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Jugend als besondere Lebensphase Lebensweltliche Perspektive und der Auftrag an die Soziale Arbeit 10 Einleitung Die Jugend ist eine Lebensphase, die von besonde- ren Herausforderungen und Bewältigungsaufgaben geprägt ist. Durch verschiedene zusätzliche Belas- tungsfaktoren können diese Bewältigungsaufgaben schnell zur Überforderung führen. Wir als Verein, Gesellschaftspolitische Projekte e.V. (GPP e.V.), haben es uns schon seit über 40 Jahren zur Aufgabe gemacht, jungen Menschen in diesem besonderen Lebensabschnitt unterstützend zur Seite zu stehen. Wie sich aus dem Namen unseres Vereins ableiten lässt, beeinflussen die gesellschaftlichen Strukturen unsere sozialpädagogische Intervention. Soziale Arbeit „interveniert (…) im Schnittpunkt zwischen Individuum und Umwelt/Gesellschaft“ 1 . Diese Aussage der Sozialpädagogin und anerkannten Theoretikerin Silvia Staub-Bernasconi unterstreicht eben diese Annahme, dass strukturelle Rahmenbedingungen in der sozialpädagogischen Intervention eine zentrale Rolle spielen. Aus dieser Grundannahme heraus behandelt dieser Artikel neben der individuellen Dimension der Jugend auch die gesellschaftlichen Bezüge dieser Lebensphase. Intention dieses Essays ist es, die Bewältigungsaufga- ben und Herausforderungen der Jugendlichen in unserer heutigen Gesellschaft in Deutschland aufzu- zeigen und den Leser hierfür zu sensibilisieren. Darü- ber hinaus soll die sozialpädagogische Arbeit mit die- ser Zielgruppe dargestellt und der Schwerpunkt der parteilichen Jugendarbeit bei GPP e.V. beleuchtet werden. Da sich GPP e.V. unter anderem auf Unbe- gleitete Flüchtlinge spezialisiert hat, folgt ein Exkurs über dieses sozialpädagogische Aufgabenfeld und, damit zusammenhängend, über die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession. Geschichtlicher und gesellschaftlicher Bezug Um verstehen zu können, welche Bedeutung und Position die „Jugend“ als Lebensphase heutzutage in Deutschland hat, bedarf es inhaltlicher Hintergrundin- formationen bezüglich der gesellschaftlichen Dimen- sion und des geschichtlichen Kontextes. Berechtigterweise bezeichnet Jürgen Blandow die Jugendphase als „Phänomen der Moderne“. 2 Im Mittelalter und auch in der frühen Neuzeit existierte in Deutschland bekanntlich keine Bezeichnung für die Menschen, die sich in den Lebensjahren zwischen Kindheit und Erwachsensein befanden. Erst im 19. Jahrhundert tauchte der Begriff „Jüngling“ auf, welcher eher ein pädagogisches Konzept (christliche, ethnisch-sittliche Vorstellungen) als den realen Men- schen beschrieb. Das „Jünglingskonzept“ wurde in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts von dem Aus- druck des „Jugendlichen“ abgelöst, welcher von der Schulpädagogik hervorgebracht wurde. Insbesondere die Entwicklungspsychologie machte in dieser Zeit darauf aufmerksam, dass unter dem Jugendalter eine kritische, aber vorübergehende Phase zu verstehen sei. So verabschiedete man sich von der Annahme, dass „Jugend eine Krankheit, die Pubertät gefährlich 1) Staub-Bernasconi 2001, S. 1 2) Blandow in Homfeldt 2008, S. 131

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Page 1: Jugend als besondere Lebensphase - gpp · 2020. 2. 7. · Jugend als besondere Lebensphase Lebensweltliche Perspektive und der Auftrag an die Soziale Arbeit 10 Einleitung Die Jugend

Jugend als besondere Lebensphase Lebensweltliche Perspektive und der Auftrag an die Soziale Arbeit

10

Einleitung

Die Jugend ist eine Lebensphase, die von besonde-ren Herausforderungen und Bewältigungsaufgabengeprägt ist. Durch verschiedene zusätzliche Belas-tungsfaktoren können diese Bewältigungsaufgabenschnell zur Überforderung führen. Wir als Verein, Gesellschaftspolitische Projekte e.V.(GPP e.V.), haben es uns schon seit über 40 Jahren zurAufgabe gemacht, jungen Menschen in diesembesonderen Lebensabschnitt unterstützend zur Seitezu stehen.Wie sich aus dem Namen unseres Vereins ableitenlässt, beeinflussen die gesellschaftlichen Strukturenunsere sozialpädagogische Intervention. SozialeArbeit „interveniert (…) im Schnittpunkt zwischenIndividuum und Umwelt/Gesellschaft“1. Diese Aussageder Sozialpädagogin und anerkannten TheoretikerinSilvia Staub-Bernasconi unterstreicht eben dieseAnnahme, dass strukturelle Rahmenbedingungen inder sozialpädagogischen Intervention eine zentraleRolle spielen. Aus dieser Grundannahme herausbehandelt dieser Artikel neben der individuellenDimension der Jugend auch die gesellschaftlichenBezüge dieser Lebensphase.Intention dieses Essays ist es, die Bewältigungsaufga-ben und Herausforderungen der Jugendlichen inunserer heutigen Gesellschaft in Deutschland aufzu-zeigen und den Leser hierfür zu sensibilisieren. Darü-ber hinaus soll die sozialpädagogische Arbeit mit die-ser Zielgruppe dargestellt und der Schwerpunkt derparteilichen Jugendarbeit bei GPP e.V. beleuchtet

werden. Da sich GPP e.V. unter anderem auf Unbe-gleitete Flüchtlinge spezialisiert hat, folgt ein Exkursüber dieses sozialpädagogische Aufgabenfeld und,damit zusammenhängend, über die Soziale Arbeit alsMenschenrechtsprofession.

Geschichtlicher und gesellschaftlicher Bezug

Um verstehen zu können, welche Bedeutung undPosition die „Jugend“ als Lebensphase heutzutage inDeutschland hat, bedarf es inhaltlicher Hintergrundin-formationen bezüglich der gesellschaftlichen Dimen-sion und des geschichtlichen Kontextes. Berechtigterweise bezeichnet Jürgen Blandow dieJugendphase als „Phänomen der Moderne“.2 Im Mittelalter und auch in der frühen Neuzeit existierte inDeutschland bekanntlich keine Bezeichnung für dieMenschen, die sich in den Lebensjahren zwischenKindheit und Erwachsensein befanden. Erst im19. Jahrhundert tauchte der Begriff „Jüngling“ auf,welcher eher ein pädagogisches Konzept (christliche,ethnisch-sittliche Vorstellungen) als den realen Men-schen beschrieb. Das „Jünglingskonzept“ wurde inden 20er Jahren des 20. Jahrhunderts von dem Aus-druck des „Jugendlichen“ abgelöst, welcher von derSchulpädagogik hervorgebracht wurde. Insbesonderedie Entwicklungspsychologie machte in dieser Zeitdarauf aufmerksam, dass unter dem Jugendalter einekritische, aber vorübergehende Phase zu verstehensei. So verabschiedete man sich von der Annahme,dass „Jugend eine Krankheit, die Pubertät gefährlich

1) Staub-Bernasconi 2001, S. 1 2) Blandow in Homfeldt 2008, S. 131

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und viele Jugendliche Psychopathen seien“.3 Allge-meines gesellschaftliches Verständnis für Jugendlicheentwickelte sich seither weiter und erfuhr schließlichNormalisierung. Jugend wird nun als eigenständigeLebensphase für eine Bevölkerungsgruppe, aberauch als gesellschaftliches und pädagogisches Pro-blemfeld entdeckt. Mit der Einführung der Schulpflicht im 18. Jahrhun-dert wurde für alle Kinder und Jugendlichen einerwerbsfreier Zeitraum geschaffen, der zuvor nurJugendlichen der Mittel- und Oberschicht zugestan-den hatte. Aufgrund von sehr schlechten Existenz-und Lebensbedingungen nach dem Ersten Weltkriegentstanden Jugendbewegungen („Wandervogel -bewegung“, Sportvereine), in deren Mittelpunkt vorallem die Selbstbestimmung und Freizeit der Jugend-lichen stand. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkriegkam es aufgrund gesellschaftlicher Moderni sierungs -prozesse zu einem Strukturwandel der Jugendphase:Die Pflichtschulzeit wurde verlängert, es folgten, vorallem bei Mädchen, Verselbständigungswünsche undWünsche nach individuellen Lebensplänen. DieJugendphase wurde von da an institutionalisiert, eswurden eigene gesellschaftliche Regelungen getrof-fen und Organisationen gebildet.Heutzutage stehen die Dimensionen der Individuali-sierung und der Pluralisierung, so der SoziologeUlrich Beck, im Mittelpunkt der Gesellschaft. DieseDimensionen sind daher auch für die Jugend wichtiggeworden. Sie haben Auswirkungen auf die Struktu-ren der Lebensverhältnisse und Lebenswelten derMenschen und grenzen diese voneinander ab. Laut

Hiltrud von Spiegel haben die Menschen nicht mehrdie Möglichkeit, sich an „traditionelle[n] identitätsstif-tende[n] Lebensformen und Deutungsmuster[n]“ zuorientieren, sondern „müssen zwischen verschiede-nen Möglichkeiten der Lebensführung wählen undihre Lebens-, Wohn- und Beziehungsformen in einembisher unbekannten Ausmaß selbst gestalten und ihregewonnenen Orientierungen im Laufe ihres Lebensmehrfach verändern.“4 Darüber hinaus entstehengleichzeitig neue Formen der gesellschaftlichen Stan-dardisierung, die hauptsächlich durch den Konsum,den Arbeitsmarkt und die Massenmedien vermitteltwerden. Die Menschen müssen sich in diesem Pro-zess der Individualisierung und Pluralisierung behaup-ten. Auch in der Jugendphase, die eine Zeit der Vor-bereitung auf das „wirkliche Leben“ sein sollte, in derdie Jugendlichen ihre Identität entwickeln und stär-ken sollen, müssen sich die jungen Menschen mitdem Individualisierungsprozess auseinandersetzen.Bereits in frühen Jahren müssen sie ihre Lebenspläneselbst entwerfen, strukturieren und verantworten, umim Individualisierungsprozess mit den anderen mithal-ten und sich behaupten zu können. Dies bedarf einessehr hohen Maßes an Identitätssicherheit. Da dieseallerdings erst in der Phase der Jugend entsteht, darfden „scheiternden Jugendlichen“ in der heutigen plu-ralisierten Gesellschaft kein Vorwurf gemacht werden.5

Lebensweltorientiert betrachtet, sollten die jungenMenschen in der Zeit der Jugend die Möglichkeithaben zu lernen, die eigene Persönlichkeit zu entwi-ckeln, und die Jugendphase als „Vorbereitungszeit“

4) von Spiegel 2008, S. 295) Ebd., S. 293) Bühler in Ferchhoff 2000, S. 34

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zu nutzen. Hinsichtlich der veränderten gesellschaft -lichen Strukturen ist dies jedoch kaum umsetzbar.Jugendliche stehen heutzutage vor bedeutendengesellschaftlichen und individuellen Herausforderun-gen, die es zu meistern gilt.

Gesellschaftliche Herausforderung

Die gesellschaftliche Herausforderung ist hauptsäch-lich in einer schlechten wirtschaftlichen Situationbegründet. Lothar Böhnisch ist der Meinung, dass dieJugendphase gerade heute, im Gegensatz zu früher,von den Jugendlichen mehr subjektiv bewältigt wer-den muss. Das Risiko des Scheiterns und die Chancedes Gelingens liegen, laut Böhnisch, dicht beieinan-der und sind biografisch unterschiedlich verteilt.6

Böhnisch meint,„…dass die Statuspassage Jugend brüchig, derÜbergang in eine gesellschaftlich kalkulierbareZukunft nicht mehr selbstverständlich ist und nundie eigenen biografischen Anstrengungen in denVordergrund rücken.“ [So steht] „der andauerndeZwang zum ‚Mithalten’ (...) am Horizont derJugendbiografien“.7

Der Autor macht auf die Jugendlichen aufmerksam,„die biografisch und in ihren Herkunftsfamilien sozialnie zum Zuge gekommen sind“ und denen „allesrecht ist – bis hin zur Gewalt –, um auf sich aufmerk-sam zu machen“.8 Mangelnde soziale Anerkennung

und Verlust an Selbstwert liegen, laut Böhnisch, imJugendalter eng beisammen.9

Böhnisch ist zudem der Auffassung, dass das Zusam-menspiel und die Balance von Offenheit und Haltgerade im Jugendalter für den Sozialisationsverlaufeine wichtige Rolle spielen. So sollen Jugendlicheheutzutage offen, flexibel, optionsfrei und gleichzeitigbei sich, mit sich identisch und sozial-emotionalgeborgen sein.10 Diese Ambivalenz, die von denJugendlichen ausgehalten werden muss, kann zuSpannungen führen. In unserer Gesellschaft müssensich Jugendliche bereits zu einer Zeit um die eigenebiografische Zukunft Gedanken machen, in der sieeigentlich unbeschwert lernen sollten und die sie aufdas Leben vorbereiten sollte. „Die Jugend ist „das‚ernste Leben’ und aus dem Lernen im gesellschaftli-chen Schonraum ist eine Bildungskonkurrenz gewor-den, die ‚härter’ und in welcher der ‚Abstand für dieVerlierer immer größer’ wird“.11

Individuelle Bewältigungsaufgaben

Zu der gesellschaftlichen Herausforderung kommenindividuelle Bewältigungsaufgaben wie psychosozialeund körperliche Veränderungen, die eine weitereBelastung darstellen. Jugendliche sind in einer Phase,in der sie ihr eigenes tragfähiges Wertesystem alsGrundlage des Handelns entwickeln. Die eigene Mei-nung gegenüber Gesellschaft, Kultur, Religion, Erzie-hungssystem und Arbeitswelt ist oftmals kritisch.Daher kann es zu Konfrontationen mit der Erwachse-nenwelt kommen. Die emotionale Ablösung von den

6) Böhnisch in Schulze-Krüderer 2008, S. 37) Böhnisch 2008, S. 1498) Ebd., S. 1479) Ebd., S. 147

10) Ebd., S. 148 11) Ebd., S. 170

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Eltern und anderen Erwachsenen zählt zu einer weite-ren Entwicklungsaufgabe. Im Jugendalter entstehtder Wunsch nach Unabhängigkeit. Durch den Aufbauneuer Beziehungen wird der Jugendliche von seinenersten Bezugspersonen emotional unabhängiger.Wesentliche Bedürfnisse können nicht mehr in derUrsprungsfamilie befriedigt werden, daher ist dieAblösung von großer Bedeutung. Die eigenen Alters-genossen – die „Peergroup“ – gewinnen an Wichtig-keit. Die Jugendlichen müssen lernen, eine neue undandere Qualität von Beziehung aufzubauen und ver-antwortungsvoll damit umzugehen. Des Weiterenwird der Jugendliche damit konfrontiert, seine„neue“ körperliche Gestalt zu akzeptieren. DieBeschäftigung mit dem eigenen Aussehen und denVeränderungen des Körpers ist somit ein wichtigesKennzeichen des Jugendalters. Für Mädchen wird derbiologische Wandel als besonders virulent empfun-den, wenn die Menarche eintritt.12 Es geht um dasBewusstsein und das Akzeptieren dieser Veränderun-gen. Damit einhergehend gewinnt die psychosozialeAusgestaltung der Geschlechterrolle („Gender“) anBedeutung. Die weibliche oder männliche Rolle wirdin der Jugend erworben und ausgefüllt. Die Jugendlichen müssen sich, ganz gleich, wie gutvorbereitet und aufgeklärt sie sind, selbst mit denkörperlichen und psychosozialen Veränderungen aus-einandersetzen. Laut Bettina Hünersdorf zeigen Mäd-chen in der Jugend eine höhere psychosozialeBeschwerdelast, wohingegen Jungen durch Risikover-halten zu vermehrter Unfallgefahr tendieren.13

Laut Böhnisch„suchen und brauchen Jugendliche einen Ort, an

dem sie Rückhalt und soziale Unterstützung für ihrJungsein erleben und im Kontrast zu einer(Erwachsenen-)Gesellschaft finden, die ihnengleichzeitig vieles schon früh zulässt, aber auchzumutet und vor allem auch vorenthält.“14

Böhnisch sieht diese Ambivalenz und eine daraus folgende Spannung, welcher sich die Jugend, indominanten Themen der Lebensbewältigung, nichtentziehen kann. Nach Böhnisch ist „in dieser Bewälti-gungsperspektive und der in ihr eingelassenen,Bedürftigkeit’ der Jugend“ der „Zugang der Sozial-pädagogik“ (Sozialen Arbeit) zu finden.15

Sozialpädagogische Intervention

Der Auftrag der Sozialen Arbeit mit Jugendlichenergibt sich aus den beschriebenen Problemlagen unddem daraus folgenden Hilfebedarf der Jugendlichenund der Verantwortung der Sozialen Arbeit, in derGesellschaft entstehende soziale Probleme zu entde-cken, sie mit ihren Ursachen und Bedingungen zu ver-öffentlichen und einer Lösung zuzuführen.16

In der heutigen pluralisierten und von Offenheit undVielschichtigkeit gekennzeichneten Gesellschaft hatder Sozialpädagoge in der Jugendarbeit die Aufga-be, den individuellen Weg des Jugendlichen zu stüt-zen und zu begleiten. Laut Benno Hafeneger undAchim Schröder können die Pädagogen den Prozessdes Erwachsenwerdens stützen und Nachdenklichkeitund Einsicht fördern. Dies geschieht, indem sie sich

12) Hünersdorf 2008, S. 3713) Ebd., S. 37

14) Böhnisch 2008, S. 14215) Ebd., S. 14216) Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit 1997

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als liebevolle Begleitung anbieten mit der Bereit-schaft, Konflikte auszutragen und Grenzen zu markie-ren sowie Aufgaben zu stellen, die dem Entwicklungs-prozess der Jugendlichen dienen und Aggressionenim Rahmen halten. Sozialpädagogen sollten Erwach-sene sein, an denen Jugendliche sich austesten undreiben können. Laut Hafeneger und Schröder mussdas Bemühen des Sozialpädagogen in der Jugend -arbeit darauf ausgerichtet sein, Jugendliche zu ver-stehen und von ihnen verstanden zu werden. Sie sindder Auffassung, dass eine wechselseitige Anerken-nung zwischen dem Jugendlichen und dem Sozial -pädagogen eine „zentrale Rolle“ spielt.17 Auch Böh-nisch meint, „dass ein verstehender Zugang zu denKlientInnen“ – in diesem Fall den Jugendlichen – „nurmöglich ist, wenn (...) vertrauensstiftende Beziehun-gen angeboten werden (...).“18 Jugendliche, dieerreicht werden sollen, müssen sich darüber hinausakzeptiert fühlen, sie müssen als Person ernst genom-men werden. Eine Vertrauensbasis zu schaffen undeine Beziehung zu den Jugendlichen herzustellen istalso nicht nur der erste Schritt, sondern auch grund -legend für eine erfolgreich geleistete sozialpädago -gische Intervention mit Jugendlichen.

Lebensweltorientierung in der sozialpädagogischenPraxis

Die Theorie der Lebensweltorientierung nach HansThiersch besagt, dass die sozialen Probleme derKlienten in deren Lebenswelt zu lösen sind. Die

lebensweltorientierte Soziale Arbeit bezieht sich aufdie gegebenen Lebensverhältnisse und die alltägli-chen Erfahrungen der Menschen. Laut Thiersch sollder Sozialpädagoge so auf die individuellen Proble-me der Menschen eingehen, wie sie sich in derLebenswelt ergeben, anstatt den Klienten mit „Ideal-vorstellungen des menschlichen Lebens und Verhal-tens zu konfrontieren“.19 Nur dann kann eine bessereLebenswelt ermöglicht werden. Das bedeutet in dersozialarbeiterischen Praxis der Jugendarbeit, dass derJugendliche vom Sozialpädagogen in seiner ganz-heitlichen und subjektiven Perspektive der Lebens-welt wahrgenommen werden soll. Es geht darum, dieNöte und Hoffnungen des Jugendlichen kennen zulernen und diese ernst zu nehmen.20

Der Sozialpädagoge muss die Spannung von Respektvor der Eigensinnigkeit von Lebenswelt und derDestruktion eben dieser Eigensinnigkeit im Namenihrer freieren Möglichkeiten und der darin angelegtenOptionen wahrnehmen und aushalten. Es geht alsozum einen um Begleitung und Unterstützung undzum anderen um Motivation, Provokation und kriti-sches Hinterfragen. Hierbei muss der Sozialpädagogedie Balance halten.21 Wenn etwa ein jugendlichesMädchen sich dazu entscheidet, Mutter zu werden,weil es keine andere Zukunftsperspektive sieht, mussder Sozialpädagoge die Entscheidung der Jugendli-chen respektieren, aber auch alle anderen Hand-lungs- und Entscheidungsmöglichkeiten aufzeigen,um gemeinsam mit der Klientin die Alltagsweltbezüglich der Stimmigkeit oder Unabänderlichkeit zuhinterfragen.22

17) Hafeneger / Schröder 2005, S. 84618) Böhnisch 2005, S. 1120

19) Schumacher 2008, S. 1020) Ebd., S. 1021) Grunwald / Thiersch 2005, S. 114322) Grunwald / Thiersch 2005, S. 1143

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Exkurs: Jugendliche Migranten und FlüchtlingeSoziale Arbeit als Menschenrechtsprofession

Die Lebenswelt und die BewältigungsaufgabenJugendlicher, wie im vorigen Abschnitt beschrieben,haben natürlich auch für jugendliche Migranten Gül-tigkeit. Die schwierige Lebensphase der Jugend ist,samt Identitätsentwicklung und der Suche nacheinem „Platz“ in der Gesellschaft, mit individuellenHerausforderungen verbunden. Mit dem Hintergrund-wissen, dass in dieser Phase auch für einheimischeJugendliche die soziale Integration eine wichtigeRolle spielt, lässt sich erahnen, welch schwierigeHerausforderung das „Jugendlichsein“ für Migrantenbedeutet. Laut Feld, Freise und Müller müssen sienicht nur den „normalen“ Generationenkonflikt bear-beiten, sondern sie werden zusätzlich mit den unter-schiedlichen und manchmal gegensätzlichen Lebens-entwürfen ihrer Familien und den Erwartungen derEinwanderungsgesellschaft konfrontiert. Darüberhinaus, so die Autoren, hätten sie noch mit vielfälti-gen Diskriminierungen zu kämpfen.23 JugendlicheMigranten stünden vor der Problematik, dass siezumeist weder in ihr Herkunftsland zurückkehrennoch, ihre Herkunft vergessend, sich völlig an die Ein-wanderungsgesellschaft adaptieren könnten, so Feld,Freise und Müller. „Ihre Lebensaufgabe ist es, etwasNeues zu gestalten – nämlich ihre eigene unverwech-selbare persönliche und kulturelle Identität.“24

Versucht man sich nun in die Lebenswelt von jugend-lichen Migranten mit Fluchterfahrung (UnbegleiteteFlüchtlinge) hineinzuversetzen, so ist nur annäherndvorstellbar, welchen Problemen sich diese jungen

Menschen zusätzlich stellen müssen. Von traumati-schen Erlebnissen im Heimatland und auf der Flucht,die zusätzlich zu verarbeiten sind, oder Krankheiten,die es zu kurieren gilt, bis hin zur ungewollten Tren-nung oder dem Verlust ihres Heimatlandes und ihrerFamilie und der ständigen Ungewissheit, ob sie hier,in Deutschland, bleiben dürfen. Diese vielschichtigen Problemlagen der jugendlichenFlüchtlinge haben natürlich Auswirkungen auf diesozialarbeiterische Intervention. Ressourcen- undBedürfnisorientierung bestimmen hierbei den Auftragan den Sozialpädagogen. Aufgrund der fehlenden Befriedigung der Bedürfnisseund teilweise sogar der Grundbedürfnisse – im Sinnevon Werner Obrecht: „Bedürfnisse, die unabhängigvon einem kulturellen oder politischen Konsens erfülltsein müssen, um menschliche Erhaltung und Entfal-tung zu ermöglichen“25 – hat der Sozialpädagoge imErstkontakt mit jugendlichen Flüchtlingen meist pri-mär die Aufgabe „Erste Hilfe“ (Kleidungsbesorgung,gesundheitliche Abklärung) zu leisten und Sicherheitund Stabilität zu vermitteln. Da menschliche Bedürfnisse sehr eng mit Werten ver-knüpft sind und in diesen wiederum die Menschen-rechte begründet liegen, erscheint es wichtig, in diesem Kontext auf die Soziale Arbeit als „Menschen-rechtsprofession“ hinzuweisen. Bei Ungerechtigkeits-erfahrungen, welchen viele jugendliche Flüchtlinge inihrem Heimatland, auf der Flucht, aber teilweise auchin Deutschland ausgesetzt sind, werden Menschen-rechte verletzt. Die UNO definiert diese Rechte wiefolgt: „Menschenrechte können allgemein als jeneRechte definiert werden, welche in unserer Naturbegründet sind und ohne die wir nicht als Menschen

23) Feld / Freise / Müller 2005, S. 224) Ebd., S. 9 25) Obrecht 1998, S. 948

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leben können.“26 Die Menschenwürde und somitauch die Menschenrechte sind im abendländisch-humanistischen Menschenbild der Sozialen Arbeitverankert. Somit sind die Menschenrechte und derGerechtigkeitsgedanke wichtige Bestandteile desEthikkodexes der Sozialpädagogen. Sie dienen alsethische Leitlinie und sind auch in der Würde jedesMenschen begründet. Ein von Staub-Bernasconigenanntes „drittes Mandat“ besteht aus demgenannten Ethikkodex sowie der wissenschaftlichen

Fundierung der sozialpädagogischen Methoden –den Handlungstheorien Sozialer Arbeit. Dieses dritteMandat steht den Interessen und Rechten der Klientelund den Interessen und Pflichten der Gesellschaftgegenüber und legitimiert die Annahme oder Verwei-gerung von Aufträgen und die Formulierung eigen-bestimmter Aufträge.27

Antonia GaedeDipl.-Sozialpädagogin (FH)

26) Staub-Bernasconi 1995, S. 6827) Staub-Bernasconi 2007, S. 6

Bayern & Somalia – Lebenswelt

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Blandow, Jürgen (2008): Jugend. In: Lebensalter und SozialeArbeit. Eine Einführung. Homfeldt (Hg.), Wiesbaden, S. 131-151

Böhnisch, Lothar (2005): Lebensbewältigung. In: HandbuchSozialarbeit / Sozialpädagogik. Thiersch (Hg.), MünchenBasel, S. 1119-1121

Böhnisch, Lothar (2008): Sozialpädagogik der Lebensalter.Eine Einführung. Weinheim, Juventa Verlag

Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit (1997): Berufsethische Prinzipien. Verfügbar (17.02.2010) unter:http://www.dbsh.de/BerufsethischePrinzipien.pdf

Feld, Katja / Freise, Josef / Müller, Annette (Hg.) (2005):Mehrkulturelle Identität im Jugendalter. Die Bedeutung des Migrationshintergrundes für die SozialeArbeit. Münster, LIT Verlag

Ferchhoff, Wilfried (2000): Die Jugend der Pädagogik.In: Jugend im 20. Jahrhundert. Vollbrecht (Hg.), Neuwied,S. 32-74

Grunwald, Klaus / Thiersch, Hans (2005): Lebensweltorientierung. In: Handbuch Sozialarbeit / Sozial-pädagogik. Thiersch (Hg.), München Basel, S. 1136-1148

Hafeneger, Benno / Schröder, Achim (2005): Jugendarbeit.In: Handbuch Sozialarbeit / Sozialpädagogik. Thiersch(Hg.), München Basel, S. 840-850

Hünersdorf, Bettina (2008): Körper/Leib. In: Lebensalterund Soziale Arbeit. Eine Einführung. Homfeldt (Hg.),Hohengehren, S. 27-48

Obrecht, Werner (1998): Menschliche Bedürfnisse.In: Wörterbuch der Sozialen Arbeit. Aufgaben, Praxisfelderund Methoden der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Mielenz (Hg.) 2005, Weinheim, S. 947-948

Schulze-Krüderer, Jörgen (Hg.) (2008): Lebensalter undSoziale Arbeit – Jugend. Baltmannsweiler, Schneider Verlag

Schumacher, Thomas (2008): Skript zur LehrveranstaltungTheorien der Sozialen Arbeit 3, Fassung vom 28.05.2008

Spiegel, Hiltrud von (2008): Methodisches Handeln in derSozialen Arbeit. München, Ernst Reinhardt Verlag

Staub-Bernasconi, Silvia (1995): Das fachliche Selbstver-ständnis Sozialer Arbeit – Wege aus der Bescheidenheit.Soziale Arbeit als Human Rights Profession. In: SozialeArbeit im Wandel ihres Selbstverständnisses – Beruf undIdentität. Wendt (Hg.), Freiburg, S. 57-104

Staub-Bernasconi, Silvia (2001): Auseinandersetzungen zwischen Individuum und Gesellschaft – Wie konflikttauglichsind Theorien Sozialer Arbeit? Vortrag auf der Danube-Conference der International Federation of Social Workers(IFSW): Managing Conflicts in Social Work (Soziale Arbeit –Umgang mit Widersprüchen), Wien und Bratislava. Verfüg-bar (13.04.2010) unter: http://www.sw.fh-muenchen.de/?site=fakultaet_detail.php&pkat=lehrmaterialien&p_id=19

Staub-Bernasconi, Silvia (2007): Vom beruflichen Doppel-zum professionellen Tripelmandat. Wissenschaft und Menschenrechte als Begründungsbasis der ProfessionSoziale Arbeit. Zürich und Berlin. Verfügbar (13.04.2010)unter: http://www.zpsa.de/pdf/StB-Soz-Arb-Tripelmandat.pdf

Literaturverzeichnis

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