interkulturelle religionswissenschaft · 2010. 5. 20. · interkulturelle religionswissenschaft...
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Interkulturelle Religionswissenschaft
Struktur – Gegenstand – Aufgabe
von Hamid Reza Yousefi
Einleitende Gedanken Mit der Frage ›Was ist Religionswissenschaft‹, beginnt jedes Seminar und jede Vorlesung zur Einführung in die Religionswissenschaft. Dabei geht es auch um die Frage nach Ursprung, Struktur, Gegenstand und Aufgaben dieser Disziplin. Angesichts der Tatsache, daß auch unsere Gesellschaft hinsichtlich ihrer öffentlichen Institutionen zwar säkular erscheint, ist die Präsenz der Religionen unübersehbar. Diese Tatsache wirft die Frage auf: ›Wozu überhaupt Religionswissenschaft?‹ Die Antworten sind erwar‐tungsgemäß sehr unterschiedlich; sie reichen von theologisch geprägten Erklärungsversuchen bis zu sogenannten rein rationalistischen und bloß analytischen Denkweisen. Die Verwundbarkeit und Krisenanfälligkeit einer kulturwissenschaftlichen Disziplin wie der Religionswissenschaft hängt nicht nur von der Auswahl ihrer Methode und Selbstwahrnehmung bzw. Selbsteinschätzung ab, sondern auch von ihren Antworten auf die gesamtkulturelle Weltsituation, in der sie tätig ist. Im Allgemeinen lassen sich zwei Traditionslinien innerhalb der beste‐
henden Religionswissenschaft ausmachen, die zwei grundsätzlich ver‐schiedene Antworten auf die Frage geben, was religionswissenschaftliche Tätigkeitsformen voneinander unterscheidet. Es geht um eine phänome‐nologische und eine philologisch ausgerichtete Verfahrensweise. Während Religionsphänomenologen die Kategorie des Heiligen nicht preisgeben und faktisch eine Religionswissenschaft des Verstehens betreiben, distan‐zieren sich philologisch ausgerichtete Religionswissenschaftler von dieser methodischen Tätigkeitsform und halten an der Religionswissenschaft als einer ›reinen‹ Wissenschaft fest.
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Die interkulturelle Religionswissenschaft setzt als eine interdisziplinäre Ausrichtung gerade hier an. Dabei vernachlässigt sie weder die Kategorie des Heiligen, die in allen Religionen je nach Form und Inhalt das konstitu‐tive Element bildet noch die philologisch ausgerichtete Orientierung, die unerläßlich ist. Sie fügt beide Traditionslinien zusammen und umfaßt drei Tätigkeitsformen, die sich in vielerlei Hinsicht überlappen: Engagierte, Praktische und Angewandte.1 Interkulturelle Orientierung schafft verschiedene Zugänge, auf die im
Zeitalter der Globalisierung, in der alles interdependenter wird, nicht ver‐zichtet werden kann. Diese Zugänge ermöglichen die Entfaltung von Fra‐gen auf variierenden methodischen Wegen und bieten Lösungsansätze an. Streng wissenschaftlich oder an praktischen Problemen orientiert, distan‐ziert oder engagiert, prinzipientreu oder skeptisch, vermitteln sie Orientie‐rungsmuster mannigfacher Art. Hierbei handelt es sich um: 1. einen philosophischen Zugang, der die Einsicht kultiviert, daß die philosophia perennis
etwas von allen zu Suchendes und nie endgültig Gefundenes ist; 2. einen intertextuellen Zugang, der eine kulturenübergreifende weltliterarische Haltung
bezeichnet, welche die Ausprägungen kultureller Vielfalt in unterschiedlichen Sprachen ohne Scheuklappen würdigt;
3. einen kulturellen Zugang, der keine Tradition privilegiert, aber eine wechselseitige Be-fruchtung und Bereicherung durch Kommunikation und Interaktion intendiert;
4. einen religiösen Zugang, der aufzeigt, daß die religio perennis in unterschiedlichen Ersch-einungsformen auftritt;
5. einen politischen Zugang, verbunden mit einer ästhetischen Kultur, die deutlich macht, daß interkulturelle Orientierung eine grundsätzlich-pluralistische und demokratische Überzeugung darstellt;
6. einen wirtschaftlichen Zugang mit dem Ziel, Grundproblemen der Globalisierung und Wirtschaftsethik sowie Verteilungskonflikte im Kontext der Weltwirtschaft herauszuar-beiten;
1 Dieser Themenkomplex wurde an anderer Stelle ausführlich diskutiert. Vgl.
Yousefi, H. R.: Grundlagen der interkulturellen Religionswissenschaft (Interkulturelle Bibliothek Bd. 10), Nordhausen 2006. Unter dem Dach der interkulturellen Reli‐gionswissenschaft können Einzeldisziplinen zusammen operieren, von denen vor allem Kulturphilosophie, Anthropologie, Ethnologie, Sozialpsychologie, Re‐ligionspsychologie, Religionssoziologie, Religionspolitik, Pädagogik mit ihren Unterfeldern Kultur‐ und Medienpädagogik, Friedens‐ und Konfliktforschung und humanistische Staatenlehren zu nennen sind. Vgl. Ebenda.
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7. einen pädagogisch-erzieherischen Zugang mit dem Ziel, vom Kindergarten bis zu den Institutionen der Erwachsenenbildung eine interkulturelle Einstellung wechselseitiger Toleranz zu fördern und den Aufbau des Faches ›Toleranzkunde‹ zu ermöglichen;
8. einen psychologischen Zugang, der darauf bedacht ist, die Grundzüge des seelischen Verhaltens der Menschen auf der Ebene der Einstellung ernst zu nehmen;
9. einen soziologischen Zugang, der die Auswirkungen intra- und interkulturellen Verhal-tens auf gesellschaftliche Strukturen hin untersucht.
Ein weiterer Zugang ist ein religionswissenschaftlicher, der die Säule des vorliegenden Beitrags bildet. Er beinhaltet, daß Religionen und Kulturen in einer über weite Strecken gemeinsamen ›Lebenswelt‹ verwurzelt sind, die sie miteinander verbindet: Nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch er‐hellende Differenzen gibt es zwischen ihnen.
Das Konzept der interkulturellen Religionswissenschaft
Was heißt Kultur im Kontext des Interkulturellen? Mit der Entstehung und Entwicklung der Kultur ›domestizierte‹ sich der Mensch selbst und schuf durch diesen immerwährenden Prozeß eine Reihe neuer Welten, die äußerst heterogen sind. Man denke hier etwa an eine Haltung, die Gewalt auslöst und innerhalb eines bestimmten Kulturbe‐reichs Widerstand erzeugt, bei einem anderen hingegen aber wirkungslos bleibt. Die Thematisierung der Religionswissenschaft im Kontext des Interkul‐
turellen setzt die Bestimmung eines flexiblen, jedoch überlappend ver‐bindlichen Kulturbegriffs voraus, weil es eine Vielzahl von Kulturdefini‐tionen gibt2, die von unterschiedlichen Konzeptionen ausgehen. Es ist eine berechtigte Frage, ob mit einem traditionellen engen Kulturbegriff den gegenwärtigen Herausforderungen noch Rechnung getragen werden kann. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde die Mensch‐Kultur‐
beziehung zunehmend zum zentralen Thema der ethnologischen und an‐thropologischen Forschung erhoben. Dabei war es maßgeblich, daß der
2 Die systematische Entwicklung des Kulturbegriffs ist mit Ethnologen wie Gustav
Klemm, Edward Tylor, Bronislaw Malinowski und Franz Boas verbunden. Al‐fred Louis Kroeber und Clyde Kluckhohn stellen mehr als 160 Definitionen von Kultur zusammen, die sich in vielerlei Hinsichten ähneln. Vgl. Kroeber, Alfred Louis und Clyde Kluckhohn: Culture: A Critical Review of Concepts and Definitions, New York 1963.
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Mensch zwar einerseits Kulturen bildet und Gesellschaften prägt, anderer‐seits aber auch selbst von beiden so stark geprägt und bestimmt wird, daß selbst die Befriedigung elementarster Bedürfnisse, die als biologisch be‐zeichnet werden könnten, außer unter ungewöhnlichen Umständen immer im Bann der Regeln bleibt, die von Gebräuchen und Gewohnheiten diktiert werden. Die Ethnologen dieser Zeit untersuchten traditionell Stammesge‐sellschaften bzw. außereuropäische schriftlose Völker. Dabei hegte man im wesentlichen einen Kulturbegriff, der dem Johann Gottfried Herders (1744‐1803) ähnlich ist. Herder ging von der Kugelförmigkeit der Kulturen aus, die sich in abgeschlossenen Sphären bilden. Für ihn bedeutete eine Mi‐schung von Kulturen Verlust an »Eindrang, Tiefe und Bestimmtheit.«3 Nach Herder »bringt eine Kultur nur so weit Verständnis für fremde Kul‐turleistungen auf, als diese assimilierbar sind. Eine Übernahme wird zu einer Integration und nicht zu einer eigentlichen Innovation der eigenen Weltanschauung. Sie folgt den Verständnisgesichtspunkten der eigenen, nicht der fremden Kultur.«4 Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts galten Kulturen als statische Ge‐
bilde und homogene Gefüge. Dieser enge Kulturbegriff ist in einer globali‐sierten Welt nicht mehr haltbar und bedarf einer gründlichen Erweiterung. Es gibt faktisch »eine reine eigene Kultur [...] ebensowenig, wie es eine reine andere Kultur gibt.«5 Kulturen sind wie die Fäden eines Gewebes, die auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind.6 Sarvepalli Radhakrishnan (1888‐1975) bezeichnet die verschiedenen Kulturen als »Dialekte einer ein‐
3 Herder, Johann Gottfried: Ueber die Würkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völ‐ker in alten und neuen Zeiten, in: Sämtliche Werke, hrsg. v. Bernhard Suphan, Bd. 8, Hildesheim 1967 (334‐346), S. 423.
4 Holenstein, Elmar: Kulturphilosophische Perspektiven. Schulbeispiel Schweiz – Europäische Identität auf dem Prüfstein – Globale Verständigungsmöglichkei‐ten, Frankfurt/Main 1998 S. 272.
5 Mall, Ram Adhar: Philosophie im Vergleich der Kulturen. Interkulturelle Philoso‐phie – Eine neue Orientierung, Darmstadt 1995 S. 1.
6 Vgl. Holzbrecher, Alfred: ›Vielfalt als Herausforderung‹, in: Holzbrecher, Alfred (Hrsg.): Dem Fremden auf der Spur. Interkulturelles Lernen im Pädagogikunter‐richt, (Didactica nova) Bd. 7, Hohengehren 1999 S. 9.
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zigen Sprache der Seele. Die Unterschiede sind solche des Akzents, der geschichtlichen Umstände und der Entwicklungsstufen.«7 Es gibt seit Menschengedenken faktisch keine homogenen und unverän‐
derlichen Kulturgebilde. Kulturen sind dynamisch und veränderbar. Ihre Grenzen sind fließend, und sie haben nie hermetisch voneinander abge‐trennt existiert. Kulturelle Wechselwirkung und Entwicklung hat es immer gegeben. Selbst das Studium der Religionsgeschichte belegt dies. Hier ist zu beobachten, wie Macht, Glaube, Autorität, Gewalt und Liebe in ver‐schiedenen Kulturräumen und Gesellschaften auf unterschiedliche Weise interpretiert und praktiziert werden. Der Mensch ist ein kulturbildendes und bildungsorientiertes Wesen. Bil‐
dung entwickelt und schafft Kultur als einen offenen Raum, in dem und aus dem heraus gehandelt wird. Kultur umfaßt die Gesamtheit der Lebens‐ und Organisationsformen sowie den Inhalt und die Ausdrucksformen der vorherrschenden Wert‐ und Geisteshaltung. Sowohl regionale als auch globalisierte Kulturen sind von einer offenen Systematik geleitet, die Zwi‐schenräume für Kommunikation zwischen diesen Trägern schafft. Der Dialog der Kulturen und Religionen ist ein gutes Beispiel hierfür. Kommu‐nikation macht somit den Kern der Kultur und das menschliche Leben selbst aus. Es sind allerdings nicht die Kulturen, die miteinander reden, sondern es sind immer die Träger dieser Kulturen und Traditionen. Kom‐munikationen scheitern, wenn die Beteiligten sich darüber nicht im klaren sind, daß jeder in einer eigenen Wahrnehmungswelt verharrt.8 Das Konzept der Interkulturalität geht nicht von der Herausbildung der
Idee einer künftigen ›einheitlichen Menschheits‐ bzw. Weltkultur‹ aus, die den Prämissen einer übergeordneten Leitkultur unterliegt. Unter dieser Voraussetzung wird zwangsläufig die Assimilation und damit die Einheit‐lichkeit aller Kulturen zugunsten einer einzigen ›Einheitskultur‹ vorausge‐
7 Radhakrishnan, Sarvepalli: Die Gemeinschaft des Geistes. Östliche Religionen und
westliches Denken, Darmstadt 1952 S. 366. 8 Im Hinblick auf Probleme, Störungen und Bedingungen der interkulturellen
Kommunikation sei grundsätzlich verwiesen auf: Yousefi, H. R.: Toleranz als Weg zur interkulturellen Kommunikation und Verständigung, in: Wege zur Kommunika‐tion. Theorie und Praxis interkultureller Toleranz, hrsg. v. Hamid H. R. Yousefi u.a., Nordhausen 2006 (19‐48).
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setzt. Die Unifizierung der Kulturen ist sowohl theoretisch als auch prak‐tisch eine Fehlleistung, eine Fehltat, weil Differenzen ausgeblendet werden. Interkulturalität ist und bleibt von einer offenen Systematik der Kulturfor‐men geleitet. Der Interkulturalität liegt eine Pluralität zugrunde, die einer geistigen Einheit – keiner Einheitlichkeit – aus der Vielheit der Kulturen den Weg ebnet. Das Eigene und das Fremde suchen zwar das Gemeinsame und ergänzen sich, ohne Differenzen werden sie aber farblos. An dieser Stelle soll folgender Arbeitsbegriff von Kultur gelten: Kulturen sind im Kontext der interkulturellen Religionswissenschaft in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichem Ausmaß in Partialkulturen differenzierte Netzwerke mit lokal unterschiedlichen Dichtegraden.
Struktur und Aufgaben der interkulturellen Religionswissenschaft Auf der Basis eines so verstandenen Kulturbegriffs ist die interkulturelle Religionswissenschaft dem Dialog zwischen den Religionen verpflichtet und hat stets eine Aufklärungsfunktion zu erfüllen. Es geht um die theore‐tische und praktische Anerkennung, daß auch andere Völker Vernunft und Rationalität besitzen. Hier wird die oft gestellte Frage beantwortet, wozu diese Art von Religionswissenschaft überhaupt notwendig ist. Dement‐sprechend liegt eine Aufgabe der interkulturell‐religionswissenschaftlichen Aufklärung darin, den selbsterhobenen Universalitätsanspruch der Religi‐onsgeschichte im Abendland nicht nur ideengeschichtlich, sondern auch entwicklungsgeschichtlich zu hinterfragen und zu relativieren, damit ein Dialog zwischen den Denktraditionen auf gleicher Augenhöhe stattfinden kann. Religionswissenschaft essentialistisch aufzufassen oder sie nur unter bestimmten Bedingungen als relevant erklären zu wollen, widerspricht dem Kern religionswissenschaftlicher Reflexion selbst. Interkulturelle Religionswissenschaft umfaßt als ein human‐ und kul‐
turwissenschaftliches Programm sowohl Praktische und Engagierte als auch Angewandte Religionswissenschaft. Sie ist zum einen bemüht, gei‐steswissenschaftliche Begriffe zu entkolonialisieren, die geschichtlich stu‐fentheoretisch gebildet worden sind, und zum anderen die europäisch‐westliche Religionswissenschaft zu säkularisieren, die in vielerlei Hinsicht intern dialogisch und extern konservativ und monologisch agiert. Damit verfolgt die interkulturelle Religionswissenschaft das Ziel, ein neues Selbstverständnis des Menschen zu entwickeln.
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Interkulturelle Religionswissenschaft beschränkt sich als offene Systema‐tik nicht auf die Analyse der religiösen Quellen unter literarischen Ge‐sichtspunkten; sie hat auch ein undogmatisch, rein historisch erforschter Bezug zu Religionen der Menschheit. Interkulturelle Religionswissenschaft distanziert sich von jeglicher Art
von Absolutheitsansprüchen und kulturegoistischen Handlungsweisen. Interkulturelle bzw. interreligiöse Kompetenz spielt im Rahmen dieses Konzepts eine Schlüsselrolle, die noch zu behandeln sein wird. In der interkulturellen Religionswissenschaft gilt eine ›orthafte Ortlosig‐
keit‹ wie auch eine ›ortlose Orthaftigkeit‹.9 Ihre Notwendigkeit ist im Pro‐zeß der Globalisierung eine zukunftsgerichtete Neugestaltung der interre‐ligiösen Gegenwartskultur. Interkulturelle Religionswissenschaft wirft eine Reihe von Problemen
auf, die eine neue Historiographie erfordern. Zu ihren wesentlichen Auf‐gaben gehört vor allem die Überwindung einer Denkart, die einen konti‐nentzentrischen Ausgangspunkt a priori festlegt. Dieses unverkennbare Erbe der kolonialistischen Phase der westlichen Geschichte, die mit ande‐ren Kulturen, Religionen und Philosophien selektiv verfährt, ist durch eine interkulturelle Sichtweise zu ersetzen. Interkulturelle Religionswissenschaft nimmt nationale Identitäten wahr,
hält die interkulturelle Weltbürgerlichkeit für wichtig und ist ihrer welt‐bürgerlichen Bedeutung nach dem Weltbegriff verpflichtet. Sie räumt dem sensus numinis, der für Milliarden von Menschen zentral ist, den ihm ge‐bührenden Platz ein. Interkulturelle Religionswissenschaft nimmt an der Gestaltung des Welt‐
friedens teil und stellt keine Gebote und Verbote auf. Sie untersucht die Erscheinungsformen, vergleicht sie, klärt die Ursachen von Diskrepanzen und zeigt Wege zur Lösung der Probleme auf. In ihrem Zentrum steht ein rationales und ethisches Bewußtsein, welches dem generellen und essenti‐ellen Religionsverständnis vorausgeht. Wahrheits‐ und Wesensfrage dür‐fen nicht miteinander vermengt werden. Sonst »treten tatsächlich religiöse Denkurteile auf mit erschlichenen Prämissen gegen echte Denkurteile des
9 Mall, R. A.: Philosophie im Vergleich der Kulturen, 1995 S. 20.
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wissenschaftlichen Denkens.«10 Religion wird hier gesehen als »erlebnis‐hafte Begegnung mit dem Heiligen und antwortendes Handeln des vom Heiligen bestimmten Menschen.«11 Dieser doppelte Aspekt verbindet alle Religionen. »Von daher kann die Religion des anderen im Kern verstanden werden und sollte das Verstehen des anderen das Zusammenleben und Zusammenwirken der Religionen stimulieren.«12 Für die interkulturelle Religionswissenschaft ist die Kategorie des Heili‐
gen konstitutiv13: »Es ist die Frage«, stellt Hans Jonas (1903‐1993) fest, »ob wir ohne die Wiederherstellung der Kategorie des Heiligen, die am gründ‐lichsten durch die wissenschaftliche Aufklärung zerstört wurde, eine Ethik haben können, die die extremen Kräfte zügeln kann, die wir heute besitzen und dauernd hinzuerwerben und auszuüben beinahe gezwungen sind.«14 William James (1842‐1910) argumentiert in dieselbe Richtung und kritisiert darüber hinaus eine reine philologisch ausgerichtete Religionswissenschaft. Wir müssen uns nach James mit der Tatsache abfinden, »daß der Versuch, auf dem Wege der reinen Vernunft die Echtheit religiöser Befreiungserleb‐nisse zu demonstrieren, absolut hoffnungslos ist.«15 Die Kategorie des Heiligen läßt sich im interkulturellen bzw. interreligiösen Kontext verdeut‐lichen: Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam und die Zande (dar‐über später) können als Beispiel angeführt werden. »Das Heilige in diesen Religionen bildet in verschiedener Weise ihren Kern. Während der Budd‐hismus vom Nirvana ausgeht und das Judentum von Jahwe, ist Jesus als
10 Mensching, Gustav: Das religiöse Urteil. Ein Beitrag zur Wesensfrage, in:
Sozialistische Monatshefte, 28. Jg., Bd. 58, Berlin 1922 (520‐521), S. 521. 11 Mensching, Gustav: Die Religionen und die Welt. Typen religiöser Weltdeutung,
Bonn 1947 S. 17. 12 Tröger, Karl‐Wolfgang: Das Heilige als interreligiöse Kategorie, Mit Rudolf Otto im
Gespräch, in: RIG, Bd. 7, Neue Herausforderungen für den Interreligiösen Dia‐log, 2002 (92‐101), S. 98.
13 Zur Kategorie des Heiligen in der Religion, Philosophie und Religionswissen‐schaft vgl. Yousefi, H. R.: Der Toleranzbegriff im Denken Gustav Menschings. Eine interkulturelle philosophische Orientierung, Nordhausen 2004 S. 27‐41.
14 Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Kritik für die technologi‐sche Zivilisation, Frankfurt/Main 1989 S. 57.
15 James, William: Die Vielfalt religiöser Erfahrungen. Eine Studie über die menschli‐che Natur, Frankfurt/Main 1997 S. 447.
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Gottesgestalt für das Christentum, Allah für den Islam und Orakel, Magie und Hexerei für die sogenannten primitiven Kulturen wesentlich. Dies verhält sich mit allen anderen Religionen, Weisheitsreligionen oder religiö‐sen Vorstellungen nicht anders, die an ›Etwas‹ glauben, was für sie ›heilig‹ ist. Das Heilige kann neben magischen Vorstellungen auch auf Gegen‐stände bezogen sein. Deshalb kann von der ›unbestimmten Bestimmung des Heiligen‹ gesprochen werden, die je nach Vorstellung anders ausfallen wird.«16 Religionsverstehen kommt im Symbolverstehen zum Ausdruck, welches das Wesen der Religionen erfaßt. Eine interreligiöse und interkulturelle Orientierung sieht in dem Heiligen
das verbindende Glied unter den Religionen, das für den Dialog unerläß‐lich ist. Damit trägt sie dazu bei, durch den Dialog zu besseren Einsichten über das Eigene und das Fremde zu verhelfen und ein besseres Miteinan‐der in Gang zu bringen. Überlieferte Unterscheidungen, voreilige Identifi‐zierungen und Unterscheidungen, die häufig zu Polarisierungen führen, werden nicht mehr kritiklos akzeptiert. Im Kontext des Interkulturellen gilt es die Frage zu beantworten, ob wir
berechtigt sind, eine ›Superkultur‹ bzw. ›Superreligion‹ zu fördern, die den Anspruch erhebt, bestehende kulturelle bzw. religiöse Vorstellungen und Handlungsweisen zu ersetzen? Diese Frage ist kurz und deutlich mit nein zu beantworten. Interkulturelle Religionswissenschaft schafft einen integrativen Rahmen
zur Zusammenstellung der Ursachen von Vorurteilen und praktiziert eine parallele Heranziehung der kulturspezifischen und kulturübergreifenden Themen. Um Religionen zu verstehen, genügt es nicht, eine reine textuelle und philologische Orientierung zu pflegen. Das war die traditionelle Form der Religionswissenschaft. Im Kontext des Interkulturellen bzw. Interreli‐giösen geht es vielmehr darum, die religionsgeschichtliche Entstehung, die Gesamtheit der Lehre samt ihrer Soziologie und verbunden mit ihrer so‐
16 Yousefi, H. R.: Der Toleranzbegriff im Denken Gustav Menschings. Eine interkultu‐
relle philosophische Orientierung, Nordhausen 2004 S. 225. Diese unbestimmte Bestimmung läßt zu, daß die Lehre Buddhas nicht als ein onto‐theologischer Be‐griff aufgefaßt wird. Auch wenn Mensching trotz aller Differenzen das Überlap‐pende unter den Religionen hervorhebt und es als das Heilige bezeichnet, darf es nach buddhistischem Verständnis nicht ontologisiert werden.
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zialen Struktur, das Fundament sakraler Vorstellungen, subjektiver Erfah‐rungen und das religiöse Verhalten in den Religionen in den Blick zu neh‐men und diese mit denselben Aspekten anderer Religionen in Beziehung zu setzen. Diese dialogorientierte Begegnung der Religionen nimmt fremd‐kulturelle Muster wahr, ohne darauf gerichtet zu sein, sie negativ oder positiv zu bewerten, da eine dauernde negative Bewertung eine kultur‐spezifische Relevanzverletzung darstellt. Interkulturelle Religionswissenschaft leitet auf dem Gebiet des Religiösen
eine gründliche Auseinandersetzung mit der Boulevard‐ und Qualitäts‐presse ein, die vorwiegend konfliktorientiert und einseitig ausgerichtet ist und bei der Auseinandersetzung mit Nichteuropäern zynische Züge auf‐weisen. Interkulturelle Religionswissenschaft stellt sich, wie Olaf Schumann in
seinem Beitrag darauf hinweist, auch dem oberflächlichen und irreführen‐den Populismus der sogenannten ›Sachbücher‹ von Pseudo‐seriösen und Pseudo‐Experten wie Peter Scholl‐Latour, Gerhard Konzelmann und vielen anderen Schriftstellern, die auf einer unwahrhaftigen und beängstigenden Exotik ein verzerrtes Bild von anderen Religionen ausmalen.17 Umfassende Studien weisen auf die Gefahr hin, daß dieser Tendenzjournalismus das Fach Religionswissenschaft obsolet machen könnte.18 Interkulturelle Religionswissenschaft plädiert für einen friedensorien‐
tierten Journalismus, der auf die folgenden vier Orientierungen nicht ver‐zichten kann: Er ist wahrheitsorientiert und demzufolge konfliktorientiert, zweitens ist er menschlichorientiert und demzufolge lösungsorientiert. Der Friedensjournalismus fügt zusammen, was die Tendenzjournalisten stets mißachten und auseinanderdividieren.19 Friedensjournalismus geht bei der
17 Zu diesem Thema vgl. Yousefi, H. R. und Ina Braun: Interkulturelles Denken oder Achse des Bösen. Das Islambild im christlichen Abendland, Nordhausen 2005. Vgl. auch Rotter, Gernot: Allahs Plagiator. Die publizistischen Raubzüge des ›Nahost‐experten‹ Gerhard Konzelmann, Heidelberg 1992.
18 Vgl. Schönhuth, Michael: Ist da wer? Strategien und Fallstricke einer populären Eth‐nologie, in: Aus der Ferne in die Nähe. Neue Wege der Ethnologie in die Öffen‐tlichkeit, hrsg. v. Ursula Bertels und Birgit Baumann, Münster 2004 (77‐104).
19 Vgl. Galtung, Johan: Beiträge zur Friedens‐ und Konfliktforschung, Hamburg 1975 S. 41.
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Konfliktlösung nicht von idealistischen Harmonievorstellungen aus, son‐dern von realen Fakten. Im Rahmen der interkulturellen Religionswissenschaft gilt es unter ande‐
rem die bereits von dem rumänischen Religionswissenschaftler Mircea Eliade (1907‐1986) gestellte Frage zu beantworten, warum außereuropäi‐sche Kulturen im europäischen Raum in ihrer Vollständigkeit unbekannt geblieben sind. Jenen gelang es nicht, breiten Eingang in die Kultur zu fin‐den, wie dies in der ›ersten Renaissance‹ der gräkolateinischen Kultur ge‐lungen war. Eliade geht davon aus, daß die Entdeckung des Avesta, des Sanskrit, der Upanischaden und des Buddhismus Ende des 18. und im 19. Jahrhundert in Europa zu sehr auf den Bereich der Philologie beschränkt blieb und dadurch die Etablierung des asiatischen Geistes als eine ›zweite Renaissance‹ verhindert wurde.20 Ein zentrales Anliegen der interkulturellen Religionswissenschaft besteht
darin, eine ›dritte Renaissance‹ zu vollziehen, unterschiedliche Traditionen nicht nur mit ihren je eigenen Frage‐ und Problemstellungen, sondern auch mit ihren je eigenen Lösungsansätzen als gleichberechtigte Diskursbeiträge zusammenzubringen. An dieser Stelle setzt Helmuth Plessner (1892‐1985) an. Er geht von dem
›Prinzip der offenen Frage‹ aus und warnt vor dem kategorischen An‐spruch auf Absolutheit, apriorischen Kategoriensystemen und dem Ver‐such, Kulturen stufentheoretisch zu behandeln. Aus dem Geist dieser reli‐gionswissenschaftlichen Praxis entwickelten sich Diskursformen, die bis‐lang die Möglichkeit einer interkulturellen bzw. interreligiösen Kommuni‐kation und Verständigung im Keim erstickten21: — der apologetische Diskurs, in dem die eigene Religion verteidigt wird und
immer wieder auf Trennendes zu anderen Religionen verwiesen wird, die als etwas Unheimlich‐Unverstandenes dargestellt werden,
— der Romantisierungsdiskurs, in dem schwärmerisch‐exotische Vorstellun‐gen im Mittelpunkt stehen. Hier spielt die Geographie des Denkens eine Rolle: Vernunftbezogenes, begrifflich stringentes und sachlich ausdiffe‐
20 Vgl. Eliade, Mircea: Die Sehnsucht nach dem Ursprung, Wien 1973 S. 76. Vgl. auch
Mall, R. A.: Philosophie im Vergleich der Kulturen, 1995 S. 23. 21 Vgl. Yousefi, H. R. und Ina Braun: Interkulturelles Denken oder Achse des Bösen,
2005 S. 101.
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renziertes Denken wird als westliches Attribut vereinnahmt, während ir‐rationales und exotisch‐schwärmerisches, unberechenbar‐tyrannisches Dasein als fremd gilt. Mit diesem Diskurs geht die Degradierung des Fremden zum Projektionsobjekt Hand in Hand,
— der Mitleidsdiskurs, der von der Darstellung von Chaos, Rückständigkeit, Hilflosigkeit, Krankheit, Armut, Gewalt oder allgemeiner Unfähigkeit zu effektivem ökonomischen Handeln usw. geprägt ist,
— der paternalistische Bevormundungsdiskurs, welcher der Einschätzung folgt, die Fremdgruppe bedürfe der notwendigen Hilfe von außen. Dieser Diskurs enthält insbesondere die Strategien der Entsubjektivierung, des Nicht‐Anhörens und Nicht‐Ernstnehmens und beinhaltet für die eigene Gruppe ein privilegiertes Rederecht.
Die Praxis solcher Diskurse zeigt, daß keine Kultur bzw. Religion ganz frei von Reduktionismus, Fanatismus und Gewaltbereitschaft ist oder sich da‐von freisprechen kann. Im Geist der interkulturellen Religionswissenschaft faßt Plessner zu‐
sammen: »In dem Verzicht auf die Vormachtstellung des europäischen Wert‐ und Kategoriensystems gibt sich der europäische Geist erst den Ho‐rizont auf die ursprüngliche Mannigfaltigkeit der geschichtlich geworde‐nen Kulturen und ihrer Weltaspekte frei. In dem Verzicht auf die Absolut‐heit der Voraussetzungen, welche diese Freilegung selbst erst möglich ma‐chen, werden diese Voraussetzungen zum Siege geführt. Europa siegt, indem es entbindet.«22
Methodologische Perspektive der interkulturellen Religionswissenschaft Jede wissenschaftliche Ausrichtung bildet eigene Theorien und hat ein eigenes Inventar von Methoden, mit denen Erkenntnisse erzielt werden können. Die Methode der interkulturellen Religionswissenschaft ist die verglei‐
chend‐dialogische. Sie legt großen Wert auf die Exploration und Erkun‐dungsmethode, um die Lebenswirklichkeit des Anderen in seiner Anders‐heit aus nächster Nähe zu erleben. Auch verfährt sie vergleichend‐kultur‐analytisch und will damit zur Selbstreflexion verhelfen und die Interaktion fördern.
22 Plessner, Helmuth: Zwischen Philosophie und Gesellschaft, Frankfurt/Main 1979 S. 299.
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Interkulturelle Religionswissenschaft setzt methodisch bei der Enge kul‐turalistischer Tendenzen an, die das tertium comparationis auf allen fachwis‐senschaftlichen Gebieten von vornherein für alle Vergleiche und für alle Kommunikationen festlegen. Hierauf beruhen Theorien und Lehren, in deren Namen Gewalt ausgeübt wurde: Kolonialismus, Imperialismus und Expansionismus. Das eigentliche Defizit vieler vergleichender Studien war, daß sie den Maßstab des Vergleichs in einer bestimmten Tradition fixierten. Eigene kulturelle Handlungsweisen werden als Meßlatte hypostasiert, ver‐absolutiert und mit fremden Handlungsweisen beliebig verglichen. James plädiert für die Konzeption einer »unparteiischen Religionswissenschaft«23, die das tertium comparationis nicht an einer bestimmten religiösen Tradition fixiert. Es ist ein Anliegen der interkulturellen Orientierung, das tertium compara‐
tionis nicht ausschließlich in einer bestimmten Tradition zu fixieren, denn dies würde praktisch bedeuten, das Ergebnis des Vergleichs schon ab ovo vorwegzunehmen. Einer der Gründe, warum vergleichende Studien der letzten Jahrhunderte uns eher enttäuschen und nicht zum erhofften Erfolg geführt haben, mag hierin zu suchen sein. Zu den Praktiken der interkulturellen Religionswissenschaft gehört me‐
thodisch die Berücksichtigung der religiös‐spirituellen Dimension, die seit der Aufklärung vernachlässigt worden ist. Die Aufklärung setzte an die Stelle der religiösen und politischen Autorität die Vernunft, obwohl die Aufklärer selbst wußten, daß das Überrationale in erheblichem Maße die menschlichen Entscheidungen und ›vernünftigen‹ Einstellungen mitprägt. Die Aufklärung ist für die bessere, vernünftigere, humanere und mensch‐lich weiterentwickelte Epoche gehalten worden, blieb aber einem theoreti‐schen Rahmen verhaftet. Beide Dimensionen sind zu berücksichtigen auf‐grund der Erkenntnis, daß eine Ausklammerung des Religiösen eine Denk‐art abstrakt macht, eine Vernachlässigung der Vernunft sie blind bleiben läßt. Die interkulturelle Religionswissenschaft arbeitet mit Methoden, die
auch anderen Einzeldisziplinen eigen sind. Sie beschäftigt sich sowohl mit Fakten als auch mit Wegen und Problemen und ist weder ethnisch noch konfessionell. Die geistige Einheit der Religionen und die Forderung nach
23 James, W.: Die Vielfalt religiöser Erfahrungen, 1997 S. 447.
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ihrer Zusammenarbeit in gemeinsamem friedlichen Wirken ergeben sich »aus den Errungenschaften der Vergleichenden Praktischen Religionswis‐senschaft.«24
Analogische Hermeneutik Die traditionelle, reduktive Hermeneutik ging immer von einem dicho‐tomen Denken ›wie ich mich selbst verstehe‹ und ›wie ich das Fremde ver‐stehe‹ aus. Seit den 1980er Jahren hat diese Form von hermeneutischer Praxis, die den Kern der bisherigen Religionswissenschaft bildet, mit der Entstehung der ›Interkulturellen Hermeneutik‹ eine Erweiterung erfah‐ren.25 Diese modifiziert die traditionell‐dualen Denkwege um zwei weitere Dimensionen und fragt: 1. wie ich mich selbst verstehe, 2. wie ich das Fremde verstehe, 3. wie das Fremde sich selbst versteht, 4. wie das Fremde mich versteht. Pragmatisch‐hermeneutische Religionswissenschaft erfolgt in zwei aufein‐ander abgestimmten Schritten. Sie ist geleitet von einer parallelistischen Selbst‐ und Fremdhermeneutik. Diese analogische Hermeneutik26 muß stets engagiert vollzogen werden und hat einer permanenten Selbst‐ und Fremdprüfung oder Selbst‐ und Fremdkritik standzuhalten. Diese bei der Komparatistik der Kulturen, Religionen und Philosophien innerhalb der interkulturellen Religionswissenschaft zum Tragen kommende Herme‐neutik bezeichne ich als ›Engagierte Hermeneutik‹. Daß ohne eine vierfache Hermeneutik nicht auszukommen ist, macht der
Vergleich der westlichen Logik mit derjenigen des Stammes der Zande, einer heterogenen zentralafrikanischen Bevölkerungsgruppe, deutlich. Nach David Bloors Auffassung unterliegt die Anwendung von Logik im‐mer und überall unlogischen Motiven. Grenzen und Gehalt logischer Be‐ 24 Yousefi, H. R. und Ina Braun: Gustav Mensching – Leben und Werk, Würzburg
2002 S. 313. 25 Vgl. Mall, Ram Adhar: Die orthafte Ortlosigkeit der Hermeneutik. Zur Kritik der
reduktiven Hermeneutik, in: Widerspruch, Münchner Zeitschrift für Philoso‐phie, Jg. 8, Nr. 15, München 1988 (38‐49).
26 Vgl. Mall, Ram Adhar: Essays zur Interkulturellen Philosophie, hrsg. v. H. R. You‐sefi, Nordhausen 2003 S. 141.
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griffe werden nicht entdeckt, sondern geschaffen. Der Aufbau logischer Schemata sei nur ein Weg, um Gedanken nachträglich zu ordnen. Sie sind als Verhandlungsgegenstand anzusehen, der durch andere, ebenso logisch erscheinende Strukturen ersetzt werden kann. Die Zande sind der Auffassung, daß sich die Anlage zur Hexerei auf
männliche Nachfahren vererbt. Demnach müßten sie anerkennen, daß alle männlichen, miteinander verwandten Mitglieder ihres Stammes ipso facto Hexer sind. Da dies in der Praxis aber nicht der Fall ist, lehnen sie diesen logischen Schluß, der eine ihrer wichtigsten sozialen Institutionen unhalt‐bar machen würde, ab.27 Daß nicht der gesamte Stamm eines Hexers aus Hexen besteht, erklären sie sich dadurch, daß manche zwar das Potential zum Hexer haben, es in ihnen aber nicht aktiviert ist. Innerhalb ihrer Gren‐zen bildet diese Logik ein sich selbst genügendes Ganzes, das dann ver‐fälscht wird, wenn es als Bruchstück eines größeren oder anderen Ganzen angesehen wird. In der westlichen Welt ist die Anwendung logischer Schemata nicht an‐
ders. So gilt als ein Mörder jemand, der einen anderen Menschen absicht‐lich tötet. Ein Bomberpilot wird hingegen nicht als Mörder angesehen. Zur Rechtfertigung hierfür dient eine Fülle an Unterscheidungen und logischen Argumenten. Die Infragestellung der institutionell sanktionierten ›Arbeit‹ eines Bomberpiloten käme nämlich einer Revolution gleich. Dieser Ver‐gleich zeigt, daß sich die Logik überall, insbesondere dann, wenn es sich um religiöse Angelegenheiten handelt, ähnelt: »Die Abneigung, die ›logi‐sche‹ Schlußfolgerung aus ihren Glaubensinhalten zu ziehen, ähnelt sehr unserer Abneigung, unsere Glaubensinhalte des gesunden Menschenvers‐tandes und unsere fruchtbaren wissenschaftlichen Theorien aufzugeben.«28 Wirkliches Verständnis füreinander kann nur dann entstehen, wenn ver‐
sucht wird, jede Kultur aus ihrer eigenen Logik heraus zu verstehen. Um 27 Vgl. Bloor, David: Die Logik der Zande und die westliche Logik, in: Soziale Struktur
und Vernunft. Jean Piagets Modell entwickelten Denkens in der Diskussion kulturvergleichender Forschung, hrsg. v. Traugott Schöfthalter u.a., Frankfurt/‐Main 1984 (157‐168), S. 158.
28 Bloor, David: Die Logik der Zande und die westliche Logik, in: Soziale Struktur und Vernunft. Jean Piagets Modell entwickelten Denkens in der Diskussion kultur‐vergleichender Forschung, hrsg. v. Traugott Schöfthalter u.a., Frankfurt/Main 1984 (157‐168), S. 166.
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mit Wilhelm Dilthey (1833‐1911) zu sprechen, setzt »unser Handeln [...] das Verstehen anderer Personen überall voraus.«29 Der Betrachter eines Sachverhaltes muß den jeweiligen Entstehungskontext begreifen und sich seiner subjektiven Sicht bewußt werden. Dabei muß er sich dessen bewußt sein, daß er nie zum originären Ursprung eines für ihn fremden Gedankens zurückfindet, sondern lediglich in einer ›Bedeutungsrekonstruktion‹ ver‐suchen kann, sich diesem so gut wie möglich anzunähern.
Geographie des Denkens Innerhalb der Kommunikationsforschung wird das Thema ›Geographie des Denkens‹30 kontrovers diskutiert. Diese berührt unter anderem die methodische Grundlage der religionswissenschaftlichen Tätigkeit. Wäh‐rend die eine Richtung grundlegende menschliche Denkmechanismen in der Regel als gleichförmig ansieht und davon ausgeht, daß diese nicht von kulturellen Prägungen herrühren, sondern auf genetisch verankerten Me‐chanismen beruhen, vertritt die Gegenseite die Auffassung, diese Mecha‐nismen seien durch äußere Faktoren wie Kultur, Tradition, Religion oder Weltanschauung beeinflußt. Ein Beispiel hierfür ist die Klassifizierung des westlichen Denkens als vorwiegend linear bzw. analytisch, wobei die Wur‐zeln dieser spezifischen Ausprägung des Denkens in der griechischen Tra‐dition und in der römischen Rechtsprechung gesehen werden. Demgegen‐über wird fernöstliches Denken als eher kreisförmig, d.h. als holistisch bezeichnet, wobei nicht die griechische, sondern andere Traditionen als prägend angesehen werden. Die Problematik der ›Geographie des Denkens‹ beruht darauf, daß hier
Ergebnisse statistischer Untersuchungen zu Typen verallgemeinert wer‐den. Der Typus läßt aber keine Aussagen über das Denken eines beliebigen Individuums in einer der beiden Kulturen zu und sagt nichts über Teil‐kulturen aus. Auch besagt er nichts über die Wahrheit der auf seiner Basis getroffenen Aussagen. Eine generalisierende ›Geographie des Denkens‹ ist
29 Dilthey, Wilhelm: Die Entstehung der Hermeneutik, in: Die geistige Welt. Einlei‐
tung in die Philosophie des Lebens. Gesammelte Schriften, Bd. 5, 8. Aufl., Stutt‐gart 1990 S. 317.
30 Vgl. Nisbett, Richard E.: The Geography of Thought. How Asians and Westerners Think Differently … and Why, New York 2003.
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empirisch inadäquat. Beide Denkmodelle, sowohl das analytische wie auch das holistische, sind fehlbar. Die interkulturelle Religionswissenschaft vermeidet Dualisierungen, die völlig differenzorientiert sind.
Interkulturelle Kompetenz Als conditio sine qua non für eine interkulturelle und interreligiöse Verstän‐digung und Kommunikation im Rahmen der interkulturellen Religions‐wissenschaft ist die interkulturelle und interreligiöse Kompetenz anzuse‐hen. Jede Religion hat eine eigene, nicht immer explizierte Werte‐ und Normenorientierung und begriffliche und theoretische Bezugssysteme. Interkulturelle Kompetenz wird dort nötig, wo sich Menschen mit unter‐schiedlichen Denkmustern, Wertvorstellungen, Kommunikations‐ und Verhandlungsstilen begegnen. Sie stellt eine Fähigkeit und eine Fertigkeit dar. Als Fähigkeit muß sie entwickelt und kultiviert werden, auch wenn sie als eine Disposition angeboren sein sollte. Als Fertigkeit zielt sie auf die Anwendung dieser Fähigkeit auf unterschiedlichen Gebieten des menschli‐chen Lebens. Interkulturelle bzw. interreligiöse Kompetenz setzt die Reali‐sation und Anwendung der spirituellen Tugend einer freiwilligen Selbstbe‐scheidung und ‐begrenzung voraus, verbunden mit Rücksichtnahme. Sie bedeutet »die dauerhafte Fähigkeit, mit Angehörigen anderer Kulturen erfolgreich und kultursensibel interagieren zu können.«31 Diese Schlüsselqualifikation ist in gesellschaftlicher, religiöser wie auch
in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht von Bedeutung. Die Schritte aus der dialogischen Kulturanthropologie zum Selbst‐ und Fremdverste‐hen und zur Kommunikation führen durch ›Interkulturelles Lernen‹ zu ›Interkultureller Kompetenz‹. In einem komplexen Prozeß aus individuel‐len, selbstreflexiven und kommunikativen Phasen werden soziale Erfah‐rungen gemacht und gemeinsam reflektiert. Vorhandene, biographisch überlieferte und bewährte Welterklärungen werden durch den kommuni‐kativen Vergleich und die Erfahrung neuer Deutungsmuster zu neuen Interpretationen entwickelt. Mit diesem Konzept wird die Nähe zum päd‐agogischen Konstruktivismus deutlich, nach dem Lernen nicht die Ver‐
31 Grosch, Harald/Wolf Rainer Leenen: Bausteine zur Grundlegung interkulturellen Lernens, in: Interkulturelles Lernen. Arbeitshilfen für die politische Bildung, hrsg. v. d. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998 (29‐46), S. 29.
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mittlung von Inhalten, sondern die Reflexion eigener Deutungen ist. Inter‐kulturelle Kommunikation kann zum Erfolg führen, wenn das Urteil, das man über eine fremde Kultur erarbeitet hat, auch von einem Angehörigen dieser fremden Kultur Zustimmung erhält. Ein echter Dialog setzt nicht nur interkulturelle, sondern zugleich soziale und individuelle Kompetenz voraus. Zur interkulturellen bzw. interreligiösen Kompetenz gehört wesentlich
die Überzeugung, daß die eine ›Wahrheit‹, auf welchem Gebiet auch im‐mer, in niemandes Besitz ist und von niemandem in Besitz genommen werden kann. Eine absolute Wahrheit, die gelehrt werden könnte, gibt es nicht. Dieses Dilemma macht noch heute den Philosophen, Theologen und Politikern zu schaffen, sofern sie in der pluralistischen Diktion einen Verrat an der ›einen Wahrheit‹ sehen. Die Wahrheit in meiner Tradition darf nicht gleichgesetzt werden mit der Wahrheit meiner Tradition. Diese Unter‐scheidung führt zur These von der Überlappung von Gedankengehalten, die weder miteinander identisch noch einander völlig fremd sind. Ein so verstandenes interkulturelles Ethos ist eine notwendige und hinreichende Bedingung für interkulturelle Begegnungen auf jedwedem Gebiet. Neben der Gesellschaft sind zwei Institutionen für die Erziehung zur
Toleranz wesentlich: das Elternhaus und die Schule. Während die Heran‐wachsenden zu Hause nach dem Wunsch der Eltern in religiöser Zugehö‐rigkeit erzogen werden, wird dies in der Schule in Form von konfessionel‐lem Religionsunterricht praktisch fortgesetzt. Es geht um die Frage, ob durch die Konfessionalisierung des Religionsunterrichts nicht die Intole‐ranz gefördert wird. Es ist für Kinder oft unverständlich, warum es evan‐gelischen, katholischen oder islamischen Religionsunterricht geben muß. Um die Gleichrangigkeit der Religionen auch objektiv zu demonstrieren, sollte vielmehr von ›Religionskunde‹ die Rede sein. Religionskunde hat die Absicht, verschiedene Religionen wertneutral darzustellen, ohne eine Überzeugung der anderen unter‐ oder überzuordnen. Die Didaktik eines derartigen religionsbezogenen Unterrichts, die einen hermeneutischen Vorgang bedeutet, trägt dazu bei, den Unterricht möglichst beschreibend‐analytisch zu konzipieren und den unausweichlichen normativen Hinter‐grund des Unterrichts minimal zu halten.
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Angewandte Toleranz
Das Toleranzkonzept Gustav Menschings Nach Gustav Mensching (1901‐1978) ist eine wichtige Aufgabe der Religi‐onswissenschaft die Friedenssicherung auf interreligiöser Ebene durch Toleranz und Dialogbereitschaft. Er prägte den Begriff der ›inhaltlichen Toleranz‹.32 Menschings Anliegen war, die bloße Theorieverhaftetheit der traditionellen Religionswissenschaft zu überwinden. Mit ihrer ausschließ‐lich vergleichenden oder nur philologisch ausgerichteten Perspektive, die sich auf den bloßen Vergleich der einzelnen abstrahierten Erscheinungs‐formen von Religionen beschränkt, schien sie methodisch reduziert. Er verfolgte das Ziel, die Religionswissenschaft zu einer angewandten Wis‐senschaft weiterzuentwickeln. Signifikant ist dies bei seiner Toleranzidee, die 1929 mit dem Beitrag ›Duldsamkeit‹ beginnt und 1978 im letzten Werk ›Buddha und Christus‹ abgeschlossen wird. Die Verwirklichung von Tole‐ranz hält Mensching für eine der Aufgaben, die in der Gegenwart mit be‐sonderer Dringlichkeit gestellt ist. Er unterschied formale Toleranz und Intoleranz von inhaltlicher Toleranz und Intoleranz und äußere Toleranz und Intoleranz von innerer Toleranz und Intoleranz.33 Im folgenden soll der Fokus kurz auf der formalen und inhaltlichen Toleranz und Intoleranz liegen. Formale Toleranz läßt andere Religionen, Kulturen und politische Auf‐
fassungen unangetastet, d.h., sie duldet diese nur, und zwar aus Gründen der Staatsräson. Die formale Intoleranz zwingt die Vertreter anderer Kultu‐ren oder Überzeugungen zur Unterwerfung unter eine Institution. Inhaltliche oder Angewandte Toleranz besteht in der positiven Wahr‐
nehmung fremder Kulturen oder Überzeugungen als echter und berech‐
32 Vgl. Mensching, Gustav: Toleranz und Wahrheit in der Religion (1955), Hamburg 21966. 33 Vgl. Mensching, Gustav: Toleranz und Wahrheit in der Religion, 21966 S. 18 ff. An
anderer Stelle habe ich Menschings Toleranzbegriff eingehend untersucht und seine Konzeption als Angewandte Toleranz weitergeführt. Vgl. Yousefi, H. R.: Der Toleranzbegriff im Denken Gustav Menschings, 2004 und ders.: Zur Philosophie der angewandten Toleranz. Eine interkulturelle Perspektive, in: Tradition und Tra‐ditionsbruch zwischen Skepsis und Dogmatik. Interkulturelle philosophische Perspektive, hrsg. v. Claudia Bickmann u.a., (Studien zur Interkulturellen Philo‐sophie Bd. 16), Amsterdam 2006 (355‐371).
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tigter alternativer Lebensauffassungen. Inhaltliche Intoleranz hingegen bekämpft fremde Kulturen oder Überzeugungen um der vermeintlichen Wahrheit willen. In der dialogischen Theorie der Angewandten Toleranz werden Beson‐
derheiten der Religionen und Kulturen berücksichtigt. Angewandte Tole‐ranz fördert die ›ästhetische Kultur‹ des Einzelnen, auf welche die ›politi‐sche Kultur‹ angewiesen ist. Toleranz ohne Sensibilität artet oft in Intole‐ranz aus. Wem die Sensibilität fehlt, um zu bemerken, daß es sich bei den Anschauungen eines anderen Menschen um eine prinzipielle Differenz, einen kulturellen Unterschied und nicht bloß um eine beliebige Abwei‐chung handelt, der macht von Toleranz keinen Gebrauch und provoziert Mißverständnisse. Mit seinem Toleranzpostulat beabsichtigte Mensching, nicht nur ein in‐
teressantes akademisches Phänomen aus der Religionswissenschaft vorzu‐stellen, sondern es ging ihm um ein »die menschliche Existenz heute zu‐tiefst betreffendes Anliegen.«34 Toleranz soll den Dialog der Religionen ermöglichen. Seine interreligiöse Orientierung bringt die Aufgaben der Angewandten Religionswissenschaft auf eine Formel für die Gegenwart und die Zukunft: »Eine Begegnung der Religionen und ein Gespräch zwi‐schen ihnen hat weltweit begonnen. Die Religionswissenschaft kann für eine solche Auseinandersetzung wertvolle Beiträge und Voraussetzungen liefern; denn sie sollte, wenn sie einen Wert haben soll, ohne anerzogene Vorurteile geschehen. Gerade diese Vorurteile aber sind es in den Religio‐nen selbst, welche immer wieder auch im kulturellen Leben der Völker als retardierende Kräfte sich bemerkbar gemacht haben und noch machen. Viele solcher Vorurteile vermag die Religionswissenschaft zu beseitigen, und wenn sie sich auch heute der Grenzen rein rationalistischer Aufklä‐rung, aus der sie entsprang, bewußt ist, so trägt sie doch noch zu Recht auch positive Werte der Aufklärung mit sich.«35 Mit dieser Überlegung werden die Grenzen der traditionellen Religionswissenschaft zu anderen Disziplinen geöffnet. Ihr thematisches Spektrum reicht vom Erkennen in‐terreligiöser Pathologien bis zu dialogischer Kulturanthropologie.
34 Mensching, G.: Toleranz und Wahrheit in der Religion, 21966 S. 16. 35 Mensching, Gustav: Die Weltreligionen, Darmstadt 1972 S. 281 f.
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In seiner praktischen Hermeneutik expliziert Mensching die Analyse des Selbst‐ und Fremdverstehens als Voraussetzung für das reziproke Verste‐hen der Kulturen in ihrem Anderssein. In ›Gut und Böse im Glauben der Völker‹ (1941) gibt er auf die Frage ›Was ist der Mensch und was ist die Wahrheit?‹ die Antwort, daß eine religionswissenschaftliche Anthropologie einen selbst‐ und fremdhermeneutischen Blick nicht aus den Augen verlie‐ren darf. In ›Der Irrtum in der Religion‹ (1969/2003) gelingt es ihm, durch diese doppelte Sicht Fehl‐ und Vorurteile, welche Religionen unter Beru‐fung auf verschiedene Schriften und Überlieferungen gegeneinander an‐führen, zu beschreiben und zu analysieren.36 Ebenso ist die Betrachtung der ›Lebensmitte‹ der Religionen von hermeneutisch‐philosophischer Trag‐weite. Die Toleranzideen Menschings können für den Beginn einer prag‐matisch‐hermeneutischen Religionswissenschaft fruchtbar gemacht wer‐den.37 Dessen praktisch‐integratives Wissenskonzept war nicht »museale Bestandsaufnahme exotischer Kuriositäten, sondern lebendige Vermittlung der vielfältigen Erscheinungsformen menschlicher Religiosität.«38 Bereits Menschings frühe theologische Bemühungen aus den 1930er Jah‐
ren sind von integrativen Erwägungen geleitet. Er versucht, im Denken der Menschen einen Gleiswechsel zu religiöser und kultureller Mündigkeit 36 Vgl. Mensching, Gustav: Gut und Böse im Glauben der Völker, Leipzig 1941 und Der Irrtum in der Religion. Eine Einführung in die Phänomenologie des Irrtums (1969), 2. Aufl., eingeleitet und hrsg. v. H. R. Yousefi und Klaus Fischer, mit ei‐nem Nachwort von Udo Tworuschka, Nordhausen 2003.
37 Menschings frühere Versuche, Selbsthermeneutik zu betreiben, sind unvollstän‐dig. Insbesondere die Toleranzidee enthält keine philosophisch‐hermeneutische Konzeption. In seinen reifen Jahren erkannte er Lücken und versuchte, Theorien nur aus der Praxis selbst zu gewinnen. Das Primat der Praxis vor der Theorie ist für ihn konstitutiv, wenn er beklagt: »Die in der Literatur vorliegenden Versuche [...] sehen entweder die fremden Religionen schief und vergleichen Höhen der eigenen Religionen mit Tiefen der Fremdreligion, oder sie stellen die eigene dogmatische Theorie neben die vielleicht vielfach trübe fremdreligiöse Praxis.« Mensching, G.: Toleranz und Wahrheit in der Religion, 1955 S. 147.
38 Klimkeit, Hans‐Joachim: Miscellanea, Prof. Dr. Dr. h.c. Gustav Mensching, in: Zeit‐schrift für Religions‐ und Geistesgeschichte, Leiden, 31. Jg., Köln 1979 (203‐205), S. 203; vgl. auch ders.: Vergleichen und Verstehen in der Religionswissenschaft, Vor‐träge der Jahrestagung der DVRG vom 04. bis 06. Oktober 1995 in Bonn, hrsg. v. Hans‐Joachim Klimkeit, Wiesbaden 1997.
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herbeizuführen. Mit der späteren Idee der geistigen Einheit aller Religio‐nen, die als Fazit aus seinem religionssoziologischen Schrifttum zu ziehen ist, fordert er Toleranz und Anerkennung zwischen den Religionen. Selbst‐autonomie und Fremdanerkennung sind ihm oberstes Prinzip. Die Konzipierung der Idee einer Weltuniversität, die als Kernpunkt auf
das ›Postulat Weltgewissen‹ verweist, hat ebenfalls einen praktisch‐inte‐grativen Bezug zur realen Begegnung der Religionen. Die Weltuniversität sollte das Konzept der Angewandten Religionswissenschaft realisieren. Für das zwischenkulturelle Verständnis nützt er eine positive latente Funktion der Religionen, das Weltgewissen: »Daß aber solches Weltgewissen mög‐lich wäre, beruht auf der Tatsache, daß die Religionen der Welt in vielen zentralen Fragen des ethischen Handelns und der Gesinnung völlig einig sind.«39 Die Angewandte Religionswissenschaft sieht Mensching folgender‐maßen verwirklicht: »Hier [...] wäre in einmaliger Weise die Möglichkeit gegeben, nicht nur aus den Textquellen der Religionen, sondern durch lebendige Anschauung im täglichen Umgang mit Anhängern der verschie‐denen Religionen und durch das sachliche Gespräch jenes Erkennen der letzten Einheit und ein Verstehen der verschiedenen Religionen, ihrer An‐hänger und damit der von diesen Religionen vorzugsweise bestimmten Völker zu führen. Wenn also das erklärte Ziel der Weltuniversität darin bestehen soll, den Frieden der Welt durch eine Mobilisierung der Seelen und Geister zu gründen und zu sichern, dann dürfte [...] ein Studium der vergleichenden Religionswissenschaft geeignet sein, die Vertreter der ver‐schiedenen Religionen auf der Basis erkannter letzter Einheit einerseits und des Rechtes der religiösen Eigenart anderseits zu echter inhaltlicher Tole‐ranz zu führen.«40 Das christliche Abendland hat sich nach Mensching den seelischen
Mächten weitgehend entfremdet. Es sei ein Versäumnis, daß sich die Wort‐führer monotheistischer Religionen der Philosophie und Weisheit des Ostens nicht öffneten. Wahrheitsstreben sollte ohne traditionelle Vorurteile und egoistische Begrenzungen »die Völker vereinen und auf diesem Wege
39 Mensching, Gustav: Gut und Böse im Glauben der Völker, 21950 S. VIII. 40 Mensching, Gustav: Wesen und Bedeutung der Religionswissenschaft an der Welt‐Universität, Vortrag, gehalten am 07.12.1957 anläßlich der Arbeitstagung in Stuttgart (1‐13), S. 13 f.
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zum Frieden führen. Echte Auseinandersetzung, in der jeder das beisteuert, was er als Bestes und Edelstes in seiner Tradition besitzt, ist nötig.«41 Die Kenntnis der Gedankenwelt anderer Religionen ist für das zwischenkultu‐relle Verständnis unerläßlich. Dies bezieht sich auf die Relationen aller Religionsgemeinschaften untereinander, nicht nur auf das Zusammenleben von Christen und Nichtchristen in Europa. Johan Galtung schlägt die Ein‐richtung einer Weltuniversität vor. Für ihn ist die Weltuniversität »der Versuch, ein transnationales Institut zu schaffen, an dem die Loyalitäten des Lehrkörpers und der Studenten einen allgemeinen, nicht einen natio‐nalen Charakter haben würden. Schon die Struktur einer solchen Univer‐sität sollte für die Friedensforschung von besonderem Interesse sein.«42
Gedanken zu den Grenzen der Toleranz Es ist eine schwierige Frage, wo Toleranz aufhört und wie ihre Grenzen bestimmt werden können. Was bedeutet eine einseitige Grenzbestimmung praktisch? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, diese Grenze auch demjeni‐gen gegenüber zu rechtfertigen, dessen Standpunkt jenseits dieser Grenze liegt? Welche Formen der Konfliktaustragung und der Bekämpfung von Intoleranz sind tragbar, welche nicht? Wie sieht die moralische, religiöse und politische Grenze der Toleranz im Vergleich der Kulturen und Reli‐gionen aus? Wo liegt der Referenzmaßstab, sollte es überhaupt einen ge‐ben, für die Spannbreite an Ideen, Theorien, Handlungen und Praktiken, die wir tolerieren wollen, und wo wird er verletzt? Wer definiert diesen Maßstab, und wer manipuliert ihn? Welche Rolle spielt dabei legitime und nicht legitime Machtausübung? Wie lauten die Antworten der bestehenden Religionswissenschaft auf diese Fragen? Es ist ein Faktum, daß eine apriorische Grenzbestimmung der Toleranz,
die für alle Zeiten und Zonen absolute Gültigkeit besitzen soll, die Einheit‐lichkeit und Ungeschichtlichkeit menschlicher Handlungen, ein universali‐stisches Menschenbild, eine universalistische Ethik sowie die Gleichheit
41 Mensching, Gustav: Weltreligion, Weltkultur und Weltzivilisation (1967), 2. Aufl.,
in: Aufsätze und Vorträge zur Toleranz‐ und Wahrheitskonzeption, Würzburg 2002 (325‐347), S. 290.
42 Galtung, Johan: Probleme der Friedenserziehung, hrsg. v. Christoph Wulf, Frank‐furt/Main 1973 (23‐44), S. 38.
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der natürlichen, sozial‐strukturellen, politischen und ökonomischen Bedin‐gungen voraussetzen würde. Die Bestimmung von Toleranzgrenzen ist ein Prozeß mit vielen Dimen‐
sionen. Es muß immer mit beachtet werden, ob hinter aktuell werdenden Toleranzfragen Verteilungskonflikte stehen, die ethnisiert werden, um sie nicht mehr als solche erkennbar und kritisierbar zu machen. Die kanadi‐sche ›Multikulturalitätsdebatte‹, die seit 1971 geführt wird, wäre in diesem Zusammenhang der Betrachtung wert. Es gilt auch zu analysieren, unter welchen empirischen gesellschaftlichen Bedingungen die Toleranzproble‐matik einen Stellenwert bekommt, wie z.B. der rituelle Dolch der Sikhs bei einem kanadischen Polizisten oder das Kopftuch an französischen und deutschen Schulen. Die Grenzen der Toleranz müssen in einen interkulturellen und interreli‐
giösen Zusammenhang gebracht und unter soziokulturellen und ethnolo‐gischen Gesichtpunkten analysiert werden. Dies bedeutet praktisch, daß wir das Welt‐ und Menschenbild, die historische Bedingtheit vieler Gepflo‐genheiten und die religiösen Vorstellungen und Praktiken der Völker ge‐nau kennen müssen. Grundvorstellungen, Gebote und Verbote, auch Prin‐zipien der Rechtsstaatlichkeit sind nicht deckungsgleich. Allein diese Tatsache macht deutlich, daß die Grenzen der Toleranz von
einer begrenzten Verschiebbarkeit geleitet sind, da Völker unterschiedliche Wertvorstellungen haben. Durch die Berücksichtigung handlungsprakti‐scher Grenzen und systembedingter Kontingenzen wird es möglich, eine anwendungsfähige interkulturelle Struktur zu entwickeln, die sich in die komplexe interkulturelle Praxis umsetzen läßt. Auf der politischen Ebene nähern sich die Arbeit der Vereinten Nationen
und die des Weltsicherheitsrats einem solchen Verfahren an. Diese Gre‐mien bestimmen, wann ein Staat die Interessen der Weltgesellschaft zu verletzen droht und dieses Verhalten nicht gebilligt werden kann. Der Um‐setzung eines solchen Diskurses steht allerdings entgegen, daß die ständi‐gen Mitglieder des Weltsicherheitsrats über Vetorechte verfügen und meist strategisch handeln. Häufig ist eine Seite entschlossen, ihren Standpunkt oder ihre Interessen unter allen Bedingungen durchzusetzen. Der anderen Seite bleibt nur die Wahl, Widerstand zu leisten oder sich zu unterwerfen. Macht agiert auf der Basis einer ›doppelten Anthropologie‹: einer An‐
thropologie erster Ordnung, nämlich der eigenen, und einer zweiten Ord‐
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nung, nämlich der des Anderen, des Fremden. Die Anthropologie erster Ordnung ist stets auf paternalistische Bevormundung aus, paradoxerweise auch auf die Gefahr hin, daß sie sich dabei selbst schadet. Hier handelt es sich um eine partikuläre Anthropologie, die sich selbst verabsolutiert und die schon immer ein Problem der praktischen Politik war.43
Interreligiöser Dialog Interreligiöser Dialog gehört neben der Toleranz zu den zentralen Auf‐gaben einer interkulturell orientierten Religionswissenschaft. Das Idealer‐gebnis einer jeden interreligiösen bzw. interkulturellen Kommunikation ist nicht der Sieg des Einzelnen, sondern die Lösung der entstandenen Kon‐flikte auf der Grundlage reziproken Verstehens. Wenn aber eine Seite ent‐schlossen ist, ihren Standpunkt unter allen Bedingungen durchzusetzen, dann bleibt der anderen zwangsläufig die Wahl, sich entweder zu unter‐werfen oder Widerstand zu leisten. Der praktizierte Paternalismus der ›Koalition der Willigen‹ im Irak ist ein Beispiel und die Folgen kennen wir. Interreligiöser Dialog ist von einer dialogischen Komplementarität gelei‐
tet, der alle Gesprächspartner als gleichberechtigt ansieht und ihnen einen gleichen Freiheitsspielraum zubilligt. Sie ermöglicht mehrere aufeinander abgestimmte und ineinander verflochtene Kommunikationsmöglichkeiten. Ein grundsätzliches Problem der Kommunikation ist der Absolutheitsan‐
spruch. Hier geht es darum, die eigene Idee, die eigene Philosophie, die eigene politische Meinung, die eigenen kulturellen Werte oder die eigene Religion für die ausschließliche Wahrheit zu halten. Liegt dieser Tatbe‐stand vor, so wird nicht mehr gesagt: das ist meine Idee, meine Philoso‐phie, meine politische Meinung, meine kulturellen Werte oder meine Reli‐gion, sondern: das ist die Idee, die Philosophie, die politische Meinung, die kulturellen Werte und die Religion. Daß derartige Einstellungen zur strukturellen Gewalt führen können, liegt in der Natur der Sache. Um einen Dialog zu ermöglichen, könnte die Praxis einer einschließen‐
den Differenz hilfreich sein. Bei der ausschließenden Differenz nimmt sich eine bestimmte Gruppe oder ein bestimmtes Mitglied das Recht, durch totalitäre oder vorgefaßte ideologische Forderungen den Freiheitsspiel‐
43 Vgl. Yousefi, H. R. und Ina Braun: Interkulturelles Denken oder Achse des Bösen,
2005 S. 263.
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raum einer Gruppe oder eines bestimmten Mitglieds festzulegen oder zu begrenzen. Macht wird hier zum Argument, zu einer Instanz, die be‐stimmt, was legitim bzw. illegitim ist. Sie diktiert im Grunde genommen die Spielregeln und bestimmt die Rahmenbedingungen auf allen Ebenen. Die einschließende Differenz ist das Pendant zu dieser Orientierung. In
einer derartigen Interaktionsform ist nicht mehr zugelassen, daß eine be‐stimmte Gruppe das Gleichheitsprinzip verletzt. Sie geht von der ›Einheit aus der Vielfalt‹ aus. Einheitlichkeit, welche die ausschließende Differenz anstrebt, ist hingegen stets gewaltgeladen. Dieses Spannungsfeld macht deutlich, daß es eine konfliktfreie Interaktionsform nicht gibt und auch nicht geben kann, weil der Mensch oft bewußt oder unbewußt konfliktiv denkt und handelt. Die Beachtung der Semantik spielt in jeder Kommunikation eine wichtige
Rolle, weil sie häufig ein Mißverständnispotential nach sich zieht. Dies hängt damit zusammen, daß die Kommunikationspartner in einer inter‐kulturellen Kommunikationssituation die Wörter so verwenden, wie sie diese im Laufe ihrer Sozialisation in spezifischen kulturellen Kontexten erlernt haben. Dabei können semantisch bedingten Störungen, Mißver‐ständnissen oder Konflikten entstehen. Um bestimmte Handlungen des Fremden zu verstehen, benötigen wir neben der intrakulturellen Sozialisa‐tion auch die interkulturelle Art derselben, welche die Interkulturalisierung der Semantik voraussetzt. Interkulturelle Semantik beschreibt diese Stö‐rungen, die in der Regel durch einen kulturspezifischen Wortgebrauch verursacht sind.44
Dimensionen der interkulturellen Religionswissenschaft lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Interkulturelle Religionswissenschaft ist keine wertneutrale Disziplin und geht als ein
vielschichtiges Programm, von der Annahme aus, daß es eine reine eigene Religion ebensowenig gibt wie eine reine andere Religion;
2. Interkulturelle Religionswissenschaft gibt eine konzeptuelle Antwort auf die Frage, wozu Religionswissenschaft zu betreiben ist;
3. Interkulturelle Religionswissenschaft beschreibt den Einfluß religiöser und kultureller Gegebenheiten auf Gesellschaften;
44 Vgl. hierzu Kühn, Peter: Interkulturelle Semantik (Interkulturelle Bibliothek Bd.
38), Nordhausen 2006.
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4. Interkulturelle Religionswissenschaft ist anthropologisch-humanwissenschaftlich ausgerichtet;
5. Interkulturelle Religionswissenschaft ist keine Weltanschauungslehre; 6. Interkulturelle Religionswissenschaft nimmt das Heilige als individuelle Wahrnehmung
des Menschen ernst und betreibt eine Religionswissenschaft der Mitte. Sie negiert so-mit die Verschlossenheit der Transzendenz und plädiert für das Offensein derselben;
7. Interkulturelle Religionswissenschaft stellt die Wesensfrage und nicht die Wahrheits-frage innerhalb der Religionen;
8. Interkulturelle Religionswissenschaft distanziert sich von jeglichem exklusivistischen Absolutheitsanspruch der Religionen;
9. Interkulturelle Religionswissenschaft erstrebt keine Indoktrination und keinen Kultur- und Religionsrelativismus;
10. Interkulturelle Religionswissenschaft greift als mittlere Orientierung auch auf die Ge-schichte der Fremdwahrnehmungen und Vorurteilsbildungen zurück;
11. Interkulturelle Religionswissenschaft ist eine angewandte, praxisorientierte Wissen-schaft, welche die Theorie aus der Praxis gewinnt;
12. Interkulturelle Religionswissenschaft ist Schul- und Weltbegriff zugleich; 13. Interkulturelle Religionswissenschaft untersucht, aufbauend auf den Erkenntnissen der
interkulturellen Philosophie, die Gründe zwischenkultureller Geringschätzungen, die zu Gehäusedialog und Gehäusetoleranz führen;
14. Interkulturelle Religionswissenschaft erkennt Zentren an, lehnt aber den Zentrismus ab;
15. Interkulturelle Religionswissenschaft erstrebt eine Kontinuität in Zusammenarbeit mit anderen angewandten Disziplinen;
16. Interkulturelle Religionswissenschaft ist von analogischer Hermeneutik geleitet und bedient sich der Methode der kulturellen Selbst-Fremdreflexion;
17. Interkulturelle Religionswissenschaft will ethnizistisches Denken und Handeln überwinden. Demzufolge weist sie eine kategorische Geographisierung des Denkens in einem holistischen und analytischem Kulturkreis zurück;
18. Interkulturelle Religionswissenschaft betreibt eine komparatistische Ethik, fördert Toleranzkompetenz und Toleranzkultur, welche die Grundlage eines umfassenden Dialogs bilden;
19. Interkulturelle Religionswissenschaft arbeitet auch phänomenologisch und ist multilateral dialog- und verständigungsorientiert;
20. Interkulturelle Religionswissenschaft besitzt bei ihren Toleranz- bzw. Dialogforderun-gen auch normative Züge;
21. Interkulturelle Religionswissenschaft distanziert sich von einer zweiwertigen Logik im Bereich der Kulturerscheinungen und ist keine indifferentistisch operierende Welt-theologie;
22. Interkulturelle Religionswissenschaft fördert die theoretische und praktische Urteils-kraft sowie die moralische Kompetenz;
23. Interkulturelle Religionswissenschaft sucht keinen Konsens, sondern stets den Kompromiß;
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24. Interkulturelle Religionswissenschaft fördert die eigene religiöse oder kulturelle Überzeugung durch kontrastierende Interpretation;
25. Interkulturelle Religionswissenschaft intendiert fremde Kulturen so zu verstehen, wie diese sich selbst verstehen;
26. Interkulturelle Religionswissenschaft analysiert implizite und kulturell bedingte Denk-weisen und kritisiert Stereotype der Selbst- und Fremdwahrnehmung;
27. Interkulturelle Religionswissenschaft hält die Interkulturelle bzw. Interreligiöse Kom-petenz für einen konstitutiven Bestandteil der Kommunikation;
28. Interkulturelle Religionswissenschaft weist jede Form von religiösem, alleinseligma-chendem Totalitarismus, der mit physischer und psychischer Gewalt einhergeht, zu-rück;
29. Interkulturelle Religionswissenschaft distanziert sich von jeglicher Form von religi-ösem Tendenzjournalismus, der Ängste schürt und strukturelle Gewalt mitverursacht.
Literaturangabe: Yousefi, Hamid Reza: Interkulturelle Religionswissenschaft. Struktur – Gegenstand – Aufgabe, in: Wege zur Religionswissenschaft. Eine interkulturelle Orientierung: Aspekte, Grundprobleme, Ergänzende Perspektiven, hrsg. v. Hamid Reza Yousefi, Klaus Fischer, Ina Braun und Wolfgang Gantke, Nordhausen 2007 (21‐48).
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