

lD0;2;��� bzw: lD1;3;���.2l C 1/ � tl � Pl

1C 2s

t � 4m2

: (3.57)

Wegen der Paritätsabhängigkeit der leichteren Resonanzen auf der Trajektorie ist esdabei notwendig, die geraden und die ungeradenDrehimpulse separat zu behandeln.Wir betrachten im Folgenden den Beitrag der ungeraden Pole.

Wir dehnen den Wertebereich des zunächst diskreten Parameters l in die kom-plexe Ebene mit Rel � �1=2 aus. Für eine weite Klasse von Potenzialen in dernichtrelativistischen Theorie ist der Summand, abgesehen von einzelnen Polen, ei-ne analytische Funktion. Wir nehmen jetzt an, dass dies auch in der relativistischenTheorie der Fall ist. Der Summand ist daher auch im nicht physikalischen Bereichdefiniert. Dies ermöglicht es, die Summe durch ein Cauchy-Integral darzustellen.(Nach dem Satz von Cauchy ist ein Integral über einen geschlossenen Weg geradeproportional zur Summe der Residuen der eingeschlossenen Pole.) Da ein Weginte-gral gerade die Summe der Residuen der umfahrenen Pole „aufpickt“, kann man in

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 163

Abb. 3.28 Pfad des Cauchy-Integrals, das die Summeüber Austauschteilchen er-setzt

der folgenden Weise vorgehen:

TAustausch.s; t; u/ D 1

2i�Z

Weg

dl

exp.i�l/� 12 � sin�l

� .2l C 1/ � tl �Pl�

1C 2s

t � 4m2

:

Dabei führt das Wegintegral in der in Abb. 3.28 dargestellten Weise gerade um diePole des Faktors in der geschweiften Klammer.

Die Amplitude tl eines Resonanzbeitrags hat die folgende Form:

tl DQ�l.t/

.t �m2l /: (3.58)

Das Quadrat der Resonanzmasse m2l ist eine Funktion der komplexen l-Werte. Die

im Chew-Frautschi-Plot beobachteten geraden Teilchen-Trajektorien legen die An-nahme nahe, dass es einen invertierbaren Zusammenhang zwischen l und m2

l gibt.Wir definieren jetzt das Inverse dieser Funktion

˛.m2l / WD l :

Im für die Pole relevanten Gebiet um die Resonanzen gilt daher

tl DQ�l.t/

t � ˛�1.l/DQ�l.t/ � d˛.t/=dt˛.t/ � l : (3.59)

Die Amplitude der betrachteten Trajektorie enthält also (wenn keine Problemeim Zähler auftreten) nur einen einzigen Pol bei l D ˛(t). Um dies zu nutzen, ver-schiebt man das Wegintegral – ohne den Wert des Integrals zu ändern –, bis derin Abb. 3.29 dargestellte Weg erreicht wird. Ein vorwärts und rückwärts durchlau-fenes Stück kann offensichtlich zum Wegintegral nichts hinzufügen. Es gibt zweiBeiträge: einen von der inneren und einen von der äußeren Integrationsschleife.Man nimmt an, dass der Integrand bei jl j D �1 und l D �0;5 verschwindet.Mit etwas Optimismus ignoriert man daher den Beitrag über den äußeren Teil desWeges und integriert nur den inneren Beitrag um den Pol wieder mit dem Satz vonCauchy, diesmal mit einem umgekehrten Drehsinn. Anstelle der Summe über die

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164 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.29 Pfad des Cauchy-Integrals, das den Beitrageines Regge-Pols enthält

Resonanzen der Trajektorie haben wir jetzt einen einzelnen Term. Die Amplitudeder Trajektorie ist

TAustausch.s; t; u/ D� � �

exp.i�˛.t// � 12 � sin.�˛.t//

� .2˛.t/C 1/ � Q�˛.t/ � d˛.t/dt� P˛.t/

1C 2s

t � 4m2

:

(3.60)

Im s-Kanal besteht die Funktion Q�˛.s/.s/ aus einem Produkt eines Produktionsfak-tors und eines Zerfallsfaktors (vergleiche Abschn. 2.6.1). Die Funktion lässt sichdaher als Produkt zweier Faktoren schreiben, die nur von den Teilchen am jeweili-gen Vertex abhängen. Da die Größen dieser Faktoren unbekannt sind, schreiben wirmit einer für später geeignet gewählten Definition der Funktionen ˇ1.t/ und ˇ2.t/:

TAustausch.s; t; u/ D ˇ1.t/ � ˇ2.t/ � exp.i�˛.t// � P˛.t/�

1C 2s

t � 4m2

:

Vom ursprünglichen Ausdruck mit im t -Kanal ausgetauschten Resonanzen wissenwir, dass im t -Kanal keine großen jt j -Werte (t < 0) auftreten. Für große s -Wertegilt daher

P˛.t/

1C 2s

�jt j � 4m2

� exp.�i�˛.t// ��

s

s0

�˛.t/

:

Die Amplitude hat damit die folgende endgültige Form:

TAustausch.s; t; u/ D ˇ.t/ � ˇ1.t/ ��

s

s0

�˛.t/

: (3.61)

Man hat also eine kompakte Schreibweise für die Summe der Beiträge aller Re-sonanzen der Trajektorie. Wegen der Struktur in der komplexen l-Ebene spricht

Page 174: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

3.2 Hadronische Streuvorgänge 165

Abb. 3.30 Grafische Dar-stellung eines Regge-Pol-Austauschs

man dabei von der „Regge-Pol“-Austauschamplitude, die man wie einen Feynman-Graphen darstellt (Abb. 3.30). Die s-Abhängigkeit genügt einer Potenz, die von tabhängt.

Da die Werte der ˛-Funktion für negative t -Werte kleiner als eins sind, fälltder Wirkungsquerschnitt mit wachsender Energie, und die Unitarität ist daher keinProblem mehr. Bei großen Energien wird die t -Abhängigkeit vom letzten Faktordominiert. Bei einer etwa linearen Funktion ˛ erwartet man einen exponenziellenAbfall in t .

Regge-Pole im ExperimentBetrachten wir zunächst den differenziellen Wirkungsquerschnitt

d�

d' � d cos#� D jf .#�/j2 : (3.62)

Wegen dt � s �d cos#� und f .#�/ � TAustausch.s; t; u/=ps gilt für große s -Werte

d�

dt� s�2jTAustauschj2 � jˇ1.t/j2 � jˇ2.t/j2 �

s

s0

�2˛.t/�2: (3.63)

Das ist eine sehr kompakte Form, die man mehr oder weniger losgelöst von derHerleitung für „Fits“ zu experimentellen Daten verwendet hat.

Der Regge-Pol-Austausch ist nur einer der Beiträge zur Streuamplitude. Es gibteine Komponente zur Streuung, die nicht von den Quark-Flavors abhängt und dieoffensichtlich nicht auf einen Meson-Regge-Pol-Austausch zurückzuführen ist. Umden Beitrag von Regge-Polen zu isolieren, hat man zwei Möglichkeiten. Man mussentweder Prozesse mit Flavor-Austausch (wie er z. B. in der Rückwärtsstreuungauftrat) messen, in der nur die Regge-Amplituden beitragen, oder man muss sichdie Flavor-Abhängigkeit vornehmen und geeignete Differenzen von Wirkungsquer-schnitten mit verschiedenen Flavor-Zuständen betrachten, so dass der Flavor-ab-hängige Regge-Pol-Beitrag zur Amplitude übrig bleibt.

Die Energieabhängigkeit des differenziellen Streuquerschnitts eines Regge-Pol-Austauschprozesses erlaubt es, mit Hilfe von (3.63) seine Trajektorienfunktion˛.t/ im Bereich negativer t-Werte direkt (d. h. ohne Kenntnis der Residuenfunk-tion ˇ.t/) experimentell zu bestimmen. Das Ergebnis einer solchen Analyse ist inAbb. 3.31 für die �-Trajektorie dargestellt [111]. Die erhaltenen Datenpunkte fol-gen der von der Resonanzproduktion bekannten Geraden. Eine ähnliche Situation

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166 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.31 Die t -Abhän-gigkeit der wichtigstenRegge-Trajektorie (adaptiertnach [111])

existiert für die anderen Trajektorien. Diese Übereinstimmung wäre völlig unver-ständlich, wenn die grundlegenden Annahmen über den Zusammenhang zwischenausgetauschten Resonanzen und Regge-Polen nicht korrekt wären.

Bei hohen Energien wird früher oder später natürlich immer die größte Tra-jektorie eine dominante Rolle spielen. Die Parametrisierung der höchst gelegenenMeson-Trajektorien ist etwa

˛.t/ D 0;5C 0;8 � t : (3.64)

Tatsächlich handelt es sich dabei um vier Trajektorien mit den Quantenzahlen derTab. 3.8.

Die „höchste“ Trajektorie beschreibt den Abfall eines Querschnitts mit steigen-der Energie. Betrachten wir dazu das Verhalten der totalen Wirkungsquerschnitte.Da nach dem optischen Theorem der Wirkungsquerschnitt proportional zum Ima-ginärteil der Vorwärtsstreuamplitude ist, kommt es bei hohen Energien (wobei:s D E2

Schwerpunktsystem � 2pLab.mProton) zu der folgenden s-Abhängigkeit:

�total � s˛.tD0/�1 � s�1=2 : (3.65)

Die PLab.-Abhängigkeit der experimentellen Wirkungsquerschnitte ist hierzu inAbb. 3.32 dargestellt. Der Regge-Beitrag ist der mit steigender Energie abneh-mende Anteil. Um ihn zu isolieren, wurden in Abb. 3.33 geeignete Differenzendargestellt. Sein Beitrag fällt genau in der erwarteten Weise mit wachsender Ener-gie ab.

Bei höheren Energien wird der Pomeron-Beitrag, den wir im nächsten Abschnittim Detail besprechen werden, mehr und mehr dominant. Er ist für den fast kon-stanten Beitrag verantwortlich, der für Teilchen und Antiteilchen identisch ist. Ingrober Näherung hängt die Größe des Pomeron-Beitrags zum totalen Wirkungs-querschnitt vom Produkt der Valenzquark-Zahlen der beiden einlaufenden Teilchenab. Der Meson-Baryon-Wirkungsquerschnitt ist daher etwa 2/3 des Baryon-Baryon-Querschnitts.

Tab. 3.8 Wichtige Meson-Trajektorien

Parität D C1 Parität D �1Isospin-Singulett f0 !

Isospin-Triplett a2 �

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 167

Abb. 3.32 pLab.-Ab-hängigkeit des totalenWirkungsquerschnitts imRegge-Gebiet (aus [112])

Eine ähnliche, zunächst empirische Beobachtung existiert für die Größe desRegge-Beitrags zum totalen Wirkungsquerschnitt. Seine Größe wird von der Zahlder passenden Valenz-Quark-Antiquark-Paare, die aus beiden einfallenden Teil-chen stammen und die sich im Streuvorgang gegenseitig annihilieren können, be-stimmt.

Abb. 3.33 Die pLab.-Abhän-gigkeit des Regge-Beitragszum totalen Wirkungsquer-schnitt (© Giacomelli [113])

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168 3 Einführung in die Hadronenphysik

Betrachten wir zur Illustration zunächst die Kp -Streuung. Da es zwei Möglich-keiten für ein u Nu -Paar in der K�p -Streuung gibt, hat man für die K�p -Streu-ung im totalen Wirkungsquerschnitt einen Regge-Beitrag mit dem Gewicht zwei.Da es keine für eine Annihilation passenden Paare in der KCp -Streuung (sieheAbb. 3.25) gibt, kann es hier keinen solchen Beitrag geben.

Für die in Abb. 3.33 dargestellten Differenzen erwartet man daher Regge-Bei-träge mit den folgenden Gewichten:

�� �

8

ˆ

<

ˆ

:

5 D 1C 2 � 2 � 0 für pp˙

2 D 2 � 1 � 0 für pK˙

1 D 2 � 1 � 1 � 1 für p�˙ ;

(3.66)

die sich in den Daten angenähert wiederfinden.Eine solche Abhängigkeit erscheint auf den ersten Blick etwas seltsam für eine

Regge-Pol-Austauschreaktion. Der Betrag der Vertexfunktion ˇ.t/ kann sich nichtbei einer Vertauschung des ein- und des auslaufenden Teilchens a und a0 ändern.Das heißt in unserem Beispiel, dass die Größe des Beitrags zu der K�p -Streuungabgesehen von einemmöglichen (meist unwichtigen) Vorzeichenwechsel der Größedes Beitrags in der KCp -Streuung entsprechen sollte. Dieses Ergebnis ist nichteinfach zu umgehen, da unsere Überlegungen auf der Fortsetzbarkeit in gekreuzteKanäle basierten.

Das beobachtete Ausbleiben eines Regge-Beitrags zur KCp-Streuung wirddurch die Existenz einer zweiten Regge-Trajektorie erklärt, die, abgesehen vonder entgegengesetzten Parität, identische Eigenschaften hat. Die Existenz einersolchen Trajektorie hatten wir in Abb. 3.19 kennen gelernt. Beide Beiträge habendann im Falle der elastischen KCp -Streuung gerade ein entgegengesetztes Vorzei-chen und ergeben zusammen einen verschwindenden Beitrag zum Imaginärteil der(t D 0)-Amplitude. Dass beide Terme betragsgleich sind, ist dabei zunächst eineunbefriedigende Zufälligkeit, für die eine Erklärung erforderlich ist.

3.2.2 Topologische Betrachtungen und Pomeranchuk-Pol

Die bisher behandelte Resonanz- und Regge-Pol-Physik basiert weitgehend aufKonzepten, die aus der nichtrelativistischen Potenzialtheorie entnommen wurden,d. h. auf der Hoffnung, dass relativistische Effekte auf einer qualitativen Ebene, beider man nur ein grobes Verständnis anstrebt, keine große Rolle spielen. Im Folgen-den werden wir nun einige Phänomene kennen lernen, die enger mit relativistischenEffekten verknüpft sind.

Das Konzept der DualitätAmEnde des vorigen Abschnitts hatten wir eine konzeptuelle Schwierigkeit kennengelernt. Die Analyse von Wirkungsquerschnitten führte zu Regge-Amplituden, dieauftreten, wenn das im „t-Kanal“ ausgetauschte System die Quantenzahlen eines

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 169

Abb. 3.34 Der Regge-Bei-trag extrapoliert zu niedrigenEnergien (B) im Vergleichzu niederenergetischen ex-perimentellen Daten (A). Indiesem Zusammenhang un-wichtige Massenkorrekturenan den Skalen sind vernach-lässigt. (© Igi et al. [114])

Teilchens hat. Beim totalen Wirkungsquerschnitt hing (vergleiche 3.61) der Regge-Beitrag direkt von den Quantenzahlen des einlaufenden Systems ab, als ob zwi-schenzeitlich („s-Kanal“-)Resonanzen gebildet werden müssten.

Betrachten wir dazu noch einmal die totalenWirkungsquerschnitte der ��p- undder �Cp-Streuung. Um zu einem übersichtlicheren Bild zu gelangen, haben wir inAbb. 3.34 die mit s1=2 multiplizierte Differenz der beiden Wirkungsquerschnitte alsFunktion von

ps dargestellt [114]. Die durchgezogene Linie extrapoliert den in

etwa konstanten Regge-Beitrag in das Resonanzgebiet. Betrachtet man ein geeig-netes Intervall um eine Resonanz, so entspricht der gemittelte Beitrag der Resonanzgerade dem extrapolierten Regge-Beitrag. Man hat also nicht eine Summe von zweiTermen, sondern eine Art von kontinuierlichem Übergang von einer Resonanz- zueiner Regge-Amplitude. Diese empirische Beobachtung wird semilokale Dualitätgenannt.

Ist unser Bild von Regge-Polen als t-Kanal-Austausch damit falsch und sindRegge-Pole vielleicht in Wirklichkeit aus s-Kanal-Resonanzen herzuleiten? DieAntwort ist, dass beide Konzepte für das Zustandekommen eines Regge-Pol-Aus-tauschs nicht wirklich verschieden sind, wenn man die Situation genauer betrachtet.

Ein Resonanzbeitrag kam durch eine Art Potenzial zwischen den nicht anni-hilierten Quarks zustande. Ein solches effektives Potenzial hat seinen Ursprung ineinem Austausch von Gluonen (den Farbfeldquanten der Quantenchromodynamik).Folgt man dabei der Analogie zur Elektrodynamik, hätte man dabei ein Bild, wie esin Abb. 3.35a und Abb. 3.35b für eine Resonanz im s-Kanal und im gekreuzten t-Kanal angedeutet ist.

Der Punkt ist nun, dass das obige Bild des Potenzials in der QCD zu einfach ist.Da wir selbst bei schweren Quarks kein Coulomb-artiges Potenzial gefunden hatten,wissen wir, dass die Selbstwechselwirkung der Gluonen wichtig sein muss. DerGluonen-Austausch muss damit (eher) so aussehen, wie er in Abb. 3.36 dargestelltist.

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170 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.35 Die s-Kanal-Resonanz-Amplitude (a)und die t -Kanal-Resonanz-Amplitude (b) ohne Selbst-wechselwirkung der Gluonen

Abb. 3.36 Die duale Ampli-tude unter Berücksichtigungder Gluonen-Selbstwechsel-wirkung

Wegen der Selbstwechselwirkung der Gluonen ist eine Klassifikation der Bei-träge in der obigen Weise nicht mehr möglich. Die Summe über diese kompli-zierten Terme kann nicht mehr in Resonanz- und Austauschbeiträge separiert wer-den. Man hat eine einzige Amplitude, die je nach kinematischer Situation als einResonanz- oder Austauschverhalten interpretiert werden kann. Diese wirkliche Am-plitude kann (mit etwas Optimismus) sowohl aus Resonanzamplitudensummen ims-Kanal als auch aus solchen im t-Kanal (analytisch) extrapoliert werden. DieseIdentität von Austausch- und Resonanzbeiträgen wird als Dualität bezeichnet.

Praktisch bedeutet diese Hypothese, dass man in einer phänomenologischen Pa-rametrisierung entweder den Regge-Austausch oder die entsprechenden Resonan-zen berücksichtigen muss. Abgesehen von dem Gebiet, in dem einzelne Resonanz-beiträge dominieren, ist die Parametrisierung mit Regge-Polen effektiver.

Die Abb. 3.36 mit den (endlich vielen) Schlangenlinien sollte dabei keine stö-rungstheoretische Berechenbarkeit andeuten. Man muss eine geeignete Beschrei-bung der Wechselwirkung der vier Valenz-Quarks im eingeschlossenen Gebiet fin-den, welche in den entsprechenden kinematischen Bereichen zu dem benötigtenVerhalten der Amplitude führt.

Natürlich gibt es nicht „nur“ die gezeichneten Meson-Meson-Streuvorgänge. Esgibt Anzeichen dafür, dass jeweils zwei der Quarks aus dem Baryon zusammen blei-ben, d. h. sie treten im Streuvorgang als Diquark auf. Auf diese Weise ist die Quark-Diquark-Bindung des Baryons analog zur Quark-Antiquark-Bindung des Mesons.

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 171

Abb. 3.37 a Die planare Iteration elementarer dualer Amplituden b Eine nichtplanare Iterations-möglichkeit elementarer dualer Amplituden

Die Idee der Topologischen EntwicklungDie Regge-Pol-Amplitude kann man als Baustein für kompliziertere Amplitudenbetrachten [115, 116]. Die Existenz solcher zusammengesetzten Amplitudenbeiträ-ge kann aus der Unitaritätsrelation gefolgert werden. Die Unitaritätsrelation

˝

l ji.TC � T /j l˛ D 2

1X

iD1

˝

l jTCj l;i˛ h l;i jT j li

verbindet den Imaginärteil einer elastischen Amplitude mit dem Produkt von Am-plituden mit beliebigen Endzuständen l;i . Ein Beitrag wird dabei von Zwei-Teil-chen-Endzuständen kommen, d. h. von einer Iteration von zwei Zwei-Teilchen-Am-plituden. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie in Abb. 3.37a und b dar-gestellt.

Im ersten Fall gibt es keine Änderung bezüglich der äußeren Flavor-Quantenzah-len. Der Beitrag kann dadurch definitorisch eliminiert werden. Die innere Quark-Linie wird als See-Quark-Schleife aufgefasst. Die duale Ein-Regge-Austauscham-plitude schließt solche Iterationen ein, so dass der iterierte Beitrag schon gezählt istund nicht noch einmal explizit berücksichtigt werden muss. (Diese Forderung bein-haltet eine restriktive Bedingung an die Amplitude. Für eine Zeit bestand die Hoff-nung, dass, wenn man es fertig bringen würde, alle Bedingungen voll auszuschöp-fen, nur eine konsistente Amplitude übrig bleiben könnte und dass die Erforschungder Phänomene mit kleineren und kleineren Skalen in einer solchen Selbstkonsis-tenzbedingung ihr Ende finden könnte („bootstrap“-Konzept).) Solche Iterationenumfassen alle Iterationen, die in einer Ebene ohne sich kreuzende Quark-Linien ge-zeichnet werden können. Man spricht daher von „planaren Amplituden“. Für diePlanarität einer Amplitude spielt es keine Rolle, ob ein Teilchen (in Abb. 3.37alinks, ein ��) einläuft oder ein Antiteilchen (in Abb. 3.37b links, ein �C) ausläuft.

Die Iteration zweier planarer Amplituden kann daher, wie in Abb. 3.37b dar-gestellt, auch zu nichtplanaren Strukturen führen. Beginnend mit einer geeignetparametrisierten planaren Amplitude hofft man, durch Iteration und analytischeFortsetzung beliebige nichtplanare Strukturen parametrisieren zu können. Mit mehr

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172 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.38 Das Pomeron alsZylinder

und mehr Iterationen können dabei nach und nach kompliziertere Strukturen er-reicht werden.

Eine wichtige Beobachtung ist, dass Beiträge von Amplituden mit zunehmenderKomplexität (der möglicherweise in sich verschlungenen, nicht ebenen Flächen,auf die sie ohne sich kreuzende Linien gezeichnet werden können) meist rapidean Bedeutung verlieren. Diese empirische Beobachtung macht eine Klassifikationder Beiträge nach ihrer Komplexität sinnvoll. Man spricht von einer topologischenEntwicklung. Eine solche Entwicklung ermöglicht es zu einem gewissen Grad, Am-plituden durch eine meist rasch konvergierende Summe von Beiträgen (mit wach-sender Komplexität) zu berechnen. Für die gewünschte Genauigkeit scheinen dabeimeist ein oder zwei Terme zu genügen

Es gibt verschiedene Versuche, die empirisch gefundene Bevorzugung plana-rer Strukturen zu erklären. Ein Versuch ist das sogenannte Bindfadenmodell (engl.string model), das wir in Abb. 3.15a kennen gelernt hatten. In einer rein statistischenBetrachtung postuliert man, dass sich die Farbfeldlinien wegen einer Selbstwech-selwirkung zu dünnen Linien (Bindfäden) zusammenschnüren. Die von den Valenz-Quark-Linien eingeschlossene Raum-Zeit-Fläche entspricht dann der von einemsolchen Bindfaden überstrichenen Raum-Zeit-Fläche. Über die Dynamik solcherFäden gibt es die folgenden einfachen Vorstellungen:� Wegen ihres geometrischen Abstands bewegen sich die Fäden voneinander un-

abhängig, und� durch die Fäden werden keine großen Impulse übertragen.Der Auf- und Abbau von stark verschlungenen Fadenstrukturen ist wegen der da-zu benötigten Impulsüberträge unterdrückt, so dass nur einfache Konfigurationenübrigbleiben.

Pomeranchuk-PolWir betrachten jetzt die einfachste topologische Komplikation (Abb. 3.37b). Für dietopologische Klassifikation ist nur die Struktur wichtig, die die Valenz-Quark-Lini-en durch Flächen, in denen Wechselwirkungen der Gluonen und See-Quarks statt-

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 173

Abb. 3.39 Die Trajektoriedes Pomerons

finden, verbindet. Die Raum-Zeit-Struktur der Amplitude kann daher schematischals Zylinder dargestellt werden (Abb. 3.38). Die Identität der topologischen Struk-turen ist ersichtlich, wenn man sich die Quark-Linien des Mesons in Abb. 3.37beinige Zentimeter oberhalb der Papierebene vorstellt. Für die Topologie ist es dabeiohne Bedeutung, dass die Valenz-Quarks nicht auf dem Zylinder, sondern auf zweiEbenen oberhalb bzw. unterhalb des Zylinders gezeichnet sind. Man spricht dahervom Zylinderbeitrag zur Amplitude [115].

Die erhaltene Zylinderamplitude heißt Pomeranchuk-Pol- oder Pomeron-Bei-trag. Es wird meist angenommen, dass ein solcher Beitrag für den nicht-resonantenHintergrund im Resonanzgebiet verantwortlich ist und dass er bei hohen Energieneine dominierende Rolle spielt und einen etwa konstanten Beitrag liefert.

In diesem Gebiet kann man ihn wie einen Regge-Pol parametrisieren:

APomeron � ˇ1 � ˇ2 ��

s

s0

�˛Pomeron

: (3.67)

Seine Trajektorie hat dabei in etwa die Form, wie sie in Abb. 3.39 dargestelltist. Sie schneidet die (t D 0)-Achse mit einem Wert, der etwa bei eins liegt. DieTrajektorie hat dabei eine vergleichsweise flache Steigung.

Als Konsequenz hat der totale Wirkungsquerschnitt gerade einen fast energieu-nabhängigen Wert

�T � s˛Pomeron.tD0/�1 � const: ; (3.68)

wie es in Abb. 3.32 zu sehen war. Wegen seines deutlich höher liegenden Koordi-naten-Schnittpunkts ˛.t D 0/ (seines „intercepts“) spielt der Pomeron-Austauschbei steigenden Energien eine zunehmend dominante Rolle. Bei einer Energie von100GeV liegt sein Beitrag selbst bei p Np-Streuung bereits über 95%.

Bei sehr hohen Energien (Abb. 3.40) [117] zeigt sich, dass der Flavor-unabhän-gige Beitrag langsam ansteigt. In einer Theorie („Superkritisches Pomeron“ [118])hat der Anstieg seine Ursache in der Tatsache, dass der Wert der Pomeron-Trajek-torie bei t D 0 in Wirklichkeit etwas größer als eins ist. Die Behandlung einessolchen wachsenden Pomeron-Beitrags ist nicht ganz einfach. Um Probleme mitder Unitaritätsrelation zu vermeiden, braucht man eine Theorie mit mehrfachemPomeron-Austausch. Als Ergebnis einer solchen Theorie erhält man logarithmi-sche Korrekturen zum totalen Wirkungsquerschnitt. Die durchgezogene Linie inAbb. 3.40 benutzt die folgende Parametrisierung:

�total D Konst. � ln.s/2 C Konst.C Regge-Beiträge : (3.69)

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174 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.40 Der totale Wirkungsquerschnitt bei hohen Energien (aus PDG (© 2012 American Phy-sical Society [31])

3.2.3 Hochenergetische Teilchenproduktion (Teilchenstreuung)

Wir haben jetzt eine Vorstellung vom Verhalten totaler Wirkungsquerschnitte beihohen Energien. Was geschieht nun in solchen Streuprozessen? Typischerweisewird dabei ein großer Teil der ursprünglichen kinetischen Energie in die Produk-tion von Teilchen umgesetzt.

Die Vielteilchenendzustände enthalten im Prinzip viel detaillierte Informationüber den Streuprozess, die sich oft hinter Zufälligkeiten verbergen. Unglücklicher-weise ist es nicht leicht, diese Information zu nutzen. Es gibt recht verschiedenartigeModelle und wenig allgemein akzeptierte „Tatsachen“, wenn man von Teilgebietenabsieht, die einen Zugang mit störungstheoretischen Methoden der Quantenchro-modynamik gestatten. (Das gilt in gewissem Umfang auch für die hier präsentiertenKonzepte. Die Betrachtung folgt Grundkonzepten von „dual-topologischen Model-len“, in denen sich eine Vielzahl von Fakten konsistent zusammenfassen lassen.)

Diffraktive TeilchenproduktionWie wir der Pomeron-Physik wissen, spielt der elastische Beitrag

�elastisch / s2˛Pomeron�2 � const: (3.70)

auch bei hohen Energien eine nicht verschwindende Rolle. Die einfachste Möglich-keit, Teilchen zu produzieren, involviert eine kleine Abwandlung dieses bekanntenProzesses, die sogenannte „diffraktive Streuung“.

In einem diffraktiven Prozess werden die beiden Streuteilchen im Wesentlichenwie in einem elastischen Prozess weiterlaufen und nur, zumindest im Falle einesder beiden Teilchen, eine gewisse, meist relativ kleine Anregung erfahren. Der an-geregte Zustand wird im Anschluss an den eigentlichen Streuvorgang zerfallen. Dadie Teilchenproduktion nicht direkt im eigentlichen Streuprozess stattfindet, stehtdabei typischerweise nur ein sehr kleiner Teil der Energie zur Teilchenproduktionzur Verfügung. Die Diffraktion trägt daher vor allem zu Streuprozessen, in denenvergleichsweise wenig Teilchen produziert werden, bei.

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 175

Abb. 3.41 Die Pomeron-Proton-Streuung beim dif-fraktiven Streuprozess

Die diffraktive Teilchenproduktion kann formal auf eine inelastische Streuungzwischen Teilchen und Pomeron reduziert werden. Die grundlegende Idee dabei istin Abb. 3.41 angedeutet. Die untere Linie beschreibt ein Teilchen, das ein Pomeronemittiert und sonst keine Rolle spielt. Die „eigentliche Streuung“ findet zwischendem Pomeron und den oberen Teilchen statt. Die effektive Masse

pt des Pomerons

ist dabei imaginär (d. h. t < 0). Da sie vergleichsweise kleine Werte einnimmt,spielt sie für die Teilchenproduktion keine Rolle. Das Pomeron verhält sich wie einVektormeson ohne Flavor-Quantenzahl.

Die am oberen Vertex zur Verfügung stehende Ruheenergie, d. h. die Masse desangeregten Zustands, ist natürlich viel geringer als die Gesamtenergie des Prozes-ses. Im Vergleich mit Prozessen mit entsprechend drastisch reduzierter Gesamtener-gie zeigt sich, dass die Teilchenproduktion in diesem „Pomeron-Teilchen-Streupro-zess“ analog zu den üblichen nichtdiffraktiven, inelastischen Prozessen verläuft, diein den nächsten Sektionen dieses Abschnitts besprochen werden.

Nichtdiffraktive Teilchenproduktion (Regge-Beitrag)Betrachten wir nun die nichtdiffraktive Teilchenproduktion und beginnen dabei miteinem etwas idealisierten, nicht separat messbaren Prozess, dessen Beitrag zum to-talenWirkungsquerschnitt vom Regge-Pol-Beitrag und nicht vom Pomeron-Beitragkommt. Da der totale Wirkungsquerschnitt linear von der Amplitude abhängt, kannder Beitrag der planaren Amplitude

�total D �Pomeron C �Regge / ImfTPomeron-Beitragg C ImfTplanarg (3.71)

wenigstens formal separat vom nichtplanaren (Pomeron-)Beitrag betrachtet wer-den. Da bei hohen Energien, bei denen größere Teilchenzahlen produziert werden,das Pomeron dominiert, ist die reine Regge-Austausch-Streuung eine Art Gedan-kenexperiment, das eine nützliche Grundlage für die spätere Diskussion sein wird.

Bei niederen Energien verhält sich die planare Amplitude wie eine Summe übers-Kanal-Resonanzamplituden. Betrachten wir das Optische Theorem für eine sol-che s-Kanal-Resonanzamplitude. Ignorieren wir zunächst inelastische Beiträge. DerImaginärteil (� ist reell)

Im�

� =2

s �M2 � i� =2

D .� =2/

s �M2 � i� =2��

.� =2/

s �M2 � i� =2

��(3.72)

lässt sich offensichtlich in der erwartetenWeise als Absolutquadrat einer Amplitudeschreiben. Der Stern bedeutet komplexe Konjugation.

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176 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.42 Der Beitrag der planaren Amplitude zum Wirkungsquerschnitt

Um inelastische Prozesse zu berücksichtigen, muss man die � ’s durch Matrizenanalog zu (2.183) ersetzen. Dabei werden alle möglichen Zwischenzustände einenBeitrag leisten. Man erhält eine Situation, wie sie in Abb. 3.42 skizziert ist. DerImaginärteil erhält seinen Beitrag von allen möglichen Aufteilungen der planarenAmplitude in zwei Subamplituden. Die Summe über alle möglichen ersten Tei-le entspricht dann der reellen Vielteilchen-Produktions-Amplitude und die Summeüber die zweiten Teile der konjugierten Amplitude.

In planaren Amplituden waren die Zwischenzustände eine hauptsächlich gluo-nische Struktur, während in Streuungen Teilchen produziert werden. Das ist formalkein wirkliches Problem, da die planare Amplitude alle möglichen kurzzeitig produ-zierten (See-)Quark- und Antiquark-Paare enthält, die zusammen mit den Gluonenals „mögliche“ Endzustandsteilchen auftreten können. Das Bild ist, dass zunächstgluonische Bindfäden entstehen und dass der Zeitentwicklungsoperator, der ihreEvolution in Hadronen beschreibt, unitär ist, d. h. vorwärts und rückwärts ergibt erden Identitätsoperator. Für Querschnitte ist es irrelevant, ob man Gluonen-Produk-tion oder die Produktion der entsprechenden Teilchen betrachtet.

Welche Verteilung wird für die Teilchen in einem solchen planaren Endzustanderwartet? Diese Frage hängt mit dem Produktionsmechanismus zusammen, dertheoretisch nicht vollständig geklärt ist. Unabhängig von der tatsächlichen Dyna-mik eines solchen Prozesses sollten die Vorstellungen, die im Folgenden dargestelltwerden, etwa dem tatsächlichen Ablauf entsprechen.

Gehen wir zunächst ins Ruhesystem des unteren Quarks q, in dem sich das obereAntiquark Nq nach oben wegbewegt, wie es in Abb. 3.43 links zu sehen ist. Nach kur-zer Zeit wird das Quark q einen Abstand erreicht haben, der die Produktion einesweiteren Quark-Antiquark-Paares Nq1; q1 verursacht (Abb. 3.43 rechts). Gehen wirjetzt ins Ruhesystem des Quarks q1. Nach kurzer Zeit ist das Antiquark Nq wiederumso weit entfernt, dass ein neues Quark-Antiquark-Paar erzeugt wird, und der Vor-gang wiederholt sich, bis der gesamte kinematische Bereich zwischen den Impulsen

Abb. 3.43 Teilchenpro-duktion aus dem Farbfeldauseinanderfliegender Quarks

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 177

des ursprünglichen Quarks und Antiquarks mit Quark- und Antiquark-Paaren auf-gefüllt ist. In einem bestimmten Bereich hat man in jedem longitudinalen Lorentz-System, das mit dem Ruhesystem eines Quarks zusammenfällt, dieselbe Situation:Ein Parton bewegt sich weg, und aus der Feldenergie entsteht ein neues Quark-Antiquark-Paar.

Dieses Konzept der Produktion einer solchen Teilchenkette hat zwei Konse-quenzen. Zum einen erwartet man in jedem oben beschriebenen Lorentz-System,in das man „nachgerückt“ ist, dieselbe Teilchenverteilung für langsame Teilchen.Die Erzeugung neuer Quarks wird nur von der Geschwindigkeit des weglaufendenAntiquarks abhängen. Da diese Geschwindigkeit zunächst praktisch der Lichtge-schwindigkeit entspricht, kann es in diesem Bild keine Abhängigkeit von der ur-sprünglichen Energie und auch keine Abhängigkeit davon geben, wie viele Teilchenschon produziert wurden.

Zum anderen sollte es keine starken Korrelationen in der Teilchenproduktionzwischen kinematisch verschiedenen Gebieten geben. Zum Zeitpunkt der Produkti-on eines zweiten Teilchens ist die Verbindung zum ersten Teilchen, die eine solcheKorrelation verursachen könnte, bereits durch viele neu entstandene Quark-Anti-quark-Paare unterbrochen. Das gilt natürlich nur, wenn der Abstand groß genugist.

(Korrelationen zwischen Teilchen aus benachbarten Lorentz-Systemen könnenverschiedene Ursachen haben. Positive Korrelationen entstehen, da die zunächstentstandenden, zusammenhängenden Quark-Antiquark-Paare oft Resonanzen seinwerden, die dann in kinematisch benachbarte Teilchen zerfallen, da die Relativge-schwindigkeit der Zerfallsprodukte meist klein ist [119].)

Betrachten wir die Situation etwas genauer. Die einfachste Messgröße ist dabeieine Dichteverteilung im Impulsraum. Abgesehen von der Normierung entsprichteine solche Verteilung gerade dem differenziellen inklusiven Wirkungsquerschnitt

� � 1

�total� d�aCb!cCX

dpc; (3.73)

wobei, wie gesagt, inklusiv heißt, dass wir uns auf die Beobachtung eines Teilchensbei beliebigem Rest konzentrieren. In der normierten Form spricht man von deminklusiven Ein-teilchen-Spektrum.

Diese Invarianz bezüglich der Lorentz-Transformation in longitudinaler Rich-tung legt die Parametrisierung der Dichteverteilung durch transversale Impulseund Rapiditäten nahe. Die Rapidität eines Teilchens ist der „Winkel“ y, der inder Lorentz-Transformation aus einem festgelegten Lorentz-System (z. B. aus demSchwerpunktsystem) in das longitudinale System, in dem das Teilchen keinenlongitudinalen Impuls hat, benötigt wird. Es ist also der Winkel der folgendenTransformation:

0

B

B

@

p00

0

p?;1p?;2

1

C

C

A

D

0

B

B

@

cosh y sinh y 0 0

� sinh y coshy 0 0

0 0 C1 0

0 0 0 C1

1

C

C

A

0

B

B

@

p0pkp?;1p?;2

1

C

C

A

: (3.74)

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178 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.44 Das erwarteteRapiditätsspektrum bei unter-schiedlichen Energien

Ein Wechsel des ursprünglich festgelegten Lorentz-Systems bewirkt eine einfacheVerschiebung in der Rapiditätsvariablen

y ! y0 D y C Konstante ; (3.75)

ohne den Impuls in transversaler Richtung zu beeinflussen. Die Teilchendichte proRapiditätsintervall ändert sich nicht unter einer longitudinalen Lorentz-Transfor-mation. Die Jacobi-Determinante einer longitudinalen Lorentz-Transformation isteins.

In Abhängigkeit von der Rapidität sollte die Dichte, abgesehen von kinemati-schen Effekten am Rande (wo u. a. v Nq < 1 ist), wegen des jeweils gleichen Produk-tionsmechanismus konstant sein. Man erwartet etwa ein Verhalten wie in Abb. 3.44.Mit steigender Energie wird das Plateau in der Mitte länger. Der Abfall an den Sei-ten sollte ähnlich sein und nur von der Natur des schnellsten bzw. langsamstenQuarks bzw. Diquarks (bei Baryon-Streuungen) abhängen. Empirisch stellt manfest, dass die Dichte dabei ungefähr einem positiven, einem negativen und einemneutralen Teilchen pro Rapiditätseinheit (� D 1) entspricht.

Bei der Erzeugung der Quarks wird eine gewisse Fluktuation in transversalerRichtung auftreten. Da die Transversalimpulse, d. h. die p?’s, nicht von den longi-tudinalen Lorentz-Transformationen berührt werden, erwartet man eine universelleVerteilung der produzierten Hadronen, die – abgesehen von Resonanzzerfallseffek-ten – dieser ursprünglichen Fluktuation entspricht. Die übliche Vorstellung ist, dasssie etwa in der folgenden Weise abfällt:

�.y; p?/ D f .y/ � exp� �m?6GeV

; (3.76)

wobei

m? Dq

m2 C p2? (3.77)

die transversale Masse ist. Bei niedrigen p?-Werten verhält sich � wie eine Gauß-Funktion, um dann bei etwas größeren Werten exponenziell abzufallen. Der qua-dratische Mittelwert von p? ist bei den betrachten Energien etwas über 0;3GeV.Bei hohen Energien scheint die entsprechende Verteilung etwas anzusteigen.

Nichtdiffraktive Teilchenproduktion (Pomeron-Beitrag)Gemäß der Betrachtung im vorigen Abschnitt kommt ein Pomeron-Beitrag durchden Austausch einer zylindrischen Struktur von Gluonen und See-Quarks zustande.

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 179

Abb. 3.45 Die durchtrenn-ten (D) Teilchenproduktions-flächen im Pomeron-Zylinder

Abb. 3.46 Das Quark-Linienbild der Teilchen-produktion des Pomeron-Beitrags

Um den Beitrag zum totalen Wirkungsquerschnitt zu erhalten, muss man jetzt ana-log zur Abb. 3.42 die Flächen auf beiden Seiten des Zylinders auf alle möglichenArten durchtrennen, wie in Abb. 3.45 angedeutet. Man erhält damit zwei Teilchen-produktionsketten (Abb. 3.46). In beiden Ketten entspricht die Teilchenproduktiondem Regge-Fall.

Was ist die Konsequenz? Planare Strukturen waren bevorzugt, da zwischenQuark-Linien meist nur geringe Impulsüberträge auftreten. Man erwartet daher,dass auch hier keine großen Impulsüberträge auftreten und die Impulse an den En-den der Teilchenproduktionsketten im Wesentlichen dem Impulsanteil entsprechen,der ursprünglich mit den entsprechenden Quarks verbunden war.

Da die Transversalimpulse in Hadronen klein sein sollten, erwartet man etwadasselbe Verhalten wie für den Regge-Beitrag. Betrachten wir dazu in Abb. 3.47die Verteilung der Transversalimpulse im zentralen Gebiet (um y� D 0) [120].Der Abfall entspricht dieser Vorstellung. Zu sehen ist die Unabhängigkeit von derEnergie. Dies ist nicht mehr der Fall für SPS-Energien. In diesem Energiebereichkönnen größere Impulsüberträge nicht mehr vernachlässigt werden.

Abgesehen von Randeffekten, die die mittleren Transversalimpulse für großeLongitudinalimpulse etwas reduzieren, ist die transversale Verteilung auch unab-hängig von dem betrachteten Rapiditätsbereich. Dadurch, dass sich die ursprüngli-che Energie auf zwei planare Strukturen aufteilen muss, erstrecken sich Randeffekteweiter, als aus rein kinematischen Überlegungen folgen würde.

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180 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.47 Typische Transversalimpuls-Spektren im zentralen Rapiditätsgebiet (© Slansky,1974 [120]). Es gilt x D p

k

=E

Für die longitudinale Verteilung ist es wichtig, wie die Impulse der Teilchen aufdie beiden planaren Strukturen aufgeteilt werden. Über alle möglichen Rapiditäts-positionen der beiden planaren Strukturen muss gemittelt werden. Aus einer Ana-lyse des Proton- und des Pion-Spektrums schließt man, dass die Impulse meist sehrunsymmetrisch aufgeteilt werden, das Diquark erhält typischerweise mehr Energieals das Quark. An den Enden des Rapiditätsspektrums gibt es daher jeweils ein grö-ßeres Gebiet, das von Teilchen eines einzigen planaren Endzustands bevölkert wird.Wie im Regge-Fall erwartet man in diesem Gebiet ein energieunabhängiges Anstei-gen („Feynman scaling“). Die Daten sind für verschiedene Energien jeweils bis zurSchwerpunktsrapidität in Abb. 3.48 zu sehen. Bis zu einer gewissen Genauigkeitzeigen die Daten diesen energieunabhängigen Anstieg im Energiebereich von 23bis 53GeV.

Bei genauer Betrachtung findet man, dass das Spektrum im jeweiligen zentralenBereich mit zunehmender Energie ansteigt. Dieser Effekt kann dadurch erklärt wer-den, dass der Überlapp beider planarer Strukturen, der in Abb. 3.49 angedeutet ist,mit wachsender Energie zunimmt. Man kann zeigen, dass durch diese Überlappungdas „Feynman scaling“ selbst nicht verletzt wird.

Das Integral über das Teilchenspektrum ergibt die Teilchenmultiplizität. Wegen

y maximalLAB � sinh�1 pmaximal

L =m! ln s=2m2

steigt damit bei ungefähr konstantem Rapiditäts-Spektrum die Multiplizität unge-fähr logarithmisch an. Produziert werden vor allem die leichten Hadronen, insbe-

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 181

Abb. 3.48 Typische Rapiditätsspektren (© Slansky, 1974 [120])

Abb. 3.49 Erwartete Beiträ-ge zur Rapiditätsverteilung

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182 3 Einführung in die Hadronenphysik

Hadron 2

Hadron 1

Abb. 3.50 Die Geometrie einer Vielfachstreuung. Die Kreise und die Kreuze bezeichen die Posi-tion von elastischen bzw. inelastischen Pomeron-Austausch-Prozessen.

sondere die Pionen. Teilchen mit höheren Massen sind selten. Auch ist der Rapi-ditätsbereich, in dem sie effektiv beitragen, in Abhängigkeit von der Masse kürzer.Die Unterdrückung der Produktion schwerer Teilchen entspricht etwa der Unter-drückung von Teilchen mit entsprechend großen Transversalimpulsen, wie wir esin (3.76) gesehen hatten. Die aus demTunneleffekt im Bindfadenmodell (Abb. 3.43)gewonnene Parametrisierung lässt sich universell anwenden. In manchen Modellenhat die (3.76) ihre Ursache in einer einer effektiven lokalen Temperatur.

Das Zwei-Planare-Endzustands-Modell hat einen beschränkten Gültigkeitsbe-reich. Der „Intercept“ der Pomeron-Trajektorie mit der y-Achse ist

˛Pomeron.t D 0/ � 1;08 :In Konsequenz steigt der Ein-Pomeron-Querschnitt mit �1�Pomeron / s0;08. DieFroissart Grenze erlaubt maximal � / .log s/2. Der Anstieg eines Pomeron-Aus-tausches führt also zu theoretischen Problemen mit zu großen Wirkungsquerschnit-ten, die eine Korrektur durch vielfache Pomeron-Austauschprozesse erfordern. Pa-rametrisierungen der Energieabhängigkeit zeigen, das solche Vielfach-Beiträge beiEnergien, wie sie an Collidern erreicht werden, schon eine gewichtige Rolle spielen.

Die Parametrisierung solcher Vielfachstreuungen erfordert eine geometrischeBetrachtung. Beim Stoß zweier Hadronen gibt es ein Überlappungsgebiet, das fürdie eigentliche Streuung verantwortlich ist. Für eine einfache Beschreibung ersetztman eines der Hadronen durch ein Punktteilchen und dehnt die Verteilung der Par-tonen im anderen Hadron geeignet aus. Auf diese Weise erhält man im Ruhesystemdes ausgedehnten Hadrons die in Abb. 3.50 dargestellte Situation.

Da die Pomeron-Austausch-Prozesse für den Imaginärteil der Amplitude unter-schiedliche Vorzeichen haben, wird der Energieanstieg der Amplitude ausreichendreduziert. Für die Teilchenproduktion gibt es zwei Effekte:� Die Energie der Hadronen muss auf mehrere Subprozesse verteilt werden. Die

planaren Ketten werden kürzer.� Der Anstieg der Dichte im zentralen Bereich hört nicht auf, wenn der Zwei-

Ketten-Wert erreicht ist. Die Teilchendichte steigt etwa proportional zu log s.Die beobachte Dichte ist in Abb. 3.51 dargestellt. Der Anstieg entspricht etwa denErwartungen. Zur Abbildung sind zwei Aspekte zu erklären.� Uns interessieren in diesem Abschnitt Ereignisse, die keinen einfachen diffrak-

tiven Beitrag („nsd“) enthalten. Da sie nicht immer leicht zu separieren sind, istauch die (etwas geringere) Dichte aller inelastischen Ereignisse dargestellt.

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 183

Abb. 3.51 Die beobachten zentralen Dichten dN=d�cm in inelastischen oder inelastischen nichteinfach diffraktiven („nsd“) pp- oder pp-Streuungen (© Bopp [121])

� In weiten kinematischen Bereichen kann die Rapidität nicht bestimmt werden.Man verwendet daher die Pseudorapidität:

�cm D 1

2ln� jpj C pL

jpj � pL

;

die sich aus dem Winkel berechnen lässt. „cm“ bezeichnet das Massenmittel-punktsystem. Ist die Energie groß, giltE D jpj und � D y. Im zentralen Bereichist dies nur bei großen Transversalimpulsen gültig. Dies hat die Folge, dass dasPseudorapiditäts-Spektrum um �cm D 0 eine Delle von 10–15% hat, währenddas Rapiditäts-Spektrum in diesem Bereich flach ist.Mit wachsender Energie spielen auch harte Streuvorgänge, wie sie im nächstenAbschnitt besprochen werden, eine wachsende Rolle.

Teilchenproduktion in harten StreuvorgängenUm den Abschnitt über die inelastische Teilchenproduktion abzuschließen, sollkurz auf die Hadronenproduktion in den sogenannten harten Streuvorgängen ein-gegangen werden, in denen es zumindest an einer Stelle einen starken Impulsaus-

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184 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.52 Die beiden Pha-sen in harten Streuprozessen

tausch gibt. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, ist ein solcher Impuls-übertrag zwischen einzelnen Partonen oder Leptonen in der QCD und in der QEDmöglich. Die eigentliche Teilchenproduktion selbst ist in jedem Falle ein weicherProzess, dessen Skala durch die Hadronenmassen gegeben ist. Sie ist daher in die-sem Abschnitt zu behandeln.

In QED-Prozessen dominiert meist die niedrigste Ordnung in der Störungstheo-rie. Die Härte der Streuung ist dabei meist durch leptonische Teilchenimpulse fest-gelegt. In hadronischen Wechselwirkungen ist das Auftreten eines größeren Im-pulsübertrags nur indirekt festzustellen. „Weiche“ Wechselwirkungen mit geringenImpulsüberträgen sind meist dominant. Es gibt allerdings auch einen zunächst win-zigen Beitrag von „harten“ Wechselwirkungen mit größeren Impulsüberträgen, dermit wachsender Energie zunimmt und typischerweise zu hohen Transversalimpul-sen führt. Ab SPS-Energien ist diese Komponente stark genug, um zu einem deut-lichen Anwachsen des mittleren Transversalimpulses hp?i zu führen.

In solchen harten Streuprozessen gibt es zwei Phasen, wie in Abb. 3.52 angedeu-tet.� Zunächst gibt es einen lokalisierten harten Streuprozess, in dem harte Quarks,

Gluonen oder Leptonen wechselwirken. Analog zum Photon in der Quantenelek-trodynamik ist das Gluon das Feldteilchen der Quantenchromodynamik. Mit derQuantenchromodynamik, die dies beschreibt, werden wir uns im Abschn. 4.2genauer beschäftigen. Für die harte Streuung erscheinen die einlaufenden Hadro-nen wie ein Bündel freier Partonen, die unabhängig voneinander streuen können.

� Anschließend, wenn die Partonen genügend weit auseinander gelaufen sind undtypische hadronische Abstände erreicht werden, folgt ein hadronischer Prozess.In ihm werden sich diese Partonen in Bündel von Hadronen („Jets“) verwandeln,die den Impuls der ursprünglichen Partonen tragen.Typisch für die Teilchenproduktion in harten Prozessen ist die eCe�-Annihilation

(eCe� ! Hadronen); wir werden unsere Diskussion hier auf diesen Prozess be-schränken. Zunächst annihiliert sich das eCe�-Paar in ein virtuelles Photon, das inein Quark-Antiquark-Paar zerfällt. Bei niedrigen Energien gibt es ein Resonanz-gebiet, in dem sich das Photon wie ein einzelnes Vektormeson (das Photon hatSpin 1) verhält und nahezu isotrop zerfällt. Man sagt, das Photon hat eine hadroni-sche Komponente, die einem Vektormeson entspricht und in seinen hadronischenStreuvorgängen eine dominante Rolle spielt („Vektormesondominanz“). Besonderswichtig ist diese Komponente des Photons in der Photon-Hadron-Streuung

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 185

Abb. 3.53 Die „planare“Teilchenproduktion in harten(a) und weichen (b) Wechsel-wirkungen

Bei höheren, aber nicht zu hohen Energien entspricht die Entwicklung diesesQuark-Antiquark-Paares der in der 2. Sektion dieses Abschnitts diskutierten pla-naren Struktur bei vergleichbarer Energie und ist damit völlig konsistent mit denüblichen hadronischen Konzepten. Abgesehen von der anderen ursprünglichen Pro-duktion entspricht sie (Abb. 3.53a) dem Regge-Beitrag in der Meson-Meson-Streu-ung (Abb. 3.53b). Mit den begrenzten Transversalimpulsen .p? � 3;3GeV/ undden relativ großen Longitudinalimpulsen .pk �

ps/ wird die Teilchenkette als

zwei „Jets“ (Teilchenbündel) gesehen, mit einem Jet in Vorwärtsrichtung und ei-nem Jet in Rückwärtsrichtung.

Da die Endrapiditäten der planaren Struktur festliegen – die ursprüngliche Ener-gie muss nicht auf mehrere planare Strukturen verteilt sein – hat man etwa die idea-lisierte Situation unseres Gedankenexperiments: Man findet eine sehr flache Ra-piditätsverteilung und keine deutlichen langreichweitigen Korrelationen zwischenTeilchen, die in verschiedenen Rapiditätsgebieten produziert werden.

Es gibt allerdings zwei Probleme. Zum einen ist die Richtung der ursprünglichenQuark-Antiquark-Achse nicht bekannt. Zum anderen trifft diese einfache Situationnur bei relativ niedrigen Energien auf. Bei höheren Energien ist der betrachtete harteProzess eCe� ! q Nq nicht mehr dominant.

Um die ursprüngliche Quark-Achse experimentell zu bestimmen, definiert manzunächst Größen, die, da die energiereichen Teilchen mehr oder weniger der Quark-Achse folgen, bei ausreichender Teilchenmultiplizität ihr Minimum oder ihr Maxi-mum um diese Achse haben und so ungefähr diese Richtung festlegen. Ein Beispielist die Sphärizität

S D max„ƒ‚…

n

P

i .n � pi /2

P

i p2i

: (3.78)

Mit der Sphärizitätsachse kann man dann, wie bisher, Rapiditäten definieren und diezugehörigen Spektren berechnen, wie in Abb. 3.54 gezeigt [122]. Da die Energie,wie gesagt, nicht auf verschiedene Quarks aufgeteilt wird, hat das Spektrum einevergleichsweise rechteckige Form.

Bei wiederum höheren Energien wird der harte Prozess selbst mehr als zweiPartonen involvieren. Die Lebensdauer und die Lokalisierung des virtuellen Pho-tons ist invers proportional zur Schwerpunktenergie. Genauere Rechnungen zeigen,dass auch die virtuelle Masse der zunächst produzierten Partonen invers propor-tional zur Lokalisierung und damit, wenn auch mit einem kleinen Koeffizienten,proportional zur Schwerpunktenergie ist. Ist die virtuelle Masse hoch genug, wer-den diese ursprünglich produzierten Partonen noch in der Parton-Phase, d. h. bevordie Partonen sich in Hadronen verwandeln können, zerfallen.

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186 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.54 Die Rapiditäts-verteilung in eCe�-Streuungbei niedriger Energie (© Wu,1984 [122])

Abb. 3.55 Der zusätzlicheGluon-Jet (g)

Anstelle von zwei Jets erwartet man deshalb zunächst zwei Quark-Jets (q) undeinen Gluon-Jet (g), wie sie in Abb. 3.55 dargestellt sind. Solche Streuereignissewurden am DESY in Hamburg entdeckt. Es gibt verschiedene Methoden der Ana-lyse, ich halte mich wiederum an die Sphärizität. Man bemerkt, dass die Impulsesenkrecht zur Sphärizitätsachse ab einer gewissen Energie nicht mehr so stark abfal-len. Dies wird besonders deutlich, wenn man zunächst eine Achse „zweitgrößter“Sphärizität findet, die per Definition senkrecht auf der Achse maximaler Sphärizitätsteht und dort einen maximalen Wert erreicht. Mit kleinen Korrekturen sollten dieursprünglichen drei Partonenimpulse in der von diesen Achsen aufgespannten Ebe-ne liegen. Man erwartet daher den Anstieg für die Transversalimpulse in der Ebene(p?in), aber nicht für die Transversalimpulse senkrecht zu der Ebene (p?out), wiees in den Daten in Abb. 3.56 zu sehen ist [122].

Bei höheren Energien werden mehr und mehr zusätzliche Partonen in der hartenWechselwirkungsphase gebildet. Die bei einer Verzweigung entstandenen Partonensind ausreichend virtuell, um noch innerhalb der „harten Phase“ zu zerfallen. Manerwartet eine Art Baumstruktur, bei der die feinen Zweige schwach virtuellen Par-tonen entsprechen, die aus weniger dünnen Zweigen, die stärker virtuellen Partonenentsprechen, hervorgegangen sind (Abb. 3.57). Da die Verzweigung, abgesehen vonder Skala, immer denselben Gesetzen unterliegt, hat man es mathematisch mit ei-

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 187

Abb. 3.56 Der Gluonen-Jet bewirkt zunächst eineAufweitung der Transversa-limpulsverteilung (adaptiertnach Mikenberg [123])

Abb. 3.57 Das asymptoti-sche Verhalten der eCe�-Streuung

nem Fraktal zu tun. Das gilt allerdings nur in einem gewissen Bereich, da in den Ver-zweigungen die virtuelle Masse schnell abnimmt; unterschreitet die virtuelle Masseder Partonen einige GeV, kann man die Korrekturen zu diesem einfachen Bild nichtmehr vernachlässigen. Man hat dann eine ähnliche Situation wie in weichen hadro-nischen Wechselwirkungen. Die erreichte Zahl der tatsächlichen Verzweigungen istnicht sehr hoch. Bei LEP-Energien wurden – je nach genauer Definition der Jets –bis zu vier oder fünf Parton-Jets beobachtet.

Die Struktur solcher Beiträge hängt natürlich von der Quantenchromodynamikab. Da diese Theorie erst im Abschn. 4.2 eingeführt wird, müssen einige Aspekteder Teilchenproduktion hier ausgeklammert bleiben. Wir werden auf sie im Ab-schn. 4.2.4 zurückkommen. Hier (in Abschn. 3.2.3) haben wir mit der Phänome-nologie einfacher weicher Prozesse begonnen und aufgeführt, welche Ergänzungenmit wachsender Energie benötigt werden, um die Daten zu beschreiben. Dort wer-den wir Methoden beschreiben, mit denen im Prinzip exakte Störungsrechnungenin Gebiete zwischen harten und weichen Prozessen ausgedehnt werden können undso möglicherweise zum Verständnis der weichen Prozesse beitragen können.

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188 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.58 Die Geometrieder Schwerionenstreuung

Überlapp

v

v1

2

3.2.4 Hochenergetische Teilchenproduktion(Schwerionenstreuung)

Von hadronischen Streuprozessen weiß man relativ wenig über Aspekte, die mitdem geometrischen Ablauf der Prozesse zu tun haben. Eine Möglichkeit mehr her-auszufinden, ist es, Streuvorgänge in einer dichten Umgebung zu betrachten, wiesie in der Streuung schwerer Kerne vorkommen.

Solche Streuvorgänge sind auch aus kosmologischen Gründen interessant. Beider Behandlung der Entstehung der Elemente hatten wir mit dem Ende des Ha-dronen-Plasma-Zeitalters (3; 8 � 105 Jahre nach dem Urknall) begonnen. Davor wardie elektromagnetische Bindung nicht stark genug, um Hadronen und Elektronenzu binden. „Etwas“ früher, etwa 10�6 s nach dem Urknall, lag das Quark-Gluon-Plasma-Zeitalter. In ihm sollten Energiedichten erreicht worden sein, bei denen esden Bindungskräften der QCD nicht mehr möglich ist, Quarks in Hadronen zusam-menzuhalten. Es muss daher ein Plasma aus Partonen mit nicht verschwindenderFarbe gegeben haben. Es ist nicht trivial, diese Quark-Gluon-Plasma-Phase desKosmos zu verstehen. Die experimentellen Ergebnisse aus Schwerionenstreuungenkönnten dabei eine Hilfe sein.

Die Streuung schwerer Kerne hängt vom Abstand im transversalen Stoßparame-ter-Raum ab. Eine typische Situation ist in Abb. 3.58 skizziert. Je nach Abstandder streuenden Kerne spricht man von zentralen oder peripheren Stößen. In ei-nem einfachen Bild erscheinen die ursprünglich runden Kerne durch die Lorentz-Transformation „pfannkuchenartig“ zusammen gepresst. Die eigentlichenWechsel-wirkungen geschehen im gegenseitig überstrichenen Bereich.

Nach der Streuung wird dann natürlich auch der verbleibende Restkern in Bruch-stücke zerfallen. Da sie in Emulsionsmessungen nicht als volle Linien sichtbarwaren, werden diese Bruchstücke „graue“ Teilchen genannt. Unser Interesse hiergilt den hochenergetischen Teilchen.

Eine zentrale Beobachtung ist, dass die in einzelnen Streuprozessen produzier-ten Teilchen erst nach einer „Formations-Zeit“ (� „=m) für weitere Streuvorgängerichtig verfügbar sind. Die Vorstellung ist, dass, was immer später die Teilchen er-zeugt, beinahe nicht wechselwirkt und dass die wechselwirkenden Endteilchen inder Regel dann erst außerhalb des ursprünglichen Streuprozesses gebildet werden,wie es in Abb. 3.59 dargestellt ist. Nach oben (und vorn) zeigen die seitlichen Orts-

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 189

Abb. 3.59 Keine Hadro-nen-Kaskade im zentralenBereich

Abb. 3.60 Das Verhältnisder beobachteten Teilchen-dichte zum Produkt derTeilchendichte in pp-Streungund der zu erwartenen Zahlder beitragenden Nukleonen-Paare, TAA (adaptiert nachAdams [124])

koordinaten (d. h. der Stoßparameter-Raum). Nach rechts ist die Rapidität aufgetra-gen, die die longitudinale Geschwindigkeit festlegt. Das Bild zeigt zwei gestreuteNukleonen, mit der durch Streuungen erzeugten dazwischenliegenden Partonenver-teilung.

Es gibt keine Hadronenkaskade im zentralen Bereich, da das Hadron – wieangedeutet – erst entsteht, nachdem die Kerne mit ihrer dichten Materie weggeflo-gen sind. Eine Ausnahme bilden Teilchen, die im kinematischen Gebiet eines dereinlaufenden Kerne (mit ihren Nukleonen) entstehen. Eine erhöhte Rapiditäts-Teil-chendichte in der Nachbarschaft der einlaufenden Kerne (etwa j�y j < 2) wurdebeobachtet und deutet auf eine Kaskade separater hadronischer Streuprozesse hin,wie sie in der Abbildung angedeutet ist. Dieses Gebiet spielt natürlich bei niedrigenEnergien eine dominante Rolle, wenn der verfügbare Rapiditätsbereich zu kurz ist,um das Nachbarschaftsgebiet zu verlassen.

Wenden wir uns jetzt den eigentlichen Streuprozessen zu. Hätten Streuprozesseim transversalen Stoßparameter-Raum nur eine sehr geringe Ausdehnung, wärenalle Streuvorgänge in einer Kern-Kern-Streuung voneinander unabhängig. JedesNukleon könnte dann im Prinzip mit jedem anderen streuen, und die Anzahl derStreuungen wäre proportional zu ATarget � AProjektil . Tatsächlich wird ein solchesVerhalten, das sogenannte „binary collision scaling“, in peripheren harten Streu-prozessen beobachtet, wie es in Abb. 3.60 zu sehen ist.

Der Streuquerschnitt für harte Partonenstreuprozesse mit ausreichend hohentransversalen Impulsüberträgen zwischen Partonen ist dazu ausreichend klein. Dergelbe (bzw. hellgraue) Bereich mit der schwarzen Linie bei eins entspricht dem „bi-nary collision scaling“. Die Linie im blauen (bzw. dunkelgrauen) Gebiet entsprichtdem „participant scaling“, das unten erklärt wird.

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190 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.61 Participant ver-sus binary collision scaling(© Back, 2004 [125])

Für die Abbildung wurden relativ periphere Streuungen ausgesucht. Der Grundist, dass die in harten Streuprozessen produzierte Partonen in Schwerionenstreu-ung oft nicht ungestört in einen Jet von Teilchen übergehen können. Dieses „Jet-Quenching“ wurde nachgewiesen in Prozessen, in denen zunächst zwei Jets mitentgegengesetzten Transversalimpulsen entstehen und dann einer der beiden Jetsmehr oder weniger verloren geht.

Bei einer etwas größeren Ausdehnung des Streuprozesses wird ein, sagen wir,Projektilteilchen auf seinem Weg durch das Target mit mehreren Nukleonen (An-zahl / A1=3) wechselwirken. Die Anzahl der separaten Streumöglichkeiten einesProjektilteilchens ist nun proportional zur Fläche des Targets d. h. zu A2=3. DieAnzahl voneinander unabhängiger Streuungen ist damit proportional zu A4=3. Im„Participant scaling“-Bild nimmt man an, dass jede dieser Streuungen etwa diegleiche Teilchendichte erzeugt. Für die normale Teilchenproduktion funktioniert„participant scaling“ weitaus besser als „collision scaling“, wie in Abb. 3.61 zu se-hen ist: Wie für ein solches einfaches Bild zu erwarten ist, das „participant scaling“nicht ganz perfekt.

Im Pomeron-Bild liefert jede Streuung zwei planare Ketten von produziertenTeilchen. Wenn Teilchen mehrmals wechselwirken, ergeben sich viele solcher Ket-ten. Da die Energie aufgeteilt wird, wird die Länge der Ketten kürzer. Die erwarte-ten höheren Dichten im zentralen Rapiditätsbereich und kleineren Weiten entspre-chen den beobachteten Spektren. Für die kürzeren Ketten gibt es einen höherenrelativen Anteil von Kettenenden-Teilchen, für die ein etwas höherer Transversa-limpuls und ein etwas höherer relativer Anteil von strange-Quarks erwartet werdenkann. Auch dieser Anstieg wurde beobachtet. Selektiert man Prozesse hoher zen-traler Multiplizität, ist der Effekt erwartungsgemäß verstärkt.

Viele Verteilungen in Schwerionenstreuungen werden zum großen Teil einfachdurch das Zusammenspiel von zentralen und peripheren Streuungen bestimmt. Be-trachten wir als Beispiel die Multiplizitätsverteilung.

Im Vergleich zu anderen Streuprozessen ist die Verteilung ungewöhnlich breit.Dies ändert sich, wenn man mit einer geeigneten Beobachtung den Stoßparame-ter festlegt. (Man verwendet dazu die Teilchenzahl in der extremen Vorwärts- undRückwärtsrichtung.) Jedem Zentralitätsbereich entspricht in etwa ein Multiplizitäts-bereich, wie es in der Abb. 3.62 dargestellt ist.

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3.2 Hadronische Streuvorgänge 191

Multiplicity

0 500 1000 1500 2000 2500 3000

-510

-410

-310

-210

0 -

5%

5 -

10%

10 -

20%

20 -

30%

30 -

40%

40 -

50%

50 -

60%

Pro

bab

ility

Abb. 3.62 Multiplizitäts-Verteilung der geladenen Teilchen für Pb � Pb Streuung fürps D

2� 76 GeV. Die Abbildung zeigt ALICE Daten für j�j < 0;8 (© Aamodt, 1986 [126])

Experimentell versucht man mit verschiedenen Methoden, die Zentralität derStreuprozesse festzulegen. Am interessantesten sind dann natürlich die zentralenStöße, da bei ihnen die höchsten Dichten erreicht werden. Für solche zentralen Stö-ße beobachtet man, dass eine Superposition von Streuprozessen im Pomeron-Bildzu einer zu großenMultiplizität führt. Offensichtlich können Ketten mit einer trans-versalen Ausdehnung irgendwie nicht einfach übereinander liegen.

Eine Idee (siehe [127]) ist, dass die einzelnen einfallenden Nukleonen im zen-tralen Lorentz-System nicht mehr unterschieden werden können und dass dies dieFolge hat, dass bei sehr hohen Energien entsprechend weniger Pomeronbeiträge imzentralen Bereich übrig bleiben.

Eine andere Vorstellung ist, dass zunächst für jede Kette vor dem Zerfall in Ha-dronen eine Art Parton-Plasma-Schlauchmit einer festen transversalen Ausdehnungauftritt und dass sich diese Schläuche zu mehr und mehr ausgedehnten Parton-Plas-ma-Zonen vereinigen können und so in weniger Teilchen zerfallen. In Analogie zuDampfbläschen in kochendem Wasser, die sich zu größer und größeren Bläschenvereinigen können, wird dies Perkolation genannt [128].

Meist wird angenommen, dass für zentrale Streuungen der gesamte Kern eineeinzige Quark-Gluon-Plasma-Zone bildet und dass in jedem Rapiditätsbereich lokalein thermisches Gleichgewicht eines Parton-Plasmas erreicht wird. Diese Annahmegestattet es, eine konsistente Erklärung vieler experimenteller Beobachtungen zuerreichen [129, 130, 131].

Eine wichtige Beobachtung dazu ist eine kollektive Bewegung in transversalerRichtung. In einer Streuung mittlerer Zentralität ist das Überlappungsgebiet in dertransversalen Ebene mandelförmig (Abb. 3.63). Die beobachtete Asymmetrie imtransversalen Teilchenfluss wird mit dieser geometrischen Struktur in Verbindung

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192 3 Einführung in die Hadronenphysik

Abb. 3.63 Seitliche Geome-trie des Streuprozesses

gebracht. Im Plasmamodell wird der Effekt im Impulsraum vom unterschiedlichenDichte-Gradienten verursacht, wie es in Abb. 3.64 angedeutet ist.

Die hohen Energiedichten in zentralen Schwerionenstreuungen führen unter ge-wissen Annahmen dazu, dass störungstheoretische Betrachtungen der Quantenchro-modynamik anwendbar werden und thermodynamische Betrachtungen einzelnerPartonen (Quark-Gluon-Plasma) gemacht werden können. Nach der Einführungin die Quantenchromodynamik werden wir in Abschn. 4.2.6 auf diesen wichtigenAspekt der Schwerionenstreuung zurückkommen.

Abb. 3.64 Der Teilchenflussim Plasmamodell Dichtegradient

Teilchenfluss

wird

x

y

x

y

heiß

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4Einführung in die Leptonen- undPartonenphysik

Wir gehen jetzt einen Schritt weiter auf unseremWeg zu kürzeren Skalen und kom-men zu einem Gebiet, in dem die Physik durch die Wechselwirkungen zwischeneinzelnen fundamentalen Teilchen mit masselosen Eichfeldern bestimmt wird. (DerBegriff „fundamental“ bezieht sich dabei auf die in dem betrachteten Bereich, so-weit bekannt, exakt gültige, selbstkonsistente Theorie. Was bei kürzeren Skalengeschieht, ist nicht bekannt.) Es ist ein zentrales Gebiet der Physik. Das primäreInteresse gilt zunächst immer Gebieten, die fundamentale Gesetzmäßigkeiten di-rekt widerspiegeln, wie es hier der Fall ist. Mit mehr oder weniger befriedigenderGenauigkeit kann man die Phänomene dieser Physik exakt aus theoretischen Vor-stellungen berechnen.

Die zugrunde liegenden Theorien heißen Quantenchromodynamik undQuanten-elektrodynamik. Da hier Quarks und geladene Leptonen eine analoge Rolle spielen,ist es notwendig, zunächst unsere Teilchenliste zu erweitern. Zu jeder Generationgibt es ein geladenes Lepton. Üblicherweise ordnet man sie gemäß ihren Massender ersten, zweiten bzw. dritten Generation zu. Ihre Massenwerte sind ähnlich wiebei den Quarks sehr unterschiedlich (siehe [31]):

Masse.e�/ OD 0;511MeV ;

Masse.��/ OD 105;658MeV ;

Masse.��/ OD 1;784GeV :(4.1)

In Eichtheorien basieren dieWechselwirkungen auf Symmetrieeigenschaften derTeilchen. DieQuantenelektrodynamik (QED) wird mit der in der Quantenmechanikfrei zu wählenden Phase der Teilchen in Verbindung gebracht. Wie bereits erwähnt,können Gluonen, d. h. die Feldquanten der Quantenchromodynamik (QCD), Über-gänge zwischen Zuständen mit verschiedenen Farben vermitteln, und es ist dieSymmetrie unter Farbaustausch, die dieser Theorie zugrunde liegt. Eichtheorienwerden uns auch zu den kürzeren Skalen im nächsten Kapitel begleiten. Eine Ver-tauschungssymmetrie zwischen bestimmten Quark- und Leptonenpaaren wird (mit

193F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_4,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

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194 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

einigen Komplikationen) die Grundlage für die Theorie der schwachen Wechsel-wirkungen (der Quantenflavordynamik oder QFD) bilden.

4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik

Abgesehen von einigen speziellen Problemen haben QCD und QFD dieselbe Struk-tur wie die QED, mit der wir jetzt beginnen. Um weiterzukommen, müssen wir unsdaher zunächst etwas mit Grundtatsachen der relativistischen Quantenmechanik be-schäftigen. Eine wirkliche Einführung in die Quantenfeldtheorie [10, 132, 82, 133,134] geht über den Rahmen dieses Buches hinaus. Nach einigen grundlegendenBemerkungen ist es hier das Ziel, Ergebnisse und Konzepte vorzustellen.

4.1.1 Die Klein-Gordon-Gleichung

Die einfachste Möglichkeit einer relativistischen Gleichung besteht für spinlose,wechselwirkungsfreie Teilchen, die mit einer einkomponentigen Wellenfunktionbeschrieben werden können. Da die Energie- und Impuls-Erhaltung aus der Invari-anz unter infinitesimalen Transformationen folgen muss, gilt p� D .i/@=.@x�/ wiein der Schrödinger-Gleichung. Aus der Relation mit dem quadratischen Viererim-puls (c D 1 und „ D 1)

p2 D E2 � p2 D m2

ergibt sich damit die Gleichung�

� @

@x�� @@x��m2

' D 0 ; (4.2)

die Klein-Gordon-Gleichung genannt wird.(In dieser Gleichung wird die heute weit verbreitete Einstein-Konvention be-

nutzt. Wie erwähnt, wird dabei über gleiche Indizes summiert, und zwar von 1 bis3 für römische und von 0 bis 3 für griechische Indizes. Bei den Viererproduktentritt dabei ein negatives Vorzeichen für die Ortskomponenten auf. Um dies anzu-zeigen, wird einer der beiden Indizes hoch- und der andere tiefgestellt. Hoch undtief vertauscht sich für Ableitungen; eine Ableitung nach einem tiefgestellten Indexentfernt letztlich einen tiefgestellten Index, so dass ein hochgestellter Index übrigbleibt. Überstriche kennzeichnen Operatoren.)

Die Klein-Gordon-Gleichung lässt sich formal auch in der folgenden Weiseschreiben:

s

� @

@x�� @@x�Cm

! s

� @

@x�� @

@x��m

!

' D 0 : (4.3)

Um ihre Struktur zu verstehen, betrachten wir die zweite Klammer im nichtrelati-vistischen Grenzfall. In diesem Grenzfall können wir die Wurzel bis zu Ordnung

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4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 195

p2 entwickeln und mit der Definition der kinetischen Energie Ekin D E �m in derfolgenden Weise schreiben:

s

� @

@x�� @@x��m D E � 1

2

p2

E�m D Ekin � 1

2

p2

m:

Beide Klammern von (4.3) ergeben damit:

Ekin � 12

p2

mC 2m

!

Ekin � 12

p2

m

!

' D 0 : (4.4)

Offensichtlich hat diese faktorisierte Gleichung zwei Lösungen (die erste oder diezweite Klammer muss verschwinden), eine Lösung entspricht der Schrödinger-Gleichung, eine Lösung führt mit einer Masse �m (und einer entsprechenden Defi-nition von Ekin) zu einer analogen Gleichung. Die zweite Lösung wird als Lösungder Wellenfunktion des Antiteilchens interpretiert. Wie es in einer relativistischenTheorie erforderlich ist, beschreibt damit eine Gleichung Teilchen und Antiteil-chenzustände.

Versuchen wir jetzt, die Verbindung zu Messgrößen herzustellen. Um unabhän-gig vom Lorentz-System zu sein, muss man in einer relativistischen Theorie anstelleder üblichen Dichte eine vierkomponentige Stromdichte definieren,

j D .�;�jx;�jy;�jz/ : (4.5)

Die nullte Komponente entspricht der üblichen Dichte, die allerdings wegen derLorentz-Kontraktion nicht mehr unabhängig vom Lorentz-System ist. Die Dreier-Komponente entspricht der Flussdichte. Da die Teilchenzahl erhalten sein muss, giltdie Viererstromerhaltung

@

@x�j� D 0 : (4.6)

Mit der entsprechenden Ladung oder sonstigen Flavor-Quantenzahl multipliziert,ergibt sie die entsprechende elektrische oder Flavor-Stromdichte. Stromdichtenwerden bei den Wechselwirkungen eine wichtige Rolle spielen.

Die Stromerhaltung muss dabei aus der Gleichung folgen, die für das dynami-sche Verhalten verantwortlich ist. Dies ist für die Klein-Gordon-Gleichung mit derfolgenden Definition des Teilchenstroms der Fall:

j� D�

'� i@

@x�' C

i@

@x�'

��'

: (4.7)

(Um dies zu zeigen, setzen wir (4.7) in (4.6) ein. Nach der Produktregel wirkt dieAbleitung jeweils einmal auf den ersten und einmal auf den zweiten Faktor. Da dieKoordinate x� reell ist, kann die Ableitung unter die Konjugation gezogen werden.In der Differenz (� iCi�) bleiben dabei nur Produkte von nicht und doppelt abgelei-teten Wellenfunktionen übrig. Eine Anwendung der Klein-Gordon-Gleichung (4.2)ergibt jeweils einen Faktor m2 und damit eine verschwindende Differenz.)

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196 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

4.1.2 Die Dirac-Gleichung

Wie schon bei der Besprechung der Parität erwähnt, lässt sich ein freies Fermiondurch die Dirac-Gleichung beschreiben:

i��@

@x��m

D 0 : (4.8)

Wie kommt man zu (4.8)? Der Drehimpuls hängt mit dem Verhalten unter Rotationzusammen. Aus der Bedingung, nach einer Umdrehung wieder zur ursprünglichenWellenfunktion zurückzukommen, folgt ein ganzzahliger Drehimpuls. In mehrkom-ponentigen Theorien kann man einen halbzahligen Drehimpuls dadurch erhalten,dass die interne Komponentenstruktur und die Raumstruktur gekoppelt auftreten,und zwar gerade so, dass nach einer Umdrehung eine orthogonale Komponenteerreicht wird und die Identität mit dem ursprünglichen Zustand erst nach zwei Um-drehungen wiederhergestellt wird. Dies ist die einzige Möglichkeit. Zur Beschrei-bung eines Teilchens mit halbzahligem Spin braucht man eine mehrkomponentigeBeschreibung.

Mehrkomponentige lineare Differenzialgleichungen kann man immer als Diffe-rentialgleichungen erster Ordnung schreiben, z. B. kann man Ableitungen jeweilsals neue Komponenten einführen und auf diese Weise Ableitungen höherer Ord-nung eliminieren. Ohne Festlegung der Matrizen und deren Dimensionen handeltes sich also bei der obigen Gleichung unter bestimmten Bedingungen um die allge-meinste mögliche Form.

Die Dirac-Gleichung benutzt vier Komponenten. Das ist eine notwendige Mi-nimalzahl. Der halbzahlige Spin erfordert zwei Komponenten; dass man in einerrelativistischen Theorie Teilchen und Antiteilchen zusammen beschreiben muss,erfordert eine Verdopplung der Komponenten der nichtrelativistischen Theorie.

Aus der Relation p2 D m2 folgt, wie bei der Klein-Gordon-Gleichung,

� @

@x�� @

@x��m2

D 0 : (4.9)

Um diese Gleichung zu erhalten, multipliziert man die Dirac-Gleichung von linksin der folgenden Weise:

i��@

@x�Cm

��

i��@

@x��m

D 0 : (4.10)

Die Klein-Gordon-Gleichung folgt, wenn die � -Matrizen der folgenden Bedingunggenügen:

���� C ���� D 2g�� D

8

ˆ

<

ˆ

:

C2 für � D � D 0�2 für � D � 6D 00 sonst :

(4.11)

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4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 197

(Mit dieser Relation fallen die gemischten Terme in (4.10) beim Ausmultiplizierenweg, und für die nicht gemischten Terme erhält man jeweils die Einheitsmatrix, sodass die Bedingung für jede Komponente gilt.)

Eine Repräsentation von �-Matrizen, die diese Bedingung erfüllt, ist

�k D�

0 �k��k 0

(4.12)

für Ortsindizes k D 1; 2; 3 und

�0 D

0

B

B

@

1 0 0 0

0 1 0 0

0 0 �1 0

0 0 0 �1

1

C

C

A

(4.13)

für die Zeitkomponente. Die Untermatrizen �k sind die Pauli-Spin-Matrizen

�1 D�

0 1

1 0

; �2 D�

0 �ii 0

; �3 D�

1 0

0 �1�

: (4.14)

Die gewählte Definition der Dirac-Spinoren erlaubt die folgende Schreibweise derDirac-Gleichung:

8

ˆ

ˆ

<

ˆ

ˆ

:

0

B

B

@

p0 0 0 0

0 p0 0 0

0 0 �p0 0

0 0 0 �p0

1

C

C

A

��

0 �k � pk��k � pk 0

�m

9

>

>

=

>

>

;

D 0 : (4.15)

Die wechselwirkungsfreie Dirac-Gleichung ist eine lineare Gleichung, die mit demfolgenden Exponentialansatz gelöst werden kann:

D u.p/ exp.ip�x�/ ; (4.16)

wobei

u.p/ D

0

B

B

@

u1.p/

u2.p/

u3.p/

u4.p/

1

C

C

A

nur von p und nicht von x abhängt.Um die Struktur der Lösung zu verstehen, ist es nützlich, sich Grenzfälle anzu-

schauen. Betrachten wir zunächst ein Teilchen in seinem Schwerpunktsystem mitverschwindendem Dreierimpuls. Der nichtdiagonale Term verschwindet, und wirhaben daher die Lösungen

D u.p/ exp.˙imt/ ; (4.17)

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198 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

wobei

u.p/ D

0

B

B

@

1

0

0

0

1

C

C

A

;

0

B

B

@

0

1

0

0

1

C

C

A

;

für Teilchen mit positiver Energie p0 D Cm und

u.p/ D

0

B

B

@

0

0

1

0

1

C

C

A

;

0

B

B

@

0

0

0

1

1

C

C

A

;

für Antiteilchen mit negativer Energie p0 D �m ist. Um sie zu unterscheiden, wer-den die Dirac-Spinoren der Antiteilchen oft mit den Buchstaben v.p/ bezeichnet.

Der nichtdiagonale Beitrag vermischt Teilchen- und Antiteilchenbeiträge. Beilangsam bewegten Teilchen tritt neben den „Schrödinger-Gleichungs“-Termen einkleiner Beitrag von der Größenordnung jpj=.E C m/ auf, der für eine Mischungmit dem Antiteilchenbereich sorgt.

Betrachten wir nun als anderes Extrem den relativistischen Grenzfall, in dem dieMasse des Teilchens null oder vernachlässigbar ist. Um die Gleichung in diesemFalle zu diagonalisieren, definieren wir zweikomponentige Spinoren, die jeweils dieerste und zweite bzw. dritte und vierte Komponente der Dirac-Spinoren enthalten,und schreiben

u.p/ D�

uIuII

:

Betrachten wir die Summe und die Differenz der oberen und der unteren Kompo-nente der so erhaltenen Gleichung, bekommen wir zwei separate Gleichungen fürdie jeweils zweikomponentigen neuen Felder uI C uII und uI � uII :

p0.uI � uII / D �kpk.uI � uII / (4.18)

undp0.uI C uII / D ��kpk.uI C uII / : (4.19)

Die beiden Gleichungen enthalten etwas ungewöhnliche Objekte. Ein Spin-1=2-Teilchen kann seinen Spin in Richtung oder entgegen der Richtung des Teilchenim-pulses ausgerichtet haben. (Man spricht dann von einem Teilchen mit positiver bzw.negativerHelizität. Es handelt sich um eine mögliche Beschreibung. Betrachtet manden Spin in einer anderen Richtung, benutzt man andere Basisvektoren.)

Beginnen wir mit der Lösung der ersten Gleichung. Je nachdem, ob der Spin par-allel oder antiparallel zu p ist, handelt es sich um ein Antiteilchen (p0 < 0) bzw. einTeilchen (p0 > 0). Im Falle einer Lösung der zweiten Gleichung ist die Identifikati-on genau umgekehrt. Da Massen meist nicht als fundamental betrachtet werden,benutzen fundamentale Theorien oft zunächst zwei solcher zweikomponentigen„Weyl-Spinor-Gleichungen“ anstelle der vierkomponentigen Dirac-Gleichung. In

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4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 199

dem Energiebereich, in dem die Massen der Fermionen keine Rolle spielen, habenein rechtshändiges und ein linkshändiges Fermion im Prinzip nichts miteinander zutun.

Um zu physikalischen Größen zu kommen, brauchen wir wiederum die Defini-tion des Viererstroms. Die Stromerhaltung muss diesmal aus der Dirac-Gleichungfolgen, die für das dynamische Verhalten verantwortlich ist. Dies ist für die folgendeDefinition des Stroms der Fall:

j� D C�0�� : (4.20)

Nach der Produktregel wirkt die Ableitung (4.6) einmal auf den ersten und einmalauf den zweiten Faktor. Die Ableitungen auf den zweiten Faktor entsprechen denenauf der rechten Seite der Dirac-Gleichung, die es erlaubt, die Ableitung und dieMatrix durch den Faktor m=i zu ersetzen. Mit der Identität .�0��/C D �C

� �0 D�0��; die aus �

Ck D �k folgt, wenn man die Gleichung mit (2 � 2 )-Untermatrizen

ausschreibt, kann der Strom auch in der folgenden Weise

j� D .�0�� /C

geschrieben werden. Dies erlaubt, für die Ableitung des ersten Faktors wiederumdie Dirac-Gleichung zu verwenden. Es verbleibt der Faktor .m=i/�, und die Summeverschwindet.

4.1.3 Einige Fakten der relativistischen Störungsrechnung

Das Verständnis der Dynamik erfordert Konzepte der Quantenfeldtheorie, die imRahmen des Buches nicht eingeführt werden können. Das Ziel des Buches ist es,wichtige aus der Feldtheorie gewonnene Methoden vorzustellen und, soweit diesohne wirkliche Herleitung möglich ist, plausibel zu machen,

In der Quantenmechanik hat man Verfahren entwickelt, wie man „kleine“ Po-tenziale als Störung, die in einer geeigneten Entwicklung eines Zustands ein-, zwei-oder mehrmals auftritt, berücksichtigen kann. In der „zeitabhängigen Störungstheo-rie“ ist die Übergangsamplitude von einem Zustand a zum Zeitpunkt ta in einenZustand b zum Zeitpunkt ta in niedrigster Ordnung:

h'bjS.tb � ta/j'ai D h'bj'ai � i

tbZ

ta

dth'bjV.t; /j'ai exp.it.Ea � Eb// : (4.21)

Wir benutzen die in (2.176) eingeführte „Bra-ket“-Notation mit Wellenfunktio-nen als Elemente des Hilbert-Raums mit den Produkten hi jj i D ıi;j undP

i ji ihi j D 1. Rechts in (4.21) steht eine Summe über zwei Terme. Der ersteTerm berücksichtigt den Fall, dass das Potenzial keine Wirkung zeigt, der zweiteTerm enthält die eigentliche Wechselwirkung.

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200 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.1 Skizze der Beiträgevon Wechselwirkungen t t t . . . . . . t t a 1 2 n b

In analoger Weise lassen sich natürlich auch mehrfache Wechselwirkungen be-rücksichtigen. Die Struktur dieser Beiträge ist in Abb. 4.1 skizziert. Über die Punktet1 � � � tn, die jeweils mit einen Faktor

�iX

ij

hij �1.tj / j V.tj / j ij .tj /i

beitragen, wird zwischen den Nachbarpunkten über den verfügbaren Bereich inte-griert.

Betrachten wir nun das elektromagnetische Potenzial. Der relevante Teil derHamilton-Funktion (d. h. der Energie- oder Zeitentwicklungs-Operator) eines ge-ladenen Teilchens in einem elektromagnetischen Feld kann als

H D 1

2m.p � eA/2

geschrieben werden, wenn für das Vektorpotenzial A die Coulomb-Eichung benutztund die Wirkung eines elektrostatischen Potenzials nicht berücksichtigt wird. Dieelektrodynamische Wechselwirkung eines Teilchens mit solchem Feld ist damit

V D e

mp �A D j �A ; (4.22)

wobei im letzten Gleichungsschritt die Definition des Stroms verwendet wurde. Eineinfacher Übergang zum Lorentz-invarianten Vierervektorprodukt

j �A ! j�A�

erlaubt, die elektrostatische Wechselwirkung zu berücksichtigen.Mit diesem Wechselwirkungsterm lässt sich der Integralanteil von (4.21) in der

folgenden Weise ausschreiben:

Z

t1<r0<t2

d4rf'b.r/eitEb g�j�A�.t; r/f'a.r/eitEa g : (4.23)

Er enthält neben den beiden Teilchen-Wellenfunktionen die des Photons.Betrachtet man die Gleichung, stellt man fest, dass sie viel näher an einer relati-

vistischen Formulierung ist, als es von der Herleitung zu erwarten ist. Die folgendenPunkte fallen dabei ins Auge:1. Die Integration erstreckt sich über ein vierdimensionales Raum-Zeit-Gebiet.2. Die Exponenten der Wellenfunktionen der Teilchen enthalten volle Viererpro-

dukte, d. h. 'a.r/ / exp.�ir � pa/.

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4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 201

Abb. 4.2 Die Absorptionund Emission eines Photons

φc e−i(Ec·(t−t )−pc(r-r ))

φa e−i(Ea·t−par ) φb e

−i(Eb·t −pbr )

ε e−i(ω ·t −k r )ε e−i(ω·t−k r)

(t, r) (t , r )

Offensichtlich muss man, wenn man zu einer relativistischen Theorie übergehenmöchte, dieWellenfunktionen der Schrödinger-Gleichung durch die der Klein-Gor-don-Gleichung oder der Dirac-Gleichung ersetzen. Wir hatten gesehen, wie sichder Strom aus der Klein-Gordon-Gleichung und aus der Dirac-Gleichung von demder Schrödinger-Gleichung unterscheidet. Durch Auswechseln der Ströme erhältman

QTeilchen

'� i@

@x�' C

i@

@x�'

��'

A� (4.24)

für den Wechselwirkungsterm der Klein-Gordon-Gleichung und

QTeilchen N �� A� (4.25)

für den Wechselwirkungsterm der Dirac-Gleichung.Abgesehen von dem Fall statischer Felder (z. B. des Coulomb-Feldes eines

Kerns), sind die Photonen Teil der relativistischen Beschreibung. Das Vektorpoten-zial oder das Feld eines ungestörten Photons ist

A�.t; r/ D ��e�i.k0�t�k�r/ : (4.26)

Die Photonen treten dabei, wie es quantenmechanisch erforderlich ist, als Teil-chen auf. Der Strom j�.x/ ist eine Quelle für die Produktion eines einzelnen(emittierten) neuen Photons oder eine Senke für die Absorption eines einzelnen(absorbierten) vorhandenen Photons. Der Viererimpuls des Photons wird vomTeilchen aufgenommen.

Die betrachtete Ordnung der Störungstheorie bestimmt die Photonenzahlen.Ein Beispiel dazu, ein Beitrag zu der zweiten Ordnung in Q, ist in Abb. 4.2dargestellt. Ein einlaufendes Photon wird absorbiert, und ein virtuelles Teilchen(p2 6D m2) entsteht, das dann anschließend wieder ein auslaufendes Photon emit-tiert.

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202 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.3 Die Emission undAbsorption in zeitgeordneterStörungstheorie 1.Storung 2.Storung

ta < t1 < t2 < tb

4.1.4 Ein zentraler Aspekt beim Pfadintegral

Ein wichtiger Schritt, der die Situation in der relativistischen Theorie drastischvereinfacht, ist der Übergang von der zeitgeordneten zu einer Teilchenbahn-ori-entierten Störungsrechnung. Um die Motivation für diesen Übergang verständlichzu machen, wird in Abb. 4.3 ein „gekreuzter Kanal“ des in Abb. 4.2 dargestelltenProzesses betrachtet.

In der zweiten Ordnung einer zeitgeordneten Potenzialtheorie geht der Anfangs-zustand zum ersten Zeitpunkt in einen Zwischenzustand über, aus dem am zweitenZeitpunkt der Endzustand entsteht. Im Falle der betrachteten Wechselwirkung mitder Erzeugung und Vernichtung eines Photons treten dabei im gekreuzten Kanaldie in Abb. 4.3 gezeichneten Zwischenzustände auf. Zum ersten Störzeitpunkt gibtes einen Übergang von einem Teilchen-Photon-Zustand in einen Teilchen-Photon-Photon-Zustand. Die Amplituden des gekreuzten und des ungekreuzten Prozesseswerden unterschiedlich behandelt.

In einer teilchenbahn-orientierten Beschreibung treten neben Wechselwirkungs-punkten nur Ein-Teilchen-Zustände auf. Ein einlaufendes Teilchen wird in der-selben Weise wie ein auslaufendes Antiteilchen beschrieben. Da das Photon seineigenes Antiteilchen ist, ist die „gekreuzte“ Amplitude, wie es in Abb. 4.4 skiz-ziert ist, abgesehen von den anderen Impulswerten, identisch mit der ungekreuztenAmplitude (Abb. 4.2).

Es gibt keine bevorzugte Zeitrichtung. Da man in einer solchen Berechnung nichtmehr dem zeitlichen Ablauf folgt, ist die Definition von Anfangs- und Endzustandnicht mehr trivial; eine eingehendere Behandlung der Methode des Pfadintegralszur feldtheoretischen Beschreibung eines vorgegebenen Prozesses erfordert einenformalen Aufwand, der über den Rahmen dieses Buches hinausführen würde.

1.Storung 2.Storung

Abb. 4.4 Die Emission und Absorption in Feynmanscher Störungstheorie

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4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 203

4.1.5 Feynman-Regeln

Wechselwirkungsgraphen, wie sie oben gezeichnet waren, lassen sich direkt inFormeln für die entsprechenden Beiträge umsetzen. Fouriertransformiert man vomZeit-Ort-Raum in den Viererimpulsraum, kann man die Exponentialfunktionendurch die entsprechenden ı-Funktionen ersetzen, die jeweils an den Verzweigungs-punkten die Viererimpulserhaltung garantieren. Die Klein-Gordon- oder die Dirac-Gleichung erzwingen die Bedingung p2 D m2 für einlaufende oder auslaufendeTeilchen. Für Teilchen, die im Inneren bleiben, führen die dynamischen Glei-chungen Brüche ein, deren Zähler und Nenner von den auftretenden Massen undImpulsen abhängen. Für Bosonen hat der Nenner dabei dieselbe Form wie derNenner der Breit-Wigner-Amplitude. Da außerhalb von Wechselwirkungen keineZerfälle auftreten, verschwindet dabei die Breite. Um sicherzustellen, dass überden Pol in der richtigen Weise (entsprechend dem Grenzwert der Breit-Wigner-Amplitude) integriert wird, behält man im Nenner einen kleinen Imaginärteil bei,

Nenner D s �m2 C i� ;

und betrachtet dann erst am Ende den Grenzwert � ! 0. Auf diese Art legt manfest, in welcherWeise man um die Pole im Impulsraum integriert. Dies bestimmt dieRandbedingungen im Ortsraum. Ein Feynman-Propagator, der dem Teilchenpfadfolgt, erfordert die obige Festlegung.

Die Umsetzung folgt einem festen „Rezept“. Ziel der Rechnung sind Lebensdau-ern und Wirkungsquerschnitte. Um dabei die Normierung festzulegen, betrachtenwir zunächst die allgemeine Relation zwischen Matrixelement und Wirkungsquer-schnitt. Für die n-Boson-Streuung mit den Viererimpulsen

pŒa C pŒb ! pŒ1 C � � �pŒn

gilt

d� D 1

jvŒa � vŒb j

1

2pŒa 0

!

1

2pŒb 0

!

� jMj2

� d3pŒ1

2pŒ1

0 .2�/3� � � d3pŒn

2pŒn

0 .2�/3.2�/4ı4

pŒa C pŒb �nX

iD1pŒi

!

S :

(4.27)Die Formel besteht aus drei Termen, und zwar aus einem Flussfaktor (1. Zeile),

dem Absolutquadrat des Matrixelements und einem Phasenraumfaktor. Jeder derdrei Faktoren ist ein Lorentz-Skalar. Er kann in einem beliebigen kollinearen Sys-tem unabhängig vom Rest berechnet werden. In dem Flussfaktor sind vŒa und vŒb

die Geschwindigkeiten der einfallenden Teilchen und pŒa 0 und pŒb 0 deren Energien.Mit dem Matrixelement werden wir uns später beschäftigen. Hinter dem Matrixele-ment steht das Phasenraumelement. Typischerweise muss man bei der Berechnung

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204 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

von gemessenen Prozessen über alle oder über einen Teil der Impulse pŒi integrie-ren. Um die Faktoren 2� übersichtlich zu schreiben, sind diese Faktoren jeweilsunter den Impulsintegralen bzw. neben „weggenommenen“ Impulsintegralen (d. h.vor der ı-Funktion) separat stehen gelassen. Treten n identische Teilchen auf, gibtes formal .nŠ/2 Möglichkeiten, sie zu erhalten, da die Amplitude quadratisch auf-tritt. Da identische Teilchen nicht unterscheidbar sind, können physikalisch nur nŠdieser Möglichkeiten zählen. Um dies zu erreichen, wird der Statistikfaktor

S DY

i

1

ni Š(4.28)

hinzugefügt.Die obige Gleichung gilt für Bosonen. Für Dirac-Teilchen gilt praktisch derselbe

Ausdruck. In der hier beschriebenen Konvention [10, 132] ist die Wellenfunktionallerdings etwas anders normiert. Für Dirac-Teilchen muss man in der obigen Glei-chung die folgende Ersetzung durchführen:

1

2pŒi

0

!

!

mŒi

pŒi

0

!

: (4.29)

Die berechneten Matrixelemente werden auch dazu benötigt, die mittleren Lebens-dauern instabiler Teilchen auszurechnen. Für solche n-Teilchen-Prozesse mit denViererimpulsen

p ! pŒ1 C � � �pŒn

gilt der völlig analoge Ausdruck

d

1

D�

1

2m

� jMj2 � d3pŒ1

2pŒ1

0 .2�/3� � � d3pŒn

2pŒn

0 .2�/3.2�/4ı4

p �nX

iD1pŒi

!

S ;

(4.30)wobei � die mittlere Lebensdauer des zerfallenden Teilchens ist. Die differenzielleSchreibweise ist möglich, da die Zerfallswahrscheinlichkeiten additiv sind.

Wenden wir uns jetzt dem eigentlichen Problem zu, und zwar der Berechnungdes Absolutquadrats des Matrixelements. Unser Ziel ist es, die Beiträge in nied-rigster Ordnung zu verstehen; wir vernachlässigen alle Komplikationen, die mitRenormierung verbunden sind. (Betrachtet man höhere Ordnungen, gibt es eineKomplikation, die zum Auftreten unendlich großer Terme führt, die erst durch um-fangreiche Überlegungen verstanden und kontrolliert werden können. Wir werdenim Rahmen der „Wichtigsten Fakten der QCD“ auf dieses Problem zurückkommen,da sie dort eine zentrale Rolle spielen.)

Man beginnt damit, alle möglichen beitragenden Graphen (Feynman-Graphen)zu zeichnen, die dem Ablauf der Wechselwirkung entsprechen könnten. Diese Gra-phen können beliebig viele ausgetauschte Zwischenteilchenbahnen (Propagatoren)und Wechselwirkungen enthalten. Sie dürfen allerdings keine nicht verbundenen

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4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 205

Teile enthalten. Anschließend berechnen wir das Matrixelement oder dessen Abso-lutquadrat durch Aufsummation der in Formeln umgesetzten beitragenden Graphen.Interne Impulse müssen dann am Ende integriert werden, und zwar mit der Normie-rung

R

d4p=.2�/4.Die Feynman-Regeln spezifizieren, wie die Graphen in Formeln umgesetzt wer-

den. Für externe (ein- oder auslaufende) Teilchen gibt es dabei die folgenden Bei-träge:� Ein Faktor 1 berücksichtigt jede den Graphen verlassende und jede in den Gra-

phen eintretende spinlose Bosonenlinie.� Ein Faktor u.p; s/ bzw:v.p; s/ berücksichtigt jede in den Graphen eintretende

Fermionlinie. Fermionenlinien werden immer in Richtung der Fermionenbewe-gung betrachtet. u entspricht einem eintretenden, vorwärtslaufenden Fermionund v einem rückwärtslaufenden eintretenden Fermion, d. h. einem physikalischaustretenden Antifermion.

� Ein Faktor Nu.p; s/ bzw: Nv.p; s/ berücksichtigt jede aus den Graphen austretendeFermionlinie. Nv entspricht einem physikalisch eintretenden, vorwärtslaufendenAntifermion und Nu einem austretenden Fermion.

� Ein Faktor �� berücksichtigt jede den Graphen verlassende und jede in den Gra-phen eintretende Photonlinie.

Für den Vertex eines Photons� an einer Fermionlinie schreibt man den Faktor

�i �QFermion � ��� und an einer Bosonlinie den Faktor

�i �QBoson � .peinlaufend � p0auslaufend/� :

Für interne Teilchen verwendet man� für Fermionen die Propagatoren

i��p� Cmp2 �m2 C i�

;

� für Bosonen die Propagatoren

i

q2 � �2 C i�

� und für Photonen die Propagatoren

� ig��

q2 C i�:

Terme, die sich nur durch den Austausch zweier externer Fermionlinien unter-scheiden, erhalten ein wechselseitig umgekehrtes Vorzeichen, Graphen mit einerzusätzlichen inneren Fermionenschleife einen Faktor �1.

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206 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.5 Die eCe�-Ver-nichtung in Myonen inniedrigster Ordnung

pb(e+ )

pa(μ− )

pa (e −

)

pb (μ +

)

q

4.1.6 Elektron-Positron-Vernichtung inMyonen

Die Methode, Querschnitte in der Feynmanschen Störungsrechnung zu berechnen,wird jetzt an einem besonders einfachen Beispiel vorgestellt. Das recht triviale Bei-spiel wird nicht ausreichen, die Methode, Feynman-Graphen zu berechnen, wirk-lich zu vermitteln. Die Absicht ist, eine Vorstellung davon zu geben, wie solcheRechnungen, die die elektromagnetischen Wechselwirkungen beschreiben, durch-zuführen sind.

Wir betrachten den differenziellen Wirkungsquerschnitt des Prozesses

eCe� ! �C�� :

Es gibt keinen Übergang zwischen Leptonen verschiedener Generationen, und einElektron kann sich daher nicht in ein Myon verwandeln. Die einzige Möglich-keit bei diesem Prozess ist die Vernichtung des Elektron-Positron-Paares und eineanschließende Produktion eines Myonenpaares. In niedrigster Ordnung der QEDkommt daher nur der in Abb. 4.5 abgebildete Feynman-Graph mit einem zwischen-zeitlich gebildeteten Photon in Frage.

Setzen wir den Graphen nun nach den obigen Regeln in eine Amplitude um.Es gibt zwei Fermionenlinien. Beginnen wir mit dem Elektron und dem Positron.Das Elektron entspricht einer einlaufenden Fermionlinie im Anfangszustand undwird daher von dem Dirac-Spinor u.pa; sa/ repräsentiert. Das Positron entsprichtals Antiteilchen einer aus dem Graphen herauslaufenden Linie. Da es wiederum imAnfangszustand auftritt, trägt es mit dem Faktor Nv.pb; sb/ zur Amplitude bei. DerVertex eines Fermions mit einem Photon ist �iQElektron��. Da es keine internenFermionlinien gibt, brauchen wir keinen Fermionpropagator, und der elektronischeAnfangszustand führt damit zu dem folgenden Produkt von Dirac-Spinoren:

Nv.pb; sb/.�iQElektron��/u.pa; sa/ : (4.31)

Einen analogen Term gibt es für die Myonen:

Nu.pa0 ; sa0/.�iQMyon��/v.pb0 ; sb0/ ; (4.32)

wobei wegen des Auftretens im Endzustand die u’s durch die v’s ersetzt wurden.

Page 216: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 207

Das einzige interne Teilchen in unserem Graphen ist das Photon, und wir müssendaher nur den folgenden Propagator berücksichtigen:

� ig��=.q2 C i�/ : (4.33)

In der implizierten Summe tragen vier diagonale Terme von g�� bei. Da einer derTerme ein negatives Vorzeichen besitzt, hat man in Wirklichkeit nur zwei Beiträge,wie es den beiden Polarisationszuständen des Photons entspricht. (Es ist manchmalpraktischer, nur positive Beiträge zu zählen; dies kann man tun, indem man demPhotonpropagator sogenannte Eichterme zufügt, die eine „physikalische“ Eichungfestlegen.)

Da der Impuls des Photons q durch die Impulserhaltung im ersten Vertex festge-legt ist, tritt keine zusätzliche Integration über interne Impulse auf. Das Produkt derobigen Terme ist damit die gesuchte Amplitude.

Für die Berechnung des Wirkungsquerschnitts brauchen wir das Absolutquadratder Amplitude

jMj2 DNv.pb; sb/.Cie�/u.pa; sa/ � .�ig�=.q2 C i�// � Nu.pa0 ; sa0 /.Cie��/v.pb0 ; sb0/�� Nu.pa; sa/.�ie��/v.pb; sb/ � .�ig��=.q2 C i�//� � Nv.pb0 ; sb0/.�ie��/u.pa0 ; sa0/ ;

(4.34)wobei wir die komplexe Konjugation durch eine Umordnung und hermitische Kon-jugation der vierkomponentigen Terme berücksichtigt haben. Da die Ladung jeweilsquadratisch auftritt, ist in der betrachteten Ordnung das Vorzeichen Q D �e irre-levant.

Wir nehmen an, dass der Spin der einlaufenden Teilchen, wie es meist der Fallist, nicht festgelegt ist, und dass der Spin der auslaufenden Teilchen nicht gemessenwerden soll. Über den Spin der einlaufenden Teilchen muss daher gemittelt, überden Spin der auslaufenden Teilchen summiert werden. Da es jeweils zwei Spinrich-tungen für jedes der beiden einlaufenden Teilchen gibt, muss man über alle Spinssummieren und durch 4 D 2 � 2 teilen.

Die auftretenden Summen erlauben es, die folgenden Relationen für die von denSpinoren aufgespannten (4�4)-Matrizen zu benutzen, die den Rechenaufwand dras-tisch vereinfachen:

X

˙u˛.p; s/ Nuˇ.p; s/ D

� 6p Cm2m

˛ˇ

�X

˙v˛.p; s/ Nvˇ.p; s/ D

�� 6p Cm2m

˛ˇ

;

(4.35)

wobei zur Schreibvereinfachung die Definition

6p D p��� (4.36)

Page 217: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

208 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

benutzt wurde. Die Relation (4.35) kann man jeweils für beide bei den Elektronenund bei den Myonen auftretenden Summen anwenden. Das Problem mit der Sum-mation über Anfang und Ende kann mit der Spur

X

˙u.p; s/Matrix Nu.p; s/ D Spur

X

˙Nu.p; s/ u.p; s/Matrix

!

(4.37)

vermieden werden, wobei die Matrixschreibweise verwendet wurde und wobei dieSpur (engl. trace, abgekürzt Tr) eine Summe über die Diagonalelemen te der Matrixbedeutet. Für ein Produkt von Matrizen bedeutet dies, dass über die äußeren Indizesvöllig analog zu den inneren Indizes summiert wird.

Die Relation (4.35) erlaubt es, eine explizite Repräsentation der Dirac-Spinorenzu umgehen und das über die Spins gemittelte bzw. summierte Absolutquadrat derAmplitude in der folgenden Weise zu schreiben:

1

4

X

jMj2 D 1

4�

Spur f�.� 6pb Cm/=2m � .Cie�/ � .6pa Cm/=2m � .�ie��/g�.�ig�=q2 C i�/ � .�ig��=q2 C i�/��Spur f.6pa0 Cm/=2m � .Cie��/ � �.� 6pb0 Cm/=2m � .�ie��/g

oder

1

4

X

jMj2 D�

e4

4.2m/4q4

� Spur f.� 6pb Cm/�.6pa Cm/��g�Spur f.6pa0 Cm/�.� 6pb0 Cm/��g :

Das geht übrigens auch, wenn nicht über Spins summiert wird. Man muss danndie folgende Gleichung benutzen:

u˛.p; s/ Nuˇ.p; s/ D� 6p Cm

2m� 1C �5 6 s

2

˛ˇ

�v˛.p; s/ Nvˇ.p; s/ D�� 6p Cm

2m� 1C �5 6 s

2

˛ˇ

;

(4.38)

mit�5 D �0�1�2�3 : (4.39)

Man hat das Problem darauf zurückgeführt, Spuren von Produkten von �-Matrizenauszurechnen. Aber das kann bei längeren Ausdrücken immer noch recht kom-pliziert sein. Für die dabei auftretenden algebraischen Manipulationen existierenComputerprogramme.

In unserem Beispiel ist die Berechnung der Spuren einfach. Da die Spur überdrei �-Matrizen verschwindet, brauchen wir nur die Terme mit zwei oder vier �-

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4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 209

Matrizen zu betrachten. Mit den folgenden beiden Relationen

Spur 6 a 6 b D 4.a � b/ D 4a� b� ;Spur 6 a 6 b 6 c 6 d D 4f.a � b/ .c � d/C .a � d/ .c � b/� .a � c/ .b � d/g (4.40)

und der etwas formalen Definition

�� D ��0g�0

� D6g.�/�und g�

00

�0

� g�0

� D g�00

� erhalten wir

1

4

X

jMj2 D�

e4

4.2m/4q4

�4fm2 � g� C .�pb/ � pa� C .�pb�/ � pa � pa � .�pb/ � g�g�4fm2 � g� C pa0

� .�p�b0

/C p�a0

� .�pb0

/ � pa0 � .�pb0/ � g�g :(4.41)

Die Potenzen der Zahlen 2 und 4 kürzen sich zu 1=4. Der Ausdruck .pa � pb/.pa0 �b0 / tritt viermal positiv beim Produkt der beiden letzten Terme auf und viermalnegativ in gemischten Produkten. Es verbleiben jeweils 2 gemischte und 2 unge-mischte Produkte der mittleren Summanten. Die Leptonenmassen sind klein gegentypische Streuenergien. Unter Vernachlässigung der Massen erhalten wir

e4

4 � q4 �m4f2 .pa � pb0/.pa0 � pb/C 2 .pa � pa0/.pb � pb0/g : (4.42)

Die Vierervektorprodukte lassen sich in der folgenden Weise durch Schwerpunkt-größen (siehe Abb. 2.50) ausdrücken:

.pa � pb/ D .pa0 � pb0/ D 2E2a D 2q2=4 ;

.pa � pa0/ D .pb � pb0/ D E2a.1 � cos#�/ ;

.pa � pb0/ D .pa0 � pb/ D E2a.1C cos#�/ :

(4.43)

Wir erhalten

e4

4q4m4

n

2E4a

1 � cos#��2 C 2E4a

1C cos#��2o

D e4

32m4

1C cos#� 2� :(4.44)

Wir müssen nun das berechnete Matrixelement in den Ausdruck für den totalenWirkungsquerschnitt (4.27 mit Modifikation für Fermionen) einsetzen. Integriertman über die ı-Funktionen (für m ! 0 entsprechen die Dreierimpulsbeträge denEnergien), erhält man

d

d˝��

eCe� ! �C��� D e4=.4�/2

4q2

1C cos#�2� (4.45)

für den gesuchten differenziellen Wirkungsquerschnitt.

Page 219: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

210 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.6 Die Winkelab-hängigkeit der wichtigstenProzesse der Elektronenstreu-ung (adaptiert nach [136])

4.1.7 Wichtige Querschnitte in der QED

Nachdem die Methode, wie man quantenelektrodynamische Prozesse berechnet,vorgestellt ist, werden nun die wichtigsten QED-Prozesse besprochen [86, 135].Beginnen wir mit Streuvorgängen zwischen Elektronen und Positronen. Für festeWinkel fallen solche Streuvorgänge mit wachsender Energie ab (/ 1=s). Die Win-kelabhängigkeit der wichtigsten Prozesse dieser Art ist in Abb. 4.6 dargestellt undwird jetzt im Einzelnen besprochen.

Schauen wir uns zunächst die oben behandelte Myonenproduktion eCe� !�C�� an (Annihilation in Myonen). Die exakte Formel für unpolarisierte Elek-tronen mit Massenkorrekturen für die Myonen ist

d��

eCe� ! �C���

d˝D r2016� m

2e

E�2 �p��

E��

1C cos2 #� C m�

E� sin#�2� : (4.46)

Da der Wirkungsquerschnitt üblicherweise in einem Flächenmaß (barn) und nichtin 1=GeV2 angegeben wird, ist es sinnvoll, die Ladung durch den klassischen Elek-tronenradius auszudrücken. Es ist der klassische Elektronenradius

r0 D ˛

me

D 0; 2818 barn1=2 ; (4.47)

wobei die Feinstrukturkonstante (mit �0 D „ D c D 1) als

˛ D e2

4�D e2

4��0 � „c D1

137(4.48)

definiert ist.

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4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 211

Abb. 4.7 Die bei der elas-tischen eCe�-Streuungbeitragenden Graphen p a

(e− )

pb (e +

)pb(e+ )

pa (e −

)

t

pa(e−)

pb (e+

)

pa(e− )

pb(e+ )

Da zur niedrigsten Ordnung nur ein Feynman-Graph beiträgt, ist es ein besonderseinfacher Prozess. In der logarithmischen Darstellung (Abb. 4.6) ist die Winkelab-hängigkeit relativ gering. Wegen der bei der betrachteten Energie nicht ganz zuvernachlässigenden Myonmasse gibt es einen kleinen sin2 # -Beitrag zur Winkel-verteilung. Bei den höchsten PETRA- und TRISTAN-Energien kommt ein kleinerasymmetrischer Anteil dazu, der auf einem Beitrag der schwachen Wechselwir-kungen beruht. Für LEP-Energien rührt der dominante Beitrag von der schwachenWechselwirkung her, bei der ein massives Vektorboson die Rolle des Photons über-nimmt.

Für die Streuung von Elektronen an Positronen ist der Übergang in ein Elek-tron-Positron-Paar (Bhabha-Streuung) dominant. Es gibt dabei zwei beitragendeFeynman-Graphen (Abb. 4.7). Neben dem oben behandelten Beitrag gibt es einenzweiten, zusätzlichen Beitrag, in dem ein Photon ausgetauscht wird. Die Summati-on der Amplituden führt zu folgendem Streuquerschnitt:

d��

eCe� ! eCe��

d˝D

r202� m

2e

p�2e

��

1

4

1C cos4.#�=2/sin4.#�=2/

C 1

8

1C cos2 #�� � 12

cos4.#�=2/sin2.#�=2/

:

(4.49)

Der erste Beitrag entspricht dem Quadrat der Amplitude des zweiten Graphen.Es ist eine sehr stark nach vorn gerichtete Verteilung (siehe Abb. 4.6), die et-wa der klassischen Rutherford-Streuung entspricht. Der zweite Beitrag entsprichtdem Quadrat der Amplitude des ersten Graphen, den wir im Abschn. 4.1.6 be-

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212 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.8 Die bei der Streu-ung eines eCe�-Paares inPhotonen beitragenden Gra-phen

t

pa(e−

)

kb (γ)

k a(γ)

pb(e+ )

pa(e−

)

ka (γ)

k b(γ)

pb(e+ )

rechnet hatten, und der letzte Beitrag entspricht der Interferenz der Amplitudenbeider Graphen. Wie in Abb. 4.6 zu sehen ist, spielen diese Beiträge nur eine ge-ringe Rolle. Das ist im Prinzip leicht verständlich. In Amplituden, in denen einvirtuelles Photon die Gesamtenergie trägt, tritt ein Propagator des Betrages j1=q2jauf, der in Vorwärtsrichtung wesentlich kleiner als der Propagator des Betrages1=jq2.1 � cos#�/j ist, der in einem Prozess mit einem ausgetauschten Photon be-nötigt wird.

Ein anderer Elektron-Positron-Prozess mit einem Teilchenaustausch ist die An-nihilation in Photonen (Photonenproduktion). Die beitragenden Feynman-Graphensind in Abb. 4.8 gezeichnet. Da die Photonen nicht unterscheidbar sind, kann jedesder beobachteten Photonen sowohl am oberen als auch am unteren Vertex produ-ziert werden. Sie führen zu dem folgenden Querschnitt (Abb. 4.6):

d�.eCe� ! ��/

d˝D r20

2� m

2e

p�2e

� Œcos4.#�=2/C sin4.#�=2/

sin2 #� C .me=jp�e j/ cos2 #� ; (4.50)

Da der Propagator eine andere Struktur hat, sind Prozesse mit Fermionenaustauschbei hohen Energien in der Regel weniger stark als Prozesse mit Bosonenaustausch.

Eine Annihilation in Photonen bestimmt den Zerfall des Elektron-Positron-Bin-dungszustands, des Positroniums, das bei der Diskussion der Quarkonia erwähntwurde. Positronia entstehen, wenn Positronen beim Materiedurchgang durch dieStreuung an Elektronen abgebremst werden und durch Photonenabstrahlung in Ge-genwart von Elektronen zur „Ruhe“ kommen. Aus der bekannten wasserstoffartigenWellenfunktion und dem obigen Wirkungsquerschnitt kann die mittlere Lebenszeitgenau berechnet werden. Der obige Prozess kommt allerdings nur für Zustände der

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4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 213

Abb. 4.9 Die bei der elas-tischen e�e�-Streuungbeitragenden Graphen

t

pa(e−

)

pb(e− )

pa(e−

)

pb(e− ) p

a (e−)

p b(e− )

pb (e−

)

p a(e− )

Ladungsparität .�1/LCS D C1 in Frage, da jedes der Photonen ein Eigenzustandder Ladungsparität mit negativem Eigenwert ist. Vor dem Zerfall wird der (L D 0)-Grundzustand erreicht. Der (S D 0 )-Zustand, der demgemäß in zwei Photonenzerfallen kann, heißt Parapositronium. Seine Lebensdauer ist 1; 25 � 10�10 s. DieZerfallszeit des Orthopositroniums, des (S D 1)-Zustands, der in drei Photonenzerfallen muss, ist 1; 39 � 10�7 s.

Bezüglich des dominanten Beitrags hat die elastische Elektron-Elektron-Streu-ung, die Møller-Streuung genannt wird, eine ähnliche Struktur wie die Elektron-Positron-Streuung. Bei ihr treten die in Abb. 4.9 dargestellten Beiträge auf, die zudem folgenden Querschnitt führen:

d�.e�e� ! e�e�/d˝

D r204� m

2e

p�2e

� Œ3C cos2.#�/ 2

sin4 #� : (4.51)

Da man die Elektronen nicht unterscheiden kann, ist der Prozess symmetrisch.Ein anderer wichtiger elastischer Prozess ist die Photon-Elektron-Streuung (die

Compton-Streuung). Es gibt zwei in Abb. 4.10 skizzierte Feynman-Beiträge, die zudem folgenden Querschnitt führen:

d�.�e! �e/

d˝D r20

2�

pŒ� 0 0

pŒ� 0

!2

pŒ� 0

pŒ� 0 0

C pŒ� 0 0

pŒ� 0

� sin2 #L

!

: (4.52)

Der Ausdruck heißt Klein-Nishina-Formel. Der Winkel und die Energien beziehensich dabei auf das Laborsystem, in dem das einlaufende Elektron ruhte. Im nichtre-lativistischen Grenzfall (pŒ� 0;L < me) wird sich die Energie des Photons nicht ändern,

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214 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.10 Die bei derelastischen e�� -Streuungbeitragenden Graphen

kb(γ)

pa (e−

)pa(e− )

kb(γ)

k b(γ)

pa (e−

)pa(e− )

kb (γ)

t

und man erhält den sogenannten Thomsonschen Streuquerschnitt

d�.�e ! �e/nichtrelativistisch

d˝D r20

2� .2 � sin2 #L/ : (4.53)

Bei der Wechselwirkung von Photonen mit Materie dominiert bei niedrigen Ener-gien der Photoeffekt, bei dem die Energie des einfallenden Photons von einemElektron, das sich im Feld eines Kerns befindet, absorbiert wird. Es folgt ein Be-reich der Compton-Streuung. Bei Photonen sehr hoher Energien dominiert danneine Wechselwirkung mit dem Kernfeld, die zur Produktion eines neuen Elektron-Positron-Paares führt.

Betrachten wir als nächstes die Streuung eines Elektrons an einem Kern. Bei derBerechnung der Amplitude benutzt man das bekannte Coulomb-Feld, wie es imFeynman-Graphen in Abb. 4.11 skizziert ist. Er führt zu folgendem Wirkungsquer-schnitt:

d�e�Kern!e�Kern

d˝D Z2r20

4� m

2e

p2e;L� 1

ˇ2 � sin4 #=2� 1 � ˇ2 � sin2.#=2/CZ˛ˇ� � sin.#=2/ � .1 � sin.#=2//

;(4.54)

wobei ˇ D pe;L=Ee;L. Derselbe Querschnitt gilt natürlich auch für beliebige anderegeladene Fermionen, solange ihre Masse klein gegenüber der Kernmasse ist undelektromagnetische Wechselwirkungen dominieren. Erwartungsgemäß ist (wie fürdie nichtrelativistische Rutherford-Streuung) der Querschnitt sehr stark nach vorngerichtet.

Typisch für einfache elektromagnetische Streuprozesse ist die inverse Abhän-gigkeit vom Teilchenimpuls. Für hochenergetische geladene Teilchen werden dahersolche Wechselwirkungen mit hohen Impulsüberträgen typischerweise erst dannauftreten, wenn die Streuteilchen ausreichend langsam geworden sind und der größ-te Teil ihrer Geschwindigkeit bereits verloren ist.

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4.1 Kurze Einführung in die Quantenelektrodynamik 215

Abb. 4.11 Der bei der Streu-ung eines Elektrons an einemschweren Kern beitragendeGraph

pa (e−

)pa(e− )

Z (fest, da schwer)

Für die Reduktion der Energie mäßig relativistischer geladener Teilchen spie-len Wechselwirkungen mit Hüllenelektronen eine zentrale Rolle. Für das Elektron(im MeV-Bereich) führt dies wegen seiner leichten Masse zu typischen „zittrigen“Teilchenbahnen.

Für den Abbau der Energie hochenergetischer Elektronen (100-MeV-Bereich)steht (unter anderen) die Bremsstrahlung zur Verfügung. Die Bremsstrahlung istein Compton-artiger Prozess, bei dem das „einlaufende“ Photon virtuell ist undaus einem statischen elektromagnetischen Feld stammt. Ein solches Feld steht inder Nähe der Kerne zur Verfügung. Bremsstrahlungsprozesse wurden im Abschnittüber Beschleuniger bereits erwähnt.

Bei hohen Energien werden oft große Impulsüberträge auftreten, und der Prozesswird in einer sehr kurzen Zeitskala ablaufen. Wegen einer Art von Unschärferela-tion werden die produzierten Photonen dabei typischerweise ein nicht verschwin-dendes Viererimpulsquadrat tragen und in ein Elektron-Positron-Paar zerfallen.

Wechselwirkungen, in denen einlaufende Elektronen oder Photonen weitereElektronen oder Photonen produzieren, führen zu einem Kaskadenprozess. Da dieGröße der Kaskade von der ursprünglichen Energie abhängt, kann das Ausmaßdes am Ende beobachteten Teilchen-„Schauers“ in einem „elektromagnetischenKalorimeter“ zur Energiebestimmung von Elektronen und Photonen verwendetwerden.

Die Wechselwirkungen von Myonen in Materie sind formal analog zur Wechsel-wirkung der Elektronen. Wegen ihrer größerenMasse ist die kinematische Situationeine andere. Das hat recht drastische Konsequenzen. Während Elektronen eine win-zige Reichweite haben – bei hohen Energien ist sie sogar geringer als für starkwechselwirkende Hadronen – können Myonen einige Meter Eisen durchdringen.Dies erlaubt eine saubere Trennung der Myonen von anderen Teilchen.

Die Prozesse der Quantenelektrodynamik sind beinahe „langweilig“, da sie ex-akt der bekannten Theorie entsprechen. Für das anomale magnetische Moment desElektrons und des Myons erreicht die Übereinstimmung ein spektakuläres Ausmaß.Das magnetische Moment ist für Bindungszustände mit spinlosen Teilchen

M D �0 �L D e

2me

�L : (4.55)

Die Konstante �0 ist das Bohrsche Magneton. Für Dirac-Teilchen kennen wirdie elektromagnetische Wechselwirkung in niedrigster Ordnung. Man kann diese

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216 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

+ + · · ·

Abb. 4.12 Korrekturen höherer Ordnung zur elektromagnetischen Wechselwirkung eines Elek-trons

Wechselwirkung in einen elektrischen und einen magnetischen Anteil aufspalten.Für das magnetische Moment erhält man dabei die Relation

M D 2�0 � S : (4.56)

Betrachtet man in der QED auch höhere Ordnungen und berücksichtigt Terme,wie sie in Abb. 4.12 gezeichnet sind, und zwar einschließlich der 8. Ordnung(!),erhält man einen Korrekturfaktor a D �tatsächlich=�0 � 1, der für das Elektron denfolgenden Wert hat:

aTheorie D 1 159 652 182 79˙ 771 � 10�14 ; (4.57)

dem der experimentell bestimmte Wert

aExperiment D 1 159 652 180 73˙ 28 � 10�14 (4.58)

mit phantastischer Genauigkeit entspricht [137, 138, 31, 139].Wie kann man magnetische Momente experimentell so genau bestimmen? Gela-

dene Teilchen bewegen sich im Magnetfeld auf einem Kreis, und ihr Impuls ändertsich daher mit der entsprechenden Kreisfrequenz. Dasselbe gilt für die magneti-schen Momente. Der glückliche Umstand ist jetzt, dass – ohne Berücksichtigungvon Beiträgen höherer Ordnung – beide Frequenzen gleich sind und sich der Spinbezüglich der Teilchenbahn deswegen nicht ändern wird. Um den Einfluss der Kor-rekturen höherer Ordnung zu bestimmen, muss man sehen, wie sich der Spin proUmlauf tatsächlich ändert. In das Verhältnis von normalem zu anomalem magne-tischem Moment geht also nur das Verhältnis der beiden beinahe gleichen Dreh-geschwindigkeiten ein, und man ist damit von der tatsächlichen Teilchenbahnlängeund von der präzisen Größe des Magnetfelds unabhängig. Die Genauigkeit wirddadurch erreicht, dass sehr viele Zyklen beobachtet werden. Einzelne Elektronenkönnen für Tage in einer geeigneten magnetischen Falle eingeschlossen und beob-achtet werden.

Eine analoge Messung existiert für Myonen: Ein Beschleuniger produziert einensekundären, geladenen Pionenstrahl. Nach einer gewissenWeglänge ist der Strahl in

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 217

Myonen zerfallen. Die schnellen Myonen in diesem Strahl werden dabei bevorzugtentgegengesetzt ihrer Flugrichtung polarisiert sein. Der so entstandene Myonen-strahl wird durch ein geeignetes Magnetfeld in eine Kreisbahn gelenkt und dortnach einiger Zeit schwach zerfallen. Beim schwachen Zerfall eines Myons kann je-weils der mittlere Spin des Myons aus der Winkelverteilung der Zerfallselektronenrekonstruiert werden, und der kleine Unterschied der Kreisfrequenzen kann daherohne zusätzliche Streuvorgänge beobachtet werden. Wegen der Zeitdilatation lebendie Myonen lange genug, um die Durchführung einer solchen Messung zu gestattenund viele Perioden ausmessen zu können. Man erhält den Korrekturfaktor

aExperiment D 1 165 920 9˙ 6 � 10�10 ; (4.59)

der dem berechneten Wert

aTheorie D 1 165 920˙ 2 � 10�9 (4.60)

immer noch mit phantastischer Genauigkeit entspricht [31, 86, 134].

4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik

Wenden wir uns jetzt der anderen Eichtheorie mit masselosen Eichteilchen zu undbeginnen mit einer Einführung in die Physik „ausreichend lokalisierter“ quanten-chromodynamischer Prozesse [140]. „Ausreichend lokalisiert“ bedeutet dabei “zu-gänglich mit perturbativen Methoden“, wie wir sie im Abschn. 4.1 kennengelernthaben. Diese einschränkende Definition ist notwendig, da die Quantenchromodyna-mik letztlich indirekt die Grundlage für alle Phänomene der Hadronen- und sogarder Kernphysik bildet. Wie eine Änderung der Lokalisierung, d. h. der relevantenImpulsüberträge, die Struktur der Wechselwirkung verändert, ist ein entscheiden-der, recht komplizierter Punkt bei der QCD.

QED undQCD sind keine endlichen, sondern nur renormierbare Theorien. In re-normierbaren Theorien treten in höheren Ordnungen unendliche Beiträge auf. Umdiese Terme zu umgehen, darf man besonders gering lokalisierte (Q2 ! 0) undbesonders stark lokalisierte (Q2 ! 1) Wechselwirkungen nicht in den Impulsin-tegrationen der Feynman-Graphen mitzählen. Natürlich hängt eine solche Prozedurvom beliebigen Wert des Abschneideparameters ab. Ohne weitere Überlegungenwären daher alle Rechnungen bedeutungslos. In „renormierbaren“ Theorien ist dieAbhängigkeit logarithmisch. Es reicht daher aus, die Größenordnung des Abschnei-deparameters festzulegen.

Betrachten wir zunächst den Abschneideparameter für geringe Lokalisierung.Er ist kein wirklich fundamentales Problem, da man in ein Gebiet außerhalb derperturbativen QCD kommt, in dem die Betrachtungen gültig sind. Da HadronenColor-Singuletts sind, hat man eine natürliche physikalische Abschneideskala.Liegt der Impuls eines Gluons unterhalb der Skala, die es erlaubt, Hadronenaufzulösen, verschwindet seine Wechselwirkung, da es nicht an Color-Singulett-

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218 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Zustände koppeln kann. In Rechnungen mit Quarks und Gluonen kann dies meistnicht explizit berücksichtigt werden, was dann besondere Überlegungen notwendigmacht.

(Das Nichtauflösen kann man am Beispiel der Wechselwirkung einer Radio-welle an einem Wasserstoffatom verstehen. Die Welle kann sowohl mit dem Kernals auch mit dem Elektron der Hülle wechselwirken, was zu den Übergangsam-plituden TŒe und TŒp führt. Da die Radiofrequenz die Bindung nicht lösen kann,wird in beiden Fällen derselbe Endzustand auftreten, und man muss deswegen bei-de Amplituden vor der Quadrierung summieren (d. h. Übergangswahrscheinlichkeit/ jTŒp C TŒe j2). Wegen der betragsgleichen, aber umgekehrten Ladungen sind dieAmplituden, abgesehen vom Vorzeichen, identisch (d. h. TŒp D �TŒe ), und derBeitrag verschwindet, wie es für die Wechselwirkung mit einem nicht aufgelöstenneutralen Objekt zu erwarten ist.)

Die Situation mit dem Abschneideparameter bei kurzen Abständen ist konzep-tuell wesentlich komplizierter. Das Ergebnis einer langen Überlegung ist, dass diebetrachtete Theorie eigentlich viel weniger fundamental ist als zunächst angenom-men. Die in Feynman-Graphen betrachteten Objekte sind nicht wirklich elementareQuarks und Gluonen, sondern effektive Quarks und Gluonen, die von virtuellenGluonenfeldern umgeben sind. Diese Gluonenfelder können bei der betrachtetenLokalisierung nicht aufgelöst werden.

Der Anteil der mitgezählten Gluonenwolke hängt von dem Grad der Lokalitätdes betrachteten Prozesses ab. Genau genommen hat man es also nicht mit einerTheorie, sondern mit vielen äquivalenten Theorien zu tun. Die „Renormierbarkeit“besagt, dass alle Theorien dieselbe Struktur haben. Je nach der betrachteten Loka-lisierung des Prozesses gibt es nur etwas größere oder kleinere Quark-Massen undnur eine etwas stärkere oder schwächere Kopplung für die Vertizes in Feynman-Graphen. Diese Abhängigkeit ist sehr schwach in der QED, sie ist jedoch im be-trachteten Bereich sehr drastisch in der QCD. In der QCD ist in allen Rechnungender Lokalisierungsgrad explizit festzulegen.

Normalerweise würde man im Grenzfall kleiner Abstände r ! 0 zu einer „wirk-lich elementaren Theorie“ kommen. Eine solche Theorie mit „nackten“, punktför-migen Teilchen existiert in der QED und der QCD nicht. Mit einer nicht verschwin-denden endlichen Wechselwirkung würde sie zu einer unbrauchbaren, effektivenTheorie mit unendlicher Wechselwirkung bei endlicher Lokalisierung führen.

Dies ist wiederum kein Problem für prinzipielle Überlegungen, die die Konsis-tenz der effektiven Theorie betreffen. Wegen der Gravitation sollten irgendwann,viele Zehnerpotenzen unter unseren augenblicklichen Betrachtungen, alle bekann-ten Theorien sowieso ungültig werden. Die Frage nach der Existenz einer solchenTheorie ist daher ohne Bedeutung.

Dass wir die in diesem Bereich zugrunde liegende Theorie nicht kennen, ist keinProblem. Die einzige Wirkung dieser Theorie für die augenblickliche Physik be-steht darin, in einem Übergangsgebiet die Massen und die Kopplungen festzulegen.Die Abhängigkeit der Massen und der Kopplungen vom Grad der Lokalisierungoberhalb dieses Übergangsgebiets folgt dann aus der Struktur der renormierbarenTheorie.

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 219

Die nichtelementare Natur der Quarks und Gluonen muss dann mit einem Ab-schneideparameter [141] berücksichtigt werden, der in den internen Wechselwir-kungen hohe Impulsüberträge, die lokalisiertere Objekte erfordern würden, verhin-dert. Sieht man von Problemen im Bereich der Abschneideparameter ab, ist einesolche („regularisierte“) Theorie mit Abschneidevorschrift im Prinzip exakt.

Bei der Anwendung der Störungstheorie besteht ein Problem, das weitere Über-legungen erfordert. Betrachtet man Feynman-Graphen mit inneren Gluonen tretentypischerweise Terme der Form

ln.Impulse2=.Abschneideparameter/2/

auf. Das Auftreten solcher großer kinematischer Koeffizienten verhindert eine defi-nierte, ausreichend konvergente Entwicklung in der Kopplungskonstante.

Zur Lösung des Problems wählt man eine für den betrachteten Prozess typischeSkala q2 und spaltet die Beiträge in der folgenden Weise auf:

ln.Impulse2=q2/C ln.q2=.Abschneideparameter/2/ :

Bei der Summation über alle beitragenden Feynman-Graphen können die Beiträgevom zweiten Term absepariert werden und durch eine Redefinition („Renormie-rung“) der Kopplungen und der Massen berücksichtigt werden. Ohne diese großenlogarithmischen Terme kann dann die Konvergenz der Störungsrechnung erreichtwerden. Mit dem Abspaltungsformalismus hat man auch eine Möglichkeit gefun-den, die Lokalisierung in der betrachteten Theorie zu ändern, ohne sich um denAbschneideparameter kümmern zu müssen.

ln.Impulse2=q21/ D ln.Impulse2=q22/C ln.q22==q21/ :

Betrachtungen in niedriger Ordnung gelten mit der höchsten Genauigkeit, wennman die Skala der Theorie in der Größenordnung der tatsächlich auftretenden Im-pulsüberträge wählt. Für Rechnungen braucht man daher die Konstanten der Theo-rie in Abhängigkeit von der Skala. Meist braucht man die Abhängigkeit von denMassen nicht zu berücksichtigen, da die Massen meist klein sind und oft sogarvöllig vernachlässigt werden können. Für die Kopplungskonstante oder, genauergesagt, die Größe ˛QCD D g2QCD=4� , die der Feinstrukturkonstanten in der QEDentspricht, hat diese Lokalisierungs- oder „Skalenabhängigkeit“ in erster Ordnungin der Störungstheorie die Form

˛QCD.q2/ D 12 � �

.33 � 2 �Nf / ln.q2=�2/ ; (4.61)

wobei q2 die Lokalisierung der Wechselwirkung in der oben definierten Weise an-gibt und der Parameter � � 0; 2GeV experimentell bestimmt wurde. Nf ist dieZahl der im betrachteten Bereich beitragenden Quark-Flavors.

Betrachten wir die oben besprochenen Grenzwerte. Die Tatsache, dass die Kopp-lung für q2 ! 1 verschwindet, wird als asymptotische Freiheit bezeichnet. Sie

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220 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

besagt, dass sich die lokalisierte Theorie, die hier betrachtet wird, wie die QEDdurch Störungstheorie freier Teilchen behandeln lässt.

Nach dieser Formel wird für q2 D �2 die Kopplung unendlich groß. Eigentlichwird die obige Formel (die aus der Störungstheorie gewonnen wurde) schon vor-her ihre Gültigkeit verlieren, und das Verhalten der Kopplungskonstante in diesemBereich ist nicht bekannt. Wird die Kopplung mit abnehmender Lokalisierung un-endlich groß, muss auch das Quark-Antiquark-Potenzial mit wachsendem Abstandunendlich groß werden. Der Weg, diese Probleme zu vermeiden, besteht darin, dieQuarks in Color-Singuletts zusammen („gefangen“, englisch „confined“) zu halten,so dass im Bereich großer Abstände keine Kopplungen an einzelne Quarks vorkom-men. Diese Untrennbarkeit bezeichnet man als infrarote Sklaverei.

In Experimenten beobachtet man natürlich immer Hadronen, also nicht lokali-sierte Quarks. Eine typische Situation mit einem Gebiet, in dem die lokalisierteQCD anwendbar ist, war in Abb. 3.52 skizziert.

Wie kann man solche Prozesse in lokalisierter QCD experimentell beobachten?Warum ist es möglich, partonische Prozesse in hadronischen Reaktionen zu finden?Man benutzt zwei halb empirische, halb theoretische Hypothesen, die besagen,� dass jeder Partonenzustand sich mit der Wahrscheinlichkeit 1 in Hadronen ver-

wandeln kann und� dass in den „weichen“ hadronischenWechselwirkungen nicht rapide größere Im-

pulse zwischen verschiedenen Partonen übertragen werden. Nur Hadronen, diein die ursprüngliche Richtung der harten Partonen fliegen, können diese enthal-ten oder größere Teile ihres Impulses abbekommen.

Partonen, die aus lokalisierten partonischen Prozessen hervorgehen, tragen typi-scherweise große Transversalimpulse. Ihre hadronischen Produkte sind daher meistvon den normalen Hadronen zu unterscheiden und einzelnen Partonen zuzuord-nen. Zusammen werden die Hadronen, die aus einem solchen Parton hervorge-hen, Jet genannt. Mit einer gewissen Unsicherheit kann durch Aufsummation vonHadronen eines solchen Jets der ursprüngliche Partonenimpuls rekonstruiert wer-den.

Je höher die Impulse der Jets sind desto geringer sind die Unsicherheiten beider Zuordnung von Hadronenimpulsen zu Jets, und desto genauer kann der Par-tonquerschnitt bestimmt werden. Bei niedrigen Energien muss man sich bei derBestimmung der ursprünglichen Partonenimpulse auf explizite Modelle der Ha-dronisation der Partonen verlassen und aufwändige Monte-Carlo-Rechnungen zurSimulation der Prozesse durchführen. Im Abschn. 3.2.3 über Vielteilchenprodukti-on hatten wir spezifische Vorstellungen über die Produktion von Teilchen in solchenJets kennengelernt.

4.2.1 Die Farbstruktur der Quantenchromodynamik

Wie wir im vorigen Abschnitt gesehen hatten, ist die QCD analog zur QED eineEichtheorie, die auf einer Symmetrietransformation aufgebaut ist. Für die QCD istdie relevante Symmetrie die Struktur des SU .3/-Farbraums. Die Feldquanten der

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 221

Abb. 4.13 Die Elementeeines „Farblinien“-Graphen

Quark =

Gluon = − 13

Gluon = 12 gs + 1

2 gs

Quark

a

c

b

QCD, d. h. die Gluonen, vermitteln, wenn sie an Quarks oder Antiquarks koppeln,eine Drehung von deren Farbzustand (als Operator im Farbraum).

Wir hatten im hadronischen Teil die Äquivalenz zwischen einer Vertauschungs-symmetrie von Konstituenten, die geeignet in den Raum quantenmechanischer Zu-stände eingebettet ist, und einer entsprechenden Lie-Gruppenstruktur kennenge-lernt. Man kann diesen Prozess umdrehen und die Farbstruktur durch imaginäreFarbteilchen in einer sehr einsichtigen Weise beschreiben. Dieser Trick erlaubt es,einige wesentliche Eigenschaften der Theorie zu verstehen.

In diesem Farbteilchenbild existieren rote, grüne und blaue Quarks als se-parate Objekte, deren Wege völlig analog zu den üblichen Quark-Flavor-Linienim Zeit-Raum-Diagramm durch eine vorwärts gerichtete Farblinie gezeichnetwerden können, wie in Abb. 4.13a dargestellt ist. Für die Antiquarks mit denentsprechenden Antifarben läuft dann die Farblinie rückwärts. Da Gluonen anQuarks koppeln und deren Farbe ändern, müssen sie aus einer vorwärts gerichte-ten Farblinie und einer rückwärts gerichteten Farblinie bestehen, wie es im erstenSummanden in Abb. 4.13b gezeichnet ist. Der zweite Summand wird gleich er-klärt. Da Farblinien keine dynamischen Eigenschaften tragen, werden beide inAbb. 4.13c dargestellten Kopplungsmöglichkeiten mit gleichen Gewichten vertre-ten sein.

Zu jedem Feynman-Graphen können wir also einen Farbliniengraphen zeich-nen [133]. Bei einer Produktion von Farblinien muss über alle möglichen Farb-belegungen summiert werden. Der ursprüngliche Feynman-Graph erhält auf die-se Weise einen Farbfaktor, der je nach Belegungsspielraum größer oder kleinerist.

(Betrachten wir die Situation in gruppentheoretischen Notationen. Die Quarkssind Zustände eines SU .3/-Tripletts und die Antiquarks eines SU .3/ -Antitripletts.Man weiß aus der Gruppentheorie, dass ein Triplett und ein Antitriplett zusammen,

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222 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

wie sie in einer Kopplung auftreten, einen Oktett- und einen Singulett-Zustand bil-den können:

.3/ .N3/ D .1/C .8/ : (4.62)

Sie können daher prinzipiell sowohl an ein Singulett als auch an ein Oktett koppeln.Die Kopplung an ein Farb-Singulett findet in der QED statt. Da die Gluonen Dre-hungen im Farbraum vermitteln müssen, kommt für sie der Singulett-Zustand nichtin Frage, und es verbleibt nur der Oktett-Zustand. Um den Farbzustand von Quarksändern (drehen) zu können, müssen sie natürlich selber Farbquantenzahlen tragen,wie sie in den Oktettzuständen auftreten.

Um die Farbstruktur-Abhängigkeit von Feynman-Amplituden zu berechnen, be-trachtet man – in Analogie zur Drehgruppe oder zur SU .2/ mit ihren Pauli-Spino-ren, ihren Pauli-Matrizen und ihrem Faktor �ijk – in der SU .3/-Gruppe Zuständein einem dreidimensionalen Farbraum, Quark-Gluon-Vertizes mit tabellierten Gell-Mann-Matrizen und Gluon-Gluon-Vertizes mit tabellierten Strukturkonstanten.)

Im Gegensatz zum Photon müssen, wie gesagt, Gluonen mit Farbänderungenverbunden sein. Bei den beiden Gluon-Farblinien gibt es eine Komponente, die dieFarben nicht ändert und die eigentlich nichts beitragen sollte. Diese Singulett-Kom-ponente muss daher abgezogen werden. Dies geschieht mit dem rechten Term inAbb. 4.13b, so dass das Gluon der dargestellten Differenz entspricht.

Die in diesem Bild rechts dargestellte Schleife zeigt einen Prozess, bei demsich der anfängliche Farb-Antifarb-Zustand vernichtet und ein neuer Zustand mitbeliebiger Farbe gebildet wird. Die Schleife wirkt als Projektionsoperator auf dieSingulett-Farbbelegung. Es gibt keinen Beitrag zu einem Prozess mit einem Nicht-Singulett-Zustand. Beginnt der Prozess unten mit einem Singulett-Zustand, hört eroben mit demselben Zustand auf.

Um dies explizit zu zeigen, betrachten wir der Einfachheit halber nur farbneu-trale Zustände. Offensichtlich kann es für nicht farbneutrale Zustände zu keinemBeitrag mit dem Schleifenterm kommen. Es gibt drei linear unabhängige farbneu-trale Zustände

fr Nr; g Ng; b Nbg ; (4.63)

die sich mit der folgenden orthogonalen Basis beschreiben lassen:

(r

1

3.r Nr C b Nb C g Ng/;

r

1

2.r Nr � g Ng/;

r

1

4.r Nr C g Ng � 2b Nb/

)

: (4.64)

Für die Vernichtungsschleife in der Abb. 4.13b liefert offensichtlich jeder untenhereinkommende Farb-Antifarb-Zustand einen Beitrag. Entspricht der Farbanfangs-zustand der zweiten oder der dritten Kombination, ergibt sich wegen des unter-schiedlichen Vorzeichens null. Der erste, völlig symmetrische Zustand

p

1=3.r Nr Cb NbCg Ng/ entspricht dem Farb-Singulett-Zustand. Für ihn treten drei Beiträge jeweilsmit dem Gewicht .1=3/ � .1=p3/ auf. Summiert man über alle Farbzustände bei derproduzierten Farblinie, ergibt sich oben wieder der richtig normalisierte Farb-Sin-gulett-Zustand.

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 223

q q 3q

×3 ×3 ×3

gs gs

12gs

12gs

)− 13(

=)(=

9−12·3 g2s

Abb. 4.14 Eine Ein-Gluon-Korrektur zum eCe�-Prozess

In dieser Überlegung haben wir zwei Bedingungen ignoriert. Wir wissen, dassTeilchen Farb-Singuletts (d. h. invariant unter Vertauschung von Farben) sind unddass, da es keine freien Quarks gibt, am Ende des Streuprozesses farblose Teilchenzu produzieren sind. Welche Einschränkung folgt daraus für den hier betrachtetenlokalisierten Streuprozess?

Es gibt keine Einschränkungen. Da die Wechselwirkung mit einlaufenden Ha-dronen oder Leptonen beginnt, ist der Endzustand automatisch ein Color-Singulett.Dies gilt natürlich auch für den Teil des Endzustands, der übrig bleibt, wenn schonbeliebig viele Color-Singuletts als Teilchen emittiert wurden.

Farbliniengraphen sind nützlich, um die SU .3/-Faktoren in einfachen Feynman-Graphen zu verstehen. Betrachten wir zwei Beispiele.1. Im Farblinienbild sieht man sofort, dass in dem Prozess

eCe� ! q Nq (4.65)

für q D u; d; s; � � � jeweils drei unabhängige Farbbeiträge auftreten. Wir hattenargumentiert, dass man die Hadronisierung weglassen kann. Da dann rechts undlinks identische Farben produziert werden müssen, gibt es nur einmal die Aus-wahl von drei Farben. (Warum wird dieses einfache Bild mit Endzuständen ausfarbigen Quarks nicht durch die erforderliche Hadronisation in Farb-Singulettszerstört? Offensichtlich müssen die Farben der Quarks in der Amplitude und derkonjugierten Amplitude nicht identisch sein. Die Lösung ist, dass die Hadroni-sation bezüglich der Farbstruktur durch einen Projektionsoperator (Abb. 4.13b:negativer Beitrag) dargestellt werden kann, der für Farb-Singuletts keine Wir-kung hat.)

2. Im nächst einfacheren eCe�-Prozess wird als drittes Parton ein Gluon ausge-tauscht, wie es in Abb. 4.14 dargestellt ist. Berechnen wir die Farbfaktorendes Feynman-Graphen und beginnen wir mit den Quark-Gluon-Vertizes. Da dieFarblinie nicht in die Antifarblinie münden kann, verliert man ohne Beschrän-kung der Allgemeinheit am oberen Vertex entweder den gekreuzten oder denungekreuzten Beitrag, d. h. man erhält insgesamt einen Faktor 2 � .1=2/2 D 1=2.Vom positiven Term des Gluons erhält man 3 � 3 D 9 verschiedene Farbbele-gungsmöglichkeiten und vom �1=3 zählenden Term 3 Beiträge. Der Farbfaktorist damit .9� 1/=2, wobei ein Faktor 3 mit dem Photonvertex verbunden ist undder Faktor .9 � 1/=.2 � 3/ dem ausgetauschten Gluon zugeordnet wird.

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224 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.15 Die Selbstwech-selwirkung der Gluonen

gs g2s

Bei komplizierteren Strukturen wird die Zahl der zu berücksichtigenden Farb-linien umfangreicher, und die intuitive Methode, die Farbfaktoren auszurechnen,wird dann oft unpraktisch.

Ein wichtiger Unterschied zwischen QED und QCD tritt in den betrachtetenGraphen nicht auf. Wie oft gesagt, tragen die Gluonen im Gegensatz zu den la-dungslosen Photonen der QED selbst eine Farbquantenzahl. In Prozessen höhererOrdnung muss damit auch eine Wechselwirkung zwischen Gluonen selbst berück-sichtigt werden. In Feynman-Graphen gibt es zwei Beiträge. Es gibt einen Vertexmit drei Gluonen, wie er in Abb. 4.15 links dargestellt ist, und einen mit vier Gluo-nen, wie er in Abb. 4.15 rechts zu sehen ist. Die Existenz dieser Terme ist notwendigin der Eichtheorie, und zwar, abgesehen von Farbfaktoren, mit derselben Kopplung,wie sie in der Quark-Gluon-Kopplung auftritt, bzw. im zweiten Fall mit deren Qua-drat.

4.2.2 Die Annihilation von eCe� zu Quarks

Die Annihilation von eCe� zu Quarks ist ein besonders einfacher Prozess. DasPhoton hat nach der Heisenbergschen Unschärferelation eine Ausdehnung, die demInversen von q2, d. h. dem Quadrat der Gesamtenergie, entspricht. Die QCD-Kopp-lung ist damit im Bereich der eigentlichen q Nq-Produktion ausreichend schwach, umeine Anwendung der Störungstheorie zu erlauben. Analog zum Prozess eCe� !�C�� wird in nullter Ordnung der QCD und niedrigster Ordnung der QED einq Nq-Paar erzeugt.

Die Ähnlichkeit zur Myonenproduktion macht es sinnvoll, anstelle des Wir-kungsquerschnitts das Verhältnis

R.s/ D �.eCe� ! Hadronen/

�.eCe� ! �C��/(4.66)

zu betrachten. Es muss offensichtlich einfach der Zahl der beitragenden Prozesseentsprechen, und zwar gewichtet mit ihrer Kopplung zum Photon, d. h. mit demQuadrat ihrer Ladung. Je nach Energiebereich können verschieden viele der schwe-ren Quarks beitragen. Um den Beitrag bei einer vorgegebenen Energie zu berech-nen, müssen wir die Ladungsquadrate aufaddieren und wegen der Farben mit 3multiplizieren. So erhält man theoretisch für die verschiedenen Energiebereiche diein Tab. 4.1 angegebenen Werte.

Was ergibt ein Vergleich mit den Experimenten? Betrachten wir dazu die Da-ten in Abb. 4.16. Wie es von der relativ leichten Strange-Quark-Masse zu erwarten

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 225

Tab. 4.1 Relative Größe deseCe�-Wirkungsquerschnitts

mit ud -Quarks: R D 3.4=9 C 1=9/ D 1; N6mit uds-Quarks: R D 3.4=9C 2 � 1=9/ D 2; 0

mit udsc-Quarks: R D 3.2 � 4=9C 2 � 1=9/ D 3; N3mit udscb-Quarks: R D 3.2 � 4=9C 3 � 1=9/ D 3; N6mit udscbt -Quarks: R D 3.3 � 4=9C 3 � 1=9/ D 5; 0

ist, gibt es kein ausgeprägtes ud -Gebiet. Abgesehen von kleinen Beiträgen höhe-rer Ordnung (die grünen und die roten (bzw. die grauen) Linien berücksichtigenKorrekturen), entsprichtR genau den drei vorhergesagten Stufen. DieZ-Resonanz-gebiet wird uns in Kap. 5 interessieren. Das Gebiet, in dem die t Nt -Produktion zuberücksichtigen ist, liegt bei höheren Energien.

Die Relation gilt erstaunlich gut, selbst bei niedrigen Energien in einem Gebiet,in dem Resonanzen nicht vernachlässigt werden können und in dem die wesentlicheAnnahme, dass der harte Streuquerschnitt nicht davon abhängt, wie sich die produ-zierten Quarks in einer weichen Wechselwirkung zu Hadronen entwickeln können,nicht mehr gültig sein kann. Wie in der hadronischen Physik gilt eine semilokaleDualität: Mittelt man über die Resonanzbeiträge, entspricht die Größe des Mittel-werts gerade dem darauf folgenden Kontinuum.

Dazu gibt es dann kleine Korrekturen durch den Beitrag mit Gluonen, die ent-weder ausgetauscht oder produziert werden. (Der Farbfaktor eines solchen Beitragswurde in Abschn. 4.2.1 berechnet.) Bei höheren Energien verändern solche Kor-rekturen den Wirkungsquerschnitt um etwa 6%, und sie führen einen neuen Typvon Endzustand ein (Abb. 4.17). Im Abschn. 3.2.3 hatten wir gesehen, dass zwi-schen 20GeV und 30GeV solche Quark-Antiquark-Gluon-Beiträge sichtbar wer-den. Aus den beobachteten Jets kann man mit gewissen systematischen Fehlern dieKinematik der harten Streuung rekonstruieren. Die Winkelverteilung entspricht den

Abb. 4.16 Die Energieabhängigkeit der relativen Größe des Hadronisationsquerschnitts. R D�.eCe� ! Hadronen/=�.eCe� ! �C��/ © 2012 American Physical Society [31])

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226 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.17 Ein Drei-Jet-Ereignis in der eCe�-Ver-nichtung (© Wu 11984 [122])

Erwartungen, und etwas simple Alternativen mit spinlosen Gluonen können ausge-schlossen werden. Die benötigte QCD-Kopplungskonstante ist in dem betrachtetenBereich etwa

˛QCD D 0;14 (4.67)

und es ist�QCD D 0;2GeV (4.68)

mit beträchtlichen systematischen Unsicherheiten [122].Bei einer Energie von etwa 40GeV wird eine Korrektur wegen der schwachen

Wechselwirkung sichtbar. Anstelle des Photons kann ein schwaches Vektorboson(ein “schweres Photon“) auftreten. Bei hohen Energien wird dieser Beitrag, der inKap. 5 besprochen wird, das Bild deutlich verändern. Die Situation für die Quark-Produktion ist analog der Annihilation in Myonen.

4.2.3 Tiefinelastische Streuung

Ein anderer Prozess, bei dem die Lokalisierung durch einen leptonischen Anteilgarantiert wird, ist die tiefinelastische Streuung von Leptonen an Protonen. Siewar und ist besonders aufschlussreich für die Partonenstruktur der Hadronen. Vielewichtige frühen Ergebnisse kamen von Synchrotron-Experimenten mit ruhendemTarget. Die höchste Energie für solche Prozesse wurde am Speicherring HERA inHamburg erreicht.

Eine schematische Darstellung des Prozesses ist in Abb. 4.18 gezeichnet. Be-trachten wir zunächst die kinematische Situation etwas genauer. Die Definitionender relevanten kinematischen Variablen sind in Abb. 4.19 gegeben. Ein Elektronwird um den Winkel # aus dem Impuls k in den Impuls k0 gestreut. Dabei überträgtdas Photon den Impuls q D k � k0 auf das ohne Beschränkung der Allgemeinheitruhende Proton mit dem Impuls p D .m; 0; 0; 0/ zu dem Impuls p0. Bei der Photon-

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 227

Abb. 4.18 Schema der tief-inelastischen Streuung

Abb. 4.19 KinematischeDefinitionen zur tiefin-elastischen Streuung

Proton-Streuung steht daher die Masse

W Dp

.p C q/2 (4.69)

zur Verfügung. Die Lokalisierung des Photons ist durch

Q2 D �q2 D .k � k0/2 D 4k0k00 sin.#=2/ (4.70)

bestimmt, und seine Energie im Ruhesystem des Protons ist, abgesehen von derkonstanten Protonenmasse, durch

� D q � p D mp � .k0 � k00/ (4.71)

gegeben. Offensichtlich verbleiben damit für die eigentliche hadronische Streuungzwei unabhängige Variablen. Oft benutzt manQ2 und �.

Um eine ausreichende Lokalisierung festzulegen, beobachtet man Wechselwir-kungen, in denen das Lepton in einen größerenWinkel (d. h. tiefinelastisch) gestreutwird. Bei niedrigen Q2 -Werten würde sich das Photon wie ein Meson (Vektor-mesondominanz) verhalten, und man hätte eine Art von weicher Meson-Proton-Streuung.

Betrachten wir nun den Prozess etwas genauer. In Abschn. 4.1.6 hatten wir denProzess eCe� ! �C�� berechnet. Wenn wir andere Impulse einsetzen, könnenwir zum gekreuzten Prozess ��e� ! ��e� gelangen, der der Lepton-Parton-Streuung entspricht (� $ Parton). Wir hatten in unserer Rechnung eine Fakto-risierung in zwei Terme gefunden, die jeweils nur von einem der beiden Fermionenabhingen. Dazu kam ein Beitrag von den Photonpropagatoren.Analoges gilt für denpartonischen Prozess. Das Quadrat der Amplitude faktorisiert in einen leptonischenTeil L�� sowie zwei Photon-Propagatoren

g�=q2 und g��=q2

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228 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

und einen hadronischen Teil W�. Der leptonische Vertex entspricht unserer Be-rechnung (siehe (4.41), dritte Zeile (wobei m D 0, �pa0 D k, pb0 D k0 und2kk0 D �q2):

L�� D 2�

k�k0� C k0

�k� C g��1

2q2�

: (4.72)

Über die Leptonenspins wurde gemittelt bzw. summiert, und die Leptonenmassenwurden vernachlässigt.

Die unbekannte Struktur des Protons kompliziert das Auffinden des hadroni-schen Teils. Aus allgemeinen Symmetriebetrachtungen kann man die Struktur die-ses Vertex stark einschränken; für einen Prozess mit Photonenaustausch muss er diefolgende Form haben:

W�� D�

�g�� C q�q�

q2

�W1C"

1

m2p

p� � .p � q/q�q2

��

p� � .p � q/q�q2

#

�W2 :

(4.73)Aus der Stromerhaltung folgt q�W�� D W��q

� D 0, und der Projektionsoperator

P�� D g�� � q�q�=q2

ist daher ohneWirkung, wenn er von links und rechts aufW�� angewendet wird. Dermit den verfügbaren Viererimpulsen (ohne Paritätsverletzung) allgemeinste Aus-druck [142]

QW�0�0 D �W1g�0�0 CW2p�0p�0=p2 CW3p�0q�0 CW4q�0p�0 CW5q�0q�0

ergibt, umgeben vom Projektionsoperator

W�� D P�0

�QW�0�0P �0

� ;

den obigen Ausdruck.Die dimensionslosen FunktionenW1 undW2 heißen Strukturfunktionen. Verbin-

det man die obigen Terme und integriert über alle nicht interessierenden Variablen,erhält man die folgende Relation:

d2�

dk00d˝Lab:

D ˛2

4k20 sin4.#=2/

��

W2 � cos2 �2C 2W1 � sin2 �

2

: (4.74)

Wie man sieht, können die Strukturfunktionen aus der Energie und der Winkelab-hängigkeit der Elektronen bestimmt werden.

Was die tiefinelastische Streuung besonders interessant macht, ist, dass sie direk-te Informationen über die Struktur der Hadronen, d. h. über die Partonenverteilungin den Hadronen, liefert.

Eine zentrale Annahme ist dabei, dass die Partonen des Protons keinen signi-fikanten Transversalimpuls tragen. Für die Verteilung der Partonen im Proton ist

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 229

die Lokalisierung des Streuvorgangs, in dem die Partonen wechselwirken, und des-sen Lorentz-System wichtig. In hier betrachteten Systemen besteht das Proton aussich schnell bewegenden Partonen. Bei Energien, bei denen diese Bewegung ausrei-chend schnell gegenüber der thermischen Bewegung der Partonen in den Hadronenist, ist es sicher eine gute Approximation, die Transversalimpulse der Partonen zuvernachlässigen.

Warum die Bestimmung des einfallenden Impulses dann möglich ist, ist dannleicht zu verstehen. Das Elektron wird in die transversale Richtung gestreut. Voneiner Lorentz-Transformation in longitudinale Richtung wird daher das einfallendeElektron stärker verändert als das gestreute. Man kann daher ein System finden, indem beide den gleichen Impulsbetrag haben. Kommt die Streuung durch ein Partonzustande, muss dies das Massenmittelpunktsystem des Elektrons und des Partonssein. Der Impuls des einfallenden Partons ist damit vollständig bestimmt. Es hatden umgekehrten Impuls des einfallenden Elektrons.

Betrachten wir dies quantitativ. Definieren wir zunächst den Bruchteil des Ge-samtimpulses des gestreuten i -ten Partons

pi D xi � p (4.75)

und analog zu oben�i D q � pi D xi � � : (4.76)

In der betrachteten Approximation haben die Partonen vor und nach der Streuungin Relation zuQ2 und � eine verschwindende Masse, d. h.

p2i D 0 und p0i2 D 0 ; (4.77)

wobei p0i D pi C q der Partonenimpuls nach dem Streuprozess ist. Die Ausmulti-

plikation von p0i2 ergibt

q2 C 2�i D 0 : (4.78)

Der Impulsanteil des zum Streuprozess beitragenden Partons ist daher

xi D jq2j2�

(4.79)

und damit direkt bestimmbar. Um das Absolutzeichen zu sparen, definiert manQ2 D �q2.

Nachdem Q2-Werte erreicht sind, die eine Auflösung der Partonenstruktur er-möglichen, wird sich die Partonenverteilung nur noch sehr langsam ändern. Be-trachten wir zunächst eine idealisierte Situation ohne solche Änderungen. Ein Ha-dron betseht dann aus einer statistisch verteilten Anzahl von Partonen, die jeweilseinen gewissen Anteil des Hadronenimpulses tragen. Die Strukturfunktionen solltendann nur von der Wahrscheinlichkeit, ein geeignetes Parton mit den Impulsanteil xzu finden, abhängen. Es sollte keine separate Abhängigkeit vonQ2 und � bestehen.Diese Beobachtung findet sich in der Tat in den Daten, wie es in Abb. 4.20 zu sehen

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230 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

0.5 1.0 x

4

3

2

1

0

p12 W

0.5 1.0 x

0.2

0.3

0.4

0.1

0.0

W / Mp 22 p

Abb. 4.20 Das Bjorkensche Skalenverhalten (adaptiert nach Lohrmann [86])

ist. Die Messungen oberhalb vonQ2 > 2GeV undW D 2� �Q2 > 2GeV liegenin den rot (bzw, schwarz) markierten Gebieten. Man bezeichnet dies als „Bjorkenscaling“ [143].

Im Quark-Bild muss sich diese Abängigkeit der Funktion W�� aus L�� und derQuark-Verteilung in der folgenden Weise ergeben:

W�� D L��.xp/ �X

i

Q2i qi .x/ �

1

2Q2; (4.80)

wobei qi .x/ die Verteilung des i -ten Quarks ist und Qi dessen Ladung. 1=2Q2

ist ein Jacobi-Faktor. Vergleicht man diese Gleichung mit dem Ausdruck für W��

durch Strukturfunktionen, erhält man nach kurzer Rechnung

W1.Q2; �/ D 1

2m

X

i

Q2i qi .x/ ; (4.81)

mHadron�W2.Q

2; �/ D 2x �W1.Q2; �/ : (4.82)

Die letzte Gleichung, die die Strukturfunktionen in Relation setzt, wird Callan-Gross-Relation [144] genannt. Sie hängt vom Spin des streuenden Partons ab. In-nerhalb der Messgenauigkeit ist sie experimentell bestätigt.

Das Bjorkensche Skalenverhalten gilt nur näherungsweise. Vor allen bei sehrhohen Energien werden neben dem betrachteten Prozess Prozesse höherer Ordnungeine Rolle spielen. Dies führt zu einer langsamen Änderung, wie sie in Abb. 4.21skizziert ist.

Ein Quark kann kurzzeitig in ein Quark und ein Gluon übergehen, ein Gluon inein Quark und ein Antiquark ect. Mit wachsender Virtualität (Q2 ! 1) werdenmehr und mehr von diesen kurzzeitigen Objekten gesehen. Im Bereich großer Q2-Werte ist dieseQ2

0-Abhängigkeit der Partonenverteilungen aus der Störungstheorieexakt zu berechnen.

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 231

Abb. 4.21 Die Skalenabhängigkeit des Protons

Abb. 4.22 Die Verletzung der Skalenunabhängigkeit der StrukturfunktionW2 (© 2012 AmericanPhysical Society, [31])

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232 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.23 Die Quark- unddie Antiquark-Verteilungeines Protons (© 2012 Ame-rican Physical Society, [31])

Heute existieren sehr präzise Daten, die es erlauben, die in Abb. 4.20 mar-kierten Gebiete genauer zu betrachten. Der Elektron-Proton-Speicherring HERAin Hamburg hat den Bereich der zugänglichen x-Werte drastisch erweitert (x 10�3). (Damit man Partonen sehen kann, muss Q2 einige GeV2 überschreiten. Ge-mäß (4.79) erfordern kleine x-Werte daher eine hohe Energie.)

Die Strukturfunktion ist in Abb. 4.22 in ihrer Abhängigkeit von Q2 dargestellt.Vor allem für kleine x Werte ist das Bjorkensche Skalenverhalten deutlich verletzt.Mit der Vorgabe geeigneter Strukturfunktionen für kleine Q2-Werte entsprechendie Daten dem Stand der Technik der entsprechenden QCD-Rechnungen.

Mit wachsender Virtualität wird wegen der Aufspaltung die Dichte der Partonenim Bereich x � 1 abnehmen und im Bereich kleiner x-Werte zunehmen. Da Gluo-nen in Quark-Antiquark-Paare übergehen können, gestatten die Daten es indirekt,die Verteilung der Gluonen im Proton zu bestimmen.

Um den Abschnitt mit den Strukturfunktionen abzuschließen, sei noch erwähnt,dass es einen analogen Beitrag gibt, in dem das Photon durch eines der schwachenVektorbosonen ersetzt ist. Diese schwachen Vektorbosonen werden wir im nächstenKapitel kennen lernen. Für die Strukturfunktionen hat dieser Beitrag einen wichti-gen Vorteil. Beim Vergleich geeigneter Prozesse kann durch die Analyse solcherBeiträge zwischen verschiedenen Quarks und Antiquarks unterschieden werden.Das Ergebnis ist in Abb. 4.23 dargestellt. Die Antiquarks kommen im Proton (undNeutron) nur im „See“ vor. Unter der Annahme, dass die Quark- und die Antiquark-

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 233

Abb. 4.24 Das Schema derDrell-Yan-Streuung

Verteilung im See identisch sind, kann man die Verteilung der einzelnen Valenz-und See-Quarks direkt isolieren. Dazu existieren Korrekturen.

Bei sehr hoher Virtualität (vor allem in Streuungen an schweren Kernen) solltendie Partonen so dicht gepackt sein, dass sie sich gegenseitig stören. Ein “Sättigungs-gebiet“ sollte erreicht werden, in dem sich die Dichte nicht mehr ändert. Aus derStärke der Störung wird man Rückschlüsse darüber erhalten, wie gleichmäßig diePartonen räumlich im Proton verteilt sind [145].

4.2.4 Drell-Yan-Streuung

Ein dritter Prozess, in dem Leptonen eine ausreichend hohe Lokalisierung festle-gen, ist die Produktion eines massiven Lepton-Antilepton-Paares. Dieser Prozessheißt Drell-Yan-Prozess [146]. Der harte Prozess ist genau umgekehrt wie in dereCe�-Annihilation; ein Quark und ein Antiquark annihilieren sich und produzierenz. B. ein eCe�-Paar oder ein �C��-Paar, wie es in Abb. 4.24 zu sehen ist. Wie imAnnihilationsprozess hat man nur garantiert lokalisierte Beiträge.

Experimentell ist es nicht ganz einfach, Leptonen in Vielteilchen-Endzustän-den zu identifizieren. Das Prinzip der Identifikation hatten wir im Abschn. 4.1.7kennen gelernt. In der Regel werden Elektronen schneller ihre Energie verlierenals Pionen, sie können daher schon im „elektromagnetischen Kalorimeter“ be-obachtet werden, während Pionen erst dahinter im „hadronischen Kalorimeter“nachzuweisen sind. Im Kalorimeter wird die ursprüngliche Energie der Teilchendurch einen Kaskadenprozess in einen „Teilchenschauer“ (d. h. irgendwann einmalin „Wärme“, lateinisch „calor“) umgewandelt. Aus der Teilchenzahl im Schauerlässt sich bei wachsender Teilchenenergie mit zunehmender relativer Genauigkeitdie Energie des ursprünglichen Teilchens bestimmen; die Eindringtiefe ermög-licht eine Unterscheidung der Teilchenart. Das liefert oft befriedigende Resultate.Untersucht man sehr seltene leptonische Prozesse, können, da es sehr viele Pio-nen gibt, statistische Fluktuationen Schwierigkeiten machen. Eine gewisse Hilfebietet die Tatsache, dass Elektronen meist recht isoliert und Pionen in Jets auftre-ten.

Die Separation ist im Prinzip einfacher bei Myonen. Myonen unterscheiden sichvon den Elektronen und den Hadronen dadurch, dass sie vom gesamten Apparateinschließlich der Magnete nicht gestoppt werden. Bei Myonen ist es jedoch relativschwierig, ihre Energie genau zu bestimmen. Das die restlichen Teilchen absorbie-rende Eisen ist nicht ohne Einfluss auf die Myonenenergie.

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234 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.25 Ein Skalengesetzin der Leptonmassenver-teilung bei der Drell-Yan-Streuung (© Kourkoumelis,1984 [147])

Abb. 4.26 Die Leptonmas-senverteilung in der Drell-Yan-Streuung am LHC-Be-schleuniger (© Chatrchyan2011, [148])

In niedrigster Ordnung der Störungsrechnung hat der Streuquerschnitt die fol-gende Form:

d�.pp! l C l C X/dQ2

/X

i;j

Z

dxidxjqi .xi /qj�

xj� d O�.qi C qj ! l C l CX/

dQ2:

(4.83)Dabei bedeutet X beliebige Teilchen, O� ist der Streuquerschnitt auf der Ebeneder Partonen, und Partonenverteilungsfunktionen qi .xi / werden hier zweimal ge-braucht.

Da alles nur von Energiefraktionen abhängt, kann man � D Q2=s definieren.p

Q2 entspricht der Masse des Leptonensystems. In dieser Variable existiert danneine grobe Skalenunabhängigkeit, wie in Abb. 4.25 zu sehen ist.

Wie in tiefinelastischen Prozessen sind Korrekturen höherer Ordnung wichtig.Eine QCD-Rechnung, die dem Stand der Technik entspricht, ist in Abb. 4.26 imVergleich mit neuen LHC-Daten zu sehen. Die Übereinstimmung zeigt, dass dieDaten verstanden sind.

Die obige Formel nimmt freie Quarks an. Im Bereich von Quark-Antiquark-Resonanzen, wie Charmonia oder Bottomonia, gibt es erhöhte Beitrage. Ein Drell-Yan-Experiment hatte bei der Entdeckung des Charm-Quarks eine entscheidende

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 235

Abb. 4.27 Die Streuung mitgroßen Transversalimpulsenals “Daumenkino“-Bilder

Rolle gespielt. Das schwache VektorbosonZ0, das im nächsten Kapitel besprochenwird, ist für die Resonanz in Abb. 4.26 verantwortlich.

4.2.5 Hadronische Streuungenmit großen Transversalimpulsen

Anders als in den betrachteten leptonischen Prozessen kann eine Lokalisierung inhadronischen Prozessen nicht erzwungen werden. In hadronischen Streuvorgängenkönnen immer sowohl lokalisierte als auch nicht lokalisierte Beiträge existieren.In einem Beitrag werden große Impulsüberträge auftreten und im anderen nicht.Solche hohen Impulsüberträge haben dann typischerweise auch einen hohen trans-versalen Anteil. Da in weichen Wechselwirkungen keine hohen Transversalimpulseauftreten, können harte Streuungen daher identifiziert werden.

Betrachten wir eine Streuung mit hohen Transversalimpulsen etwas genauer. Da-zu ist der Prozess in Abb. 4.27 als „Daumenkino“-Seiten dargestellt. Zunächst siehtman die beiden Protonen vor der Streuung. Mit besserer Auflösung, wie sie für denlokalisierten Streuvorgang relevant sein wird, werden auf der zweiten Seite einzelnePartonen sichtbar.

Wie auf der dritten Seite in der Mitte dargestellt, kann es dabei zwischen zweientgegengesetzt laufenden Partonen zu einer harten Streuung kommen. Verschie-dene Prozesse können beitragen, etwas analog zu den in Abb. 4.6 gezeichnetenelektromagnetischen Prozessen. Wie dort werden nach vorn gerichtete t-Kanal-Austausch-Prozesse die größten Beiträge liefern. Die Vorwärtsrichtung in hartenStreuungen ist nicht dominant, und es wird oft zu großen transversalen Impulsenkommen.

Diese Transversalimpulse finden sich in transversalen Jets von Teilchen wieder,die zusätzlich zu den ursprünglichen Jets in Vorwärts- und Rückwärtsrichtung auf-treten, wie es rechts auf letzten Seite gezeichnet ist.

Die Trennung von harten und weichen Ereignissen hängt natürlich von demGradder (im Grunde definitorisch) erforderlichen Lokalisierung ab. Die Bedeutung derharten Streuvorgänge steigt mit zunehmender Energie an.

Der Grund für die Energieabhängigkeit ist der folgende: Um einen harten Streu-vorgang zu erhalten, ist eine gewisse minimale Energie im Partonenprozess erfor-

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236 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.28 Die Transver-salimpulsverteilung derproduzierten Teilchen (ad-aptiert nach [149, 150])

derlich. Bei nicht ausreichend hohen Energien können Partonenpaare, die nur einenkleinen Teil dieser ursprünglichen Energie mitbekommen, diese Minimalenergie oftnicht erreichen. Mit wachsender Energie stehen daher mehr und mehr Partonen fürharte Streuungen zur Verfügung. Mit zunehmenden Impulsüberträgen gibt es au-ßerdem mehr Partonen, die von der harten Streuung „aufgelöst“ werden.

Harte Streuungen sind bei den hohen Energien nicht mehr selten. Da sich oftein großer Anteil des Jet-Impulses in einem einzelnen Teilchen befindet, konntensolche harten Jets experimentell zunächst als eine Aufweitung der Transversalim-pulsverteilung beobachtet werden, die in in Abb. 4.28 dargestellt ist. Man sieht, wieein ursprünglich verschwindender Anteil der großen Impulsbeiträge stetig zu einemsignifikanten Beitrag anwächst.

Die Beobachtung begann bei niedrigen ISR- und FNAL-Energien als eine kleineAbweichung vom energieunabhängigen, exponentiellen Abfall der nicht lokalisiertproduzierten Teilchen, der in Abb. 4.28 einer Geraden entspräche. Bei etwas hö-heren Energien konnten Jetstrukturen identifiziert werden. Mit wachsenden Ener-gien nahmen diese Strukturen an Klarheit zu. Da bei heute erreichbaren Energienwesentlich größere Transversalimpulswerte auftreten können, ist es oft recht ein-fach, einzelne Jets zu erkennen, wie es bei einem besonders drastischen Ereignis inAbb. 4.29 zu sehen ist.

Es ist daher nicht mehr schwierig, die Teilchen einzelnen Jets zuzuordnen unddie Impulse der Jets zu bestimmen. Ohne auf Details einzugehen, erhält man diein Abb. 4.30 dargestellte Verteilung. Ähnliche Ergebnisse existieren vom Collideram Fermi-Lab. In guter Approximation entsprechen die Jet-Verteilungen den derursprünglichen Partonen.

4.2.6 Quantenchromodynamik und „weiche“Wechselwirkungen

Ein Gebiet gilt als “richtig“ verstanden, wenn alle Beobachtungen aus einer zu-grunde liegenden, mehr oder weniger selbstkonsistenten Theorie abgeleitet werdenkönnen. Die meisten Gebiete der Physik sind dafür zu komplex. Sie erfordern Mo-

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 237

Abb. 4.29 Ein Zwei-Jet-Er-eignis am LHC-COLLIDER(aus [151] © 2010 CERN, forthe CMS Collaboration)

Abb. 4.30 Die Transver-salenergieverteilung derproduzierten Jets (aus [152]© 2011 CERN, for the CMSCollaboration)

delle, die eine plausible und effiziente Beschreibung der Beobachtungen erlauben.Die quantenchromodynamische Beschreibung von harten Streuungen mit großenImpulsüberträgen ist der ersten Kategorie zuzuordnen, die „weiche Physik“, diewir im dritten Kapitel des Buches kennen gelernt hatten, der zweiten. Wie weitkann man die “harten“ Rechnungen in das “weiche“ Gebiet extrapolieren, um so zueinem besser definierten Verständnis zu kommen?

Für kleine Impulsüberträge Q2 ! 0 wird die effektive Kopplungskonstante˛s größer als der Konvergenzradius, was Aussagen der Störungstheorie unmöglichmacht. Die Anwendungsgrenze ist allerdings nicht völlig unverrückbar. Mit geeig-neten Methoden (und plausiblen Annahmen) kann man den zugänglichen Bereichein Stück weit ins weiche Gebiet schieben. Oft scheint ein Grenzwert von etwaQ2 D 1GeV2 erreichbar zu sein.

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238 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.31 Abstrahlung einesGluons

Die Hoffnung ist, dass man auf diese Weise nicht nur das Zwischengebiet besserversteht, sondern dass man auch etwas über die weichen Wechselwirkungen lernt.Es ist natürlich im Prinzip möglich, dass harte und weicheWechselwirkungen nichtsmiteinander zu tun haben. Tatsächlich beobachtet man immer einen irgendwie kon-tinuierlichen Übergang zwischen harten und weichen Amplituden. Dies legt nahe,beide Komponenten zu identifizieren. Eine (natürlich unsichere) Extrapolation ausdem hartem Gebiet betrifft dann die volle weiche Amplitude. In gewissem Umfangerlaubt dies einen Konsistenzcheck von Modellen für den weichen Bereich.

Wir werden jetzt verschiedene Methoden der Extrapolation kennen lernen. Be-ginnen wir mit “dünnen“ Prozessen, in denen man eine harte Streuung separatbetrachten kann.

DGLAP-Entwicklung Der einfachste Prozess dieser Art ist die eCe�-Annihilati-on, die wir in Abschn. 4.2.2 kennen gelernt hatten. Betrachten wir die Wahrschein-lichkeit, dass eines der Quarks ein Gluon abstrahlt, wie es in Abb. 4.31 dargestelltist [153].

Zwischen seiner Produktion und der Abstrahlung ist der Quark-Impuls k� vir-tuell. Der Propagator des Quarks i=.��k� � m/, den wir in Abschn. 4.1.5 kennengelernt hatten, führt mit k� D p�Cq� letztlich zu einem Nenner 1=..pCq/2�m2/.Mit p2 D m2 und q2 D 0 bleibt:

1

2 p�q�� 1

2j Ep j � jEq j � .1 � cos.�/ ;

wobei p0 � j Ep j � m angenommen wurde und wobei � der Winkel zwischen Epund Eq ist. Dieselbe Polstruktur tritt auch beim “Zerfall“ eines Gluons in ein Gluo-nen-Paar oder in ein Quark-Antiquark-Paar auf, wenn die Massen vernachlässigtwerden können.

Der Nenner hat zwei mögliche Polbeiträge. Verschwindet der erste Term, d. h.jqj ! 0, spricht man von der „weichen Singularität“, verschwindet der zweiteTerm, d. h. .1 � cos.�//! 0, spricht man von der „kollinearen Singularität“.

Um unendliche Terme zu vermeiden, beschränkt man die Rechnung auf ein Ge-biet mit einer minimalen Virtualität q2 D q�q

� > q20 des Gluons. Hier ist q0 der

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 239

Abb. 4.32 Die Baumstrukturder Beiträge mit begleitendenLogarithmen

t

z

Abschneide-Parameter des Impulses q. Nachdem man Integrale ausgeführt und ei-nige weitere Überlegungen angestellt hat, bleibt ein logarithmischer Term der Formaslog.q

2=q20/, wobei as die Kopplungskonstante der QCD ist.Für große q2 wird der Logarithmus zu groß und zerstört die Konvergenz der

Potenzreihenentwicklung in as . Die Methode, dieses Problem zu umgehen, wirdDokshitzer-Gribov-Lipatov-Altarelli-Parisi- oder kurz DGLAP-Entwicklung ge-nannt. Sie spaltet die Summation in Potenzen der Kopplungskonstanten in as-Terme mit und ohne begleitende Logarithmen auf:

X

i

� � �ais � � �X

k

� � � .aslog.q2=q20/k

Da die Struktur der Problemterme mit begleitenden Logarithmen immer dieselbeForm hat, können ihre Beiträge zu einem Exponentialausdruck aufsummiert wer-den. Die eigentliche Entwicklung betrifft dann die Beiträge der ersten Summe. Dazuberechnet man die Amplitude bis zu einer erreichbaren Ordnung („Berechnungdes Matrixelements“) und fügt die erforderlichen Exponentialterme hinzu. Um be-gleitende Logarithmen in der Matrixelement-Berechnung zu vermeiden, muss mandabei die Beiträge abziehen, die durch einem Exponentialausdruck berücksichtigtwerden.

(Grundlegend ist eine Faktorisierung der verschiedenen Beiträge. Solche Rech-nungen sind nicht einfach. Da die Rechnungen typischerweise schnell sehr um-fangreich werden, können dabei trotz immer trickreicher werdender Methoden nurwenige Ordnungen berücksichtigt werden. Auch ist das “Abziehen“ nicht trivial.)

Betrachten wir die Annihilation eCe� ! q Nq zur Ordnung

a0s

X

k

� � � �aslog.q2=q20/�k:

Die Terme in der Summe führen auf jeder Seite zu einer Verteilung von Quarks undGluonen in einer Baumstruktur, wie sie in Abb. 4.32 dargestellt ist. Dabei sind die

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240 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.33 Die Farbstrukturder Beiträge mit begleitendenLogarithmen

t

z

Verzweigungswinkel in der Zeichnung schwer realistisch zu zeichnen, da sie typi-scherweise zwischen aufeinander folgenden Gabelungen um eine Größenordnungabnehmen.

Partonen, die in großem Winkel mit großem Impuls abgestrahlt werden, führenzu beobachtbaren Jet-Strukturen, wie es in Abb. 4.17 zu sehen war. Unser Interessehier gilt den Abstrahlungen in kleinen Winkeln.

In der eCe�-Annihilation ist die ursprüngliche Quark-Richtung natürlich nichtbekannt. Bei ausreichend hohen Energien kann sie mit einer gewissen Unsicherheitaus dem gemessenen Energiefluss festgelegt werden. Mit den Winkeln der quasimasselosen Partonen am Ende der Baumstruktur (Abb. 4.32) zu dieser rekonstruier-ten ursprünglichen Quark-Richtung ist es möglich, Pseudorapiditäten zu definieren,

� D � ln�

tan�

2

;

die etwa den Rapiditäten entsprechen (d. h. y D .1=2/ lnŒqC=q� mit q˙ D q0 ˙qjj, wobei qjj die Komponente in der „ursprünglichen“ Quark-Richtung ist). Diebetrachtete DGLAP-Entwicklung ergibt eine flache Rapiditäts-Verteilung der Parto-nen, die etwa der phänomenologischen Rapiditätsverteilung der Teilchen im String-modell mit dem aufbrechenden Farbfeld (Abb. 3.43) entspricht.

Bemerkenswert ist die Farbstruktur. Wendet man die Farbliniengraphen, die wirin Abb. 4.13 kennen gelernt hatten, auf den Graphen in Abb. 4.32 an und igno-riert man statistisch unwichtige Komplikationen, wie Beiträge der Ordnung 1=N 2

c ,erhält man die in Abb. 4.33 gezeichnete Farbstruktur. In diesem Bild entsprechenDoppellinien Gluonen und einfachen Linien Quarks.

Die zentrale Beobachtung ist, dass Farblinien nie von weit oben nach weit un-ten laufen, d. h. die Farbe eines Partons ist jeweils kompensiert in einem Partner-Parton, das etwa dieselbe Rapidität hat. Dies „Zusammenhalten“ von Farbe wirdPreconfinement genannt. Es erklärt den zeitlichen Ablauf. Mit quasi mit Licht-geschwindigkeit auseinander laufenden ursprünglichen Partonen erhalten sie vonAnfang an ein verbindendes Farbfeld, das im Stringmodell (Abb. 3.43) postuliert

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 241

Abb. 4.34 Balitsky-Fadin-Kuraev-Lipatov-Pomeron

wurde. Der Parton-Hadron-Übergang erfordert keine massive Veränderung der Im-pulsdichte, da die neutralisierende Farbe in einem benachbarten Rapiditätsgebietverfügbar ist. Die flache Parton-Verteilung erklärt die flache Verteilung der Hadro-nen.

BFKL-Entwicklung In der Hadron-Hadron-Streuung gibt es einen anderen Typvon störenden großen Logarithmen, die bei hohen Streuenergien auftreten [154].Man nimmt an, dass man für perturbative Betrachtungen unter bestimmten Voraus-setzungen die weichen Gluonen aufsummieren und durch den Übergang zu eineretwas abgeänderten, effektiven Theorie berücksichtigen kann. In Streuprozessenwerden zwischen vorwärts und rückwärts fliegenden Partonen solche effektivenGluonen ausgetauscht. Da sie Farbe tragen, können diese ausgetauschten Gluonendann selbst andere Gluonen emittieren. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen ef-fektiven Gluonen-Emission ist dabei, wenn man alles richtig macht, proportionalzur Länge des zwischen vorwärts und rückwärts fliegenden Teilchen verfügba-ren Rapiditätsintervalls �y und der Kopplungskonstanten, d. h. es ist proportionalzu ˛s log.s=m2

hadron/. Für hohe Energien ist der logarithmische Term wiederumzu groß und muss wiederum vorweg aufsummiert werden. Das so aufsummier-te Objekt heißt Balitsky-Fadin-Kuraev-Lipatov- oder kurz BFKL-Pomeron. EinBFKL-Pomeron produziert eine Poisson-artige Verteilung von Gluonen mit grö-ßeren Transversalimpulsen und flacher Rapiditätsverteilung, wie es in Abb. 4.34angedeutet ist [155].

Es gibt viele interessante Vorhersagen und Fragestellungen, die „Jets“ oder, mitetwas weniger p?, „Minijets“ betreffen. Uns interessiert hier die Frage, was man fürdas „weiche“ Gebiet lernen kann. Wie beim phänomenologischen “weichen“ Po-meron erhält man eine Farbstruktur, die zur führenden Ordnung in 1=Nc der Zylin-derstruktur des phänomenologischen Pomerons (Abb. 3.45) entspricht. Es erscheintdaher sehr plausibel, dass das phänomenologische Pomeron eine Extrapolation desBFKL-Pomerons darstellt.

Hoch-Temperatur-Feldtheorie in der Schwerionenstreuung Wenden wir unsjetzt den „dichten“ Prozessen zu. Die Wechselwirkungen der Partonen seien sohäufig, dass man in einzelnen Streuvorgängen die ein- und die auslaufenden Par-tonen nicht mehr in der üblichen Weise betrachten kann, da sie nicht lange genugleben. Für eine solche Situation wurde die Hochtemperatur-Feldtheorie entwickelt.

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242 4 Einführung in die Leptonen- und Partonenphysik

Abb. 4.35 Positionen derauslaufenden Partonen

Der zentrale Punkt ist dabei: Aus der Unschärferelation erhalten die Partonen eineVirtualität „=�t , wobei �t die mittlere Zeit zwischen Streuvorgängen ist. Die soerhaltene Virtualität schneidet das weiche Gebiet mit Partonen mit verschwinden-der Virtualität ab. Ausreichend hohe Dichten bieten daher eine neue Möglichkeit,die störungstheoretische QCD anzuwenden.

Welche Energiedichten können in Schwerionenstreuungen erwartet werden? Imzentralen Rapiditätsgebiet beobachtet man eine flache Rapiditätsverteilung meistmit einem geringen Transversalimpuls. So beobachtete die Alice Collaborationfür die 5% zentralsten Pb-Pb-Streuungen eine Dichte dN=dy D 1600 (d. h.1600 Teilchen pro Rapiditätseinheit) mit etwa hpt i D .1=2/GeV, das für Pionenum y D 0 etwa der Energie pro Teilchen entspricht. Damit ist der Energiefluss auseinem Rapiditätsintervall dE=dy � 800 GeV.

Wie groß ist das Emissionsvolumen? Eine grobe Abschätzung in transver-saler Richtung ist unproblematisch. Die transversale Emissionsfläche ist A D� R2p A

.2=3/ � 100 fm2, wobei Rp � 1 fm und A.Pb/ D 207 angenommen wurde.Problematisch ist die longitudinale Ausdehnung. Man nimmt an, dass Fluktuatio-nen die Geometrie der Nukleonen nicht wesentlich beeinflussen. Zu Beginn desStreuprozesses sind die Nuklei daher Lorentz-kontrahierte Pfannkuchen-förmigeObjekte geringer Ausdehnung. Die zentrale Annahme ist nun, dass es eine Zeit �gibt, ab der der obige mittlere Streuabstand �t sinnvoll ist. Man nimmt an, dass zudiesem Zeitpunkt das Auseinanderlaufen schon die ursprünglich kleine longitudina-le Ausdehnung dominiert, d. h. dass �z � v� ist. Die Positionen der auslaufendenPartonen nach der Zeit � sind dann, wie in Abb. 4.35 skizziert. Sie hängen vonder Geschwindigkeit ab, und mit der Rapidität als Geschwindigkeitsparametervz D tanh.y/ ergibt sich:

.z; t/ D � � .sinh.y/; cosh.y// (4.84)

Wir betrachten hier die Dichte um y D 0. Nach (4.84) gilt hier dz=dy D � . DieEnergiedichte pro z ist damit:

hjpt jidN=dz D 1

�hjpt jidN=dy ;

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4.2 Einführung in die Quantenchromodynamik 243

und die Energiedichte pro Volumen (d. h. pro dz � � R2p A.2=3/)

�hjpt ji 1

��R2pA2=3� dN=dy

wird „Bjorken“-Formel genannt [156]. Für � D 1 fm=c ist ihr Wert:

� � 7; 3GeV=fm3

DieserWert liegt in einem Bereich, in dem von einer Partonendynamik ausgegangenwird. (Offensichtlich gibt es eine große Unsicherheit in � .)

Man nimmt meist an, dass zum Zeitpunkt � D 1fm=c in der Tat ein thermo-dynamisches Gleichgewicht der Partonen im betrachteten Rapiditätsgebiet erreichtwurde. Wie in Abschn. 3.2.4 erläutert, spricht man daher – in Analogie zu dembekannten Plasma, in dem die Atombindungen aufgebrochen sind – vom Quark-Gluon-Plasma. Thermodynamische Betrachtungen erlauben dabei eine gute Be-schreibung vieler Aspekte der Beobachtungen.

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5Einführung in die Physik der schwachenBosonen

Die schwachen Wechselwirkungen werden durch eine Eichtheorie, die Quantenfla-vordynamik (QFD), beschrieben [75, 86, 157, 158]. Die Situation ist in gewissemSinne analog zu der Quantenelektrodynamik (QED) und der Quantenchromody-namik (QCD). Allerdings haben im Falle der QFD die Eichteilchen eine Masse.Bei stark lokalisierten Prozessen (sehr hohen Energien) werden diese Massen kei-ne Rolle spielen, und die Theorie wird sich dann wie eine Eichtheorie verhalten.Unterhalb der durch diese Massen gegebenen Energieskala haben die Massen dras-tische Konsequenzen. Die Theorie der schwachen Wechselwirkung wird hier miteiner direkten Strom-Strom-Wechselwirkung beschrieben. Diese effektive Theoriehat nicht die Selbstkonsistenz einer Eichtheorie, und ohne Kenntnisse der zugrundeliegenden Eichtheorie ist es in ihr nicht möglich, höhere Ordnungen zu berücksich-tigen. Da die Kopplung der Strom-Strom-Wechselwirkung ohnehin sehr gering ist,ist dies im Niederenergiebereich zunächst ohne praktische Bedeutung.

5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung

Wie ihr Name sagt, zeichnen sich die schwachen Wechselwirkungen im zunächstbetrachteten Niederenergiebereich durch ihre geringe Stärke aus. Sie treten in die-sem Bereich im wesentlichen in Zerfallsprozessen auf, für die kein anderer Zerfalls-mechanismus in Frage kommt. Bei der Diskussion der „hadronischen Resonanzen“hatten wir gesehen, dass nur schwach zerfallende Resonanzen typischerweise län-ger als 10�12 Sekunden leben. Rein hadronische Zerfälle (mit Lebenszeiten< 10�20Sekunden) und elektromagnetische Zerfälle (im Zwischengebiet) kommen für vie-le Zerfälle nicht in Frage, da viele Quantenzahlen, die sonst erhalten bleiben, nurin der schwachen Wechselwirkung verändert werden können. Da in den schwachenWechselwirkungen die Flavor-Quantenzahlen nicht erhalten bleiben, kann z. B. dasNeutron schwach in ein Proton und Leptonen zerfallen. Die schwachenWechselwir-kungen ermöglichen Übergänge, die die Parität oder die Ladungsparität verletzen,wie es bei K-Zerfällen beobachtet werden kann.

245F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_5,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

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246 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Tab. 5.1 Liste der Quarksund der Leptonen Quarks:

Leptonen:

ur dr

ug dg

ub db

�e e�

cr srcg sgcb sb�� ��

tr br

tg bg

tb bb

�� ��

5.1.1 Grundlegende experimentelle Beobachtungen

Der älteste beobachtete Prozess der schwachen Wechselwirkung ist der ˇ-Zerfall.Aus der Beobachtung, dass in einem solchen Zerfall scheinbar Energie verlorengeht (siehe Abschn. 2.4.5), folgerte Pauli die Existenz eines damals noch unbe-kannten Teilchens, des Neutrinos. In der Folgezeit hat sich herausgestellt, dass esmehrere solcher Neutrinos gibt. Beginnen wir daher mit der vollständigen Liste derFermionen, die für die schwache Wechselwirkung in Frage kommen (Tab. 5.1). DaGluonen und Photonen keine Flavor-Quantenzahlen tragen, muss die eigentlicheQFD-Wechselwirkung zwischen Quarks und Leptonen stattfinden.

Das erste Kästchen heißt 1., das zweite 2. und das dritte 3. Generation. Abge-sehen von ihren unterschiedlichen Massen verhalten sich die verschiedenen Ge-nerationen wie identische Kopien bezüglich der QED, der QCD und – wie sichherausstellen wird – der QFD. Wie wir später sehen werden, involviert die Eich-symmetrie der QFD die horizontalen Paare. Die Zuordnung der Leptonen und derQuarks zu den einzelnen Generationen folgt ihrer Masse und ist nicht zwingendnotwendig.

Eine wichtige Eigenschaft jeder der Generationen ist, dass die mittlere Ladungaller Teilchen verschwindet. Dies ist aus theoretischen Gründen wichtig, da diemittlere Ladung als Gewichtsfaktor (problematischer) unendlicher Terme der QEDauftritt.

Neu in diesem Kapitel sind die Neutrinos. Die oberen Grenzen ihrer Massensind [31]

m�e < 2 eV ;

m�� < 0;19MeV ;

m�� < 18MeV :

Wie wir später sehen werden, erfordern die beobachteten Übergänge zwischen ver-schiedenen Neutrinos die folgenden Massendifferenzen

m2�2 �m2

�1 D 75˙ 2meV2 ;

m2�3 �m2

�2 D 2320˙ 100meV2 ;

wobei �1; �2 und �3 die Masseneigenzustände sind. Die Neutrinomassen sollten alsoim meV-Bereich liegen.

Die Evidenz für die Verschiedenheit der „unsichtbaren“ Neutrinos stammt zumeinen von Streuexperimenten. Ein Elektron-Neutrino, das aus dem ˇ-Zerfall eines

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5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 247

Kerns oder aus dem �-Zerfall stammt, kann in Laborexperimenten nur in ein Elek-tron übergehen und ein Myon-Neutrino, das aus dem Zerfall von Pionen stammt,nur in ein Myon. (Wir werden im Abschn. 5.1.5 auf Neutrino-Experimente zurück-kommen.) Zum anderen würden gemeinsame Neutrinos verschiedener Generatio-nen in zweiter Ordnung der schwachenWechselwirkung Übergange, wie � ! eC�bzw.�! e C � , in einer Stärke ermöglichen, die experimentell ausgeschlossen ist.

Zum ˇ-Zerfall kamen nach und nach mehr und mehr experimentell beobachteteschwache Wechselwirkungen hinzu. Man fand dabei heraus, dass sich solche Re-aktionen in rein leptonische, gemischt leptonisch-hadronische („semi-leptonische“)und rein hadronische Reaktionen klassifizieren lassen. Betrachten wir dazu einigeBeispiele für schwache Zerfälle.

Rein leptonische Prozesse�� ! e� N�e�� �-Zerfall�� ! e� N�e�� �-Zerfall zu 17%�� ! �� N���� �-Zerfall zu 18%

Semi-leptonische Prozessed ! ue� N�e Neutronenzerfalld Nu! �� N�� ��-Zerfall��u! ��d � -Einfang im Kerne�u! �ed K-Schalen-Elektroneneinfang im KernNsu! �C�� KC-Zerfall zu 64%

Rein hadronische Prozesses ! Nudu �-ZerfallNs ! Nuu Nd KC-Zerfall zu 21%Versuchen wir nun, in diesen Prozessen Regelmäßigkeiten zu finden.

5.1.2 DieWechselwirkungmit geladenen Strömen

Die schwache Wechselwirkung betrifft jeweils vier ein- oder auslaufende Fermio-nen. Leptonen und Quarks treten dabei jeweils in Paaren auf. Dies ist konsistentmit einer Faktorisierung der schwachen Wechselwirkung in leptonische und hadro-nische Teile. Diese Faktorisierung besagt, dass die Amplitude die folgende Formhat:

M / .leptonischC hadronisch/ � .leptonischC hadronisch/

und mit geeigneter Kombination einen rein hadronischen, einen semi-leptonischenund einen rein leptonischen Prozess erlaubt.

Betrachten wir nun einen der Beiträge in den Faktoren. Welche Möglichkeitengibt es für einen solchen elementaren Quark- und Lepton-Vertex? Der Vertex mitder (4 � 4)-Matrix O im Dirac-Spinor-Raum,

Vertex D N O ;

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248 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Abb. 5.1 Beispiel einer reinleptonischen schwachenWechselwirkung

hat 16 Komponenten. Sie lassen sich bezüglich ihrer Lorentz-Struktur in der folgen-denWeise in 5 verschiedene Beiträge (mit 1, 1, 4, 4 bzw. 6 Komponenten) einteilen:

OSkalar D OS D 1 ;OPseudoskalar D OP D �5 ;

OVektor D OV D �� ;OAxialvektor D OA D ���5 ;

OTensor D OT D ���� :Die Definition von �5 (siehe 4.39) mit (2 � 2)-Submatrizen ist

�5 D�

0 1

1 0

:

Eine Messung der Winkelabhängigkeit im ˇ-Zerfall zeigt, dass eine Vektor- undbzw. oder eine Axialvektorkopplung möglich ist. Eine Wechselwirkung mit einerVektorkopplung kann man mit

M D GFp2J �� � J � (5.1)

als eine Strom-Strom-Wechselwirkung schreiben, wobei die kleine Konstante GFeine Art Kopplungskonstante der effektiven schwachen Wechselwirkung ist. Miteiner festzulegenden Definition der Ströme ist ihrWert gerade 1;2�10�5GeV�2 [31].Ein Beispiel für eine solche schwache Wechselwirkung ist in Abb. 5.1 dargestellt.

Die Frage, ob eine Vektor- oder eine Axialvektorkopplung erforderlich ist, lässtsich nicht einfach beantworten. Sie berührt einen wichtigen Schritt in der Entwick-lung der schwachen Wechselwirkung, der die Genialität erforderte, gewohnte Vor-stellungen aufzugeben. Für diesen Schritt haben T. D. Lee und C.N. Yang [56, 159]im Jahr 1957 den Nobelpreis bekommen.

Ein Problem war damals das folgende: Es gab Hinweise auf zwei Teilchen, die �und � genannt wurden und die wegen ihrer offensichtlich geraden bzw. ungeradenParität in drei bzw. zwei Pionen zerfielen. Wegen der langen Zerfallszeit kam dabeinur ein schwacher Prozess in Frage. Das Paradoxe bei diesen Teilchen war, dass siein jeder anderen Weise völlig identische Eigenschaften hatten.

Die Lösung des Paradoxons war, dass die Parität, die zur Klassifikation benutztwurde, in schwachen Wechselwirkungen nicht erhalten bleibt. In Wirklichkeit han-delt es sich bei � und � um ein einziges Teilchen, das heute Kaon heißt und das

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5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 249

entweder mit gerader und oder mit ungerader Parität zerfällt, d. h.

�C D KC ! �C�0

bzw.�C D KC ! �C�C�� :

Da die Parität in hadronischen und elektromagnetischen Wechselwirkungen gut ge-testet war, wurde sie nicht in Frage gestellt undmanchmal sogar in der Datenanalyseverwandt. Lees und Yangs Hypothese beruhte auf der Beobachtung, dass ihre Er-haltung bei der schwachen Wechselwirkung nicht wirklich untersucht war. SolcheTests waren zwar im Prinzip möglich, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht,z. B. die Richtungsabhängigkeit der emittierten Elektronen im ˇ-Zerfall von geeig-neten polarisierten Kernen genau genug anzuschauen. Auf dieser Anregung wurdevon C. S. Wu und ihrer Gruppe ein Experiment durchgeführt, und es wurde nach-gewiesen, dass die Parität in der Tat verletzt wird [57, 160, 161].

Was bedeutet das für unseren Vertex? Das Matrixelement muss also paritätsver-letzende Anteile haben. Dies ist der Fall, wenn der Strom sowohl einen Axialvektor-als auch einen Vektoranteil (� .OVCOA/

� � .OVCOA/) hat. Das Quadrat des Ma-trixelements enthält dann gemischte Beiträge (� .OV/

� � .OA/), die ungerade unterParitätstransformation sind und die daher zur Paritätsverletzung führenmüssen. Tat-sächlich wird die Parität in geladenen leptonischen Strömen maximal verletzt: DerAxialvektorstrom und der Vektorstrom treten mit gleicher Größe auf, und zwar (inder benutzten Notation) mit identischen Vorzeichen.

Betrachten wir zunächst den leptonischen Strom. In schwachen Prozessen mitgeladenen Strömen tritt jeweils ein Übergang zwischen einem geladenen Leptonund einem zugehörigen Neutrino auf. Der leptonische Strom der ersten Generationist daher

JŒe

� D N Œe �� � .1C �5/ Œ�e : (5.2)

Die schwache Wechselwirkung ist für jede der Generationen identisch. Man mussin (5.2) nur e durch � oder � ersetzen. Der Strom der drei Generationen lässt sichdaher in der folgenden Weise zusammenfassen:

Jleptonisch� D J Œe � C J Œ� � C J Œ� � : (5.3)

Natürlich treten die konjugierten Ströme auf. Wie der Vektorstrom-Operator, so istauch der Axialvektorstrom-Operator von einer Konjugation nicht berührt. Analogzu (4.20)

.�0��/C D �0��

gilt wegen .�5/C D �5 und �5�� D ����5:.�0���5/

C D �5.�0��/C D �5�0�� D �0���5 :Eine Konjugation vertauscht nur die ein- und die austretenden Teilchen. Da aus-tretende Teilchen im geeigneten kinematischen Bereich einlaufenden Antiteilchen

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250 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

entsprechen und umgekehrt, folgt, dass Teilchen und Antiteilchen identische Strö-me haben.

In der Summe tritt der Faktor .1C �5/=2 auf. Er ist ein Projektionsoperator, dernur Beiträge linksdrehender Fermionen zulässt. Wegen des Verhaltens der Operato-ren unter Konjugation gilt die Linkshändigkeit für beide Fermionen am Vertex.

Analog zum leptonischen Strom setzt sich der hadronische Strom aus den Beiträ-gen der einzelnen Quarks zusammen, die die in (5.2) beschriebene Form haben. Dasgilt für die „lokalisierten“ Wechselwirkungen, wie sie in schwachen, tiefinelasti-schen Wechselwirkungen zur Bestimmung der Quark-Verteilungen benutzt werden.

Die meisten Betrachtungen schwacher Prozesse betreffen allerdings Zerfälle.Die Faktorisierungshypothese zwischen schwacher und hadronischer Wechselwir-kung ist in diesem niederenergetischen Gebiet nicht berechtigt. Die Tatsache, dassdie Quarks in Hadronen gebunden sind, kann hier nicht immer vernachlässigt wer-den. Um den Einfluss der hadronischen Wechselwirkungen zu berücksichtigen, de-finiert man formal

J hadronisch� D N Œp �� � .gV C gA � �5/ Œn (5.4)

als resultierenden schwachen Strom eines Hadrons. Die im Neutronenzerfall empi-risch bestimmten Konstanten ergeben gA=gV D 1;2767˙ 0;0016 ; siehe [162].

Der Einfluss der Korrekturen von den hadronischen Wechselwirkungen ist da-bei relativ klein. Ohne hadronische Wechselwirkungen verhielten sich das Pro-ton und das Neutron wie die Summen ihrer Konstituenten. Wegen der gemischtenSymmetrie der Nukleonen (siehe Abschn. 3.1.5 und 3.1.9) werden ihre Spin- undIsospineigenschaften jeweils durch ein einzelnes Quark bestimmt. Die Nukleonenverhielten sich daher auch bezüglich ihres schwachen, linkshändigen Isospins wieelementare Teilchen, d. h. wie ein u-Quark bzw. ein d -Quark.

Für den elektrischen Strom eines Protons ist die starke Wechselwirkung irrele-vant. Da der Strom in solchen Wechselwirkungen erhalten bleibt, entspricht er derSumme der Konstituenten. Dasselbe gilt für den Vektoranteil der schwachen Wech-selwirkung. Ignoriert man eine 2-%-Korrektur durch generationsmischende Effekte(siehe unten), wäre gV D 1.

Der Einfluss der hadronischen Wechselwirkungen ist auch beim Axialvektoran-teil nicht groß, d. h. er ist im 25-%-Bereich. Wie bereits erwähnt, ist das Pion dasGoldstone-Teilchen der QCD, das durch die QCD-Wechselwirkung allein keineMasse erhält. Im Grenzfall, in dem das Pion wirklich die Masse null hätte, bliebe,wie eine komplizierte Argumentation ergibt, auch der axiale Strom erhalten. DasProton würde sich auch bezüglich des axialen Anteils wie ein u-Quark verhalten,d. h. es wäre gA � 1.

In schwachen Wechselwirkungen bleiben Flavor-Quantenzahlen nicht erhalten.Neben den Übergängen zwischen den Partnern innerhalb einer Generation gibt esÜbergänge zwischen Partnern unterschiedlicher Generationen. Im Strom muss esalso solche generationsmischenden Terme geben.

Dies ist in der folgenden Weise zu verstehen. Die Quarks der verschiedenenGenerationen sind Eigenzustände eines Massenoperators. Transformiert man die

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5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 251

Eigenzustände aus der u; c; t -Quark-Welt mittels eines geladenen Stroms in died; s; b -Quark-Welt, so erhält man die Zustände d 0; s0; b0. Diese Zustände entspre-chen nicht exakt den Eigenzuständen des Massenoperators, d. h. den bekanntend; s; b -Quarks. Der Übergang hat daher nicht direkt mit der eigentlichen schwa-chen Wechselwirkung selbst, sondern nur mit dem Massenoperator zu tun, der sichjeweils etwas andere Eigenzustände aussucht.

Die zentrale Beobachtung, die dieses Konzept der Mischung erfordert, ist diefolgende. Prozesse, die in zweiter Ordnung ablaufen und die einen Übergang ausder u; c; t -Welt in die d 0; s0; b0 -Welt und wieder zurück in die u; c; t -Welt enthal-ten, führen zu keinen Generationsänderungen, da eine Basistransformation hin zurund zurück von der Einheitsmatrix entspricht. (Dass nicht-diagonale Beiträge sichaufheben, erfordert vollständige Generationen. Um dies zu erreichen, wurde vonGlashow, Iliopoulos und Maiani das c-Quark postuliert, als nur die übrigen Quarksder ersten beiden Generationen bekannt waren.)

In dieser Überlegung war der Einfluss der Massen des Zwischenzustands (in denPropagatoren der d; s; b -Teilchen) vernachlässigt. Eine genauere Rechnung zeigt,das dieser Einfluss sehr klein ist. Das Argument erklärt natürlich auch, warum keinegenerationsändernden Übergänge im leptonischen Bereich gefunden wurden. Hiersind die meV-Neutrinomassen sicherlich zu ignorieren.

Die schwache hadronische Wechselwirkung ist auf der Quark-Ebene, abgesehenvon dieser Umdefinition, völlig analog zum leptonischen Sektor

J hadronisch� D J Œu!d 0

� C J Œc!s0

� C J Œt!b0

D � N Œu ; N Œc ; N Œt �

�� � .1C �5/0

@

Œd 0

Œs0

Œb0

1

A :(5.5)

Die Matrix, die die d; s; b -Quarks in die d 0; s0; b0 -Quarks transformiert, heißt Ko-bayashi-Maskawa-Matrix:

0

@

Œd 0

Œs0

Œb0

1

A D0

@

Kobayashi-Maskawa-Matrix

1

A

0

@

Œd

Œs

Œb

1

A : (5.6)

Abgesehen von einer kleinen komplexen Phase, die eine winzige Verletzung derCP- oder der T-Invarianz einführt, gibt es drei Euler-Winkel. Die reellen Matrixele-mente haben etwa die folgende absolute Größe [31]:

0

@

0;975 0;22 0;004

0;22 0;974 0;043

0;010 0;045 0;999

1

A : (5.7)

Die Mischung in der Matrix ist am stärksten für Zustände der ersten beiden Ge-nerationen. Oft spielt die dritte Generation keine Rolle. Unter Vernachlässigung

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252 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Abb. 5.2 Beispiel semi-leptonischer schwacherWechselwirkungen

Abb. 5.3 Der Zerfall einesneutralen K-Mesons als Bei-spiel einer rein hadronischenschwachen Wechselwirkung

der Mischung mit höheren Generationen definiert man einen Cabibbo-Winkel undschreibt

d 0

s0

D�

cos �C sin �C�sin�C cos �C

��

d s

: (5.8)

Sein experimenteller Wert ist

sin �C D 0;23 : (5.9)

Da sin �C kleiner ist als cos �C , sagt man, die generationsändernden Prozesse (s !u), die einen Faktor sin �C enthalten, seien „Cabibbo-unterdrückt“, während dieanderen Prozesse (d ! u) „Cabibbo-erlaubt“ heißen.

Die Matrixelemente von Übergängen der ersten beiden Generationen sind indieser Näherung durch die Kopplungskonstante und durch den Cabibbo-Winkelvollständig beschrieben. Für rein leptonische Prozesse tritt kein Cabibbo-Winkelauf. Für semi-leptonische Prozesse hat man dabei einen Faktor

cos �C oder sin �C

für die „erlaubten“ bzw. „verbotenen“ Prozesse, die in Abb. 5.2 dargestellt sind. Fürdie hadronischen schwachen Prozesse sind zwei Faktoren zu berücksichtigen,

cos �C cos �C ; cos �C sin �C oder sin �C sin �C ;

die den Beitrag der jeweiligen Prozesse entscheidend beeinflussen. Ein Beispiel füreine solche Wechselwirkung ist in Abb. 5.3 dargestellt.

Gibt es Generationsübergänge im leptonischen Sektor? Man weiß heute, dassNeutrinos nicht masselos sind, und die Antwort ist daher „ja“. Wie Interferenzbei-träge auftreten, die zu Oszillationen im Flavor-Raum als Funktion des Abstands zurQuelle führen, werden wir in Abschn. 5.1.3 am Beispiel des K0=K0 ausführlich er-läutern. Aus solchen Oszillationen können Differenzen von Massenquadraten undÜbergangswinkel bestimmt werden.

Ein Beispiel für eine Messung ist das Verschwinden von Sonnenneutrinos. DieFusion in der Sonne bewirkt die Emission von �e-Leptonen, die auf dem Weg zur

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5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 253

Erde in ��-Leptonen übergehen können. Durch einen Übergang der schwachenWechselwirkung können �e-Leptonen manchmel als e�-Leptonen in riesigen un-terirdischen Detektoren nachgewiesen werden. Auf diese Weise kann man messen,wie viele fehlen. Ähnliche Experimente kann man um Kernreaktoren durchführen,in denen meist �e-Leptonen entstehen.

Ein anderes Beispiel ist das Experiment „CERN Neutrinos to Gran Sasso“. Manschickt einen 400-GeV-Protonenstrahl des SPS auf ein Target, in dem Pionen undKaonen entstehen. Die geladenen Produkte werden mit Magneten in Vorwärtsrich-tung gelenkt, sodass viele von ihnen im Kilometer langen Vakuumtunnel in � und�� zerfallen. Der Trick ist, dass Neutrinos kaum durch Erde absorbiert werden.Der Tunnel ist so ausgerichtet, dass einige der so entstandenen Neutrinos dann732 km weit entfernt im unterirdischen Grand-Sasso-Experiment OPERA nach-gewiesen werden können. Auf dem Weg werden sie zwischen den verschiedenenNeutrinozuständen oszillieren. Da ihre Energie groß genug ist, können (�� ! �)Ereignisse auftreten und nachgewiesen werden.

Nicht entartete Massen legen Eigenzustände fest, und analog zum Quark-Sektorkann man eine Matrix definieren, die die Partnerzustände der geladenen Leptonenmit diesen Eigenzuständen verbindet:

0

@

Œ�.e/

Œ�.�/

Œ�.�/

1

A D0

@

Pontecorvo-Maki-Nakagawa-Sakata-

Matrix

1

A

0

@

Œ�.1/

Œ�.2/

Œ�.3/

1

A

Die Drehwinkel scheinen größer als im Quark-Bereich zu sein.In schwachen Wechselwirkungen werden linkshändige Neutrinos und rechts-

händige Antineutrinos erzeugt. Wäre man bereit, die Leptonenzahl-Erhaltung auf-zugeben, wäre es möglich, ohne die rechtshändigen Partner-Zustände, die an derschwachen Wechselwirkung nicht teilhaben, auszukommen. Die erzeugbaren Zu-stände erhielten dann eine so genannte Majorana-Masse. Ein solcher Massetermverbindet die Partner einer kombinierten Charge- und Paritäts-Transformation (kurzCP-Transformation). Die Neutrinos genügten dann der zwei-komponentigen Weyl-Spinor-Gleichung, die wir in (4.19) kennen gelernt hatten.

5.1.3 Das neutrale Kaon

In hadronischen Wechselwirkungen gibt es vier Kaonen

K� D . Nu; s/ ; NK0 D . Nd; s/ ; K0 D .Ns; d/ ; KC D .Ns; u/ : (5.10)

Es gibt zwei Isospin-Dubletts mit jeweils einem neutralen Teilchen.Von der Besprechung der Hadronen wissen wir, dass es in hadronischen Wech-

selwirkungen entscheidend ist, ob ein Teilchen ein s- oder ein Ns-Quark enthält. DieIsospin-Paare werden daher oft in Streuvorgängen ineinander übergehen oder alsTeilchen-Antiteilchen zusammen produziert werden.

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254 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Abb. 5.4 Eine Wechselwir-kung, die einen Übergangzwischen den beiden neutra-len Kaonen ermöglicht

Der Quark-Inhalt ist auch entscheidend für die semi-leptonischen Zerfälle. Dadas c-Quark zu schwer ist, treten dabei nur die Cabibbo-unterdrückten Zerfälle auf:

s ! u N����

Ns ! Nu���C :

Die Situation ist kompliziert, da die neutralen Kaonen ineinander übergehen kön-nen. Ein Beispiel für einen solchen Übergang ist in Abb. 5.4 dargestellt. Er lieferteinen Beitrag zum nichtdiagonalen Übergang in einer (K0; NK0)-Übergangsmatrix.Entscheidend ist dabei die schwere c -Quark-Masse. Im Prinzip sind zwei Übergän-ge innerhalb der ersten beiden Generationen möglich

s ! u! d und s ! c ! d : (5.11)

Sie haben in den Cabibbo-Faktoren sin �C � cos �C und �cos�C � sin �C entgegen-gesetzte Vorzeichen, so dass sie sich bei gleicher u-Quark- und c-Quark-Masse inden Propagatoren gegenseitig aufheben würden.

Ein ähnlicher zusätzlicher Beitrag kommt vom gekreuzten Prozess.Man kann zeigen, dass Wechselwirkungen, mit denen Teilchen in sich selbst

übergehen, zur Masse der Teilchen beitragen. Bezüglich der starken Wechselwir-kung ist die Masse der beiden neutralen Kaonen entartet. Ein „noch so“ schwacherProzess kann daher die Entartung in der Massenmatrix aufheben und die Positionder Masseneigenzustände bestimmen.

Wenn man von einer winzigen Korrektur, die wir im nächsten Abschnitt (5.1.4)besprechen werden, absieht, hat die Massenmatrix des (K0; NK0)-Systems mit derÜbergangsmatrix die folgende Form:

mK0

1 0

0 1

C�m�

0 1

1 0

:

Diese Matrix wird durch den symmetrischen und den unsymmetrischen Zustanddiagonalisiert. Der „Nebendiagonal“-Term trägt im symmetrischen Zustand

K0langsam � K0 C NK0 D .Ns; d/C . Nd; s/

mit einem positiven und im unsymmetrischen Zustand

K0schnell � K0 � NK0 D .Ns; d/ � . Nd; s/

mit einem negativen Vorzeichen zur Masse bei. Die so definierten geraden bzw. un-geraden Zustände sind Eigenzustände der CP-Symmetrie (d. h. Ladungskonjugation

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5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 255

und Paritäts-Transformation) mit

CPK0schnell D �CK0

schnell D CK0schnell

CPK0langsam D �CK0

langsam D �K0langsam :

Abgesehen von der erwähnten winzigen Korrektur sind dies die physikalischen Ei-genzustände, die den beobachteten Teilchen entsprechen.

Für neutrale Kaonen sind die rein hadronischen, schwachen Zerfälle

K0schnell ! 2 Pionen

K0langsam ! 3 Pionen

wichtig, die mit etwa 100% bzw. 34% auftreten. Die Struktur des Prozesses warin Abb. 5.3 dargestellt. Die CP-Parität des charge-symmetrischen �0-Mesons istnegativ. Je nach der CP-Parität des neutralen Kaons können daher entweder zweioder drei Pionen gebildet werden.

Das „Leben“ eines neutralen Kaons hat also die folgenden Stufen. Es wird zu-nächst in einer hadronischen Wechselwirkung als K0 oder NK0 gebildet. Im Flug istes eine kohärente Überlagerung einesK0

schnell- und einesK0langsam-Zustands. Falls es

hadronisch zerfällt, entpuppt es sich jeweils mit 50%� als ein K0

schnell, das schnell in zwei Pionen zerfällt, oder� ein K0

langsam, das langsam in drei Pionen zerfällt.Falls es sich „überlegt“, semi-leptonisch zu zerfallen, muss es sich wiederum „ent-scheiden“, ob es dies� als NK0 (! �Ce� N�e oder! �C�� N��) oder� als K0 (! ��eC�e oder! ���C��)tun „möchte“. Wegen der doppelten Entscheidungsmöglichkeit gibt es jeweils zweiWege zum selben Endzustand. Quantenmechanisch werden beide Amplituden in-terferieren und die Wahrscheinlichkeit der endgültigen „Entscheidung“ festlegen.Dabei kommt es auf die relative Phase zwischenK0

schnell undK0langsam an. Wegen der

Massendifferenz wird der Zustand langsam zwischen beiden Zuständen oszillieren.Der beobachtete Zerfallszustand hängt daher vom Abstand zum Erzeugungsort undvon der Massendifferenz ab. Dies erlaubt eine sehr präzise Messung der winzigenMassendifferenz.

5.1.4 CP-Verletzung

Die (2 � 2)-Masse-Matrizen des .K; NK0/-Systems müssen hermitesch sein. (DerZeitentwicklungsoperator U ist unitär. Im Ruhesystem eines nicht wechselwirken-den Teilchens ist U D exp.iMt/, und M ist daher hermitesch.) Die allgemeineForm der Massematrix kann daher mit Pauli-Matrizen geschrieben werden:

M DmK

1 0

0 1

C�m�

0 1

1 0

CM:CP

0 �ii 0

CM:CPT

1 0

0 �1�

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256 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

wobei :CP bzw. :CPT einen die jeweilige Symmetrie verletzenden Beitrag be-zeichnet.

Im letzten Abschnitt hatten wir gesehen, dass (K0• NK0)-Übergänge existieren,die hier (�m ¤ 0)-Beiträge bewirken, die die Entartung aufheben und die Eigen-zuständeK0

schnell / K0C NK0 undK0langsam / K0� NK0 entstehen lassen, die schnell

in zwei bzw. langsam in drei Pionen zerfallen.Beobachtungen zeigen, dass es zu diesem Bild eine winzige Korrektur geben

muss. Auch im großen Abstand vom Produktionspunkt, wenn alle K0schnell-Meso-

nen zerfallen sind, treten trotzdem einige sehr seltene Zerfälle in zwei Pionen auf(Verzweigungsverhältnis ca. 0;003). Dies ist nur möglich, wennM:CP oderM:CPT

nicht verschwindet und der leicht gedrehte langlebige Eigenzustand eine winzigeK0 C NK0 Komponente hat.

Eine effektive CPT-Verletzung kann nicht theoretisch ausgeschlossen werden,da das Labor kein abgeschlossenes System ist. Dass das K0 im effektiven Schwe-refeld der uns umgebenden Materie eine etwas andere Masse als das NK0 hat, d. h.dass M:CPT ¤ 0 ist [163], konnte damals nicht wirklich ausgeschlossen werden.Heute haben Messungen der Gravitationskraft eine Genauigkeit erreicht, die untervernünftigen Annahmen die benötigte effektive CPT-Verletzung verbietet [164].

In einem Zwischengebiet, in dem zwei Pionen mit etwa gleichen Amplituden inK0

langsam-Zerfällen und in (schon seltenen) K0schnell-Zerfällen gebildet werden kön-

nen, tritt ein messbarer Interferenzterm auf, der dem CP- und nicht dem CPT-verletzenden Beitrag entspricht und damit die CP-Verletzung nachweist.

Auf der Quark-Ebene lässt sich der CP-verletzende Beitrag durch einen winzi-gen Imaginärteil in Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrixelementen parametrisie-ren. Eine genauere Betrachtung zeigt, dass es nur einen solchen imaginären Beitraggeben kann.

Die unitäre Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix0

@

Eu1Eu2Eu3

1

A

enthält in jeder Zeile einen Basisvektor in gedrehtem System in Komponenten desalten Systems. Die Orthogonalität u�

i ui D 1 und u�i uj¤i D 0 lässt 18�9 D 9 freie

Parameter. Die 6 Phasen der Basisvektoren in beiden Systemen sind frei, wobei einePhasenänderung aller Zustände die Matrix natürlich nicht verändert. Die Zahl derfreien verbleibenden Zustände ist daher

9 � 6C 1 D 4 ; (5.12)

und zwar 3 Eulerwinkel und 1 imaginärer Beitrag.Die CP-Verletzung in anderen Übergängen ist damit vollständig festgelegt. CP

verletzende Übergänge konnten in B0-, B0s - und im D0-Systemen nachgewiesen

werden [165].Ein etwas unbefriedigender Punkt in dieser Beschreibung ist der folgende. Die

Argumentation beschränkte sich bisher auf die Kobayashi-Maskawa-Matrix. Sie

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5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 257

wurde in (5.6) als Hilfsgröße, die selbst keine Bedeutung hat, eingeführt. Die ei-gentliche Physik muss in den Masse-Matrizen liegen und dort verstanden wer-den.

Wie äußert sich die CP-Verletzung in diesen Matrizen? Betrachten wir dazu dieDirac-Gleichung (siehe 4.8) eines ruhenden Fermions:

i�0@

@x0�m

D 0 :

Da �0�0 D 1 gilt:@

@x0 D �i�0 m : (5.13)

In der Diskussion nach (5.2) hatten wir .1 ˙ �5/=2 als Projektionsoperator ken-nengelernt, der nur linkshändige bzw. rechtshändige Helizitätszustände zulässt. DieRelation

�0 � .1˙ �5/ D .1� �5/ � �0 (5.14)

zeigt, dass der Massenterm in der Dirac-Gleichung nur unterschiedliche Helizitäts-zustände verbindet. Die Viererspinoren der Dirac-Gleichung lassen sich als links-und rechtshändige Teilchen- und Antiteilchen-Komponenten schreiben. Im Produk-traum der drei Flavorzustände für links- bzw. rechtshändige Teilchen:

u.1/l ; .u.2/l ; .u.3/l ; u.1/r ; .u.2/r ; .u.3/r�

hat die Massematrix damit die folgende Form

0

B

B

B

B

B

B

@

0 0 0

0 0 0 m

0 0 0

0 0 0

mC 0 0 0

0 0 0

1

C

C

C

C

C

C

A

Die Matrix muss hermitesch sein. Offensichtlich schränkt dies die Submatrix mnicht ein. Aus der Forderung, dass beobachtbareMassenquadrate nicht von der geo-metrischen Orientierung abhängen, folgt, dassm �mC D mC �m ist. Die Submatrizem ist damit diagonalisierbar. Haben die Eigenwerte vonm einen komplexen Anteil,kann dies zu T- oder CP-Symmetrieverletzung und der entsprechenden Phase in derCKM-Matrix führen. (Ein Teil der nicht verschwindenden Phasen lässt sich durcheine Redefinition der Zustände vermeiden, und einige Phasen haben daher keinephysikalische Bedeutung. Das Abzählen der Parameter in der CKM-Matrix (sie-he 5.12) zeigt, dass im Rahmen des Standardmodells eine Phase übrig bleibt, diedie messbare CP-Verletzung bewirken kann.)

Ob CP-Verletzung auch auf der leptonischen Seite als nicht verschwindende Pha-se in der PMNS-Matrix auftritt, ist nicht bekannt.

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258 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Abb. 5.5 Das Schema einesNeutrinoexperiments

Die CP-Verletzung ist eine fundamentale Beobachtung.Man ist der Ansicht, dassdie CPT-Symmetrie ungebrochen ist (siehe Abschn. 3.1.6). Eine CP-Verletzung ent-spricht daher der Asymmetrie unter Zeitumkehr T, in der Prozesse rückwärts andersablaufen als vorwärts. Die CP-Verletzung könnte in der Kosmologie eine wichtigeRolle spielen. In dem uns zugänglichen Bereich scheint es im Kosmos mehr Fer-mionen als Antifermionen zu geben. (Die Größe des Beitrags niederenergetischerAntineutrinos ist nicht bekannt.) Es wurde vorgeschlagen, dass die Antimateriedurch einen CP-verletzenden Prozess in Materie verwandelt wurde. Die beobachte-te CP-Verletzung scheint dazu jedoch viel zu klein.

5.1.5 DieWechselwirkungmit neutralen Strömen

Mit Beschleunigern ist es möglich, hochenergetische Neutrinostrahlen zu erzeu-gen und zu beobachten. Dazu hatten wir am Ende des Abschn. 5.1.2 ein Beispielkennengelernt. Es geschieht in der in Abb. 5.5 skizzierten Weise. Man erlaubt ei-nem sekundären Pionenstrahl, in Leptonen zu zerfallen. Dies geschieht, um andereProzesse zu vermeiden, meist im Vakuum. Eine lange Strecke von absorbierendemMaterial blockiert dann den Durchgang der Myonen und anderer Teilchen. Übrigbleibt ein Neutrinostrahl mit einer berechenbaren Energieverteilung.

Der Streuquerschnitt von Neutrinos wächst mit zunehmender Energie. Selbst beiden höchsten Beschleunigerenergien ist der Wirkungsquerschnitt allerdings nochsehr klein. Zur Beobachtung von Streuvorgängen der Neutrinos muss man daherriesige Detektoren benutzen, in denen die Ionisationsspuren, die in einem Streu-prozess produzierten Teilchen hinterlassen, ausreichend genau beobachtet werdenkönnen.

Typisch für solche Neutrinostreuprozesse ist, dass aus dem Nichts, d. h. aus ei-ner nicht gesehenen Neutrinobahn, plötzlich geladene Teilchenbahnen entstehen.Dabei wird oft eine Myonenspur auftreten, wie man sie von einer Wechselwirkungmit einem geladenen Strom erwartet. Aus der Tatsache, dass ein Neutrino, das imPionzerfall zusammen mit einem Myon (�C) produziert wurde, immer in ein My-on (��) übergeht, wurde 1962 die separate Existenz des Elektronneutrinos und desMyonneutrinos geschlossen. Für das Experiment [166] und für die Entwicklungvon Neutrinostrahlexperimenten haben 1988 Leon Lederman, Melvin Schwartz undJack Steinberger den Nobelpreis erhalten.

Um Neutrinos, die im Fusionsprozess in der Sonne entstehen, nachweisen zukönnen, wurden riesige Untergrundlaboratorien gebaut. Die Analyse extraterrestri-scher Neutrinos und von Neutrinos, die aus Hunderte von Kilometern weit entfern-

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5.1 Die Strom-Strom-Wechselwirkung 259

Abb. 5.6 Eine Blasenkammeraufnahme eines Neutrinoereignisses mit einer neutralen Strom-wechselwirkung (© Hasert, 1973 [167])

ten Beschleunigern auf solche Detektoren gerichtet wurden, konnte nachweisen,dass es zu Oszillationen zwischen den verschiedenen Partnerneutrinos der gelade-nen Leptonen kommen kann. Wie im Quark-Bereich gibt es also auch im leptoni-schen Bereich nicht-diagonale Terme.

Neben geladenen Strömen gibt es aber auch Ereignisse ohne Myonen oder Elek-tronen. Sie kommen durch eine neutrale Strom-Strom-Wechselwirkung zustande,bei der das Neutrino nicht umgewandelt wird. Eine der ersten solchen Beobachtun-gen [167] aus dem Jahre 1973 ist in Abb. 5.6 dargestellt.

Es handelt sich um eine Blasenkammeraufnahme. In einer Blasenkammer wirdder Druck in einer beinahe siedenden Flüssigkeit reduziert, so dass um Ionisati-onskeime entlang der Bahnen geladener Teilchen kleine Gasbläschen entstehen, diedann eine optische Rekonstruktion der Teilchenbahnen erlauben.

In dem gezeigten Bild streute ein Myonneutrino, das im Bild von links kam, aneinem Elektron, das an seiner spezifischen bischofstab-artigen Bahn zu identifizie-ren ist. Da weder ein Myon (das ungestreut die Kammer durchquert hätte) noch ein

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260 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Hadron auftrat, muss es sich um den folgenden rein leptonischen Prozess gehandelthaben:

�� C e� ! �� C e� ; (5.15)

bei dem ein Neutrino an einem Bahnelektron eines Atoms elastisch streut und die-sem Elektron einen Teil seines Impulses abgibt. Ein vom Elektron emittiertes (selbstunsichtbares) Photon ist indirekt für die übrigen sichtbaren Teilchenspuren verant-wortlich.

Ähnliche Bilder existieren mit rein hadronischen, myonenlosen Endzuständen,die durch einen semi-leptonischen Prozess der folgenden Art entstehen:

�� C Quark! �� C Quark : (5.16)

Neben der positiv bzw. negativ geladenen schwachen Strom-Strom-Kopplung musses daher auch einen neutralen Anteil geben. Mit ihrem leptonischen und hadroni-schen Anteil ist die neutrale schwache Wechselwirkung wiederum konsistent mitder Strom-Strom-Struktur. Der Strom hat dabei eine ähnliche Form wie der gela-dene Strom. Allerdings tritt nun auch eine kleinere Komponente �� � .1 � �5/ auf.Diese Komponente wird im Rahmen der Weinberg-Salam-Theorie verständlich.

Bei geladenen Strömen wurden die Übergänge zwischen Zuständen von ver-schiedenen Generationen nicht mit einem generationsändernden Anteil in derschwachen Wechselwirkung erklärt, sondern damit, dass die Massenoperatoren,deren Eigenzustände den Zuständen der verschiedenen Generationen entsprechen,jeweils etwas andere Eigenzustände im Bereich der u; c; t-Quarks und im Bereichder d; s; b-Quarks auswählen. Da in den neutralen schwachen Prozessen kein Über-gang zwischen diesen beiden Bereichen stattfindet, gibt es erwartungsgemäß keinengenerationsändernden Anteil. Dies ist der Grund dafür, dass die neutralen Strömenicht bei Zerfällen gesehen werden konnten.

5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie

In den Jahren 1967 und 1968 haben S. Weinberg und A. Salam für die schwacheund für die elektromagnetischeWechselwirkung, d. h. für die QFD und für die QED,eine gemeinsame, in sich konsistente Theorie vorgeschlagen [168, 169], die heuteallgemein als sogenanntes Standardmodell akzeptiert wird. Für die Entwicklungdes Modells und der zugrunde liegenden Konzepte haben Glashow, Weinberg undSalam 1979 den Nobelpreis erhalten [170, 171, 172].

5.2.1 Das schwache Vektorboson

Die Strom-Strom-Wechselwirkung führt an vielen Stellen zu Problemen. Zum Bei-spiel ist das Übergangsmatrixelement (Abb. 5.4), das zur Massendifferenz der neu-tralen Kaonen geführt hat, in einer solchen reinen Strom-Strom-Theorie mit einerVier-Fermionen-Wechselwirkung unendlich groß, wenn über die inneren Impulse

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5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie 261

Abb. 5.7 Die Wechselwir-kung mit dem Austauscheines schwachen Vektorbo-sons qZ0W+

e−

μ+

e− e−

νμ νμ νμ

νe

integriert wird und (virtuell) beliebig hohe Impulse auftreten können. Der Strom-Strom-Vertex kann nur in einem begrenzten kinematischen Bereich unabhängig vonImpulsüberträgen sein.

Gemäß den Feynman-Regeln muss über die innere Zwei-Propagator-Schleife in-tegriert werden. Dabei tritt ein Integral der folgenden Form als Faktor auf:

Z

d4k1

6 k Cm1

6 kC 6p Cm :

Es divergiert wegen der zu geringen Potenz (! 1=k2) im Nenner.Als Abhilfe führte man schon vor der Entwicklung der Weinberg-Salam-Theo-

rie schwere schwache Vektorbosonen ein, die dieses Problem beheben, ohne dasNiederenergieverhalten der schwachen Strom-Strom-Wechselwirkung zu ändern.

Die hadronischen schwachen und die leptonischen schwachen Ströme koppelndabei an dies schwache Vektorboson, das als ausgetauschtes Zwischenteilchen auf-tritt, wie es in der Abb. 5.7 gezeigt ist. Entsprechend den drei verschiedenen La-dungsübertragsmöglichkeiten bei der Strom-Strom-Wechselwirkung muss es dreiverschieden geladene schwache Vektorbosonen geben. Das schwache Vektorbosonspielt damit eine ähnliche Rolle wie das Photon in der QED und das Gluon in derQCD. Das neutrale schwache Vektorboson wird daher manchmal „schweres Pho-ton“ genannt.

Abgesehen von der Masse des schwachen Vektorbosons erhält man die Struktureiner Eichtheorie. Der einzige Unterschied ist, dass anstelle des Photonpropagatorsein Propagator der Form

�g��q2! �g

�� C q�q�=M2W

q2 �M2W

(5.17)

auftritt.Im Gebiet kleiner Energien, d. h. im Gebiet der üblichen schwachenWechselwir-

kungen, spielen die auftretenden Impulse keine Rolle gegenüber den Vektorboson-massen. Im Zähler überlebt daher nur der erste Term und im Nenner der zweite. DerPropagator wird einfach eine Konstante, deren geringe Größe für die „Schwach“-heit der Wechselwirkung verantwortlich ist. Zusammen mit den Vertexfunktionen(jeweils gw) kann man sie in der gewohnten Weise als

� g�� � 1p2GF D �g�� � g

2w

M2W

(5.18)

schreiben, so dass sich die korrekte Strom-Strom-Phänomenologie ergibt.

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262 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

5.2.2 Die Symmetriestruktur der elektroschwachenWechselwirkung

Eichtheorien basieren auf Symmetrietransformationen. Welche Symmetrietransfor-mationen könnten einer Eichtheorie der schwachen Wechselwirkung zugrunde lie-gen? Da sich die schwachen Wechselwirkungen von Generation zu Generationwiederholen, kann man sich dabei auf eine Untersuchung der ersten Generationbeschränken.

Notwendig ist eine Transformation, die zwischen dem linkshändigen u- unddem d 0-Quark und zwischen dem linkshändigen Elektron und dem Neutrino ver-mittelt. Damit die Transformation einer Drehung in einem geeigneten Raum ent-spricht, kann man die linkshändigen Fermion-Paare als etwas Analoges zu denbeiden Isospin-1=2-Zuständen betrachten. Man spricht dann von schwachen Iso-spin-Zuständen oder kurz von einem Dublett der Gruppe SU .2/:

.uL; d0L/ D .2/SU.2/ ;

.�L; e�L / D .2/SU.2/ :

(5.19)

Rechtshändige Fermionen nehmen nicht an schwachenWechselwirkungen teil, d. h.es gibt keine Eichkopplung. Sie können daher keinen schwachen Isospin tragen.Bei solchen Isospin-neutralen Teilchen spricht man von Singuletts bezüglich derGruppe SU .2/:

.uR/ D .1/SU.2/ ;

.dR/ D .1/SU.2/ ;

.e�R/ D .1/SU.2/ ;

.�R/ D .1/SU.2/ :(5.20)

Für das zugehörige Eichfeld benötigt man (um die Übergänge unterzubringen) Zu-stände mit dem schwachen Isospin 1. Man spricht von einem Triplett der GruppeSU .2/

.W C� ;W

0� ;W

�� / D .3/SU .2/ : (5.21)

Mit dieser Zuordnung scheinen viele Probleme gelöst. Es verbleibt allerdings diefolgende, gravierende Schwierigkeit. Wenn z. B. das u-Quark und das d 0-Quark ineinem Multiplett der schwachen Wechselwirkung sind, müssen sie bezüglich alleranderen Wechselwirkungen, für die die schwache SU .2/ keine Rolle spielt, die-selbe Struktur haben. Das ist bezüglich der QCD der Fall, beides sind Tripletts.Bezüglich der QED ist diese Forderung nicht erfüllt. Beide Teilchen müssten mitderselben Kopplung mit dem elektrischen Feld wechselwirken (d. h. sie bräuchtendieselbe Ladung).

UmWeinbergs und Salams Lösung dieses Problems zu verstehen, ignorieren wirzunächst die experimentelle Situation und führen ein „verkehrtes“ Photon

.B�/ D .1/SU .2/ (5.22)

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5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie 263

ein, das zu jedem Multiplett jeweils, wie erforderlich, nur eine Kopplung hat unddaher bezüglich der schwachen SU .2/-Gruppe ein Singulett ist. Die Existenz einesEichteilchens ist mit einer Symmetrie der Eichtheorie verbunden. Das verkehrtePhoton beruht auf der Invarianz unter Phasentransformation. Die Gruppe der Pha-sentransformationen wird U.1/ genannt, und man spricht daher vom Eichteilchender U.1/.

In einer solchen Theorie gibt es, wie in Wirklichkeit, zwei neutrale Ströme, diean das B� bzw. an dasW 0

� koppeln. Vom Experiment wissen wir, dass eines dieserEichbosonen, das Photon, masselos bleiben und das andere eine Vektorbosonmasseerhalten muss. Die Weinberg-Salam-Hypothese besagt, dass alle Massen durch ei-ne spontane Symmetriebrechung dynamisch entstehen. Wichtig ist dabei, dass dieErzeugung der Massen völlig unabhängig von der Symmetrie der bisher betrach-teten Fermion-Vektorboson-Wechselwirkung ist. Es besteht daher die Möglichkeit,dass das, was das masselose Photon ist, und das, was das neutrale schwache Vek-torboson ist, einer anderen Kombination der obigen Zustände entspricht. Wie beiden Cabibbo-Winkeln könnten die Masseneigenzustände wieder gedrehte Zuständesein. Mit einem geeignet definierten Drehwinkel, dem sogenanntenWeinberg-Win-kel �W , kann man dann die Relation zwischen den Eichbosonen der SU .2/ und derU.1/ und dem experimentell beobachteten Photon und dem massiven schwachenVektorboson als

Z0�

A�

D�

cos �W � sin �Wsin �W cos �W

��

W 0�

B�

(5.23)

schreiben.Die elektromagnetischen und die schwachen Wechselwirkungen treten nicht

mehr separat auf. Das Photon, das lange als das fundamentale Teilchen angesehenwurde, verbleibt dabei als Mischung zwischen einem Singulett mit der „verkehr-ten Photon“-Kopplung und einem Triplettzustand mit der (schwachen-Isospin)-Kopplung. Da das Photon nun eine Komponente hat, die mit unterschiedlichenVorzeichen an die beiden Zustände des SU.2/-Dubletts koppelt, erreicht man zu-mindest verschiedene elektrische Ladungen in den schwachen Multipletts. Kanndie Theorie die bekannten Kopplungen im Detail reproduzieren?

Betrachten wir zunächst die zweite Komponente von (5.23), die das Photonbeschreibt und deren Kopplungskonstanten den elektrischen Ladungen entsprechenmüssen. Beginnen wir mit der Ladungsdifferenz im schwachen SU .2/-Dublett(d. h. mit QŒ� �QŒe D QŒu �QŒd ), die der Elektronenladung e entsprechenmuss. Für die betrachtete Differenz ist die „Ladung“ bezüglich des „verkehrtenPhotons“ ohne Bedeutung, da sie in den Dubletts jeweils einen konstanten Werteinnehmen wird. Die Größe ˙g=2 sei die Kopplung unter der SU .2/, die beibekannter Vektormesonenmasse durch die Wechselwirkung geladener Ströme fest-gelegt ist (in Relation zur Konstanten in (5.18) gilt gw D g=

p8). Diese Konstante

tritt in der Differenz zweimal auf, und es gilt daher

e D sin �W � g : (5.24)

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264 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Die Relation erlaubt eine Festlegung des Weinberg-Winkels [31]

sin2 �W D 0;23˙ 0;01 : (5.25)

Für die richtigen Ladungen verbleibt die Forderung, dass die Kopplung des „ver-kehrten Photons“, die üblicherweise als g0yMultiplett bezeichnet wird, in jedemschwachen Multiplett dessen mittlerer Ladung entspricht.

(Man spaltet die Konstante in eine universelle Kopplung g0 und eine Hyperla-dung yMultiplett auf. Dabei definiert man yeŒL D 1.)

Für die mittlere Ladung spielt die SU .2/-Kopplung keine Rolle. Für linkshän-dige Fermionen (durch ŒL gekennzeichnet) gelten die folgenden Relationen:

cos �W � g0yLeptonenŒL D �e=2 ;cos �W � g0yQuarksŒL D e=6 : (5.26)

Für rechtshändige Teilchen tritt nur die Kopplung an das verkehrte Photon auf.Alle rechtshändigen Teilchen sind bezüglich des schwachen Isospins Singuletts.Jedes der Teilchen kann daher jeweils seine eigene Kopplungskonstante haben:

cos �W �g0yeŒR D �e ;cos �W �g0y�ŒR D 0 ;cos �W �g0yuŒR D 2=3e ;cos �W �g0yd 0ŒR D �1=3e :

Die drittelzahligen Ladungen treten für die Teilchen auf, die in drei Farbzuständenvorkommen.

Man hat also den richtigen elektrischen Strom. Vertauscht man sin �W mit cos �Wund cos �W mit � sin �W (siehe 5.23), erhält man die entsprechenden Kopplungenan das massive neutrale Vektorboson. Die beobachteten Beiträge hängen natürlichauch von der Masse des neutralen Vektorbosons ab. Die experimentellen Größendieser Wechselwirkungen ergeben zusätzliche Beziehungen zwischen Weinberg-Winkeln und Vektormesonenmassen. Aus ihnen konnten die Massen der schwachenVektorbosonen vor ihrer Entdeckung bestimmt werden.

5.2.3 Der Nachweis der schwachen Vektorbosonen

Welche Möglichkeiten gibt es, die schwachen Vektorbosonen experimentell zu be-obachten? Die in ihren Eigenschaften sehr genau vorhergesagten schwachen Vek-torbosonen konnten 1989 am hadronischen SPS Collider am CERN erzeugt undvermessen werden. Für diese Entdeckung [174], die eng mit der Konstruktion desSPS Colliders (siehe Abschn. 3.1.2) verbunden war, haben C. Rubbia und Van derMeer 1984 den Nobelpreis erhalten.

Beginnen wir mit dem Z0-Boson. Der direkteste Weg ist die Erzeugung desZ0-Bosons in eCe�-Streuungen. Allerdings ist es, wie in Abschn. 3.1.2 dargelegt,

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5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie 265

wegen der Bremsstrahlung sehr schwer, eCe�-Strahlen ausreichender Energien zuerzeugen, und Beschleuniger mit ausreichender Energie standen erst nach 1990 imSLC und LEP zu Verfügung. Das Z0-Boson ist dann direkt als Resonanzspitze imWirkungsquerschnitt sichtbar. Mit einem Fit-Program, das im Rahmen des Stan-dardmodells verschiedene Messgrößen gleichzeitig berücksichtigte, konnte seineMasse und Weite:

MZ D 91;1876˙ 0;0021GeV$Z D 2; 4952˙ 0;0023GeV

mit hoher Präzision festgelegt werden [31]. Seine Breite hängt von der Kopplungdes Z0 an die Quarks und Leptonen und von den verfügbaren Zerfallskanälen ab.Sichtbare Zerfälle sind im Einklang mit den Erwartungen.

Der genaue Wert der Breite enthält eine interessante Information. Zum Zer-fall tragen auch die unsichtbaren Zerfälle bei, bei denen das Vektormeson in einNeutrino-Antineutrino-Paar zerfällt. Aus der Weite kann man daher die genaueZahl solcher Zerfallsmöglichkeiten, d. h. die genaue Zahl der ausreichend leich-ten (m� < m

0Z=2/-Neutrinos bestimmen. Die Messung erlaubt es, die Zahl solcher

Neutrinos auf 3 (genau 2;92˙0;05) festzulegen. Die Neutrinos der ersten drei Gene-rationen sind im Vergleich zur Z0-Masse masselos. Es ist vernünftig, anzunehmen,dass eine mögliche vierte Generation auch ein solches Neutrino enthalten muss. Un-ter dieser Annahme zeigen die Daten, dass eine weitere Generation ausgeschlossenwerden kann, auch wenn deren andere Teilchen außerhalb der erreichbaren Energi-en läge.

Für Partonen in Hadronenstrahlen können wesentlich einfacher hohe Energienerzeugt werden. Bevor eCe�-Strahlen ausreichender Energien verfügbar waren,konnte daher, wie gesagt, am SPS-Collider eine entsprechende Annihilation einesQuarks und eines Antiquarks in das Z0-Boson nachgewiesen werden. Da dabei diePartonenenergie nicht festgelegt werden kann, und da in hadronischen Streuvor-gängen immer viele Teilchen produziert werden, besteht bei einem hadronischenExperiment die Schwierigkeit, eine Handvoll interessanter Ereignisse mit solchenVektormesonen aus vielen Millionen anderen Streuungen herauszufinden. Dies warmöglich,� da im Zerfall oft Leptonen auftreten, und� da die Ereignisse eine deutlich andere Struktur als die üblichen Streuprozesse

haben.Die Masse des Z0-Bosons konnte in einer aufwendigen Analyse mit etwa 1GeVGenauigkeit bestimmt werden. So gibt die UA2 Collaboration (1992) [173] denWert

MZ D 91;74˙ 0;28˙ 0;93GeVan, wobei der systematische und der statistische Fehler getrennt aufgeführt wurden.

Betrachten wir jetzt die geladenen Partner, dieW ˙-Bosonen. Obwohl sie wegenihrer geringerenMasse eigentlich häufiger produziert werden, sind sie viel schwerernachzuweisen. Das Problem ist, dass in ihren leptonischen Zerfällen ein Neutrinoauftritt, d. h. ein Teilchen, das nicht direkt beobachtet werden kann.

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266 5 Einführung in die Physik der schwachen Bosonen

Abb. 5.8 Die Paarerzeu-gung geladener schwacherVektorbosonen

e−

W+

W−

e+

νee−

νe

u

d

W− − Jet

W+ − Jet

Um seinen Impuls zu bestimmen, müsste man alle Teilchenimpulse im „4�-De-tektor“ messen, der Teilchen in allen Winkelbereichen nachweisen kann.Wegen dergroßenMasse der Vektormesonen ist der Neutrinoimpuls typischerweise wesentlichgrößer als viele andere nicht oder fehlerhaft gesehene Impulse, und der berechne-te fehlende Impuls kann so, mit einem Caveat, in guter Näherung dem Neutrinozugeordnet werden.

Die Impulse in Vorwärts- und in Rückwärtsrichtung (� .1=2/ps) sind groß

gegenüber erwarteten Neutrinoimpuls (�MW ), und Messfehler sind daher nicht ir-relevant. Auch können aus praktischen Gründen – der Strahl in einem Speicherringist kein mathematisches Objekt – in einem Bereich um den Strahl keine Detektorenangebracht werden. In diesem Bereich können Teilchen in Vorwärtsrichtung dahernicht beobachtet werden. In Konsequenz beider Effekte sind die fehlende Ener-gie und der fehlende longitudinale Anteil praktisch nicht bestimmbar. Die Analysemuss sich auf die fehlende transversale Komponente stützen. Die Winkelverteilungder leptonishen Zerfälle ist bekannt, und Präzision ist möglich. Die letzten TEVAT-RON-Messungen ergaben [31]:

MW˙

D 80;387˙ 0;016GeV;�W˙

D 2;028˙ 0;072GeVDass dies machbar war, d. h. dass bei, sagen wir, 200 Teilchen der fehlende Trans-versalimpuls ausreichend genau bestimmbar war, ist der Punkt, an dem das gewal-tige Ausmaß der Detektoren und der hohe Stand der Technik zum Tragen kamen.

Wie in Abb. 5.8 dargestellt, können geladene Vektorbosenpaare auch in eCe�-Vernichtung erzeugt werden. Die hierfür benötigte Energie wurde nur von LEP-2erreicht. Die Energieabhängigkeit dieses Querschnitts konnte zur Bestimmung derW ˙-Masse benutzt werden. Bei den höheren LEP-2-Energien ist der Impuls derVektormesonen groß genug, um eine kinematische Identifikation ihrer Zerfallspro-dukte zu erlauben. Dies erlaubte eine mit den (späteren) TEVATRON-Messungenvergleichbare Präzision [31]:

MW ˙

D 80;376˙ 0;033GeV :Im Standardmodell für die Erzeugung der Massen der schwachen Vektorbosonen,das wir im letzten Abschnitt besprechen werden, hängen die Massen von der Kopp-lung der Vektormesonen an das Higgs-Teilchen ab, d. h. sie sind abgesehen von

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5.2 Die Weinberg-Salam-Theorie 267

Effekten des Weinberg-Winkels gleich. Abgesehen von kleinen Korrekturenerhältman folgende Relation zwischen den Massen der geladenen und ungeladenen Vek-torbosonen:

M.W C/M.Z0/

D cos �W : (5.27)

(Unser Ziel hier ist ein Verständnis der Struktur. In einer präziseren Betrachtungmüssen Korrekturen berücksichtigt werden.)

Diese Relation erlaubt eine Bestimmung des Weinberg-Winkels. Das Ergebnisist (siehe [31]):

sin2 �W D 0;22225˙ 0;00211 : (5.28)

Andere Methoden, den Weinberg-Winkel zu bestimmen, beruhen auf den Kopplun-gen der schwachen Vektormesonen g und g0. Sie liefern ein konsistentes Ergebnis.

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6Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

In Kap. 4 des Buches hatten wir Eichfelder, Photon und Gluon kennengelernt.Eichfelder sind Teil einer selbstkonsistenten Theorie. Unglücklicherweise haben siekeine Massen, und sie sind daher nicht ohne Weiteres auf die massiven schwachenVektorbosonenfelder anzuwenden. Man kann geeignete Massenterme nicht einfachin die Grundgleichungen einführen, da dies die Symmetrie in einer Weise verändernwürde, die die Renormierbarkeit, d. h. die Selbstkonsistenz der Theorie, zerstörenwürde.

Mit einem neuartigen Vakuumkonzept hat man eine Möglichkeit gefunden, dieSymmetriebrechung ins Vakuum zu legen und so indirekt effektive Massen durchWechselwirkungen mit neuen, zusätzlichen skalaren Feldern, den Higgs-Feldern,zu erzeugen, ohne die Struktur der Theorie zu zerstören.

Bei einer solchen dynamischen Symmetriebrechung entstehen normalerweise,wie in Abschn. 3.1.11 gesagt, masselose „Goldstone“-Teilchen, die offensichtlichnicht vorhanden sind. Der im Folgenden beschriebene Brout-Englert-Higgs-Me-chanismus erklärt die Abwesenheit solcher masselosen Teilchen. Er erfordert eindamals nicht bekanntes, neues massives Teilchen. Für die Vorhersage dieses jetztnachgewiesenen Teilchens haben die noch lebendenen Autoren Englert und Higgsden Nobelpreis des Jahres 2013 erhalten.

6.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen

6.1.1 Welche Felder werdenmindestens benötigt?

Wie wir in (4.2) gesehen hatten, genügen freie skalare Felder der Klein-Gordon-Gleichung:

� @

@x�

@

@x�i �mii : (6.1)

269F.W. Bopp, Kerne, Hadronen und Elementarteilchen, DOI 10.1007/978-3-662-43667-7_6,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

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270 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

Abb. 6.1 Beiträge zur La-grange-Funktion des Higgs-Feldes

pμ, Wiμ, Bμ pμ, W

iμ, Bμ

φ , φ 0 φ+, φ0

Um die Wirkung von Higgs-Feldern verständlich zu machen, kommt man nichtumhin, ihre Lagrange-Funktion

L D 1

2

@

@x�i

��

@

@x�i

� 12imii (6.2)

einzuführen. Wie ein harmonischer Oszillator in der klassischen Mechanik hat sieeinen kinetischen und einen Potenzial-Term. Ähnlich wie dort legt sie mit der Re-lation:

@

@x�@L=@

@

@x�i

� @L=@i D 0 ; (6.3)

die Feldgleichung 6.1 fest. Hierbei werden Ableitungen der Felder .d=dx�/i .D.˙d=dx�/i / wie unabhängige Variablen behandelt. (Die Notation mit hoch- undtiefgestellten griechischen Indizes wurde bei (4.2) erklärt). Für geladene Felder de-finiert man ˙ D 1 ˙ i2, und man benutzt die Relation � DPii .

Die Wechselwirkung von Photonen mit skalaren Teilchen hatten wir in (4.24)kennengelernt. Formal lässt sie sich als „minimale Kopplung“ einführen, bei derin (6.1) oder (6.2)

@

@x�durch D� D @

@x�� ieA� (6.4)

ersetzt wird. Sie folgt aus einem allgemeinen Prinzip („lokale Eichinvarianz“), dashier nicht erläutert wird.

Für die elektroschwachen Kopplungen gehen wir analog vor. Wir benutzen da-bei die ursprünglichen Felder W �

� , W 0� , W

C� und B�, die wir in (5.20) und (5.21)

eingeführt hatten. Die „Minimale Kopplung“ (mit p� D �i.@=@x�/) erfordert nundie folgende Ersetzung:

@

@x�durch D� D ip� � ig2

X

W i��

i � ig1B� (6.5)

Die Lagrange-Funktion erlaubt es, die verschiedenen Faktoren, die in den Feyn-man-Graphen zur Berechnung der Amplituden benötigt werden, herzuleiten. DasErgebnis ist intuitiv. Summanden in der Lagrange-Funktion mit zwei Feldern erge-ben Massenterme. Die Größe der Massen ist dabei durch die Konstanten festgelegt.Terme mit drei oder vier Feldern erlauben Übergänge, bei denen sich die Teil-chenzahl entsprechend verändert. Lässt man in solchen Beiträgen zur Lagrange-Funktion die Felder weg, erhält man die Vertex-Terme, die in den entsprechendenFeynman-Graphen benötigt werden.

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6.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen 271

Substituiert man den Ausdruck (6.5) in (6.2), erhält man einen Beitrag, wie er inAbb. 6.1 graphisch dargestellt ist. Die genaue Bedeutung der skalaren Felder wirdspäter erklärt. Neben einem kinetischen Term proportional p2 sieht man verschie-dene Beiträge mit mehreren Feldern.

Das Higgs-Feld koppelt an das SU.2/ Triplett-Feld .W �� ;W

0� ;W

C� /. Dies er-

fordert für die Higgs-Bosonen eine mindestens zweikomponentige SU.2/-Dublett-Struktur, die Übergänge von einem in den anderen Zustand erlaubt. Die Kopp-lungen seiner Komponenten an das .W �

� ;W0� ;W

C� /-Triplett sind dann ˙g2. Für

eine Kopplung an das Ur-Photon B� muss dieses Higgs-Dublett eine Ladung (derGröße „g1“) tragen. Mit dem geladenen Dublett muss dann auch ein Antidublettmit der entgegengesetzten Ladung (der Größe �g1) existieren. (Die Relation zuAbschn. 5.2 ist g1 D .1=2/g0 und g2 D .1=2/g.) Insgesamt sind also, wie einge-zeichnet, vier Higgs-Felder nötig.

Wie wir später sehen werden, haben zwei der Higgs-Felder einen nicht ver-schwindenden Vakuumanteil. Sie müssen daher elektrisch neutral sein und ihreKopplungen an A� müssen verschwinden. Gemäß (5.20) ist

A� D sin �W �W 0� C cos �W � B� : (6.6)

Dies erfordert cos �W � g1 � sin �W � g2 D 0.Mit der Definition e D cos �W � g1C sin �W � g2 ergeben sich die anderen beiden

Kopplungen als ˙e. Die vier Higgs-Felder lassen sich daher mit ihren elektrischenLadungsindizes (in Einheiten von e) in der folgenden Weise schreiben:

C0

und�

000�

: (6.7)

Der Higgs-Anteil der Lagrange-Funktion (es ist � WD �t ) ist damit:

Lkin: D 1

2

D�

C0

�� �

D�

C0

C komplex konjugierter Summand ;

(6.8)wie er in Abb. 6.1 dargestellt war. Die Multiplikation der Matrizes (hier mit eckigenKlammern) ist impliziert.

6.1.2 Die spontane Symmetriebrechung des Higgs-Feldes

In Abschn. 4.2.2 hatten wir gesehen, dass ein virtuelles Photon q Nq-Paare produzie-ren und vernichten kann. Wegen der Unschärferelation kann sogar für kurze Zeitein selbst virtuelles q Nq-Paar aus dem Nichts entstehen, und das Vakuum ist da-her nie wirklich leer. Im feldtheoretischen Rahmen ist das Vakuum nicht mehr derleere Raum. Das feldtheoretische Konzept ist, Teilchen wie Schallwellen in einemFestkörper zu betrachten. Man fragt, wo sie erzeugt und wo sie absorbiert werden,und ignoriert, was unkorreliert existiert. Das Vakuum ist dabei der nicht angeregteGrundzustand.

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272 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

-h

0

h

-h

0

h

0

0.5

1

1.5

Abb. 6.2 Das Higgs-Potenzial

In (6.2) war der Potenzialterm der neutralen Higgs-Felder quadratisch. Erlaubtman 4-Terme, gibt es neue Möglichkeiten. Mit

Lpot: D m2

8h2

0�2 C �00�2 � h2

�2

(6.9)

kann der Potenzialterm wie in Abb. 6.2 aussehen.Hier entspricht das Minimum nicht dem leeren Zustand mit 0 D 00 D 0 .

Es ist nicht einmal eindeutig festgelegt. Die Lagrange-Funktion ist symmetrischin 0 und 00, und es gibt einen Ring von möglichen minimalen Zuständen. DieIdee der spontanen Symmetriebrechung ist, dass das Vakuum in einem univer-sellen Zufallsprozess sich einen Zustand aussucht. (Einige kosmologische Aspek-te der Symmetriebrechung sind noch nicht verstanden.) Da die Lagrange-Funkti-on selbst keine Symmetriebrechung enthält und da der Offset im Grenzwert ho-her Energien, h E , unbedeutend wird, ist die Renormierbarkeit nicht be-rührt.

Für im Augenblick erreichbare Energieskalen interessieren winzige Auslenkun-gen um den Vakuumzustand, und es ist daher angebracht, zu den in Abb. 6.3 ge-zeichneten relativen Koordinaten überzugehen. In der Lagrange-Funktion (6.8) tre-ten dann neben den Auslenkungsfeldern auch Beiträge mit der Konstanten h Dh.cos �h; sin �h/ auf, die für Massen verantwortlich sein werden.

Page 280: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

6.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen 273

Abb. 6.3 Definition neuerHiggs-Felder

6.1.3 Die Higgs-Massen der schwachen Vektormesonen

Das Zusammenspiel vonW 0� und B� hatten wir im Weinberg-Salam-Abschn. 5.2.2

eingeführt. Um das Argument nicht zu wiederholen, betrachten wir hier das gela-dene VektormesonW C. Es liefert in D� den folgenden Beitrag:

D� D � � � � ig2�

0 W C�

0 0

C � � �

Die Lagrange-Funktion enthält dann den folgenden Term:

1

2

� 00 ��

0 0

W �� 0

.g2/2

0 W C�

0 0

C0

(Es ist .AB/� D B�A�, .W C� /

� D W �� und .00/� D Antiteilchen� D Teilchen D

0.)Ein Beitrag des konstanten Vakuum-terms ˚h D .h; 0

h/ ist damit:

1

2

0; 0h

0 0

W �� 0

g22

0 W C�

0 0

0

h

D 1

2M2WW

�� W

C� ; (6.10)

Page 281: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

274 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

W+μ W+

μ

φh φh

g22

W+μ W+

μ

=

M2W

Abb. 6.4 Der Masseterm der Vektormesonen (Helizität ¤ 0)

mitM2W WD g22j˚hj2 D g22h2 : (6.11)

Zeichnet man in Abb. 6.1 Felder, die konstante Beiträge geworden sind, rot (bzw.grau), ergibt sich die in Abb. 6.4 gezeigte Darstellung von (6.10):

Die Definition (6.11) und ein analoger Beitrag ergeben die Lagrange-Funktion:

LMasse.W / D 1

2M2W

W �� W

C� CW C

� W��

: (6.12)

Mit zwei Feldern hat sie die Struktur eines Massenterms in der Lagrange-Funktiondes geladenen Vektormesons, und man hat damit eine effektive Theorie mit derMasseMW .

Da der Formalismus Lorentz-invariant ist und massive Vektormesonen auch Zu-stände mit verschwindender Helizität enthalten, müssen diese zusätzlichen Zustän-de irgendwie mit der Symmetriebrechung entstanden sein. Da sich die Zustandszahlinsgesamt nicht ändern kann, müssen entsprechende Higgs-Bosonen „verspeist“worden sein.

Kann man, ohne die Feldtheorie wirklich vorauszusetzen, verstehen, wie dieszustande kommt? Berechnet man die S-Matrix zu einer bestimmten Ordnung in derFeldtheorie, treten Produkte von Beiträgen der Lagrange-Funktion auf, in denen dieFelder, soweit sie nicht ein- oder auslaufen, durch Propagatoren ersetzt wurden. DieForm der Propagatoren und die Behandlung von ein- und auslaufenden Zuständensowie die Anwendung der Feynman-Regeln zur Berechnung der Streumatrizen sindaus Abschn. 4.1.5 bekannt. Der Propagator eines masselosen Spin 1 Vektorbosonsist (in „Feynman-Eichung“):

������� D �ip2g��

Um die Behandlung von iterativen Prozessen zu verstehen, betrachten wir zu-nächst die Propagation eines transversalenW C-Bosons (d. h. Helizität¤ 0). SolcheBosonen tragen zur in Abb. 6.5 skizzierten Wechselwirkung bei, die zu einem Ver-

Abb. 6.5 Ein Beitrag zurtransversalen Komponentedes Propagators

W+μ M2

WM2

W M2W

Page 282: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

6.1 Das Higgs-Boson und die schwachen Vektorbosonen 275

Abb. 6.6 Ein Mischungs-übergang

W+μ

12φh

φ+

g2

tex iMW führt. Eine Störungsreihe solcher Wechselwirkungen, d. h. einer Iteration,wie sie in Abb. 6.5 dargestellt ist ergibt den Masseterm im Propagator:

X �ip2g�� iM

2W

�ip2� iM2

W ��ip2� � � D �i

p2g��

1

1 �M2W =p

2

D �ig��p2 �M2

W

(6.13)

Er betrifft, wie gesagt, nur die transversalen Komponenten der Vektorbosonen.Ein zweite Art von neuen Beiträgen enthält den des konstanten Vakuum-Terms

nur einmal. Ein Beispiel für einen solchen Beitrag ist:

1

2

ip��

C0 � h

��

.�ig2/�

0 W C�

0 0

0

h

D �g2h2

C�� p�W C� :

Ein solcher Term führt zu einem Übergang vom 0-Helizitäts-Zustand des Vektor-bosonsW C

� zum geladenen, zunächst noch masselosen Higgs-Boson C, wie er inAbb. 6.6 dargestellt ist.

Es gibt einen weiteren solchen Beitrag, und der Vertex des Übergangs ist damit

g. C ! W C/ D �MW p�

Zwei andere Beiträge führen zurück zum Vektorboson:

g.W C ! C/ D �MW p� :

Zusammen führen die Massenterme in einer Iteration zu einer Masse des skalarenTeilchens. Die Iteration ist in der Abb. 6.7 dargestellt.

Für den Propagator erhält man für n-Übergänge .n � 1/ (p�g�� p� D p2):�

i

p2

� nY

iD0

"

��p�.i/MW

�ig�.i/�0.i/

p2

!

.�p�0.i/MW /

i

p2

#

D i

p2

MW2 1

p2

�n

:

(6.14)

Abb. 6.7 Ein Beitrag zureffektiven Masse des skalarenTeilchens φ+

−MW

W+μ φ+

−MW

−MW

W+μ φ+

−MW

Page 283: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

276 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

Die geometrische Reihe erlaubt wiederum die Aufsummation:

1X

nD0.Produkt der Gl. 6.14/ D i

1

p2 �M2W

: (6.15)

Das skalare Teilchen hat die Masse des Vektormesons erhalten.Mit Mischungsübergängen (wie in Abb. 6.7) kann es als zusätzliche helizitäts-

lose Komponente des Vektormesons an ein Fermion koppeln. Beide Komponentenzusammen ergeben dann den für massive Vektorteilchen erforderlichen Propagator.(Um die Teilchen-Quantisierung in der Feldtheorie zu berücksichtigen, muss eineEichung mit Eichsymmetrie-brechenden Termen festgelegt werden. Die verschie-denen Möglichkeiten sind am Ende äquivalent. Eine Eichung, die eine einfacheZuordnung von Feldern und physikalischen Teilchen erlaubt, ist die sogenanntet’Hooft-Eichung. Sie wird im Rahmen dieses Buches nicht behandelt.)

Der Mechanismus funktioniert für alle drei masselosen Higgs-Teilchen. Dasneutrale Higgs-Teilchen �˚? wird zum 0-Helizitäts-Zustands-Partner des Z0

�, diegeladenen Higgs-Teilchen �˚˙ zu Partnern desW� .

Es gibt keinen Übergang durch ein Vektorboson vom Vakuumfeld ˚h zu demparallelen Higgs-Feld �˚jj. Das neutrale Higgs-Teilchen verbleibt daher als neuesphysikalisches Teilchen. Der Potenzialbeitrag der Lagrange-Funktion

Lpot: D m2

8h2

h

ˇ

ˇ˚h C�˚jjˇ

ˇ

2 � h2i2 � m2

2

ˇˇ�˚jj

ˇˇ2

gibt ihm eine Massem (analog zu 6.10). Sie hängt nicht von der spontanen Symme-triebrechung im Vakuum (d. h. von h2) ab. Anders als die „aufgegessenen“ Kompo-nenten muss es als physikalisches Teilchen existieren.

6.2 Die Entdeckung des Higgs-Bosons

Da seine Masse nicht direkt vorhersagbar war, wurde an vielen Beschleunigern nacheinem solchen Teilchen vergeblich gesucht. Erst nachdem der LHC die notwendigeEnergie und Luminosität erreicht hatte, konnte es 2013 von der ATLAS- und derCMS-Collaboration nachgewiesen werden [175, 176, 177, 178].

Die Detektoren haben dabei eine zentrale Rolle gespielt. Im Rahmen diesesBuches soll wenigstens einer der beiden Detektoren etwas genauer beschrieben wer-den [179].

6.2.1 Der ATLAS-Detektor

Man hört oft, die Higgs-Suche sei so etwas, wie eine Nadel in einem Heuhaufen zusuchen. Dieses Bild suggeriert, dass man den Haufen aufteilen kann, um ihn dann anvielen Orten mit guten Computern zu durchforsten. Dies ist falsch. Der Querschnitt,

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6.2 Die Entdeckung des Higgs-Bosons 277

Abb. 6.8 Der ATLAS-Detektor (ATLAS Experiment, © CERN, 2013). Um die verschiedenenLagen zu sehen, sind vordere Komponenten entfernt

ein Higgs-Teilchen zu erzeugen ist zu klein für eine solche Analyse. Das richtigeBild ist eine Anlage, durch die riesige Mengen Heu strömen, aus denen währenddes Strömungsvorgangs mit schnellen Prozessoren ausreichend effizient eisenfreiesHeu abgetrennt wird, sodass dann für den zweiten Schritt eisenhaltige Heuhaufenfür die obige Analyse übrigbleiben.

Alle 50 ns treffen sich zwei Teilchenpakete. Das entspricht einer Frequenz von20MHz, viermal so schnell wie die Taktrate des ursprünglichen IBM-PCs. Um dieLuminosität zu erhöhen, soll 2015 der zeitliche Abstand sogar auf 25 ns reduziertwerden. Die Teilchendichte in den Paketen ist so hoch, dass es jeweils zu mehrerenStreuungen kommt („pile-up“):

2011 9 Streuungen pro Paketdurchlauf2012 20 Streuungen pro Paketdurchlauf

Auch diese Zahl wird sich stufenweise weiter erhöhen. Es werden bald etwa eineMilliarde Streuungen pro Sekunde sein. Von diesen werden etwa 200 pro Sekun-de als möglicherweise interessant abgespeichert. Die Online-Rechenleistung ent-spricht der von 3000 heutigen PCs. Für die Offline-Analyse steht weltweit eineRechenleistung von 100.000 PCs zur Verfügung.

Abb. 6.8 zeigt eine Darstellung des ATLAS-Detektors. Etwa 3000Wissenschaft-ler sind bzw. waren an seinem Bau und Betrieb beteiligt. Mit einem Durchmesservon 25m ist der Detektor 46m lang. Seine Größe ist an den Figuren ersichtlich, diefälschlicherweise keine bergmännischen Helme tragen, die 92m unter der Oberflä-che Pflicht sind.

Ohne auf die einzelnen Komponenten einzugehen, soll die Wirkungsweise er-läutert werden. Sie ist in Abb. 6.9 dargestellt. Zunächst werden eng am StrahlrohrSpuren vermessen. Aus der beobachteten Krümmung im zentralen 2-Tesla-Magnet-feld können die Impulse der geladenen Teilchen bestimmt werden. Auch kann man

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278 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

Abb. 6.9 Schematische Darstellung der Wirkungsweise des ATLAS-Detektors. (ATLAS-Experi-ment, © CERN, 2013)

im gewissen Umfang sehen, wo die Teilchen produziert wurden. Es folgt das elek-tromagnetische Kalorimeter, das braun (bzw. dunkelgrau) eingezeichnet ist, unddann das hadronische, das blau (bzw. hellgrau) eingetragen ist. Weit draußen, in ei-nem Bereich, in dem alle anderen Teilchen zerfallen sind, werden dann die Myonenin großflächigen Detektoren nachgewiesen

6.2.2 Ein Beispiel für ein Higgs-Signal

Da der Higgs-Anteil in allen möglichen Kanälen im Vergleich zu konventionel-len Beiträgen winzig ist, erforderte sein Nachweis eine aufwendige Strategie, umden Einfluss von Hintergrundprozessen zu reduzieren. Das Higgs-Teilchen wurde inverschiedenen Kanälen gesehen. Hier wollen wir uns auf einen Kanal beschränken.Der Prozess

p C p! hC Rest

und dann weiterh! Z0Z0! 4Leptonen

erlaubt im Prinzip eine direkte Bestimmung der Higgs-Teilchen-Masse.

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6.3 Das Higgs-Boson und die Massen der Fermionen 279

Abb. 6.10 Das Higgs-Signalim 4-Leptonen-Kanal (©CERN, 2013 [180] CMS-Experiment)

Dazu ist in der Abb. 6.10 die von der CMS-Collaboration gemessene Massen-abhängigkeit des 4-Leptonen-Systems dargestellt. Die vier Leptonen konnten dabeipassende Elektronen oderMyonenmit Transversalimpulen pe? > 7GeV bzw.p�? >

5GeV sein. Sie mussten vom selben Wechselwirkungspunkt kommen, und einesder Leptonenpaare musste im Massenbereich des Z0 liegen. Typischerweise ist imHiggs-Bereich eines der Z0 nicht virtuell.

Im Massenbereich um 200GeV, in dem zwei reelle Z0 mit jeweils zwei Lepto-nen beitragen können, wird ein konventioneller Beitrag beobachtet. Auch kann, wieman sieht, ein Z0 in die vier Leptonen zerfallen. Neu ist die Spitze um 125GeV.Sie beweist die Existenz eines zusätzlichen skalaren Higgs-artigen Teilchens.

Nimmt man die von beiden Collaborationen (auch in anderen Kanälen) beob-achteten Massenwerte zusammen, erhält man:

MHiggs D 125;7˙ 0;7GeV :

Aus Winkelverteilungen konnten der Spin und die Parität

J P;C D 0CC

bestimmt werden. Der Ausschluss eines (J D 2)-Beitrags hängt von Annahmenüber die Kopplung eines solchen Teilchens ab. Da diese Quantenzahlen genau de-men des Higgs-Teilchens entsprechen, geht man davon aus, das Higgs-Teilchengefunden zu haben.

Das Higgs-Modell enthält die fundamentale Annahme, dass das Vakuum nichtdem leeren Zustand entspricht und dass Wechselwirkungen mit dem Vakuum fürdie Massen verantwortlich sind. Seine Entdeckung bestätigt ein neuartiges Konzeptüber die Entstehung von Massen.

6.3 Das Higgs-Boson und die Massen der Fermionen

Anders als für Vektormesonen gibt es für Fermionenmassen kein Problem mit derRenormierbarkeit. Die Symmetrie zwischen linkshändigen und rechtshändigen Fer-mionen verhindert, dass indirekt Massen entstehen. Unschön ist die große Zahl von

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280 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

recht zufälligen Massenparametern sehr unterschiedlicher Größen. (Die 12 Eigen-werte der Massenmatrizen und 6 Winkel sowie 2 Phasenparameter der Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix und der Pontecorvo-Maki-Nakagawa-Sakata-Matrixsind sehr viele. Hawking bezweifelt, dass es möglich sein könnte, die leptoni-schen und hadronischen Massematrizen aus einer fundamentalen Theorie zu be-stimmen [181].)

Da die Massen einiger Fermionen sich im Bereich der Higgs-Masse befinden,liegt es nahe, sie demselben Mechanismus zuzuordnen. Dazu muss man eine Wech-selwirkung der folgenden Form annehmen:

LHiggs-Fermionen

D �gd rechtsd

00 0� �

linksd

linksu

� gu rechtsu

C; 0�

linksd

linksu

(6.16)

Es ist einer von mehreren ähnlichen Beiträgen. Die spontane Symmetriebre-chung im Higgs-Bereich erzeugt dann den folgenden Massenterm, der einen Über-gang von links- nach rechtshändigen Fermionen bewirkt:

LFermionen-Masse

D �gd rechtsd

00 0�

linksd

linksu

� gu rechtsu

0 h0�

linksd

linksu

D md rechtsd links

d Cmu rechtsu links

u

(6.17)Der auch auftretende komplex konjugierte Beitrag ergibt den rechts- nach linkshän-digen Beitrag.

Das Higgs-Modell der Fermionenmassen ist überprüfbar. Die Kopplungen an dieverschiedenen Higgs-Komponenten sind nicht frei wählbar. Die relativen Größender Massen legt die Kopplungen des sichtbaren Higgs-Teilchens an die Fermionenfest.

Es gibt deutliche experimentelle Hinweise von h ! �C�� und von h ! bb,die auch diesen Anteil des Modells zu bestätigen scheinen. Zur Zeit (Ende 2013) istdieser Aspekt noch nicht entschieden [182].

6.4 Ausblick auf die Physik unterhalb der Higgs-BosonenMasse-Skala

Unsere Reise in den Mikrokosmos ist noch nicht zu einem Ende gekommen. DasZiel des Buches war es, bei jeder Skala einen Überblick über die bekannten Phäno-mene zu vermitteln. Natürlich gibt es auf der theoretischen Seite viele interessanteKonzepte über die Physik, die bei noch kürzeren Abständen gilt und die die Grund-lage der heutigen Physik bildet [90]. Zwei Fragen sollten hier angesprochenwerden.

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6.4 Ausblick auf die Physik unterhalb der Higgs-Bosonen Masse-Skala 281

Die eine betrifft die Entstehung der Masseskala des Higgs-Teilchens, die andere, obes bei höheren Energieskalen weitere Vereinfachungen geben kann, die über dieVereinigung der schwachen und der elektromagnetischen Wechselwirkungen hin-ausgehen.

6.4.1 Was bestimmt dieMassenskala des Higgs-Teilchens?

Wie das Potenzial und die Masse des Higgs-Teilchens entstehen, ist noch nichtgeklärt. Im Konzept der spontanen Symmetriebrechung sind die Massen keinefundamentale Eigenschaft der jeweiligen Teilchen, sondern ein „Niederener-gie-Effekt“ der Higgs-Kondensation im Vakuum. Die einzige primäre Masse inder Teilchenphysik ist die Planck-Masse. Die Frage ist, wie kommt man vonMPlanck � 1019GeV zuMHiggs � 102GeV.

Ein älteres Konzept beruht darauf, dass Kopplungskonstanten sich mit der Ener-gieskala nur logarithmisch ändern. So nimmt man an, dass um 0,2GeV die QCD-Kopplung einen Wert erreicht hat, der (in der so genannten „chiralen Symmetrieb-rechung“) zu einem Kondensat führt, das dann für die Konstituenten-Massen derQuarks in der so erreichten Skala verantwortlich ist.

Unglücklicherweise funktioniert dieseMethode für das skalare Higgs-Feld nicht.Es gibt zwei Konzepte, diese Methode trotzdem anzuwenden. In der „Supersym-metrie“ ergänzt man jedes bekannte Fermion mit einem bisher ungesehenen boso-nischen Partner und umgekehrt. Auf diese Weise können Probleme mit dem ska-laren Higgs-Boson umgangen werden. Man erhält eine ausreichend langsame Ent-wicklung der Kopplungskonstanten. Im „Extra-Dimensionen“-Konzept verändertman das Gravitationsgesetz bei kleinen Abständen und damit den Wert der echtenPlanck-Masse. Die Annahme ist, dass man nur drei Raumdimensionen sieht, da dieAusdehnung des geschlossenen Raumes in den anderen Dimensionen zu klein ist,um mit verfügbaren Energien aufgelöst zu werden.

Eine Kritik an beiden Konzepten ist, dass Teilchenphysik und Kosmologie nichtseparat zu betrachten sind, da sie beide vom Vakuum abhängen. In der Kosmologiegibt es Massenskalen, die weit unter der Planck-Masse liegen. Allerdings ist es insolchen Modellen schwer zu verstehen, warum keine Variationen in Naturkonstan-ten beobachtet werden.

6.4.2 Kann die Physik bei kleineren Skalen symmetrischer werden?

Ein anderes wichtiges Konzept betrifft die Struktur der Eichfelder. Es versucht, dieVereinigung der schwachen und der elektromagnetischen Wechselwirkungen mitgrößeren Gruppen auf die Farb- und vielleicht auch auf die Generationsstrukturauszudehnen. Dies wird „Theorie der Großen Vereinheitlichung“ (englisch: GrandUnification) genannt. Man nimmt dabei an, dass für sehr lokale Wechselwirkungeneine Eichtheorie, die auf einer größeren Gruppe basiert, gültig ist. Diese fundamen-

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282 6 Einführung in die Physik der Higgs-Bosonen

tale Theorie soll dann im uns bekannten „Niederenergiebereich“ in die beobachtetenEichtheorien, die auf Untergruppen aufbauen, zerfallen. Die in der ursprünglichenTheorie zusätzlich auftretenden Eichbosonen müssen dabei durch spontane Sym-metriebrechung bisher unerreichbar große Massen erhalten.

Das wichtigste Beispiel einer solchen Vereinheitlichungstheorie ist die SU .5/.Diese Theorie enthält die 24 Eichfelder. (Allgemein gilt, dass eine SU.N /-Eich-theorie N2 � 1 Eichfelder enthält.)

Davon sind acht Gluonen aus einem SU.3/QCD-Bereich, drei Vektormesonenaus dem SU.2/schwach-Bereich, und ein Vektorboson (B�) hat seinen Ursprung inder relativen Phase zwischen beiden Bereichen U.1/B . Man erhält also genau dieEichteilchen, die in der Weinberg-Salam-Theorie benötigt werden. Die verbleiben-den 12 Eichfelder sind die sogenannten „Leptoquarks“. Sie vermitteln 2�3�x- oder�y-artige Übergänge zwischen beiden Bereichen.

Eine wichtige Vorhersage des Modells betrifft die Größe der Kopplungskonstan-ten. Wie erwähnt, hängen die Kopplungskonstanten in Eichtheorien in berechen-barer Weise von der betrachteten Lokalisierung ab. Entspricht die Lokalisierungder Symmetriebrechungsskala, d. h. den inversen Leptoquark-Massen, müssen alledrei Wechselwirkungen, abgesehen von Clebsch-Gordan-Koeffizienten, identischeKopplungsstärken haben. Dass sich die drei Kurven der Kopplungskonstanten alsFunktion der Lokalisierungs-Skala innerhalb einer Größenordnung in einem Punktschneiden, ist als Erfolg dieser Theorie zu werten. (Eine supersymmetrische Theo-rie mit minimalen Massen der supersymmetrischen Partnerteilchen von etwa <10TeV erreicht für den Schnittpunkt eine größere Präzision. Intensive Suchexpe-rimente am LHC haben inzwischen für die meisten möglichen Prozesse solcheTeilchen im Bereich von etwa < 1TeV) ausgeschlossen.)

Der Schnittpunkt legt die Leptoquark-Massen auf einen enormen Wert von etwa1 �1015GeV fest. Unterhalb dieser Skala bleiben zunächst die acht Gluonen, die dreischwachen Vektorbosonen und das verkehrte Photon.

Doch gibt es ein Problem. In Prozessen mit Leptoquarks, die auch Übergän-ge zwischen Quarks und Leptonen vermitteln, können Protonen und Neutronen inMesonen und Leptonen zerfallen. Mit der aus den Kopplungen festgelegten Lep-toquark-Masse wird für solche Zerfälle eine auch auf einer kosmologischen Skalawinzigen Rate vorausgesagt.

Trotzdem konnten Zerfälle mit der vorhergesagten Rate inzwischen in Expe-rimenten ausgeschlossen werden. Riesige unterirdische Wassertanks erlaubten –abgeschirmt von kosmischer Strahlung – die Beobachtung einer gigantischen Pro-tonenzahl, und eine Mindestlebenszeit des Protons von �p D 1031 � � �1033 Jahrenkonnte festlegt werden. Allerdings ist anzumerken, dass die theoretischen Vorher-sagen auf einer einfachen Generationszuordnung von links- und rechtshändigenLeptonen und Fermionen beruhen.

Wahrscheinlich sollte man sich von diesem Misserfolg nicht entmutigen lassen.Man war mit der SU.5/-Vereinheitlichungstheorie unerwartet dicht an einem ge-waltigen Durchbruch, der unseren Kenntnisstand möglicherweise bis zu einer Skalavon etwa 1015GeV ausgedehnt hätte, und es ist denkbar, dass man mit neuen expe-rimentellen Ergebnissen, mutatis mutandis, diesen Sprung eines Tages schafft.

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Page 297: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

Sachverzeichnis

AAlpha

-Strahlung, 10-Zerfall, 33, 57, 72

Alphateilchen-Modell, 53Annihilation in Myonen, 210anomales magnetisches Moment, 215

Elektron, 216Myon, 216

Argand-Diagramm, 93asymptotische Freiheit, 220ATLAS-Detektor, 278atomare Masseneinheit, 21Atommodell

Rutherfordsches, 12Thomsonsches, 12

Austauschentartung, 168Austauschteilchen

Attraktion, 25Hadronenstreuung, 158Reichweite, 26Repulsion, 25

Autofokussierung, 123Axialvektor-Beitrag, 70Axialvektorstrom, 249

BBaryonen, 115

Liste, 146-Zahl, 133

Baumstruktur, 239Becquerel, 8begleitende Logarithmen, 239, 241Beschleuniger

ILC (Japan), 123LEP (CERN), 122LHC (CERN), 121

Liste, 120–122SPS (CERN), 117

Beta-Strahlung, 10-Zerfall, 57, 69

Bethe-Weizsäcker-Formel, 32BFKL-Entwicklung, 241Bhabha-Streuung, 211binary collision scaling, 189Bindungsenergie

Bindfaden-Konzept, 151pro Nukleon, 22

Bjorken-Formel, 243-Skalenverhalten, 230

Bleibefaktor, 102Bohr

Magneton, 48, 215Postulate, 15

Bootstrap-Konzept, 171Bosonen, 115Bottom-Quantenzahl, 133Bragg-Streuung, 23Breit-Wignersche Resonanzkurve, 94Bremsstrahlung, 215

CCabibbo

-Matrix, 252-Winkel, 252

Callan-Gross-Relation, 230Charm, 133Chew-Frautschi-Plott, 154Cluster-Modell, 53CMS-Detektor, 279Compound-Zustände, 96, 98Compton-Streuung, 213

291

Page 298: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

292 Sachverzeichnis

Confinement, 141Constituent-Quark-Massen, 134Coulomb-Streuung, 214C-Parität, 138CP-Eigenzustände, 254CPT-Verletzung, 140, 256CP-Verletzung, 255

in CKM-Matrix, 256in Masse-Matrix, 257

Crookes und Perrin, 12Curie

Pierre, und Marie Sklodowska, 11Current-Quark-Massen, 134, 281

DDelta-Resonanz, 126Deuteron, 23Dirac-Gleichung, 136, 196direkte Reaktionen, 100Dreiecksgraphen, 156Drei-Jet-Ereignisse, 226Drell-Yan-Streuung

Definition, 233Skalengesetz, 233

duale Amplituden, 172Dualität, semilokale, 169Dual-Topologisches Modell, 174

EEichfelder, 193Einheiten

der Radioaktivität, 60Heaviside-Lorentz-, 15natürliche, 1Präfixe, 2Wirkungsquerschnitte, 85

Einstein-Konvention, 195Ein-Teilchen-Austausch, 158Elektron

Einfang, 56-Elektron-Streuung, 213-Kern-Streuung, 214-Positron-Annihilation, 184

in Myonen, 206in Quarks, 224

elliptischer transversaler Fluss, 192Energiebilanz, 20Exklusionsprinzip von Pauli, 115exotische Hadronen

Gluonium, 142Pentaquark, 142Tetraquark, 142, 148

exponentielles Zerfallsgesetz, 58

Extra-Dimensionen, 281

FFarblinien-Graphen, 221Farbstruktur, 141

Baryonen, 141Mesonen, 141

Fermi-Energie, 36-Kugel, 36

Fermionen, 115Liste, 246

FeynmanRegeln, 205Scaling, 180

Flavor-Quantenzahlen, 130Formations-Zeit, 189Fraktal, 187Froissart Grenze, 182

GGamma

-Strahlung, 10-Zerfall, 57, 63

Gammamatrizen, 197Gamow-Faktor, 78Geiger-Nuttallsche Regel, 79geladene Vektorbosonen, Masse, 266Gell-Mann-Nishijima-Relation, 134Generationen, 131

Anzahl, 265Gittereichtheorie, 153g-Kopplung (SU[2]), 263g0-Kopplung (U[1]), 264Glashow-Iliopoulos-Maiani-Trick, 251Glühkathodenröhre, 12Gluonen-Jet, 187Gluonenproduktion, 186Goldstone-Teilchen, 153, 250G-Parität, 139Grand Unification Theory, 281große vereinheitlichte Theorie, 281Gummibandmodell, 130, 176

HHadronen, 113Hadronisation, 175

Elektron-Positron, 224nach harten Streuungen, 183

Hahn, Otto, 80harte Streuungen, 235Hartree-Fock-Approximation, 40Higgs-Teichen

benötigte Felder, 271

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Sachverzeichnis 293

beobachtbares, 276Entdeckung, 279experimentelle Masse, 279Massenterm der Fermionen, 280Masseterm der Vektormesonen, 274spontane Symmetriebrechung, 271Vektormeson-Propagator, 274Vektormesonzusatz, 275

Hochtemperatur-Feldtheorie, 242Hyperfeinstruktur, 50

Iidentische Fermionen/Bosonen

unter Vertauschung, 115infrarote Sklaverei, 220innere Konversion, 57Isobare, 16Isobarenreihe, 33Isomere, 16Isospin, 28, 31, 132

dritte Komponente, 28, 31, 133schwacher, 262

Isotone, 16Isotope, 12, 16

JJet-Produktion, 184Jet-Quenching, 190jj-Kopplung, 45

KKaon, neutrales, 253Kaskade

elektromagnetische, 215in Schwerionenstreuung, 189

Kathodenstrahlung, 12K-Einfang, 57Kern

Fusion, 33Spaltung, 33

KerneAsymmetrieenergie, 32Coulomb-Energie, 30Hochspin -, 55Ladungsdichten, 18Massen, 19Notation, 15Nukleonendichten, 18Oberflächenenergie, 29Paarungeenergie, 32stabile, Lage, 18superschwere, 55Tabelle, 16Volumenenergie, 29

Kernfusion, 105durch Magneteinschluss, 107durch Myonen, 107durch Trägheitseinschluss, 108in Sonne, 108

Kernkräfte durch Austausch, 25Kernreaktor, 101Kernresonanz-Spektrometer, 50Kernspaltung

spontane, 80Kernspaltung, stimulierte, 100Kernspin-Tomographie, 51Kettenreaktion, 100Klein-Gordon-Gleichung, 25, 194Klein-Nishina-Formel, 214Kobayashi-Maskawa-Matrix, 251kollektiver transversaler Fluss, 192kollektives Modell, 51Konversion, innere, 68Kopplungskonstante der QCD, 226Kosmologie, 281kritischer Faktor, 102

LLagrange-Funktion: skalares Feld, 269Lebensdauer

aus Matrixelement, 204Messung, 58mittlere, 57

LeptonenListe, 193, 246Massen, 193

Leptoquarks, 282Leuchtnukleon, 45Lichtgeschwindigkeit, 1Lie-Gruppen, 28, 132Linearbeschleuniger, 116LS-Kopplung, 45Luminosität, 82, 119

Mmagische Zahlen, 38Majorana-Masse, 253Mandelstam-Variable, 118, 156, 160Massenspektroskop, 19Massenzahl, 15Matrixelement

Berechnung des, 205Meitner, Liese, 80Mesonen, 115

Liste, 143Meson-Trajektorien

wichtige, 166

Page 300: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

294 Sachverzeichnis

minimale Kopplung, 270Møller-Streuung, 213Mößbauer-Effekt, 67Multipolmomente, 46

elektrische Quadrupol-, 46, 51magnetische Dipol-, 46und Abstrahlung, 64

Nneutraler Strom, 258Neutrino, 70, 246

Anzahl, 265Masse, 246Streuprozess, 258

Neutrinoexperiment, 258Neutronen, 15

Einfang-Einfang, 23Lebenszeit, 114Masse, 114prompte, 101-Streuung, 96verzögerte, 101-Zahl, 15

Neutronenstern, 110Nukleon, 15Nuklidtabelle, 16

OOptisches Modell, 98Optisches Theorem, 92Ordnungszahl, 15

PParität, 135

Eichteilchen, 137Fermionen, 137Photon, 137

Paritätsverletzung, 248Partialwellenamplitude, 91participant scaling, 189Partonen, 130Partonenstruktur der Hadronen, 226Periodensystem der Elemente, 8Pfadintegral, 201Photomultiplier, 58Photonenproduktion, 212Pion, 26, 114

Lebensdauer, 125Masse, 114

Pion-Nukleon-Streuung, 127planare Amplituden, 172Planck

-Konstante, 1-Masse, 4

Plasma-Einschlussmagnetischer, 107Trägheit, 107, 108

Polonium, 12Pomeron

als Zylinder, 173BFKL-, 241superkritisches, 173Trajektorie, 173

Pontecorvo-Maki-Nakagawa–Sakata-Matrix, 253

Positronium, 152, 212Preconfinement, 240Proton, 15

Lebenszeit, 114, 282Masse, 114

Pseudorapidität, 183, 240

QQuantenchromodynamik, 193, 217Quantenelektrodynamik, 193, 194Quantenflavordynamik, 245Quark-Gluon-Plasma, 191, 243Quarkonia, 149Quarks, 130

Constituent-, 134Current-, 134Liste, 246

RRadioaktivität, 55, 60

künstliche, 9, 56natürliche, 9, 56Schädigung durch -, 61

Radium, 12, 60Radon, 12, 62Rapidität, 178Reaktion

endotherme, 20exotherme, 20

Reaktor, 101ITER, 107Joint European Torus, 107Molten-Salt-, 105Nuclear Amplifier, 105schneller, 104thermischer, 104Traveling-Wave-, 105

Regenerationskonstante, 101Regge-Pol-Physik, 155Regge-Trajektorie, 154, 162renormierbare Theorien, 217Renormierung, 218

Page 301: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

Sachverzeichnis 295

Resonanzabsorption, 68Resonanzen und stabile Hadronen, 127Resonanzstreuung, Ablauf, 129Röntgenstrahlung, 8Rückwärtsstreuung, 157, 158Rutherford, 9

Atommodell, 14-Formel, 12Streuversuch, 12und Soddy, 12

SSättigungsgebiet, 233Schalenmodell, 40Schmidt-Werte, 49schwache Prozesse

rein hadronische, 247rein leptonische, 247semi-leptonische, 247

schwache Vektorbosonen, 260Erzeugung, 264Massen, 265, 266

schwacher Stromgenerationsmischender, 250hadronischer, 250leptonischer, 249

schweres Photon, 261Schwerionenstreuung, 188, 241See-Quarks, 133sekundärer Teilchenstrahl, 124Seltsamkeit (strangeness), 133separate Existenz

leichte Neutrinos, 258Siliciumpixeldetektoren, 58Singularität

kollineare, 238weiche, 238

Skalentypische, 1

Skyrmion, 55S-Matrix, analytische, 88, 161Soddy, 12Sommerfeld-Watson-Transformation, 162Sonnen-Neutrino, 252Sonnenneutrino, 259Spallation, 105Speicherring, 120Spektrum

Einteilchen-, 177im Rapiditätszentrum, 183Rapiditäts-, 180Transversalimpuls-, 180

Sphärizität, 185

Spiegelkerne, 16Spin-Bahn-Kopplung, 43Spur, 208Standardmodell, 260Statistisches Modell, 96, 98Stern-Gerlach-Experiment, 49Störungsrechnung

chirale, 153Feynmansche, 203zeitabhängige, 199

Strahlenbelastung, 61Straßmann, Fritz, 80Streuamplitude

elastische, 88Partialwellen-, 91

StromDirac-Gleichung, 199Klein-Gordon-Gleichung, 195

Strom-Strom-Wechselwirkung, 247Strukturfunktion, 228SU(2)-Symmetrie, 28, 31, 131SU(3)-Farbraum, 220SU(3)-Symmetrie, 132, 141SU(5)-Symmetrie, 282Supernova-Explosion, 110Supersymmetrie, 281Symmetrie der Anordnung

up- und down-Quarks, 131von Protonen und Neutronen, 31

Synchrotron, 116Synchrotronstrahlung, 122

TTau-Neutrino-Nachweis, 252Teilchenproduktion

diffraktive, 174nichtdiffraktive, 175

Temperatur von Zwischenkernen, 96, 98Theory of Everything, 5Theta-tau-Rätsel, 248Thomas-Fermi-Modell, 35Thomson, J. J., 12Thomsonscher Querschnitt, 214Thorium, 12tiefinelastische Streuung, 226topologische Entwicklung, 171Top-Quantenzahl, 133Tröpfchenmodell, 29

UU(1)-Symmetrie, 262universelle Klassifikation, 4

Page 302: Kerne, Hadronen und Elementarteilchen ||

296 Sachverzeichnis

VValenz-Quarks, 133Vektormesondominanz, 184Vektorstrom, 249Vielfachstreuung, 182

WWechselwirkung zwischen Gluonen, 224Weinberg-Salam-Theorie, 260Weinberg-Winkel, 263, 267Weyl-Spinor-Gleichung, 199Wick-Rotation, 153Wirkungsquerschnitt, 82

aus Matrixelement, 203differenzieller, 157diffraktiver, 174Einheit, 85elastischer, 85im Regge-Modell, 165, 166

inklusiver, 86topologischer, 86totaler, 91, 166

Woods-Saxon-Potenzial, 41

YYrast-Zustände, 55Yukawa-Meson, 25, 114

ZZeitumkehr, 140Zentralität, 190Zerfälle, 204

elektromagnetische, 128schwache, 128starke, 130

Zweig-Regel, 151Zwei-Jet-Ereignis am LHC, 236Zwischenkern, 95