innovative wärmebehandlung von keramik mit low-o … · 2010-06-30 · 1100 °c und der...
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AUS FORSCHUNG UND TECHNIK
420 KERAMISCHE ZEITSCHRIFT 6-2008
F.H. Becker, A. Hajduk
Innovative Wärmebehandlung von Keramik mit „low-O2“-Technologie
Dipl.-Ing. Andreas Hajduk
hat sein Studium im Fachbe-
reich Feinwerktechnik an der
Georg Simon Ohm FH in Nürn-
berg im Jahre 1992 absolviert.
Seinen beruflichen Werdegang
im Bereich Anlagenbau für die
keramische Industrie begann er im Jahre 1996 bei
der Firma Riedhammer GmbH. Bis heute hat er die
Positionen Versuchs- und Entwicklungsingenieur,
Projektleiter und Vertriebsmanager begleitet. Zu-
sätzlich übernahm er vor kurzem die Verantwor-
tung für das Riedhammer Labor.
Dipl.-Ing. Friedherz H. Be-
cker studierte Nichtmetallisch
Anorganische Werkstoffe und
Thermische Verfahrenstechnik
an der TU Clausthal. Seit 1974
ist er bei der Firma Riedham-
mer beschäftigt und zuständig
für den Bereich Forschung und Entwicklung und
seit 2003 ist er ehrenamtlicher Vorsitzender der
Forschungsgemeinschaft Industrieofenbau e.V.
(FOGI).
KURZFASSUNG Moderne Formgebungsverfah-
ren in der Keramik benötigen organische Binder oder
Polymere, die im weiteren Verlauf der Herstellung
durch thermische Behandlung im Entbinderungspro-
zess entfernt werden müssen. Es empfiehlt sich, die-
sen Entbinderungsprozess mit dem des Sinterns oh-
ne zeitliche und örtliche Unterbrechung nacheinan-
der in der gleichen Anlage durchzuführen. Man
verhindert Umsetzungsschäden am Brenngut und
erspart sich Produktionszeitverluste.
Bereits beim Entbindern finden verschiedene Um-
wandlungsprozesse statt, die unterschiedliche Zer-
setzungsprodukte freisetzen. Sie müssen im Vorfeld
bestimmt werden, um den Entbinderungsprozess mit
optimierten Sauerstoffgehalt zu regeln und sicher
durchzuführen. Man verkürzt damit das gesamte
thermische Verfahren, wodurch Platzbedarf, Anla-
gengröße und Investitionskosten minimiert werden.
Bewährt haben sich je nach Produktionskapazität
intermittierend und kontinuierlich betriebene Ofen-
anlagen. In den beiden Anlagentypen integriert man
thermische Nachverbrennungseinrichtungen, die ei-
ne saubere Oxidation aller im Prozess auftretenden
unverbrannten Gase gewährleisten, womit sich nur
geringe Umweltbelastungen ergeben. Die heißen
und sauberen Verbrennungsprodukte aus der TNV
werden zum Ofen zurückgeführt, dort erhöhen sie
den Wärmeübergang und die Temperaturgleichmä-
ßigkeit. Die Atmosphärenstabilität, gekennzeichnet
durch die Konstanz der Sauerstoffkonzentration, er-
zielt man durch die „low-O2“-Regelung. Produkt-
qualitätsverbesserung und Energieverbrauchsminde-
rung sind die erfreulichen Resultate.
ABSTRACT Innovative Heat Treatment of Ce-
ramics by Using “low-O2“-Technology
Modern shaping processes in the ceramics produc-
tion require organic binders or polymers to be remo-
ved again in the later course of the production pro-
cess by thermal treatment during the debinding
phase. It is advisable to realise the debinding process
together with the sintering process one after the
other in the same plant without time interruption or
material transfer to avoid production time losses as
well as transfer damages to the material to be fired.
Already during the debinding phase various transfor-
mation processes take place in the course of which
different decomposition products are set free. It is
necessary to determine these products in advance to
permit the control of a safe debinding process with
optimised oxygen content. That way the total durati-
on of the thermal treatment is reduced and conse-
quently a minimisation of the space requirement,
plant size and investment costs can be achieved.
Depending on the production capacity intermittently
and continuously operated kiln plants have been
used successfully for this application. Both kiln types
can be equipped with integrated thermal postcom-
bustion systems ensuring a clean oxidation of all
unburnt gases produced during the process, thereby
minimizing environmental load. The hot and clean
combustion products of the thermal postcombustion
system are led back to the kiln where they improve
the heat transfer and the temperature uniformity.
The atmosphere stability marked by the constancy of
the oxygen concentration is obtained by the ”low
O2“ control. An improved product quality as well as a
reduced energy consumption are welcome results.
STICHWÖRTER Plastifizierer, PVA, PEG, Entbin-
derung, „Low-O2“-Technologie, Wärmebehandlung
Keram. Z. 60 (2008) [6]
1 Einleitung
Moderne keramische Werkstoffe erfordern
moderne Herstellungsverfahren. Diese For-
derung zielt insbesondere auf weitere Ver-
besserung der Mikro- und Makrostruktur,
zum Teil auf eine sehr komplizierte Geomet-
rie sowie auf verlängerte Lebensdauer.
Die notwendigen Formgebungsverfahren
bedingen eine ausreichende Plastifizierung
des keramischen Rohmaterials [1]. Die tradi-
tionellen plastischen Rohstoffe wie z. B. Tone
und Lehm erfüllen oftmals nicht die hohen
Anforderungen der technischen keramischen
Industrie an die notwendige Reinheit der
Materialien, um die gewünschten Eigen-
schaften des fertigen Produkts zu erreichen.
Synthetische reine Rohmaterialien, genau-
so wie Feldspat oder Quarz, müssen als un-
plastisch klassifiziert werden. Dennoch kön-
nen sie in plastischen Formgebungsverfah-
ren verwendet werden, wenn sie mit
plastischen Rohmaterialien oder mit organi-
schen Substanzen gemischt werden. Diese
organischen Substanzen sind Polymere oder
Binder.
2 Einsatz von Bindern und ihre
Zersetzungsprodukte [2]
Der Gebrauch von Polymeren variiert ent-
sprechend der keramischen Prozessmetho-
de. Man mischt sie in verschiedenen Konzen-
trationen Suspensionen bei, die zum Schli-
ckergießen oder Sprühtrocknen verwendet
werden. Sie werden eingesetzt als Binder, als
Plastifizierungsmittel, als Gleithilfsmittel
oder als Verflüssiger.
Binder verwendet man in Schlickergieß-
verfahren oder während des Pressens, da sie
dem Grünling durch das Aneinanderkleben
von Partikeln an deren Grenzflächen die be-
nötigte Festigkeit geben. Für gewöhnlich
werden Binder zur Anwendung gebracht, die
auf Polyvinylalkoholen (PVA), Polyacrylaten
oder Zellulose basieren.
Hochpolymere Bestandteile wie Zellulose
und Polysaccharide dienen als Plastifizie-
rungsmittel. Während des Strangpressens er-
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421KERAMISCHE ZEITSCHRIFT 6-2008
möglichen diese die Fließfähigkeit kerami-
scher Massen, sie können aber auch eine
Binderfunktion erfüllen.
Gleitmittel sind organische Hilfsmittel, de-
ren Funktionsweise auf der Interaktion ihrer
hydrophilen Gruppen basiert, also den Sau-
erstoffatomen der Äthergruppe -C-O-C- und
den an der Oberfläche befindlichen H+-Ionen
der Me-OH-Gruppen. Als Resultat entstehen
gleichgeladene Teilchen, die leicht aneinan-
der vorbeigleiten können. Während des Tro-
ckenpressens kann, durch die so verbesserte
Spannungsübertragung, eine höhere Grün-
dichte erreicht werden. Ein typisches Gleit-
mittel ist Polyethylenglycol (PEG).
Als Dispersionshilfsmittel, als Stabilisato-
ren und als Verflüssiger für Gießschlicker
werden kurzkettige Säuren von Polyacrylen
genutzt (PAA).
Die genannten organischen Zusätze müs-
sen vor dem eigentlichen Sinterprozess mög-
lichst gleichmäßig und vollständig aus dem
Scherben herausgetrieben werden, weil Koh-
lenstoffrückstände sowohl einen negativen
Einfluss auf den Sinterprozess, als auch auf
die Qualität des Endprodukts haben können.
Die Temperaturen für den Entbinderungs-
prozess variieren zwischen ca. 150–500 °C.
Man kann ihn in drei Schritte unterteilen:
• thermische Zersetzung der organischen
Zusätze
• Diffusion der Gase durch die Werkstoffpo-
ren in den Ofenraum
• Oxidation dieser Gase im Ofenraum und
im keramischen Scherben.
Die Geschwindigkeit der Spaltung der Poly-
mere sollte die Diffusionsgeschwindigkeit der
Pyrolyseprodukte im Körper nicht überschrei-
ten, da es sonst zu einer Drucküberhöhung
der gasförmigen Pyrolyseprodukte kommen
könnte, die zu Rissen und zur Zerstörung des
Körpers führen würden. Förderlich für den
Entbinderungsprozess ist eine einheitliche
Körnungsgröße; allerdings wirken Agglomera-
te oder Bereiche hoher Dichte verlangsamend.
Die Verwendung von feinem Pulver beschleu-
nigt die Sinterungsgeschwindigkeit, verringert
aber die Geschwindigkeit der
Entbinderung.
Im Produktionsverfahren
kann sich die gesamte thermi-
sche Behandlung bis zu 80 h
hinziehen, wobei der Entbinde-
rungsprozess im Zeit rahmen bis
40 h abläuft. Lange Brennzeit
bedeutet einen hohen Energie-
und Platzbedarf, Faktoren, die
zu hohen Investitions- und Be-
triebskosten führen und des halb
auf ein mögliches Minimum re-
duziert werden sollten.
3 Analyse der
Entbinderungsprozesse
Einen Überblick über den
Temperaturbereich, in dem die
Zerfallsreaktionen stattfinden,
gibt die Tabelle 1. Allerdings ist
zu beachten, dass verschiedene
keramische Stoffe unterschied-
liche katalytische Effekte auf den Tempera-
turverlauf der Zerfallsreaktionen von Poly-
meren haben. Al2O3 z. B. steigert den Zer-
fallsprozess der Polymerketten, so dass hier
die Reaktionen bei tieferen Temperaturen
ablaufen [3].
Die eingesetzten organischen Zusätze PVA,
PEG und PAA zerfallen während der Entbin-
derung in verschiedenste chemische Verbin-
dungen, die in den Tabellen 2–4 festgehalten
sind [4].
Die ablaufenden thermischen Reaktionen
eines Probekörpers aus der industriellen An-
wendung lassen sich sehr deutlich an den
Diagrammen der Differential-Thermoanalyse
(DTA) (Bild 1) verfolgen. Während die organi-
schen Zerfallsprodukte aus dem Brenngut
entweichen, laufen zum Teil sehr ausgepräg-
te exotherme und endotherme Reaktionen
ab. Der kritische Temperaturbereich liegt da-
bei in den meisten Fällen zwischen 150 °C
und 400 °C. Untersucht man den Einfluss
des Sauerstoffgehaltes auf die Intensität die-
ser Reaktionen, so stellt man fest, dass sie
durch die Ofenatmosphäre beeinflusst wer-
den können. Im theoretischen Ansatz hat
man damit ein Werkzeug gewonnen, das
Produkt mit maximal möglicher Geschwin-
digkeit ohne Qualitätsverlust zu entbindern.
Im vorliegenden Fall bietet es sich an, den
Entbinderungsprozess durch eine „low-O2“-
Einstellung zu beschleunigen und energe-
tisch günstig zu gestalten.
4 Ofenanlagen mit „low-O2“-Technologie
Abhängig u. a. von der Produktionskapazi-
tät kommen für große Produktionsmengen
kontinuierlich betriebene Öfen zum Einsatz,
nämlich Tunnelöfen als Rollen-, Platten-
durchschub-, Tunnelöfen mit Wagenförde-
rung und Drehrohröfen; für kleine Produkti-
onsmengen sind intermittierend betriebene
Öfen einzusetzen, wie Herdwagen-, Hauben-,
Elevator- und Kammeröfen.
Die „low-O2“-Technologie ist im weitesten
Sinne für alle genannten Öfen einsetzbar.
Das Grundprinzip der „low-O2“-Technik be-
inhaltet die notwendige Atmosphärenrege-
lung in einem Ofen oder in Ofenbereichen,
die zum Stand der Technik gehört. Wenn
die gewünschten Eigenschaften des Fertig-
produktes nicht durch besondere Brennat-
mospärenbedingungen beeinflusst werden,
sollte eine Verbrennung aus energetischen
Gründen immer unter stöchiometrischen
Bedingungen stattfinden, d. h. vollständige
Verbrennung des Brennstoffs mit gerings-
tem Sauerstoffgehalt. Bild 2 zeigt das Ver-
brennungsdiagram für russisches Erdgas,
aus dem zu entnehmen ist, dass z. B. eine
Abweichung des Sauerstoffgehalts in der
Brennatmosphäre vom stöchiometrischen
Verbrennungspunkt um 5 % eine Erhöhung
des Abgasvolumens von ca. 32 % bedeutet
und der Energieverbrauch um diesen Be-
trag steigen wird.
Tabelle 1 • Zerfallsbereiche von Poly-
meren
Organische
Substanz
Spaltungsbereich / °C
PVA 200–300
PEG 150–250
PAA 250–350
Bild 1 • Differentialthermoanalyse
Bild 2 • Verbrennungsdiagramm für russisches Erdgas
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422 KERAMISCHE ZEITSCHRIFT 6-2008
Besondere Brennatmosphärenbedingun-
gen sind beispielsweise im Schnellbrand
beim Hartporzellan-Glattbrand notwendig.
Schnellbrand heißt hier, den gesamten
Brennprozess einschließlich der Kühlung in
4–8 h durchzuführen. Die gewünschte Farbe
und damit Qualität das Porzellanscherbens
wird durch eine nahstöchiometrische aber
reduzierende Brennatmosphäre (Luftfaktor
�≈0,95) im Temperaturbereich zwischen ca.
1100 °C und der Maximaltemperatur von ca.
1400 °C eingestellt und überwacht. Ähnlich
wird die Qualität von Elektroporzellan, wie
z. B. Hochspannungsisolatoren beeinflusst.
Zur thermischen Behandlung von Schüttgü-
tern unter bestimmten sauerstoffarmen Be-
dingungen können auch indirekt beheizte
Drehrohröfen eingesetzt werden, die mit
Spezialdichtungen ausgerüstet sind (Bild 3)
und deren Brennraum über entsprechende
Lanzentechnik mit z. B. Inertgasen gespült
wird.
Wenn größere Produktionskapazitäten von
Weichferriten benötigt werden, kommen
elektrisch beheizte, gasdichte Rollenöfen
und insbesondere gasdichte Platten schub-
öfen zum Einsatz.
Die magnetischen Eigenschaften von
Weichferriten werden durch einen zum Teil
sehr schnellen Wechsel von fast atmosphäri-
schen Bedingungen in Sauerstoffbereiche bis
zu 30 ppm erzielt. Dieser Atmosphärenwech-
sel ist in den letzten Abschnitten der Tempe-
raturkurve zwischen Haltezeit bei Maximal-
temperatur bis unterhalb der Curietempera-
tur notwendig. Je nach Produkt sind aber
bereits in der Aufheizphase unterschiedliche
Sauerstoffgehalte einzuhalten.
Rollenöfen und Plattenschuböfen werden
auch bei der Herstellung anderer Elektronik-
keramiken und keramischer Dieselpartikel-
filter eingesetzt.
Wenn kleinere Produktionskapazitäten
von Weichferriten benötigt werden, reichen
intermittierend betriebene
Ofenanlagen aus. Das meist
verwendete Aggregat für diese
Produktion ist der elektrisch
beheizte, gasdichte Hauben-
ofen (Bild 4), in dem auch die
o. g. geringen Sauerstoffwerte
erreicht werden.
Als weiteres Beispiel für die
Vielzahl bekannter Anwendungen einer ther-
mischen Behandlung mit niedrigem Sauer-
stoffgehalt sei die Herstellung von Kunstkoh-
le genannt. Der Abbrand von Kohlenstoff
kann nur verhindert werden, wenn kein Sau-
erstoff und nach dem Boudouard’schen
Gleichgewicht kein CO2-Gas während des Pro-
zesses mit der Kunstkohle in Berührung
kommt. Als eine typische Produktionsanlage
kann hier der Tiefofen zur Herstellung von
Anoden und Kathoden genannt werden. Die-
se „quasi kontinuierliche“ Anlage besteht aus
einzelnen Kammern, die mit Produkt gefüllt
werden. Zwischen dem Produkt befinden
sich Kanäle aus keramischen Kassettenstei-
nen. Eine Brennerbühne „wandert“ im perio-
dischen Abstand von 26–32 h von einer
Kammer zur nächsten. Ihre Brenner erzeu-
gen Abgase, die durch die Kanäle geführt
werden und so für den indirekten Wärme-
übergang sorgen. Vor dem Schließen jeder
Kammer wird das Produkt allseitig in Koks
eingepackt, um den Sauerstoffzutritt sicher
zu verhindern.
5 Die neue „low-O2“-Technologie
Die neue „low-O2“-Technologie für innova-
tive Wärmebehandlungsanlagen mit integ-
riertem Entbinderungsprozess unterscheidet
sich im Wesentlichen in verfahrenstechnischer
Hinsicht von den beschriebenen Anlagen.
Die neue „low-O2“-Technologie ist eine
thermische Verfahrenstechnik, mit der bei
nahstöchiometrischer Verbrennung die kür-
zeste, energetisch günstigste thermische Be-
handlung von keramischen Produkten bester
Qualität erzielt wird. Als wichtigste Regelgrö-
ße ist die bei Betrachtung des Entbinde-
rungsprozesses herzuleitende Abhängigkeit
dieses Prozesses vom Sauerstoffgehalt und
der Reaktionsintensität einzusetzen.
Auch wenn die Konzentrationen der gas-
förmigen Entbinderungsprodukte in allen
bisher bekannten Fällen im ungefährdeten
ppm-Bereich liegen, ist für die neue „low-
O2“-Technologie die Kenntnis der Entbinde-
rungsreaktionen und die Berechnung der
möglichen Konzentrationen während des
Entbinderungsprozesses notwendig, um De-
flagrationen vorzubeugen.
Wie die Tabellen 1–3 zeigen wird beim
Entbinderungsprozess vorwiegend Formal-
dehyd – auch Methanal genannt – freige-
setzt. Die Gase sind in einem Gas-Luftgemisch
mit 7 % – das ist die untere Explosionsgrenze
(UEG) – bis zur oberen Explosionsgrenze
(OEG) mit 73 % explosiv. Die folgende Explosi-
onsschutzbetrachtung bezieht sich beispiel-
haft auf das ternäre System Methanal, Stick-
stoff und Luft (Bild 5).
Die drei Achsen mit einer Skaleneinteilung
von jeweils 0–100 % definieren mit den je-
weiligen Eckpunkten den Ausgangszustand
einer reinen Komponente. Um Punkte im
Dreistoffsystem eindeutig den prozentualen
Anteilen zuzuordnen, werden die Bezugsach-
sen parallel verschoben, bis sie den gesuch-
ten Konzentrationspunkt treffen. Die drei
Konzentrationsanteile der Stoffe müssen zu-
sammen immer 100 % ergeben. Zur Konzen-
trationsermittlung eines Punktes reicht die
Tabelle 2 • Pyrolyseprodukte von PVA
Pyrolyseprodukte Summenformel
Formaldehyd CH2O
Acetaldehyd CH3CHO
Cotonaldehyde C4H6O
Benzen C6H6
Phenol C6H5OH
Benzaldehyd C7H6O
Toluen C7H8
Styrol C8H8
Cresol C7H8O
Benzofuran C8H6O
Naphthalin C10H8
Bild 3 • Indirekt beheizter Drehrohrofen mit Atmo-
sphärensteuerung
Bild 4 • Zwei elektrisch beheizte,
gasdichte Hau ben öfen
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424
graphische Bestimmung der Anteile zweier
Komponenten, die dritte ergibt sich dann
rechnerisch. Die (UEG) gibt den minimalen,
für eine Explosion erforderlichen Anteil an
brennbarem Gas im Stoffgemisch an. Unter
der UEG ist keine Explosion möglich, da der
brennbare Stoff in zu geringer Konzentration
vorliegt. Die (OEG) gibt den für eine Zündung
maximal möglichen Anteil an Brennstoffen
im Stoffgemisch an. Über die OEG ist eben-
falls keine Explosion mehr möglich, da der
Oxidator, meistens Sauerstoff, in zu geringen
Mengen vorhanden ist. Zwischen der UEG
und der OEG ist beim Vorhandensein einer
Zündquelle eine Explosion zu erwarten. Die
Grenzen sind in Bild 5 eingezeichnet.
Die UEG und OEG können mit entsprechen-
den Formeln errechnet werden [9]. Um nun
einen Explosionsbereich festzulegen, wird
noch ein dritter, den Explosionsbereich ein-
grenzender Punkt benötigt. Er wird mit den
gleichen Formeln zur Bestimmung der UEG
und OEG, durch Variation der Sauerstoffantei-
le berechnet und stellt den Schnittpunkt der
Linie der stöchiometrischen Verbrennung mit
der des zur Reaktion geringsten Sauerstoffan-
teils dar. In Bild 5 ist der Explosionsbereich
durch das Gebiet 1 gekennzeichnet.
Da der Übergang von nicht explosiver Mi-
schung zum explosiven Bereich sehr rasch
möglich ist, fügt man quasi als Begrenzung ei-
nes Übergangsbereichs die Limit-Air-Concent-
ration (LAC)-Linie ein, die mit der LOC (Limiting-
Oxygen-Concentration) durch die Beziehung
LOC = 0,209 × LAC
verknüpft ist. Jedes Gemisch, das rechts der
LOC liegt, ist nicht zündbar und auch relativ ex-
plosionssicher. Doch da bei hohen Metha-
nalanteilen ein geringer Sauerstoffeinbruch
schon eine Explosion hervorrufen kann, wird
dieser Bereich durch die Linie ICR (inert gas–
combustion gas–rate) noch weiter einge-
schränkt. Diese Gerade hat ihren Ursprung bei
einer Konzentration von 100 % Luft und ver-
läuft durch den Endpunkt des Explosionsberei-
ches. Der so ermittelte Bereich, begrenzt durch
die LAC- und ICR-Linien kann nun als inert und
damit als sicher, eingestuft werden. Alle ande-
ren Bereiche müssen als explosionsgefährdet
betrachtet und somit gemieden werden.
In Vorversuchen hat man wie oben be-
schrieben die einzelnen Entbinderungskom-
ponenten zu bestimmen und auch ihre mög-
lichen Konzentrationen über den gesamten
Entbinderungsprozess. Für jede Komponente
ist dann ein Explosionsdiagramm nach Bild 5
aufzustellen, wenn die gemessenen Konzent-
rationen oberhalb der ICR-Linie liegen. Da
bei den bisherigen Prozessen die gemesse-
nen Konzentrationen immer im niedrigen
ppm-Bereich liegen, also weit unterhalb der
ICR-Linie, besteht auch keine Explosionsge-
fahr. Es reicht zur Überwachung eine verläss-
liche Sauerstoffmessung.
6 Periodische Ofenanlagen mit neuer
„low-O2“-Technologie
Ofenanlagen der innovativen Technologie
müssen, um markt- und produktgerecht zu
sein, die folgenden Merkmale besitzen:
• periodische und kontinuierliche Produkti-
onsmethoden, passend zu den geforderten
Kapazitäten
• Entbindern und Sintern in einem Brand
bzw. in einer Anlage
• keine gasdichten Anlagen, sondern dem
Standard und den Prinzipien der Herdwa-
gen- bzw. Tunnelöfen entsprechend, um
auf Bewährtes zurückzugreifen und um In-
vestitionskosten zu minimieren;
• Brennstoffbeheizung, aus verfahrenstech-
nischen und aus Betriebskostengründen
• präzise Atmosphärenregelung im besonde-
ren während der Entbinderung unter Be-
rücksichtigung der Explosionsschutzregeln
• hoher und gleichmäßiger Wärmeübergang
bei produktschonender Binderentgasung
• Verwendung einer thermischen Nachver-
brennung des Binders zur Reduzierung des
Energieverbrauchs zur Vermeidung von
Umweltschäden
• sicherer Betrieb im explosionsungefährde-
ten Bereich.
Der schematische Aufbau einer periodisch
betriebenen Ofenanlage nach der neuen
„low-O2“-Technologie ist dem Bild 6 zu ent-
nehmen. Die thermische Nachverbrennung
(TNV) muss brennstoffbeheizt sein, um wäh-
rend des Gesamtprozesses den Sauerstoffge-
halt im System zu steuern. Sie ist von ihrer
Baugröße so zu dimensionieren, dass eine
ausreichende Verweilzeit
der Kohlenwasserstoffe zu
deren Oxidation verbleibt.
Der zum System gehören-
de Wärmetauscher kann
mit Luft oder mit Wasser
als Kühlmedium betrieben
werden. Der hohe Wärme-
übergang des Wasserbe-
triebs lässt die oftmals
erwünschten kleinen Bau-Bild 5 • Dreistoffsystem Methanal-Stickstoff-Luft Bild 6 • Schema einer Herdwagenofenanlage mit „low-O2“-Technologie
Tabelle 3 • Pyrolyseprodukte von PEG
Pyrolyseprodukte Summenformel
Formaldehyd CH2O
Acetaldehyd CH3CHO
Valeraldehyd C5H10O
Mono-, Di- and
Trimer des
Äthen- Glykols
C2H4(OH)2
Methyl-1,3-Dioxolan C4H6O3
Benzen C6H6
Tabelle 4 • Pyrolyseprodukte von PAA
Pyrolyseprodukte Summenformel
Formaldehyd CH2O
Acetaldehyd CH3CHO
Aceton C3H6O
2-Butanon C4H8O
Benzen C6H6
Xylen C8H10
Phenol C6H5OH
Cresol C7H8O
KERAMISCHE ZEITSCHRIFT 6-2008 -- Licensed for DVS Media GmbH --
425KERAMISCHE ZEITSCHRIFT 6-2008
Ofenkanal bewirken gute Temperaturgleich-
mäßigkeiten und konstante Atmosphären-
konzentrationen.
Das beschriebene und in Bild 8 schema-
tisch dargestellte Grundprinzip des Entbin-
derungssystems ist inzwischen bewährt. Es
zeichnet sich durch geringen Energiever-
brauch, sichere Betriebsweise und niedrige
Abgasverluste bei minimalen Umweltbelas-
tungen aus, die sich auf die bei der Verbren-
nung von fossilen Brennstoffen nicht zu ver-
meidenden CO2-Bestandteile beschränken.
Mit Tunnelöfen, die auf diesem Prinzip
basieren, konnte der Gesamtprozess der
thermischen Behandlung im Vergleich zu
der bis dato üblichen Technik auf 50 % bis
70 % der Zeit verkürzt werden. Entsprechend
kleinere Anlagenabmessungen mit den Ein-
sparungen des Platzbedarfs und den gerin-
geren Investitionskosten sind die weiteren
herausragenden Vorteile.
Literatur[1] Locher, C., Pfaff, E., Schulz, P., Zografou, C.:
Untersuchungen zum Ausbrennen orga-nischer Substanzen im keramischen Scher-ben. Keram. Z. 34 (1982) [7] 361–364
[2] Becker, F.: Debinding processes –physical and chemical conclusions and their practi-cal realisations. cfi 83 (2006) [5] E2–E13
[3] Ferrato, M., Cartier, T., Baumard, J.F., Cou-damy, G.: Der Bindemittelabgang in kera-mischen Scherben. cfi/Ber. DKG 71 (1994) [1/2] 8–12
[4] Ziegler, G., Willert-Porada, M.: Schadstoff-reduzierung durch Prozessoptimierung bei der thermischen Zersetzung organischer Additivsysteme für die keramische Formge-bung unter Einbeziehung der Mikrowellen-einkopplung. Report to research project no. 12068 N
[5] Fuß, O.: Ermittlung und Berechnung der Sauerstoffgrenzreaktion von brennbaren Gasen. Dissertation des Fachbereichs Che-mie, Universität Duisburg-Essen, Mai 2004
Eingegangen: 17.11.2008
größen von Wärmetauschern zu. Der verfah-
renstechnische Ablauf beginnt nach der Be-
ladung und Beschickung des Ofens mit dem
vorgeschriebenen Spülvorgang der Gesamt-
anlage. Es folgt das Aufheizen der TNV auf
eine Temperatur, bei der sichergestellt ist,
dass alle Kohlenwasserstoffe, die bei der im
nächsten Schritt beginnenden Entbinderung
entstehen, vollständig oxidiert werden. Die
Atmosphäre in der TNV wird auf ihren Sauer-
stoffgehalt kontinuierlich überprüft und ge-
steuert. Die Abgase aus der TNV leitet man
über den Wärmetauscher zum überwiegen-
den Teil zurück zur Ofenanlage. Die hohe
Abgasumwälzung und die entsprechende
Brennerleistung bewirken eine zügige Sauer-
stoffkonzentrationsanpassung im System an
den gewünschten „low-O2“-Wert. Während
des gesamten Prozesses wird entsprechend
dem zugehörigen Dreikomponentendia-
gramm der Sauerstoffgehalt zuverlässig über
Sauerstoffmesseinrichtungen unterhalb des
Explosionsbereichs eingehalten.
Das Aufheizprogramm für den Entbinde-
rungsprozess im Ofen wird mit der Abgasum-
wälzung realisiert. Mit den beschriebenen
Betrachtungen und notwendigen Untersu-
chungen, die im Vorfeld eine Analyse des
Entbinderungsprozesses ermöglicht haben,
kann ein angepasstes Temperatur-Zeit-Profil
abgefahren werden.
Wie bereits erwähnt, liegen die Konzentrati-
onen von Entbinderungsgasen weit unterhalb
der Explosionsgrenzen, also innerhalb des Be-
reichs 3 im Dreiphasendiagramm des Bildes 5,
so dass bei jeder möglichen Sauerstoffkonzent-
ration keine Explosionsgefahren während des
Entbinderungsprozesses bestehen.
Der Enbinderungsprozess ist abgeschlos-
sen, wenn der O2-Gehalt im System dem der
Gas-Luftverhältnisseinstellung der TNV-Bren-
ner entspricht. Es schalten sich temperatur-
geregelt die Hauptbrenner des Ofens für den
geregelten Sinterprozess ein und mit einer
bestimmten Zeitverzögerung die Brenner der
TNV aus. Die beschriebene Ofenanlage wird
in Bild 7 gezeigt.
7 Kontinuierlich betriebene Ofenanlagen
mit neuer „low-O2“-Technologie
Aus wärmetechnischer Sicht handelt es
sich bei den klassisch betriebenen Tunnel-
öfen um zwei hintereinander geschaltete
Wärmetauscher, bei denen zum einen die
heißen Abgase aus den Brennern im Gegen-
strom zur Ware von der Brennzone über die
Vorwärmzone zum Ofeneinlauf strömen,
hierbei ihre Enthalpie an das Brenngut abge-
ben und sich selbst dabei abkühlen. Zum
anderen strömt in der Kühlzone die Kühlluft,
die am Ofenauslauf eingeblasen wird, eben-
falls im Gegenstrom zur Ware in Richtung
Brennzone, kühlt das Brenngut und erwärmt
sich dabei.
Für die „low-O2“-Technologie ist der Ofen-
anlage eine Entbinderungszone vorgeschal-
tet, in der die Gase im Gleichstrom zur Ware
strömen. Dadurch werden die kohlenwas-
serstoffbeladenen Gase im steigenden Tem-
peraturprofil geführt, so dass sie bei ent-
sprechend niedriger Sauerstoffkonzentrati-
on zum großen Teil bereits in dieser Zone
verbrennen. Die Gase strömen zur TNV über
den Kamin, der zwischen Entbinderung-
und Vorwärmzone installiert ist. In der TNV
werden durch eine geregelte thermische
Behandlung eventuell noch vorhandene
Restkohlenwasserstoffe sauber verbrannt.
Auch Kondensate können sich wegen der
hohen Temperatur in der Abgasrohrleitung
nicht ablagern. Die reinen Abgase aus der
thermischen Nachverbrennung werden zu-
rück zum Ofen geleitet und dienen mit Un-
terstützung von Spezialbrennern zur direk-
ten Beheizung der Entbinderungszone. Mit
diesen Brennern, die als Injektoren für die
Gase aus der TNV wirken, wird sowohl die
Temperatur in den Entbinderungsbereichen
der Anlage als auch die Sauerstoffatmo-
sphäre in diesen Zonen ge-
regelt. Die Sauerstoffmes-
sung mit der einbezogenen
Regelung garantiert wäh-
rend des gesamten
Prozesses konstante „low-
O2“- Atmo sphären ver hält-
nisse. Das System gewähr-
leistet einen sicheren Be-
trieb außerhalb der
Explosionsgrenzen. Die ho-
hen Gasumwälzmengen im Bild 7 • Herdwagenofenanlage mit „low-O2“-Technologie
Bild 8 • Schema einer Entbinderungszone für einen
Tunnelofen
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