isaak von ninive und seine kephalaia gnostika

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  • Isaak von Ninive und seine Kephalaia Gnostika

  • Supplementsto

    Vigiliae Christianaetexts and studies of early christian life and language

    Editors

    J. den BoeftB.D. EhrmannJ. van OortD.T. RuniaC. Scholten

    volume 128

    The titles published in this series are listed at brill.com/vcs

  • Isaak von Ninive und seineKephalaia Gnostika

    Die Pneumatologie und ihr Kontext

    Von

    Nestor Kavvadas

    leiden | boston

  • Library of Congress Cataloging-in-Publication Data

    Kavvadas, Nestor Chr.Isaak von Ninive und seine Kephalaia Gnostika : die Pneumatologie und ihr Kontext / by Nestor Kavvadas.

    pages cm. (Supplements to Vigiliae Christianae : texts and studies of early Christian life andlanguage, ISSN 0920-623X ; volume 128)

    Includes bibliographical references and index.ISBN 978-90-04-28440-1 (hardback : acid-free paper) ISBN 978-90-04-28483-8 (e-book) 1. Holy

    SpiritHistory of doctrines. 2. Isaac, Bishop of Nineveh, active 7th centuryCriticism and interpretation. 3.Orthodox Eastern ChurchTheology. 4. HermitsSyriaHistoryTo 1500. 5. MysticismSyriaHistoryTo1500. 6. Monasticism and religious ordersSyriaHistoryTo 1500. I. Title.

    BT119.K38 2015270.2092dc23

    2014040722

    This publication has been typeset in the multilingual Brill typeface. With over 5,100 characters coveringLatin, ipa, Greek, and Cyrillic, this typeface is especially suitable for use in the humanities. For moreinformation, please see www.brill.com/brill-typeface.

    issn 0920-623xisbn 978-90-04-28440-1 (hardback)isbn 978-90-04-28483-8 (e-book)

    Copyright 2015 by Koninklijke Brill nv, Leiden, The Netherlands.Koninklijke Brill nv incorporates the imprints Brill, Brill Nijhoff and Hotei Publishing.All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, translated, stored in a retrieval system,or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise,without prior written permission from the publisher.Authorization to photocopy items for internal or personal use is granted by Koninklijke Brill nv providedthat the appropriate fees are paid directly to The Copyright Clearance Center, 222 Rosewood Drive,Suite 910, Danvers, ma 01923, usa. Fees are subject to change.

    This book is printed on acid-free paper.

  • Inhaltsverzeichnis

    Danksagung ix

    Isaak von Ninive und seine Kephalaia Gnostika: Die Pneumatologie undihr Kontext 1

    teil 1Autoren der ostsyrischenMystik als Vertreter einer distinktenTradition: Auen-und Selbstwahrnehmung

    Einleitung 5

    1 Die Synode des Timotheos i. und der Messalianismus-Vorwurf 81 Der Messalianismus-Vorwurf und die ostsyrische Mystik. Zum

    Gebrauch des Messalianismus-Vorwurfs in der ostsyrischen Kirchedes 6. und 7. Jh.s 12

    2 Bezugnahmen der ostsyrischen Mystiker auf denMessalianismus-Vorwurf 18

    2 Autoren der ostsyrischenMystik als Vertreter einer distinkten Tradition:Zeugnisse von der Zusammengehrigkeit der Gruppe 25

    3 Identittsmerkmale der ostsyrischenMystik: Strenges AnachoretentumimGegensatz zu kirchlich eingebundenem Koinobitentum? 311 Einsiedelei und Koinobion 322 Allgemeinverbindliche liturgische Ordnung und einsames Gebet 363 Die Vertreter der ostsyrischen Mystik und die scholastische Kultur

    der Schule von Nisibis 38

    4 Die mystische Strmung Zge einer Identitt 46

  • vi inhaltsverzeichnis

    teil 2Der Geist Gottes und der Mensch bei Isaak von Ninive

    Einleitung 55

    5 Die Geisterkenntnis als Erkenntnis der neuenWelt: Zu denschpfungs- und erlsungstheologischen Voraussetzungen derPneumatologie 581 Menschliches Sein und Zwei-Welten-Lehre 582 Biblische Heilsgeschichte als Erziehung: Ursnde, Tod und gttliche

    Pdagogik 61

    6 Trinitarische Rckkoppelung desWirkens des Geistes auf denMenschen 671 Die antiochenische Unterscheidung zwischenWesen undWirken

    Gottes bzw. des Geistes bei Isaak 692 Zwischenergebnisse 74

    7 DasWirken des Heiligen Geistes auf denMenschen alsErkenntnismitteilung: Zur Erkenntnislehre Isaaks 771 Umfang und innere Gliederung des Erkenntnisbegriffes 782 Die Theoria 81

    2.1 Erkenntnisgehalt und erkenntnistheoretischer Status derTheoria 82

    2.2 Der spezifische Gegenstand der Theoria 842.3 Die Verinnerlichung des Auferstehungsglaubens als

    Erkenntnisziel der Theoria 872.4 Beobachtungen zur Gliederung des Erkenntnisbegriffes

    Isaaks 893 Aspekte der Grundunterscheidung zwischen Geisterkenntnis und

    Vorstufen derselben 933.1 Die inhaltliche Unbestimmbarkeit der Geisterkenntnis:

    Kontinuitt und Diskontinuitt gegenber der Theoria 933.2 Die Mittel der unvermittelbaren Geistesoffenbarung:

    Sprache 1033.2.1 Die Heilige Schrift 1073.2.2 Gebet als Mittel der Geistesoffenbarung 119

    3.3 Die Struktur der Geisterkenntnis als eines gttlichenOffenbarungsaktes 127

    3.4 Voraussetzungen der Geisterkenntnis beimmenschlichen Subjekt:Die Selbstkonzentration im Intellekt 132

  • inhaltsverzeichnis vii

    8 Das Geistlich-Werden 1391 Geistlich-Werden als Einsicht in die immerwhrende Immanenz des

    Parakleten 1392 Onto-theologischer und heilsgeschichtlicher Aspekt der

    Vergttlichung 1412.1 Die eschatologische Verankerung des Wirkens des Geistes bei

    Isaak: der Einfluss Theodors vonMopsuestia 1442.2 Die theologisch-anthropologischen Voraussetzungen fr das

    Spannungsverhltnis zwischen onto-theologischem undheilsgeschichtlichem Ansatz 147

    2.3 Zur Rolle des menschlichen Intellekts 1523 Die Geistlich-Machung als Befreiung 154

    3.1 Die Freiheit des Geistlichen und das Gesetz 1553.2 Die Unterscheidung von Vermittlung und Unmittelbarkeit des

    Geisteswirkens und dasWechselverhltnis von gttlichem undmenschlichemWillen 1583.2.1 Der Zusammenhang von gttlichemWillen und

    menschlicher Selbstmchtigkeit und dieZwei-Welten-Oikonomia 159

    3.2.2 Der Zusammenhang von gttlichemWillen undmenschlicher Selbstmchtigkeit und das Geistlich-Werdendes Einzelnen 164

    9 Die Pneumatologie und ihr Kontext 169

    Literaturverzeichnis 179Index 192

  • Danksagung

    Dies ist die berarbeitete Fassung meiner Doktorarbeit, die im Sommer 2011von der Katholisch-Theologischen Fakultt der Universitt Tbingen ange-nommen wurde.

    Es ist eine groe Freude, hier denen danken zu knnen, die in verschiedenerArt und Weise, in verschiedenen Zeiten diese Arbeit ermglicht haben. Allenvoran meinem Doktorvater Prof. Dr. Bernd Jochen Hilberath, der die Arbeitangeregt, betreut und einzigartig gefrdert hat. Dasselbe gilt fr Prof. Dr. HansReinhard Seeliger. Er hat nicht nur grozgig die Bedingungen bereitgestellt,damit ich mich dieser Arbeit ber Jahre hinweg widmen konnte, sondern mirauch sonst in vielerlei Hinsicht geholfen. Ihnen sei dafr herzlich gedankt.Ebenfalls Herrn Prof. Dr. Stephen Ger, der das dritte Gutachten erstellt hat,Frau Prof. Dr. Luise Abramowski (), meinem Lehrer Prof. Dr. Thomas Alexan-der Szlezk, Herrn Prof. Dr. Johannes Pahlitzsch, Herrn PDDr. Dmitrij Bumazh-nov und, nicht zuletzt, Dr. Benjamin Gleede. Maria Sttzler undMarius Gnaukhaben den Text sprachlich sehr verbessert; groen Dank dafr.

    Vom Herzen danke ich meinen Eltern, Christos Kavvadas und PanagiotaPoupi; und Giorgos Poupis, Ourania Kavvada und Tasoula Kavvada.

    Mein besonderer Dank geht anmeine Freunde, Dr. Vasileios Tsakiris undDr.Konstantinos Garitsis.

    Fr die Aufnahme in die Vigiliae Christianae Supplements bin ich den Her-ausgebern der Reihe, Herren Prof. Dr. Jan den Boeft, Prof. Dr. Bart D. Ehrman,Prof. Dr. Johannes van Oort, Prof. Dr. David T. Runia und Prof. Dr. ClemensScholten, sehr zum Dank verpflichtet, wie auch dem anonymen Begutachterund Frau Mattie Kuiper.

  • koninklijke brill nv, leiden, 2015 | doi: 10.1163/9789004284838_002

    Isaak von Ninive und seine Kephalaia Gnostika:Die Pneumatologie und ihr Kontext

    Die Kephalaia Gnostika des Isaak von Ninive, vier Einheiten von je ca. hundertAbschnittenmeist apophthegmatischer Form sindunter denWerkendiesesvielleicht individuellsten Autors der ostsyrischenMystik das eigenartigste, undsicherlich dasjenige, das sich sprachlich sowie inhaltlich der Interpretation ammeisten entzieht. Zugleich haben die Kephalaia Gnostika eine besondere Stel-lung innerhalb der Entwicklung der ostsyrischen mystischen Literatur inne:Sie stellen eine Art Kompendium dar, das den theoretischen Unterbau diesermystischen Tradition zusammenfasst, und vielleicht deswegen, sowie wegendes einmaligen Renommees Isaaks,1 haben sie einen sehr tiefreichenden, nochzu erforschenden Einfluss auf sptere Autoren derselben Tradition ausgebt.

    Der zentraleGegenstanddieser Sentenzenentspricht demder gesamtenost-syrischenMystik: dieVerwandlungdesmenschlichenLebenshin zueiner geist-lichen Existenzweise durch die Einwohnung des Heiligen Geistes.2 Eine solche

    1 Fr einen berblick ber die bisherige Forschung zu Isaak und seinem Werk s. Patrik Hag-

    man, The Asceticism of Isaac of Nineveh, Oxford 2010, 223233; vgl. Grigory Kessel/Karl Ping-

    gra, A Bibliography of Syriac Ascetic and Mystical Literature (Eastern Christian Studies 11),

    Louvain 2011, 103122. Eine umfassende Behandlung seines Lebens und seiner Lehre, seiner

    Schriften und ihrer handschriftlichen berlieferung, ihrer mittelalterlichen und neuzeitli-

    chen bersetzungen und ihrerWirkung bietet Sabino Chial, Dall ascesi eremitica alla mise-

    ricordia infinita. Ricerche su Isacco di Ninive e la sua fortuna, Firenze 2002.

    2 Die Einwohnung des Geistes ist Endziel der Askese schon in den ltesten Zeugnissen des

    Mnchtums: s. F. Nau, La version syriaque de la premire lettre de Saint Antoine, in: roc 14

    (1909), 281297, hierzu 296 [vgl. Antonius Eremita (dub.), Epistula prima, G. Garitte (csco

    Iber. 6), Louvain 1955, 4,120]; vgl. Ammonas, Brief VIIgriech. (XIIIsyr.), ed. F. Nau (po ix),

    453,610 [der vom Heiligen Geist zu unterscheidende Geist der Umkehr ( )

    bergibt die Seelen, wenn er sie vollkommen gereinigt hat, dem Heiligen Geist, und [dieser]

    hrt nicht auf, sie mitWohlgeruch und Se zu bergieen, wie auch Levi sagt: Wer hat die Lust

    des Geistes erkannt, wenn nicht jene, in denen Er zeltete? (unidentifizierter Apokryph) [

    (sc. ) , ,

    ,

    , , ;] und Brief IVgriech (IX,X,VIIIsyr.), ebd., 443445

    [s. 445: Die Mnche, die eine geistliche Gabe empfangen ( )

    wollen, sollen in den Werken der Askese verharren, indem sie aus ganzem Herzen um den

    Geist des Feuers bitten und Er wird euch gegeben werden (

    ) (68); vgl. Apophthegmata Patrum (collection systmatique)

    xi.37 (sc 474, Guy 152); xv.19 (sc 474, Guy 300); xvi.22 (sc 474, Guy 404).

  • 2 einleitung

    Verwandlung ist zugleichEndziel der anachoretischenAskeseunddermensch-lichen Existenz in dieser Welt berhaupt. Dieses Phnomen, die Einfhrungdes Menschen in die geistliche Existenzweise, sowie die auf jene Einfhrungwirkende Kraft, nmlich das Wirken des Heiligen Geistes, wird in den Kepha-laia Gnostika wie auch in der brigen ostsyrischen mystischen Literatur zwarmehrfach geschildert, jedoch nirgendwo systematisch3 errtert. Gleichwohlliegen den Schilderungen kohrente, ja sogar systematische Denkstrukturenzugrunde. Der Rekonstruktion eben dieser impliziten Denkstrukturen soll diefolgendeAnalyse derKephalaiaGnostikadie erste umfassendeAnalyse dieses(imOriginal) noch unedierten Textes dienen. Damit einhergehend soll sicht-bar gemacht werden, wie sehr selbst die auf reine Innerlichkeit konzentriertePneumatologie Isaaks von Ninive mit den besonderen Geschicken des ostsyri-schen Anachoretentums innerhalb der zeitgenssischen kirchenhistorischenEntwicklungen verknpft ist.

    3 Die mehr oder weniger gegliederten Listen von Wirkungsarten des Geistes, die in den Wer-

    ken ostsyrischer Autoren vorkommen [s. z.B. Johannes von Dalyatha [dub.; fortasse Joseph

    Hazzaya, s. Robert Beulay, Introduction, in: La collection des lettres de Jean de Dalyatha, ed.

    R. Beulay, po 39, Turnhout 1978 (im Folgenden = Beulay), 257302, hier 43f.], e48 und e49

    (Beulay 500521), beide ber die unterschiedlichen Energien der Gnade, die den (asketisch)

    Arbeitenden zukommen (Beulay 500)], lassen sich kaum als Systematisierungen bezeichnen.

    Zur Zitation der Werke des Johannes von Dalyatha: e (= epistula) steht fr die Briefe, m (=

    memra) fr die Traktate; in Klammern steht der Name des Editors und die Seitenzahl der Edi-

    tion. Bei den unedierten Traktaten 1629 steht in Klammern die Seitenzahl der Handschrift

    Vat. Syr. 124.

  • teil 1

    Autoren der ostsyrischenMystik alsVertreter einer distinkten Tradition:Auen- und Selbstwahrnehmung

  • koninklijke brill nv, leiden, 2015 | doi: 10.1163/9789004284838_003

    Einleitung

    Die Kephalaia Gnostika des Isaak von Ninive sind wie bereits gesagt ein Pro-dukt und ein Wendepunkt der ostsyrischen mystischen Tradition undLiteratur;1 nur in dieser Tradition eingebettet knnen sie verstndlich wer-den. Allein die Sprachtechnik der Kephalaia Gnostika ist in hchstem Mavon jener berlieferung geprgt: Sie verdichtet gleichsam die Begriffssprache,2die unter evagrianischem Einfluss entstanden3 alle ostsyrischen Mysti-ker seit Mitte des 7. Jh.s verbindet.4 Unter den grundlegenden Gemeinsam-

    1 Zur ostsyrischen Mystik und ihren Hauptvertretern s. Robert Beulay, La lumire sans forme:

    introduction l tude de la mystique chrtienne syro-orientale, Chevetogne 1986; Bettiolo,

    Paolo: Il monachesimo Nestoriano, in: Institutum Patristicum Augustinianum, Patrologia v

    (contin. J. Quaesten), Genova-Milano 2000, 479490; Georg Gnter Blum: Die Geschichte

    der Begegnung christlich-orientalischer Mystik mir der Mystik des Islams (Orientalia Biblica

    et Christiana 17), Wiesbaden 2009; A. Desreumaux (Hg.), Les mystiques syriaques (tudes

    Syraques 8), Paris 2011.

    2 Fr ein kommentiertes Verzeichnis der termini technici bei Isaak s. Sabino Chial, Introdu-

    zione, in: Isacco di Ninive, Terza collezione, ed. Sabino Chial (csco Syr. 247), Louvain 2011,

    xxvixxxiv.

    3 S. Antoine Guillaumont, Les versions syriaques de loeuvre dEvagre le Pontique et leur role

    dans la formation du vocabulaire ascetique syriaque, in: R. Lavenant (Hg.), iii Symposium

    Syriacum 1980 (oca 221), Rom 1983, 3541.

    4 Ein sprechendes Symptom der tiefgehenden Geistesverwandtschaft zwischen den ostsyri-

    schen Mystikern ist die Uneinigkeit zwischen den Forschern bezglich der Autorschaft von

    uneindeutig berlieferten Werken wie dem Buch der Gnade, das frher Isaak von Ninive

    zugeschrieben wurde (s. Arthur Vbus: Eine neue Schrift von Ishq von Ninive, in: os 21,

    1972, 309312; Gabriel Bunge: Mar Isaak von Ninive und sein Buch der Gnade, in: os 34

    (1985), 322), die neuere Forschung aber Schimon Taybuteh zuschreibt. Hinsichtlich ihrer

    asketisch-theologischen Grundstrukturen sowie ihrer Begrifflichkeit weisen das Buch der

    Gnade und die erhaltenen Schriften Isaaks so groe hnlichkeiten auf, dass bei Verwen-

    dung ausschlielich innerer Kriterien nur die (allerdings recht aufflligen) stilistischen und

    syntaktischen Differenzen zwischen dem sprachlich sehr schlichten Buch der Gnade und

    den mit berlangen, verschachtelten Stzen, die meist ebenso komplizierte Gedankengnge

    zu tragen haben, berlasteten Schriften Isaaks die Frage klren knnen (zu einigen Grund-

    zgen der Theologie dieses noch unedierten Werkes s. folgende Studie Grigory Kessels, der

    die kritische Edition desWerkes vorbereitet: The Activity of Grace in the Book of Grace. Some

    Preliminary Observations, in: M. Tamcke (Hg.), Christliche Gotteslehre im Orient seit dem

    Aufkommen des Islams bis zur Gegenwart (Beiruter Texte und Studien 126), Beirut Wrz-

    burg 2008, 5768; zur inhaltlichen hnlichkeit mit Isaak von Ninive s. S. 67, Fn. 37; vgl. Ders.,

    La position de Simonde Taibuteh dans lventail de la traditionmystique syriaque, in: A. Des-

    reumaux (Hg.), Les mystiques syriaques (tudes Syraques 8), Paris 2011, 121150, 124f.).

  • 6 einleitung

    keiten etwa dem genannten Evagrianismus oder der Vorliebe fr bestimmteGattungen wie kurzen memre, Kephalaia Gnostika, Kommentare5 die dieseAutoren zu Vertretern einer eigenen literarischen Tradition machen, ist dieseFachsprache sicherlich am augenflligsten. Dieses Idiom, das die Mystikermit der brigen ostsyrischen theologischen Literatur ihrer Zeit nur in gerin-gemMae teilen, wirdmit beeindruckender Selbstverstndlichkeit verwendet,wobei Begriffserklrungen selten angeboten werden.6 All dies suggeriert dieExistenz einer relativ einheitlichen, im Verbreitungsgebiet der ostsyrischenKirche praktizierten Tradition, die durch Lehrer-Schlerkreise7 nicht nur dieWeitergabe des zum einfachen Textverstndnis dieser Schriften notwendigenWissens garantierte,8 sondern auch die konkreten Lebensformen, ohne die dieAsketik dieser Schriften keinen Sinn hat, ber Jahrhunderte hinweg konse-quent frderte. Deutliche Hinweise auf eine solche Tradition finden sich inzahlreichen Quellenberichten ber ostsyrische Mnche vornehmlich Ein-siedler des 6.9. Jh.s, die (verlorene oder bisher unentdeckte) Werke spiri-tuell-monastischer Literatur verfasst haben.9

    5 Allgemein zur Gattung der CapitaGnostica s. Endre von Ivanka: KEPHALAIA: eine byzantini-

    sche Literaturform und ihre antikenWurzeln, in: Byzantinische Zeitschrift 47 (1954), 285291,

    woEvagrios der auch indieserHinsicht fr die ostsyrischeMystikwegweisendgewesen ist

    EinsetzungderCapita-Gattung zumZweck einer summarischenDarstellung seiner gesamten

    Lehre angesprochen wird; vgl. Bettiolo, Paolo: Povert e conoscenza. Appunti sulle Centurie

    gnostiche della tradizione evagriana in Siria, in: ParOr 15 (19881989), 107125; zur Gattung

    der asketischen Homilien s. Manel Nin: Omelie monastiche siriache, in: M. Sodi/A. Triacca

    (Hgg.), Dizionario di Omiletica, Torino/Bergamo 1998, 10191023 (zu den Homilien Isaaks von

    Ninive: 1022).

    6 Vgl. dagegen die Definitionen der Theoria bei Gregor von Zypern, der zur ersten Generation

    ostsyrischer Evagrios-Rezipienten gehrt (De theoria sancta, ed. I. Hausherr, 44; 50; 52; s.

    S. Brock, Some uses of the term theoria in the writings of Isaac of Nineveh, in: ParOr 22 (1996),

    407419).

    7 Dass die Lehrer-Schler-Ketten einer der wichtigsten Stabilisierungsfaktoren in der Entwick-

    lungsgeschichte des ostsyrischen Mnchtums, in dem auch wegen des Mangels an diszipli-

    nr-organisatorischen Strukturen eher Personen als Institutionen magebend fungierten,

    gewesen sind, geht aus den biographischen Forschungen F. Julliens hervor [s. Florence Jul-

    lien: Le monachisme en Perse La rforme dAbraham le Grand, pre des moines de lOrient

    (csco Sub. 121), Louvain 2008, 177242].

    8 Vor allem einige der spteren Autoren der ostsyrischen mystischen Literatur, wie Joseph

    Hazzaya oder Bah-Ischo Kammulaya, bedienen sich einer gnzlich technisierten Sprache,

    die oft mehrere Zeilen entlang ausschlielich mit Fachbegriffen (samt der notwendigen

    Bindeworte) auskommt.

    9 Vgl. die bio-bibliographischen Angaben des Abdischo (J.-S. Assemani, Bibliotheca Orientalis

    Clementino-Vaticana, Bd. iii/1, Rom 1725, 177192) mit den entsprechenden Informationen in

  • isaak von ninive und seine tradition 7

    So stellt sich die Frage nach dem konkreten kulturellen, theologischen undsozialenCharakter dieser Traditionbzw. derKreise, die sie vertraten.Wie lsstsich ihre Verortung im Leben der ostsyrischen Kirchen beschreiben? Werdensie vomVolk und der Hierarchie ihrer Kirche als eine einheitliche, an bestimm-ten Zgen erkennbare Gre wahrgenommen? Betrachten sie sich selbst alsZugehrige oder Vertreter einer besonderen Tradition innerhalb ihrer Kirche?Lsst sich anhand der uns verfgbaren Indizien zur Auen- und Selbstwahr-nehmung der Vertreter dieser Tradition eine Art kollektive Identitt derselbenrekonstruieren?

    der HistoriaMonastica des Thomas vonMarga, dem Liber Castitatis des Ischodnah von Basra

    und der Chronik von Seert.

  • koninklijke brill nv, leiden, 2015 | doi: 10.1163/9789004284838_004

    1. kapitel

    Die Synode des Timotheos i. undder Messalianismus-Vorwurf

    Am augenflligsten wird besagte Tradition als distinkte Gre im Text desVerurteilungsbeschlusses gegen zwei ihrer bedeutendsten Vertreter, Johannesvon Dalyatha und Joseph Hazzaya, sowie gegen deren geistigen Vorfahren,Johannes den Einsiedler. Dieser Beschluss wurde im Jahr 786 oder 7901 voneiner unter dem Katholikos Timotheos i. (823) gehaltenen Synode erlassen.Wegen seiner besonderen Bedeutung fr die kirchen- und theologiegeschicht-liche Zuordnung (einer Strmung innerhalb) der ostsyrischen Mystik sei derBeschlusstext hier in extenso zitiert:

    Der Katholikos Timotheos [berichtet]: Johannes, bekannt unter dem Na-men Dalytheh, Johannes von Apamea und Josef wurden von einer Syn-ode der Vter abgesetzt Es wurde berichtet, dass etliche Mnche sichmit der Zierde der Engel schmckenwhrend ihnen erstaunliche Irrt-mer unterlaufen; einer dieser [Leute] ist JohannesDalytheh, der sagtwasSabellius sagte, und glaubt ber den Sohn und den Geist, dass sie Poten-zen, nicht Hypostasen seien und dass das Wort Sohn genannt wrde,nicht weil es vom Vater sei, sondern weil der Vater durch es alles geschaf-fen habe, und dass das Geschpf seinen Schpfer schauen knne. Undeiner dieser [Leute], namens Josef, sagte in einem seiner Aussprche:Wenn ihr die Gabe des Geistes empfangen wollt, so wendet euch nichtdem Gebete und der Diakonie zu, sondern flieht und versteckt euch andunklenOrten,wo ihrnicht einmal die Stimmeeines Sperlings hrt! Aberer wusste nicht, dass der Geist auf die Apostel herabkam in Gestalt desLichtes und am Tage. An einer gewisse Stelle sagt er Wenn der MenschdieVollkommenheit erreicht hat, bentigt erwederGebet, nochPsalmen,noch (Schrift)lektre, noch (asketische) Mhen, wo er doch schon voll-kommen ist.[] Deshalb wurden diese Vter vom Leibe der Kirche abge-trennt, wie Arius []. Sie (sc. die Synodalvter) exkommunizierten jeden,der in den Schriften des Josef, den wir erwhnt haben, und in den Schrif-

    1 Zu den beiden Datierungsmglichkeiten s. Vittorio Berti, Vita e studi di Timoteo i, Patriarca

    cristiano di Baghdad (Studia Iranica. Cahier 41), Paris 2009, 161.

  • der messalianismus-vorwurf 9

    ten des Johannes Dalytheh und des Johannes von Apamea liest; wer siein eine Klosterbibliothek oder in seine Zelle aufnimmt, ist auch exkom-muniziert; und [eswurde beschlossen], dassmandasGebetmit dem Vaterunser, der du bist im Himmel beginnen und damit schlieen soll.2

    Das Stichwort Messalianer fllt in diesem Text nicht; dennoch ist ein groerTeil der aufgezhltenHresien in der ostsyrischenhretologischenTradition sofest mit den Messalianern verbunden,3 dass kaum Zweifel darber bestehenkann, welche Irrlehre gemeint war. Den indirekten Beweis bringt allerdingsein anderes zeitgenssischesDokument, nmlicheinBekenntnis, das derAutorder Vita des verurteilten Joseph Hazzaya, Nestorios, 790 vor seiner Weihe zumBischof von Nuhadra zustzlich zum blichen Glaubensbekenntnis ablegenmusste:4

    Auch anathematisiere ich die ganze bse Gesinnung der Messalianer, diebald lsternd behaupten, dass die Gottheit des Eingeborenen von sei-ner Menschheit gesehen werde, bald, dass seine Menschheit einfach undnicht zusammengesetzt sei5, gem der bsen und gottlosen Gesinnungder Manicher. Denn die gttliche Natur ist unkrperlich, unendlich und

    2

    [erhalten

    ist nur eine arabische bersetzung des syrischen Originals, verffentlicht in: Ibn a-aiyib,

    Fiqh an-Naraniya Das Recht der Christenheit, ii. Teil, edd. W. Hoenerbach and O. Spies

    (csco 167 / Ar. 18; Louvain: Durbecq 1957) 185187; dt. bers. ebd., csco 168/Ar. 19, Louvain

    1957, 187f., hier leicht modifiziert].

    3 S. Klaus Fitschen,Messalianismus undAnti-Messalianismus: Ein Beispiel ostkirchlicher Ketzer-

    geschichte (fkdg71), Gttingen 1996, 289306; vgl. auch JoukoMartikainen, Timotheos i. und

    der Messalianismus, in: Ders./H.-O. Kvist (Hgg.), Makarios-Symposium ber das Gebet, bo

    1989, 4760.

    4 Dazu s. Vittorio Berti, Grazia, visione e natura divina in Nestorio di Nuhadra, solitario e

    vescovo siro-orientale (800 ca.), in: Annali di Scienze Religiose 10 (2005), 219257, insbes.

    228232.

    5 Dies soll bedeuten, wie im gleichen Dokument wenige Zeilen w.u. erklrt, dass die Mensch-

    heit desHerrnaus ihrerZusammensetzunggelst undeinfacher, nicht zusammengesetzterGeist

    wurde. Es handelt sich also bei der hier beschworenen Irrlehre um die Leugnung der Aufer-

  • 10 1. kapitel

    allenGeschpfen unsichtbar; die Natur und Person derMenschheit unse-res Herrn ist krperlich, begrenzt und sichtbar allen Vernunftwesen. Des-halb ist sie unfhig, die Natur seiner Gottheit (zu sehen) Auch anathe-matisiere ichdie,welche sagen, es knne indieserWelt eineVollkommen-heit geben, die so die heiligen und gttlichen Sakramente verschmhenund verachten und es wagen, die kirchlichen Kanones und Definitionenzu bertreten. Ebenso diejenigen, welche sagen, dass die Seelen nachihrem Ausgang aus dem Leibe fhlen, wissen, wirken, (Gott) lobpreisenoder (von Frbitten?) Nutzen haben, denn nichts solches kommt ihnenzu, bis sie ihre Leiber (wieder) anziehen.6

    Es wird schon auf den ersten Blick deutlich, dass die von Nestorios als messa-lianisch abgeschworenen Lehrstze eine prominente Stelle unter den im obenangefhrten Synodalbeschluss verurteilten Hresien der drei Mystiker inne-haben. Nestorios vonNuharda hat das umdiese Abschwrung erweiterte Glau-bensbekenntnis deswegen ablegen mssen, weil laut einem neuen Kanon, dervon einer Synode des Timotheos verabschiedet worden war, jeder Bischof,Einsiedler oder Glubige, der der Hresie der Messalianer oder einer anderenangeklagt ist diese schriftlich anathematisieren musste.7 Nestorios war alsooffenbar des Messalianismus beschuldigt worden.

    stehung des Krpers (bei Christus und somit bei allen Menschen), die in der Leugnung der

    ontologischen Zugehrigkeit des Krpers zu dem als rein geistig und damit einfach auf-

    gefassten wahren Sein des Menschen grundgelegt ist. Diese (extrem-evagrianische) Hresie

    wird seit Babai in der ostsyrischen hretologischen Tradition stetsmit Henana in Verbindung

    gebracht.

    6 Ediert und bersetzt (hier wird diese bersetzung mit geringfgigen nderungen zitiert)

    bei Oskar Braun: Zwei Synoden des Katholikos Timotheos i., in: OrChr2 (1902), 283311, hier:

    306-308: :::......)(:.::.:

    7 S. Braun, Zwei Synoden des Katholikos Timotheos i., 295 (Kanon iv); vgl. den Synodalbrief

    der gleichen Synode: Abdischo von Nisibis, Nomokanon ix,6 (lat. bers. bei Angelo Mai:

    Scriptorum veterum nova collectio e Vaticanis codicibus edita x, Romae 1838, 327329).

  • der messalianismus-vorwurf 11

    Eine ebenfalls unter Timotheos (804) gehaltene Synode besttigte die Ver-urteilung:

    Genauso wie Katholikos Sabrischo die Schriften des Henana von Adia-bene und Ischoyahb [iii.] die Phantasien des Sahdona und die Vergeb-lichkeiten des Jesaja von Tahal, so verdammen [auch] wir die Blasphe-mien dieses Apamers und des Joseph und des Johannes von Dalyatha.8

    Die drei Mystiker werden hier mit diesen drei Mnnern aus dem 6/7 Jh. He-nana, Jesaja von Tahal, Sahdona , die als Bestreiter der christologischenGrundlagen der ostsyrischen Orthodoxie galten, in Verbindung gebracht. Nachguter ostkirchlicher Tradition wird eine fiktive Hretikersukzession herge-stellt,9 der die apostolische Sukzession der Rechtglubigen, wie in obigemAbschnitt, gegenbergestellt wird.

    Whrend der Amtszeit des Timotheos i. erreicht die Ausgrenzung von Mes-salianern aus den kirchlichen Strukturen ihren Hhepunkt.10 TimotheosNachfolger Ischo bar Nun, der wie sein Vorgnger ein Schler des eher gem-igten Mystikers Abraham bar Daschandad gewesen ist, rehabilitierte die dreiverurteilten Lehrer.11

    8 )(...

    [ms 64, Collection of the Church of the East in Trissur, 422423, (facsi-mile gedruckt in: I. Perczel/H.Kaufhold,TheNomocanonofMetropolitanAbdishoofNisibis,

    Piscataway, nj 2005)] (lat. bers. bei Mai, Scriptorum veterum nova collectio x, 167).

    9 Zur Tradition solcher Sukzessionsketten von angeblich geistig verwandten Hretikern s.

    Andr de Halleux, Die Genealogie des Nestorianismus nach der frhmonophysitischen

    Theologie, in: OrChr 66 (1982), 114, bes. 9; vgl. Theresia Heinthaler, Der Brief des Simeon

    von Bet Aram ber den Nestorianismus in Persien: Eine Positionsbestimmung der persi-

    schen Anti-Nestorianer auf der Grundlage des Henotikon, in: A. Mustafa/J. Tubach (Hg.),

    Inkulturation des Christentums im Sasanidenreich, Wiesbaden 2007, 189204, hierzu: 193

    197.

    10 Generell demonstrierte Timotheos in seiner langenAmtszeit il desiderio dimettere sotto

    un pi stretto controllo la vita intelettuale della chiesa (Berti, Vita e studi di Timoteo i,

    189f.). Zu den theologischen Motiven des Patriarchen s. Vittorio Berti, Le dbat sur la

    vision de Dieu et la condamnation des mystiques par Timothe ier: la perspective du

    patriarche, in: A. Desreumaux (Hg.), Les mystiques syriaques (tudes Syraques 8), Paris

    2011, 151176, bes. 173.

    11 S. Berti, Vita e studi di Timoteo i, 274f. Siehe Maris, Amri et Slibae de Patriarchis Nestorian-

    orumCommentaria, ed. H. Gismondi, versio latina i, Rom 1899, 66f.; Abdischo vonNisibis,

    Ordo IudiciorumEcclesiasticorum, lib. i, tract. i (ms Alqosh 1887, 32r): Der Katholikos Ischo

  • 12 1. kapitel

    1 Der Messalianismus-Vorwurf und die ostsyrischeMystik. ZumGebrauch des Messalianismus-Vorwurfs in der ostsyrischen Kirchedes 6. und 7. Jh.s

    Bevor wir uns dem Messalianismus-Vorwurf als einem wesentlichen Konflikt-faktor zwischen der ostsyrischen Kirche und dem Mnchtum zuwenden kn-nen, mssen wir zunchst die Frage stellen, wie es dazu kam, dass der Namedieser vor Jahrhunderten auf ostrmischem Boden verurteilten asketischenBewegung als Hresie-Vorwurf gegen ostsyrische Mystiker eingesetzt wurde.12

    bar Nun [] hat eine Synode gehalten und das Anathema gegen jene drei Personen ich

    meine den Apamer, und Hazzaya getilgt; und er erlaubte denMnchen, in ihren Bchern

    zu lesen . ; vgl.

    Luise Abramowski: Untersuchungen zur Christologie der Persischen Kirche (Beitrge zu:

    Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Band 2/6: Die Kirchen von Persien, Armenien und

    Georgien, in Vorbereitung), 2008, 287f.

    12 Zu Beginn und Geschichte des Streites um die Messalianer im ostrmischen Bereich

    s. die Standardwerke von Klaus Fitschen, Messalianismus und Anti-Messalianismus: Ein

    Beispiel ostkirchlicher Ketzergeschichte (fkdg 71), Gttingen 1996 und Columba Stewart,

    Working the Earth of the Heart. The Messalian Controversy in History, Texts and Lan-

    guage to ad 431, Oxford 1991; zur Pneumatologie der Messalianer s. ferner Stephen Ger:

    The Experience of the Spirit in Eastern Christianity: Orthodoxes Forum 4 (1990), 6776,

    hierzu 7275. Gem C. Stewart lassen sich die theologisch-spirituellen Merkmale der

    Messalianer bei allen Unterschieden zwischen distinkten messalianischen Strmun-

    gen in folgenden Grundstzen zusammenfassen: (1) Jeder Menschenseele wohnt ein

    Dmon ( ) inne. (2) Die Taufe allein ist nicht imstande, diesen Dmon aus-

    zutreiben; dies vermag nur das Gebet. (3) Nachdem die Seele sich vom innewohnenden

    Dmon bzw. von den Leidenschaften durch das Gebet befreit hat (Erlangung der -

    ), nimmt der Heilige Geist oder der himmlische Brutigam in dieser Wohnung. Im

    Bezug auf die Praxis zeichnen sich laut Angaben ihrer grokirchlichen Gegner die

    Messalianer aus durch (behauptete) Erfahrungen von prophetischen Visionen, Vermei-

    dung der Arbeit, bermiges Schlafen in Erwartung von prophetischen Trumen, Ver-

    achtung der kirchlichen Ordnung und der Sakramente, schlielich durch die eben aus

    Verachtung fr alles uerliche motivierte Leichtfertigkeit, mit der sie vor kirchlichen

    Behrden ihre Hresie sogar eidlich verleugnen konnten, umdannwieder zu ihr zurck-

    zukehren (Stewart, The Messalian Controversy, 5256). In seiner Arbeit beweist C. Stew-

    art u.a. indem er einige Grundbegriffe des griechischenmessalianischen Vokabulars als

    Lehnprgungen nach syrischen Vorbildern ausweist die syrische Herkunft des Messa-

    lianismus: the Messalians and the controversy which followed themwere an irruption into

    the Hellenistic world of ascetical practices and imagistic language far more characteristic of

    Syriac Christianity than of the imperial Church centred on Constantinople (ebd. 234240).

  • der messalianismus-vorwurf 13

    Whrend die Bezeichnung im Synodicon Orientale sowie in den ostsyri-schenQuellenberhaupt bis zurMitte des 6. Jh.s gar nicht vorkommt, erscheintsie pltzlich in der berschrift des 1. Kapitels der 579 unter dem KatholikosEzechiel gehaltenen Synode13 und taucht seitdem an einigen wenigen Stellenauf, an denen es Missstnde im Mnchtum oder in bestimmten Mnchsgrup-pen zu verurteilen gilt.14 Eine Polemik gegen sogenannte Messalianer findetsich ferner in den Schriften Babais des Groen, in denen A. Guillaumont 14einschlgige Stellen aufgezhlt hat.15 Babai wurde zudem von drei Bischfen(Ionadab von Hadiabene, Cyriacus von Nisibis und Gabriel von Karka d-Beth-Schelok) mit dem Auftrag betraut, die Klster ihrer Jurisdiktion zu visitierenund die dort lebenden bte und Mnche auf ihre antimessalianische Recht-glubigkeit hin zu prfen.16 Die abscheuliche Hresie der Messalianer begannvon Mnchen, und es geziemte sich, dass sie durch Mnche blogestellt wrde,schreibt darber Thomas von Marga.17

    Diese Neubelebung des Messalianismus-Vorwurfs hat Arthur Vbus zu derHypothese veranlasst, dass es auch eineNeubelebung des ursprnglichenMes-salianismus gegeben habe, die ihrerseits auf die anti-asketischenManahmenunter dem Katholikos Aqaq bzw. auf eine angeblich darauffolgende Mnchs-verfolgung Bar-Saumas zurckzufhren sei. Die verfolgtenMnche htten denarchaischen Messalianismus angenommen.18 Stephen Ger hingegen uertesein Bedenken gegenber einer solchen Rekonstruktion der Ereignisse sowiegegenber der Annahme einer Renaissance des ursprnglichen Messalianis-mus, indem er v.a. auf die geringe Anzahl an vertrauenswrdigen Quellenbe-legen hingewiesen hat.19 Gegen die Annahme einer Wiedergeburt des alten

    13 S. Synodicon Orientale ou recueil de synodes nestoriens, ed. J.B. Chabot, Paris 1902, 115.

    14 S. z.B. die Messalianismus-Verleumdung gegen Mar Aphnimaran und seine Vertreibung

    ausBethAwe [Thomas vonMarga,TheBookofGovernors ii 3, ed. E.W. Budge, Bd. 1, London

    1893, Bd. i, 6869; vgl. ebd., i 27 (Bd. i, 5152)).

    15 Antoine Guillaumont: Le tmoignage de Babai le Grand sur lesMessaliens, in: Symposium

    Syriacum 1976 Communications (oca 205), Rom 1978, 257265, hier 262.

    16 Thomas v. Marga, The Book of Governors i 27 (Band i, 5152).

    17 Ebd. i 28 (Band i, 53).

    18 S. Arthur Vbus: Les messalliens et les rforms de Barauma de Nisibe dans l glise perse

    (Contributions of Baltic University 34), Pinneberg 1947, bes. 1216;M. Kmosko, Praefatio in

    LibroGraduum, ps 3, Paris 1926, cxxxiii; vgl. die neuesten Forschungen zumostsyrischen

    Mnchtum jener Zeit S. Chial, Abramo di Cascar e la sua communit, Magnano 2005,

    61 ff.; 88f. und F. Jullien, Le monachisme en Perse, 1821.

    19 StephenGer: BarsaumaofNisibis andPersianChristianity in the FifthCentury (csco Subs.

    63), Louvain 1981, 85.

  • 14 1. kapitel

    Messalianismus hat auch Klaus Fitschen argumentiert.20 Dieser weist auf diezunehmende Tendenz hin, Irrlehren wie die Allerlsungslehre, die mit denursprnglichen Messalianern nichts zu tun hatten, als messalianisch zu be-zeichnen, sowie v.a. in Babais Vita des Mnchs undMrtyrers Georg erkenn-bar die Lehre und die Anhnger Henanas mit dem Messalianismus undden Messalianern zu vermengen.21 Fitschen kommt zu dem Schluss, dass derBegriff Messalianismus in der Zeit nach derMitte des 6. Jh.s frei flottierte undnach Bedarf der einen oder anderen unangenehmen Tendenz innerhalb desMnchtums angehngt wurde: Zunchst waren es die Mnchskreise, welcheHenana und seinen Schlern nahe standen, vom 7. Jh. an waren es die Mysti-ker.22

    Diese Unterscheidung Fitschens zwischen zwei Phasen in der GeschichtedesMessalianismus-Vorwurfs inder ostsyrischenKirchebedarf allerdings einerweiteren Przisierung. Von den Quellen her gesehen wre zweifellos eineUnterscheidung von mindestens zwei distinkten Phasen ntig. Die Belege ausder Zeit bis Babai sind aber uerst sprlich, mehr noch, ihre vomGroteil derbisherigen Forschung vorausgesetzte Verbindung mit dem Messalianismus-Vorwurf ist bei nherem Hinsehen zweifelhaft: Das Stichwort Messalianertaucht ja in den das Mnchtum betreffenden Kanones der Synoden von Aqaq(486), Ezechiel (576) und Ischojahb i. (585), die von Kmosko in seiner Quel-lensammlung zur Geschichte des Messalianismus aufgenommen und seitdemmehrmals zu diesem Zweck herangezogen worden sind, berhaupt nicht auf,mit der einzigen Ausnahme der erwhnten berschrift zum 1. Kapitel desBeschlusstextes der Synode Ezechiels. Diese berschrift muss jedoch nichtzur ursprnglichen Fassung des Kanons gehren; sie knnte von einem sp-teren Redaktor nachgetragen worden sein. Dennoch werde ich hier von derAnnahme ausgehen, dass sie ursprnglich ist, da auch die von I. Guidi edierteAnonyme Chronik von einer bedrohlichen Prsenz der Messalianer in Nisibisin der ersten Hlfte des 6. Jh.s, also einige Jahrzehnte vor der Ezechiel-Synode,berichtet; das Zeugnis der Anonymen Chronik wird ferner, bei aller gebotenenVorsicht im Umgangmit dieser umstrittenen Quelle, fr den Anfang des 6. Jh.sauch von der Chronik von Arbela besttigt.23 Wenn also die im Beschlusstext

    20 S. Fitschen:MessalianismusundAnti-Messalianismus, 289303; vgl. NadiraKhayyat, Intro-

    duction, in: Jean de Dalyatha, Les Homlies ixv, dition critique , traduction, introduc-

    tion et notes par N. Khayyat, Liban 2007, 1393, hier 2123.

    21 Vgl. Guillaumont, Babai le Grand sur les Messaliens, 263.

    22 Vgl. Fitschen, Messalianismus und Antimessalianismus, 293 und 297.

    23 Der anonyme Chronist zhlt die Grnde auf, die dazu gefhrt haben sollen, dass der

    von ihm hochverehrte Gregor von Nisibis von vielen Seiten angefochten wurde und sein

  • der messalianismus-vorwurf 15

    der Synode Ezechiels aufgefhrten Kennzeichen der dort verurteiltenMnchs-gruppe tatschlich fr die Synodalvter unter den Oberbegriff Messalianis-mus fallen, dann sind auch die einschlgigen Kanones 8 und 9 der Synodevon Ischojahb (585) mit ebensolchen Messalianern in Verbindung zu brin-gen, denn in beiden Texten werden offensichtlich Mnchsgruppen gleicherAusrichtung mit dem Bann belegt, solche nmlich, die gemischt aus Mnchenund Nonnen bestehen (was freilich in den Augen der Synodalen die Keusch-heit dieser Asketen in Zweifel zieht) und die so die Synodaltexte von Ort zuOrt umherziehen. Diese beiden Vorwrfe stehen im Vordergrund, auch wennnoch weitere Missstnde beklagt werden. Auffllig marginal sind dabei dieBezugnahmen auf hretische Entgleisungen dieser Mnchsgruppen. Alleinder Vorwurf, diese htten gelehrt, dass im knftigen on weder Bestrafung aufdie Bsen noch Belohnung auf die Guten wartet,24 ist von Interesse hinsicht-lich der spteren Entwicklung des Messalianismus-Vorwurfs, da er zeigt, dassdie Messalianer auch mit der Allerlsungslehre in Verbindung gebracht wer-den.

    Von diesen beiden spteren Zeugnissen heben sich aber die Kanones 1 und 2der Synode von Aqaq (486) deutlich ab. In ihnen sind die sog. anti-asketischen

    Amt verlor; auf Gregors Stellungnahme gegen Henana und der (auf den ersten Blick vl-

    lig belanglosen) Bestrafung eines Diakons, der beim Tieropfer erwischt wurde, folgt, dass

    Gregor quosdam etiammonachos qui turpa facinora patrantes circummontem Sigar com-

    morabantur, dedecoravit et nusquam non depulit; erant quidem Messaliani

    :.. (Chronicon Anonymum, in: Chronica minora, ed. I. Guidi,

    csco Syr. 1, Louvain 1903, 1538, hier 18). Der Metropolit Joseph (498510 nach Kaweraus

    auf den Angaben der Chronik von Arbela beruhender Rechnung) soll seine Absicht kund-

    getan haben, sein hohes Amt niederzulegen, um Einsiedler zu werden, woraufhin ihm

    der Katholikos Sila dies mit einem eindringlichen Schreiben verbot. In diesem Schreiben,

    das die Chronik genau anfhren will, stelle der Katholikos die rhetorische Frage: Sehen

    wir nicht in der Tat, da sie (sc. die Engel der Finsternis) hinwegfhren jeden Tag durch

    das Volk der verfluchten Messalianer eine unberechenbare Anzahl aus den Menschen Got-

    tes und sie in den Irrtum fhren? (bers. P. Kawerau) )(.

    (Die Chronik von Arbela, Hg. v P. Kawerau, csco Syr. 199/200, Louvain1985, 76/103f.); der Bischof soll sich gut berlegen, ob nicht vielleicht auch sein Verlangen

    nach dem Einsiedlerleben ihm von den Herrschaften der Finsternis eingegeben worden

    sei. Wenn man dieser Chronik ein Mindestma an Glaubwrdigkeit zuerkennen knnte,

    wre der Brief des Katholikos von besonderer Bedeutung, weil hier den Messalianern

    eine groe zahlenmige Strke zuerkannt wird, von der keine andere ostsyrische Quelle,

    kirchenamtliche oder nicht, berichtet.

    24 S. Fitschen, Messalianismus und Antimessalianismus, 293.

  • 16 1. kapitel

    Manahmen erstmals, von der unkanonischen Synode von Beth Lapat (484)abgesehen, bezeugt. Den hier verurteiltenMnchsgruppenwird keine als mes-salianisch geltende Hresie, auch nicht Syneisaktentum und Gyrovagentuman sich, sondern lediglich die Verbreitung von ihren Lsterungen gegen dieHeilsveranstaltung unseres Herrn und die Predigt der Apostel (in Stdten undDrfern) vorgeworfen.25 Die Wendung (Heilsveranstal-tung unseres Herrn), syrisches quivalent zur , ist imZuge der christologischen Auseinandersetzungen zu einem terminus techni-cus fr die Menschwerdung geworden. Im zitierten Satz wird also eindeutigeine als hretisch betrachtete Christologie anvisiert, bei der es sich in diesemKontext nur um den Monophysitismus oder um das Henotikon des KaisersZenon handeln kann. Dass die verurteiltenMnche stets in bewohntenGegen-den umherwandern, anstatt, wie es ihrem Stand geziemenwrde, in derWstezu verharren, wird nur nebenbei angekreidet, weil das Wandern notwendigesMittel zur Verbreitung der christologischen Irrlehre ist. Die beiden Kanoneslassen sich also nicht als Zeugnisse fr die Geschichte des Messalianismus-Vorwurfs heranziehen.

    DieGlaubwrdigkeit derAngabender Beschlusstexte der SynodenEzechielsund Ischojahbs ber die verurteilten Gruppen lassen sich nicht in Zweifel zie-hen. Es fehlt zwar in beiden Texten an konkreten Angaben ber die mit demBann belegten Mnchsgruppen nur im 9. Kanon der Ischojahb-Synode wer-den sie ganz allgemein lokalisiert26, dies lsst sich aberleicht als universales Stilelement solcher Anathemata erklren: Wenn es nichtunbedingt ntig wird, werden keine Personen, sondern Lehren (vgl. die Ein-leitungsformel si quis dixerit ) oder Fehlverhalten als solche verurteilt,damit den gemeintenPersonenoderGruppendieMglichkeit zurUmkehr undkirchlichen Resozialisierung eingerumt werde. Es kann also angenommenwerden, dass es gemischte Gruppen aus Mnchen und Nonnen gab, die nichtfest und endgltig an einen bestimmtenOrt gebundenwaren. Solche Gruppenwurden nunmehr, da sie die nach dem Modell des Groen Klosters vom BergIzlawohlgeordneten Bruderschaften konterkarierten, als hchstproblematischempfunden und mit dem Messalianismus-Vorwurf belegt. Die Frage nach derwahren Identitt der anvisierten Asketengruppen, d.h. nach den asketischen

    25 (S. Synodicon Orientale ourecueil de synodes nestoriens, ed. J.B. Chabot, Paris 1902, 54, 19); vgl. Peter Bruns, Barsauma

    von Nisibis und die Aufhebung der Klerikerenthaltsamkeit im Gefolge der Synode von

    Beth-Lapat (484), in: ahc 37 (2005), 142, bes. 17 ff.

    26 S. Synodicon Orientale, ed. Chabot, 146, 5

  • der messalianismus-vorwurf 17

    Traditionen und mglicherweise theologischen Tendenzen, die sie vertra-ten, muss hier, nicht zuletzt wegen der prekren Quellenlage, offen bleiben.Damit bleibt aber auch offen, ob es sich dabei tatschlich um alte Messa-lianer, die entweder alteinsssig oder aus den ostrmischen Grenzprovinzendorthin vertrieben worden waren, gehandelt haben knnte.

    Ein gnzlich anderes Terrain betreten wir, wenn wir uns dem Gebrauch desMessalianismus-Vorwurfs bei Babai dem Groen zuwenden. An den verhlt-nismig zahlreichen Stellen, wo das Stichwort Messalianer vorkommt, wirddieses mit einer Vielfalt von Hresien und zu verurteilenden Praktiken, etwaderWahrsagerei,27 in Verbindung gebracht. Zu den messalianischenHresiengehren sowohl Vorstellungen, die schon unter den auf der Synode von Sideverurteilten Stzen aus ihrem Buch28 aufgefhrt werden, wie auch solche,die erstmals bei Babai Messalianern vorgeworfen werden.29 Babai hat offen-sichtlich nicht die gleiche(n)Mnchsgruppe(n)wie die SynodenEzechiels undIschoyahbs vor Augen. Er selbst gibt einen Hinweis auf die Identitt dieserMessalianer, indem er in seiner Vita des Mrtyrers Georg diesen die Messa-lianermit denAnhngerndesHenanaundden Jakobitern grossomodo identi-fizieren lsst.30 Besagte Stelle ist im Grunde nur als ein Beispiel fr die Art undWeise, wie der altkirchliche Ketzervorwurf funktioniert hat, zu betrachten:bercksichtigt man die hohe Aktualitt der Krise um Henana von Adiabenesowie Babais fhrende Rolle in der Bekmpfung der Bewegung Henanas, kannman dieser Stelle der Georgvita nur entnehmen, dass der Messalianismus-Vorwurf primr solcheMnchsgruppen zum Ziel hat, die mit Henana und des-sen Anhngern sympathisierten.31

    In der Zeit von Babai dem Groen bis zum Amtsantritt des KatholikosTimotheos i., in die die Blte der ostsyrischen Mystik fllt, weist der Gebrauchdes Messalianismus-Vorwurfs gegenber den Synoden des 6. Jh.s wie auch

    27 S. Guillaumont, Babai le Grand sur les Messaliens, 263.

    28 Euthymios Zigabenos, Panoplia Dogmatica 26, pg 130, 12731275: .

    29 Vgl. Fitschen, Messalianismus und Antimessalianismus, 294297.

    30 S. Ebd., 295.

    31 Auch die Messalianer, die Babai (laut Thomas von Marga) aus den Klstern Mesopota-

    miens zu vertreiben hatte, knnten sehr wohl Henanas Anhnger gewesen sein wirk-

    liche Messalianer wrden ja ohnehin nicht in einem organisierten Kloster leben! Dies

    bedeutet wiederum nicht, dass es im 6. und 7. Jh. keine berbleibsel der ursprnglichen

    Messalianer mehr gab; dieser Fall lsst sichmitnichten ausschlieen. Erst nach dem 8. Jh.

    kann man davon ausgehen, dass die Messalianerpolemik (etwa bei Theodor bar Konai)

    nur auf Bcherwissen zurckgeht [s. Antoine Guillaumont: Art. Messaliens, in: DSp x

    (1980), Sp. 10741083, hier: 1078].

  • 18 1. kapitel

    gegenber Babai neue Zge auf, die auf eine neue Zielgruppe schlieen lassen.Allerdings kommen in den kanonischen Quellen von Babai bis Timotheoskeine expliziten Belege fr den Gebrauch des Messalianismus-Vorwurfs vor.Dennoch lsst sich zeigen, dass dieser Vorwurf weiterhin im Gebrauch blieb.

    2 Bezugnahmen der ostsyrischenMystiker auf denMessalianismus-Vorwurf

    Die Rolle des Messalianismus-Vorwurfs im Verhltnis des ostsyrischen Epis-kopats zu den Mystikern wird in den Werken einiger zu Letzteren Gehrigenpunktuell beleuchtet.

    Isaak von Ninive bezieht sich an sechs Stellen seiner erhaltenen Werke32explizit auf den Messalianismus oder die Messalianer.33 Das lange 14. memrades Zweiten Teiles seiner Werke ist vornehmlich einer Zurckweisung dermessalianischen Verachtung fr die ueren Formen des Gebetes und des-sen liturgische Gestaltung gewidmet.34 Hier wird eindringlich gegen messa-lianische Nichtachtung argumentiert: so etwa gegen die Vernachlssigung dersieben kanonisch festgelegten Stundengebete, gegen die Geringschtzung derheiligen Sakramente und der kirchlichen Tradition, d.h. der Heiligen Schrift

    32 1.22 [Mar Isaacus Ninivita, De perfectione religiosa, ed. Paulus Bedjan, Paris/Leipzig 1909

    (im Folgenden = Bedjan), 166169]; 1.72 (ebd., 495); 2.3.4.31 (ms syr.e.7, Bodleian Library,

    87r88r); 2.3.4.34 (ebd., 88rv); 2.14.22 [Isaac of Nineveh, The Second Part, Chapters ivxli,

    ed. S. Brock (csco Syr. 224), Louvain 1995 (im Folgenden = Brock), 6263]; 2.14.47 (Brock

    72). Zur Zitation der Werke Isaaks: Die erste arabische Zahl bezieht sich auf den Ersten

    bzw. Zweiten oder Dritten Teil der Werke, die zweite arabische Zahl bezieht sich auf die

    Nummer des zitierten Traktats und die dritte auf die Nummer des zitierten Abschnittes

    im Traktat; da der dritte Traktat des Zweiten Teiles in vier Unterteilen zerfllt, die

    jeweils hundert Capita Gnostica umfassen, bezieht sich bei vierstelligen Hinweisen die

    dritte arabische Zahl auf eine der vier besagten Unterteilen, whrend die vierte arabische

    Zahl die Nummer des zitierten Caput angibt. Jeweils in Klammern steht beim ganzen

    Ersten Teil, den Traktaten 441 des Zweiten Teiles und dem Dritten Teil, die von Bedjan,

    Brock und Chial respektive ediert sind, der Name des Editors und die Seitenzahl der

    Edition, bei den Traktaten 13 des Zweiten Teiles aber, die unediert sind, die Seitenzahl

    der Handschrift ms syr.e.7, Bodleian Library.

    33 Dass Isaaks anti-messalianische Polemik eigentlich seine Selbstverteidigung gegen den

    Messalianismus-Vorwurf ist, hat P. Hagman klar eingesehen and herausgestellt (s. Patrik

    Hagman, St. Isaac of Nineveh and the Messalians, in: M. Tamcke (Hg.), Mystik-Metapher-

    Bild. Beitrge des vii. Makarios-Symposiums, Gttingen 2007, 5566).

    34 S. 2.14.748 (Brock 5872).

  • der messalianismus-vorwurf 19

    und derWerke der Vter, und schlielich gegen die Selbsttuschung, die eigenePerson fr endgltig vervollkommnet zu halten.35 Interessant ist jedoch vorallem die Rolle, die diese anti-messalianischen Gemeinpltze hier spielen: Sieerscheinen direkt im Anschluss an die These des Autors, dass ein Mnch ineiner bestimmten Phase seiner geistigen Entwicklung die Observanz der kano-nisch vorgesehenen liturgischenGebetszeiten undder damit verknpftenPsal-menlesung unterbrechen drfe.

    Hier seien zwei charakteristische Stellen zitiert, die am Anfang und amSchluss der langen Ausfhrung stehen und somit eine inclusio bilden:

    Dies ist ein schlechtes Zeichen, wenn es sich beobachten lsst: Dass mandie Pflicht des Offiziums des Stundengebets ohne zwingende Grndevernachlssigt; wenn aber das reine Gebet und das Verweilen (in) dessenEntzckung ihn berwltigt, so dass er das Stundengebet vernachlssigt,dann ist diesem ein groartiges Gut zugefallen 36(dieser) [unterlie dasOffizium des Stundengebets, weil] die Entzckung und der Genuss desGebets ihn gefangen genommen haben durch den Zwang der gttlichenLiebe, welche die Vollendung unserer Arbeit ist und dem Kanon nichtunterstellt ist37 Du aber, mein Bruder, hltst du diese Unterlassungdes Offiziums fr eine Nachlssigkeit? Diese erhabene Verwandlung, undandere hnliche, die denMnchen imGebet widerfahren?Dies aberhabe ich gesagt (nur fr den Fall), wenn die heilige Psalmenlesung nichtvon der verdorbenen Gesinnung der Messalianer, oder von Trgheit undFaulheit, sondern von dem reinen Gebet verschlungen wird 38

    Ferner warnt Isaak im gleichen Abschnitt die Mnche vor Menschen, die be-haupten, dass dieser oder jener Asket durch die bermige Hingabe an dasunablssige Gebet zugrunde gerichtet worden sei; solche Behauptungen seienuerst oberflchlich und kindisch.39

    35 Vgl. Hagman, St. Isaac of Nineveh and the Messalians, 5763.

    36

    (2.14.7, Brock 58).37

    .. (2.14.7, Brock 58).38

    ...

    (2.14.47, Brock 72).39 2.14.4142 (Brock 69f.).

  • 20 1. kapitel

    Es drfte klar geworden sein, dass diese anti-messalianischen Beteuerun-gen, auch wenn sie im Denken Isaaks durchaus beheimatet sind, primr derSelbstverteidigung des Autors gegenber antizipierten oder bereits formulier-ten Messalianismus-Vorwrfen dienen. Seine Relativierung der Kanonobser-vanz lie nichts anderes erwarten.

    Aus mehreren weiteren relevanten Punkten des 14. memra40 sei vor allemeiner hier herausgestellt. Isaak erlutert, dass imGebet desMnches das Vater-unser nicht immer wortgetreu wiederholt werden msse; vielmehr knne derSinn dieses Gebetes oder eines Teiles desselben im Gebet frei umformuliertund meditiert werden. Diejenigen, die das Gegenteil behaupten, seien unreif,so Isaak, und zeigten damit nur, dass sie die Interpretation des Theodor vonMopsuestia zum Gebet des Herrn nicht studiert haben.41 Nun lesen wir imText der schon erwhnten Verurteilung ostsyrischerMystiker durch die Synodedes Timotheos, dass das Vaterunser am Anfang und am Ende jeglichen Gebetsgebetet werden muss.42 Ist demnach auch diese Stellungnahme als Selbstver-

    40 S. z.B. die Unterscheidung zwischen dem Gesetz der Sklaverei und dem Gesetz der

    Freiheit (2.14.747, Brock 5872).

    41 S. 2.14.36 (Brock 68).

    42 S. Ibn a-aiyib, Fiqh an-Naraniya, ii. Teil, edd. W. Hoenerbach/O. Spies (csco 167/Ar.

    18), 187: . Vgl. folgende tiologie ber die Einfhrung

    des Vaterunsers zu Anfang und Ende der Liturgie: Es geziemt sich, zu wissen, dass man in

    frheren Zeiten dieses Gebet des Vater unser, der im Himmel ist nicht sprach, weder zum

    Anfang noch zum Ende der Liturgie. Und es war ein Mensch, Jakobit und Klostermnch,

    und er begann mit unserem, der Orientalen, Katholikos ein Streitgesprch zu fhren. Die-

    ser Klostermnch schrieb in einer seiner Schriften, uns verschmhend, Folgendes: Das Gebet,

    das unser Herr Seine Jnger lehrte, sagt ihr Nestorianer nicht in euren Gottesdiensten, wie

    wir es zum Ende unserer Gottesdienste sagen. Als nun der Patriarch die Verschmhung sei-

    tens des Hretikers hrte, befahl der Katholikos, dass dieses Gebet des Vater unser, der im

    Himmel ist zumAnfang und zum Ende unserer Gottesdienste gesagt wird, [als] Zusatz zum

    [Gebrauch der] Jakobiten, denn diese sprechen dieses [Gebet] nur zum Ende ihrer Gottes-

    dienste ...........

    [Ischoyahb iv., Fragen zur Eucharistie (wrtl.: Gottes-dienst des Opfers), Ms Mingana Syr. 566, 27v28r (facsimile gedruckt in: Willem Cornelis

    Van Unnik, Nestorian Questions on the Administration of the Eucharist, by Ishoyabh iv,

    nj 2006 Nachdruck)]. Der hier nicht gennante Katholikos, auf den die Einfhrung des

  • der messalianismus-vorwurf 21

    teidigung Isaaks zu lesen? Hierfr wrde auerdem seine Berufung auf dieallseits anerkannte Autoritt des Theodor von Mopsuestia sprechen.

    Zwei weitere explizite Bezugnahmen Isaaks auf die Messalianer lassen sichebenfalls als Selbstverteidigung verstehen. Eine ist inhaltlich mit den ebenbesprochenen Fllen identisch.43 An zwei weiteren Stellen wird hervorgeho-ben, dass jeder Mensch in diesem Leben innerlich bis zuletzt wandelbar, auchzum Schlechteren hin, bleibe, selbst wenn er die hchste Stufe des asketischenWeges erreicht hat und der unmittelbaren Offenbarung des Heiligen Geistesgewrdigt worden ist. Eine unvernderliche, unangefochtene Vollkommenheitgebe es in dieser Welt nicht, wie die hretischen Messalianer behaupten.44Auch in diesem Fall wehrt sich Isaak gegenber Missverstndnissen seinereigenen Vergttlichungslehre im Sinne einer ebensolchen Vollkommenheits-vorstellung, indem er bekrftigt, dass unanfechtbare Vollkommenheit erst imLeben nach der Auferstehung mglich sei.45

    Vaterunsers in den ostsyrischen Gottesdienst zurckgehen soll, ist also hchstwahr-

    scheinlich aufgrunddesw.o. zitiertenBeschlusstextes gegendieMystikermit Timotheos

    zu identifizieren; dies wird weiter vom Bericht der Expositio officiorum Ecclesiae erhr-

    tet, der zwar schon den Katholikos Ischoyahb iii. (Mitte 7. Jh.) das Beten des Vaterunsers

    zum Anfang jeden Gottesdienstes verfechten, aber erst Timotheos die in Rede stehende

    liturgisch-kanonische Regelung frmlich einfhren lsst [s. Anonymus, Expositio officio-

    rum Ecclesiae Georgio Arbelensi vulgo adscripta i, ed. R.H. Connoly, csco Syr. 25, Louvain

    1911, 151153; vgl. Juan Mateos, Lelya-Sapra: essai d interpretation das matines chaldeen-

    nes (oca 156), Rom 1959, 8183, der aber das entscheidende, weil direkte, Zeugnis des

    Beschlusstextes der Timotheos-Synode bersehen hat]. Dafr spricht brigens die Tat-

    sache, dass von diesem Beschlusstext die verbindliche Einfhrung des Vaterunsers in die

    Liturgie ohne jeglichen Bezug auf frhere Kanones vorgenommen wird; htte es ltere

    einschlgige liturgisch-kanonische Vorschriften gegeben, htte sich die Synode sicherlich

    darauf berufen.

    43 2.3.4.31 (87r88r).

    44 1.72 (Bedjan 495) und 2.3.4.34 (88rv).

    45 An anderer Stelle wehrt sich Isaak explizit gegen den Vorwurf, er habe die grundstzli-

    che Unvernderlichkeit der Geistwesen, also der Engel, gelehrt (S. 2.3.3.22 (63rv)). Diese

    Lehre ist gewissermaen verwandt mit der Vorstellung von einer grundstzlichen Unver-

    nderlichkeit des vervollkommneten Asketen. Aber auch weitere apologetische Stellen

    in Isaaks Werken stehen sehr wahrscheinlich mit dem Messalianismus-Vorwurf in Ver-

    bindung. So erstens seine Abweisung der Annahme, dass die gttliche Offenbarung auch

    durch die krperliche Sinneswahrnehmung erfahrbar sei (2.3.3.91 (80rv)), diese Vor-

    stellung ist schon im 4. Jh.s, und in der Folge immer wieder, als messalianisch verurteilt

    worden. Zweitens, seine ausfhrliche Apologie der Allerlsungslehre, die von der Synode

    des Jahres 579 unter dem Katholikos Ezechiel und bei Babai dem Groen als messalia-

    nisch aufgefhrt wird (S. Synodicon Orientale, 115; vgl. Guillaumont, Babai le Grand sur les

  • 22 1. kapitel

    Darber hinaus knnten einige Grundgedanken der Schriften Isaaks imSinne einiger als messalianisch verurteilter Lehrstze missverstanden wer-den: So etwa seine besondere Betonung der Allmacht Gottes und seine kon-sequente Unterordnung des freien menschlichenWillens unter die VorsehungGottes, die als Fatalismus eine Irrlehre, die in wenigen Fllen den Messalia-nern angehngt wird46 missinterpretiert werden knnte. Ferner uert sichIsaak mehrmals gegen ein materialistisches Verstndnis des Lebens nach derAuferstehung, was im Sinne der Leugnung der Auferstehung des Krpers, dieden Messalianern nachgesagt wurde, gelesen werden knnte.47

    Es gibt also eine Reihe Entsprechungen zwischen bestimmten Ideen Isaaks,die er meist selbst als angreifbar empfindet und daher apologetisch unter-mauert, und denjenigen Lehrstzen, die in ostsyrischen Synodaltexten sowiebei einzelnen kirchlichen Autoren als messalianisch bezeichnet werden48 obzwar diese manchmal, wie im Fall der Allerlsungslehre und der darausangeblich folgenden moralischen Gleichgltigkeit, mit dem ursprnglichenMessalianismus des 4. Jh.s nichts zu tun haben. Diese Tatsache macht deut-lich, dass der Messalianismus-Vorwurf von Seiten der ostsyrischen Amtskir-che bereits im 7. Jh. eine Strmung der mystischen Mnchstheologie im Visier

    Messaliens, 261, Fn. 33), obwohl sie mit den ursprnglichen Messalianern des 4. Jh. wenig

    zu tun hat. Isaaks Apologie wird bezeichnenderweise mit der Berufung auf die Autoritt

    Theodors begrndet, damit keine eingebildeten Eiferer der Wahrheit sagen, dass wir eine

    neue Lehrewillkrlich einfhrten, welche von den orthodoxenVtern vor uns niemals gelehrt

    worden wre (2.39.7 (Brock 155)). Drittens sind es seine schroffen Erwiderungen auf den

    Vorwurf, dass die Eremiten, die sich der vita contemplativa hingeben, keine Handarbeit

    verrichten: wer solche Vorwrfe erhebe, htte selbst einen faulen und unerzogenen Geist

    (2.29.8, Brock 120). Ferner wendet sich Isaak gegen grobe Menschen, die das anachore-

    tische Ideal der Verinnerlichung und der inneren Gemeinschaft mit Gott fr lcherlich

    halten. Gerade die Verachtung der Arbeit und Faulheit werden den Messalianern stets

    nachgesagt. Schlielich entfaltet Isaak die Vorstellung, dass die in vlliger Abgeschieden-

    heit lebenden Eremiten an der sonntglichen Eucharistie in geistiger Weise teilnehmen

    (2.5.26, Brock 13)); diese Auffassung liee sich ebenfalls als Verteidigung gegen den Vor-

    wurf, er verachte die Sakramente, interpretieren. AuchDadischoQatrayaweist denselben

    Vorwurf zurck, wenn er in seinem Kommentar zu Abba Jesaja von Sketis beteuert, dass

    die von denMystikern angestrebte Geistbegabung keine andere als diejenige Geistesgabe

    sei, die in der Taufe allen Glubigen verliehen werde (S. Dadischo Qatraya, Commentaire

    du livre dAbba Isae logoi ixv, ed. R. Draguet (csco 326, Syr. 144), Louvain 1972, 4849

    (c. i,3536). (xi, 13, S. 151, gegen die Zerstrung der Observanz duch die Messalianer)).

    46 S. Guillaumont, Babai le Grand sur les Messaliens, 263.

    47 S. z.B. 2.3.3.56 (59v60r) und 2.3.3.911 (60rv).

    48 Dazu s. auch Hagman, Isaac of Nineveh and the Messalians, 5566.

  • der messalianismus-vorwurf 23

    hatte. Die Verurteilung zweier Vertreter dieser Theologie durch die Synode desTimotheos i. stellt also keinen Einzelfall dar; dieser Vorwurf gegen dieMystikerwar schon ein Jahrhundert frher da.

    Ein sehr hnlicher Fall von indirekter Selbstverteidigung gegen den Messa-lianismus-Vorwurf wie bei Isaak von Ninive und Dadischo Qatraya findet sichin einer Schrift des Schimon Taybuteh:

    Wenn vor der Offenbarung unseres Herrn ein Mensch den Schriftgelehr-ten und den Pharisern d.h. denjenigen [unter ihnen], die [spter] denGlauben aufnahmen von dem vollkommenen Bekenntnis zum Vaterund zum Sohn und zum Heiligen Geist sprechen wrde, (so) wrden sieihn verrckt und Gtzendiener nennen. (So) auch wir Psychiker, wenneiner uns vom Schatz des Lebens und von den verborgenen Geheimnis-sen der Vter sprechen wrde, (so) wrden wir ber ihn lachen und ihnmit Recht Tor und Messalianer, der von der Wahrheit abgefallen ist, nen-nen, da auch der selige Apostel so schrieb, dass ein Psychiker die geist-lichen Dinge nicht empfangen kann, denn fr ihn sind sie eine Torheit.Wehe uns aber, die einer solchen Gnade freiwillig beraubt werden.49

    Von besonderem Interesse ist ferner eine Erzhlung ber die VerurteilungAph-nimarans der spter im nrdlichen Beth Nuhadra ein bedeutendes Klostergrndenwrde wegenMessalianismus im Beth Abe Kloster, die sich im LiberSuperiorum des Thomas von Marga findet. Diesem Lehrer

    gabGottWeisheit undUnterscheidungskraft [imVerstndnis] der Schrift,und er verfasste vieles, sowohl Unterweisungen als auch Hymnen jederSorte, als geistlicher Philosoph; er verfasste und schrieb vollkommen.Flsse lebendigen Wassers flossen aus seinem Bauch, gem dem Wortunseres Herrn. Und auch dies [geschah]: Weil er wie die Feuersule war,welche dieHebrer fhrte, undweil Gottwollte, dass auch dieser, wie sein[geistlicher]Vater, Grnder einer groenVersammlung vonBrdernwird,[deswegen] wurden die Neidischen gegen ihn bewogen und setzten ihn

    49 .....

    . (ed. A. Mingana,WoodSt vii, 289).

  • 24 1. kapitel

    auf eine Totentrage; und wegen des Namens des Messalianismus trugensie ihn mit Totengesngen hinaus.50

    Nach Thomas sei also Aphnimaran gerade aufgrund seiner Geistesgabe benei-det und angefeindet worden. Dass er ein Geistestrger ist, wird sowohl explizitgesagt er ist ein geistlicher Philosoph, demWeisheit und Einsicht in den tie-feren Sinn der Heiligen Schrift von Gott gegeben worden ist als auch, nochimponierender, durch Symbole der Schrift suggeriert: Das lebendige Wasser(Joh 7) steht fr die Gabe des Heiligen Geistes, und die Feuersule aus Ex 13,21ist in hagiographischen Texten oft ein Sinnbild fr den Geistestrger.51 Umsokrasser erscheint vor diesem Hintergrund die Misshandlung des Geistlichendurch seine Klosterbrder. Die Aussage ist scheinbar: Die Geistesgabe knnebei den Unverstndigen nichts anderes als Neid hervorrufen,52 und Ausdruckdieses Neides sei der Messalianismusvorwurf, der Name desMessalianismus.

    50 .

    ...

    . (Thomas v.Marga, The Book of Governors, Band i, 6869).

    51 Zum Motiv der Feuersule fr den Pneumatophoros in den im ostsyrischen Mnchtum

    besonders verbreiteten Apophthegmata Patrum s. Karl Heussi: Der Ursprung des Mnch-

    tums, Tbingen 1936, 179 [z.B. habe ein unerwarteter Besucher denMnchsvater Arsenios

    gesehen (Arsenios 27, pg 65, Sp. 96)]; Basilius der Groe der, obwohl er

    zugleich ein archetypischer Bischof war, v.a. als Mnch und Geistestrger galt erscheint

    vor Ephrm in Vision als eine Feuersule (Vita Ephrms des Syrers, Pariser Version cap.

    20, S. 112).

    52 Der Bezug auf das Schicksal der Apostel, Geisttrger par excellence, und des Herrn selbst,

    ist in dem Kommunikationszusammenhang, in dem Thomas schreibt, so selbstverstnd-

    lich, dass er nicht explizit gemacht werden muss.

  • koninklijke brill nv, leiden, 2015 | doi: 10.1163/9789004284838_005

    2. kapitel

    Autoren der ostsyrischenMystik als Vertretereiner distinkten Tradition: Zeugnisse vonder Zusammengehrigkeit der Gruppe

    Isaak von Ninive wird im Kontext der Verurteilung der drei Lehrer nicht er-whnt. Dennoch kommen die meisten der im Synodalbeschluss verurteiltenLehrstze in seinenWerken vor wennman die polemischen berspitzungendes Beschlusstextes abzieht. Einige dieser Lehrstze sind sogar zentrale ThesenseinerMystik, die er gegenmglicheoder ausgesprocheneEinwndeverteidigt.Seine geistige Verwandtschaftmit den drei vonTimotheos verurteilten Lehrernist fr Ischodenah vonBasra gegeben; im abschlieendenTeil seiner biographi-schenNotiz ber Isaak schreibt er Folgendes ber die Anfechtungen gegen ihn:

    Er schrieb Bcher ber die gttliche Lebensfhrung der Mnche; und ersagte drei Dinge, die von vielen nicht akzeptiert wurden. An ihm nahmDaniel bar Tubanitha, Bischof von [Beth] Garmai, Ansto, wegen dieserDinge, die er gesagt hatte Er kam aus BethQatraye; und ichmeine, dassNeid gegen ihn bei denjenigen, die aus dem Landesinneren [stammten],erweckt wurde, wie [auch im Fall von] Joseph Hazzaya, Johannes vonApameia und Johannes von Dalyatha.1

    Ischodenahs2 Liber Castitatis, das zwischen 860870, d.h. ein halbes Jahrhun-dert nach dem Tod des Timotheos, redigiert worden ist, scheint Isaak hier aufden ersten Blick mit den drei Lehrern nur ber die Annahme in Verbindungzu bringen, dass sie allesamt durch Kirchenmnner aus dem Landesinneren aus bertriebenem Lokalpatriotismus heraus angefeindet worden seien; diespasst jedoch schlecht zur Herkunft sowohl des Johannes von Dalyatha (BethNuhadra, nahe bei Ninive) wie auch des Joseph Hazzaya (Nimrod am Tigris,

    1 ..

    (Ischodnah vonBasra, Liber Castitatis, ed. J.-B. Chabot, 64).

    2 Zum Autor s. JeanMaurice Fiey: Ichdenah, mtropolite de Basra, et son oeuvre, in: LOrient

    syrien 11 (1966), 431450.

  • 26 2. kapitel

    sdlich vonMosul). Siewarenaber,wie auch Isaak, persischerHerkunft; knntevielleicht Ischodenah gemeint haben, dass Timotheos und andere mesopo-tamische Bischfe aramischer (bzw. syrischer) Herkunft ihnen deswegenmisstrauisch gegenber standen?3

    Der Neid, der in beiden Fllen als Beweggrund fr die Anfeindung undVerurteilung angefhrt wird, hat freilich noch weitere Hintergrnde. Dies wirdersichtlich,wennmandieKurzbiographiendes Johannes vonDalyathaunddesJoseph Hazzaya im Liber Castitatis und v.a. die Kommentare des Autors zu derVerurteilung des Letzteren heranzieht:

    Woher Joseph Hazzaya seine Lehre empfangen hat, soll man von jenerErzhlung lernen, die Nestorios, Bischof von Nuhadra, verfasst hat. Ichmeine, dass der (Beweg)grund des PatriarchenNeidwar; undGott (allein)kennt die Wahrheit.4

    Es handelt sich also auch in diesem Fall um eine Verurteilung aus Neid, dieIschodnah interessanterweise auf die persnliche Initiative des Patriarchenzurckfhrt. Diesmal haben wir jedoch einen nheren Hinweis auf die wahr-scheinlichen, nach Einschtzung des Autors, Ursachen dieses Neides: Die ein-zige Antwort, die die Vita Josephs des Nestorios von Nuhadra auf IschodenahsFrage geben knnte, wre, dass Joseph seine Lehre durch gttliche Offenba-rung empfangen hatte. Von der Vita eines heiligen Einsiedlers und geistlichenAutors ist ja nichts anderes zu erwarten.Geradediese geistlicheGabe soll dann,so wird hier suggeriert, den Neid des Timotheos erweckt haben. Neid hat hierdieselbe Bedeutung wie bei Thomas von Marga: Es handelt sich um den Neiddes Unwissenden auf den Geistlichen. Es ist also anzunehmen, dass in denAugen Ischodenahs der Neid gegen Isaak letztlich ebenfalls von seiner Geis-tesgabe5 provoziert worden ist. Hier wie in der w.o. zitierten Kurzbiographie

    3 Vgl. Berti, Vita e studi di Timoteo i, 277, Fn. 819. Solche Spannungen zwischen mesopotami-

    schen aramischen Christen und solchen Persischer Herkunft sind auch in frheren Zeiten,

    v.a. in der Mitte des 7. Jh.s, zu beobachten (s. Paolo Bettiolo, Un vescovo in una et di torbidi:

    Io yahb iii e la Chiesa Siro-orientale nel vii secolo, in: C. Pasini (Hg), Lagrande stagione della

    mistica Siro-orientale (viviii secolo), Milano 2009, 7190, bes. 86).

    4 .

    . (Ischodnah von Basra, Liber Castitatis, ed. J.-B. Chabot,66).

    5 Isaak war ausreichend eingefhrt in die gttlichen Geheimnisse ( ) (ebd., 64).

  • die ostsyrische mystik als tradition 27

    Isaakswird das harteUrteil ber die BeweggrndederGegner unsererMystikervorsichtig mit ich bin der Meinung eingeleitet. In der Stelle ber Joseph, woder hoch respektierte Katholikos so schlecht wegkommt, wird das Urteil durchdie Klausel undGott (allein) kennt dieWahrheit zustzlich relativiert. Die Ver-urteilung des Johannes von Dalyatha wird im Liber Castitatis blo erwhnt,ohne einen expliziten Kommentar des Autors: Johannes sei, auch diesmal aufpersnliche Initiative des Timotheos, mit dem Bann belegt worden, weil erin seinem Buch sagte, dass die Menschheit unseres Herrn seine Gottheit sehe.6Freilich stellt der durchweg hagiographische Kurzbericht Ischodenahs einenimpliziten Kommentar zur Verurteilung dar: Der Bann gegen einen Heiligenkann nur eine Freveltat sein. Im Bewusstsein des Autors bilden die drei Mn-che, deren Kurzbiographien im Liber Castitatis die Kurzbiographien Isaaks,Josephs und Johannes nacheinander eingetragen sind (Nr. 124125126), eineTraditionslinie, zu der er sich anscheinend bekennt.

    Aber auch Joseph Hazzaya selbst versucht im Titel seiner noch unediertenSchrift De providentia sich vor dem Neid ( ) zuwehren: Mge sich dereinsichtige Leser in Acht nehmen, dass er nicht Schaden statt Nutzen davon-trage; sondernmge er seinen Geist vomNeid reinigen und in Einsicht heraus-finden, dass alles, was wir sagen, wahr ist, wobei wir vomWeg des Interpreten(sc. Theodor vonMopsuestia) nicht abweichen.7 Auch an einerweiteren Stellederselben Schrift sagt Joseph, er werde nicht alles schreiben, was er wisse (eshandelt sich blo um eine apokryphe Information ber den Bau der ArcheNoahs), wegendes Neides, der in unsererGenerationOberhand gewinne: Sobesttigt er, indirekt aber deutlich, IschodenahsMeinungber die eigentlichenBeweggrnde seinerVerurteilung. Es ist nicht bekannt, obHazzayadieseZeilenvor odernach seinerVerurteilung geschriebenhat, auchnicht, ob er zurZeit derSynode von Timotheos noch am Leben war. In jedem Fall war die Verurteilungkein isoliertes Ereignis, sondern Teil umfassender Disziplinarmanahmen, dieJoseph wahrscheinlich als Ausdrucksformen des Neides in seiner Generationwahrnahm.8 Das Bewusstsein der ostsyrischenMystiker, einer eigenen Traditi-onslinie zuzugehren innerhalb der ostsyrischen Kirche stehend, aber stetsdurch diese angefochten kommt bei ihm deutlich zum Ausdruck. ber Pro-

    6 (ebd., 67).7

    ..

    . (Ms Alqosh 237, p. 238).

    8 E.J. Sherry: TheLife andWorksof JosephHazzaya, in:W.McCullough (ed.),TheSeedofWisdom

    (fs T.J. Meek), Toronto 1964, 7891, hier 86; vgl. Brian Colless, The Biographies of John Saba,

    in: PdO 3 (1972) 4563, hier 54.

  • 28 2. kapitel

    blememit der Hierarchie seiner Kirche gibt auch Johannes vonDalyatha Zeug-nis ab, aller Wahrscheinlichkeit nach, in seinem 51. Brief, von dessen Adressatwir nicht mehr wissen, als dass er, wie der Ton des Briefes suggeriert, ein mitJohannes gut bekannter Mnch war.9

    Der schon mehrmals erwhnte Nestorios von Nuhadra bringt das Bewusst-sein der Zugehrigkeit zu einer eigenen, distinkten Traditionslinie zum Aus-druck, indem er in einem sicherlich vor seiner Bischofsweihe verfassten Brief die Gegner dieser seiner mystischen Tradition angreift: Es gibt Einige, dienur die krperliche Arbeit wrdigen und die Lebensfhrungen des Geistes ver-achten ( ), hochmtige Menschenmit einer leeren bzw.eitlen Gesinnung ( ); diese,

    da sie das Ziel der Lebensfhrung des Geistes nicht verstanden haben,leugnen sie [diese] indem sie sagen, dass es eine geistliche Schau ber-haupt nicht gebe, und sie legen einen vollkommenen Hass gegen dieje-nigen an den Tag, die der Suche nach dieser (sc. der geistlichen Schau)ergeben sind Letztere stellten sich durch ihre Phantasie Halluzinatio-nen vor, sagen sie.10

    Diese Menschen haben Schler, teilt uns Nestorios in der Fortsetzung seinesBriefes mit, denen sie diese ihre Verachtung fr die Lebensfhrung des Gei-stes vererben. Nestorios ermahnt seinerseits die Adressaten seines Schreibens,sich von jeglichemUmgangmit solchen Leuten fern zu halten.11 Die Heftigkeitder Auseinandersetzung mit den Leugnern der geistlichen Schau schwingtdeutlich vernehmbar mit.

    9 e51,1718 (Beulay 482).

    10 :..:

    (s. Berti, Nestorio di Nuhadra, 237; die beiden erhaltenen Abschnitte ausdiesem Brief sind ediert von V. Berti, ebd., 234238). Damit zu vergleichen sind einerseits

    abschtzige uerungen gegenber dem Anspruch einiger Einsiedler auf Visionen und

    Offenbarungen, wie z.B. bei Babai, andererseits die sehr vorsichtigen und beschrnk-

    ten tatschlichenBerufungen auf solche Erfahrungen, die uns in denTexten ostsyrischer

    Mystiker (z.B. bei Isaak und Johannes von Dalyatha) begegnen, sowie ferner die inter-

    essanten Seitenhiebe Isaaks gegen Mnche, die, sich offensichtlich auf die krperliche

    Arbeit der Anfngerstufe beschrnkend, die Mglichkeit der geistlichen Theoria (sowie

    der hheren, ekstatischenErfahrungen, von denendieMystiker schrieben) pauschal leug-

    neten und sich ber dieMystiker bzw. ber die in der Hesychia lebenden Einsiedler ber-

    haupt abschtzig uerten.

    11 Ebd.

  • die ostsyrische mystik als tradition 29

    Das Bewusstsein um die Zugehrigkeit zu einer eigenen, distinkten Tradi-tionslinie kommt anmehreren Stellen in den Schriften Isaaks zumAusdruck.12Dass Isaak von den ostsyrischen Mnchen spterer Generationen als Vertre-ter einer eigenstndigen theologisch-asketischen Tradition wahrgenommenwurde, wird neben dem w.o. zitierten Kommentar des Liber Castitatis zurReaktion gegen seine Lehre und der mglicherweise auf ihn bezogenen Aus-sage des Joseph Hazzaya auch durch die anonyme biographische Notiz berIsaak bezeugt. Dieser zitiert einen Abschnitt aus einemBrief desMnchesMarYozadaq an seinen Jnger Buschir, der im Kloster Rabban Schabur (wo Isaakim hohen Alter gelebt hat und begraben lag) lebte:

    Ich lobpreise unseren Herrn fr Deinen Eifer, mit dem Du uns die Unter-weisung des Mar Isaak von Ninive geschickt hast, und ich wei, dass DuDir die Schlssel des [Gottes-]Reiches im Leben verdient hast, denn Duhast unser Kloster mit einer Unterweisung erfllt, die voll des Lebens ist.Denn wir bekennen, Schler Isaaks, des Bischofs von Ninive, zu sein.13

    Ein solch glhendes Bekenntnis zu Isaak wre unmotiviert und bliebe unver-stndlich, wenn dieser blo einer von zahlreichen allgemein akzeptiertenAutoren der asketischen Literaturwre. Der besondereNachdruck des Schluss-satzes im zitierten Abschnitt der Absender spricht im Namen der gesamtenBruderschaft und fhrt den Bischofstitel Isaaks zum Beweis seiner Autorittan impliziert, dass hier Stellung bezogen wird.

    Eine hnliche Zugehrigkeitserklrung zur Lehre Isaaks findet sich in denSchriften des Ibn As-Salt. Dieser arabischsprachige Christ war in der zweitenHlfte des 8. Jh.s auf der Suche nach Antworten auf einige dringliche Fra-gen, die ihm whrend seiner vieljhrigen Studien aufgekommen waren14 zu

    12 Isaak ist zwar nicht offiziell verurteilt worden, die wenigen vorhandenen biographischen

    Informationen bezeugen aber ein ambivalentes Verhltnis zur kirchlichen Hierarchie: s.

    Chial, Ricerche su Isacco di Ninive, 5963.

    13 .

    . (StudiaSyriaca i, ); vgl. auch das hnlich bekenntnishafte, berschwngliche Lob fr Isaakbei Johannes bar Kaldun (s. Vie dumoine Rabban Youssef Bousnaya, bers. Jean-Baptiste

    Chabot, in: roc 5 (1900), 182195, hier: 188); dieser Lobspruch kommt an einer besonders

    hervorgehobenen Stelle, nmlich in der die Vita abschlieenden Apologie des Autors an

    den Leser, vor.

    14 Ibn as-Salt: Traits religieux, philosophiques et moraux, extraits des oeuvres d Isaac de

    Ninive (viie sicle), ed. P. Sbath, Le Caire 1934, 11.

  • 30 2. kapitel

    einem ostsyrischen Kloster von Beth Arabaye15 gelangt, um seine beunruhi-genden Fragen mit den Mnchen zu besprechen. Nach langwierigen Unter-redungen stellten die Mnche fest, dass seine Gesinnung mit derjenigen derSchriften Isaaks verwandt sei16 und vertrauten ihm diese Schriften an, woriner endlich die Antwort auf seine Fragen oder die Besttigung seiner eige-nen, vom Gewhnlichen abweichenden Ansichten? gefunden haben soll.Seine Freunde sprachen nunmehr von seiner Neigung zu seiner (sc. Isaaks)Doktrin17; diese Neigungmuss sehrmerkwrdig gewesen sein, da ein befrem-deter Freund in einem Brief nach deren Hintergrnden fragt.18 Was fr ihndie Zugehrigkeit zur Lehre von Mar Isaak bedeutete, expliziert As-Salt ineiner knappen Auflistung von Fragen und Antworten, in denen Isaaks strittigePositionen mit den entsprechenden herkmmlichen, allgemein akzeptiertenLehrstzen konfrontiert werden.19 Somit erscheint Isaak eindeutig als Vertre-ter einer distinkten theologischen Tradition in der Wahrnehmung der ostsyri-schen Mnche jener Zeit.

    15 Ebd, 12.

    16 Ebd., 11.

    17 Ebd., 11: .

    18 Ebd.

    19 Ebd., 1617. Die vier ersten unter den sechs Fragen-und-Antworten drehen sich um die

    Allerlsungslehre und ihre anthropologischen sowie theologischen Voraussetzungen. Die

    erste Frage ist, ob Gott erhabenundmchtig (ist er) AdamzumZeitpunkt dessen Schp-

    fung frs Leben, oder fr den Tod geschaffen hat (

    ).; im Gegensatz zur Meinung manch anderer Leute ( ), sagt Isaak, Adam

    wurde fr den Tod geschaffen bereits vor dem Tod; und dass sein Ungehorsam eine Ursache

    der Vorsehung und des Willens Gottes in Bezug auf Adam und auf seine Nachkommen war

    ( ). Die zweite Frage, ob Gott

    zrnt aufgrund des Ungehorsams der Geschpfe, wird von Isaak, auch diesmal so wie in

    allen weiteren Fragen gegen eine tradierte Lehrmeinung, negativ beantwortet. Mit der

    dritten Frage, ob Gott fr die in der Zeit begangenen Snden der Menschen eine ewige

    Strafe verhngen kann, wird dann der Kern der Allerlsunglehre Isaaks berhrt: Dies sei

    dem Erbarmen Gottes unangemessen und daher ausgeschlossen. In der vierten Frage-

    und-Antwort wird festgehalten, dass das Erbarmen Gottes alle Menschen, die Gerechten

    sowie die Bsen, umfngt. Die fnfte Frage lsst sich nicht ohne Weiteres mit Aussagen

    der uns bekannten Schriften Isaaks in Verbindung bringen: Werden die Gter dieser Welt

    denMenschen vonder gttlichenVorsehungnachmoralischemVerdienst zugeteilt? Isaak

    habe eine negative Antwort gegeben. Zur letzten Frage, ob die Seelen nach dem Tod und

    bis zur Parousie in einen bewusstlosen Schlaf versinken oder aber gewisse Bewusstseins-

    funktionen beibehalten, hat sich Isaak fr die zweite Mglichkeit ausgesprochen, auch

    wenn er nur an einer Stelle in seinem Werk kurz darauf eingeht (diese Frage war in der

    ostsyrischen Kirche lange Zeit sehr umstritten).

  • koninklijke brill nv, leiden, 2015 | doi: 10.1163/9789004284838_006

    3. kapitel

    Identittsmerkmale der ostsyrischenMystik:Strenges Anachoretentum imGegensatz zukirchlich eingebundenem Koinobitentum?

    Die Anfechtungen gegen die ostsyrischen Mystiker, die schlielich zum Verur-teilungsbeschluss der Synode von Timotheos i. fhrten, sind Teil einer langenGeschichte. Das Verhltnis zwischen sptantiker ostsyrischer Amtskirche undMnchtum war von Anfang an von Spannungen gezeichnet.1 In der bewegtenWende vom 5. zum 6. Jahrhundert zeigt sich dieses Spannungsverhltnis ineinem der wichtigsten Punkte der kirchenpolitischen Agenda, wie die beson-ders hervorgehobene Stellung der sog. anti-asketischenManahmenunter denBeschlssen der Synoden von Aqaq (486) und Babai verdeutlicht.2

    Die vollstndige Reintegration des Mnchtums in die ostsyrische Kircheerfolgt erst in der Mitte des 6. Jh.s3 mit der Reform Abrahams von Kasch-kar, Grnders des Groen Klosters vom Berg Izla.4 Ohne auf Einzelheiten die-

    1 Fr einen berblick ber die Geschichte der Konflikte zwischen syrischem Mnchtum und

    Hierarchie s. Philippe Escolan, Monachisme et glise: le monachisme syrien du ive au vii

    sicle; unministre charismatique (Theologie Historique 109), Paris 1999, bes. 313346; vgl. die

    Besprechung des Buches durch lie Khalif-Hachem: Le monachisme syriaque propos

    dun nouvel ouvrage, PdO 26 (2001), 303309; ferner s. Ovidiu Ioan, Controverses entre la

    hirarchie ecclsiale et les moines dans le christianisme syriaque, in: F. Jullien (Hg.), Le

    monachisme syriaque (tudes Syriaques 7), Paris 2010, 89106.

    2 S. Synodicon Orientale, ed. J.B. Chabot, 5559 (Canones ii und iii der Synode Aqaqs); 63

    (Beschlusstext der Synode Babais); dazu s. Arthur Vbus, Les messalliens et les rforms de

    BaraumadeNisibe dans l glise perse (Contributions of Baltic University 34), Pinneberg 1947,

    bes. 1216; gegen Vbus schreibt S. Ger Bar-Sauma von Nisibis eine viel geringere Rolle bei

    der Initiierung undDurchsetzung der sog. anti-asketischenManahmen zu: Ger, Barsauma

    ofNisibis, 7988; vgl. Ders., Die anti-asketische Bewegung impersischenChristentum. Einflu

    zoroastrischer Ethik?, in: iii Symposium SyriacumGoslar 1980 (oca 221), Rom 1983, 187191.

    3 Den Abschluss dieses Prozesses kann man im Asketen-Patriarch Sabrischo sehen; s. Mar-

    tin Tamcke, Der Katholikos-Patriarch Sar i. (596604) und dasMnchtum, Frankfurt a.M.

    1988; Ders., Christ und Iraner zugleich. Seelsorgerliches Handeln des Katholikos-Patriarchen

    Saro i. im Spannungsfeld christlich-iranischer Existenz, in: A. Mustafa/J. Tubach/G.S. Va-

    shalomidze (Hgg.), Inkulturation des Christentums im Sasanidenreich, Wiesbaden 2007, 237

    244.

    4 S. v.a. folgende Monographien: Chial, Abramo di Cascar e la sua comunit; Jullien, Le mona-

  • 32 3. kapitel

    ser Reform einzugehen, wollen wir hier festhalten, dass ihr grtes Anliegeneinerseits die Sicherung konfessioneller Reinheit gegenber den Severianern,andererseits die Einbindung kleiner Mnchsgemeinden und Einsiedler in gr-ere Zusammenschlsse war, deren Zentrum die Autoritt der Person des Vor-stehers bildet. Die benannten Ziele sind charakteristisch fr ein Streben nachRckbindung der Mnche an die bischfliche, sowohl dogmatische wie auchadministrative, Autoritt. Die Reform Abrahams ist im Groen und Ganzenerfolgreich gewesen; das Vorbild des Groen Klosters ist von den zahlreichendirekten oder indirekten Schlern Abrahams, die ihrerseits neue Klster grn-deten, sehr weit verbreitet worden.5

    1 Einsiedelei und Koinobion

    Auch nach der nahezu allgemeinen Durchsetzung der Reform Abrahams sinddennoch Spannungen zwischenKnobitentumund Eremitentumnicht ausge-blieben.6 Noch whrend Abraham Vorsteher der Bruderschaft war, haben alleBrder des Groen Klosters hchstwahrscheinlich in Kellia gelebt, nach demVorbild der palstinensischen Lavren;7 in seiner Regel ist nirgendwo von einemKoinobion die Rede. In der Regel seines Nachfolgers Dadischo wird erstmals

    chisme en Perse; s. auch Martin Tamcke, Abraham von Kaschkar, 588, in: W. Klein (Hg.),

    Syrische Kirchenvter, Stuttgart 2004, 124132.

    5 Zur Verbreitung des Modells des Groen Klosters s. Jullien, Le monachisme en Perse, 243

    269. Dass Abrahams Neugrndung der Mnchssiedlung auf dem Berg Izla sich schnell zu

    einer regelrechten Reformbewegung entwickelte, die das gesamte ostsyrische Mnchtum

    erfassen sollte, zeigt sich am deutlichsten am Vertrag von Bar Qaiti: Schon zur Zeit Sabr-

    ischos wurde das Fortbestehen vor-abrahamitischer Mnchsgemeinden als ein Missstand

    empfunden, der durch die Durchsetzung der abrahamitischen Organisationsform zu hei-

    len war [s. Florence Jullien, Rseauxmonastiques enMsopotamie. propos du pacte de Bar

    Qaii, in: oc 93 (2009), 2840, hierzu: 3337; Dies., Le monachisme en Perse, 264f.; Tamcke,

    Der Katholikos-Patriarch Sar i. (596604) und das Mnchtum, 5052; vgl.; zum Inhalt des

    Vertrags und seinem theologischen Charakter s. Martin Tamcke, Geschichte und Glaube aus

    der Sicht des Bundesvertrags von Barqita, in: v Symposium Syriacum 1988, oca 236 (1990),

    229235; Ders., Gedankensplitter zu Gotteslehre undGottesbild in den ostsyrischenMnchs-

    regeln amEndedes 6. Jahrhunderts, in: J. Reller/M.Tamcke,Trinitts- undChristusdogma: Ihre

    Bedeutung fr Beten und Handeln der Kirche (fs J. Martikainen), Mnster u.a. 2001, 91101].

    6 S. z.B. Thomas vonMarga, The Book of Governors i c. 812, bes. c. 12, Bd. 1, London 1893, 2633,

    bes. 3233.

    7 S. Joseph Patrich: Sabas, Leader of Palestinian Monasticism A Comparative Study in Eastern

    Monasticism, Fourth to Seventh Centuries, Washington d.c. 1995, 27 und 259261.

  • anachorese und koinobion 33

    undgleichmehrmals einKoinobionmit einemeigenen, demVorsteher unter-geordneten, Hausherrn erwhnt, u.a. imKontext der Aufnahme vonNovizen:Nach Aufnahme eines Novizen in die Bruderschaft lebt dieser drei Jahre langimKoinobion.Wenn sich in dieser dreijhrigenProbezeit zeigt, dass derNovizetatschlich zum Mnchsleben berufen ist, soll er sich mit Hilfe der Brdereine Zelle bauen.8 Diese Akzentverschiebung zugunsten des koinobitischenElementes9 setzt sich in den folgenden Jahrzehnten fort, und zwar sowohl imGroen Kloster als auch in den nach seinem Vorbild organisierten Gemein-schaften. DieMacht des Abteswchst weiter und dieDauer der Probezeit einesNovizen im Koinobion steigt von drei auf sieben Jahre.10 Dieser Prozess derkoinobitischen berformung hat sich weiter entfaltet; fr das 8. Jahrhundertbelegt das auf der Insel Kharg im Persischen Golf ausgegrabene Kloster mitSicherheit die Existenz von klassischen greren Koinobien.11

    Indizien fr diese Entwicklung lassen sich auch in den Schriften der ost-syrischen Mystiker finden. So ermahnt Isaak von Ninive im spten 7. Jh. denNovizennachdrcklichdazu, nicht sehr lange imKoinobion zuverweilen: Viele

    8 S. Arthur Vbus: Syriac and Arabic Documents regarding Legislation relative to Syrian

    Asceticism, Stockholm 1960, 161 f. [10. Kanon des Abraham von Kaschkar: Der Novize soll

    auf die Probe gestellt werden whrend der/einer festgelegten Zeit(spanne)] und 170f.

    (13. Kanon des Abtes Dadischo: Die Probezeit betrgt drei Jahre, und ihr Ort ist das

    Koinobion).

    9 Vgl. Jullien, Le monachisme en Perse, 107. Im Prolog seiner Kanones erklrt Dadisho pro-

    grammatisch, dass die Ordnung einer Gemeinschaft unterschiedlich von derjenigen der

    einsam ( ) Lebenden sei (Vbus, Hg., Legislation relative to Syrian Asceticism,166). Sabino Chial vertritt dagegen, dass in den Kanones des Dadischo, wie auch in den-

    jenigen seines Nachfolgers, Babais des Groen, eine solche berformungstendenz nicht

    nachgewiesen werden kann: Le modle reste strictement le mme: les moines vivent tou-

    jours en cellule et on se proccupe quaumoins un petit noyau reste dans le cnobion pour en

    garantir les fonctions (SabinoChial, Les rglesmonastiques syro-orientales et leur carac-

    tre spcifique, in: F. Jullien, Hg., Le monachisme syriaque, tudes Syriaques 7, Paris 2010,

    107122, hier 118 f.) so interpretiert Chial den einschlgigen 20. Kanon Dadischos (V-

    bus, Legislation relative to Syrian Asceticism, 172). Fr unsere Fragestellung ist allerdings

    in erster Linie wichtig, dass besagte berformung, ob sie im Groen Kloster schon mit

    Dadischo oder erst spter eingesetzt hat, allmhlich doch das gesamte abrahamitische

    ostsyrische Mnchtum erfasste (dazu s. auch Claire Fauchon, Les formes de vie asctique

    et monastique en milieu syriaque, veviie sicles, in: F. Jullien, Hg., Le monachisme syria-

    q