jünger, ernst - am sarazenenturm

Upload: stossdolch

Post on 16-Jul-2015

201 views

Category:

Documents


8 download

TRANSCRIPT

ERNST JNGER AM SARAZENENTURM

ERNST JNGER AM SARAZENENTURM

VITTORIO KLOSTERMANN FRANKFURT AM MAIN

Zweite Auflage (6.-10. Tausend) Oktober 1955 Alle Rechte, insbesondere das der Vervielfltigung, bersetzung und Sendung, vorbehalten Copyright 1955 by Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main Gesamtherstellung: Universittsdruckerei H. Strtz AG. Wrzburg Printed in Germany

Civitavecchia, 6. Mai 1954. Das Kastell, dessen Baumeister Michelangelo war, liegt wie ein Titanenspielzeug im Sand. Bei grauem Himmel wittert etwas Dster = Mchtiges um seine Umrisse, vermhlt mit Verfall, wie auf Piranesis Zeichnungen. Hier und dort wird gebaut und ausgeflickt. Der kupferne Helm eines Tauchers steigt neben der Mauer aus gelbbrodelndem Wasser empor. Man lt in einem Eimer Steine und Mrtel zu ihm hinab. Neubauten wachsen inmitten der alten Unordnung. Doch bald wird alles wieder den Anblick von Meeresklippen bieten, an denen zerlumpte Wsche hngt. Auch das neckische Spiel mit den Chauffeuren, Kellnern, Gepcktrgern will wieder gelernt werden. Ihr Herausgeben auf eine grere Note erfordert liebevolle Geburtshilfe. Sie beobachten den Klienten, whrend sie ihm langsam Geldschein um Geldschein in die Hand qulen, stets bereit aufzuhren, wenn es an Zuspruch fehlt. Hier kann der Irrtum nicht nur vorkommen, sondern man darf seiner sicher sein. Dem schliet sich die Unterhaltung ber das Trinkgeld an. Man wird es nie so hoch bemessen knnen, da nicht eine Nachforderung folgt. Sie zu unterlassen, wrde offensichtlich als Kunstfehler angesehen. Lehrreich ist dabei der Einblick in eine Haltung, die nur den Handel kennt, nicht aber das feste Geschft. Der Handel richtet sich nach dem Einzelfalle, und nicht nach Geld- und Tarifordnungen. Das mu zwar einerseits die Anarchie vermehren, hat aber andererseits den Vorteil, da es den Einzelnen in seinem konkreten Bedrfnis nie gnzlich den Abstraktionen und Fiktionen des Staates unterwirft. Er lt sich nun einmal nicht einreden, da er mit einer Handvoll schmutziger Lappen bezahlt~5~

wre. Der Scharfblick nimmt zu, je mehr man sich der Levante nhert, und daher erreicht der Handel mit Dingen, deren Qualitten schwer zu durchschauen sind, etwa mit Teppichen und Pferden, dort seine Meisterschaft. Ich gebe mich dieser Betrachtung hin bei dem Genusse einer zuppa di pesce; sie ist tief rotbraun mit einem Atoll von Muscheln, Fischstcken und Brotscheiben, ber das eine zierliche Pulpa ihr Armwerk rankt. Gleich kommt der caffe nero; dann werde ich am Strande spazieren gehen. * Die Wolken zeigten Nachsicht und begannen sich erst zu ffnen, als ich am spten Nachmittag wieder den Stadtrand erreicht hatte. Es war in der Nhe des Friedhofes. Ich trat ein, und da gerade ein Teil der hinter goldbeschrifteten Marmorwnden verborgenen Grfte erneuert wurde, fand ich dort Schutz. Ich sah dabei, da die Srge in Fcher gestellt werden, die wie die Kasernenbetten angeordnet sind. Darunter waren noch umfangreiche Grabkeller vielleicht fr jene, deren Familien zu arm sind, um drauen Platte und Inschrift zu erstehen. So werden sie einige Jahrzehnte frher namenlos. Hier, wie auf allen romanischen Friedhfen, herrscht eine erstaunliche rumliche konomie. Dabei ist der Tote in einer uns unziemlich erscheinenden Weise prsent. Nicht nur werden seine unbertrefflichen Eigenschaften als Familienmitglied und Mitbrger gerhmt, sondern man sieht auch sein Lichtbild auf dem Stein. Vor vielen Namen brannten ewige Lmpchen, zu denen die Drhte aus dem Grabe herausfhrten. Der Anblick erweckt weniger auf die Ewigkeit bezgliche Gedanken als den hchst zeitlichen nach dem Stromzhler.~6~

Ich erging mich dann, um die letzten Tropfen abzuwarten, unter einem Arkadengange, der die Erbgrfte der Notabein vereint. Hier war der Verfall strker als drauen im gleienden Marmorgarten; den Statuen waren die Nasen abgestoen, Staub lag auf den Perlenkrnzen und Inschriften. An solchen Orten kann man die Gebilde bewundern, die der Phantasie virtuoser Steinmetzen entsprungen sind. Darunter fiel mir ein Marmorblock auf, aus dem ein groer Anker mit seiner Kette ausgehauen war. Die Kette war frei schwebend, und ihre Glieder waren in durchbrochener Arbeit ausgefhrt.

Illador, 7. Mai 1954. Am Morgen erwachte ich durch den Ton der Schiffsglocke und blickte durch das runde Fenster hinaus: Wir fuhren an felsigen Ufern und vorgeschobenen Eilanden entlang. Die Bucht von Olbia. Zuweilen vermischte sich das Meer mit sumpfartigen Flchen, auf denen Fischer in kleinen Booten ihre Muschelgrten abweideten. Ein groer Raubvogel schwebte ber dem noch blassen, wolkenlosen Horizont. Da mich die Kste nicht anlchelte, stieg ich gleich in den Zug, der auf dem Kai wartete und durchfuhr ohne Ziel die Insel der Lnge nach. Die Zistrosen standen in voller Pracht, in hohen, weiberflammten Struchen oder in niedrigen Bschen, an denen rote Blten leuchteten. Eine mannshohe Szilla durchsilberte die Felder; je weiter wir sdlich kamen, desto mehr verschwanden ihre Blten und schwollen die grnen Fruchtknoten an. Im gleichen Mae nahmen die Kaktusfeigen-Hecken zu. Silbergrner Wermut, steingrne Raute mit goldenen Kronen~7~

und frischer, zartgesponnener Fenchel flochten sich in sie ein, dazu eine violette Winde, die ihre zahllosen Kelche der Sonne ffnete. Wie tat das gut nach diesem feuchten, lichtarmen Winter an der Schwbischen Alb. Die Limonenbume trugen Blten mit grnen und gelben Frchten zugleich, die Feigen hatten noch kaum angesetzt, doch dafr reiften die Nespoli heran. Der Wein begann zu blhen; an den Berghngen gilbte bereits das Korn. Die Opuntien hatten auf ihre fleischigen Bltter die Knospen aufgesteckt, whrend noch letzte Frchte auf den dunkelgrnen, metallischen Gersten abglhten. In groen Hainen waren die Mandelbume schwer behangen mit flacher, filziger Frucht. Der Kern ist jetzt noch wasserklar, wird spter milchig und endlich fest; die Schale versteinert sich. Zwischen den Bumen, die die Hnge scheckten, wuchs ppiges Gras mit zahllosen gelben Margueriten oder war Getreide gepflanzt, das mit Beeten von Erbsen und Puffbohnen wechselte, deren Kraut bereits abdorrte. Man hat mehr den Eindruck von Garten- als von Feldarbeit; der leicht geritzte Boden spendet berflu. Schn ist bei solcher Sdfahrt, wie auch im Innern der Winter schwindet und sich die Welt erneut. Die Bche fhrten noch Wasser; in den Niederungen speisen sie mchtige Reisfelder. Sie sind von baumhohem Rhricht gesumt. Um die Drfer und kleinen Stdte nehmen die Zypressen zu; sie schmcken vereinzelt die Grten oder in Gruppen die Friedhfe. Die Huser sind wei und flach, mit ausgeglhten Dchern, in Stein oder Lehmziegeln aufgefhrt. Im dland sieht man die runden Schilfhtten, in denen die Hirten ber Nacht bleiben. An steileren Hngen werden die l- und Mandelbume durch Korkeichen abgelst. Die geschlten Stmme~8~

strahlen im grnen Dickicht ein scharfes Rotbraun aus, wie frisch gestoener, dunkler Zimmet. Erfreulich ist die geringe Zahl von Automobilen auf den Hauptstraen. Auf den Neben- und Feldwegen erblickt man Reiter, das ist ein gnstiges Anzeichen. Sie traben auf kleinen, rassigen Pferden zu ihren Feldern oder ziehen auf Eselchen hinter den Herden her. Dunkelgekleidete Frauen tragen Krge oder andere Lasten auf dem Kopf. Vor einer Htte stehen zwei urtmliche Wagen mit Scheibenrdern, technische Fossile, die in die Zeit hineinragen. Die klotzigen Rder sind noch nicht mit Reifen umlegt, sondern mit schweren Ngeln beschlagen, wie man es auf den ltesten Grabbildern sieht. Zuweilen, besonders in der Gegend von Macomer, ragen aus Distelgestrpp und hohem Grase mehr oder minder erhabene Kegel auf. Das sind die Nuraghen, Festungstrme der vorgeschichtlichen Bewohner dieser Insel, auf der man an siebentausend dieser Anlagen kennt. An anderen Stellen sind die Felswnde von Lchern durchbohrt, die auf die Entfernung an die Arbeit von Erdbienen in Lehmbnken erinnern, sich aber auch auf menschliche Besiedlung zurckfhren. Bei der Lnge der Fahrt gewinnt man einige bung, die Stellen vorauszusagen, die so durchlchert sind. Ich gedenke aber nicht, die Zeit im Hin- und Herreisen zu diesen Sttten zu zersplittern, deren Besuch mir Armin ans Herz gelegt hat, und die Freund Baedeker in der nchsten Auflage seines Unteritalien-Fhrers mit besonderer Sorgfalt aufzhlen wird. Wenn man sich erholen und von den Elementen zehren will, soll man das mglichst an einem Punkte tun. Das gilt vor allem fr eine so bewegte Zeit. Daher lasse ich auch meine Empfehlungsschreiben in der Brieftasche.~9~

Zudem bin ich der Meinung, da Geschichte und Vorgeschichte einer solchen Insel noch auf andere Weise erfabar ist als durch Studien. Auf ihren Bergen, an ihren Riffen und im besonnten, eidechsenhaften Frieden ihrer Tler mu noch in den Atomen, im Zeitlosen schlummern, was in der Folge der Zeiten sich zu Mustern gewoben hat. Es mu an Wind und Woge, aus den Gesichtern der Menschen, aus ihrer Sprache und ihren Melodien, aus der Art, in der sich der Rauch der Herdfeuer am Abend ber ihrer Heimstatt kruselt, ablesbar sein. Da die vergangenen Zeiten ganz nah sind und immer nher kommen das ist eines der unerwarteten Geschenke, eine der beruhigenden Wahrnehmungen unserer Gegenwart. Alt und Neu sind zwei Qualitten, zwei Perspektiven des Menschen; das Alte ist stets gegenwrtig und das Neue war immer da. Auch in Babylon gab es schon Neustdte. Stets wiederholen sich die Zeichen und setzen die groen Texte fort. Die scharfsinnige und wunderbare Art, in der wir heute die lteste Vergangenheit aufschlieen, ist eine Folge der Verwandlung unseres Zeitgefhls. Damit gewinnt der historische Blick an verdichtender, beschwrender Kraft, wchst in die Dichtung hinein. Dieses Heraufbeschwren der ltesten Menschheit aus ihren Schatten ist eines unserer groartigen Schauspiele. Was sind dabei die Funde und Urkunden? Warum beginnen sie heute zu sprechen, wo sie schon immer da waren? Sie spielen fr den Geist die Rolle von Talismanen, und erschtternd ist, zu sehen, wenn sie berhrt werden wie Aladins Lampe, was da heraufsteigt aus den Gewlben der Jahrtausende. Was von den Altertmern der Insel die Aufmerksamkeit besonders erregt hat, das sind die steinernen Nuraghen und bronzene Statuetten, deren noch rohe Formung doch eine groe Tie~ 10 ~

fe des Gemtes offenbart. Es handelt sich um Einzelfiguren und kleine Gruppen, Mutter und Sohn, Krieger mit Helm und Speer, Priester mit Opfergaben, Mutter- und Mondgttinnen, lmmertragende Hirten, Barken und Stierkpfe, um eine naive Formenwelt, aus der man auf eine Bevlkerung von Hirten, Fischern und Ackerbauern schlieen kann. Man sieht sie im Zusammenhange mit den groen und folgenreichen Vernderungen, die zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrtausends im Mittelmeerraum sich abspielten. Damals bestanden lngst historische Zentren; wir wissen von manchem Tage, der tausend Jahre frher in Babylon oder gypten sich rundete, mehr an Einzelheiten als von diesem Volke, das lngst die Insel bewohnte, ehe die Phnizier auf ihr landeten. Aber es ist nicht nur das Geheimnis einer untergegangenen Welt, das uns beschftigt und erstaunt wie der Anblick einer Muschel, die zwischen zwei Wogen sichtbar wird. Wir ahnen lange Zeiten eines Inselfriedens, eines abgeschlossenen, glckhaften Lebens, die hier vertrumt wurden. Und das ist eines der groen Themen, die den Geist seit jeher beschftigen. * Zu den Trouvaillen, die in Europa immer seltener werden, gehrt ein Ort ohne Anschlsse. Dennoch hatte ich ihn, nachdem ich bis zum Sdende der Bahnlinie gefahren war, mit Hilfe eines Autobusses erreicht. Die Federn chzten drei Stunden lang auf holprigen Berg wegen, die in den Kurven jhe Bcke auf das Meer erffneten. Ich hatte mich bei dem Fahrer bereits nach dem Namen des Albergo erkundigt und wurde von einem Haufen von Kindern~ 11 ~

dorthin geleitet, die mein Gepck trugen. Das Stdtchen grellte in der Nachmittagssonne, Wolken von Fliegen schwirrten, die Huser waren teils verfallen, teils mehr oder minder gut erhalten in ihren Mauern aus Granit oder Lehmziegeln. An allen, auch an den Ruinen waren die Inschriften eines Entseuchungskommandos zu lesen, das hier vor genau einem Jahre, im Mai 1953, gewirkt hatte. Viehherden durchzogen die Straen, an deren Ecken schweigend Gruppen von Mnnern standen und in deren Mitte schwarzgekleidete Frauen schritten, die flache Krbe oder groe Flaschen auf dem Kopf trugen. Schwarz gekleidet war auch die Wirtin des Albergo, Signora Bonaria, bei der ich mich einmietete. Ich fragte nach der Beleuchtung und hrte zu meiner Befriedigung, da man auf Kerzen angewiesen sei. Natrlich erforderte die Politik, bei dieser Mitteilung ein bedenkliches Gesicht zu ziehen. Die Signora versuchte mich zu trsten: Arbeiter legten im Stdtchen bereits die Leitungen, und in einigen Monaten wrde auch das Albergo angeschlossen sein. Damit kommen dann auer der mechanischen Beleuchtung auch der Rundfunk, das Lichtspiel und all die kleinen Maschinen, die mit Strom laufen und deren Nhe der Erholung abtrglich ist, vor allem fr jemand, der whrend seines ganzen Lebens zu lange gelesen hat. Schon meine Eltern kmpften vergeblich gegen dieses nchtliche Laster an. So kamen wir denn berein, und ich kann meine Sachen auspacken. Das Zimmer ist kahl, mit roten Fliesen ausgelegt; ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl bilden die Einrichtung. Der Blick fllt auf einen von Lehmziegelmauern umschlossenen Hof, in dem Steine und anderes Gerumpel liegen, das ein ungeheurer Eber nach Ebarem durchwhlt. Zitronenbsche blhen und tragen Frucht. Hinter der Mauer leuchten die Dcher in der~ 12 ~

Abendsonne, einige sind wei und flach, andere leicht abgeschrgt und mit ausgeglhten Ziegeln gedeckt. Die Kuppen von l- und Feigenbumen stoen aus den Hfen vor, zuweilen auch ein Opuntienarm, der sich ber eine Mauer reckt. Aus einem der Backfen quillt weier Rauch. Er fllt die Luft mit einem Arom, das allen Orten eignet, in denen man mit den Hlzern und Krutern der Macchia heizt. Er ist auf allen Inseln des Mittelmeeres verschieden, je nach der Zusammensetzung des Bewuchses, doch immer nach Weihrauch schmeckend und Erinnerungen an heitere Sonnentage heraufzaubernd. Der Horizont wird von Gebirgen abgeschlossen, an denen Mandelgrten und Kornfelder bis zu jener Grenze emporsteigen, an der Geklft und wilder Wuchs beginnen, den Schafund Ziegenherden abweiden. Soeben will die Sonne hinter dem Hhensaum versinken, der nackt, durch keinen Dunst getrbt, herberschimmert und den ein kahler, turmartiger Kegel krnt. Er zieht den Blick an, und nicht nur den Blick. Ich habe daher die Wirtin gleich nach seinem Namen gefragt: er wird der Monte Sonno genannt, der Berg des Schlafes, das ist ein Name, der angenehme Vorstellungen erweckt. Die Dmmerung fllt ein, und da die Signora gesagt hat, da mit dem Monde gespeist wird, ist es Zeit hinunterzugehen, umsomehr als von dort ein Getse aufsteigt, als ob jemand umgebracht werden soll. Es ist aber nur das vertraute Crescendo sdlicher Heiterkeit. Unten in einem kahlen, mit Tischen und Sthlen bestellten Rume sitzen die neuen Promethiden des Ortes, die Elektriker, dazu ein Zllner, ein Taucher mit seiner Mannschaft, ein Tagelhner, ein Hirt, zwei Flickschuster. Signora Bonaria hat ihnen bereits das Kompliment mitgeteilt, das ich ihr vorhin gemacht habe: da man bei einer Bonaria sicher gut aufgehoben ist und~ 13 ~

von der Malaria nichts zu frchten hat. Schon Schopenhauer warnt vor Scherzen, die auf den Namen abzielen, weil deren Trger sie gewi schon bis zum berdru gehrt haben. Hier aber scheint eine so naheliegende Beziehung, der einfache Schlu ex contrario, den Reiz der Neuheit zu besitzen: ich hre ihn verschiedene Male wohlwollend wiederholt: Bonaria, Malaria. Auch dem Zllner, an dessen Tisch ich mich setze, scheint diese Art der Kombination zu mangeln, denn als ich ihm sagte, da die Sardinen, die als Antipasta auf dem Tisch stehen, ihren Namen seiner Insel verdanken, sah er mich mitrauisch an. Einfache Menschen sehen an den Gegenstnden nur die Bedeutung, die sie zur Person besitzen, nicht aber das Verhltnis, das ihnen untereinander eigentmlich ist. Sie stehen inmitten der Gegenstnde, die sie beurteilen, wie es diesem Interesse entspricht. Sie urteilen daher durch den direkten, nicht durch den kombinatorischen Schlu. Jemanden, der immer weiter in der entgegengesetzten Richtung gegangen ist so da er sich entweder als Objekt unter Objekten sieht oder alle Objekte mit der ihm innewohnenden Kraft belebt, geladen wei mutet das geistige Verhalten innerhalb der naiven Gesellschaft erholsam an, indem er sich fr eine Zeitlang seines immerwhrenden Trainings enthoben sieht. Er wiederum wird seinen Partnern halb nrrisch, halb bemitleidenswert vorkommen. Er treibt Beschftigungen, die nichts einbringen und stellt Fragen nach Dingen, die niemand wissen will. Das gibt die Grundlage der Sympathie. Im brigen erweist sich der Zllner als Mann, der Bcher gelesen hat oder wenigstens ihre Titel kennt. Er mag in der Mitte der Zwanziger stehen und vertritt den spanischen Typus, denn~ 14 ~

all die zahlreichen Eroberer der Insel haben nicht nur in der Architektur und in der Sprache ihre Spuren hinterlassen, sondern auch im menschlichen Bestand. Die Konviven, die hier im Schimmer ihrer Kerzen beisammensitzen und den dunklen Wein trinken, erinnern mehr an die gegenberliegende afrikanische Kste, haben arabisches Blut. Die Physiognomien sind gelblich und finster sphend oder braun, munter, eidechsenhaft beweglich, zuweilen auch von ausgeprgtem und edlem Schnitt. Bei den Frauen mit ihren dunklen Kopftchern tritt dieses Element noch deutlicher hervor. Wie ist es aber mit den Spuren der Phnizier? Hier gibt es sicher Einwebungen, deren Muster sich auch fr den schrfsten Blick nicht abheben. Das um so mehr, als es ja zu wiederholten und durch lange Zeitrume getrennten Berhrungen gekommen ist: zunchst bei den frhesten Landungen dieses seltsamen Hndlervolkes, sodann im Zuge der karthagischen Ausbreitung und endlich durch die Araber, die einen neuen Einschlu altsemitischen Blutes mitbrachten. Da bleibt nur noch das Motiv, wie bei einer oft wiederholten und dann vergessenen Melodie. hnlich verhlt es sich mit den Rmern, deren Einflu im Mittelalter durch die Pisaner und endlich durch die modernen Italiener wiederholt wurde. Und aus der Mischung treten immer wieder die Sonderheiten hervor; wie man auch heute noch in Italien auf der Strae oder in der Eisenbahn rmischen Kpfen begegnen kann. Ob sich unser Blick eines Tages auch fr die ganz Alten schrfen wird, die lngst vordem gewesen sind? Es gewinnen ja nicht nur unsere Messungen und Ermittlungen an Feinheit, sondern zugleich eine Musikalitt in der geistigen Beherrschung der Formen, die Vergangenes wie durch Melodien he~ 15 ~

raufbeschwrt und glaubwrdig macht. Zuweilen, im Gewhl eines Bahnhofes oder einer Hauptstrae, fllt unser Blick unter den zahllosen Gesichtern auf eines, dessen Anblick uns betroffen macht. Ein Kind, ein Greis, eine Frau in mittleren Jahren kam vorber, und aus der Stirn, den Augen, der Eigentmlichkeit des Ganges wehte uns ein Schauder an. Wir ahnten, da etwas Urtmliches, ganz Frhes da vorberkam, aus Zeiten, in denen es weder Vlker noch Lnder in unserem Sinne gab. Ob derartiges auch mitunter aus uns heraustritt wie aus den dunklen Mndungen der Felsenwand? Wie kommt es, da fast jeder Neigung zur Jagd, zum Fischfang, zum offenen Feuer, zur magischen Beschwrung hat? Da zehren wir von frhesten Erbteilen. Wenn wir von Grund auf Ferien machen, treten wir in diese Reiche ein. Wir verlassen die historische Welt, und unbekannte Ahnen feiern in uns Wiederkehr.

Illador, 8. Mai 1954. Der Strand liegt eine halbe Stunde weit. Wenn man Pflanzen und Tiere betrachtet, dauerts lnger und wird kurzweiliger. Auf den Feldern ist das Getreide schon gelb; das Kraut der dikken Bohnen ist verdorrt. Sie sind durch hohe Opuntienhecken eingeschlossen, die das Weidevieh besser abhalten als jeder Zaun. Die schweren Pflanzen scheinen so zur Landschaft zu gehren, da es nicht leicht fllt sich vorzustellen, da sie einmal gefehlt haben. Und doch sind sie erst in der Neuzeit eingebrgert; sie kommen aus Lndern, die noch heier und trockener sind. hnlich ist es mit anderen Gewchsen, die uns rein mittelmeerisch dnken: der Apfelsine, der Aloe, der Goldmis~ 16 ~

pel. Vielleicht sind alle Nhr- und Genupflanzen einmal von Menschen mitgebracht, ebenso die meisten Haustiere. Wie fr die Rassen, Sprachen und Architekturen gibt auch hier die Insel den Rahmen fr einen wechselnden Bestand. In einem unablssig von Herden durchzogenen Gelnde ist eine Pflanze unschtzbar, die undurchdringliche Zune bilden kann. Als Zugabe spendet sie die Kaktusfeige, eine saftvolle, nhrende Frucht. Sie wird im Herbst geerntet; jetzt glht nur noch vereinzelt auf den Spitzen eine der roten Kerzen auf. Zugleich bricht hier und dort einer der ersten gelben Bltenbecher aus den zahllosen Knospen auf. Die Farbe ist zunchst trb rtlich, bis sie das reine Gold entfaltet wie eine Lampe, die erst schwelt, dann hell erstrahlt. Sodann vergilben die Bltenbltter zu kleinen Schpfen, die der Wind entfhrt. Auch junge Triebe sind nach der Regenzeit in Flle emporgeschossen; ihr frisches Grn sticht freudig vom stumpfen Grau des alten Bestandes ab. Die Hecken bieten einem Gewirr von immergrnen und kurzlebigen Schlingpflanzen, die sich bis in die Spitzen einflechten, Schutz und Halt. Zur Zeit hat eine Winde groe Flchen mit roten Bltenteppichen verhngt. Sie ziehen Falter, Hummeln und Blumenfliegen an. Und unten im Dickicht rascheln Eidechsen, wenn sich der Wanderer naht. Von der fulosen Schlange bis zu den geflgelten Bltengsten wohnt das Leben in vielen Stockwerken. Man knnte den Tag versumen vor den grelldunklen Wnden und htte doch die Bilder nicht erschpft. Den schweren Pflanzen haftet auch Vorweltstimmung an. Man sieht das besonders dort, wo sie einzeln stehen oder wo einer der Kolosse, den am Steilhang die Wurzeln nicht mehr hielten, niedergebrochen ist. Dort liegt die tonnenschwere Last zerschellt; man ahnt, wie schwach gegliedert und gebrechlich~ 17 ~

die rohen Gerste auf ihren Elefantenfen stehen. Wenn man die Bltter anritzt, strmt bittergrner Saft hervor. Das Vorweltliche der Gruppe verbirgt sich auch im Chemismus, im Wabennetz der Formeln, in Drogen, die ber die mebare Zeit hinausfhren, in Einsamkeiten jenseits des Berges Kaf. Die Sonne bleibt wie ein goldenes Mhlrad am Himmel stehen, whrend die Opferpriester mit steinernen Gesichtern beisammensitzen und die Totemtiere aus dem Dickicht hervortreten. Dann ist Feuersteinzeit. Wo Siedlungen verlassen wurden, verwildert die Opuntie um die Ruinen, wie es bei uns zulande der Holunder pflegt. Den Ort umwittert dann ein Schimmer von afrikanischer Macht. Man sprt die Herrschaft des Rohgegliederten, das sich in dunklen Leibern emprt hat, auf denen senkrecht die Sonne glht. Dann breitet sich Mittagsschwermut aus. Von diesen Pflanzen kann man auch lernen, wie man sich in der Wste verhlt: Die Wste wchst, Weh dem, der Wsten birgt. Die Warnung gilt nicht fr sie. Inmitten des drren Sandes, wenn alle Hnge schon Strohmatten gleichen, erheben sie sich als Wasserspeicher in der Glut und berdauern die Durstzeiten. Wenn die Trockenheit beginnt, bringen sie eine verschwenderische Blte, und wenn sie endet, saftige Frchte im berflu hervor. Wer solchen Reichtum birgt, ist immer von Verschmachtenden umlagert und mu sich entweder unsichtbar machen wie so viele Wstenbewohner oder die Oberflche schirmen und abhrten. Man darf den Reichtum nicht auffllig tragen oder mu unverwundbar sein. Den ersten Weg haben manche Ver~ 18 ~

wandte der Opuntie gewhlt, wie die MesembrianthemumArten, die auf wunderliche Weise den glatten Kieseln gleichen, zwischen deren Gerll sie heimisch sind. Der Feigenkaktus schtzt seine Bltter durch dreigezackte Stacheln und seine Frchte durch Polster von scharfen Hrchen, die bei der leisesten Berhrung zu Hunderten in die Haut eindringen. Angesichts dieser Bewaffnung mu man die Ziegen bewundern, denen trotzdem hier und dort ein Abbi gelingt, wie man an den halbmondfrmig vernarbten Blttern sieht. Das ist ein Zoll, dem sich der Reiche nicht verschliet. Doch in der Masse stehen die Riesenhecken, die jeden Weg begleiten, gefeit, unangetastet inmitten der Versehrung und des Verzehrs, in dem Sdwinde und Herden wetteifern. Sie wissen nicht nur sich selbst zu schtzen, sondern auch die bunten Behnge, die sie durchweben, und das zahllose Getier, das sie belebt, auf ihren grellen Mauern brtend und schemenhaft ins Dunkel zurckhuschend. Es kennt die bergnge nicht. * Der kleine Friedhof ist durch Mauern geschirmt. Vor ihm ragt ein Zypressenwald auf. Die einzelnen Bume tragen Tfelchen mit den Namen Gefallener. Ein schner Gedanke, der Heldenhain. Aber er ist von auen, von Norden her gekommen, aus einem ghibellinischen Aufschwung heraus, und wird sich nicht einwurzeln. Schon fehlen Tfelchen, andere sind am Boden verstreut. Der Baum als Seelenhort und -wohnung, das liegt waldfremden Vlkern fern. Zur Rechten trumt in der Sonne ein halb verfallenes Gartenhaus. Grne Eidechsen huschen die rotbraune Mauer hinan. Die bliche Opuntienhecke umschliet den Garten, dessen~ 19 ~

Bume sie berragen: ein hellgrnes Labyrinth, in einen grauen Rahmen gefat. Limonen- und Orangenbltenduft umwebt ihn, vermischt mit den Aromen von Rosengeranien, Zitronenmelisse und anderen Wrzkrutern. Im Innern knarrt ein Wasserrad. Der Ort scheint von der Zeit vergessen; sie mu stille gestanden haben durch die Jahrhunderte. Ich setze mich auf die steinerne Bank am Eingange, um diesen Frieden zu genieen, aber ein kleiner, bissiger Hund schiet aus dem Garten hervor und vertreibt mich durch sein Gebell. Der Strand ist einsam; ein Band aus blendendem Sande, das sich zum Meer absenkt. Die Farbe des Wassers ist am Rand bla grnlich und weicht dann einem tiefen Blau. Rechts wird der Saum durch eine hohe Dne abgeschlossen und links durch eine Klippe; dazwischen liegt eine halbe Stunde Weg. Im weiteren Sichtfeld stoen Vorgebirge in die Flut. Sie sind aus nackten, gleienden Graniten oder mit Dickichten bezogen, deren Dunkel gelbe Getreidestcke aufhellen. Eines dieser Vorgebirge trgt einen der hellen, schn und einfach geschwungenen Trme, wie sie an allen christlichen Ksten des Mittelmeeres gegen die heidnischen Seeruber errichtet wurden, ein anderes eine Seewarte. In der Ferne wird der Meeresblick durch zwei kahle Eilande begrenzt: rechts durch die Mwen-, links durch die Schlangeninsel, auf deren Rcken sich wie das Gehuse einer Schnecke der Umri eines verlassenen Schlosses abzeichnet. Die Mweninsel dagegen trgt einen Leuchtturm, dessen Spitze eine goldene Kugel ziert. Kein Schiff, kein Tier, kein Hirte ist zu sehen. Nur groe Mwen kommen von der Insel angeflogen, die ihren Namen trgt. Die Klippen wiederholen ihren nackten und klagend ruberischen Schrei.~ 20 ~

Die Felsen mit den menschenleer erscheinenden Gebuden verbreiten ein Gefhl der Ausgestorbenheit, das eine nervse Wachsamkeit erregt. Je mehr all diese Leucht- und Wachttrme, Funkstellen, Semaphore, Festungen einen unbewohnten Eindruck machen, desto strker wird die Ausstrahlung einer unpersnlichen Intelligenz, die sie auf astronomische Art verbindet, ja vielleicht schon auf ihrem mathematischen Konnex beruht. Hier schlummert die Bewegung im Erstarrten, das ungeheure Energie bengstigend belebt. Man ahnt bei diesem Anblick, wo die italienische Spielart des Nihilismus ihre Stimmung findet, die kalzinierte Strenge, die Bilder und Gebude ausglht und entkeimt. Hier herrscht solarischer Zauberbann, wie auf der Spitze des Magnetberges, auf der ein erzener Reiter die Meereseinsamkeit bewacht, bis ihn zu vorgesehener Stunde ein Schiffbrchiger erlegt. Der Sand ist blendend, zuweilen wird seine Flche durch Dnen unterbrochen, auf denen Binsen und marmorierte Stranddisteln Fu faten. Hinter den Sandstreifen breiten sich Flchen von Salzkrutern aus, die kleinere und grere Lagunen einfassen. Ihr flaches Brackwasser ist von Schwimmvgeln belebt. An manchen Stellen sind braune Sume angesplt. Sie hufen sich aus zahllosen Kugeln von Tennisballgre, die aus elastischem Filz gewoben sind. Dazwischen liegen grne und gelbe Bambusstcke ein Stilleben, das offenbar durch unsichtbare Diener fr eine bung im Ballschlag vorbereitet ist. Der berflu an Bllen erspart den Balljungen. Zur Linken wird der Strand felsig; er ist in halbmondfrmige Buchten aufgeteilt. Die Spitzen setzen sich fort in Klippen und Inselchen. Die Bildung erinnert an Rivierafahrten mit ihrem Wechsel von dunklen Schchten und besonnten Amphithea~ 21 ~

tern, an die das Meer sich wirft. Wie gerne wre man oft ausgestiegen an dieser oder jener Rundung und htte Fahrt und Zeit gebremst. Hier sieht man den Wunsch erfllt und kann nach Herzenslust verweilen, wo es gefllt. Jeweils ist eine Klippenwand zu bersteigen, dann ffnet sich eine neue Rundung, in der die Woge auf Kies und Muscheln schumt. Stets schlieen sich neue, durchsonnte Kammern an. In einer von ihnen berrasche ich einen sonderbaren Gesellen: einen Vogel, der an einen Storch erinnert, obwohl er viel kleiner ist. Er sieht wie eine Schnepfe auf Storchbeinen aus und watet im klaren Wasser, dessen Grund er mit dem spitzen Schnabel durchforscht. Hier bietet sich Gelegenheit, das einzige Buch zu konsultieren, das ich mit auf die Reise nahm. Es ist der Bestimmungsschlssel der Vgel Europas, von den Ornithologen Peterson, Mountfort und Hollom verfat. Das Auerordentliche an diesem Werk ist, da es sich bequem in der Tasche tragen lt, obwohl es alle gefiederten Bewohner bis zu den seltensten Irrgsten des riesigen Gebietes nicht nur beschreibt, sondern auch farbig abbildet. Kleine Pfeile weisen auf die wichtigsten Merkmale und Unterschiede hin. Zu jeder Art gehrt eine Karte Europas in Briefmarkengre, in die das Verbreitungsgebiet eingetuscht ist. Es handelt sich um die Verdichtung eines in Jahrhunderten aus zahllosen Beobachtungen eingeheimsten Wissens, die man als abschlieend betrachten darf. Mit Recht bezeichnet Julian Huxley, der das Vorwort zu diesem Field Guide geschrieben hat, sein Erscheinen als ein Ereignis, das zwischen den Freunden einer liebenswerten Wissenschaft Brcken schlagen wird, in allen Lndern und ber alle Grenzen, so wie der Vogel fliegt. Und es ist richtig, da eine solche Leistung wertvoller, wichti-

~ 22 ~

ger sein kann als Kongresse und Festreden. Nicht Stricke, sondern Spinnweben verbinden den Kontinent. Zu diesem Buche gehrt ein scharfes Glas, wie ich es mitfhre. Ich rcke den absonderlichen Burschen, als ob ich ihn in Reichweite brchte, an mich heran. Er lt sich die Welle ber die roten Stelzen schumen, dort wo sie sich an den Kieseln bricht. Bedchtig wandelt er auf und ab, zuweilen pickend, zuweilen rastend, wobei er auf einem Fue steht. Das Tier ist wei, die Brust zart rosa berflogen, Flgel und Hinterkopf sind schwarz. Ich habe es so scharf im Glase, da ich das Auge erkenne, das wie ein roter Edelstein glnzt. Der Fall ist einfach: der Vogel gehrt ohne Zweifel den Groen Limicolen an. Ich finde ihn sogleich abgebildet, wie ich unter diesem Titel nachschlage. Es handelt sich um den Stelzenlufer, auch Strandreiter und von den Ungarn Storchschnepfe genannt dieser Name ist der anschaulichste. Der Text bezeichnet das Tier als unverkennbar; es ist ein Mnnchen im Brutkleide. Nachdem ich es ausgiebig betrachtet habe, beginne ich mich ihm zu nhern; bald wird es aufmerksam und fliegt sichelnd mit schrillem witt-witt-witt davon, die langen Beine waagerecht ausgestreckt. Diese erste Beobachtung gibt gleich zu einer Eintragung in das dafr bestimmte Register Veranlassung, denn, wie ich sehe, fehlt auf dem der Beschreibung beigefgten Krtchen Sardinien als Gebiet. Ohne Zweifel aber ist der Strandreiter hier nicht nur anzutreffen, sondern auch Brutvogel. Zum Badeplatz scheint eine vorgeschobene Felsenbank geeignet; sie setzt sich in einer Reihe von Klippen fort. Das Wasser ist frisch; es wird noch zwei Monate dauern, bis die Mediterranen sich frstelnd hineinwagen. Schwarzblaue Seeigel schimmern~ 23 ~

auf den granitenen Bnken, zwischen denen die Woge sich hebt und saugt. Beim Schwimmen durch die Engen streifen Tangbschel die Brust. Nachher, auf der steinernen Bank, gibt die Sonne die verlorene Wrme zurck. Soll man von der Klippe aus baden oder vom Sandstrande? Das ist ein Dilemma, das sich stets wiederholt. Hier locken die felsige Bildung, die Tiere und Pflanzen, die Mglichkeit des Absprunges in die Tiefe, dort die langsame Vermhlung mit dem Element, das schmeichelnde Mahlen des Sandes an den Fen und dann das Lager im heien, weien und weichen Dnenbett. Ich werde mit beidem abwechseln. Diese ersten Tage sind schn; man verfgt noch ber einen unabsehbaren, kstlichen Vorrat an Zeit. Der Rckweg fhrt durch einen groen Weingarten. Die Stkke prangen im frischesten Leben; zuweilen leuchtet zwischen ihren Reihen das dunklere Grn eines Feigenbaumes auf. Es scheint, da einzelne dieser Tler, die zum Meere hin verstreichen und Wasser fhren, besiedelt sind. Aber man sieht keinen Menschen und hrt, auer dem fernen Gurren der Wildtauben, kaum einen Laut. Wie kommt es, da es bei diesen Gngen im klarsten Lichte so stille wird? So stille, da man endlich die webende Lust der Pflanzen zu hren glaubt und den Goldklang der Sonne, die sich ber sie ausschttet. Bergan zum Stdtchen; der Weg fhrt durch Mandelhaine empor. Immer begleiten ihn die Opuntien, ziehen sich in Irrgrten die Hnge entlang. Oft schlieen sie kleine Vorzimmer ein, mit zwei, drei Granitblcken als Sthlen und Teppichen von gelber Wolfsmilch, roter Siegwurz, Raute, Wermut in s und bitter duftendem Gewirr. Ich kann es nicht unterlassen, immer

~ 24 ~

wieder eines dieser Gemcher zu betreten, um mich seiner Heimlichkeit zu erfreuen. Ja, das ist Eigentum. Zu Tisch im Goldenen Stern, hemdrmelig und in blauer Leinenhose, wie die anderen auch. Es gab Minestra und eine groe Murne in gersteten Querschnitten. Ich hatte das Tier bereits am Morgen in der Kche gesehen, mit seinem kleinen Kopfe und dem hochkant gestellten Seeschlangenleib. Dem hohen Lob, das die Rmer seinem Fleische spenden, kann ich nicht beistimmen; ich kenne viele Fische, die schmackhafter sind. Zum Nachtisch Schafkse, salzig, steinhart daran hat sich gewi schon der alte Cato gelabt. Der Rotwein ist schwer, pesante, und hat einen leichten Fenchelgeschmack. Ein winziges Tchen caff nero zum Abschlusse. Dazu Unterhaltung in hchster Lautstrke. Wo alles schreit, gewhnt man sich rasch an das Mitschreien. Die Tafelnden sind bester Laune, zuweilen schlgt das Gesprch um in reinen Gesang. Ich beschreibe Signora Bonaria den Strandreiter. Der Vogel ist ihr bekannt. Sie nennt mir das sardische Wort menga, das ich nicht unterbringen kann. Es soll, wie sie sagt, daher kommen, da er piekt sie kneift sich dabei mit zwei Fingern in den Unterarm. Siesta. Ich verfalle fr zwei Stunden in einen bleiernen Schlaf und stehe dann auf, um in die Berge zu gehen. Die Hnge sind bis hoch hinauf mit Mandelbumen bestellt. Jetzt sind sie grn und reifen ihre Frchte; im Januar sind die Berge von ihren Blten wei. Zuweilen leuchtet inmitten dieses Schimmers ein rosa Wlkchen auf. Dort blht dann die Bittermandel inmitten des Bestandes sprlich, so wie die Mutter zum Kuchen unter die vielen sen Mandeln auch eine bittere nahm.~ 25 ~

Im Schatten der Bume wchst Weidegras, oder es sind im Hackbau auf schmalen Stcken dicke Bohnen, Erbsen und Kartoffeln gepflanzt. Von manchen Punkten aus erscheint das Bergland als ein groer, frischgrner Mandelgarten, in dem Scharen von Vgeln ihr Spiel treiben. Schwrme von Stieglitzen fallen ein, ein groer Wrger mit rostbraunem Kopfe huscht durch die Hecken, in der Ferne hrt man das Gurren der Tauben und den pumpenden Ruf des Wiedehopfes, dessen Name hier, wie viele lateinische Wrter, eine leichte Umstellung erfahren hat, indem ihn der Sarde nicht upupa, sondern pupusa nennt. Aus den unbersehbaren Vorgehlzen mu man schlieen, da hier der Mandelbaum, mandorlo, am schnsten gedeiht und dem Boden die beste Rente bringt. Auf diesen Hngen reifen fr alle Kuchen- und Marzipanbcker Europas die sen und bitteren Frchte heran. Man fhlt, wie sie die stille Nachmittagssonne kosten, sprt ihr Behagen mit. ber die Flchen und durch die Macchia ziehen langsam die Viehherden. Fast alle Tiere tragen Glocken oder Glckchen am Halse, die Schafe, die Ziegen, die Rinder, und das Stdtchen ist vom frhen Morgen bis in die spte Nacht vom Getrappel gespaltener Hufe, den Rufen der Hirten, dem Gebell der Hunde und dem Klingen der Glocken erfllt. Wenn eine groe Herde sich nhert, erweckt das brausende Gelute Vorstellungen des Reichtums, der sich festlich offenbart. Die Schafe bilden seine Grundlage, worauf schon die Tatsache hinweist, da sie einfach Vieh, pecore, genannt werden. Von dessen Stammwort, pecus, ist bekanntlich das Abstraktum Geld, pecunia, gewonnen, als von der Quelle des Reichtumes. Das wird hier im heiteren Bilde anschaulich. Wenn jemand sein Geld zeigt, so ist das~ 26 ~

gleichgltig oder auch widrig; es gehrt zum schlechten Geschmack. An seiner Herde aber kann man sich mitfreuen. Alle Tiere kommen mir etwas verndert vor, gehren vielleicht zu Inselrassen, die sich ausbildeten oder seit alten Zeiten konstant geblieben sind. Die Schafe haben feine, zierliche Kpfe und einen langen Behang. Auch die Pferde sind klein, aber feingliedrig, edel gebaut. Die Rinder dagegen sind mchtiger als im Allgu oder in Niedersachsen, bffelartig, schn rotbraun, mit starkem, ausladendem Gehrn. Die Schweine wirken besonders altertmlich; sie sind stark borstig, wie man sie im Stundenbuche des Duc de Berry, und spitzschnuzig, wie man sie auf Boschs Gemlden sieht. In jeder Einzelheit bemerkt man, da die Besorgung der Herden und die Bestellung des Landes hier auf einer frhen, ehrwrdigen Stufe steht also rckstndig ist, um es mit den Worten des Zllners auszudrcken, dem ich beim Nachtmahl wieder Gesellschaft leistete. Es kommt ja immer auf den Standort des Betrachters und seine Perspektive an. Mein Tischgenosse zhlt einige Jahre ber zwanzig, sieht aber lter aus. Seine Zge sind, wie gesagt, vom spanischen Typus, fr den mir das Wort alkaldisch einfllt, von einer gewissen Wrde und Melancholie. Sein Dienst als radiotelegrafista scheint nicht eben anstrengend zu sein. Er geht alle zwei, drei Stunden auf das Zollamt, um zu sehen, ob Nachrichten angefallen sind. Zuweilen bleibt er auch dort, um ein Buch zu lesen oder mit den anderen Zllnern zu plaudern, die man auch meist mig vor dem Ufficio sich sonnen sieht. Man hat den Eindruck, da sie unendlich viel Zeit haben und da diese Tatsache ihnen einerseits angenehm ist, sie andererseits bedrckt. Daher will ich nach der Erfahrung, die ich heut nachmittag~ 27 ~

machte, in Zukunft einen Bogen um ihre Gruppe schlagen, denn einmal angesprochen, wird man von ihnen in endlose Gesprche verwickelt und soll ihrer Langeweile als Labsal dienen, whrend drauen die kstliche Zeit verstreicht. Hier, beim Essen und beim vino nero, ist das etwas anderes, auch bildet mein Zllner ersichtlich eine Ausnahme. Ich fragte ihn nach seinen Aussichten; sie scheinen nicht eben groartig zu sein. Es gibt da ein System von Befrderungen, das im Grunde nichts anderes bedeutet als Schneckenumlauf innerhalb der Subalternitt. Ganz hnlich gibt es bei uns zulande Pstchen, denen man, um sie aufzufrischen, alle zwanzig Jahre einen neuen Namen verleiht. Ich mu zugeben, da die Aussicht, in diesem heien Neste nach dreiig Jahren immer noch den Korporal zu machen, nicht eben verlockt. Dabei ist es eine arme Grenze, wie der Zllner sagt das heit, da es wenig zu beschlagnahmen gibt. Man heiratet so frh wie mglich, in jedem Jahr kommt ein Kind, in guten auch zwei. Das Land ist berfllt mit einer hungrigen Beamtenschaft, mit Figuren aus dem Lazarillo de Tormes, besonders nach dem Verluste der Kolonien. Der Gute schenkt sich ein Glas von dem dunklen Wein ein und blickt mich melancholisch an: Wissen Sie, in Italien gilt die Intelligenz nichts; hier zhlt nur das Geld. Meine Mitschler sind alle schon Rechtsanwlte und rzte; ich mute zu frh abgehen. Meine Eltern hatten die Denare nicht. Dabei habe ich immer gelernt, auch wenn die anderen spielten, ich kannte nichts Schneres. Ich habe geweint, als ich meine Bcher einpackte. Ein Musterschler also, man merkt es schon beim Gesprch. Musik: Bach, Mozart, Beethoven, Wagner, Verdi. Deutsche Lite~ 28 ~

ratur: Klopstock, Lessing, Schiller, Goethe. Iphigenie, Tasso, Foost. Insekten: Lepidottera, Coleottera, Ymenottera. Vorzglich auswendig gelernt. Wenn ich mich solcher Mitschler entsinne, so will es mir scheinen, da ich sie, wenn ich ihnen im Leben, fr das wir angeblich lernen, wieder begegnete, meist in hnlichen Stellungen traf. Sie gehren zum akkuraten Typus des Klassenersten, der fr solche Posten berufen ist. Der andere Typus des Klassenersten ist der geniale, der spielend das Pensum beherrscht. Dieser kann nach der Pubertt langweilig werden, an seiner Begabung scheitern oder sich zum groen Licht entwickeln, als das er sich frhzeitig ankndigte. Bei der immer schrferen Konkurrenz, die sich auf unseren Schulen entwickelt, ist zu befrchten, da die Auswahl die guten Auswendiglerner trifft. Sie machen es den Lehrern, die gleichfalls an Qualitt verlieren, am einfachsten. So kommt ein Schlag von Bfflern in die Hhe, von Menschen, die keine Zeit haben. Jeder hhere Typus ist aber daran zu erkennen, da er Zeit hat also ber die Uhr bestimmt. Vor die Alternative gestellt, wird er die verpfuschte Existenz der pedantischen vorziehen. brigens wird die Herrschaft der Pedanten immer wieder durch den Aufstand der genialisch Gescheiterten abgelst. Das ist eine der Revolutionen, die wiederkehren, und zwar unabhngig von den Argumenten, die gerade Mode sind. So erklren sich der Aristokrat unter den Jakobinern und hnliche Typen, die jeder kennt. Man kann die Zukunft geradezu ablesen an den Themen, mit denen solche Geister, nachdem es schief ging, sich beschftigen.

~ 29 ~

Was nun das Bewutsein des verfehlten Berufes betrifft, unter dem der Zllner leidet, so frage ich mich seit langem, ob es nicht tiefer hinabreicht, als man denkt, ja, ob es berhaupt in diesem Sinne Verfehltes gibt. Wenn wir die Menschen Kugeln von verschiedenem Kaliber vergleichen wollen, so schttelt sie das Leben solange durch verschiedene Siebe, bis sie endlich in das Fach rollen, das ihrem Kaliber entspricht. In diesem Sinne kann die Bestimmung, das Schicksal des Menschen darin liegen, in seinem Berufe unglcklich zu sein. Das ist die Leistung, die Aufgabe, die ihm auferlegt, im greren Plane zugewiesen wird. Daher kommt es, da wir von all diesen Zechern, die sich abends zum Wein an unseren Tisch setzen und ber ihr verfehltes Dasein klagen, das gleiche Lied hren. Da ist der General, der lieber Dichter, und der Dichter, der lieber General geworden wre, und von denen der eine seine Schlachten, der andere seine Verse verpfuscht und wenn es umgekehrt gekommen wre, wrde auch nicht mehr herausspringen. Fr die groe Begabung gehrt der verfehlte Beruf eher zu den gnstigen Anfngen, insofern sie, den sozialen Vorhang durchschreitend, an der Freiheit ihr Ma nehmen kann. Das aber ist der Fall des Zllners nicht. Im Grunde frchtet der Mensch nichts so sehr wie die Freiheit daher der Zulauf zu den Zwangsanstalten unserer Zeit.

Illador, 9. Mai 1954. Die Sonne wrmte schon recht gut. Das Land lag herb und unberhrt in ihrem Glnze, in einer Stimmung, die ich nicht anders denn als Inselfrische, Inselfrieden bezeichnen kann. Es ist,~ 30 ~

als tauche fr Stunden ein Beet der frhesten Grten empor, in kstlicher Einsamkeit. Das Herz empfindet die Kraft der Strahlen; sie heilen und reinigen die Welt. Als ich dann an dem stillen Garten vorberkam, scho wieder das bissige Hndchen aus ihm hervor. Ich whlte einen anderen Weg zum Strande, an dessen Rndern Legionen von gelben Margueriten und violetten Windenkelchen leuchteten. Wie schon so oft auf solchen Gngen verweilte ich hin und wieder und sah dem Treiben der Bltengste zu. Diesmal fiel mir besonders die Rolle der Bltenspinne in dieser Welt der Liebesund Todeskmpfe auf. Die Bltenspinne schmckt sich mit bunten Farben, whrend ihre Verwandten, die in den Ecken die groen Netze bauen, meist grau und unscheinbar sind. Ihr dienen die Dolden und Bltenpolster als Netz, als Kder, als seidiges Garn. Auf ihnen lauert sie, entweder seitlich verborgen oder unter dem Schaum der Kronbltter verhllt, mit mrderischer Wachsamkeit. Der schrfste Blick vermag die Tiere nicht von ihrem Prunksitz zu unterscheiden, mit dessen Mustern sie entweder harmonisch verschmelzen oder das sie in khnem Kontrast vervollstndigen. Sie zeigen die Farben der Bltenkronen, etwa das grelle Email der weien Margueriten oder ein sahniges Cremegelb. Andere ziehen das zarte Grn der Kelchbltter vor. Wieder andere sind herausfordernd gebndert und gestreift, mit halbmondfrmigem oder in lange Dornen ausgezogenem Leib. So lauern sie gleich Opferpriestern mit ausgebreiteten Fangarmen, die Staubgefe nachahmen. Wenn die Blumen- und Schwebefliegen, die Blulinge und Dukatenfalter und all die anderen geflgelten Festgste sich auf die bunten Tafeln niederlassen, strzen sie sich in diese Klammern, die sie sogleich umschlieen und ihre Gifthaken einschlagen. Das sind~ 31 ~

Reisen von Insel zu Insel, in Glanz und Schrecknissen, wie die Sindbads des Seefahrers. Auch das ist unsere Welt. Am Abend a ich mit dem jungen Schuhmacher von nebenan, Erminio. Da Schuhe hier teuer sind, hat er meist Flickarbeit. Wenn ich an seiner fensterlosen Werkstatt vorberkomme, sehe ich ihn Risse vernhen und Riester aufsetzen. Fr Schuhe sagt man hier crapittas; das Wort soll spanischen Ursprunges sein. Ich fragte auch nach anderen Wrtern und erfuhr, da das Kind pippius und der Knabe piccioceddu heit, wenn ich recht verstand. Die Eidechse, italienisch lucertola, heit sardischalischestra, und der Schuster fragte mich, ob sie auch bei uns in Deutschland zu Haus sei. Ich konnte das bejahen, mute aber hinzufgen, da manchmal das Jahr vergehen knne, ohne da man eine gesehen htte, whrend es hier schwer sei, einen Blick zu tun, der nicht mehrere der Tiere mit einfinge. Sie sind sattgrn mit schwarzperliger Bnderung und mssen Feinde haben, da ihnen oft die Schwanzspitze fehlt. Aber wo eine Art in solcher Menge auftaucht, ist immer ein Schwarm von Jgern hinter ihr her, wie die Haie hinter den Heringen. Wir sprachen auch ber den Kindersegen auf der Insel, die razza prolifica. Der Wirt, Signor Carlino, lie sich dabei einen logischen Kurzschlu Zuschulden kommen; er meinte nmlich, da der Mangel an elektrischem Licht fr die vielen Kinder verantwortlich sei. Man ginge zu frh ins Bett, wrde sich langweilen, und den Rest des Satzes ergnzte er, indem er die Hnde auf- und zuklappte. Ohne Zweifel wird auch, wenn die Promethiden hier ihres Amtes gewaltet und den Anschlu gelegt haben, die Geburtenzif-

~ 32 ~

fer absinken. Das hngt aber mit einem anderen Licht zusammen als dem elektrischen. Den Flickschuster mchte ich zu den primitiven Revolutionren zhlen; in solchem Zustand begehrt man wie der Junghirsch gegen die Zucht der Kapitalen auf. Am Nachmittag begegnete er mir mit seiner Kusine und fate sie, als sie vorbeikamen, unter den Arm. Das ist hier ungewhnlich, und beiden war das Wagnis anzusehen. Nach Tisch lie er mich einen Blick in seine Geldbrse tun, um mir zu zeigen, was man als aufgeweckter Geist da mit sich fhrt.

Illador, 10. Mai 1954. Wenn man Vgel beobachten will, soll man ihnen nicht nachjagen, sondern hbsch stillhalten. Dann kommen sie von selbst. Ich hatte mir in dieser Absicht einen Mandelgarten ausgesucht, der von Akazienbschen umfriedet war. Aus ihrem Laubgefieder ragte ein bleiches Gesperre fulanger Dornen auf. Das ist fr Wrger und Heckenvgel ein Paradies. Andere Arten strichen zwischen den Baumkronen dahin. Whrend ich, in der Sonne behaglich auf einem Steine sitzend, ihr Spiel verfolgte, sah ich eine Schafherde vorbeitreiben. Die Glckchen klingelten; Staub wehte von dem schon drren Hange auf. Die Tiere hatten schmale, geschnitzte Kpfe und trugen ihren Behang wie Mntelchen. An ihrer Spitze schritt der Schafbock mit geripptem, gewundenem Gehrn. Der

~ 33 ~

Hirte hatte ihm die lederne Bockschrze vorgebunden, damit er die Schafe nicht besprang. Es war ein uraltes Bild, wie sie so lutend und dnnbeinig vorbeidrngten. Ein Mutterschaf folgte, denn das Lmmchen, das es fhrte, konnte nicht Schritt halten. Es war noch rosig, als ob es eben erstgeboren wre, und hielt sich immer so dicht an der Mutter, da es sie mit seinem winzigen Schwnzchen fhlen konnte; da war es in Sicherheit. Zuweilen rastete die Mutter und drckte es mit dem Kopfe eng an sich. Ein rhrendes Bild ja, aber auch von gewaltiger Kraft. Hier offenbart sich, was die Atome bindet und Sonne, Monde und Planeten zusammenhlt. Wie der Hirt in der Ferne sang und die Herde vorbeizog: das ist wirkliche, bleibende Macht, und der Hirt wird die Herde einst auch ber unsere Stdte dahintreiben.

Illador, 11. Mai 1954. Obwohl ich wei, wie die Vision sich von den Trumen unterscheidet, kann ich es schwer ausdrcken. Es ist schon physisch kein Zweifel an der Rangordnung der Bilder und ihres Zwanges, weil das Blut sich dem Punkte nhert, an dem es im luftleeren Rume zu sieden beginnt, und ihn auch erreicht. Man kann in die Vision aus dem Traum eintreten, aber auch aus dem Wachsein, und in beiden Fllen nehmen die Bilder an Macht und Klarheit zu. Wenn man aus dem Traum in die Vision bertritt, kann man erwachen und doch in ihr verbleiben wie unter einer Glocke, die Schlaf und Wachsein berdeckt. Das zeugt fr ein Drittes und Anderes.~ 34 ~

Heut nacht hatte ich drei dieser Bilder: An der Rckseite des Palastes, Wiedersehen mit einer verstorbenen Freundin und Heraufziehendes Unwetter; doch nur das erste eignet sich zur Aufzeichnung. Es begann mit dem Vorbeistreichen von zwei Sultanshhnern sie waren gro, schimmernd blau, die Flgel goldbraun wie Fayencen aus dem maurischen Spanien. Halb laufend, halb fliegend zogen sie an mir vorber, um in einer alten Pforte zu verschwinden, die eine gezinnte Mauer durchbrach. Die Vgel waren so herrlich, so berirdisch leuchtend, da ich sogleich ihre Spur aufnahm. Als ich jedoch die Pforte durchschreiten wollte, hemmte mich der Kadaver eines mchtigen Pfauhahns, der auf dem Rcken lag, die grauen Krallen gekrmmt emporstreckend. Er ruhte auf seiner Schleppe wie auf einem juwelengeschmckten Leichentuch. Schon breitete sich Dunst der Verwesung darum aus. Ich blieb vor ihm stehen, und vor der leeren Pforte; die Einsamkeit war gro. Ich wute, da ich auf der Gartenseite des Palastes stand und dort belauscht hatte, was mich erwartete, wenn ich das hohe Portal der Front durchschreiten wrde: Schnheit und Untergang. Das war verbotene Jagd. Doch Worte schildern nicht die unmittelbare Pracht und Klarheit des Eintrittes in den Bereich. Ich zndete die Kerze an und wute sogleich, was vorgegangen war. Die berlegung, ob ich etwas gegessen htte, das Drogencharakter besa, war eine Ausflucht; mir fiel nur die Raute ein, von der ich hin und wieder ein Stengelchen zu kauen pflege, wenn ich die Pflanze in der Macchia antreffe. Wahrscheinlicher ist, da die Wanderung durch kahle, sdliche Klippentler den Sinn verndert, wie ich es manchmal erfuhr. Da wird auch das sonst Unsichtbare pla~ 35 ~

stischer. Ich lschte das Licht; ein neuer Schub von Bildern kndete sich an. * Bei Sonnenaufgang war ich unterwegs. An diesen Ksten empfiehlt es sich, die mittelalterlichen Trme aufzusuchen, die auf den Vorgebirgen errichtet sind. Sie sumen alle christlichen Lnder und Inseln des Mittelmeeres. Auch hier liegt eines dieser Werke im nheren Umkreis; es leuchtet weithin von einer mit Macchia berwachsenen Klippe und erinnert in seiner Form, die sich von einem Sockel aufschwingt und mit einer gekerbten Zinne abschliet, an den weien Turm eines Schachspieles. Es wird nach seinen Erbauern als Torre Pisano oder nach der Gefahr, die es zu bannen hatte, als Sarazenenturm bezeichnet, und immer noch wittert ein Hauch von nackter Macht, von bleicher Wachsamkeit um sein ausgeglhtes Gestein. Diese Festen sind an Punkten errichtet, von denen man das Meer und seine Buchten besonders deutlich berblicken kann. Das war ihre Aufgabe, und daher kommen sie noch heute den Reisenden zugut. Ich begab mich dorthin, indem ich auf dem schmalen Streifen entlangschritt, der Meer und Lagune trennt. Der Strand war blendend wei. Das Band, das die Woge besplte, war mit zarten Rosastreifen berzeichnet, die sich zu Mustern anordneten. Es waren Netze, Lineamente von groer Harmonie. Jede Woge wischte sie hinweg, und jede folgende schuf einen neuen Entwurf. Ob solche unerhrte Verschwendung von Kompositionen sich vollzieht, ohne da sie ein Auge geniet, sich ein Bewutsein ihrer freut?

~ 36 ~

Und woraus bestanden diese feinen Schriftzge? Ich nahm ein wenig Sand auf und erkannte, da es sich um Krner zermahlener Herzmuscheln handelte, die leichter als der Meerkies wogen und sich daher auch anders anlagerten. Der Unterschied der Farbe machte den Vorgang den Augen offenbar. Herzmuschelstaub. Mit Rosentinte schrieb er seine Botschaft ein. Das schien mir wunderbar. Ein Wunder ist auch die Herzmuschel selbst. Sie taucht schon in den ltesten Schichten der belebten Erde auf, und heute noch sind alle Meere von ihr besiedelt, alle Ksten mit ihren Schalen bestreut. Ein groer Wurf wird ohne Unterla und ohne Grenzen wiederholt, und wir erraten die Absicht nicht. Ein Schpfungszeichen wird nicht mde, uns durch stete Wiederholung zu erinnern, indem es sich an unsere Sinne und unser Sinnen wendet, wie oft wir es auch achtlos in den Staub treten. Was berrascht, bestrzt denn an dieser Herzmuschelform, an dieser Bildung, die jeder kennt? Zunchst schon, da so ein Formen wunder von einem formlosen Leib geschaffen werden kann, und doch nur ein Totes ist, das er als seine Hlle, zu seinem Schtze ausscheidet. Ein wenig Schleim, ein wenig Gallert prgt solche Mnzen aus. Wir mssen sie in Zahlung nehmen als Anweisung auf Schatz- und Prgekammern, die unseren Augen verschlossen sind. Sodann ist zu bewundern das Auskristallisierte, das Ma an mathematischem Bewutsein, das sich hier offenbart. Ein unsichtbarer Taktstock wird erhoben, und ein Fingerhut voll Kalksteinmoleklen ordnet sich zu Motiven, denen die Woge das Muster gibt. Man sieht die Welle strahlig niederstrzen, sieht ihre Rundungen und Kmme, die Rippen und Riffelungen, die sie im Sande hinterlt.~ 37 ~

Die Form scheint einfach, als ob ein Kind sie erdacht htte. Doch wird kein Rechenmeister jemals ihre Formel ausrechnen. Sein Geist wird auf die Meditation verwiesen: kstliche Asymmetrien heben ihn ber die Angeln von Ma und Zahl hinaus. Er sieht sich dem Unberechenbaren gegenber, dem Hauch von Liebeszauber unserer Erde und ihrem frhen Glnze, von Aphrodites Schimmer, der aus der Rundung bricht. Es gibt Vlker, die Muscheln als Geld haben. Im Grunde ist eine solche Herzmuschelschale ganz unschtzbar: sie knnte zum Eintritt in hhere Welten, in Sonnen berechtigen. Der Wandersmann von unserer Erde weist sie als seine Pilgermuschel, als Hieroglyphe vor. Der Wchter am Flammentore sieht, zu welch erhabener Bildung der Staub auf diesem Sterne fhig war. Es leuchtet Unsterbliches an ihm. Er gibt sein Zeichen: die Muschel verwandelt sich in Glut, in Licht, in reine Strahlung; das Tor springt auf. * Mit solchen Gedanken beschftigt, stieg ich auf den verwachsenen Pfaden zum Turm empor. Das Mauerwerk war gut erhalten und zum grten Teil noch mit einem glasharten Mrtel bedeckt. Es zeigte Schlitze und Schiescharten, doch weder Fenster noch Tr. Die Besatzung mute die Zinnen also durch Leitern bestiegen haben, die sie dann einzog, oder durch Strickleitern. Die taktische Bedeutung dieser Trme war die von Auslugen. Wenn Barbareskenschiffe sich nherten, wurde Feuer entzndet und Lrm gemacht. Es handelte sich um Handstreiche von Seerubern, die auf Beute und Sklaven abzielten. Sie muten berraschend kommen und verschwinden, ehe sich die Landwehr zusammenzog. Ein solcher Turm stand im verlore~ 38 ~

nen Felde, doch konnte er wohl eine kurze Belagerung aushaken. Immerhin war es ein Posten fr Herzhafte. An diesen Rndern zwischen Abend- und Morgenland mute man immer wachsam, stets auf dem Posten sein. Es herrschte, auch abgesehen von den groen Heereszgen, immerwhrende Unsicherheit, uneingeschrnktes Recht des Strkeren. Zugleich waren es Rnder des historischen Bewutseins daher hat, wenn man auf solchen Horsten weilt, die Phantasie Spielraum; und noch immer wird die Schnheit des Landes durch einen Rest von Schrecken grundiert, wie ein Gefhl des Schwindels die Hhe unterstreicht. Wenn man in der Literatur auf Quellen stt, die verraten, was da im Einzelnen gespielt wurde, so ist das ein Glcksfall als solcher ist zu werten, da die Erinnerungen des spanischen Hauptmanns Contreras erhalten geblieben sind, der, whrend man in Europa mit dem Dreiigjhrigen Kriege beschftigt war, hier Kaperschiffe befehligte und seinerseits von Malta, Palermo und Genua aus die trkischen, algerischen und marokkanischen Ksten brandschatzte, wobei er auch die Inseln nicht verga. Der Grotrke hatte geschworen, ihn zu schinden und auszustopfen, wenn er in seine Hnde fiel. ber dem Gemuer flatterte ein Falke, den ich aufgescheucht hatte, und tief unten kreisten weie Punkte: ein Mwenschwarm ber der veilchenfarbenen Flut. Die Schreie drangen hungrig herauf, wie Klagen von Raubtieren, aber auch melancholisch, als ob die Einde sich eine Frage stellte und in der Schwebe liee: die Schicksalsfrage, der nur das Echo Antwort gibt. Der Blick umfate das Meer und die Berge und dazwischen das bebaute Land mit seinen Feldern und Fruchtgrten. Wie oft mochten Verteidiger und Angreifer von dieser Warte aus das~ 39 ~

Land mit Raubvogelaugen durchspht haben. Auf diesen sdlichen Meerestrmen erscheinen die Machtfragen geprgter, berechenbarer als in unseren Nordlndern. Sie stellen vor ein klares Entweder-Oder, dulden kein Sowohl-Alsauch. Kein Hamlet trumt auf diesen Zinnen, kein Knig von Thule, kein ossianischer Geist. Beim Abstieg stie ich auf ein Fischerboot, das in der Bucht schaukelte. Es waren aber nicht Fischer, die dort mit dem Sehrohr den Grund erforschten, sondern Granitarbeiter aus einem nahen Steinbruche. Sie feierten festa, wie sie mir mit aufmunternden Gebrden zu verstehen gaben, machten sich also einen freien Tag aber es war offensichtlich ein Fest, das die eigene Lebensfreude, die gute Laune zu bestreiten hatte, gemeinsam mit der Sonne, in der sie die halbnackten Krper rkelten. Sonst war kein Aufgebot zu sehen, weder Tabak noch Wein. Nur ein paar Handvoll gekochter Bohnen und ein Weibrot waren da. Ich mute mich daran beteiligen. Dabei entspann sich eine Unterhaltung nach dem Muster, das sich berall in Europa entwickelt, wo sich Mnner begegnen, die um die Jahrhundertwende geboren sind. Man wird gefragt, ob man im ersten oder zweiten Weltkrieg, vielleicht gar in beiden mitgefochten hat, ob man verwundet wurde, den Vater oder den Sohn verloren hat. Die Namen der groen Schicksalssttten tauchen auf Somme, Flandern, Isonzo, Stalingrad. Dabei enthllt sich, da man im eigenen Schicksal am Handeln und Leiden groer Figuren teilgenommen hat, die einst vielleicht ein Dichter aus dem Namenlosen beschwren und erlsen wird, in hherer Erinnerung. In solchen Kumpaneien gibt es immer einen Anfhrer, der meist auch Vorarbeiter ist. Hier hie er Angelo Puddu und~ 40 ~

wurde von seinen Kameraden Il Mandarino genannt. Im Kriege war er nach Ungarn kommandiert gewesen, um fr sein Regiment Pferde zuzureiten die Kameraden sparten, als er davon erzhlte, nicht an Scherzen, auf die er mit kurzen Sentenzen einging, wie etwa: Eine gute Stute braucht keinen Sporn. Leute wie dieser haben immer einen besonderen Posten und kommen durch die Welt. Sie sind auch wirtlich und werden meist gute Kche sein. Mandarino sta bene, meinte einer von den Ruderern, die das Boot mit leichten Schlgen in der Dnung hielten, und Mandarino lachte dazu. Hier ist ihm die Aufsicht ber ein verlassenes Granitwerk anvertraut, das unterhalb des Turmes liegt. Das gibt ihm freie Wohnung im leeren Verwaltungsgebude und einige Soldi extra, auch Mue, mit der Flinte den wilden Kaninchen der Macchia und mit dem Netze den Fischen nachzustellen, die vor seiner Tre im Meer schwimmen. Der Rckweg fhrte durch die hohen Felder, die immer ganz einsam sind. Am Abend sa ich mit den blichen Konviven beim Wein. Wir sprachen ber Politik. Sie kennen von Deutschen Wilhelm II., Indenburgo, Itler und Rommel, der Zllner auerdem Goethe, Mozart und Beethoven. Das Gesprch kam auf die Ermordung Mussolinis; ich konnte dazu sagen, da man die schaurigen Mailnder Photographien Hitler kurz vor seinem Ende gezeigt und da der Anblick ihn in dem Entschlu, Hand an sich zu legen, bestrkt habe. Als ich dabei die Ansicht uerte, da in solchen Lagen der Selbstmord als der letzte freie Ausweg vorzuziehen sei, stie ich zu meinem Erstaunen auf allgemeinen, lebhaften Widerspruch. Man msse kmpfen mit allen Mitteln, auch sich verstellen, verkleiden, zu fliehen versuchen bis zum letzten Augenblick, kurzum sich~ 41 ~

niemals aufgeben. Es sei viel lblicher, sich ermorden zu lassen, wenn auch auf grausamste Art. Das ist das alte, vorstoische Ma.

Illador, 12. Mai 1954. Beim Rundblick vom Sarazenenturme war mir gestern eine Ruine aufgefallen, die von den Einwohnern als Castello turco bezeichnet wird. Sie suchte ich heute auf. Eine Meeresklippe trug das einst wehrhafte, nun seit langem verfallene Schlo. Ich stand in seiner Halle, die dem Himmel geffnet war und ber der ein Falke flatterte. Wer ging durch diese Tore aus und ein? Wer hat in diesen Slen getafelt, whrend die Musikanten aufspielten? Wie war die Grndung, die Bltezeit, der Untergang der Meeresburg? Wurde sie durch Gewalt gebrochen oder brckelte allmhlich, wie ihr Gestein, das Ansehen der Herrschaft ab? Das sind Gedanken, die uns um so mehr beschftigen, um so mehr ansprechen, je dunkler die Kunde ist. Wir fhlen sie an solchen Orten wie Schwingen die Stirn berhren Schmerz, ewig ungestillte Sehnsucht steckt hinter der historischen Leidenschaft. Doch Schnheit ist immer um diese alten Trmmer, und man fragt sich, ob unsere Bauten, verglichen mit denen fast aller Vergangenheiten, eigentlich notwendig so hlich sind? Wir knnen diese Hlichkeit nicht abstreiten und mten, wenn wir zum Vergleich herausgefordert wrden, mit anderen Zeugnissen aufwarten als mit den Bauwerken. Bei uns ist alles Mittel und wenig Einrichtung. Daher ndert sich das Verhltnis, wo die Dynamik die Formenwelt bestimmt. Hier tritt die~ 42 ~

Offenbarung mathematischer Geheimnisse hinzu, die auf den Geist wirkt wie der Anblick der nackten Schnheit auf die Sinnlichkeit. Hinter den raumbezwingenden Mitteln ahnt der Blick den raumbezwingenden Geist. Er funkelt, spiegelt sich in ihnen wie in Achilles ehernem Schild. Seltsam ist dieses Nebeneinander zwischen statischem Unvermgen und dynamischer Meisterschaft. Man kann es oft im Spielraum weniger Minuten beobachten, im Ausblick auf eine unserer grauen Stdte, in denen jede Strae, jedes Haus das Auge krnkt. Wie ndert sich das mit der Dunkelheit. Die Bauten verschwinden, sie werden durch Lichter ausgelscht. Die Straen und Pltze verwandeln sich in Ketten und Bnder von Lichtern, in Lichtbschel und bunte Umschwnge. Wie Strahlen eines Sternes breiten sich Rollbahnen und Schienenstrnge aus und leuchtet das Gestber der Flugpltze. In dieser Verwandlung liegt zugleich Befreiung; wir treten in die Welt der Spiele und Tnze ein. Wenn ferne Ahnen zu uns kmen: das knnten wir vorzeigen, als Vision, als Rntgenbild uns selbst verborgener Absichten. Die Grundmauern des Schlosses stehen auf granitenen Bnken, die das Meer besplt. Wie Lineale sind schwarze Bnder in sie eingezogen; ich nehme an, da ihretwegen das Vorgebirge den Namen des Capo Carbonaro fhrt. Es handelt sich aber offensichtlich nicht um Kohle, sondern um ein glattes, vulkanisches Gestein von groer Schwere, das sich in Schichten auf den Fels ergossen hat. Sptere Verwerfungen haben sie senkrecht gestellt. Auch der Rckweg fhrte durch lange Strecken ber den blanken Granit, der hin und wieder durch Kristallbnder geschnitten wird. Das Gestein hat die Farbe von Pfeffer und~ 43 ~

Salz; es blendet im Schliff. Bnke von auerordentlicher Hrte wechseln mit Stellen, an denen der Fels zerbrckelt ist. Es kann sich dabei nicht um Folgen der Witterung handeln, da keine bergnge zu sehen sind, sondern um Qualitten von Anfang an. Man knnte sich vorstellen, da es in dem groen Schmortopf Stellen gegeben hat, an denen das Urgestein verkocht worden ist. Diesen verbrckelten Stellen fehlt der Schimmer; das Auge wird unzufrieden, wenn es auf sie blickt. Indem ich das dachte, sah ich eine Eidechse, die sich auf der Gltte wie auf einer Rennbahn fortgeschnellt hatte, ins Straucheln kommen, als sie auf den Grus geriet. Das Mibehagen steckt tief in der Materie. Auf der vom Meere abgewandten Seite der Lagune machte ich Rast auf einer Weide, die mit hohen, fenchelartigen Stauden bestanden war. Whrend ich eine davon in mein Taschenbuch abzeichnete, tauchte aus einer Opuntienhecke ein alter Mann auf, der dort seine Khe weidete. Er fragte mich nach dem Sinne meiner Beschftigung und beantwortete seine Frage gleich selbst und ganz treffend: e per conoscere la specialit? Darauf fragte ich ihn, ob er den Namen der Pflanze kenne, und hrte, da er sie als fe-urra bezeichnete. Es handelte sich also, wie ich vermutet hatte, um eine Ferula-Art. Er fgte hinzu, da sie non buono per i cristiani sei, also giftig, was auch aus der Art, in der sie das Weidevieh ausgespart hatte, zu schlieen war. Der Hirte hatte am ersten Weltkrieg teilgenommen und war bei Udine verwundet worden, im zweiten Weltkrieg verlor er den Sohn auf Pantelleria. Immer das gleiche Lied. Er war gelb, krnklich und sprach wie manche alte Leute klagend, doch mehr das Schicksal als die Menschen anklagend. Malaria chronica. Er meinte, im Stdtchen gbe es wenige, die sie nicht ht~ 44 ~

ten. Das war mir neu, da sie dort auf meine Frage das bloe Vorkommen der Krankheit abgestritten hatten, und zwar mit dem Eifer, mit dem man sich gegen eine ble Nachrede verwahrt. In der Tat sind seit drei oder vier Jahren groe Anstrengungen zur Bekmpfung der Malaria gemacht worden. An alle Huser, Stlle, Brunnen und selbst an die Ruinen sind Zeichen der Entseuchungstrupps gemalt. Bis in unsere Tage hinein trug die Insel eine Anzahl der berchtigtsten Fiebernester Europas, besonders dort, wo die Ksten flach auslaufen und mit mckenausbrtenden stagni gesprenkelt sind. An solchen Smpfen, an denen auch der Alte seine kmmerliche Schilfhtte errichtet hat, kann man als Mensch nur dahinsiechen. Dagegen sind die Bffel, die er dort weidet, im besten Stande, mchtig und goldbraun wie die Herde des Helios. Die Malaria stellt auch einen der Grnde, aus denen die Insel vom Strom der Reisenden verschont geblieben ist. Sie fat die Fremden mit besonderer Schrfe; die alten Reisebeschreibungen erwhnen in Menge jhe Todesflle von Unvorsichtigen, die sich in die Fiebergrnde hineinwagten. Noch spte Auflagen des Baedeker empfehlen die Fenster zu schlieen, wenn man durch die Campagna fhrt. Das rhrt ein Thema an, mit dem ich mich in der letzten Zeit nicht selten beschftigte: den elementaren Einschu in das historische Gewebe und seine musterbildende Kraft. Wir sind ja stets umringt, umschossen von unsichtbaren Fden und Fadenbahnen, die wir ebenso wenig in ihrem Sinn und ihrer Gefahr erkennen, wie Menschen der vergangenen Jahrhunderte den Tanz der Mcken, die abends aus den Smpfen die Todeskeime zutrugen. Die Geschichte der groen Krankheiten ist ein Kapi~ 45 ~

tel der Universalhistorie, das nur geahnt werden kann. Wie hat die Malaria die Geschichte einer solchen Insel bestimmt oder mitbestimmt? Ob sie auch an der Verdung des Castello mitwirkte? Sie hat in jedem Falle mitentschieden, ob und wie lange und an welchen Orten die Eroberer Fu faten. Bodenstndige Seuchen knnen ein Plus fr die Urbevlkerung sein, wie etwa die Syphilis fr die Indianer Sdamerikas. Eingeschleppte Keime knnen das Gegenteil bewirken; so wurden die nordamerikanischen Indianer durch Grippen, die fr Europer harmlos waren, dahingerafft. Wir zhmen solche bel in den Jahrhunderten zu Haustieren. Aber diese Zhmung kostet mehr Menschen als Kriegszge. Wir steigen aus immer neuen Musterungen auf. Wenn nun in diesen alten Fiebergrnden die neuen Mittel so berraschend die eingesessene Seuche bndigen, wird sich das alte Gesetz besttigen. Die Ureinwohner werden einer Geiel ledig werden, zugleich wird die Bahn fr neue Eroberer frei. Zu ihnen gehren die Reisenden, sodann die Maschinentechnik und das Heer von anspruchsvollen Funktionren, die in ihrem Gefolge auftreten. Man wird dann leben wie berall. Wahrscheinlich besser ob aber glcklicher, das bleibt eine Streitfrage.

Illador, 13. Mai 1954. Unruhige Nacht. Wie es rzte gibt, die ich nur im Traume konsultiere, so unter den Pariser Metrostationen auer den realen noch solche, die zum Traumregal gehren und dort periodisch auftauchen. Erwachend sann ich darber nach, warum ich auch~ 46 ~

in ihnen Eintritt zahlen mu das war aber noch eine halb in den Schlaf gehrige Grbelei. berhaupt ist die Topographie der Trume aufschlureich. Wie oft weilt man in Rumen, die inzwischen der Zeit zum Opfer gefallen sind. Ich denke da an Unterstnde des ersten Weltkrieges oder an meine kleine Wohnung in der Hannoverschen Altstadt, in der schon Hindenburg als Leutnant gehaust haben soll und die inzwischen von den Bomben ins Universum geblasen ist. Aber im Inneren besteht sie weiter, nicht nur mit den vergilbten Tapeten und der verschossenen Einrichtung, sondern auch mit den Gedanken, Gesprchen, Bchern, die in ihr abgehandelt worden sind. Nchte verbringe ich in ihr, begegne Freunden, die lngst gestorben sind. Das ist ein Destillat gelebter Tage, verdichtete Vergangenheit. In solchen Bereichen sind wir strker als die gesamte Vernichtungswelt, der Unwirklichkeit anhaftet. Wir mssen die Volte wagen, dann finden wir Sicherheit. Doch im Innern ists getan. Beim Aufstehen war der Steinfuboden den nackten Fen nicht nur nicht zuwider, sondern angenehm. Das gehrt zu den Vorzeichen eines Tages, wie man ihn im Sden liebt. Beim Waschen bespritzte ich zur besseren Khlung die Quadern reichlich, wobei mir eine Anekdote einfiel, die Valeriu Marcu mir erzhlt hatte. Er hatte davon einen unerschpflichen Sack. Wie jede Arbeit am Sabbat ist den frommen Rabbis auch das Besprengen des Bodens untersagt, was ihnen an Tagen morgenlndischer Hitze oft sauer fllt. Sie kennen aber ein probates Mittel, wie man dem abhilft und doch im Gesetze bleibt. Sich grndlich zu waschen ist ja nicht nur gestattet, sondern auch Gebot. Es ist auch nicht verboten, das Waschgeschirr in alle vier Ecken und schlielich auch in die Mitte des Zimmers zu rcken,~ 47 ~

um sich dort berall mit Wasser zu begieen und zu besprengen nach Herzenslust. So beginnt der Tag in Andacht, und der Raum bleibt angenehm. Nach dem Frhstck verabschiedete ich mich von Signora Bonaria, die eifrig den Flur fegte. Sie wird dann meist abgerufen, und oft steht noch abends der Besen neben dem Kehricht traulich im Flur. Der Tag hielt, was der Morgen versprochen hatte, der die Berge so glasklar hervorzauberte. Ich fand in der Nhe des Castello turco einen schnen Badestrand. Ein runder Felskopf lag so weit drauen, da hinzuschwimmen nicht gerade ein Wagnis, doch eine Probe war. Dann lie ich mich inmitten hoher Dnen aus hellstem Quarzsand braten; die Sonne strahlte in ihre Trichter hinein. Da fliegen die nordischen Grillen fort. Der Rckweg fhrte durch Opuntienhecken wie zwischen Mauern hindurch. Auf ihrem Grunde hrte ich das Rascheln der durch meine Schritte verscheuchten Tiere; darunter war eine groe Schildkrte: horngelb, mit schwarzen Fnfecken auf der Panzerung. Das Tier, italienisch tartaruga, wird von den Sarden dostoinu genannt. Ich erfuhr das von einem Hirten, der mir auch sagte, da manche diese Tiere rsteten es wre aber nicht viel daran.

Illador, 14. Mai 1954. Am Ausgang nach Cagliari steht eine Gruppe von Ruinen, deren Dcher meist noch erhalten sind. Ich schritt durch die begrnten Innenhfe, in denen Halden von Mandelschalen in Kompost bergehen. Ein alter Tagelhner erzhlte mir, da~ 48 ~

dort vor Zeiten steinreiche Leute gewohnt htten, die dann fortzogen. Er wute das von seinem Grovater. Ich nehme an, da es mit den Cavourschen Reformen von 1850 zusammenhngt. Das Verhltnis von Neubauten und Ruinen im Stdtchen hat einen vegetativen Zug. Die Huser zerfallen und wachsen wie Pilze nebeneinander auf. In der Mitte des Ortes steht eine gewaltige Kirche aus dem schnsten Granit. Sie wrde fr eine Grostadt ausreichen, liegt aber offen wie ein Meeresschiff, da der Bau nur zu doppelter Manneshhe gediehen und dann verlassen worden ist, als Denkmal einer lebhaften Phantasie, die schnell ergreift, aber vor Schwierigkeiten auch schnell erlahmt. So kommt es zu Ruinen, die nie bewohnt gewesen sind. Whrend des Vormittags botanisierte ich am Rio Campus, einem Flchen unweit der Stadt, das bereits zu versiegen beginnt. Die grne Zeit liegt im Dezember und Januar. Hier ragen Bestnde von Spanischrohr auf, aus dem ich mir jedesmal, wenn ich vorbeikomme, einen Knotenstock zurechtschneide. In seinen Fahnen verbirgt sich ein Rohrsnger, ein graues, zaunkniggroes Geschpf. Er singt dort sein volles, herrliches Lied. Wie solche Flle aus einer so winzigen Brust sich lsen kann, bleibt ein Wunder aber ist dieser Zaubergesang nicht bereits ein Wunder an sich? Da schmelzen die Zweifel wie Schnee in den Schrunden, wenn der Frhlingswind weht. Auf dem Rckwege sprach mich ein lterer Zllner an. Er hatte das Ende des Krieges in Leipzig als Gefangener verbracht. Es fllt schwer, in den Wirren der Zeit gleich die Begrndung solchen Migeschicks zu finden, und daher stellte ich ihm die Frage: Badoglio?

~ 49 ~

Darauf blieb er stehen, sah mir in die Augen, hob die Hnde zum Himmel und wiederholte, halb fragend, halb klagend und leidenschaftlich: Ba-do-glio? Das war ergreifend, eine der groen Quellen unseres Leidens trat mchtig und namenlos hervor. Ich verstand, was er sagen wollte und durch diesen Ausruf besser sagte als durch viele Worte: Ich habe diese schrecklichen Jahre verbracht, zuerst im Kriege und dann in der Gefangenschaft, die Tage voll Zwang und Arbeit und die Nchte voll Hunger und Trnen, und du willst mich dafr mit einem Worte abspeisen, mit einem Namen, der lngst die Realitt verloren hat. Das sind doch Eintagsfliegen, Zufallsverhngnisse: mein Schmerz ist meine Wirklichkeit. Ja, da hatte ich etwas Dummes, etwas, das sie alle sagen, gesagt. Aber er hatte viel besser als durch ebenso dumme Erklrungen, er hatte mit einem Seufzer der gequlten Kreatur geantwortet. Und ich hatte ihn wenigstens, wie vorher den Rohrsnger, gehrt.

Illador, 15. Mai 1954. Nach sieben strahlenden Tagen kam heute der erste graue; der Sdwind blies. Ich blieb daher in der Nhe der Stadt. Als ich an dem versperrten Garten vorbeikam, scho wieder das giftige Hndchen hervor. Abends betrachtete ich von einer Klippe inmitten der Mandelgrten das Meer, das weie Kronen trug. In der Ferne mhte sich ein Dampfer durch den Gischt. Dann sah ich dem Schwei~ 50 ~

nehirten bei seinem Treiben zu. Das Zentrum seiner Herrschaft war ein Strohhaufen, in dem er wahrscheinlich bei Nacht auch schlft. Zuweilen verfolgte er mit seltsamem Brummen und Grunzen einen seiner Schtzlinge, wobei mir auffiel, da er fr jeden eine besondere Tonart bereit hatte. Homer preist bekanntlich den Eumaios vor allen Hirten, und sicher ist diese Hut insofern besonders schwierig, als sie nicht mit dem Herdentriebe rechnen kann, der andere Weidetiere zusammenhlt und regierbar macht. Das Schwein geht individuellen Gelsten nach. Infolgedessen war dieser Hirte auch nicht allein, wie die anderen, oder lie sich durch einen Servo vertreten, sondern hatte noch ein halbes Dutzend Knaben unter sich, mit denen er die Tiere strategisch umstellt hielt und ihre Durchbruchsversuche in die Fruchtgrten abwehrte. Es gab darunter weie, schwarze und gescheckte, alle hatten spitze Rssel und waren infolge der stndigen Bewegung muskuls, obwohl sie ein strammes Buchlein wie eine Trommel vorstreckten. Das Fleisch des am Spie gersteten Jungschweins wird als hchster sardischer Leckerbissen gerhmt.

Illador, 16. Mai 1954. Der Scirocco dauert an. Ich badete bei hartem Wellenschlag. Da die Kste von der Steilklippe bis zum zartesten Sandstrand abwechselt, hat man fr jeden Seegang einen Badeplatz. Mittags geriet ich in die festa des Tauchers Orlando, der seinen Geburtstag feierte. Die kleinen Tische wurden zur Tafel zusammengerckt. Signor Carlino machte zugleich den Wirt, den Koch, den Kellner und die komische Person. Er hatte sich~ 51 ~

die Backen mit Mehl geweit und mit roten Flecken bemalt. Als Hauptstck trug er Hhner auf, die er kunstvoll entbeint und prall gefllt hatte. Er schnitt sie in leckere Scheiben auf und servierte geschmorte Zucchetti dazu. Am Tische saen die blichen Konviven, vor allem die Elektrizittsarbeiter, sodann die Tauchermannschaft und Nando der Kapitn eines winzigen Schiffes, dazu auch Angelo Puddu, der aus seinem Granitbruch gekommen war. Die Wellen gingen bald hoch; es wurde gegessen, getrunken, gesungen und getanzt natrlich nur unter Mnnern, whrend die Kinder die Nasen an die Scheiben drckten und die Frauen lchelnd durch den Trspalt hineinlugten. Dann wurde es still, und es stieg das Lied vom ,,Duce Benito, das alle mitsangen. Vorher zogen sich die Zllner die Rcke aus. Wie meist bei solchen Gelegenheiten begann der Tatendrang zu wachsen: wir bestiegen den Lastwagen der Taucher, fuhren in Schlangenlinien durch die Straen und warfen Biskuits fr die Kinder aus. Die Heiterkeit bemchtigte sich des ganzen Stdtchens; an jeder Ecke muten wir halten und Wein trinken. Das dauerte bis tief in die Nacht.

Illador, 17. Mai 1954. Wenn man nach solchen Libationen am nchsten Morgen heiter erwacht, so ist das ein Zeichen dafr, da man guten Wein getrunken hat und auch in guter Gesellschaft war. Immer noch wehte der scharfe Wind. Ich ging, vom Hndchen angeklfft, am verbotenen Garten vorber und streckte mich nach dem Bade in den Dnen aus. Vergeblich suchte ich~ 52 ~

eine windschattige Stelle; die Sandkrner peitschten im Geblse wie Nadeln auf die Haut. Whrend ich so in der Dne lag, erschien ein schwarzer Ziegenbock mit langem Bart und weidete das Strandgras ab. Etwas Feuriges, Glhendes ging von ihm aus. Ich betrachtete ihn lange, und erst, als er mich fast berhrte, erhob ich den Arm. Er stutzte, erleichterte sich und sprang dann behende davon. Ich htte kaum bis zwanzig zhlen knnen, als einer der groen Skaraben, die als gewaltige Flieger den Strand abstreifen, angeschwirrt kam und mit groer Sicherheit neben der Hinterlassenschaft des Ziegenbockes landete. Da er bei diesem Sturm die Witterung bekommen hatte, deutet auf groe Sinnesschrfe hin. Sogleich begann er, mit dem wie eine Sge gezackten Kopfschild ein Stckchen der Beute abzutrennen, das er mit Hilfe der Vorderbeine zu einer Kugel formte, die er sodann, indem er sie mit den ad hoc gebogenen Hinterbeinen umfate, rcklings davonrollte. Im Nu war er entschwunden und lie nur eine schmale Kettenspur im Sande zurck. Whrend er noch am Werke war, erschien ein zweiter Skarabus und rollte bald gleichfalls seine Kugel davon. Ein dritter und vierter folgten; diese gerieten in Streit, wobei sie sich mehrere Male aneinander aufrichteten und auf den Sand warfen. Endlich lieen sie voneinander ab, und jeder drehte seine Kugel fr sich. Endlich kam noch ein fnfter, der mit dem vierten vertrglich umging und mit ihm die Pille abrollte. Damit war der Raub beendet, und ich blieb auf dem Schauplatz zurck, indem ich ber die Verteilung der Rollen nachdachte. Ich reimte sie mir so zusammen da es sich um vier befruchtete Weibchen gehandelt haben drfte, von denen sich das dritte und vierte gestritten hatten, weil die Materie schon spr~ 53 ~

lich geworden war. Zuletzt kam dann noch ein Mnnchen dazu und half beim verdienstvollen Werk. Der Skarabus gehrt zu den Tieren, die sich auf den Hinterbeinen aufrichten wie etwa der Frosch, der Hase und der Affe, und an denen der Mensch immer einen besonderen Anteil nimmt, sei es, da er sie als komisch empfindet oder zu Personen der Fabel macht. Warum mgen ihn die gypter zu ihren heiligen Tieren gezhlt haben? Heiligmig ist ja sein Wandel, insofern er nicht einmal den Schaden eines Vegetariers anrichtet, sondern sich von den Abfllen der Pflanzenfresser nhrt und so zugleich das Revier reinigt. Dann kommt die Brutpflege dazu, das Vergraben der Kugel, das bedeutsame Vorstellungen erwecken mute inmitten einer Mumien- und Grberkultur. Beziehungen zum Begrbnis, zur Auferstehung und zur Sonne mit ihren Auf- und Untergngen lagen nahe, wie denn auch das geflgelte Tier gebildet wurde, indem es mit den Vorderbeinen die Sonnenscheibe hlt. In dieser Vorstellung liegt ein groer Triumph. Aber das sind Bruchstck-Betrachtungen, wie wir sie lieben, ist bloe Zurechtlegung. Den Schpfer berfhrt man nicht durch Indizien. Die Alten besaen auch fr die Gttlichkeit der Tiere noch das unmittelbare Auge, das keine Begrndung braucht. Die Fhigkeit ist uns, wenn nicht verloren gegangen, so doch auf wenige Augen und auf den seltenen Augenblick beschrnkt. Daher ist unsere Zoologie, unser Wissen von den Tieren heute auch, mit jenem frheren verglichen, minderwertig; es besteht aus einer ungeheuren Menge von Einzelheiten, aus denen wir drftige und zum Teil unsinnige Schlsse ziehen.

~ 54 ~

Illador, 18. Mai 1954. ber Nacht lste sich der Scirocco in einem warmen Regen; ich blieb daher whrend in den Bergschluchten Wolken brauten um Briefe zu schreiben und Ausbeuten zu sichten, in der Camera. Kaum war indessen der letzte Tropfen gefallen, als sich ein junger Fischer namens Daniele einfand und darauf bestand, da ich ihn zu Angelo begleitete, der mich im Granitbruch zu einer Fischsuppe erwartete. Ich legte meine Papiere beiseite und ging mit. Unterwegs kaufte ich noch Brot, Zigaretten und Wein. Daniele verstaute alles in einen flachen, aus Rohr geflochtenen Korb und setzte, nachdem er ein Polster untergelegt hatte, die Last auf seinen Kopf. Wir lieen das Kastell zur Rechten und umgingen den Berg, der den Sarazenenturm trgt. Dabei unterhielten wir uns ber die Fischzge und ihre Ausbeute. Sie wird im Ort verkauft und bei reicheren Fngen nach Cagliari auf den Markt gebracht. Der Erls scheint wie meist bei Fischern, gerade aufzugehen. Auch mu die Mutter in Cagliari untersttzt werden. Als ich ihn nach dem Vater fragte, verfinsterte sich sein Gesicht: Non ho padre da hatte ich einen Schnitzer gemacht. Man soll eben nichts als selbstverstndlich voraussetzen. Unser Ziel war das rotbraune Gebude des Granitwerkes auf der Seeseite des Turmes; es lag inmitten verwitterter Schuppen und verlassener Steinbrche. Angelo war bereits in der Kche ttig; das Wasser brodelte. Er zeigte mir die Fische, die sich noch bewegten: eine kleine Sepia, zwei rote Felsenfische, die er vacca nannte und die auch dem Provenalen als Rascasse fr seine Bouillabaisse unentbehrlich sind, da sie den eigentli~ 55 ~

chen Fond schaffen. Sie stehen daher auch im Fahrplan an erster Stelle, denn sie mssen verkocht werden. Auerdem hatte er fnf andere Sorten, darunter eine zartrot gestreifte Triglie und einen Papageifisch er nannte ihn papacocciula. Wir berieten, ob wir die Triglie braten sollten, entschlossen uns dann aber, sie auch in die Suppe zu tun. Dann ging ich baden, und das Mahl war bereit, als ich wiederkam. Am Tische saen auer Angelo und Daniele noch ein anderer Fischer, Giuseppe, und ein halbwilder Hirte, der ein Lamm gebracht hatte. Das sollte den zweiten Gang bilden, und es waren vor der Tr schon Vorbereitungen getroffen, es auf sardische Art zu rsten, das heit, am mannslangen Spie, an dem sie die Stcke aufreihten. Dann wurde ein Feuer aus trockenem MacchiaGebsch entfacht, dessen Flamme steil, fast unsichtbar, emporloderte. Es blieb ein glhender, mit weier Asche bedeckter Hgel zurck. Der Spie wurde seitwrts davon auf zwei Steine gelegt und, whrend wir tafelten, hin und wieder gedreht. Die Suppe war vorzglich, obwohl ich zunchst den Safran vermite, aber Angelo nannte das eine weichliche Kost und meinte, da sie nur mit Pfeffer, con pepe und nicht con zafferano fr Mnner passend sei. Dazu tranken wir den roten Wein und tunkten das Brot ein, und es kam vor, da einer der Tischgenossen in der Begeisterung mit dem Lffel in die Schssel fuhr. Angelo wachte ber die Tischsitten. Er sagte zu Daniele: Wenn du mit einem Signore it, darfst du die Grten nicht unter den Tisch werfen. Er sagte ferner: Daniele, wenn du mit einem Signore it, darfst du nicht mit der Hand in das Salz greifen. Du nimmst es mit der Messerspitze heraus und kannst es dann in die Suppe streuen. Daniele befolgte die Ermahnung, aber verwechselte die Tempi, indem er zuerst in das Salzfa~ 56 ~

griff und dann die Messerspitze auffllte. Das rief ein homerisches Gelchter hervor. Inzwischen war das Lamm schn gar geworden, goldgelb in den Beugen und goldbraun auf den Wlbungen. Es gehrt zum Besten, was die sardische Kche zu bieten hat; ich mute es besttigen. Man zerpflckt es wie es vom Spiee kommt, mit den Hnden und it Brot dazu. Schichten von zartestem Fleische und mildem Fett wechseln ab; man sitzt beim uralten Gttermahle, mit dem keine Kochkunst der Neueren wetteifern kann, und zu dem die Salzwiesen am Meere und die wrzigen Bergweiden beitragen. Wir schlossen es mit schwarzem Kaffee ab, um sodann mit Danieles und Giuseppes Barke zwischen den Klippen zu rudern, wobei wir den Grund nach Tieren absuchten. Das Sehrohr, dessen wir uns dabei bedienten, bestand aus einem verrosteten Benzinkanister, in den eine Glasscheibe eingekittet war. Man umfat es mit dem linken Arme und hlt in der Rechten den Dreizack, whrend das Boot langsam ber den Grund getrieben wird. Das Boot und die Netze waren der einzige Besitz der beiden Jungen und auch ihr Obdach, denn ich erfuhr, da sie darin bernachten, indem sie sich mit dem Segel zudecken. Unter den Gegenstnden fiel mir ein auf eine Korktafel gestecktes Glckchen auf. Es wird an den fr die Nacht gestellten Netzen befestigt und lutet, wenn der Schwimmer sich mit den Wellen bewegt. Wir landeten an dem verlassenen Granitbruch, den Angelo bewacht. Der Stein leuchtete im hellsten Quarzglanz, aus dem schwarze Schuppen schimmerten. Auf einige Entfernung gewann er einen grnlichen Stich. Es gibt noch eine feiner gescheckte Sorte, die grau erscheint.~ 57 ~

Der Granit ist von sehr festem Gefge; ich sah ihn nicht nur zu Quadern, Blcken und Platten, sondern auch zu langen und dnnen Stangen geformt, an denen man die Reben zieht. Um die Jahrhundertwende wurden groe Mengen zum Ausbau des Hafens von Malta ausgefhrt. Das war hier die Bltezeit. Ein gleichfalls verlassener, aus dem Granitschutt aufgefhrter Kai diente den Schiffen zum Anlegen. Heute werden nur noch Gelegenheitsarbeiten, etwa Hausteine fr einen rtlichen Bau oder Einzelstcke besorgt. Angelo zeigte mir einen Haufen von Pflastersteinen, die er gebrochen hatte, und fhrte mich dann vor zwei gewaltige Granitscheiben: Mahlsteine fr eine lmhle. Sie muten viele Zentner wiegen, denn ihr Durchmesser war so, da man ihn kaum klaftern konnte, und sie waren drei Handbreiten stark. Besonders erstaunte mich, da Angelo an ihnen nur mit einem Hammer, einem Meiel und einer Meschnur arbeitete, und doch mit grter Genauigkeit. Das Werk dauert vier Monate. Angelo setzte sich auf einen der beiden Malmer und tat einige leichte Schlge, um mir es zu veranschaulichen. Der Anblick des heiteren, halbnackten Mannes an seinem Werkstck in diesem leeren, gleienden Amphitheater, an dessen Rndern dunkle Feigenbsche wucherten, hatte etwas Olympisches, und Zeus als Mller fiel mir dabei ein. Als ich ihm meine Bewunderung fr seine freie Kunst aussprechen wollte, lie er mich daran teilnehmen, indem er sagte: Due artisti und dabei auf sich und mich deutete. Das brachte mich auf den Gedanken, ob ich nicht im nchsten Jahre in sein verlassenes Haus ziehen sollte um dort zu arbeiten. Die Frau knnte fr uns kochen und das Meer besplt fast die Trschwelle. Das ist noch einer der Pltze, an denen man~ 58 ~

dem Mittelmeer in die Eingeweide sieht, und wie man deren natrlich zahllose findet, wenn man die Straen der Reisenden verlt. Angelo begrte diesen Einfall, und ich warf, als Opfer fr die Wiederkunft, ein Kupferstck in das Meer, dessen Farbe ber den Granitbnken ein kstliches Blagrn annimmt, in dem man Scharen von Fischen spielen sieht. Da wohnt Gesundheit im innersten Kern. Mit dem Hirten, der das Lamm gespendet hatte, fuhr ich in den Ort zurck, indem ich hinter ihm auf dem Fahrrad stand. Er hat nur wenige Schafe, die meisten htet er gegen Lohn. Er schlft in Schilfhtten und besucht zuweilen seine Frau in einem der winzigen Huschen, die nur aus einem einzigen, fensterlosen Raum bestehen. Das Licht kommt tagsber durch die Tre und abends aus dem offenen Herd. Zwei Shne von acht und zehn Jahren vertreten ihn jetzt beim Hten, whrend er als Contadino im Taglohn geht. Er kann sie nicht zur Schule schicken, weil sie bei der Herde unentbehrlich sind. Das ist nur fr reiche Leute, meint er dazu. Bessere Hirten werden sie so. Das ist richtig, gibt er zu, whrend wir wieder einen der holprigen Hnge hinabsausen. Im Orte mu ich ihn in seine Htte begleiten; ich soll dort noch ein Glas Wein trinken. Wir begren seine Gattin, eine hagere Frau, die trotz der Wrme vor dem Kamin an einem Feuerchen sitzt. Das Gesicht hat Gre; in seinen Zgen verbinden sich Klugheit, Tugend und Willenskraft. Dazu kommt hin und wieder ein Lcheln, das weit ber ihrem Stande liegt. Sie schenkt uns Wein ein, und ihr Mann sagt mir, da sie noch nicht einmal ihren Namen schreiben kann, was von ihr mit charmantem Lcheln besttigt wi