innenraumgestaltung von elektrofahrzeugen

2
INNENRAUMGESTALTUNG VON ELEKTROFAHRZEUGEN Für die Gestaltung der Innenräume von Elektrofahrzeugen gelten zahlreiche Besonderheiten. Vor allem der Platzbedarf und das Gewicht der Batterien führen zu Einschränkungen, die durch zielgerichteten Leichtbau und eine pfiffige Raumnutzung ausgeglichen werden müssen. AUFGABENSTELLUNG Bei der Gestaltung der Innenräume von Fahrzeugen mit Elektroantrieb müssen die Innenraumgestalter gleich in mehreren Punkten umdenken. Bereits beim Aufbau erster Prototypen und Erprobungsfahrzeuge in den vergangenen Jahren wurden die Knackpunkte deutlich. Geht es doch um viel mehr, als nur um ein Kombiinstrument mit integriertem Motometer und weitere, spezifisch an Elektrofahrzeuge angepasste Instrumentierungen. So führt der Einbau der Batteriezellen oftmals zu einer erhöhten Sitzposition im Fond, was den Komfort deutlich einschränkt. Um überhaupt genügend Platz anbieten zu können, entfällt nicht selten der dritte Sitzplatz auf der Rückbank. Gleichzeitig gilt es, das Mehrgewicht der Batterien durch den Einsatz konstruktiver und werkstoff- licher Leichtbaumaßnahmen auszugleichen und wegen der fehlenden Abwärme der Mo- toren neue Heizkonzepte zu erarbeiten. Nicht zuletzt gelten auch neue Anforde- rungen an die Akustik. Dies zunächst, weil Fußgänger das Fahrzeug unter Umständen nicht herannahen hören. Aber auch im Innenraum macht sich das Feh- len eines Verbrennungsmotors durch deutlich hörbare Nebenaggregate bemerk- bar. Dafür ergeben sich durch den Entfall des Schaltstocks neue Designmöglich- keiten für die Mittelkonsole. Ein Blick auf die Neupräsentationen anlässlich der dies- jährigen IAA zeigt, in welche Richtung die Entwicklungen gehen. SMART FORVISION Für den Innenraum des Smart forvision kombinierten die Projektpartner Daimler und BASF gleich mehrere innovative Produkte miteinander. Für die einteilige Kunststoffsitzschale aus einem glasfaser- verstärkten Polyamid, , kommt eine neue Fertigungstechnik zum Einsatz: Dabei werden unidirektionale Tapes mit dem Polyamid umspritzt. So verbindet die Kunststoffsitzschale Designfreiheit, Multi- funktionalität und Sicherheit. Für Komfort bei gleichzeitiger Gewichts- ersparnis sorgt eine Polsterung aus einem Polyurethan-Weichschaum, der 10 bis 20 % leichter als herkömmliche Schaumstoffe ist. Zudem bietet der BASF-Werkstoff die Mög- lichkeit, ergonomisch gestaltete Sitz- und Lehnenteile aus sogenannten Mehrzonen- schäumen in einem Arbeitsgang zu produ- zieren. So entstehen in verschiedenen Bereichen der Polsterung unterschiedliche Härten. Die Polyurethan-Weichformschaum- systeme können gemäß Kundenspezifika- SPECIAL TECHNIKTRENDS INTERIEUR 872 DOI: 10.1365/s35148-011-0199-5

Upload: stefan-schlott

Post on 20-Mar-2017

214 views

Category:

Documents


1 download

TRANSCRIPT

Page 1: Innenraumgestaltung von Elektrofahrzeugen

Innenraumgestaltung von elektrofahrzeugenFür die Gestaltung der Innenräume von Elektrofahrzeugen gelten zahlreiche Besonderheiten.

Vor allem der Platzbedarf und das Gewicht der Batterien führen zu Einschränkungen, die durch

zielgerichteten Leichtbau und eine pfiffige Raumnutzung ausgeglichen werden müssen.

AufgAbenstellung

Bei der Gestaltung der Innenräume von Fahrzeugen mit Elektroantrieb müssen die Innenraumgestalter gleich in mehreren Punkten umdenken. Bereits beim Aufbau erster Prototypen und Erprobungsfahrzeuge in den vergangenen Jahren wurden die Knackpunkte deutlich. Geht es doch um viel mehr, als nur um ein Kombiinstrument mit integriertem Motometer und weitere, spezifisch an Elektrofahrzeuge angepasste Instrumentierungen.

So führt der Einbau der Batteriezellen oftmals zu einer erhöhten Sitzposition im Fond, was den Komfort deutlich einschränkt. Um überhaupt genügend Platz anbieten zu können, entfällt nicht selten der dritte Sitzplatz auf der Rückbank. Gleichzeitig gilt es, das Mehrgewicht der Batterien durch den Einsatz konstruktiver und werk stoff­

licher Leichtbaumaßnahmen auszugleichen und wegen der fehlenden Abwärme der Mo ­toren neue Heizkonzepte zu erarbeiten.

Nicht zuletzt gelten auch neue Anforde­rungen an die Akustik. Dies zunächst, weil Fußgänger das Fahrzeug unter Umständen nicht herannahen hören. Aber auch im Innenraum macht sich das Feh­len eines Verbrennungsmotors durch deutlich hörbare Nebenaggregate bemerk­bar. Dafür ergeben sich durch den Entfall des Schaltstocks neue Designmöglich­keiten für die Mittelkonsole. Ein Blick auf die Neupräsentationen anlässlich der dies­jährigen IAA zeigt, in welche Richtung die Entwicklungen gehen.

smArt forvision

Für den Innenraum des Smart forvision kombinierten die Projektpartner Daimler

und BASF gleich mehrere innovative Produkte miteinander. Für die einteilige Kunststoffsitzschale aus einem glas faser­verstärk ten Polyamid, ❶, kommt eine neue Fertigungstechnik zum Einsatz: Dabei werden unidirektionale Tapes mit dem Polyamid umspritzt. So verbindet die Kunststoffsitzschale Designfreiheit, Multi­funktionalität und Sicherheit.

Für Komfort bei gleichzeitiger Gewichts­ersparnis sorgt eine Polsterung aus einem Polyurethan­Weichschaum, der 10 bis 20 % leichter als herkömmliche Schaumstoffe ist. Zudem bietet der BASF­Werkstoff die Mög­lichkeit, ergonomisch gestaltete Sitz­ und Lehnenteile aus sogenannten Mehrzonen­schäumen in einem Arbeitsgang zu produ­zieren. So entstehen in verschiedenen Bereichen der Polsterung unterschiedliche Härten. Die Polyurethan­Weichformschaum­systeme können gemäß Kundenspezifika­

speciAl TEchnIkTREnds InTERIEuR

872

DO

I: 10

.136

5/s3

5148

-011

-019

9-5

Page 2: Innenraumgestaltung von Elektrofahrzeugen

tion und Prozessbedingung zielgerichtet entwickelt werden. Sie sind für den Dauer­gebrauch geeignet und be halten ihren Kom­fort über den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs bei. Gute akustische Eigen­schaften vermeiden zudem Knarzgeräusche mit anliegenden anderen Materialien.

Durch neuartige E­Textiles ist es mög­lich, den Sitz sehr nahe der Oberfläche und am Körper zu beheizen. E­Textiles bestehen aus maßgeschneiderten, leitfä­higen Beschichtungen, die sich mittels eines neuartigen, von der BASF entwi­ckelten Beschichtungsprozesses direkt auf Textilien aufbringen lassen. Nicht nur im Sitz, sondern überall dort, wo flache und körpernahe Heizungen benötigt werden, können solche E­Textiles zum Einsatz kom­men. Die Applikation der Heizelemente ist selbst an sehr schmalen Konturen mög lich. Auch in Tür­ oder Dachtextilien ist die E­Textile­Technologie integrierbar. So fal­

len separate Komponenten weg. Das macht Produktionsprozesse einfacher und redu­ziert das Gewicht des Fahrzeugs. Ein wei­terer Vorteil: Die Stromversorgung erfolgt durch gedruckte Leiterbahnen – dies ermöglicht es, Sensorik und Beleuchtung (LEDs) in die Bauteile zu integrieren.

KonzeptfAhrzeug ie:3

Auch die im Konzeptfahrzeug ie:3 von Johnson Controls gezeigten Produktlö­sungen reduzieren Masse und Packmaß einzelner Bauteile und verbessern die funktionelle Raumausnutzung, ❷. Die Verbindung von flexiblen Ergonomie­ und skalierbaren HMI­Konzepten, innovativen Werkstoffen und elektrischem Antrieb sol­len den Innenraum des ie:3 zum Erlebnis­raum für alle Fahrzeuginsassen machen und vor allem die junge Käufergeneration ansprechen.

Als besonderes Schmankerl gilt die Integ ration eines leichtgewichtigen Audio­systems in den Dachhimmel. Das innova­tive Audiosystem optimiert den Klang und schafft in den Türpanelen zusätzliche Design­ und Packaging­Freiheiten, weil die Türlautsprecher überflüssig werden. Die neue Technologie setzt auf leichtge­wichtige Komponenten als „Klangkörper“­Ersatz, in die die digitale Prozesstechno­logie des US­Spezialanbieters Bongiovi Acoustics integriert wird.

Durch die Verbindung von leichten Bauteilen und Materialien von Johnson Controls mit den digitalen Akustiklösungen von Bongiovi Acoustics wird der Innenraum durch Schalldruck­Übermittlung zum „virtuellen“ Lautsprecher. Der Schalldruck verteilt sich sternförmig und macht Dach­himmel und Verkleidung zum Lautsprecher­

Ersatz. Der Klang wird durch Panel­Mate­rial, Befestigungsmethoden, Bauteilgeo­metrie, Design­Spezifikationen und die digitale Verarbeitung optimiert. Die Mate­rialien des Dachhimmels verbessern somit die Eigenschaften der Akustikverteilung.

Durch den Wegfall der Türlautsprecher kann die Masse im Türmodul um bis zu 50 % gesenkt werden. Damit verbunden ist ein deutlicher Raumgewinn für Stau­fächer oder alternative Funktionen. Bei­spielsweise verfügt der ie:3 in der Türver­kleidung über einen Stauraum von über 10 l je Modul. Der Einsatz von besonders leichten Werkstoffen für Dachhimmel und Säulenverkleidung senkt die Masse um bis zu 25 %.

serienAnwendungen

Anders als bei Konzeptfahrzeugen, bei denen das technisch Mögliche im Vorder­grund steht, regiert bei Serienanwendungen oft der Rotstift der Controller. Wie weit der Weg von Konzeptfahrzeugen in ein Serienmodell ist und was von den Ideen übrig bleibt, zeigt ein Blick auf den Opel Ampera, ❸.

Lenkrad und viele Bedienelemente wie Lenkstockhebel oder Schalter stammen aus dem GM­Baukasten und finden sich auch in anderen Konzernmodellen. Dass es sich beim Ampera um ein Elektrofahrzeug han­delt, merken Fahrer und Passagiere nur am Fehlen klassischer Rundins trumente für Drehzahl oder Tempo. Stattdessen infor­miert ein großes Farbdisplay über elektris­che Restreichweite und andere Parameter. Ein zusätzliches Touch­Screen­Display in der Mitte zeigt die Energieflüsse im Auto.

stefan schlott

❶ Einteilige kunststoffsitzschale aus einem glasfaserverstärkten Polyamid

❸ serieninnenraum des Opel Ampera❷ Funktionelle Raumausnutzung im konzeptfahrzeug ie:3 von Johnson controls

11I2011 113. Jahrgang 873